Die Wiederbringungslehre

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Abschrift des Buches: Das Los der Toten
(gänzlich umgearbeitete Neuauflage von Auferstehung des Fleisches)

Verfasser: Pastor Samuel Keller
Verlag der Vaterländischen Verlags- und Kunstanstalt, Berlin 1913

Inhaltsverzeichnis Kapitel davor:
2. Die Endlosigkeit der Höllenstrafen

3. Die Wiederbringungslehre

Um den unerträglichen Konsequenzen der Lehre von der Endlosigkeit der Höllenstrafen zu entgehen, gibt es nur zwei Auswege, und wie mich meine Unterhaltungen mit mehreren Tausenden von positiven Pfarrern und gläubigen Gemeinschaftsleuten gelehrt hat, haben die allermeisten auch schon einen von beiden für ihr Denken ausgewählt: entweder die „Apokatastasis panthon“ - die Wiederbringung und Beseligung aller, auch des Teufels - oder die letzte Vernichtung der Verstockten: die Seelenvernichtungslehre. Haben wir zwischen diesen beiden zu wählen, so müssen wir ihre Begründungen kennen und vergleichen. In diesem Abschnitt sehen wir zuerst alles an, was sich für und wider die Wiederbringungslehre sagen lässt.

Fangen wir wieder mit dem Schriftbeweis an! Der Ausdruck „Apokotastasis panthon“ (Herrichtung, Wiederbringung von allem) steht bloß einmal Apg 3:21 und hat hier, wie sich jeder Leser aus dem Zusammenhang überzeugen kann, einen ganz anderen Sinn: die Erfülllung der Weissagungen. Von einer Allseligkeitslehre ist da nicht die Spur, und man hätte eher ein Recht, zu sagen, „dass die Zeitgenossen Jesu und seiner Apostel den Begriff Apokatastasis ganz eng jüdisch-national verstanden haben, nämlich von der äußerlichen Wiederherstellung des Reiches Israel in neuer messianischer Herrlichkeit“. (Rieman, Lehre von der Apokatastasis 2. Aufl. S. 22.) In den Worten Jesu findet sich keine Andeutung einer solchen Lehre, die wir schon in den vorigen Kapiteln sahen und im nächsten noch dartun wollen, eher das Gegenteil.

Paulus als Kronzeuge

1Tim 4:10: Gott - der Retter aller Menschen.... muss nicht notwendig im Sinn der Allseligkeitslehre gefasst werden, sondern kann auch heißen, dass ohne Gottes Mitwirken kein Mensch gerettet werden könnte. -

2Kor 5:17-18 kann vielleicht hierher passen, obschon der Ausdruck „es ist alles neu geworden“ nicht ohne weiteres sagt, dass alle Menschen gerettet werden müssen. Wenn sie nach dem letzten Gericht zugrunde gegangen sind, existieren die Verstockten nicht mehr und stören das Bild der Neuordnung aller Dinge nicht mehr*)

*) Ähnlich sehe ich 1Jo 2:2; Joh 3:17; Joh 5:22 an, sowie Joh 12:31. Man braucht das Wort „alle“ nicht zu pressen.’'

1Kor 15:27 und Hebr 2:8 klingt nach Unterwerfung aller. Aber da ist nicht gesagt, dass diese Unterwerfung in Rettung und Beseligung aller besteht. Auch der vernichtende Tod ist unterworfen.

Röm 5:18-19 wird gern so verstanden, als ob „alle“ und „viele“ sich deckten. Zwingend scheint mir der Schluss nicht zu sein. Wenn man will, kann man ebenso viel vernünftigen Auslegern sagen: Die Vielen sind im Gegensatz zu den Allen gerade so und nicht anders genannt, weil es eben nicht wieder alle sind.

1Kor 15:22 werden wir in der Auslegung des neunten Kapitels besprechen und es ist zuzugeben, dass diese und mehrere andere Aussprüche nachher allerdings auf die allgemeine Errettung hindeuten können. Aber solchen Stellen stehen wieder diejenigen Aussprüche Pauli gegenüber, wo man doch das Wort „alle“ unmöglich in so absolutem, universalistischen Sinn deuten kann; so Röm 1:8 „alle Welt“ - eine den wirklichen Tatsachen doch wenig entsprechende rhetorische Übertreibung die dem Hochgefühl des Heidenapostels entstammt, aber nicht auf die Goldwaage gelegt werden darf. Ebenso Röm 10:18 und Kol 1:6. Und erst recht Mt 17:11ff.

Eph 1:10 und Kol 1:20 sprechen auch für Apokatastasis. Ebenso 1Tim 2:3-7. Ich gesteht, dass die letzte Stelle den stärksten Klang bringt. Ist Gottes Wille wirklich auf die Rettung aller Menschen gerichtet, dann fragt es sich eigentlich nur, ob Gott sich nicht selbst dadurch eine Grenze für den universalen Rettungswillen gezogen hat, dass er kein Geschöpf gegen dessen bewussten verstockten Widerstand mit Anwendung von Zwang selig macht.

Phil 2:100-11 würde ich nicht so unbedingt als wichtiges Zeugnis für die Apokatastasis heranziehen, wie die Vertreter dieser Lehre tun; denn auch zähneknirschende Feinde können, ohne ihren Widerstand aufzugeben, dazu gebracht werden, dass sie ihre Knie vor dem letzten Sieger beugen und ihre Zungen bekennen, dass er der Herr sei. -

Wem der Schriftbeweis nicht genügt, der kann doch nicht leugnen, dass hier eine Reihe von Schriftstellen auftreten, die mit den andern von dem dualistischen Ausgang der Menschheietsgeschichte nicht in Einklang zu bringen sind.

Die Lehre Origenes

Origenes ist der eigentliche Urheber dieser Lehre, aber der platonische Einschlag lässt sich bei diesem vielseitigen Theologen, der in verschiedenen Farben schillert, auch sonst nachweisen. Ist nach platonischer Auffassung die Seele des Menschen auch, abgesehen vom irdischen Leib, selbstständig und frei, etwas ganz für sich immer Existierendes, dann ändert das die ganze biblische Auffassung. „Liegt nämlich das Wesen des vernünftigen Geschöpfs in der Freiheit, die eine von der göttlichen Kausalität völlig losgelöste Kausalität selbstbewusster Selbstbestimmung, auch nach der Lösung der Seele vom Leibe nicht aufhören. Und verbindet sich mit der pelagianischen Freiheitslehre, die aus Indien stammend, im Christentum weit verbreitete, auch von Pythagoras und Plato fortgetragene Lehre von der Präexistenz der Seelen, die zur Strafe für ihre, vor der Erdenexistenz begangenen, Sünden in Leiber eingeschlossen sind, so ergab sich ihm von selbst die Vorstellung, dass auch nach dem Tode des Menschen die Freiheit der Willensbestimmung unaufhörlich mit seiner Natur verbunden ist. Dann schließt freilich auch die Seligkeit des Himmels - ein absurder Gedanke - die Möglichkeit des Fallens nicht aus. Dann aber ist selbstverständlich auch in der Unseligkeit die nachträgliche Entscheidung für das Gute nicht aufgehoben. Und so lehrte denn Origenes, dass die Unseligen durch die Strafe, deren Zweck die Besserung sei zur Umkehr gebracht, und darum alle vernünftigen Seelen, die einen früher, die andern später, der Seligkeit zugeführt werden würden. Von dieser endlichen Beseligung aller sind auch der Satan und die Dämonen nicht ausgeschlossen, nur dass, je schwerer die Versündigung gewesen ist, desto länger dauernd und empfindlicher auch die Strafe sein wird. Aber nach Origenes „ist immer das Ende den Anfängen gleich.“ Der Ausgang allen Lebens liegt in Gott. Wie alles Leben aus ihm geflossen ist, muss es in ihn zurückkehren. Sind die Seelen ursprünglich von Gott gut geschaffen, so müssen sie einmal aus den reinigenden Züchtigungen zu dem Quell des Lebens zurückkehren.*)

*) Lemme, Endlosigkeit und Verdammnis, S. 17

Seit Origenes ist denn auch der Gedanke an eine Beseligung aller nicht mehr ganz in der Kirche verstummt; Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz, Scotus Erigena und andere tragen dafür ein. Schwarmgeister verschiedenster Färbung haben, ebenso wie ernsthafte positive Theologen, diese Lehre wieder und wieder in den verschiedensten Formen und mit verschiedenen philosphischen Begründungen vertreten. So z. B. die ehrwürdigen Väter des alten württembergischen Pietismus, Oetinger und Bengel; nach ihnen Jung-Stilling, Michael Hahn und Blumhardt, Schleieracher, Beyschlag, Schweizer. Der selige Gabri wurde seinerzeit von einem Pfarrer im Rheinland gebeten, entweder diese Lehre wegzulassen oder auf seine Kanzel zu verzichten. Darum gilt es bei manchen Vertretern dieser Lehre bis auf den heutigen Tag, dass man sie wohl für sich, und im geschlossenen Kreis geförderter Christen, nicht aber öffentlich vortragen solle.

Ich habe schon vorher bei den einzelnen Schriftstellen darauf hingewiesen, dass man zu solcher Annahme nur gedrängt wird, wenn das Wort „alle" in jedem Fall gepresst wird, bis es keine Ausnahmen von dem Hauptplan Gottes und seiner Verwirklichung mehr zulässt. Wir glauben auch, dass Jesu Heilswerk „einen allgemeine Zweck für die Gesamtheit der Menschheit“ hat, aber damit sind alle die Schriftstellen einfach totgeschlagen und ausgelöscht, die davon reden, dass Unglauben und Verstockung schließlich doch vom Genuss des Heils ausschließen müssen. Wäre das nicht der Fall, dann hätte das Evangelium seinen tiefsten Ernst verloren! Wenn zum Schluss doch alle gerettet werden, - alle, auch die sich im Geisterreich bis zum Jüngsten Gericht gegen die Gnade verstockten, - dann sieht man nicht recht ein, warum das Heilswerk Jesu und die persönliche Stellung des Einzelnen dazu so ungeheuer wichtig sein sollen. Alles ist ja dann nur eine Frage der Zeit.

Wie soll sich aber der Umschwung nachher erklären? Auf Erden wiesen die Verstockten die Gnade ab, im Zwischenzustand haben sie sich in ihrem bösen Willen nur noch befestigt und sich auch im Jüngsten Gericht nicht von Herzen dem Urteilsspruch gebeugt. Einen zweiten Heiland, eine neue Heilstat Gottes, eine gesteigerte Gnaden- und Geisteswirkung, eine totale Umgestaltung ihrer Willensrichtung, - alles das klingt so unbiblisch und so unlogisch, dass es schwerfällt, daran zu glauben. Der Bußruf des Evangeliums hat nur einen Sinn, wenn man voraussetzt, dass er eine wirkliche Errettung aus einem wirklich endgültigen furchtbaren Verderben im Namen Gottes anbieten kann und will. -

Scheinbare Widersprüche

Über nachstehend aufgeführte Schriftworte, die sich der Wiederbringungslehre wie ein Wall entgegenstellen, kann ich nicht hinweg: das Wort ist mir zu mächtig, wie gern ich es auch glauben möchte, dass alle, wirklich buchstäblich alle, endlich errettet werden! Joh 3:36: Der Zorn Gottes bleibt über ihm. Röm 2:7ff. oder Röm 1:18 und 2Thes 2:10.

Mt 7:13-14: Allerdings kann hier die Mission im Totenreich noch aus den Wenigen Viele machen. Der Spruch gilt dann für die Gegenwart.

2Thes 1:9: Dass „ewiges Verderben“ (äonisches*) zu einer Vernichtung im andern Tode führen kann, lässt sich mit Hilfe anderer Stellen noch verstehen, aber dass ein Zustand, der nach dem Jüngsten Gericht mit „ewigem Verderben“ (äonischem*) gekennzeichnet worden ist, schließlich noch umschlagen soll in völlige Errettung, ist mir unvorstellbar. Ebenso Joh 15:6 und Offb 20:15.

*) Anmerkung: Behauptung steht im Widerspruch zu Kap. 2 siehe hier: [1] vgl. auch: 1Kor 15:22; Röm 5:12; Röm 6:23; Phil 2:11 und 1Kor 15:45; 1Mo 2:7; Joh 5:21; Joh 6:63; Joh 8:11; 2Kor 3:6.17

Mt 12:31; Mk 3:29 und 1Jo 5:16: Die Lästerung des Geistes bleibt die Sünde, die weder in dieser noch in jener Welt vergeben wird. 1Kor 1:18 und 1Kor 6:9-11; 2Kor 4:3; Gal 5:19-21; Hebr 10:26ff.

Offb 20:14: Der „andere“ Tod. Wenn es aus ihm schließlich noch eine Errettung gäbe, müsste es hier angedeutet sein.

Fragen des Autoren

Endlich bedrückt mich die Erwägung. Hat das Kreuz und die Gnadenpredigt auf Erden, noch im Zwischenreich die Herzen der endgültig Verstockten erweichen und gewinnen können, dann sollen statt dessen furchtbare Strafen in langen Zeiträumen (Ewigkeiten = Äonen - Zeitabschnitten) das dennoch in ihnen erreichen. Bekommen diese Strafen nicht dann einen Heilswert, der sie in ihrer Wirkung über Christi Werk stellt? Also für einen Teil der Geschöpfe ist Jesus der Erretter und das 'alleinige’ Heil, und für den andern Teil tritt an Jesu Stelle die lange Qual? Das ist für mich ein unvollziehbarer Gedanke.

Wäre die Begründung der Wiederbringungslehre aus der Schrift ganz einwandfrei, und ständen ihr nicht andere, klarere und im Zusammenhang unentbehrlichere Worte entgegen, würde mich der Einwand, den ihre Gegner am lautesten ertönen lassen, nicht abhalten, ihr näherzutreten: nämlich, dass sie die Heilspredigt jetzt auf Erden in ihrer Wirkung störe. Da aber die Stellung der Schrift mir im Gegenteil eine bewusste Ablehnung dieser Lehre nahelegt, will ich mich diesem Argument nicht verschließen. So sagt Heim (Leitfaden der Dogmatik S. 83):

„Der Gedanke der Wiederbringung als eines logisch denkbaren Ereignisses der Zukunft würde das heiße Ringen um Überwindung alles Gott widerstrebenden Wollens lahmlegen, da ja dann der definitive Sieg Gottes über jeden Widerstand eine bloße Frage der Zeit wäre, die vom Erfolg des jetzigen Ringens unabhängig sein würde.“

Prof. Lemme hat in der schon angeführten Schrift mit Recht noch darauf aufmerksam gemacht, dass „einige Aussagen, die, wenn sonst die Heilige Schrift sie stützte, von ihr gedeutet werden könnten, aber nicht von ihr gedeutet werden müssen, nicht vor ihr gedeutet werden dürfen*), nach denen die Weltentwicklung schließlich in ein universales positives Ziel ausmünden wird, also nicht endlos bis in ungezählte Milliarden von Jahren, ein Reich der Verdammnis und des Todes neben dem von Geiste Gottes durchdrungenen Reich Gottes fortbestehen wird, sondern das All schließlich so vom Reiche Gottes durchdrungen sein wird, dass Gott seinen Namen in der ganzen Welt geheiligt hat. Der Gedanke, dass Gottes Allmacht niemals allen Gegensatz überwinden oder ausschließen werde, ist allerdings fast nicht vollziehbar, da von Gott, durch Gott und auf Gott hin alle Dinge sind (Röm 11:33), und da nach dem Zusammenhang der Schriftaussagen von dem Zweck der Sendung Christi, dem alles übergeben ist vom Vater (Joh 3:35; Joh 13:3; Joh 17:2), die Eingliederung der ganzen Welt in das Reich Gottes als göttlicher Weltzweck aufgefasst werden muss. Die Deutung, dass wenn Gott in der Hölle kraft seiner Gerechtigkeit herrscht, er alles in allem ist, kann nicht befriedigen, da, wenn Gott in der Hölle nur vermöge seiner Strafgerechtigkeit ist, er doch nicht in ihr ist und noch weniger, wenn er nicht nach seiner Heilsgerechtigkeit und Liebe in ihr ist, er nicht „alles“ in ihr ist.

Ist die Hölle der Ort oder Zustand, in dem die wildeste Verzweiflung sich fortwährend lästernd gegen Gott aufbäumt, so sollte bei ihrem Fortbestand wirklich die gottgewollte Heiligung des Namens Gottes, in der Welt in der Durchdringung des Alls, mit seines Geistes Kraft vollzogen sein? In der Hölle herrscht Gott schon gegenwärtig durch seine Strafgerechtigkeit. Dem gegenüber bezeichnet ja doch der Endabschluss, bei dem Gott sein wird alles in allem, eine Weiterführung zur Vollendung.“

Nach dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches erhielt ich nicht nur von vielen Amtsbrüdern so viele warme Zeugnisse für die Wiederbringungslehre, sondern man schickte mir eine Menge einschlägiger Literatur zu. Da will ich nur Prof. Ströters Buch „Allversöhnung“ [2] nennen, das mich sehr bewegt hat. Später sprach ich mit ihm in der Schweiz, und da schloss er mit den Worten: „Bei Ihrer Seelenvernichtungslehre endigt die Geschichte mit einem Minus für Gott; bei mir mit einem Plus.“

Wenn ich ehrlich bekennen soll, wie mir bei diesen Auseinandersetzungen zumute ist, so gestehe ich, dass mir die Allbeseligung der sympathischste Ausgang ist, dass auch philosophisch dieser Schluss der konsequentere und reinlichere ist. Nichtsdestoweniger hält mich eine Art Scheu vor den oben genannten Schriftworten zurück, aus einem Gegner der Allversöhnung zu ihrem Verteidiger zu werden. Die letzte Entscheidung über die Auslegung verschiedener Schriftstellen hat nicht die Logik, nicht die Exegese oder Philosophie, sondern die innere Stimme, die einem die eine oder andere Deutung geradezu aufnötigt. -

Lies weiter:
4. Die Seelenvernichtungslehre