Das unnachsichtige und strenge Gericht an den Brüdern

Aus Bibelwissen
Wechseln zu: Navigation, Suche

Abschrift: Wer ist Satan?
Satans Ursprung, Werke und Ziel (Heft 4)
aus der Reihe „Mannigfaltige Weisheit Gottes“
von M. Jaegle 1977

Abschrift mit freundlicher Genehmigung von Gerhard Groß
Als Schrift noch erhältlich.

siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

6. Das unnachsichtige und strenge Gericht an den Brüdern

Beginn der Heilsgeschichte der Menschheit

Die Brüder in der Schule Gottes

Nachdem Gott Joseph für seinen Dienst voll zubereitet hatte, war die Stunde Gottes für die Brüder gekommen. Gott handelt in Seinem großen Heilsplan genau nach folgendem Grundsatz: Zuerst bereitet Er Seine Auserwählten für ihren künftigen Mitdienst an Seinem Heilwerk zu, um darauf mit ihnen die Rettung der Nichtauserwählten durchzuführen. So kündet Röm 8:19 an, dass wir als Söhne Gottes zuerst offenbar werden müssen, worauf, nach Vers 21, die Freilösung der gesamten Schöpfung erfolgt.

Über die göttliche, erziehende Überführung der Brüder kann man schreiben: Gottes Mühlen mahlen langsam, aber trefflich fein!

Ehe Gott die Brüder der richterlichen Vollmacht Josephs übergab, hatte Er sie schon in Seine Schule genommen, und zwar als Einleitung für das ihnen bevorstehende Gericht. Wie weckte Er ihnen doch mit der durch Mangel an Getreide entstandenen Notlage das Gewissen! Nach der Aussage Jakobs (1Mo 42:1) wussten sie, dass in Ägypten Getreide zu kaufen war, und dass man dort bereits aus allen Ländern Speise einkaufte.

Aber wie seltsam! Die Brüder reagierten nicht darauf. Wenn die Getreidespeicher z. B. in Assyrien gelegen wären, d. h. auf der Ägypten entgegen gesetzten Seite von Israel, sie wären schon längst dorthin aufgebrochen. Ägypten aber wirkte auf sie wie ein Mahnen an ihre mit diesem Lande verbundene Schuld. Aus des Vaters Frage: "Was starrt ihr einander an?" (1Mo 42:1), muss ihm ihr sonderbares Benehmen aufgefallen sein. Er musste sie geradezu drängen, zum Kauf von Speise endlich nach Ägypten zu ziehen, um die ganze Familie vor dem drohenden Hungertod zu retten.

Während also die Brüder noch zögerten, holten die Nationen bereits ihr Lebens Brot bei Joseph in Ägypten. "Und alle Länder kommen gen Ägypten zu Joseph, um zu kaufen, denn die Hungersnot hält an auf der ganzen Erde" (1Mo 41:47). Diese Tatsache gibt uns eine Vorschau auf den Heilsweg der Juden und Nationen. Denn bevor Jakobs Familie sich - endlich - ihr Brot zum Leben bei Joseph holte, ließen sich schon alle Länder vor ihr von Joseph damit dienen. Wohl nur schattenhaft, aber doch in unverkennbaren Umrissen sehen wir hier "das Wesen" der heutigen Verwaltung, nicht aber diese selbst, da sie ja bis zu Paulus ein Geheimnis war (Eph 3:9). Erstlinge aus den Nationen lassen sich vom großen Joseph das Brot des Lebens geben, während die Söhne Israels, mit Ausnahme einer ganz kleinen Auswahl (Röm 11:5), noch immer zögern, dies zu tun. Aber gleich Jakobs Söhnen, die doch endlich gingen, ja gehen mussten, wird sicher bald die Zeit anbrechen, wo die Juden durch die Drangsal, die große, zubereitet und genötigt werden zum Gang zu ihrem Messias, dem verworfenen großen Bruder.

Auf ihrem schweren Weg nach Ägypten mag dann den Brüdern zum Bewusstsein gekommen sein, wie qualvoll der ihrem Bruder von ihnen aufgezwungene Pfad nach Ägypten gewesen sein mag! Und erlebten die Juden nach der Zerstörung Jerusalems nicht Gleiches? Sie hatten ihren großen Bruder, Christus, in die Hände der Nationen überliefert (Mt 20:19) und mussten dann als Gericht selbst diesen Leidensweg unter die Nationen gehen.

Josephs Gericht und Gnadenerweisung

Mit Josephs Handlungsweise an seinen Brüdern lehrt uns Gott, dass einem rechten Erweisen von Gnade für begangenes Unrecht Gericht vorangehen muss. Nur mit Gnade ohne Gericht hätte Joseph seinen Brüder einen schlechten Dienst getan; denn sie wären nicht zu neuen besseren Menschen erzogen worden. Damit hat Joseph in der ihm von Gott geschenkten Weisheit treffend vorgebildet, was auch Christus in unübertrefflicher Weise mit den Ungläubigen tun und erreichen wird; denn der Vater hat Seinem Sohn alles Gericht übergeben (Joh 5:22). Das Vorgehen Josephs gegen seine Brüder ist offensichtlich ein Werk voll göttlicher Weisheit. Es ist ein erfolgreiches Gericht der Strafe, Züchtigung und zur Besserung, ein Gericht der Herrichtung und nicht der Hinrichtung. Treffend fasst der Prophet dieses Gerichtsprinzip in die Worte: "Denn gleich wie ein Licht sind Deine Gerichte für die Erde; Gerechtigkeit lernen so die Bewohner des Wohnlandes. Erweist man jedoch Gnade dem Frevler, lernt er Gerechtigkeit nimmer; im Lande der Rechtlichkeit wird er (sonst) Arges verüben und wird nimmer sehen die Majestät Jewes" (Jes 26:9b-10).

Darüber hinaus enthält Josephs Geschichte wohl die umfangreichste Prophetie auf die kommende Zeit Israels.

Josephs Handeln an seinen Brüdern zerfällt in zwei Teile:

Erste Begegnung: Überführung - Gericht
Zweite Begegnung: Gericht - Rechtfertigung - Aussöhnung

Die erste Begegnung

Beim ersten Kommen der Brüder handelte er nur gerichtsmäßig an ihnen (1Mo 42). Dabei warfen sie sich als schon im Gewissen Erweckte vor ihm zur Erde. Aber Joseph hält sich zurück, stellt sich fremd und spricht hartnäckig mit ihnen (V. 7). Dann bezichtigt er sie dreimal, Späher, also Spione zu sein (V. 9.14.16). Nachdem er sie zudem noch für drei Tage in Haft setzt (V. 17), könnte man meinen, er nehme an ihnen für das an ihm begangene Unrecht Rache, denn sie waren ja keine Späher. Trotzdem war diese Anschuldigung für die Überführung der Brüder notwendig!

Ehe diese nach Ägypten kamen, war sich Joseph seiner hohen Stellung völlig bewusst: Gott Selbst hatte es so gelenkt, dass sie auf diese üble Art an ihm handeln mussten, da ihn Gott nur auf diesem Weg zum Retter der Welt erheben konnte. Aber das durfte und konnte er den Brüdern nicht gleich sagen, sonst hätte er nicht Christus in Seinem zukünftigen und zurechtbringenden Richteramt darstellen können.

Aber, wie seltsam! Obgleich der Vorwurf, "Späher zu sein", sie nicht treffen konnte, waren sie durch ihre Schuld an Joseph in ihrem Gewissen so belastet, dass sie sich deshalb nicht verteidigten und Josephs Anklage als berechtigte Strafe für ihr schweres Vergehen annahmen. Über aller Lippen kommt das Geständnis (1Mo 42:21): "Und sie sagen, jeder Mann zu seinem Bruder: Dennoch sind wir schuldig an unserem Bruder, wie wir sahen die Drangsal seiner Seele, als er zu uns flehte, und wir hörten nicht. Deshalb kommt über uns alle diese Drangsal". Und als Ruben ihnen gar noch vorwirft (V. 22), nicht auf ihn gehört zu haben, wird allen das Herz noch schwerer, und sie streiten von dieser Beschuldigung nichts ab. Nicht einer vermochte willensstark in seiner Widerspenstigkeit zu beharren. Sie alle gaben damit ein Vorbild vom Zusammenbruch des menschlichen Willens, wenn einst Christus die Menschen richten wird.

Ohne dass sie es ahnen, vernimmt Joseph ihr Schuldbekenntnis und weint (1Mo 42:23-24). An seiner inneren Rührung erkennen wir, in welcher Gesinnung er sein Gericht an den Brüdern durchführte, nämlich als der schon mit ihnen Versöhnte! Es war also nicht bloße Vergeltung für das ihm zugefügte Unrecht, sondern vielmehr eine tiefgreifende Prüfung, um seine ihm feindlich gesinnten und entfremdeten Brüder zur Umsinnung zu führen. Dabei durfte er nicht vorzeitig weich werden und mit Tränen den Brüdern seine erbarmende Liebe offenbaren. Trotzdem hatte er bei dieser ersten Begegnung mit seiner richterlichen Strenge bereits ein gutes Teilziel erreicht.

Da die Hungersnot andauert, müssen sie nochmals vom Vater zum zweiten Gang nach Ägypten geschickt und auch diesmal wieder genötigt werden (1Mo 43:2).

Die zweite Begegnung

Bei dieser zweiten Begegnung werfen sie sich sogar zweimal vor Joseph nieder (1Mo 43:26.28). Als dieser seinen Bruder Benjamin sieht (V. 29), wallt sein Inneres auf und wieder kommen ihm die Tränen, die er in seiner Kammer vor den Brüdern verbirgt.

Darauf erprobt Joseph mit dem Pokal zum letzten Mal die Brüder. Als der Verwalter Josephs den Becher im Packen Benjamins tatsächlich findet (1Mo 44:12), zerreißen sie ihre Gewänder (V. 13). Nun müssen sie nochmals vor Joseph treten. Und wieder werfen sie sich - also das vierte Mal - vor ihm nieder. Mit gutem Recht könnten sie auch in diesem Fall ihre Unschuld beteuern. Aber wieder tun sie das nicht. Hingegen kommt etwas ganz anderes über Judas Lippen. Auf seine Frage: "Womit rechtfertigen wir uns?" gibt er selbst im Namen aller die Antwort: "Alueim hat die Verworfenheit deiner Knechte gefunden" (1Mo 44:16). Hinter dem gerichtsmäßigen Handeln Josephs sehen sie Gott und geben zu, dass Er ihre von ihnen hartnäckig versteckte Missetat und Verworfenheit gefunden und ans Licht gebracht hat. Beeindruckend und überraschend ist, wie Juda über alle den Urteilsspruch fällt: "Siehe uns, Knechte meines Herrn, sowohl wir, als auch der, in dessen Hand der Pokal gefunden ward" (1Mo 44:16). Dieses Geständnis genügt aber Joseph nicht. Er nimmt die abschließende Prüfung vor, indem er Benjamin zurückhalten und die Brüder ohne ihn zum Vater zurückziehen lassen will.

Darauf ergreift der einstmals verräterische Juda, auf dessen niederträchtigen Rat hin Joseph verkauft wurde (1Mo 37:26-28), im Namen aller nochmals das Wort. Ausführlich (1Mo 44:18-34) legt er ihre Stellung zu Benjamin und ihrem greisen Vater dar. Jetzt war ihre Gesinnung völlig umgewandelt. Joseph konnte nun erkennen, dass sie ihn nicht mehr verkaufen und den Vater nicht mehr betrüben würden. Welch eine herrliche Frucht hatte nun Joseph mit seinem strengen, jedoch in Liebe ausgeführten Gericht mit Seinen Brüdern erreicht! Er hatte nun den Beweis der Erkenntnis ihrer Schuld sowie einer aufrichten Reue und Umsinnung reichlich erhalten; Joseph hatte ohne Ausnahme alle seine fehlbaren Brüder zum Eingeständnis ihrer Schuld geführt.

Joseph offenbart sich seinen Brüdern

Jetzt konnte und durfte Joseph sich nicht mehr länger bezwingen und zurückhalten. Er erhob seine Stimme und weinte laut heraus. Machtvoll brach nun seine Liebe zu den Brüdern durch mit dem Ausruf: "Ich bin Joseph. Lebt mein Vater noch?" Was dann auf das an den Brüdern geübte Gericht folgte, nämlich als Joseph sich seinen Brüdern zu erkennen gab, gehört mit zum Schönsten im Worte Gottes. Jedesmal wird beim Lesen dieser Begebenheit das Herz tief gerührt; denn es ist eine überaus reich fließende Segensquelle des Wortes Gottes, nicht nur durch das damalige Geschehen als solchem, sondern, wie wir noch sehen werden, besonders durch ihren überreichen prophetischen Inhalt. Wie überwältigend muss das für die Brüder gewesen sein, als sie aus dem Munde des vor ihnen stehenden Gewaltigen und Zweithöchsten in Ägypten vernehmen: "Ich bin Joseph" (1Mo 45:3). Sie waren voll Staunen, dass sie ihm nicht antworten konnten.

Trotz all seiner vergebenden Liebe zu den Brüdern konnte er ihnen die Vorhaltung ihrer Sünde nicht ersparen. Wie schwer wird es ihnen aufs Herz gefallen sein, als sie aus seinen ersten Worten, ohne Dolmetscher in ihrer Muttersprache, hören mussten: "Ich bin Joseph, euer Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt!" (1Mo 45:4).

Bis dahin hatten sie ihre Schuld wohl bekannt, aber nicht beim Namen genannt. Auch dem ihnen zuvor als Bruder unerkannten Zweithöchsten in Ägypten hatten sie ihre böse Tat vertuscht. Einmal sagten sie: "...einer (Joseph) ist nicht mehr" (1Mo 43:13 und 1Mo 43:32). Dann (1Mo 44:18): "... sein (Benjamins) Bruder ist tot...." Als sie in größter Not vor Joseph standen, zitierte Juda ihres Vaters Ausspruch, mit dem sie ihn belogen hatten! "Und einer (Joseph) ging hervor, fort von mir; und ich sage: 'ja, als Beute ward er zerrissen. Und bis jetzt habe ich ihn nicht gesehen!'" (1Mo 44:28).

Dann, kurz darauf, deckt der für tot gehaltene Joseph ihren mit Lüge zugedeckten Frevel mit der Wahrheit auf: "Ihr habt mich verkauft!" Als Unterton hat dabei für die Brüder gewiss mitgeklungen: "...und den Vater belogen und betrogen!" Diese Worte müssen ihnen wie Donnerschläge ins Herz gefahren sein. Jetzt wurde ihre große Sünde, die sie vorher nur unter sich bekannt hatten (1Mo 42:21), von dem ans Licht gebracht, an dem sie begangen worden war. Ihre Untat muss in ihren Herzen wie Feuer gebrannt haben. Was ihnen das an Scham und bitterer Reue bewirkte, ist nicht auszudenken. Wenn darauf Joseph das schärfste Gericht über sie ausgesprochen hätte, sie würden es sicher ohne jede Verteidigung als gerecht angenommen haben. Aber gerade jetzt, wo sie meinten, es finge erst an, war es beendet! Und das Herrliche und Befreiende tat er ihnen rückhaltlos kund!

Die Rechtfertigung der Brüder

Von wesentlicher Bedeutung ist die Art, auf welche Joseph seine Brüder ihrer Betrübnis enthob. Er beruhigte ihr Gewissen weder mit der Versicherung, dass sie keine weitere Strafe mehr treffen noch mit seiner Vergebung, die doch deutlich aus seinen Tränen gesprochen hatte. Würde er ihnen nur auf diese Weise zugesprochen haben, so hätten sie die Ursache ihrer bösen Tat in sich selbst sehen müssen und Josephs vergebende Liebe allein würde ihnen nur noch größere Abscheu vor ihrem frevlerischem Tun erweckt haben. Zeitlebens wären sie von dem sie schmerzenden Vorwurf: "Ach, hätten wir doch die große Sünde nicht verübt und so schändlich an unserem Bruder gehandelt!" nicht freigeworden.

Zuerst tröstet er sie mit dem Hinweis, dass sie ihn verkaufen mussten, "um Leben zu erhalten" (1Mo 45:5), dann führte er vorbehaltlos die eigentliche Ursache ihrer bösen Tat auf Gott zurück. "Es war Alueim, der mich vor euch hersandte" (V. 5.7) In Vers 8 spricht er diese Wahrheit noch deutlicher zur Entlastung der Brüder aus: ".... nicht ihr sandtet mich hierher, sondern Alueim." Das konnte er beweisen mit dem Hinweis, dass Gott durch ihn, den nach Ägypten verkauften Bruder, die damalige Welt vor dem Hungertod rettete.

Überwältigend groß muss es für sie gewesen sein, da Joseph ihr Verbrechen als ein solches Rettungswerk Gottes vor sie stellte. Das geht auch daraus hervor, dass es ihnen Joseph dreimal sagen musste (1Mo 45:5.7.9). Es ging über ihr augenblickliches Verstehen hinaus, dass ihre Sünde so ganz unerwartet in eine Guttat Gottes umgewandelt sein sollte! Dieser plötzliche Wechsel aus Todesnot zu einem Freispruch war unfassbar für sie!

In jener Stunde gingen die Brüder tatsächlich durch eine staunenswerte Erfahrung. Unausweichbar waren sie von ihrer Schuld derart überführt, dass sie denken mussten, mit ihnen sei es nun aus! Josephs Tränen ungeachtet mussten sie zu Tode erschrocken sein! Ihre Erregung war so groß, dass sie ihm gar nicht antworten konnten. Jetzt muss ihnen ihre Untat an ihrem Bruder erst recht in ihrer ganzen Schwere aufs Herz gefallen sein! Obwohl ihr Gericht zu Ende war, kamen sie sich wahrscheinlich vor wie solche, die auf der Anklagebank noch ihrer Verurteilung harren. Da sie bereits ihre Ruchlosigkeit eingestanden hatten (1Mo 42:21), hätten sie und auch noch jede Verurteilung als gerecht und ohne Widerspruch hingenommen; denn sie waren wirklich Gott gemäß betrübt worden zur Umsinnung (2Kor 7:9-10).

Doch als sie keinen Gedanken mehr an Rettung hegten, wurden sie von Joseph wieder völlig unvorhergesehen nicht nur jeder Gefahr enthoben, sondern, durch den hohen Rang ihres Bruders, freigesprochen und sogar in eine Ehrenstellung erhoben, wenngleich sie dies nicht einmal sofort zu erfassen vermochten. Aufgrund seiner Majestät und Erhöhung zum Retter der Welt konnte ihnen Joseph nicht nur vergeben, sondern darüber hinaus auch noch sie und ihre Tat rechtfertigen. Damit, dass Joseph Gott als den Verursacher der üblen Tat der Brüder offenbarte, hat er den Grund ihrer - und jeglicher - Rechtfertigung herausgestellt. Anstatt Verurteilung und Gefangenschaft waren sie durch Freispruch zum Eintritt in ein neues Leben der Freiheit berechtigt, in dem sie die Gunst ihres erhöhten Bruders genossen.

Das Schuldbekenntnis des Juda gewinnt noch dadurch an Bedeutung, dass er die berechtigte Frage stellte (1Mo 44:16): "Womit rechtfertigen wir uns?" In diesen bangen Worten liegt der Sinn: Gibt es überhaupt etwas, das unsere Sünde als berechtigt erweisen könnte? Das war für Juda unmöglich, weshalb er auch nicht damit rechnete, dass in ihrer Sünde ein solcher sie rechtfertigender Umstand liegen würde. Was sie aber nicht im geringsten geahnt, noch je erwartet haben, war nun für Josephs Brüder unfassbare Wirklichkeit geworden! Auf Judas besorgte Frage darf ihnen Joseph im Auftrag Gottes sagen, dass es wirklich etwas gibt, womit sie von ihrer bösen Tat gerechtfertigt sind; denn ihre böse Tat entsprang letztlich nicht den eigenen Herzen, sondern sie lag in Gottes Vorsatz, ehe sie sie ausführten. Ganz verständlich ist es aber, dass die Brüder solch eine plötzliche Umwandlung ihrer bösen Tat in einen von ihnen selbst ausgeführten, göttlichen Heilsgedanken nicht sogleich fassen konnten.

Angesichts dieser Tatsache hätte man betreffs der Gerichte an den Brüdern fragen können: Weshalb diese harte Behandlung, da doch Gott ihre Tat geplant und bewirkt hat und in soviel Gutes umwandelte? Ja, wenn es von Joseph nur vergeltende Strafe gewesen wäre, ohne jeden anderen Zweck, dann würde sein Handeln weder als eine Tat der Gerechtigkeit noch als eine der Liebe dastehen. Aber dieses Gericht war ja nicht nur Strafe für ihr böses Tun, sondern eine heilsame Züchtigung zu ihrer Zurechtbringung, auf dass sie endlich andere, d. h. bessere Menschen würden. Und dieses Ziel hatte Joseph mit ihnen voll und ganz erreicht. Diese erzieherische, scharf einschneidende Maßnahme Josephs übertrifft an Weisheit und Liebe weit seine Fürsorge für die materielle Erhaltung der Welt. Die Brüder mussten Joseph zuerst als Richter erfahren, bevor er sich ihnen als Retter enthüllte. Somit war auch das schmerzvolle, an den Brüdern ausgeführte Gericht eine gerechte und gute Sache, weil es ihnen zu einer segensvollen Zubereitung für ihr neues Leben wurde.

Die Bewährungsprobe der gerechtfertigten Brüder

Mit der Heilserfahrung der Brüder war jedoch ihre schmerzliche Erziehung noch nicht beendet. Die Rechtfertigung enthob sie nämlich nicht weiterer Demütigungen. Jetzt kam die Bewährungsprobe der Echtheit ihrer Beugung und Umsinnung. Diese Fortsetzung finden wir in den kurzen, aber inhaltsreichen Worten (1Mo 45:15b). "Und danach sprechen seine Brüder mit ihm." Zuvor wird gesagt (1Mo 37:7-11), dass sie ihn gehasst hatten und nicht friedlich mit ihm sprechen konnten. Doch nun, überwunden von der Gnade erweisenden Liebe ihres mit ihnen ausgesöhnten Bruders, lernen sie, eine brüderliche Sprache mit ihm zu führen. Bestimmt bekannten sie ihm aufrichtig ihre Abscheu über ihren Frevel und übten ein Selbstgericht.

Die Rückkehr zum Vater

Aber noch tiefer führte der Weg der Demütigung die Brüder. Es stand ihnen noch die ihrem Vater zu gebende Rechenschaft bevor. Wie vormals zu Joseph, so lastete ihr Rückweg zum Vater schwer auf ihnen. Freundlich aber sprach ihnen Joseph mit den Worten zu: "Seid nur nicht unruhig auf dem Wege" (1Mo 45:24). Beim Vater angekommen war es dann mit dem guten Bericht: "Noch lebt Joseph, dein Sohn..." (V. 26) wohl nicht getan. Er wird Rechenschaft gefordert haben, insbesondere darüber wie es sich mit dem übersandten blutigen Rock Josephs verhalten hatte (1Mo 37:31-32). Jetzt mussten die Brüder ihrem Vater die ganze Wahrheit bekennen! Wie tief mag das den Vater Jakob betrübt haben, dass seine Söhne so schändlich gehandelt hatten, ihm und Joseph so viel Herzeleid zufügen konnten und über dies wie Unschuldige bei ihm weiter in seiner Gunst zu leben vermochten! Und nochmals entrang sich ihrem Herzen ein schmerzvolles und sie tief demütigendes Schuldbekenntnis vor ihrem Vater. Sie mussten den bitteren Kelch ihrer bösen Tat bis zur Neige leeren. Die ganze Zeit vom ersten Treffen mit Joseph (1Mo 42:9) bis zu ihrem Schuldbekenntnis vor ihrem Vater war für sie ein Weg des Selbst-Gerichtes. Doch werden die Brüder ihrem Vater die auch für ihn unfassbare Mitteilung gemacht haben, dass ihnen Joseph versicherte, ihr Verbrechen habe Gott gewollt und für alle zum Besten gewendet.

Gericht und Aussöhnung

Wie deutlich zeigt doch Gott mit Josephs Brüdern, dass der Übeltäter, deren Tat Er bewirkte und zum Guten benutzte, trotzdem nicht ohne Gericht ausgehen lässt. Dies muss sein, weil alle schlechten Taten in Bosheit des Herzens ausgeführt werden (1Mo 50:20); denn jedes Gebilde der Gedanken des menschlichen Herzens ist bloß böse alle Tage (1Mo 6:5). Und die weitere Berechtigung, ja Notwendigkeit des Gerichts, wird darin offenbar, dass es mithilft, böse, aber zu demütigender Selbsterkenntnis geführte Menschen zu neuen und guten zu machen. Auf diesem Wege hatte auch Joseph aus seinen ihm einstmals feindlich gesinnten seine ihn fortan verheerenden und ihn liebenden Brüder gemacht. So hebt sich vom dunklen Hintergrund tiefster Feindschaft das Gemälde der Aussöhnung ab, wie es unter Menschen nicht schöner auszudenken ist. Mit Josephs Gericht an den Brüdern erhalten wir

Einblick in ein göttliches Gerichtsprinzip

dessen Grundsatz auf der einfachen göttlichen Aussage beruht (Spr 22:8): "Wer Unrecht sät, wird Unheil ernten..." Damit stimmt ebenfalls das Wort in Gal 6:7 überein: "Denn was der Mensch sät, das wird er auch ernten." Diese Art des Rechtens finden wir an vielen Beispielen in der Schrift. Man lese: Ri 1:6-7; Ps 28:4; Ps 62:12; Spr 24:12b; Jer 25:4; Kla 3:64; Hes 16:59; Mt 16:27; Lk 23:41; Röm 2:6; 2Kor 5:10; Kol 3:25; 2Thes 1:6; 2Tim 4:14; Offb 18:6 u. a. Diese Bibelstellen zeigen uns, dass Gott den Werken entsprechend vergelten wird. Sehr treffend hat der eine Mitgekreuzigte dieses göttliche Gerichtsprinzip ausgesprochen (Lk 23:41): "... was die Dinge verdienen, die wir verüben, erhalten wir wieder."

Es ist auffallend wie Joseph auch seine Brüder diesem Grundsatz entsprechend richtete, was folgende Aufstellung zeigt:

Der Brüder Vergehen an Joseph Das Wiederbekommen ihrer bösen Taten
1Mo 37:4 - Hass 1Mo 42:9 - Späher-Verdächtigung
1Mo 37:5 - Hass 1Mo 42:14 - Späher-Verdächtigung
1Mo 37:8 - Hass 1Mo 42:16 - Späher-Verdächtigung
1Mo 37:11 - Neid 1Mo 42:7 - Hartnäckig sprechen
1Mo 37:18 - Mordanschlag 1Mo 42:20 - Todesdrohung
1Mo 37:23 - Entkleidung 1Mo 44:13 - Zerreißen ihrer Kleider
1Mo 37:24 - Zisterne 1Mo 42:17 - Haft
1Mo 37:28 - Verkauf 1Mo 42:19 - Haft
1Mo 37:28 - Drangsal 1Mo 42:21 - Drangsal
1Mo 42:32 - Vater betrogen 1Mo 45:26 - Schande und Beschämung


Dabei ist unerhört groß, dass Joseph selbst schon von Anfang an mit den Brüdern versöhnt war. Wie sonderbar es auch klingen mag, er verfolgte mit seinem harten Vorgehen das Ziel, die feindlichen Brüder mit sich zu versöhnen. Mit der Erreichung dieses Ziels wurde aus der einseitigen eine beiderseitige Versöhnung, welche die Heilige Schrift Aussöhnung (griechisch = apokatalasso) nennt!

Als er die Brüder küsste und an ihnen weinte (1Mo 45:15), da konnten sie nicht mehr an seiner Liebe zweifeln. Sie waren von ihr völlig überwunden. Welch eine Sprache der Liebe reden doch Josephs Tränen zu seinen Brüdern! Ergreifend und bedeutsam ist dabei, dass er während der Durchführung des Gerichts dreimal weinte: 1Mo 42:24; 1Mo 43:30; 1Mo 45:2. Dies waren Tränen innigster Regung des Mitleids (Kol 3:12) in der Bedrängniszeit seiner Brüder. Als dann die Brüder in Joseph ihren Retter und den ihnen vergebenden, ja rechtfertigenden Bruder erkannt hatten, weinte er wieder dreimal: 1Mo 45:15; 1Mo 46:29; 1Mo 50:17; aber diesmal waren es Tränen der Freude und des Dankes zu Gott!

Das Geschenk des neuen Lebens

Ja, ein solches Geschenkt hatte Joseph seinen Brüdern bewirkt! Was waren sie, ehe sie zu ihrem Bruder kamen? Schuldbeladene und in ihrer alten, bösen Gesinnung dahinlebende, unerneuerte Menschen. Aber als Joseph die in ihrem Lande vom Hungertod Bedrohten zum Bekenntnis ihrer Schuld führte und ihnen die kostbare Gelegenheit zur Umsinnung bot - die sie voll und ganz ausnützen -, da müssen sie sich wie Neugeborene gefühlt haben. Vorbildlich hatten sie erfahren, was Johannes (1Jo 3:14) schreibt: "Wir wissen, dass wir hinüber gegangen sind aus dem Tod in das Leben; denn wir lieben unsere Brüder." So konnten die Brüder nun endlich sagen: "....wir lieben jetzt unseren großen Bruder Joseph." Folglich hatte sie Joseph von weit mehr als nur vor dem Hungertod errettet; denn seine Tat beinhaltet den prophetischen Hinweis auf die wesenhafte Rettung durch Jesus Christus von der zu Sklaverei und Tod führenden Sünde. Hätte Gott Joseph nicht durch Leiden nach Ägypten führen lassen und ihn dort zum Zweithöchsten des Landes erhöht, dann wären die Brüder in ihrer Sünde gestorben!

Joseph genügte es aber nicht, seinen ihm ehemals Tod und Verderben wünschenden Brüdern nur ein neues Leben wahrer Glückseligkeit geschenkt zu haben. Er bereitete ihnen überdies eine neue, schönere Wohn- und Gaststätte nahe bei ihm (1Mo 45:10-11), wo er sie selbst mit Brot versorgte. Er gab ihnen das Land Gosen zum Besitz, im Besten des Landes Ägypten (1Mo 47:11-12). Mehr hätte Joseph für seine Brüder nicht mehr tun können. Es fehlte ihnen wirklich an nichts in der Gemeinschaft mit ihm. Die Brüder konnten mit dem Psalmisten frohlocken: "Die Mess-Schnüre sind mir (uns) gefallen in lieblichen Örtern; ja, ein schönes Losteil ist mir (uns geworden" (Ps 16:6).

Der Brüder weiteres Verhalten

Nun ist aber mit dem bisherigen Bericht die Geschichte Josephs und dessen Brüdern noch nicht zum Abschluss gekommen. Nachdem sie viele Jahre in Ägypten gelebt hatten, stellt sich die Frage: Haben sich die Brüder in dieser langen Zeit nicht über ihre Schandtat hinweggesetzt, und ist bei ihnen diese nicht nach und nach in Vergessenheit geraten? Oder haben sie, angesichts der Tatsache, mit ihrer bösen Tat einen göttlichen Ratschluss durchgeführt zu haben, den in ihren Herzen aufsteigenden bösen Gedanken wieder Raum gegeben, indem sie sich sagten: Lasset uns ruhig weiter Frevel tun; denn Gott macht ja doch Gutes aus ihm, wodurch wir wieder gerechtfertigt werden können (Röm 3:8)?

Auf diese Fragen erhalten wir im letzten Kapitel des ersten Buches Mose Antwort. Dort wird uns anlässlich des Todes von Jakob gezeigt, dass die Brüder ihre neu gewordene vorbildliche Gesinnung beibehalten haben. Hören wir diesen wichtigen Bericht aus 1Mo 50:15-21: "Und es sehen die Brüder Josephs, dass ihr Vater tot ist, und sie sagen: 'Wie, wenn Joseph uns grollt und uns vergilt all das Böse, das wir ihm angetan haben.' Und sie entbieten Joseph und sagen: 'Dein Vater gebot vor seinem Tod und sagte: 'Also saget zu Joseph: O, vergib das Verbrechen deiner Brüder und ihre Sünde, dass sie dir Böses angetan. Und nun, vergib doch das Verbrechen der Knechte des Alueim deines Vaters! Und es weit Joseph, als sie zu ihm sprechen. Und es gehen seine Brüder überdies und fallen nieder vor ihm. Und sie sagen: 'siehe, uns als deine Knechte!' Und es sagt Joseph zu ihnen: 'Fürchtet euch nur nicht, denn unter Alueim bin ich! Und ihr, ihr ersannet Böses gegen mich. Aber Alueim ersann es für mich zum Guten, dass es bewirke wie an diesem Tage, lebendig zu erhalten viel Volk. Und nun, fürchtet euch nur nicht! Ich will euch versorgen und eure Kleinen'. Und er tröstet sie und spricht zu ihren Herzen."

Doch wie sonderbar, ja befremdend ist Jakobs Befürchtung, Joseph könnte seinen Brüdern die an ihm verübte böse Tat nach seinem Tode doch noch vergelten. Leider ließen sich auch Jakobs Söhne von diesem Gedanken beeinflussen. Damit wurde offenbar, dass selbst sie immer noch unter dem Eindruck ihres an Joseph begangenen Verbrechens standen. Sie nennen es auch nach so langer Zeit immer noch "ein Verbrechen" (V. 17) und "das Böse"; ganz so, als ob ihre Untat eben erst geschehen wäre. Und nun fangen sie wieder von vorne an, und bitten Joseph sogar zweimal um Vergebung. Wir sehen, die Brüder und ihr Vater hatten die ganze Tragweite der ihnen gewordenen Rechtfertigung und ihren Freispruch nie ganz verstanden. Nachdem ihnen Joseph seine vergebende Liebe nochmals mit Tränen bezeugte, muss es ihn selbst betrübt haben, dass sie immer noch eine unversöhnte Gesinnung bei ihm vermuteten. Er hatte ihnen doch durch Rechtfertigung und Freispruch weit mehr gegeben als nur Erlassung!

Wie geht nun Joseph auf ihr Bitten ein? Seine erste Antwort sind Tränen. Doch dann versichert er sie nicht seiner Vergebung, sondern geht, wie früher, auf den göttlichen Ursprung der an ihm verübten Untat zurück. Zwar erinnert er sie nochmals an die von ihnen begangene Sünde, doch fügt er auch hier wieder sogleich hinzu: "... ihr ersannet Böses gegen mich, aber Alueim ersann es für mich zum Guten..." Mit diesen Worten zeigt er den Brüdern nochmals ihr Böses "in Gottes Hand", und wie Er dieses für Ihn (Joseph) und durch ihn für die ganze damalige Welt in Gutes umwandelte. Als er sich den Brüdern zu erkennen gegeben hatte, beruhigte er sie ohne Zögern zweimal mit dieser tiefen Offenbarung Gottes (1Mo 45:4.8). Hier hebt er diese Wahrheit nun das dritte Mal hervor und besänftigt damit die wieder aufs neue erregten Gemüter und spricht ihren Herzen zu. Es lässt erkennen, dass Joseph von dieser Umwandlung von Bösem in Gutes ganz ergriffen und überwältigt war. Ferner wird uns hier überzeugend dargetan, dass Joseph nie befürchtete, seine Brüder würden es nun mit dem Sündigen leichtfertig nehmen, selbst wenn er sie von ihrer schwersten Sünde freigesprochen hatte. Ja, er war wirklich bemüht, ihnen beizubringen, wie Gott Selbst, zur Offenbarung Seiner Gutes bewirkenden Allmacht, dieses Bösen und seiner Mitwirkung bedurfte. Denn so wie auf ihn wirkte diese Wahrheit schlussendlich auch auf die Brüder höchst segensvoll.

Darauf beugten sie huldigend ihre Knie vor ihm und völlig freiwillig stellten sie sich ihm als "seine Knechte" dar. Mit ihrer ungezwungenen Unterordnung unter Joseph anerkannten sie ihn als ihren Herrn und Gebieter. Gleichzeitig rechtfertigten sie Joseph für das an ihnen durchgeführte Gericht, dass sie erkannten, dass dieses wesentlich zu ihrer Zurechtbringung mitgeholfen und die unerlässliche Voraussetzung für allen folgenden mannigfaltigen Segen gebildet hatte.

Mit dieser Geschichte erhalten wir einen tiefen Einblick in das Wesen der Rechtfertigung, die sich vor allem darauf gründet, dass die böse Tat der Brüder an Joseph Gottes verborgener Absicht entsprach, aus Joseph das zu machen, was Er ihm früher in Träumen geoffenbart hatte. Zudem bewirkte die Sünde der Brüder die Rettung der damaligen Welt vor dem Hungertode und gereichte auch den Brüdern zum größten Segen. Allein von der menschlichen Seite her betrachtet war sie zwar eine Tat, wie sie kaum schlimmer hätte sein können und forderte deshalb ein ihr angemessenes Gericht. Sie war aber auch notwendig, um Christus als Richter über die Sünde zu offenbaren, und deshalb mussten zunächst die Brüder als Übeltäter gerichtet werden.

Doch schon ehe Joseph das Gericht an den Brüdern ausübte, hatte Gott ihre Sünde zum Guten gewendet. Dies geschah durch die Erhöhung Josephs und der durch ihn bewirkten Rettung der (damaligen) Welt. Hinzu kam dann noch, dass die Brüder durch das Gericht zu Reue und Umsinnung geführt wurden und dadurch von bösen zu guten Menschen geworden waren. So war von der Sünde der Brüder letztlich nur Gutes übrig geblieben.

Hätte nun Gott (in der Geschichte Josephs) die Sünde und die Sünder als solche belassen, so wäre Er ungerecht geworden. Wie handelt aber Gott durch Joseph? Er rechtfertigte beide: die Sünde in ihren ursprünglichen Umständen und Auswirkungen und ihre Täter, die Sünder! Wenn aber die Sünder mitsamt ihrer sündigen Tat von Gott - Ihrem Urheber - gerechtfertigt wurden, weil nur restlos Gutes aus beiden und für alle hervorging, so erstehen auch alle von Gott dafür eingesetzten Mittel schlussendlich als vollkommen und makellos vor den Augen Seiner Geschöpfe!

Benjamin

Auch dieser Sohn ist ein Glied der Familie Jakobs und muss deshalb in die Josephsgeschichte mit einbezogen werden. Sein Leben trägt jedoch andere symbolische Züge als dasjenige seiner verdorbenen Brüder, da er nicht am Verkauf seines Bruders Joseph beteiligt war.

Damals, als der Pokal Josephs in seinem Sack gefunden wurde, litt er - ungleich seiner von Gewissensbissen gequälten Brüder - unschuldig, denn er stand zu Unrecht vor allen wie ein Dieb da! Dies geschah jedoch überein mit Josephs Anordnung, der damit die Gesinnung seiner Brüder prüfte, ob sie auch Benjamin gegenüber in ihrer verräterischen und ruchlosen Gesinnung verharren würden. Wäre dies noch immer der Fall gewesen, so hätten sie ohne weiteres Josephs Vorschlag zugestimmt und Benjamin als Knecht in dessen Hand zurückgelassen (1Mo 44:17). Aber das taten sie nicht.

So hatte Benjamins durch falsche Verdächtigung verursachtes Leiden mitgeholfen, die gewandelte Einstellung seiner Brüder zu offenbaren. Überdies musste Benjamin auf diese Weise an dem Gericht über die Brüder zu deren völliger Zurechtbringung und Segen teilnehmen!

Nun haben wir gesehen, dass die zehn Brüder in der Symbolik zwei Gruppen von Menschen verkörpern, und zwar im engeren Sinn das Volk Israel und im weiteren die Menschen, die vor dem weißen Thron erscheinen werden. Ebenso bietet Benjamin ein doppeltes Vorbild. Als unschuldig Leidender im Gericht der Brüder versinnbildlicht er seine auserwählten Volksgenossen, welche in den endzeitlichen Gerichten, die ihrer Wiederannahme vorangehen, ebenfalls unschuldig mit dem ungehorsamen Israel zu leiden haben, jedoch, gleich Benjamin, nicht alle Gerichte durchkosten müssen.

Nun aber fällt auch Benjamin, trotz seiner Unschuld in der Sache des Pokals, unter das Urteil von Ps 14:2-3; Röm 3:10ff. Im Licht dieser Offenbarung beurteilt war Benjamin nur verhältnismäßig unschuldig. Weder wurde er wie seine ruchlosen Brüder versucht und erprobt beim schnöden Verkauf Josephs, noch musste er dieser Übeltat widerstehen, denn er war nicht dabei. Benjamin ist daher ein Vorbild einer besonderen Gruppe von Menschen vor dem weißen Thron. Zu diesen gehören z.B. die Ninviter, die beim Heroldsruf Jonas umsannen, und die Königin des Südens, die von den Enden der Erde kam, um die Weisheit Salomos zu hören (Mt 12:41-42).

Wie Benjamin, der nur zum kleinsten Teil am Gericht seiner Brüder teilnehmen musste, so werden auch die erwähnten Menschen nicht wie Frevler gerichtet werden. Ihr Urteilsspruch wird so bemessen sein, dass sie ihr sündiges Wesen und die Notwendigkeit ihrer Zurechtbringung erkennen und das Urteil auch willig annehmen werden. Ebenso wie Benjamin werden auch diese Menschen als überaus Gesegnete aus diesem Gericht hervorgehen und am Ende der Äonen als Gerechtfertigte mit Kleidern des Heils angetan werden.

Lies weiter:
7. Rückschau auf das an den Brüdern vollzogene Gericht