Die Seelenvernichtungslehre

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Abschrift des Buches: Das Los der Toten
(gänzlich umgearbeitete Neuauflage von Auferstehung des Fleisches)

Verfasser: Pastor Samuel Keller
Verlag der Vaterländischen Verlags- und Kunstanstalt, Berlin 1913

Inhaltsverzeichnis Kapitel davor:
3. Die Wiederbringungslehre

4. Die Seelenvernichtungslehre

Für die meisten gläubigen Laien, soweit sie über solche Fragen nachdenken, scheint es nur das Entweder- Oder zu geben: Entweder bleibt man bei der Endlosigkeit der Höllenstrafen, weil das doch noch im allgemeinen für rechtgläubige Kirchenlehre gilt, und macht sich seine Privatmeinungen darüber in der Stille, - oder man tritt auf die Seite der Apokatastiker. Es gibt aber noch einen dritten Ausweg: die Seelenvernichtungslehre. Das soll heißen, dass die endgültig Verstockten am Jüngsten Gericht "die ewige Verdammnis“ erhalten, wie die Schrift an vielen Stellen deutlich sagt. Diese Verdammnis aber besteht nicht in endlosen Qualen, sondern in einer Art Vernichtung. Da Gott allein Unsterblichkeit hat, - der Menschenseele aber, die einen Anfang gehabt hat, auch ein Ende zukommt, weil sie nicht Unsterblichkeit als allgemeinen physischen Besitz ihr eigen nennt, - werden nur diejenigen, die das Heil in Christo ergriffen haben, dadurch vom ewigen Verderben errettet, und erhalten von Gott, der Quelle des Lebens, Anteil an seinem endlosen Dasein. Die andern, welche das Heil beharrlich abgelehnt haben, werden für immer vom Angesicht Gottes verbannt und müssen im andern Tod*) zugrunde gehen. „Das Aufhören der individuellen persönlichen Existenz dessen, der dem Zweck Gottes nicht entspricht.“

*) Biedermann, Dogm. II, 2. Aufl. S. 993: „Die Nichtverwirklichung der absoluten Bestimmung des Menschen zur Lebensgemeinschaft mit dem absoluten Geist ist innerer Tod. Dieser ist persönliche Schuld der fleischlichen Selbstbestimmung des Ichs, und Erweis der göttlichen Gerechtigkeit an ihm.“

Mt 7:13: Der Weg, der in das Verderben („Apoleia“) führt, im direkten Gegensatz zu „Leben“, das (nach Joh 17:2) der Gläubige erst erhalten muss durch Christum. „Apoleia“ wird Apg 25:16 von einem zum Tode Verurteilten gebraucht; - es ist also die Aufhebung der jetzigen Daseinsform. Beck sagt in der Christl. Glaubenslehre II. S. 750: „Der Tod ist dann nämlich nicht mehr bloß, wie jetzt, eine Aufhebung der leiblichen Daseinsform, sondern wie Mt 10:28 (Lk 12:4ff.) wie im Gegensatz zum Töten des Leibes es genauer bestimmt, eine über Seele und Leib ergehende Tötung in der Gehenna.... Die Persönlichkeit geht in der Apoleia verloren. Lk 9:25; 2Petr 2:12: sie werden aufgerieben in der Aufreibung ihrer selbst (2Thes 1:6ff.)“

Lk 20:36: „Sie können hinfort nicht mehr sterben“ - nämlich die Geretteten; - was liegt dann näher als der Schluss, dass die andern, die nicht würdig geworden sind der Teilnahme an der Errettung, noch sterben werden? Ähnlich Joh 11:25: Der nächste Gegensatz: also, „wer nicht glaubt, der wird sterben“. Da sich das erste mal das „Leben“ nicht auf den zeitlichen Tod bezieht, müsste auch Sterben sich auf einen andern Tod beziehen.

1Kor 1:28 und 2Thes 2:8 - Zunichtewerden des Teufels und des Antichristen.

Phil 1:28 und Phil 3:19.20 steht beide Male Apoleia als Geschick der Gottlosen, im Gegensatz zu der Errettung der Gläubigen durch Gnade und Glauben.

1Tim 6:9 stehen Olethros und Apoleia als Parallelbegriffe: Vernichtung und Verderben. 2Petr 2:1-3: schnelle Apoleia! und „ihre Apoleia“. 2Petr 3:6 steht das Zeitwort von dem Verderben der Welt durch die Sintflut und Vers 7: Gericht und Apoleia der gottlosen Menschen.

Offb 17:8: Das Tier wird fahren in die Apoleia. Ebenso Vers 11: „es ist nicht“.

Offb 20:14: Wenn Tod und Hades in den Feuerpfuhl geworfen werden (Paulus aber 1Kor 15 sagt, dass der Tod als letzter Feind „aufgehoben“, vernichtet wird), dann muss dieses Feuer sie vernichten. Als Erklärung steht bei dem Wort Pfuhl: Das ist der andere Tod. Aus dem kann es doch keine Auferstehung mehr geben. Für unser Verständnis hat „Tod“ als bloßer Vorgang des Sterbens auch keine zeitliche Ausdehnung; also läuft der ewige Tod wohl auf völlige Vernichtung hinaus. Dann kann es wohl heißen, dass dieses Feuer nicht erlischt; d. h. es gibt keine Änderung und Wiederherstellung aus dem verzehrenden Gerichtsfeuer mehr. Der andere Tod ist der letzte definitive Abschluss aller dieser Geschöpfe. Zu Vers 10 vergleiche, was wir über Ewigkeit oben ausgeführt haben. Offb 21:8 der andere Tod, Jud 1:12 „zweimal erstorben.

2Thes 1:9: Olethros aionios - ewiges Verderben, Vernichtung für immer.

Eine der wichtigsten Stellen, Mt 10:28, nannte ich schon. Wenn dort wörtlich steht, „Der Leib und Seele „verderben“ mag in der Hölle“, so steht das im vollständigen Gleichklang zu dem vorausgehenden „Töten“ des Leibes. Menschen können die Seele nicht töten, - Gott aber kann das!

Hebr 2:14: „Auf dass er durch den Tod den zunichte mache, der die Macht des Todes hat, das ist der Teufel.“ Also kann der Teufel sterben! Wo steht denn auch, dass Engel und Teufel, als Gottes Geschöpfe, denen er einen Anfang gab, nicht sterben könnten? Das würde ja den Dualismus verewigen gegen alle die Stellen, welche den letzten positiven Abschluss der Geschichte fordern. Dann würde der Teufel endlos wie Gott, und die Schrift dürfte nicht sagen: „Gott, der allein Unsterblichkeit hat....“

Hebr 10:27: „Der die Widersacher verzehren wird“. Weil doch offenbar von Geistern die Rede ist, die nach dem irdischen Tode das schreckliche Warten auf das Gericht durchmachen, kann dieses Verzehren nichts anderes sein als Vernichtung.

Alttestamentliche Sprüche, die in dieser Richtung zu deuten wären, gibt es viele, wie z. B. Mal 3:8; Ob 1:16 („sollen sein, als wären sie nie gewesen“), aber darauf dürften weder Freund noch Feind so viel Gewicht legen wie auf das Neue Testament, da die Lehrentwicklung über die Endfragen vor dem Kommen Jesu noch nicht abgeschlossen war. -

Wichtiger sind uns die Aussagen über das Los der Seligen, die den Schluss auf das Gegenteil bei Verdammten nahelegen:

Ewiges Leben in Christus

„Ewiges Leben haben nicht die Verdammten, sondern nur die Beseligten. (Joh 3:15; Joh 17:3 usw.) Hat Christus Leben und unvergängliches Wesen an das Licht gebracht (2Tim 1:10), so haben Ewigkeit des Lebens und Unvergänglichkeit überall (Röm 2:7; 1Kor 9:25.42ff.; 1Petr 1:4) nur die Beseligten. Der natürliche Mensch hat nicht schon „Leben“ im wahren eigentlichen Sinn in sich (Joh 5:40), sondern kann es allein aus Christo, als dem Träger göttlichen Lebens (Joh 5:26), empfangen. (Joh 11:25.26; Joh 8:51)... auf Vernichtung führen bestimmte Aussagen, wie die, dass die von Christo abgeschnittene und verworfene Rebe verbrennt (Joh 15:6), dass das "Gerichtsfeuer Gottes“ die Widersacher „verzehren“ wird (Hebr 10:27)...“ (Prof Lemme a. a. D.)

Es ist daher kein Wunder, dass die Anschauung, die Seelen der endgültig Verdammten würden nach dem Jüngsten Gericht der Vernichtung preisgegeben, weil sie vom einzigen Quell alles Lebens, von Gott, für immer abgeschnitten sind, sehr viele Anhänger unter Theologen und Laien gefunden hat.

So sagt C. M. Sheldon, der Verfasser des berühmten Buches: „In seinen Fußstapfen“: Ich habe nunmehr selbst den Glauben gewonnen, dass es wahrscheinlich ist, dass alle diejenigen, welche nie von dem göttlichen Angebot der Vergebung Gebrauch machen, diejenigen, welche nie an Christum glauben, und ihn als ihren Erlöser annehmen, werden vernichtet werden. Es scheint wahrscheinlich zu sein, dass die Bibel lehrt, dass das Wort „Tod“, wenn es auf die Seele angewendet wird, die sich fortwährend weigert, Buße zu tun, ein Tod ist, der die gänzliche Auslöschung bedeutet. Ich kann der Anwendung solch einer Schriftstelle, wie wir sie heute zur Betrachtung haben, keine andere Auslegung beimessen, die weniger bedeutet, als dass „der Lohn der Sünde der Tod ist“. Was bedeuten diese Worte, wenn nicht klar und deutlich, was sie sagen: - die Auslöschung des Lebens, das gänzliche Ausgehen der Flamme, von der Gott wollte, dass sie höher und klarer, und reiner aufsteige auf dem Altar menschlicher Anbetung seines Schöpfers und Erlösers!“

Ähnlich urteilen John Locke, H. Dodwell, Richard Rothe B. Weiß (ewige Verdammnis ist gleich ewigen Verbleiben im Tode) Köstlin, Dorner, Glaubrecht, Plitt, Häring, Wendt, Kirn, Reischle, Schaeffer u. a. m.

Zerstören, Vernichten, Auflösen

1Jo 3:8 steht: „Hierzu ist der Sohn Gottes geoffenbart worden, auf dass er die Werke des Teufels zerstöre (vernichte).“ Es müsste also gefolgert werden können, dass ein Zeitpunkt eintritt, wo die Werke des Teufels nicht mehr vorhanden sind. Denn Jesus will doch nichts halb tun! So lange es einen Qualort voll geplagter Teufelsanhänger gibt, ist das nicht der Fall; so lange der Teufel weiter existiert, und sein Werk der Menschenvergiftung in seinen Opfern weiter besteht, hat Jesus nicht gesiegt. Somit würde diese Schriftstelle der Seelenvernichtungslehre (oder der Wiederbringungslehre) zustimmen. Unsere Gegner bestreiten den Begriff des Zeitwortes „lueein“ Apg 13:43 steht das Wort aber vom Schluss einer Versammlung, - sie war aufgehoben, zu Ende; Joh 10:35 von dem „Auflösen“, zunichte machen der Schrift, Eph 2:14 vom „Abbrechen“, und damit endgültigen Beseitigen des Zaunes, Apg 27:41 vom Zerschellen, Vernichten des Schiffshinterteils, 2Petr 3:10-12 vom Auflösen, Verbrennen der Weltelemente. Sind das nicht alles deutliche Belege, dass das Wort "zerstören, vernichten" heißt? (Ich habe diese Stelle nur als Schulbeispiel hergesetzt! In einer anonymen Schrift, „Die Vernichtungslehre“ aus dem Englischen übersetzt, Siegen in W., werden gerade diese Stellen zum Beleg dafür angeführt, dass lueein nicht zerstören bedeuten könne)!

*) In derselben Schrift lässt der Verfasser einem Gegner das Wort in folgenden, wie mir scheint, unanfechtbaren Sätzen: „Das hier Verzeichnete findet nach dem tausendjährigen Reich statt, und zwar nach dem Endgericht, und nachdem der Tod und der Hades in den Feuersee geworfen worden sind, wo sie verzehrt werden. Erst dann wird Gott jede Träne von den Augen der Menschen abwischen; das kann aber nie sein, wenn sie auf immerdar in der Hölle weinen und wehklagen sollen. Dann wird auch kein Schmerz mehr sein; dass kann aber nie eintreten, wenn Sünder in alle Ewigkeit so außerordentliche Qualen leiden müssen. Dann wird auch der Tod nicht mehr sein; das kann aber nie zustande kommen, wenn die Gottlosen einen nimmer endenden Tod zu erdulden haben. Wir sehen daher, dass die heutige Theologie dem Worte Gottes zuwider läuft. Dennoch ist gewiss, dass zu der Zeit, von der Gott hier redet, trotz der Theologie des Menschen weder Tränen, noch der Tod, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz mehr im Himmel, auf Erden und in der Hölle sein werden. Diese völlige Abwesenheit der Tränen, der Schmerzen und des Todes ist dann eine vollendete Tatsache, nicht nur was den Himmel anlangt, sondern auch die Erde und die Hölle; denn alles Böse wird dann vernichtet sein.“

Der Hauptpunkt bleibt hier nur die Frage: Hat der Mensch, der nicht durch den Heiligen Geist mit Christus, dem Leben, vereinigt worden ist, rein von Natur eine endlose Existenz, eine wirkliche unvertilgbare Unsterblichkeit, dann könnte trotz aller mächtigen Schriftstellen, die für eine Vernichtung sprechen, nicht mehr die Rede von einer Seelenvernichtungslehre sein. Das aber kann aus der Schrift nicht bewiesen werden. Es ist vielmehr eine, aus der heidnischen Philosophie erst in die christliche Begriffswelt eingeschmuggelte Vorstellung. Was einen Anfang hat, muss auch ein Ende haben können. Im Paradies hat Gott gedroht: „Ihr werdet sterben“ - und die Schlange log: „Ihr werdet mitnichten des Todes sterben“.... also unsterblich sein trotz der Sünde!

Wenn unsere Gegner immer wieder an der buchstäblichen Auffassung vom Feuerpfuhl (Offb 20:10) festhalten, dann gibt nichts ihnen das Recht, Offb 14:10 nicht ebenso buchstäblich aufzufassen. Wollen sie hier auch behaupten, dass Jesus und seine Engel in alle Ewigkeit die ununterbrochenen Augenzeugen der Qualen der Verdammten sein müssen? Das wäre für sie auch Hölle! Wann wird man den bildlichen Charakter solcher Stellen endlich zugeben und damit aufhören, auf eine einzige, ganz unvorstellbare Bildrede hin Lehrgebäude zu errichten, die dem Sinn der übrigen Schrift total fremd gegenüberstehen? Ebenso wenig wie die „ewige Erlösung“ in alle Endlosigkeit darin bestehen kann, dass weiter und weiterhin immerfort erlöst wird, sondern dass die Erlösung für alle Zukunft unabänderlich fertig ist, - ebenso wenig kann das „ewige Gericht“ in fortwährender neuer Verurteilung bestehen, sondern es ist den Verdammten einmal das Urteil gesprochen, das nie mehr aufgehoben wird. Dieses Urteil schließt sie von Gott und dem Leben für immer aus; darum gehen sie zugrunde. Warum man dann nicht zugeben will, dass „ewige Verdammnis“ eine „ewige Strafe“ sei, auch wenn die Bestraften an ihrer Strafe sterben, sehe ich nicht recht ein.

Unsterblichkeit der Seele

Wiederholt haben mir meine Gegner als stärksten Beweis für die Unsterblichkeit der Menschenseele vorgehalten: Dass die Menschen nach dem Ebenbild Gottes geschaffen seien, enthielte schon ihre Unvergänglichkeit. Darauf antwortet Prof. Lemme a. a. D. S. 61: „Entweder hat die Gottebenbildlichkeit den Inhalt, dass die Menschenseele von Natur göttlich ist, und das würde die Apokatastasis ergeben; oder sie ist es nicht von Natur, sondern wird es erst durch die Gabe des Heiligen Geistes, und dann ist kein Grund, einzusehen, weshalb die Seele, die nicht wie Gott von Ur an war, sondern sein Geschöpf ist, also einen Anfang gehabt hat, endlose Dauer haben müsse, und nicht im Endgericht der Vergänglichkeit verfallen könne. Die wenigsten verdeutlichen sich, dass die Unsterblichkeit der Seligkeit, und die Unsterblichkeit der Unseligkeit in sich ganz verschiedener Art sind. Die Seligkeit besteht in der vollendeten Gemeinschaft mit Gott, und dass in ihr auch ein Teilhaben an seiner Unendlichkeit begriffen ist, hat seinen Grund in der Ausstattung mit dem Heiligen Geist, welche den mit Gott, durch Christum Vereinigten, zuteil wird. Dagegen die Unseligkeit ruht auf Geistlosigkeit und Geistwidrigkeit, ist Losgetrenntsein von der Gemeinschaft mit Gott, beim Wissen von ihm Verworfensein von seinem Angesicht in der Unfähigkeit der Erhebung zu ihm, schließt also ein Teilhaben an seiner Unendlichkeit aus.“

Und S. 64: „Ist nach dem Zusammenhang der Schriftanschauungen Vergeistigung des Alls, in der Gottes Selbstheiligung an der Welt zum Vollzug kommt, das Ende der Wege Gottes, so kann die Weltentwicklung nicht in einen endlichen Dualismus ausmünden, wie auch nach Dorner, 'irgendwie dafür gesorgt sein muss, dass nicht, statt der Vollendung unseres Schöpfungskreises, durch gottfeindliche Mächte ein Dualismus verewigt werde.‘ Das Endgericht muss also auch die Hölle aus der Welt ausscheiden. Wenn auch Beck eine Ausscheidung der Verdammten aus dem Weltverband, wenn die Welt der Heiligkeit und Seligkeit realisiert wird, fordert (747), was soll man sich darunter anders als ihre Vernichtung vorstellen? Mag sie nicht plötzlich durch einen Machtspruch, sondern allmählich in selbstvernichtender Qual erfolgen, jedenfalls schließt der neue Himmel und die neue Erde, als die Lebensstätte der Auferstehung, das Seufzen der Unseligen nach Offb 21 aus. Darin hat Riemann recht: ‚Es gibt nur eine Alternative, unter deren Voraussetzung der Dualismus wirklich überwunden erscheint: die Bösen müssen schließlich entweder überhaupt vernichtet sein, oder sie müssen innerlich überwunden, d. h. bekehrt und mit Gott vereinigt sein.‘ (S. 87). Für die letztere Eventualität aber trifft Becks Urteil (S. 749): ‚Erwägt man, dass gerade die leichtsinnige, gedankenlose Menge unschwer dahin zu bringen ist, an eine allgemeine Begnadigung zu glauben, dass sie in natürlicher Konsequenz eine ewige Verdammnis provoziert, so ist dies für jeden, welcher die Natur der Wahrheit und des Irrtums, des Geistes und des Fleisches kennt, ein Zeichen, auf welchem Boden solcher plausible Aller-Welts-Glaube wurzelt." -

Der andere Tod

Gehen wir nur noch einmal auf Offb 20:14 zurück: „Der andere Tod“. Tod heißt doch für gewöhnlich das Aufhören des Lebens; wie kann dieses Wort dann hier plötzlich eine immerwährende Existenz bedeuten? Röm 6:23: der Tod ist der Sünde Sold, Jak 1:15; Ps 7:10; Ps 37:20.38; Ps 49:21; Ps 92:8: „sie werden vertilgt werden immer und ewiglich“, Spr 10:25; Mt 3:12: „verbrennen mit ewigen Feuer“, Joh 3:36; Mt 16:26; Lk 9:24-25. Wenn das Feuer Offb 20:14 der andere Tod genannt wird, so konnte man eigentlich nicht auf den Gedanken kommen, dass dasselbe die ihm Übergebenen erhalten und vor dem letzten Sterben bewahren werde, wenn man nicht aus Offb 20:10 das Weiterquälen noch im Sinn gehabt hätte. Und um dieser einen Zeile willen bäumt man sich gegen so viel Schriftwahrheit und so viel einleuchtende Gründe auf!

Soll Offb 21:5 wirklich erfüllt werden: „Siehe, ich mache alles neu!“ dann hat in dieser neuen Welt die alte Hölle keinen Raum mehr. Hat der erste Tod das irdische Leben abgeschlossen, dann kann der andere Tod nur die geistige Fortexistenz des Verstockten abschließen, wie ihn Dorner beschreibt als: „Zerstörung der Seele oder doch durch gänzliche Trennung von dem heiligen Gott das Erstarrt- und Erstorbensein der Seele für das Göttliche überhaupt, also geistige Trümmerhaftigkeit.“

Wie wir uns dieses letzte Stadium der Verdammnis vorstellen sollen, entzieht sich unserer Erkenntnis. Man möchte meinen, Gott brauche die Verstockten nicht durch eine neue Katastrophe zu vernichten, sondern die von ihm für alle Ewigkeit gänzlich Abgeschnittenen nur ihrem Zustand der Selbstzerreißung und Selbstzermürbung, in jetzt vergeblichen Reue- und Verzweiflungsqualen zu überlassen, so muss die Vernichtung eintreten. Draußen von der ganzen neu gewordenen Welt ausgeschlossen, in grausiger Umgebung ähnlicher Geister, in abstumpfenem Schmerz über die verscherzte Seligkeit, gehen früher oder später diese Unseligen zugrunde, dass ihrer an dem Ort der Geretteten nicht mehr gedacht werden kann: „als wären sie nie gewesen“. Weil Gott ihr Gedächtnis ausgetilgt hat (Jer 17:13: „die Namen der Abtrünnigen müssen in die Erde geschrieben werden“ und sind mit dem Untergang dieser alten Erde vergangen!) und ihrer nicht mehr gedenkt, wird auch keiner von denen, in denen jetzt Gott „alles in allen“ ist, ihrer mehr gedenken können. Das „Ausrotten“ der Gottlosen,*) das im Alten Testament mehrfach angedroht worden war („des Seele soll ausgerottet werden“ - achtzehn mal allein in den fünf Büchern Mose!) wird buchstäblich nach allen Seiten hin eingetreten sein.

*) Spr 13:9: Die Leuchte der Gottlosen wird auslöschen; vergl. Spr 20:27, wo des Menschen Geist eine Leuchte genannt wird, - deutet die völlige Vernichtung an!

Joh. P. Lange gibt selbst zu, obschon er die Vernichtung nicht direkt lehrt: „Eine Art von Vernichtung geben wir allerdings zu. Die Bösen haben in der Regel in der Konsequenz ihrer Weltlichkeit in diesem Weltleben das Übergewicht über die Frommen. In der Erneuerung der Welt aber werden sie jedenfalls von allem Weltschein entkleidet, reduziert nach Maßgabe ihrer göttlichen Anlage, und insofern furchtbar ausgezogen und dem Nichts entgegengeführt. Auf der Grenze aber zwischen dem Sein und dem Nichts schweben alsdann die letzten der Geister, in denen sich der vollendete Triumph des Seins über das Nichts verwirklich hat, Existenzen, die sich mit dem Nichts berühren, sozusagen individualisierte Nichtse, die jedoch der Diamantenstaub waren, mit dem Diamanten geschliffen wurden, und deren Qual sich nun ebenso unendlich dehnt, wie sich unendlich verflacht.“

Was ist aber „unendliche Verflachung“ anders als völlige Vernichtung? Ein wirkliches, freiwollendes, wertvolles Personenleben kann da nicht mehr bestehen, wo die Licht- und Lebenszufuhr Gottes dauernd abgeschnitten ist. Auch die Leute, welche sich einen unsterblichen Geist in endlosen Qualen wirklich vorstellen wollen, müssen zugeben, dass, wenn von Gott ihm nichts Neues mehr zuströmt, er verdumpfen und abstumpfen muss. Das Ende ist Zerfall und Verfall aller Gaben und Kräfte. Ihre Sünde war die Ichsucht gewesen; - jetzt sind sie auf sich selbst allein gestellt und müssen an sich selbst zugrunde gehen. - Man könnte mit Prof. Lemme a. a. D. sagen: „Die Lehre von der endlichen Vernichtung der Hölle beim Endabschluss der Dinge ist also die gradlinige Fortsetzung der altüberlieferten Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen.“

Zusammenfassung

Ich möchte nur noch kurz zusammenfassen. Die Einwände, die wir gegen die Endlosigkeit der Höllenstrafen und die Wiederbringungslehre, aus der Schrift und sachlicher Erwägung erhoben hatten, fallen bei der Seelenvernichtung der Verdammten fort. Es bleibt mit vielen Schriftstellen, die für die ewige Verdammnis zeugten, bei dem ganzen furchtbaren Ernst: Es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Wer seine Gnadenzeit auf Erden verscherzt hat, und unbußfertig sich selbst verstockt hat, so dass er die Sünde wider den Heiligen Geist begangen hat, verfällt nach dem irdischen Tod dem schrecklichen Warten auf das letzte Gericht, und wird dort zum fürchterlichen Zugrundegehen verdammt. Dem Menschengeist, der auf Leben und Entwicklung, auf sittliche Vollkommenheit und vollendetes Glück in der Gemeinschaft mit Gott angelegt ist, muss diese Perspektive entsetzlich genug sein, - wenn er überhaupt noch für solche Vorstellung zugänglich ist. - Von der Wiederbringungslehre bleibt der positive Abschluss der Geschichte, dass Gott sein wird alles in allen; denn jene Ausgeschlossenen existieren bald überhaupt nicht mehr. Dabei fällt der Einwand, den wir gegen die Wiederbringunglehre erhoben hatten, dass sie das Christentum auf Erden lähmt, und um seine sittliche Stoßkraft bringt, hier fort, weil die Vorstellung entweder eine endlose Herrlichkeit oder jenes stumpfe Zugrundegehen vor sich zu haben, Spannkraft und Energie genug auslöst, sowohl im Blick auf sich selbst, als auf andere, die man liebt. -

Nach der Darlegung der drei Möglichkeiten - Endlosigkeit der Höllenqual, Wiederbringung aller und Vernichtung der Gottlosen - möchte ich in aller Bescheidenheit eine Bitte aussprechen: man möchte doch nicht so tun, als ob nur die alte Auffassung von der Endlosigkeit „gläubig“ und „biblisch“ sei und hören auf uns, die wir nicht leichtsinnig, sondern nach jahrelangem Schriftstudium einer anderen Auffassung uns zuwenden mussten, des Abfalls und des Unglaubens bezichtigen. Alle drei Möglichkeiten kann man aus der Bibel herauslesen, wenn man sich gegen die Schriftstellen mit Energie wappnet, welche das Gegenteil andeuten. Vielleicht hat Gott nach seiner Weisheit das zugelassen, damit die verschiedensten Individualitäten in ihrem Wesen durch den Ausblick des Endes so berührt werden, wie sie es brauchen. Wahrscheinlich gab es Zeiten und Menschen, wo die massive Vorstellung von endloser Qual pädagogisch wirken konnte, - wie das Gesetz vor der paulinischen Auffassung von Gnade und Glauben seine wichtige heilsökonomische Aufgabe hatte, die wir nicht mehr so empfinden, wie es der rabbinische Jüngling zu Tarsus noch mit elementarer Wucht gespürt hat. Vielleicht gibt es andere, weiche und zarte Gemüter denen der bloße Wiederbringungsgedanke allein Beruhigung und Entspannung gewähren kann, ohne dass sie die Schädigung durch ihn an sich erfahren, die wir für die christliche Kirche im Ganzen befürchten. Dass ich nur der dritten Auffassung zuneige, brauche ich nach meinen Darstellungen nicht mehr zu betonen. Für welche von den drei Möglichkeiten man sich entscheidet, wird von der Gesamtauffassung der andern, im Vordergrund des Interesses stehenden christlichen Lehrfragen, abhängen, wie man vom Wesen Gottes und des Menschen, der Sünde und dem Heilswerk Christi denkt! -

Lies weiter:
5. Das unvergängliche Leben