Das Opfer des neuen Menschen

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nach dem gleichnamigen Buch von Andrew Jukes

"Der neue Mensch und das ewige Leben"

Gedanken über das zwölffache "Wahrlich, wahrlich!" des Sohnes Gottes im Evangelium Johannes


Inhaltsverzeichnis des Buches

  1. Der "Amen" und "der Jünger der da zeugt" - Einleitung
  2. Die Heimat des neuen Menschen - Das erste "Wahrlich, wahrlich"
  3. Die Geburt des neuen Menschen - Das zweite "Wahrlich, wahrlich"
  4. Das Gesetz des neuen Menschen - Das dritte "Wahrlich, wahrlich"
  5. Die Speise des neuen Menschen - Das vierte "Wahrlich, wahrlich"
  6. Die Freiheit des neuen Menschen - Das fünfte "Wahrlich, wahrlich"
  7. Die göttliche Natur des neuen Menschen - Das sechste "Wahrlich, wahrlich"
  8. Der Dienst des neuen Menschen - Das siebte "Wahrlich, wahrlich"
  9. Das Opfer des neuen Menschen - Das achte "Wahrlich, wahrlich"
  10. Die Erniedrigung des neuen Menschen - Das neunte "Wahrlich, wahrlich"
  11. Die Herrlichkeit und Macht des neuen Menschen - Das zehnte "Wahrlich, wahrlich"
  12. Der Schmerz und die Freude des neuen Menschen - Das elfte "Wahrlich, wahrlich"
  13. Die Vollendung des neuen Menschen - Das zwölfte "Wahrlich, wahrlich"
  14. Schlussgedanken zum Buch - Der neue Mensch und das ewige Leben


Das achte "Wahrlich, wahrlich"

9. Das Opfer des neuen Menschen

Joh 12:23 Jesus aber antwortet ihnen und spricht: Die Stunde ist gekommen, daß der Sohn des Menschen verherrlicht werde.
Joh 12:24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.
Joh 12:25 Wer sein Leben liebt, verliert es; und wer sein Leben in dieser Welt haßt, wird es zum ewigen Leben bewahren.
Joh 12:26 Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach! Und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein. Wenn mir jemand dient, so wird der Vater ihn ehren.
Joh 12:27 Jetzt ist meine Seele bestürzt. Und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde? Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen.
Joh 12:28 Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme aus dem Himmel: Ich habe ihn verherrlicht und werde ihn auch wieder verherrlichen.
Joh 12:29 Die Volksmenge nun, die dastand und zuhörte, sagte, es habe gedonnert; andere sagten: Ein Engel hat mit ihm geredet.
Joh 12:30 Jesus antwortete und sprach: Nicht um meinetwillen ist diese Stimme geschehen, sondern um euretwillen.
Joh 12:31 Jetzt ist das Gericht dieser Welt; jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden.
Joh 12:32 Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen.
Joh 12:33 Dies aber sagte er, um anzudeuten, welches Todes er sterben sollte.

Der Apostel nennt das Evangelium unter anderem auch die "Predigt vom Kreuz" (1Kor 1:18), weil es Gottes Offenbarung Seiner Selbst ist, denn Gott ist Liebe, und Liebe muss zum Opfer werden. In dem achten "Wahrlich, Wahrlich" wird uns das Opfer des neuen Menschen vor Augen gestellt. Der Hohepriester prophezeite unbewusst, als er sagte: "Es ist besser, dass ein Mensch sterbe für das Volk, denn das ganze Volk verderbe" (Joh 11:50). Das liebende Weib spürte etwas davon, als sie dem Begräbnis des Menschensohnes zuvorkam, indem sie Salben und Weihrauch über Ihn ausschüttete, wie auf ein Speiseopfer (3Mo 2:15), um Seinen Leib zu Seinem Begräbnis zu salben (Joh 12:7). Vor allem zeugt des Menschen Sohn selbst davon mit Worten, welche beweisen, dass Opfer das Gesetz ist, welches aller Fruchtbarkeit zugrunde liegt. In all diesen Stimmen erschallt das Zeugnis, dass ein Opfer bis hin zum Tod stattfinden muss, wenn die Welt erlöst, gespeist und fruchtbar gemacht werden soll (Joh 12:24.25).

Die Worte unseres Herrn machen zunächst auf das allgemeine Gesetz aufmerksam, aus dem alle Frucht aus dem Tod kommt, und dann auf die Ergebnisse oder die Frucht dieses Opfers.

I. Das Gesetz im Allgemeinen

Das Gesetz im Allgemeinen, das von Anfang an in der Natur geschrieben war - obwohl unsere Blindheit es erfordert, dass wir durch ein weiteres wiederholtes "Wahrlich" darauf aufmerksam gemacht werden, - ist dieses: "Wahrlich, Wahrlich, ich sage euch, es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt es allein, wo es aber erstirbt, so bringt es viele Frucht. Wer sein Leben liebt, der wird es verlieren, wer aber sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird es erhalten zum ewigen Leben." Das Gesetz lautet also, dass es ohne Opfer keine Frucht geben kann, während durch dasselbe eine reiche Ernte kommt. Diese Worte wurden durch den Wunsch etlicher Griechen hervorgerufen, welche, da sie nach Jerusalem gekommen waren, um anzubeten, zu einem der Jünger sprachen: "Wir wollen Jesus sehen" (Joh 12:21). In Jesu Augen ist ihr Wunsch das Zeugnis dessen, was die ganze Welt begehrt, und von deren unbewusstem Verlangen nach einem Heiland.. Seine Antwort lautet sofort daraufhin, dass ihr Begehren durch Sein Opfer erfüllt werden soll, und dass Er nach Seiner Erhöhung nicht nur die Auserwählten, sondern alle Menschen zu sich ziehen will. Es ist, als sagte Er: "Sie begehren mich zu sehen; sie kommen gerade zur rechten Stunde. Die Stunde ist gekommen, da des Menschen Sohn, der nicht nur mit Israel, sondern mit allen Menschen in Verbindung steht, erhöht werden soll.

Seine Herrlichkeit aber besteht darin, dass Er nicht nur für Sich allein in Licht und Leben steht, sondern dass Er Sich Selbst hingibt, um gleich dem in die Erde gesenkten Samen aus dieser viel Frucht zu bringen. Er ist das Weizenkorn, der Lebenssame, welcher allein bleibt, bis er ausgesät wird, welcher aber, nachdem er in die Erde gesenkt ist, sich durch zahllose Geschlechter hindurch vermehrt. Hätten nur jene Griechen die geheimnisvolle Bedeutung ihres eigenen Ritus verstanden, so hätten sie sogleich durch jene Worte die Bestätigung aller Hoffnungen gefunden, welche das größte ihrer Mysterien ihnen vorgebildet hat; denn das Mysterium, welches zu Eleusis [1] gefeiert wurde, war dasjenige, die Ceres [2] und ihre Tochter, welche von der Unterwelt geraubt worden war, betreffende; das heißt das Geheimnis der Ernte und des Samens, welcher eine Zeitlang unter der Erde gefangen gehalten wird, der aber doch seinerzeit zu dem Licht des Himmels zurückkehrt - auf welche Wahrheit oder auf welches Faktum der Natur Paulus abermals hinweist, da er an die Griechen schreibt, welche durch die Lehre ihrer eigenen Religion - oder mehr noch durch die Lehre der Natur hätten glauben sollen, dass dasjenige, was wir Tod nennen, in Wahrheit die Pforte des Lebens ist (1Kor 15:35-37), und Opfer und scheinbarer Verlust der Weg zu größerer Fruchtbarkeit ist.

Was die Natur lehrt

Ja der Same selbst beweist dies durch seine Art und Beschaffenheit. Denn wie uns vor kurzem die Naturforscher belehrten: der Same ist nichts anderes als ein im Wachstum aufgehaltener Stiel oder Zweig. Der Stiel oder Zweig opfert sich selbst auf, indem er den Samen hervorbringt, und gibt also sein eigenes Leben auf um ein anderes zu produzieren. Das Blatt dient der Pflanze selbst, die Frucht dient anderen, und so liegt die genaue Abbildung des Gesetzes der Selbstaufgabe in der Formation des Samens und der Pflanze selbst. In den vor uns liegenden Worten weist unser Herr nun auf die noch offenbarere Wahrheit hin, dass der Same selbst sterben muss, wenn er zunehmen soll, wie Er sagt: "Wahrlich, Wahlich es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt es allein, wo es aber erstirbt, so bringt es viel Frucht".

Die erste und höchste Erfüllung dieses Gesetzes liegt in Gott selbst, und zwar sowohl in dem, was Er ist, als auch in dem, was Er getan hat. Wer aber vermag, in rechter weise von dem zu reden, was Er ist? Nur wer reinen Herzens ist, kann Gott schauen (Mt 5:8). Wie sollen Sünder von dem reden, was Sein innerstes Wesen von dem ewigen Gesetz der Selbstaufopferung sagt? Doch können wir etwas von Ihm in einem Spiegel in einem dunklen Wort erkennen. Denn wenn Er Liebe ist, so muss das Gesetz des Opfers, das heißt das Gesetz des Ausgehens und Aufgebens Seines Ichs, selbst in Seinem eigensten Wesen verkörpert sein, so muss auch das Ausgehen Seines Wortes in dem Geheimnis der ewigen Geburt der hochgelobten Dreieinigkeit die erste Darstellung jener Wahrheit sein, dass man ohne Opfer oder ohne Herausgehen aus Sich selbst allein bleibt.

Der Sinn des Opfers

Was ist denn das Opfer in seiner höchsten Gestalt anderes als eine Gabe der Liebe an den Gegenstand Seiner Zuneigung? Muss nicht daher in Gott Selbst von Ewigkeit her eine Opferung stattgefunden haben, und muss Er Selbst nicht das große Opfer und der große Opferbringer gewesen sein? Es fehlen uns aber die Augen, um zu sehen, und die Worte, um auszudrücken, was uns Gottes Wesen hier sagt. Das. was Er getan hat, lässt Ihn uns leichter erkennen sowohl als Opfernder als auch als Opfer für Seine Geschöpfe. Hier sehen wir, dass, wenn dasjenige, was Er in Sich selbst besaß, nicht aufgegeben worden wäre, Er allein geblieben wäre; dass Er aber Seinen Samen durch die Hingabe und die Herausgabe Seines eingeborenen Sohnes vermehrt hat, bis derselbe zahlreich wie die Sterne des Himmels und wie der Sand am Ufer des Meeres sein wird. Wir in unserer Schwachheit sind eher geneigt, den Gedanken an Opfer mit Schmerz zu verbinden. Und es mag wohl Schmerz damit verknüpft sein, wenn das geliebte Wesen, für welchen das Opfer gebracht wird, leidet, und wenn demselben nur durch die Mitleidenschaft geholfen werden kann. Bei allem wahren Opfer aber findet sich allezeit mehr Freude als Leid. Ist es dem Liebenden der geringste Schmerz, sich und alles, was er hat, dem Geliebten hinzugeben? Ist nicht eine solche Hingabe Seiner Selbst an einen Anderen die größte Freude? Alles wahre Opfer besteht in dieser Selbsthingabe, denn die Liebe ist nicht zufrieden, bis sie sich selbst hingegeben hat. Bei Gott besteht das Opfer gerade in diesem Ausfließen Seiner Liebe, und Christi Opfer, der das Ebenbild Gottes ist, ist die Offenbarung jener Liebe in ihrer ganzen Fülle.

Betrachtet man es nur als die Bezahlung einer Schuld, so ist dies, obwohl es auch wahr ist, doch nur eine Seite der Sache, und zwar die Seite, welche sich aus dem Fall und aus der Bedürftigkeit des Geschöpfes ergibt. Durch die Sünde ist der Gedanke an Schuld in Beziehung mit dem Opfer getreten, und das ist es, was uns im Sünd- und Schuldopfer gezeigt wird, wo der Opfernde durch seine Gabe eine Schuld, ein Übel abbüßen will. Doch ist es auch hier, wie bei den Opfern eines süßen Geruchs, wo der Sinn einfach der einer freiwilligen Gabe ist, die Liebe allein, welche die Schuld bezahlt und das Opfer bringt. In dem einen Fall, bei dem Opfern eines süßen Geruches nämlich, gibt die Liebe aus freiem Willen und lediglich aus Lust am Geben dem Geliebten ihr Bestes hin. In dem anderen Fall, das heißt bei den Sünd- und Schuldopfern, kann die Liebe nicht das Unrecht sehen, ohne selbst Schuldner zu werden und der Not und dem Unrecht durch Aufopferung seiner selbst zu begegnen. Denn auf welche Weise auch Not entsteht, so verpflichtet diese die Liebe allezeit zur Hinwegnahme der Not. In beiden Fällen aber und in jeder Weise, in welcher wir das Opfer betrachten - und vielleicht ist das Band der Ehe die höchste Gestalt dieser Wahrheit, da der Dienst der Liebe entweder als Lust oder Schuldigkeit und Pflicht angesehen werden mag (Siehe Hl 2:3 - Hl 4:9-10 - Hl 7:6 und 2Mo 21:10 - 1Kor 7:3.5) - ist dies Eine wenigstens wahr, dass wir, ohne von uns selbst auszugehen, allein bleiben müssen. Nur indem wir uns selbst hingeben, können wir wachsen und Frucht bringen.

Im Hinabstieg des Samens

Die vollkommenste Darstellung dieses Gesetzes ist in Dem zu finden, der das Ebenbild Gottes ist, in dessen freiwilligem Opfer nach dem Willen des Vaters als ein süßer Geruch sowohl als Sündopfer wir das Wesen dessen finden, was in dem Weizenkorn, das in die Erde fällt und welches durch Tod und Auflösung sich vermehrt, vorschattet wird. Der Same schließt alle Kräfte der Wurzel, aus welcher er stammt, in sich. Gleicherweise besitzt auch Gottes Same die ganze Fülle des Lebens und der Herrlichkeit des unsichtbaren Gottes. Durch Seine Menschwerdung wurde Er in die Erde gesät, damit, indem Er auf diese Weise Sein Leben und Seine Kräfte in dieselbe brachte, Er einen neuen Leib infolge Seines Todes hervorbringe, einen Leib, der Sein Ebenbild tragen und dann wieder durch den Prozess der Selbsthingabe sich von Geschlecht zu Geschlecht vermehren soll. Denn, indem der Same in die Erde fällt, bringt er neuen Samen hervor, von welchem ein jeder wiederum durch Opfer und seine Auflösung sich weiter vermehren soll, bis der Erdboden mit seinen Früchten bedeckt ist. Diese Vermehrung aber beruht auf dem in die Erde Fallen und Sterben. Ohne Tod gibt es keine Frucht.

Wäre Christus nicht in das Fleisch gekommen, so ermangelte die Welt noch immer Seines Lebens. Wäre Er nicht gestorben, so hättees keine Auferstehung als Teilhaber an Seiner Auferstehung gegeben. Durch Sein Kommen in die Welt bringt Er ihr Sein Leben. Durch Seine Auferstehung von den Toten nimmt Er diejenigen, welche Er in der Erde an sich gezogen hat, als Teilhaber Seines Lebens in Sein Licht und in Seiner Herrlichkeit mit. Gelobt sei der Name dessen, der in unsere Wohnstätte kam und unsere Gestalt annahm, damit Er uns an Sich und an Seinem lebendig machenden Geist teilhaben lasse. Von nun an sind "wir Ihm gleich" (1Jo 4:17). Und als Teilhaber an Seinem Leben, der das Leben der Liebe Gottes offenbarte, indem Er Sein Leben für uns gab, können auch wir nicht anders, als unser Leben für die Brüder lassen, und sind nicht nur zufrieden, sondern sogar schuldig (1Joh 3:16) mit Ihm ins Fleisch hinabzusteigen und uns zu dem, was von der Erde ist, herabzulassen, um anderen das Leben mitzuteilen, welches uns Gott gegeben hat. Auf diese Weise wird das Leben bringende Opfer des "Weizenkorns" fortgesetzt. Die Gemeinde setzt fort, was noch mangelt an Trübsalen in Christo (Kol 1:24)

Die Welt mag nichts davon wissen, doch aber gewinnt die tägliche Selbsthingabe von manchem sanftmütigen Leben in den alltäglichen Sorgen und Widrigkeiten eines höchst unscheinbaren Daseins diejenigen für Gott, mit welchen es in Berührung kommt und welche bei der Erscheinung des Herrn die Freudenernte von solchen sein werden. Es ist nicht notwendig von der Frucht derer zu reden, welche ihr Leben offen für Christus hingegeben haben, noch von dem Sieg über die Reiche der Welt, welche durch das willige Opfer der Heiligen gewonnen wird, welche in Zeiten der Pest, der Gefahr oder der Teuerung mit Freuden sogar für diejenigen starben, welche sie hassten und nach ihrem Leben trachteten. Es klingt wie ein Sprichwort: "Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche". Der Same hat sich vermehrt, aber er selbst starb zuvor.

Doch schauen wir uns die Stationen genauer an, welche, wie unser Herr sagt, zwischen dem "Alleinbleiben" und dem "viele Frucht bringen" ablaufen müssen. Diese sind ersten "in die Erde fallen", sodann "sterben" (Joh 12:24) ; und diese beiden Stufen deuten etwas von dem an, was ein solches Opfer in einer Welt kostet, wo Sünder gewonnen werden sollen und so die Sünder auch aus Gnaden dazu berufen sind, an dem Opfer teilzunehmen.

Gottes Same für uns

Betrachten wir zuerst, was das "in die Erde kommen oder -fallen bedeutet. Wenige bedenken, was das für den Sohn Gottes war. Man denke an den Samen, wenn er in die Erde gesenkt wird, wie er den winterlichen Winden ausgesetzt ist, wie er unter die Füße derer getreten wird, welche mit der Harke und Egge darüber fahren, wie er begraben und verlassen wird, wie von Gott und Menschen ausgestoßen, um den langsamen Prozess einer täglichen Auflösung zu erdulden, wie er sodann vom Regen und der Hitze vergeht, bis er seine Gestalt verloren hat und für Gott und Menschen unbrauchbar erscheint! Dies alles und noch mehr ist nur der Schatten von dem, was Gottes Same erduldete in den Tagen der wenig geachteten Erniedrigung, als das Leben Gottes, obgleich Er es in die Welt gebracht hatte, noch nicht offenbar gemacht worden war. Wer kann beurteilen, was es Ihn kostete, als "natürlicher Leib" gesät zu werden (1Kor 15:44), die göttliche Gestalt zu verlassen und in Menschengestalt zu erscheinen, von einem Weib geboren und unter Gesetz getan, an den Einschränkungen und an der Schwachheit eines sterblichen, irdischen, vorübergehenden Lebens teilzuhaben, das Los der Sünder zu teilen, mit Sündern zu leben, ganz unbekannt unter solchen zu sein, selbst von seinen Liebsten so wenig verstanden, dass, als Er zunahm an Weisheit und sagte: - "Wisset ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?" selbst Seine Mutter das Wort nicht verstand, das Er mit ihnen redete (Lk 2:50).

Und in solcher Erniedrigung brachte er Sein ganzes irdischen Leben zu, bis auf jene letzten drei Jahre, welche noch mehr ein tägliches Sterben waren. Wenn wir bedenken, dass dieses nur der Anfang des Opfers war, so bekommen wir vielleicht eine Ahnung davon, was das Kommen auf die Erde für den geliebten Sohn Gottes bedeutete. Etliche von uns haben um Seinetwillen ihren Familienkreis verlassen, um Wohnstätten aufzusuchen, welche von Seuchen verpestet waren und wo es schwer war die dumpfe Luft zu atmen und den Anblick des Kummer ertragen, dass derselbe, nachdem wir davon entfernt waren, uns Leib und Seele noch niederbeugte. Was ist aber aller solcher Kontrast, den wir empfunden haben mögen, gegen den, den unser Herr auf Sich nahm zwischen dem, was Er war und dem, was Er um unseretwillen geworden ist, als Er als der Same Gottes auf Erden kam, "damit Wahrheit auf der Erde wachse, damit unser Land sein Gewächs gebe"? (Ps 85:12.13)

Das Sterben des Weizenkorns

Dies alles aber war nur ein Stadium in dem Sterben an unserer Statt. Denn "das Weizenkorn fällt nicht nur in die Erde", sondern es muss auch "sterben", wenn es Frucht bringen soll. Gleicherweise "wurde das Wort nicht nur Fleisch" (Joh 1:14) sondern "als Mensch erfunden erniedrigte Er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz" (Phil 2:8). In diesem Tod nun starb Er nicht nur dieser Welt (Kol 2:20) sondern auch der Sünde (Röm 6:10) welche Seine Geschöpfe gefangen hielt; denn nur indem Er unseren Tod auf sich nahm, konnte der Tod vom Leben verschlungen werden (2Kor 5:4) und konnten unsere Leiber und unsere Seelen dahin kommen, in Sein Ebenbild verwandelt zu werden. Was Er alles erduldete oder was Er litt als "die Stricke des Todes Ihn umfingen und Angst der Hölle Ihn traf" (Ps 116:3) als Er "unter den Toten verlassen in Finsternis in der Grube lag wie die Erschlagenen, die in der Grube liegen, derer man nicht mehr gedenkt" (Ps 88:6.7), und was es für ein Leben war, zu sterben - das kann keines Menschen Mund aussprechen. Doch wir wissen, dass er alles dies ertrug. Denn nur auf diese Weise konnte das Leben, das im Weizenkorn verschlossen ist, aus der Erde hervorgebracht werden, nur so konnte es keimen, nicht mehr allein, sondern vervielfältigt. Ewiglich gelobt sei der Name dessen, der uns Anteil an Seinem Leben gibt, der Sich entäußerte um uns zu füllen, der starb, um uns das Leben zu geben.

Dies ist unser Vorbild. Der Sohn Gottes kam zuerst an den Ort, an welchem Er sterben sollte. Dann starb Er dort. So muss es auch mit uns gehen. Um fruchtbar zu sein, müssen wir dorthin gebracht werden, wo wir, ehe wir sterben, oftmals durchkreuzt werden und eine tägliche Auflösung erleiden. Folgen wir dem Lamm wohin es geht, geben wir zuerst unser Geld, unseren Beruf, unsere Bequemlichkeit und dann auch, was unserem Ich viel mehr wert ist, unseren Ruf dran und werden für Toren geachtet, ja für Wahnsinnige, damit wir anderen das geben, was wir empfangen haben. So werden wir den Eroberern in früheren Zeiten gleich, welche ihre Schiffe verbrannten, in Kürze an einem Ort sein, von wo wir nicht mehr zurückweichen können und wo uns nichts mehr übrig bleibt als zu sterben. Ja, und es wäre die größte Torheit, zurückzuweichen. Denn gerade wie der Same, der in die Erde gesenkt ist, nicht mehr als Speise zu gebrauchen ist, und nicht zum Wachstum gelangen kann, wenn er von dort weggenommen wird, ehe er erstorben ist, so ist es auch mit dem, welcher in det Nachfolge Christi an den Ort des Todes gekommen und doch noch nicht tot ist; denn durch sein Opfer ist er für diese Welt verloren, während, wenn er nun zurückweicht, er auch für das Reich Gottes verloren ist. Weicht einer zurück, so wird der keinen Gefallen an ihm haben (Hebr 10:38). Hat jemand so viel umsonst erlitten, wenn alles umsonst ist? (Gal 3:4) Wehe denen, welche Christus nachgefolgt und für diese Welt verdorben zu sein, und doch noch nicht so weit, das sie in Ihm gestorben wären und die Krone gewinnen, welche dem Opfer gebührt, indem sie nun viel Frucht bringen könnte.

So kann es aber nicht bei den wahren Auserwählten sein, obwohl es auch für sie schwer ist zu sterben, viel schwerer, als tausenderlei religiöse Dinge zu tun, welche doch noch lange nicht der Tod des Ichs sind; denn wie Hiob sagt: "Alles was ein Mensch hat, gibt er für sein Leben" (Hi 2:4) Indessen, sie müssen sterben; und Gott sei Dank sind , sie sind in den treuen Händen dessen, der das Opfer zu Seinem Ziel hinausführen wird.

Der königliche Weg

Um dieses Ziel zu erreichen, gebraucht Gott viele Werkzeuge, gerade wie der Same durch die mannigfachen Wirkungen des Frostes, des Taus, der Sonne und der Luft zur Auflösung gelangt. Er ist es aber allezeit selbst, der Seine Kinder in diesen Tod bringt, damit Er sie wiederum mit großer Kraft aufrichte. Wir stehen in Gefahr, dies zu vergessen, wenn Menschen und Dämonen freies Spiel zu haben scheinen und wir meinen, wir kämen um, und wenn keine Frucht aus solchem Schmerz zu entstehen scheint. Die Vernichtung aber des eigenen Ichs ist die notwendige Bedingung für den verheißenen Segen. Wer nicht sterben will, kann auch nicht leben. Daher ist es Gott selbst, der uns niederwirft, um uns aufzurichten. Der Glaube erkennt dies und kann daher auch durch die dunkelsten Wolken dringen und bei allem sagen: "Es ist der Herr" (1Sam 3:18). "Es ist nicht der Menschen Hand, sondern die Deine, die mich niederlegt, mein Gott". "Du lässt Menschen sterben" (Ps 90:3) "Meine Freude hast Du ferne von mir getan, Du hast mich ihnen zum Gräuel gemacht" (Ps 88:9). Was sie tun, selbst wenn die Heiden sich empören und die Fürsten sich versammeln wider den Herrn und wider Seinen Christus, ist nur, "Was Deine Hand und Dein Rat zuvor bedacht hat, das geschehen sollte" (Apg 4:25-28). Die Prüfungen können uns sogar durch die Auserwählten Gottes angetan werden; und wenn dem so ist, so ist der Schmerz umso größer; denn nichts verwundet uns mehr als die Opposition und das Urteil wahrhafter Brüder. Trotzdem ist dies der königliche Weg. Christus wurde von allen geschmäht und verlassen. Und Seine einzige Antwort den fragenden Jüngern gegenüber ist die: "Musste nicht Christus solches leiden"? Gibt es einen anderen Weg zur Herrlichkeit? (Lk 24:26)

Den Schmerz und die Seligkeit dieses Sterbens kennt nur der, welcher diesen Schmerz erduldet und diese Seligkeit empfunden hat. Denn es liegt eine unaussprechliche und herrliche Freude in dieser Selbstaufopferung - in diesem Verborgensein, wie Gott selbst vor den Augen der Welt verborgen ist. Bis wir vermögen, so ungesehen zu sein wie Gott, ist nur wenig Wachstum in dem göttlichen Leben, welches sich in dem Maß offenbart, in dem wir durch diesen geheimen Tod und die Auflösung gehen. Doch aber bringt diese Erfahrung von dem, was wir selbst sind, auch seine eignen Schmerzen mit sich,welche auch dem wahrhaftig Auserwählt en Ruf auspressen: "Jetzt ist meine Seele betrübt, und was soll ich sagen? 'Vater hilf mir aus dieser Stunde'? Doch dazu bin ich in diese Stunde gekommen. Vater verherrliche Deinen Namen!" (Joh 12:27.28) Diese Prüfung ist in der Tat sehr hart. Dennoch liegt die wahrhaftige Erlösung nicht darin, dass man sagt: "Erlöse mich von diesem und jenem!" sondern darin, dass man alles, so schwer es auch scheint, als vom Herrn annimmt und nur sagt: "Vater, verherrliche Deinen Namen"!

Dieses scheinbare von Gott Verlassensein ist ein tiefes Geheimnis. Es ist leichter über die Lösung von unseren Brüdern zu reden, welche dieses Opfer mit sich bringt, die Lösung nämlich zwischen denjenigen, welche unverändert bleiben, und denen, welche durch tägliches Sterben zur Auferstehung geführt werden. Die Sterbenden und die Toten sind niemals anmutig für die Lebenden. Nur wenige, die ihn liebten, werden noch an dem Leichnam hängen bleiben. Für diejenigen, welche nach dem Fleisch wandeln, liegt eine Art Grauen darin, jemanden den Freuden der Erde und den Dingen, welche das Wesen dieses gegenwärtigen äußeren Lebens ausmachten, sterben zu sehen. Es wundere sich daher niemand, wenn er zu einer solchen Zeit vereinsamt ist. Wurde nicht der tote Christus begraben? Müssen wir nicht mit Ihm begraben sein? Wenn wir Ihm ähnlich gemacht werden sollen, so müssen wir sterben und verlassen werden, wie Er es war. Vieles, was sonst ganz in der Ordnung ist, muss aufgegeben werden. Unterdessen eröffnet sich uns eine neue Welt mit ihrem Lebensbaum und dem Paradies Gottes (Offb 2:7)

Anstatt sich aber zur freuen an solchen Leiden teilzuhaben oder einen gekreuzigten und verwundeten Christus im Nächsten zu erkennen, kommen sogar christliche Brüder oft in Zweifel über sich selbst, oder verlassen einen Bruder, wenn er, um durch Leiden vollkommen gemacht zu werden, auch an seinem Teil berufen ist, durch die schmale und enge Pforte einzugehen. Vielleicht muss es so sein, wir müssen allein sterben. Wenn aber auch die Bewohner der Zeit und der Sterblichkeit solchen Schmerz jetzt noch missverstehen und trotz Kreuz und Todeskampf Christi einen solchen Dulder verlassen oder vor ihm zurückschrecken; wenn auch liebe Brüder darüber in Zweifel geraten und sich fragen, wie ein solcher Kreuzweg zugelassen werden kann, wenn doch die Seele, die da leidet, wirklich des Herrn ist; wenn auch wie bei Christus eine finstere Wolke der Verlassenheit eintritt; wenn auch jedermann kritisiert und urteilt und auch echte Jünger sagen: "Wir hofften, dieser werde der Kirche wahrhaftig aufhelfen" (Lk 24:21) wenngleich dies alles erduldet und durchgemacht werden muss und alles verloren scheint und die Seele sich nicht rühren, nicht aufstehen und nicht rechtfertigen kann - so haben doch solche Dulder nichts zu fürchten. Wer in Christo stirbt, ist samt Ihm in Sicherheit gehüllt. Denn Sein eigenes Engelheer ist um ihn, um Wache zu halten und den Stein wegzunehmen, damit der Tote zu seiner Zeit aufstehe.

II. Das Resultat des Weges

Dies ist der Weg: das Korn muss in die Erde fallen. Das Resultat des Weges ist dieses: "Wenn es stirbt, so bringt es viel Frucht" (Joh 12:24). Denn gleichwie das Samenkorn durch die Auflösung zur Wurzel eines vielfältigen Samens wird, so wird das Lamm, "so dass Er in allen Dingen den Vorrang habe" (Kol 1:18) indem Er einmal als der Erstgeborene und als der Erstling starb, in Seinen Jüngern vervielfältigt, welche Ihm teilhaft gemacht werden und welche dann ihrerseits durch den Tod zu einer noch größeren Zahl vermehrt werden, bis der Acker der Welt voll von dem Samen Gottes wird. Dies ist das Ende des ganzen Prozesses. Das Wort, das der Herr beim Opfer Abrahams sprach, ist noch immer wahr: "Ich habe bei Mir selbst geschworen, spricht der Herr, weil du solches getan hast und hast deines eigenen Sohnes nicht verschont, dass ich deinen Samen sehr segnen und mehren will wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer des Meeres; und in deinem Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden. Darum weil du meiner Stimme gehorcht hast" (1Mo 22:17.18). Der Selbsthingabe muss Wachstum folgen. Darum sagt auch der Prophet, welcher das große Opfer am deutlichsten voraussieht: "Wenn du Seine Seele zu zum Opfer für die Sünde gemacht haben wirst, so wird Er Samen haben und lange leben, und das Vornehmen des Herrn wird durch Seine Hand fortgehen (Jes 53:10). Es soll Frucht gebracht werden, welche nicht nur den, der das Opfer gebracht hat, sondern auch Gott und Menschen bereichert, und welche die Macht dessen, der die Welt gefangen hält, bis auf den Grund erschüttert.

1. Folgen für den Opfernden

In erster Linie hat diese Selbsthingabe Folgen für den, der das Opfer bringt. "Des Menschen Sohn wird verherrlicht" (Joh 12:23 und Joh 13:31) in und durch jenes Opfer, welches für die Sinne Verderben zu sein scheint. Gerade wie das Samenkorn ist die Auflösung nur eine Entbindung der Fesseln, damit es aus seinen Banden in neuer Gestalt erstehen und ein herrliches Gewand anziehen kann wie eine Blume dem Himmel das kreatürliche Abbild der Sonne entgegenstreckt, deren Licht und Wärme sie im Grabe berührten und welche aus der Wurzel Schönheit und Herrlichkeit hervorgebracht haben, von welcher der Same, so lang er ganz blieb, keine Spur an sich trug; gleicherweise bewirkt auch das Opfer bis zum Tode in den Auserwählten ein viel größeres und ewiges Gewicht an Herrlichkeit". (2Kor 4:17). Des Menschen Sohn wird dadurch erhöht. Denn worin liegt denn unsere Schmach? Ist es nicht in "diesem Leib der Erniedrigung" (Phil 3:21) in welchem wir "bangen" (Lk 12:21) und worin wir "uns sehnen und beschwert sind? (2Kor 5:2).

Ist es nicht in dem selbstliebenden Willen des Fleisches, den wider den Geist gelüstet und der die Seele niederdrückt, so, dass wir nicht tun können, was wir wollen? (Gal 5:17). Wenn dem so ist, so muss ja die Aufgabe dieser Selbstsucht eine Verherrlichung sein, wenn es auch dem fleischlich Gesinnten, der sich der Dinge rühmt, die doch seine Schmach sind (Phil 3:19) und dem fleischlichen Auge, welches nur das Gericht des Fleisches sieht, wie lauter Verderben erscheint. Daher rühmte sich Paulus "der Trübsale, weil er wusste, dass Trübsal Geduld bringt und Geduld Erfahrung, Erfahrung aber Hoffnung, und Hoffnung lässt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist" (Röm 5:3-5). Das Kreuz ist das wahre Szepter, und das, was für den Glauben eine Prüfung ist, wird durch den Tod überwunden "Wer am Fleisch gelitten hat, der hat aufgehört mit Sünden" (1Petr 4:1).

2. Gott wird verherrlicht

Durch das Opfer aber wird Gott Selbst verherrlicht. Die Seele, welche nicht sagen mag: "Vater, hilf mir aus dieser Stunde!", sondern nur: "Vater, verherrliche Deinen Namen!" hört sogleich eine Stimme vom Himmel, welche spricht: "Ich habe ihn verherrlicht und will ihn abermals verherrlichen" (Joh 12:28). Darum so ist "nun des Menschen Sohn verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in Ihm" ([Joh 13:31]). Denn ebenso gewiss, wie der Eigenwille und das Selbstgefallen, wie wir es an Adam sehen, immerdar Gott beraubt und entehrt, so bringt die Selbstunterwerfung bis in den Tod, wie wir an Christus sehen, Ihm Ehre. Denn die Selbstunterwerfung ist der vollkommenste Ausdruck unserer Liebe. Kann ich mich selbst weggeben? Kann ich mich auf einem Weg, auf dem ich nichts sehe, mich einem anderen völlig anvertrauen? Kann ich mich in allen Stücken Ihm so völlig ergeben, dass Er mit mir machen kann, was Ihm gefällt? -

Auf keine andere Weise kann ich meine Liebe für dem, auf welchen ich solch völliges Vertrauen setze, besser ausdrücken als so. Auf diese Art verherrlicht die Selbstaufgabe Gott. Er schaut auf eine Welt herab, in welcher die Lüge der Schlange, dass Gott nicht zu trauen sei, tief in aller Herzen wurmt. Da erblickt Er einen schwachen Menschen, der Ihm so vertrauen kann, dass, wie groß auch die Finsternis sei, er nicht einmal sagen mag: "Hilf mir aus diesem oder jenem!", sondern nur: "Vater, verherrliche Deinen Namen!" Und Er wird dadurch verherrlicht. Denn gleichwie der Unglaube Ihn zum Lügner (1Jo 5:10) macht, so verherrlicht ihn der Glaube, der sich Ihm hingibt, mehr als alles andere. Wohl mögen sich daher diejenigen freuen, welche an den Leiden Christi teilhaben, denn der Geist der Herrlichkeit und Gottes ruhet auf ihnen. Bei der Welt mag er verlästert werden; in denen aber, die mit Ihm leiden, ist er verherrlicht (1Petr 4:13.14).

3. Das ist noch nicht alles

Auch ist dies noch nicht alles. Das Opfer hat nicht nur Folgen für den, der es bringt, und für Gott, sondern es wirkt auch unmittelbar auf die Welt, indem es dieselbe wie nichts anderes von demjenigen befreit, der sie gefangen hält. Darum fügt hier unser Herr hinzu: "Jetzt geht das Gericht über die Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen. Und wenn Ich erhöht sein werde von der Erde, so will ich alles zu Mir ziehen" (Joh 12:31.32). Denn die Welt liegt gefangen in ihrem Eigenwillen. Das Gericht ist darum ihre Befreiung, wenn "das Schwert des Herrn aus der Scheide fahren wird über alles Fleisch, so dass alle Herzen verzagen und aller Hände sinken, aller Mut fallen und aller Knie wie Wasser vergehen werden", (Hes 21:4.7), auf dass sie auf diese Weise an den Ort kommen, wo sie Segen empfangen können" und unter den "Müden" und "Unvermögenden" (Jes 40:29) sein werden wie die Auserwählten, weil Christi Stärke nur in des Menschen Schwachheit vollendet wird (2Kor 12:9).

Dies ist der Zweck des Gerichtes, und das Gericht selbst geht auf die Art und Weise, die Er selbst beschreibt, wenn Er sagt: "Trachtet nach Recht (Gericht), helfet dem Unterdrückten, schaffet dem Waisen Recht und helfet den Belangen der Witwe" (Jes 1:17) und welches darin seine Erfüllung findet, wenn verwaiste Seelen wiederum "Abba, Vater" rufen lernen und solche, die ihre Stärke und Stütze verloren haben, wieder mit ihrem wahren Mann vereinigt sind. So richtet Er den Armen in Gerechtigkeit, schlägt die Erde mit dem Schwert Seines Mundes und tötet den Gottlosen mit dem Hauch Seiner Lippen (Jes 11:4).

Und es gibt mancherlei Stufen in diesem Gericht. Der, welcher den Versucher durch Seine Unterwerfung überwand, zieht die Sünder nach und nach, wie sie es tragen können, zu demselben Kreuz, erst durch dieses oder jenes unfreiwillige Opfer ihres Eigenwillens, und dann durch die freiwillige Annahme von allem, was Er nach Seinem Wohlgefallen uns auferlegen mag. Sind sie im Feuer, so merken sie, dass die Flamme nur ihre Fesseln verzehrt haben, und dass sie selbst, obgleich gebunden hineingeworfen, auf diese Weise frei geworden sind (Dan 3:24.25) .Das ist "das Gericht dieser Welt", durch welches der Fürst dieser Welt ausgestoßen wird und "alle zu dem gezogen" werden, der für sie starb. Mit Recht ermutigt daher der Psalmist alle Geschöpfe, sich "vor dem Herrn zu freuen, weil Er kommt, die Erde zu richten" (Ps 96:11-13).

4. Ein Opfer für alle

Denn endlich muss das Opfer alle berühren und zu Gott zurückführen: "Wenn ich erhöht sein werde von der Erde, so will ich alles zu mir ziehen. (Joh 12:32). Das Böse ist nicht ewig, es ist nur eine Störung; es ist der Wille der Kreatur, der seiner rechten Stellung entrückt ist. Das Opfer stellt die wahre Ordnung wieder her. Das Fallen in das eigene Ich trennte den Menschen von Gott. Durch das Opfer, und durch das Opfer allein, können die beiden wieder vereinigt werden. Denn die Selbstaufopferung ist nichts anderes als das Gesetz des göttlichen Lebens: jenes aus sich Herausgehen und Geben, welches das innerste Gesetz und der Trieb der Liebe ist. Deshalb vereinigte sich Gott mit uns durch das Opfer Seiner Selbst, durch unser Selbst, und durch unsere Aufopferung durch Christus werden wir mit Ihm und untereinander vereinigt. Das Blut des Kreuzes versöhnt alle. Es vermag die entgegengesetztesten Menschen zu vereinigen und jeglichen Bruch zu heilen, es sei im Himmel oder auf Erden (Kol 1:20). Die Versöhnung und Vereinigung ist bereits in Christo erwirkt worden: sie wird durch Ihn in der Welt vollzogen werden, bis auch der letzte Rebell unterworfen und der letzte Verirrte gefunden ist.

"Wenn Ich erhöht sein werde von der Erde, will ich Alles zu mir ziehen". Dies ist das Ziel, welches von Anfang an in Bildern vorgeschattet und teilweise durch die Berufung der Nationen erfüllt wurde, in seiner Vollendung aber erst dann erscheinen wird, wenn in dem Namen Jesu sich alle Knie beugen werden, die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind, wenn jede Zunge bekennen wird, dass Jesus Christus der Herr ist zur Ehre Gottes des Vaters (Phil 2:10.11). Und gleichwie der Bruch zwischen Gott und Mensch und zwischen Mensch und Mensch in Ihm selber durch die eine Aufopferung Seiner Selbst für immer geheilt worden ist - gleichwie in Ihm Gott und Mensch eins sind - so teilt Er durch das fortgesetzte Opfer Seines Leibes, durch die Leiden Seiner Glieder (welches Seine Leiden in ihnen sind) die Gnade Seines Lebens und Seiner Liebe denjenigen mit, welche Ihm noch fremd sind. Haben wir daher Trübsal oder Trost, so geschieht es zu anderer Trost und Heil, welches sich zeigt, indem sie mit Geduld leiden, ebenso wie wir leiden (2Kor 1:6).

Alles ist verbunden

Auf diese Weise erstatten die Heiligen, was noch mangelt an Freuden und Trübsalen in Christo (Phil 2:17 - Kol 1:24). Wir bedenken es nicht, wie das tägliche Kreuz eines jeden noch so unbekannten Dulders in Gottes Hand dazu dient, die verheißene Wiederbringung herbeizuführen. Als Beispiel führen wir die Worte an: "Gleichwie durch eines Menschen Ungehorsam viele Sünder geworden sind, also auch durch Eines Gehorsam werden viele Gerechte" (Röm 5:19). Es ist aber auch eine täglich sich erfüllende Tatsache. Eine jegliche Tat des Ungehorsams und jede Verweigerung, sich dem Gesetz der Liebe zu unterwerfen (welche das Gesetz der Selbsthingabe ist), macht noch immer viele Sünder und muss es notweniger weise tun, gerade wie auch jede Tat des Gehorsams viele Gerechte hervorbringt. Es wird den Wissenschaftlern jeden Tag klarer, dass das Weltall ein Ganzes ist und dass die kleinsten Dinge in unserer Welt von der Sonne und den entfernten Sternen beeinflusst werden und diese wahrscheinlich wiederum sich ihrerseits beeinflussen; und diese Tatsache gilt nicht weniger von der Welt der Geister, zu der wir - als nach Gottes Ebenbild geschaffene - Menschen gehören, und in welcher Christus als Mensch bereits solche Wunder gewirkt hat. Seine Menschwerdung und Sein Eingehen in den Himmel als Mensch berührt folglich weise alle im Himmel, auf Erden und in der Hölle. Denn in Seiner Menschheit besteht ein ewiges Band mit allen, ein Band, welches diejenigen zusammenbindet, welche jetzt noch so weit voneinander entfernt sind wie der Tod vom Leben und der Himmel von der Hölle. Er hat beides für alle geschmeckt (Hebr 2:9) und weil Er starb und auferstand und lebendig wurde, ist Er der Herr der Toten und der Lebenden geworden (Röm 14:9) Daher kann er auch selig machen alle, die durch Ihn zu Gott kommen (Hebr 7:25). Well Er lebt, sollen wir auch leben (Joh 14:19 - Mk 15:21).

Leben nach Seinem Bild

Dies ist das Opfer des neuen Menschen. Sollten wir uns nicht fragen, wieviel wir vom Tod unseres Selbst von dem der Herr hier so unzweideutig redet, erfahren haben? Mögen doch besonders die, welche sich für Jünger halten, darauf achthaben, dass ihr Leben sich in dieser Selbsthingabe nach dem Bild dessen gestalte, der unser Vorbild ist. Denn es war wohl noch nie so viel Einsicht wie jetzt vorhanden über das, was eigentlich einem Sohne Gottes zukommt; niemals war aber auch die Versuchung, uns selbst zu verwirklichen, so groß, während wir dabei die Wahrheit bekennen und bewundern, dass nämlich die Selbsthingabe höchst gottähnlich ist. Ja, und es kann uns sogar unsere nahe Stellung zu Christo betrügen. Simon von Kyrene beweist, dass es nicht einer der Jünger Christi, sondern ein Fremdling ist, der in Wirklichkeit das Kreuz Christi trägt (Mk 15:21) während die Jünger, welche es besser wissen sollten, solches Leiden eine zeitlang wenigstens, nur von ferne anschauen und davor zurückschreckten. Gott weiß, wer heutzutage eigentlich die Last trägt, welche in erster Linie auf den Herrn gelegt wurde.

Wer sind gegenwärtig die Kreuzträger? Sind es etwa immer noch Fremdlinge, die um Ihn gesammelt und "gezwungen" werden, das tägliche Kreuz der Armut und des Schmerzes und die übrigen mannigfaltigen Übel zu "tragen", welche die gerechte Strafe der Sünde sind, oder finden sie sich unter denen, welche bei mehr Erkenntnis des Herrn doch vor dem Kreuz zurückschrecken und sich daran stoßen, wenn es in seiner ganzen Bitterkeit und Schmach kommt und all ihre vorgefassten und irrigen Gedanken über den Weg zum Himmelreich über den Haufen wirft? Gibt es nicht noch Viele, deren sogenannter Glaube, anstatt sie zum Kreuz zu führen, der direkteste Weg für sie ist, die Güter dieser Welt zu gewinnen? Das aber ist nicht das Opfer des neuen Menschen - heute wie damals muss das Weizenkorn sterben, wenn es in Wahrheit viel Frucht bringen soll.

Christi Leben in uns

Es mag die Frage entstehen, wie ein solches Leben des täglichen Sterbens sich mit der rechten Aufmerksamkeit für die Ansprüche und Bedürfnisse unseres irdischen Berufes und unserer Beziehungen im Leben hier vereinbaren lassen, da wir doch Sorge und Interesse tragen nicht nur für unsere eigenen, sondern auch für anderer Bedürfnisse? Diese Frage hat die Heiligen Gottes oftmals umgetrieben. Gott allein kann diese so beantworten, dass den mannigfaltigen Stufen und Bedürfnissen eines jeden Gläubigen Rechnung getragen wird. Denn wir haben ein jeder seinen besonderen Beruf, der von unserem Wachstum in Christo abhängt, und das Opfer, das auf einer Stufe richtig ist, kann auf einer anderen falsch sein. Das Leben unseres Herrn ist die rechte Antwort auch hier. Von Anfang an war es ein Leben der Liebe und konnte daher nichts anderes als ein Opferleben in allen Stücken sein, sei es als Zimmermann, als Prediger oder als Dulder am Kreuz. Die Gestalt aber des Opfers veränderte sich im Lauf der Zeit. Die erste Form, in der Er auftrat, war Seine Menschwerdung; die letzte, dass Er in diesem Fleisch starb und demselben zugleich abstarb, und es war das eine ebenso wie das andere ein wirkliches Opfer.

Gleicherweise haben es auch die Heiligen allezeit empfunden, dass ihr Kommen oder Bleiben im Fleisch und sich zu fleischlichen Seelen herabzulassen - indem sie bei ihnen im irdischen Leben verharrten, weil es nötiger für sie war (Phil 1:24.25) - so ist das Absterben dem äußeren Leben, auch eine Art Opfer und Schmerz ein solches Sterben. In jedem Fall, ob wir um Gottes willen die äußere Welt verlassen oder versuchen Ihm in den alltäglichen Mühen und Beziehungen des äußeren Lebens zu dienen - "sind wir außerhalb des Leibes, so ist es um Gottes willen, sind wir im Leib, so geschieht es um euretwillen; denn die Liebe drängt uns, es so zu halten, dass wie Einer für alle gestorben ist, so sind Alle gestorben, und weil Er für Alle gestorben ist, auf dass Er die, die da leben, nun nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist". (2Kor 5:14.15). Wenn wir nur Christi Leben ausleben, so werden wir Ihm schon in allen Dingen gleichgemacht werden, sowohl was Sein Kommen ins Fleisch betrifft, als auch was das dem Fleisch absterben anbelangt. Wir werden erfahren, dass Sterben größer ist als Wirken, denn "so wir sterben bringen wir mehr Frucht". Aber ob wir leben oder sterben, wir sind des Herrn (Röm 14:8).

LIes weiter hier:

10. Die Erniedrigung des neuen Menschen - Das neunte "Wahrlich, wahrlich"
11. Die Herrlichkeit und Macht des neuen Menschen - Das zehnte "Wahrlich, wahrlich"
12. Der Schmerz und die Freude des neuen Menschen - Das elfte "Wahrlich, wahrlich"
13. Die Vollendung des neuen Menschen - Das zwölfte "Wahrlich, wahrlich"