Vorbemerkungen zum Thema

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Abschrift des des Buches:
Das tausendjährige Königreich Christi auf Erden
von Heinz Schumacher (1964)

Paulus Verlag Karl Geyer, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

weitere Abschriften

B. Einige Vorbemerkungen zur Behandlung des Themas

Bevor wir unser Thema: „Das tausendjährige Königreich Christi auf Erden“ durch die Schrift hindurch verfolgen, stellen wir einige Abschnitte voran, in denen wir unsere Methode bei der Behandlung des Themas erläutern und auf einige Denkschwierigkeiten und Gefahren hinweisen, die schon manchen verwirrt und ihn von einer klaren Schau des biblischen Weissagungswortes abgelten haben.

I. Das Fortschreiten der göttlichen Heilsoffenbarung

Gottes Heilsoffenbarungen an Seine Geschöpfe ist nach einem Wort von Karl Geyer, von zwei Faktoren abhängig: vom göttlichen Offenbarungswillen und vom geschöpflichen Fassungsvermögen.

Hätte Gott keine Heilsabsichten mit seiner Schöpfung, oder wollte Er diese nicht offenbaren, so gäbe es niemals eine Heilsoffenbarung, wie wir sie im Worte Gottes besitzen, und folglich auch kein Heilsgeschehen, keine Heilsgeschichte. Das aber ist ja der Jubel des Evangeliums: Gott ist Liebe! Und darum will Er aller Heil! Und diesen seinen Heilswillen ließ Er nicht unbezeugt, sondern tat ihn kund durch die Propheten, durch Seinen Sohn im Fleisch und durch die Botschaft, die der auferstandene und erhöhte Christus durch die Apostel den Gemeinden verkündigen ließ.

Zu diesem einen Faktor - dem Offenbarungswillen Gottes - aber kommt der zweite hinzu: das geschöpfliche Fassungsvermögen. Von Gott aus gesehen wäre es durchaus möglich gewesen, die ganze in der Heiligen Schrift uns überlieferte Offenbarung nicht im Laufe von Jahrhunderten und Jahrtausenden, sondern in kürzester Zeit, vielleicht während der Lebenszeit eines einzigen Mannes, kundzutun und niederschreiben zu lassen. Gott ist sich a aller Seiner Wege von jeher bewusst. Er sah schon am Anfang das Ende. Schon vor den Zeitaltern übersah Er den ganzen Weg Seiner Schöpfung bis hin zum Endziel Seiner Wege. Aber wie Eltern ihren Kindern ihrem Wachstum und ihrer Reife entsprechend nur schrittweise Einblick in biologische, finanzielle, gesellschaftliche u. a. Zusammenhänge geben, so konnte auch Gott Seinen Liebeswillen und Seine Heilspläne erst nach und nach Seinen Geschöpfen voll offenbaren - nicht als habe Er diese Pläne erst nach und nach gefasst, sondern wegen der Beschränktheit des Vermögens der Geschöpfe, sich Seine Heilsgedanken anzueignen, und auch weil in vielen Fällen spätere göttliche Heilsoffenbarungen eine bestimmte Reaktion Seiner Geschöpfe auf frühere Heilskundgebungen (Gehorsam und Ungehorsam) zur Voraussetzung haben.

So wie Gott Seine Heils o f f e n b a r u n g schrittweise gab, ging auch die Heils g e s c h i c h t e Schritt für Schritt voran. Die einzelnen Schritte nennt man Zeitalter (Äonen), oder auch richtiger (nach Eph 3:2) Haushaltungen oder Heilsverwaltungen Gottes. Seit Adams Erschaffung lassen sich unterscheiden:

  1. Die Haushaltung des Paradieses (Adam, Eva) (Gerichtsende: Austreibung);
  2. Die Haushaltung der Urväter oder der menschlichen Selbstbestimmung (Kain, Seth bis Noah) (Gerichtsende: Flut);
  3. Die Haushaltung der Nationen oder der menschlichen Herrschaft (Semiten, Hamiten, Japhetiten) (Gerichtsende: Sprachenverwirrung):
  4. Die Haushaltung der Patriarchen (Abraham bis Mose) (Gerichtsende: Drangsal in Ägypten);
  5. Die Haushaltung des Gesetzes (Mose bis Christus) (Gerichtsende: Kreuzigung Christi);
  6. Die Haushaltung des Reichsanbruches (Christus bis Paulus) (Gerichtsende: Verstockung Israels);
  7. Die Haushaltung der Gemeinde (von der Zeit der Apostelgeschichte bis zur Vollendung und Hinwegnahme der Gemeinde) (Gerichtsende: Das Kommen des Gesetzlosen);
  8. Die Haushaltung der Endzeit dieses Äons oder der 70. Danielschen Jahrwoche (von der Entrückung der Gemeinde bis zur Aufrichtung des Königreiches Christi) (Gerichtsende: Tag des Zornes, Vernichtung des Antichristen);
  9. Die Haushaltung des tausendjährigen Königreiches Christi auf Erden (Christus herrscht, Satan gebunden) (Gerichtsende: letzte Völkerrebellion, Weltgericht).

Bei der Aufzählung sind die Zahlen unwesentlich. Andere zählen nur 7 und 8 Haushaltungen. Entscheidend ist die Tatsache, dass Gott Sein Heil in sehr verschieden geprägten Haushaltungen auf dieser Erde Geschichte werden lässt. - Die „Zeit“ vor Adams Erschaffung und nach dem tausendjährigen Königreich Christi haben wir hierbei unberücksichtigt gelassen. - Eine zeichnerische Darstellung hierzu bietet der „Plan der Äonen und Ökonomien Gottes“ von O. Hoffmann, Paulus-Verlag Karl Geyer.

Was hat dieses alles mit der Behandlung unseres Themas „Das tausendjährige Königreich Christi auf Erden“ zu tun? - Wei Gott Sein Heil in E tappen fortschreitend offenbart und verwirklicht, möchten wir auch das Zeugnis der Schrift über das Tausendjahrreich dieser Entwicklung gemäß darlegen. Wir stellen also nicht bei der Behandlung der einzelnen Unterabschnitte aus dem Alten und Neuen Testament einfach unverbunden nebeneinander - damit würden wir manchen Fragen ausweichen, die sich für unser Thema gerade von der Entwicklung der Heilsgeschichte her ergeben. Auch gehen wir nicht den Weg, zunächst das n e u t e s t a m e n t l i c h e Zeugnis und dabei besonders die Kernstelle Offb 20:1-10 herauszustellen, um sodann „aufgrund von Offb 20:1-10 anzugeben, was für alttestamentliche Stellen sich auf das Millennium (Tausendjahrreich) beziehen*2). Sondern wir verfolgen den Weg wie ihn die göttliche Heilsoffenbarung ging:

  1. Sie gab zunächst Israel im AT, sonderlich in den Propheten und Psalmen, bestimmte Verheißungen für ein zukünftiges Königreich.
  2. Sie ließ sodann den König dieses Reiches, Jesus Christus, als Er iim Fleische auf Erden war, diese Seine Verheißungen durch Sein Wirken anbruchhaft erfüllen und durch Seine Lehre bekräftigen erweitern und, wegen Seiner Verwerfung durch die Juden, in die Zukunft verschieben.
  1. Sie richtete für die Zeit der Verstockung des jüdischen Volkes eine neue, von den alttestamentlichen Propheten nicht vorausgesehene Haushaltung ein: die der Auswahlgemeinde aus allen Nationen.
  2. Sie bestätigt schließlich im letzten Bibelbuch, dass ein tausendjähriges Königreich Christi auf Erden aufgerichtet werden soll, und gibt darin eine genauere Einordnung dieses Reiches in den Gesamtlauf der Endgeschichte, wie sie einem Jesaja und den anderen Propheten (die dieses Reich für das endgültige hielten bzw. es mit Gottes Reich auf der neuen Erde zusammenschauten) noch nicht bekannt war.

Bei dieser Betrachtungsweise sehen wir das später Geoffenbarte stets im Lichte des früher Geoffenbarten, sehen also z. B. die Worte Jesu ähnlich, wie Seine Jünger sie sahen: im Lichte des AT. Andererseits prüfen wir ernstlich, ob und inwieweit früher Verheißenes später tatsächlich „aufgehoben“ oder „umgewandelt“ wurde. ‚'c Dabei gehen wir davon aus, von den bisher unerfüllten alttestamentlichen Verheißungen nicht (wie manche Theologen es tun)

  1. nur noch gelten zu lassen und in wortwörtlicher Erfüllung zu erwarten, was die neutestamentliche Weissagung ausdrücklich und deutlich wiederholt, sondern
  2. nur das preiszugeben, was nach neuttestamenticher Lehre oder Weissagung keinesfalls mehr eine Erfüllung im ursprünglichen Sinne findet.

Die Sehnsucht nach dem Reich
*2 Diesen Weg beschreitet H. BIETENHARD: Das Tausendjährige Reich (Zürich 1955) vgl. S. 143 und die Aufbau des Buches überhaupt. Er übersieht, dass auch bei den Königreichsverheißungen der Bibel - um Paulus abgewandelt zu zitieren - „die Wurzel die Krone trägt und nicht die Krone die Wurzel“ Wie das ganze Buch der bibel, so ruht auch Offb 20:1-10 auf den alttestamentlichen Verheißungen. Es erscheint uns daher sehr wohl als möglich und erlaubt, ja sogar als geboten, „Offb 20 durch das Alte Testament zu bereichern und zu präzisieren“, wie es uns andererseits als höchst bedenklich erscheinen will, nur diejenigen Verheißungen des AT noch gelten zu lassen, die Offb 20 ausdrücklich bestätigt. Wir fragen. Sei wann gilt von einer früheren ausführlicheren Weissagung nur noch das, was eine später kürzere wiederholt? Kann nicht vielmehr eine spätere Weissagung auch deshalb eine frühere g e k ü r z t wiedergeben, weil die ausführliche Wiederholung des längst Bekannten unnötig erschien?
Trotz mancher Bedenken in Einzelfragen - wir kommen noch darauf zurück - freuen wir uns, dass Bietenhard überhaupt ein tausendjähriges Königreich Christi auf Erden für die Z u k u n f t erwartet und in seinem genannten theologischen Werk davon Zeugnis ablegt.

II. Verschiedene Erscheinungsformen des Reiches Gottes

Hans Bietenhard weis in seiner biblisch-theologischen Studie „Das Tausendjährige Reich“ nicht ganz zu Unrecht eine allzu sehr vereinfachende Gegenüberstellung von „Leib“ und „Reich“ und von „himmlischer“ und „irdischer“ Stellung ab. (Ob er dabei zu weit geht, sei jetzt nicht untersucht). Er zitiert als Beispiel aus dem vergriffenen Werk von K. Engler: „Das tausendjährige Reich“, das wir im übrigen wegen seiner wortnahen und bibelgläubigen Stellung schätzen, folgende Sätze:

„Der Herr kommt für Seine Gemeinde als Haupt, für Israel als König. Seine Gemeinde ist Sein Leib, Israel Sein Reich, Sein Volk. Die Glieder Seines Leibes sind Seine Mitregenten; die Israeliten sind Seine Untertanen. Seine Gemeinde hat himmlische Stellung, Israel hat irdische Stellung wird für immer irdische Stellung behalten“ (K. ENGLER: Das Tausenjährige Reich, S. 92 = G. Ihloff & Co, Neumünster, ohne Jahreszahl, jedenfalls vor 1922; HANS BIETENHARD: Das tausendjährige Reich. Eine biblisch-theologische Studie, S. 118, Zwingli-Verlag, Zürich 1955).

Es ist tatsächlich ein Gefahr, „Reich und „Leib“, oder „Reich“ und „Gemeinde“, oder „Reichslinie“ und „Gemeindelinie“, „reichsmäßig“ und „gemeindemäßig“, oder „irdisch“ und „himmlisch“ in derartiger Vereinfachung einander gegenüberzustellen. Man verstößt dann ebenso sehr gegen das „Bild gesunder Worte“ (2Tim 1:13) bzw. das „Bild der Lehre“, dem wir übergeben worden sind (Röm 6:17), wie wenn man „Leib“ und „Reich“ für ein und dasselbe erklärt.

Es sei nur daran erinnert, dass das auf dem Zug durch die Wüste befindliche Volk Israel in der Schrift „Gemeinde“ (griechisch „ekklesia“, auch mit „Versammlung“ übersetzt) genannt wird (5Mo 4:10; 5Mo 9:10; 5Mo 18:16; 5Mo 23:1; 5Mo 23:2; 5Mo 31:30; ferner steht „ekklesia“ noch über 80mal in der Septuaginta, dem ins Griechische übersetzten AT, vgl. auch Apg 7:37), währende Paulus in Kol 1:13 den Gliedern des Leibes Christi schreibt, sie seinen „errettet aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Königreich (basileia) des Sohnes Seiner Liebe“ (vgl. auch Röm 14:17; 1Kor 4:20; 1Kor 6:9.10; 1Kor 15:50; Gal 5:21; Eph 5:5; Kol 4:11; 1Thes 2:12; 2Thes 1:5; 2Tim 4:1; 2Tim 4:18).

Nun ist es freilich nicht damit getan, zu sagen: Königreich, Leib, Gemeinde, und vielleicht auch Begriffe wie Braut, Weib, Tempel usw. seien lauter Bilder für ein und dieselbe Sache, und man könne sie nach Belieben vertauschen. So kann nur reden, wer nicht beachtet, dass Gott in Seinem Wort diese „Bilder“ (hinter denen höchst wirkliche Dinge stehen - geistlich-unsichtbarem aber in die Sichtbarkeit herein greifende Wirklichkeiten!) jedenfalls n i c h t willkürlich vertauscht. Jeder Begriff hat an seiner Stelle zu stehen und ist gerade dort von Bedeutung und doch gibt es Überschneidungen.

Der Begriff „Reich"

Sehr wichtig ist in unserem Zusammenhang eine Klärung des Begriffes „Reich“, besser und genauer: „Königreich“ (griechisch: basileia, von basileus = König). Sie soll deshalb hier versucht werden.

Das Wort „basileia“ kann außer durch „Königreich“ auch durch „Königsherrschaft“ oder „Königsein“ übersetzt werden. Wo irgend Gott oder Christus Herrschaft ausüben, dort ist basileia, dort ist Königsherrschaft oder Königreich Gottes oder Christi. Mit Recht sagt Erich Sauer in „Gott, Menschheit und Ewigkeit“ (ERICH SAUER I: Gott, Menschheit und Ewigkeit, S. 175: (R. Brockhaus Verlag Wuppertal, 2. Auflage 1955) „Das 'Reich Gottes' hat zwar in der Endzeit seine sichtbare Erscheinungsform in Herrlichkeit. Seinem Wesen nach aber ist es ‚das Königsein Gottes‘ allgemein, Sein königliches Herrschen als Gebieter und Rettergott wobei Er diese Seine Herrschaft in den verschiedenen Zeiten und Haushaltungen in immer neuen Offenbarungsformen zur Durchführung bringt. Darum schließt der Ausdruck ‚Reich Gottes‘ das ‚Tausendjährige Reich‘ mit in sich ein, umfasst aber noch m e h r als dies. Nur der jeweilige Zusammenhang des Textes kann klarmachen, welche geschichtliche Erscheinungsform von Fall zu Fall im einzelnen gemeint ist.“

Zweifellos übt Gott im Himmel Herrschaft aus - also besteht dort ein „himmlisches Reich“. Als Gott sich durch die Propheten und schließlich durch Seinen Sohn um Israel mühte und dort eine gewisse (zwar durch Ungehorsam mehr oder weniger beschränkte) Herrschaft ausübte, war dieses Volk nach Mt 21:43 Träger des „Königreiches“. In demselben Wort aber kündigt Christus an, das „Reich Gottes“ werde von ihm genommen und einer Nation gegeben, die dessen Früchte bringen werde. Mit diesemWort deutet der Herr jene Wendung an, die dann nach Pfingsten in der Apostelgeschichte immer deutlicher in Erscheinung trat: die Juden sind von Gott beseite gesetzt, Heiden aber hören und glauben! (Apg 13:46; Apg 15:14; Apg 28:25-28). So ist heute die Auswahlgemeinde aus allen Heiden (Nationen) der Ort, wo Gott und Christus Herrschaft ausuüben, der Ort des „Königseins des Sohnes Seiner Liebe“ (Kol 1:13)*3.

Falsche und rechte „Reichsgottesarbeit
*3 Bevor man daher sich anschickt, solche zu schelten, die heute „Reichsgottesarbeit“ treiben wollen, untersuche man sorgfältig was darunter verstanden wird! Ströter unterscheidet zwischen falschen, d. h. verfrühten Zielsetzungen und rechter Auffassung heutiger „Reichsgottesarbeit“ mit den Worten:
“Wenn wir alle Arbeit der Gemeinde Jesu Christi als Reichsgottesarbeit insofern bezeichnen, als meinten wir damit das Reich Gottes darzustellen, so ist das grundfalsch. Aus derselben Quelle stammen viel christliche Reformbestrebungen auf sozialem Gebiet, welche sich die Aufrichtung des Reiches Gottes als Ziel gesetzt haben. Wir fragen weiter: „Ist die G e m e i n d e Gottes das Reich Gottes auf erden? Hat sie die Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass auf allen Gebieten des sozialen und politischen Lebens der Wille Gottes zum Ausdruck und Sein Reich zur Darstellung kommt? Müssten wir in diesem Zeitalter darauf hinarbeiten, dann würden wir ganz vergebliche Arbeit tun, denn seit 1900 Jahren Arbeit man daran ohne jeden Erfolg. Wir sind noch in keinem einzigen Dorf dahin gekommen, Reichsgotteszustände herzustellen....
Unsere Aufgabe erschöpft sich darin, die Gemeinde, den Leib Christi aufzubauen, lautet aber nicht, in diesem Zeitalter andere Zustände herbeizuführen. Die Arbeit, die geschieht zum Ausbau der Gemeinde, die ist wirklich Reichsgottesarbeit, so gewiss der Leib Christi eins der größten Departmenst (Abteilungen) im Reiche Gottes ist.“ (ERNST FERDINAND STRÖTER: Das Königreich Jesu Christi. Ein Gang durch die alttestamentlichen Verheißungen, S. 81; 85 = Verlag P. Ott Gotha 1906)

Eine ganz anders geartete Erscheinungsform des „Königseins des Sohnes“ wird dann das Reich der 1000 Jahre bringen: sichtbar irdisch, die Zustände auf Erden reformierend und die Menschen beglückend. Auch dieses Reisch aber ist nichts Endgültiges; das bleibende und wahrhaft unvergängliche Reich kommt erst, wenn nach 1Kor 15:24ff der Sohn dem Vater die gesamte Königsherrschaft übergibt, auf dass Gott alles in allen sei.

In unserer Arbeit verstehen wir unter „Reich“ die tausendjährige irdische Königsherrschaft Jesu Christi. Der Klarheit halber sagen wir lieber „Tausendjähriges Reich“ oder „messianisches Reich“ oder „irdisches Königreich Christi“ oder „tausendjähriges Königreich Christi auf Erden“.

Ebenso empfiehlt es sich, nicht einfach von „Gemeinde“ zu reden, sondern durch Zusätze kenntlich zu machen, ob eine der „Gemeinden“ des AT oder die „Gemeinde Gottes“ darunter zu verstehen ist, die in der Gegenwart als Auswahl aus den Nationen gesammelt wird; ob ferner eine Ortsgemeinde oder die Gesamtgemeinde der Glaubenden, welche Sein Leib und Seine Fülle ist (Eph 1:23), damit bezeichnet wird.

III. Das Gesetz der mehrfachen Erfüllung biblischer Weissagungen

Eine ganz entscheidende Frage für unsere biblische Untersuchung ist die, welche Weissagungen des AT (und der Bibel überhaupt) als bereits erfüllt, und welche als noch unerfüllt zu gelten haben.

Ganz gewiss gibt es eine Vielzahl von Weissagungen,die als erfüllt zu betrachten sind, z. Bl. alle jene, die sich auf das erste Kommen Christi, insbesondere auf Sein Leiden und Sterben, beziehen. Auf der anderen Seite sind noch weitaus mehr Verheißungsworte bis heute unerfüllt. So hat es z. B. bis heute noch nie eine Zeit gegeben, da von Jerusalem aus das Recht zu den Völkern kam und sie den Krieg nicht mehr lernten (Jes 2:2-4). Für unser Thema kommen, da wir das tausendjährige Königreich Christi ja nicht (gemäß der kirchengeschichtlichen oder vergeistigenden Deutung) in Vergangenheit und Gegenwart suchen, sondern es (in endgeschichtlicher Sicht) als noch z u k ü n f t i g betrachten, nur u n e r f ü l l t e Weissagungen in Betracht.

Nun ist es aber durchaus nicht so einfach, bei manchen Verheißungen zu entscheiden ob sie als erfüllt oder unerfüllt anzusehen sind. Dies hängt damit zusammen, dass es eine mehrfache Erfüllung biblischer Weissagungen gibt. Eindeutig erfüllt sind im Grunde nur die Worte der Propheten, die einen klaren, unzweideutigen Bezug auf ein bestimmtes in der Vergangenheit liegendes unwiederholbares Ereignis haben, wie z. B. auf Christi Kreuzigung. Ps 22:1 („Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“) und Ps 22:16b.18 desselben Psalms („Sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben .... Sie teilen meine Kleider unter sich, und über mein Gewand werfen sie das Los“) harren keiner weiteren Erfüllung mehr, da das Kreuz Christi sie ein für allemal erfüllte.

Anders steht es mit Weissagungen, die auf Geschehnisse Bezug haben, die sich im Lauf der Geschichte wiederholen. Weil Israel nicht einmal, sondern immer wieder seinem Gott widerstrebte, wurde es mehrmals unter die Völker zerstreut: die zehn Stämme des Reiches Israel um 721 v. Chr. nach Assyrien, die zwei Stämme des Reiches Juda ab 606 nach Babylon; im Jahre 70 n. Chr. folgte die Zerstreuung unter alle Nationen; eine weitere (mindestens teilweise) Zerstreuung der Juden ist u. E. noch einmal in der Endzeit durch den Antichristen zu erwarten.

Entsprechend der mehrfachen Zerstreuung gibt es auch eine mehrfache Sammlung und Rückführung: eine zur Zeit Esra und Nehemia, eine weitere in unserer Zeit, besonders seit dem Wiedererstehen des Staates Israel im Jahre 1948m und eine letzte beim Kommen des Königs.

Ähnliche Entsprechnungen in der Geschichte ließen sich nachweisen für Gottes Gerichte an den Völkern. Wo sind, wenn den Nationen Gericht angekündigt wird, vergangene Völkergerichte gemeint, wo solche der Endzeit oder gar des Tausendjahreichs? Da die Propheten oft ein in ihrer Zeit nahe bevorstehendes Ereignis und eine Wiederholung (vielleicht viel größeren Ausmaßes) in der Endzeit in e i n e m Bilde zusammenschauten, ist bei vielen Weissagungsworten eine mehrfache Deutungm zunächst auf die damalige Zeit und darüber hinaus auf die Endzeitm vom Text her nicht nur erlaubt, sondern geboten*4.

Die Doppelsichtigkeit vieler Weissagungen
*4 Ströter sagt zu der Weissagung in 1Chr 17:11-14, worin dem David ein Thronfolger verheißen wir, dessen Thron befestigt werden auf ewig: „Ist das Salomo? Ja, aber hinter Salomo in derselben Gesichtslinie steht ein Größerer als Salomo, denn dessen Königtum ist nicht befestigt auf ewig.
Kein Nachfolger Salomos hat das Reich ungeteilt bekommen; er selbst geriet in Vielweiberei und sank hinunter in Nacht. Damit verhindert würde dass wir jemals hierbei an Salomo hängenbleiben könnten, ließ Gott Sein Königtum gleich mit ihm selber zu Fall kommen. Dass wir über Salomo hinaus auf einen Größeren blicken müssen, dazu nötigt uns auch 1Chr 17:13,14 (vgl. Hebr 1:5). Hier haben wir den Schlüssel zu dem rechten Verständnis aller Weissagungen. Dieselben sind doppelsichtig: hier eine erstmalige Erfüllung in Salomo, dahinter, in denselben Umrissen, aber in ungleich größerem Umfang, eine zweite in der Erscheinung des Davidssohnes und eine dritte in dem Wiederkommen des erhöhten Jesus zur Aufrichtung Seines ewigen Königsthrones unter Israel. Die einzelnen Züge der verschiedenen Erfüllungen laufen zunächst in dem prophetischen Gesicht ineinander, und erst wenn man sie betrachtet von der Seite der geschichtlichen Entwicklung, kann man sie unterscheiden. Ähnlich ist es mit der Rückkehr der Juden aus dem babylonischen Exil. Diese ist zunächst eine vorläufige Erfüllung einer ganzen Menge von Weissagungen, aber dahinter liegt noch eine andere Erlösung des Volks, auf die die Weissagungen im letzten Grunde zielen.“ (ERNST FERDINAND STRÖTER: Das Königreich Jesu Christi. Ein Gang durch die alttestamentlichen Verheißungen, S. 17 = Verlag P. Ott Gotha 1906)
Und Karl Buchheim sagt in: „Das messianische Reich“ (Kösel-Verlag, München 1948): „... Selbst in den anerkannt messianischen Psalmen (Ps 2; Ps 72; Ps 100) ist der unmittelbar apostrophische König ... nicht der Messias, sondern ein wirklicher König Israels, jedoch als Typus und Transparent des im Untergrund seines Bildes erscheinenden Messiaskönigs.“ (Zitiert nach Pater Grün in „Heiland“, Februar 1953, Verlag Heinrich Braun, Eupen.)
Bietenhard (HANS BIETENHARD: Das tausendjährige Reich. Eine biblisch-theologische Studie, S. 143, Zwingli-Verlag, Zürich 1955) sieht folgende Schwierigkeit der Deutung alttestamentarischer Weisssagungen: „Es ist meistens unmöglichm genau anzugeben, welche alttestamentlichen Stellen für das Millennium (Tausendjahrreich), welche aber für das Reich Gottes (gemeint ist: die Neuschöpfung von Offb 21 und Offb 22) in Anspruch genommen werden können ... Vieles ist im AT auf eine Ebene projiziert - und als das Endgültige geweissagt - was in der Offb als ein Nacheinander auftritt.; Reich des Christus - Neue Schöpfung.“ Die letzter Beobachtung ist durchaus richtig; aber muss daraus den folgenden Schluss ziehen: „Daraus ergibt sich eben die Unsicherheit, wenn nicht Unmöglichkeit, der Verteilung der Weissagungen auf Millennium und Reich Gottes“? Die genannte „Unsicherheit“ ist sicherlich löblicher als ein allzu forsches oder gar willkürliches Kombinieren und Addieren von Bibelstellen des AT und NT; aber ob der Geist der Prophetie nicht auch über die Unsicherheit hinweghelfen und Licht schenken möchte? - Zur Sache selbst möchten wir sagen Die rechte „Verteilung der Weissagungen“ dürft so schwer nicht mehr sein, wenn man erkennt, dass das Tausendjahrreich als Reich der Vorvollendung sich durchaus auf den Linien der letzten Vollendung bewegt. Somit wird man in vielen Fällen sagen dürfen (Tempel, Lebenswasser, Eingehen der Nationen in die heilige Stadt, Überwindung von Sünde und Tod, Stadt Jerusalem u. a.): dies alles b e g i n n t im Millennium und findet seine dauernde V o l l e n d u n g im Reich der Neuschöpfung. Und wir möchten nicht nur diejenigen alttestamentlichen Weissagungen noch für für das Millennium gelten lassen - wie Bietenhard - die Offb 20 ausdrücklich aufnimmt, sondern alle, die nur irgend in einem irdischen Reich der V o r vollendung denkbar sind.
Die Tatsache, dass die alttestamentlichen Propheten das Tausendjährige Reich und die Zeit der Neuschöpfung in einem Bilde zusammen schauten - so wie sie auch das 1. und 2. Kommen des Messias zeitlich nicht unterschieden - ist uns im übrigen kein Beweis dafür, dass sie es in der Regel mit der endgültigen Vollendung zu tun gehabt hätten. Eher nehmen wir das Gegenteil an: Der Wanderer, der sich von fern einem Gebirge mit mehreren Gebirgszügen und dazwischen liegenden Tälern nähert, schaut zunächst auch nur einen einzigen Berg, er sieht alles als eine Einheit beisammen und erkennt erst beim Näherkommen die verschiedenen Gebirgskämme, Täler und Höhenzüge.
Immer aber schaut er das ihm Nächstliegende viel deutlicher und größer als das Dahinterliegende, ja er hält den vordersten Höhenzug für das Ganze, bis er beim Näherkommen eines Besseren belehrt wird. - So bleibt auch der Blick der alttestamentlichen Propheten in der Hauptsache am N ä c h s t l i e g e n d e n hängen: am Kommen des Messias zum Leiden (Jes 53 u. a.) und zum H e r r s c h e n (im Millennium). Nur gelegentlich und sehr spärlich (etwa in Jes 65 und Jes 66) nimmt der alttestamentliche prophetische Blick schon etwas Bestimmtes wahr von dem - im Bilde gesprochen - hinteren Höhenzug des prophetischen Gebirges, dem Reich der Neuschöpfung. In der Regel aber ist es das Einfachste und Natürlichste, anzunehmen, der Prophet des AT habe das messianische Reich = Millennium im Auge, soweit nicht zwingende Gründe (wie Jes 65:17) dafür sprechen, der Prophet habe gleichsam zwischendurch einen Gipfel des hinteren Höhenzuges erspäht.
Joh. Conrad bemerkt zu Jes 60:19.20: „Mitten zwischen den Worten über das irdische Jerusalem öffnet Gott dem Propheten plötzlich einen ganz neuen Horizont, lässt ihn in eine ganz andere Schöpfung hineinschauen, wo Sonne und Mond keinen Platz mehr haben. Doch kehrt die Rede sogleich zur Erde zurück, zum ‚Erdreich‘ (Dem ‚Land‘ Kanaan) mit den ‚alten Wüstungen‘ und ‚verwüsteten Städten‘ (Js 60:21) - gleich als wenn man im Schwarzwald plötzlich in der Ferne die weißen Alpenspitzen sieht, die gleich wieder vom Nebel verhüllt werden. So auch Jes 65:17ff.“ (JOHANNES CONRAD: Die irdische Zukunft Israels. Was sagt Gott? S. 35,36 - R. Brockhaus Verlag Wuppertal 1953)

Wenn man nun noch berücksichtigt, dass der Apostel Paulus einige alttestamentliche Weissagungen, die zunächst Israel gegeben waren, auf die Gemeinde Jesu heute anwendet (vgl. Jes 49:6 mit Apg 13:47; Jes 11:10 mit Röm 15:12; Hos 2:1 mit Röm 9:25.26), dass sich ferner auf der neuen Erde gewisse Züge des Tausendjährigen Reiches in verklärter und vollkommener Weise wiederholen, dann kann man mit Erich Sauer (ERICH SAUER: Gott, Menschheit und Ewigkeit S. 116 - R. Brockhaus Verlag, Wuppertal 2. Auflage 1955) insgesamt von einer „vierfachen Bedeutung der alttestamentlichen Reichsprophetie“ reden:

  1. geschichtlich-zeitgenössig - auf die alttestamentliche Umwelt der Propheten selbst;
  2. geistlich-vorbildlich - auf die Zeit der Gemeinde;
  3. buchstäblich-endgeschichtlich - auf Israel und die Weltvölker im kommenden Gottesreich der alten Erde;
  4. ewigkeitlich-endgeschichtlich - auf den neuen Himmel und die neue Erde.

Es wäre aber vorschnell, aus der Tatsache, dass das NT von einer geistlichen Erfüllung dieser alttestamentlichen Reichsprophetie spricht, den Schluss zu ziehen, dass damit ihre Vollerfüllung gegeben und keine weitere Letzt-Erfüllung mehr zu erwarten sei. Mit demselben Recht könnte man dann auch ihre Beziehung zur Ewigkeit und Vollvollendung leugnen, was aber niemand tut und worin in Wahrheit jeder gesunde Bibelausleger sogar ihren eigentlichen Hauptsinn sieht.“ (Soweit Erich Sauer)

Selbstverständlich trifft dieser vierfache Sinn nicht für jede einzelne Weissagung zu. Wie wir bereits sahen (und es auch E. Sauer bestätigt), haben einzelne Prophetenworte nur einen einfachen Sinn und eine einmalige Erfüllung, andere eine doppelte. Gibt es nun aber Anhaltspunkte, an die wir uns bei Lesen der Propheten halten können, um nicht willkürlich tatsächlich erfüllte Weissagungen wie unerfüllte zu deuten? E. F. Ströter hatte solche aus der Schrift gesammelt und veröffentlichte in seiner 1906 erschienenen Broschüre: „Das Königreich Jesu Christi“ folgende „Kennzeichen zur Unterscheidung der noch unerfüllten Weissagungen des AT von den erfüllten“:

  1. Alles, was erst nach der babylonischen Gefangenschaft geweissagt ist, kann nicht durch die Rückkehr aus Babylon erfüllt sein. So z.B. Sacharja.
  2. Unerfüllt ist, was deutlich einer z w e i t e n Widerherstellung angehört, z. B. Jes 11:11.
  3. Unerfüllt ist, was b e i d e R e i c h e, Israel und Juda, betrifft.
  4. Unerfüllt ist, was deutlich hinweist auf die ‚letzten Tage‘, d. h. auf die Zeit nach der ersten Erscheinung Christi.
  5. Unerfüllt ist, was i m m e r w ä h r e n d e Segnungen verheißt.
  6. Unerfüllt ist, was die Rückkehr aus Babylon an Zeichen, Wundern und anderen Merkmalen deutlich überragt (z. B. Mi 7:15).
  7. Unerfüllt ist, was aus dem neuen Bund, der mit ganz Israel im Land aufgerichtet werden soll, hervorgeht (Jer 31:31ff.).
  8. Unerfüllt ist, was mit dem Kommen und der Herrschaft des Königs in göttlicher Macht und Herrlichkeit zusammenhängt.

IV. Die Gefahr falscher Vergeistigung des Weissagungswortes

Eine falsche Vergeistigung (Spiritualisierung) trägt wohl die Hauptschuld daran, dass die Botschaft vom kommenden Königreich in der Verkündigung der Kirchen jahrhundertlang - bis in die Gegenwart - zu kurz kommen, ja als Irrlehre gebrandmarkt werden konnte.

Man unterschied nicht säuberlich zwischen A n w e n d u n g und A u s l e g u n g der alttestamentlichen Texte. Gewiss hat die Gemeinde Gottes nicht nur das R e c h t, sondern geradezu die P f l i c h t, auch das AT mit seinen Berichten, Gottesverheißungen, Drohanweisungen, Psalmen usw. zu ihrer Erbauung (Tröstung, Ermahnung oder Warnung) zu verwenden. Paulus fordert in 1Kor 10:1-11 und 2Tim 3:16 geradezu dazu auf, das AT in diesem Licht zu sehen und es praktisch a n z u w e n d e n.

Wenn nun aber auch die Gemeinde die alttestamentlichen Texte auf sich a n w e n d e n darf und soll, so bleibt doch der eigentliche Sinn davon ganz unberührt. Israel ist nicht die Auswahlgemeinde aus den Nationen, und diese ist nicht Israel. Irgendeine europäische oder amerikanische Stadt ist nicht Jerusalem, und irgendein Berg in der Völkerwelt nicht der Berg Zion. So sehr die praktische A n w e n d u n g der Israel gegebenen Verheißungen erlaubt und geboten ist, so sehr hat eine gesunder und schriftgemäße Auslegung darauf zu achten, an wen die Worte Gottes jeweils adressiert sind. Hier die Adressen beliebig zu vertauschen, Israel seine Verheißungen zu n e h m e n und der Kirche oder der Gemeinde Gottes zu geben, geht nicht an.

So hat auch der Apostel Paulus, wenn er Gal 4:21ff. den Bericht von Ismael und Isaak auf das irdische und himmlische Jerusalem anwendet und dabei das „jetzige Jerusalem“ mit Gesetzesknechtschaft in Verbindung bringt und seine Leser für Kinder des „Jerusalems droben“ erklärt, dem irdischen Jerusalem keineswegs sein Verheißungsgut rauben wollen. Dass die gemeinde geistige und himmlische Interessen hat, hebt die Tatsache nicht auf, dass das kommende messianische Reich sichtbare, irdische Züge trägt.

Bei der Vergeistigung des Tausendjährigen Reiches wird - wie wir im einzelnen noch sehen werden - aus dem Königreich Christi die Kirche oder ein unsichtbares Reich des Geistes oder das private Seelenleben, aus der ersten Auferstehung wird die geistige Auferstehung des Gläubigen in der Taufe, aus Israel wird die Nationengemeinde, aus Kanaan der Himmel, aus Weinstock und Feigenbaum geistlicher Genuss.*5

Gegen falsche Vergeistigung
*5 Sehr fein sagt ein F. H. R. Frank (zitiert in Bie/114) im Blick auf Israel: „Die einzige Tatsache, dass im NT, und wahrlich nicht nur Röm 11, von einer zukünftigen Bekehrung Israels die Rede ist, wirft alle Versuche, die alttestamentlichen Weissagungen konsequent zu spiritualisieren (vergeistigen), über den Haufen.“
Ebenso treffend ist das Wort von Joh. Conrad (Con/21): „Wer die Heimkehr Israels, den Wiederaufbau der zerstörten Städte, die Fruchtbarmachung des irdischen Kanaan nur in geistlicher Deutung gelten lässt, darf auch die verbannung Israels nach Babel, die ja als Strafgericht vorausgesetzt ist, nur geistlich deuten und löst die ganze Geschichte Israels in fromme Phantasie auf."
Und E.F. Ströter bemerkt: „Wir wollen nicht die Schrift meistern, sondern uns von ihr meistern lassen. Was w i r k l i c h und b u c h s t ä b l i c h zu nehmen ist, ist leicht zu erkennen. Die Auswahl der Bilder ist überall mit solcher Sorgfalt geschehen, dass wir keine Mühe haben, sie als solche zu erkennen. Z.B. ‚Aus Seinem Munde ging ein bloßes hauendes Schwert‘ - dabei wird keiner an ein meterlanges Stück Stahl denken, sondern die Bibel gibt uns selbst den Schlüssel für dieses Bild, da das Wort Gottes oft ein Schwert genannt wird. Es bedeutet also: ‚Aus Seinem Munde ging das lebendige Wort.‘ Durch den Kontrast der Bilder wird alles übrige umso wirklicher.
Das sollte uns in ein viel gründlicheres Schriftstudium treiben; S c h r i f t muss mit S c h r i f t verglichen werden. Die Bibel ist kein Mechanismus, sondern ein einziger großer O r g a n i s m u s, eine L e b e n s e i n h e i t. Die Schrift selbst ist der einzige Kommentar für die Schrift, der etwas taugt; alle anderen lassen uns im Stich.“ (Strö/23).

Gewiss waren die Chiliasten - wie man Menschen nennt, die in der Erwartung eines sichtbaren Tausendjährigen Reiches leben (von griech. chilioi = tausen= - an diesen Vergeistigungen nicht unschuldig, indem sie die Verheißungen der Schrift mit Vorstellungen ihrer Phantasie oder mit völkischen und politischen Hoffnungen allzusehr vermengten und damit eine Gegenbewegung geradezu herausforderten. Und doch standen sie dabei der Wirklichkeit dessen, was Gott mit Seinen Verheißungen meinte, immer noch viel näher als jene, die sie zu rein geistigen Genüssen oder Strafen verflüchtigten.

Mit Recht sagt Erich Sauer (Sa I/148): „Soll das Leibhafte etwa grundsätzlich ausgeschaltet sein aus den geistlichen Lebenswirkungen des Ewigen? Wie können wir hier ein ‚Entweder-Oder“ aufstellen, während die Heilige Schrift ein ‚Sowohl-als-Auch‘ enthält? Nein, im Gegenteil: Gehört es nicht gerade umgekehrt zu den E r f o r d e r n i s s e n eines wahrhaft lebensstarken Geistlichen, dass es auch das Leibliche ergreift? ... Ist nicht schon in unserer eigenen Einzelpersönlichkeit der Geist und die Seele zugleich l e i b gestaltendes Lebensprinzip? ... Die griechische Philosophie, besonders seit dem Aufkommen des Hellenismus, verkündete eine Spaltung der Natur mit Unterschätzung des Leiblichen - der Leib als Kerker der Seele, das Endziel darum nicht Erlösung d e s Leibes, sonder Erlösung v o m Leibe und also reine Geistigkeit ... Die Bibel aber vollzieht, als Volloffenbarung Gottes, eine harmonische Zusammenschau von beiden: von Geist und Natur in ihrer schöpfungsmäßigen Einheit, von Ewigkeit und Zeit, von Himmel und Erde, von Reich Gottes und Geschichte.“

Derselbe bemerkt zu den einzelnen Verheißungsworten der Schrift hinsichtlich ihrer wortwörtlichen, buchstäblichen Bedeutung (Sa I/123,124): „Unverkennbar ist die Erwartung eines sichtbaren Gottesreiches noch auf dem Schauplatz der alten Erde vor ihrer Auflösung im Weltenuntergang im AT und NT vorhanden. An Hunderten von Stellen ist davon die Rede. Sie alle ‚vergeistigen‘ zu wollen, ist eine exegetische (auslegungsmäßige) Sinnwidrigkeit. Die Verheißungen des e r s t e n Kommens Christi sind buchstäblich erfüllt. Christus kam buchstäblich aus Bethlehem (Mi 5:1), ritt buchstäblich auf einem Esel nach Jerusalem (Sach 9:9), wurde buchstäblich um 30 Silberlinge verraten (Sach 11:12) und am Kreuz buchstäblich an Händen und Füßen durchbohrt (Ps 22:17). Buchstäblich hat man um Seine Kleider das Los geworfen (Ps 22:19), buchstäblich wurde Seine Seite von einer Lanze durchstochen (Sach 12:10), buchstäblich wurden Seine Gebeine nicht zerbrochen (Ps 34:21). Wer berechtigt uns da, die oft im s e l b e n (!) Satz stehenden Verheißungen Seines z w e i t e n Kommens nun lediglich zu ‚vergeistigen‘ (z. B. Lk 1:31-33)? Wer gäbe uns das Recht, aus den Juden einfach Christen, aus Jerusalem die Gemeinde, aus Kanaan den Himmel zu mache? Hat je der ‚Thron Davids‘ nur im Himmel gestanden (Lk 1:32)? Nirgends lehrt die Schrift, dass der Bund Gottes mit Israel mit der Zerstreuung dieses Volkes unter die Nationen endgültig aufgehört habe ... Nein, eine ‚Vergeistigung‘ dieser aus freier Gnade gegebenen und offenkundig buchstäblich verstandenen messianischen Reichsprophetie und eine Übertragung derselben auf eine andere Körperschaft wäre nicht anderes als ein verschleierter Bundesbuch Gottes mit Israel. Das aber sei ferne!

Ganz offensichtlich erwartet die alttestamentliche Prophetie zwar vor allem eine g e i s t l i c h e Erneuerung und Bekehrung Israel. Auf diese nimmt im NT dann besonders Paulus Bezug. Desgleichen wird vornehmlich eine g e i s t l i c h e s Erneuerung der Völkerwelt angekündigt (Zeph 3:9; Jes 2:4). Aber ebenso ist eindeutig erkennbar, dass, nach dem unmissverständlichen Wortlaut zahlreicher Weissagungen, die Propheten zugleich mit einer endzeitlichen Rückführung Israels in das Land seiner Väter und seiner n a t i o n a l - t e r r i t o r i a l e n Wiederherstellung rechneeten (Jes 11:11 u. a.) In klaren Worten, die gar keine andere Auslegungsmöglichkeit zulassen, erklären sie, dass sie für die messianische Endzeit eine Wiedervereinigung vom Zweistämmereich und Zehnstämmereich und eine Herrschaft des Messias über das gesamte Zwölfstämmevolk in einem eigenen Staatssgefüge und in völkisch-nationaler Einheit erwarten (Hes 37:15-24). Sie verkünden es als göttliche Botschaft, dass die bis dahin Zerstreuten aus allen Gegenden der Welt zurückgeführt würden, und zwar in ‚ihr‘ Land (Hes 28:25), das Land ihrer V ä t e r (Jer 16:15), ‚dieses‘ (!) Land (Jer 32:41), das ‚Land Israel‘ (Hes 11:17), in das Land G i l e a d (!) und auf den L i b a n o n (!), also in die wohlbekannten, durch diese Worte unzweideutig bezeichneten geographischen Bezirke Vorderasiens, in denen Israel früher gewohnt hatte (Sach 10:10). Dass in diesen Worten zugleich m e h r gemeint ist als die Rückkehr aus Babel unter Serubabel (536 v. Chr.), beweist der jeweilige Zusammenhang.“

Wir bleiben also bei der wörtlichen, buchstäblichen Bedeutung eines Schriftwortes stehen, solange nicht die Bibel selbst uns nötigt, etwas als Bildrede (Gleichnis, Symbol, Allegorie) zu verstehen, oder sich aus der Bibel selbst ergibt, dass etwa eine Verheißung der Schrift sich nicht mehr an den ursprünglich gemeinten Empfängern, sondern an anderen Personen erfüllen werde. Eine nur geistige Auffassung dieser Stelle, zu der uns die Bibel n i c h t nötigt, lehnen wir ab.

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C. Das tausendjährige Königreich Christi nach der Schrift