Die Erwählung Abrams

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Aus dem Zweimonatsheft für gläubige Schriftforscher:
"Das prophetische Wort“ (Jahrgang 1923-25)
Begründet von Professor E. F. Ströter

Herausgegeben von Heinrich Schaedel
Maranatha-Verlag, Klosterlausnitz i. Thür.

Siehe weitere Abschriften

Das erste Buch Mose

von: Prof. E. F. Ströter
Inhaltsangabe: 1Mo 1-50

5. Die Erwählung Abrams

Zwölftes Kapitel

In der Erwählung des Abraham stehen wir vor einer wuchtigen Wahrheit, die zu viel Zank und Streit Anlass gegeben hat – vor der Tatsache der göttlichen Erwählung. Sie ist ein Gebiet, auf dem der menschliche Geist sich abgearbeitet hat, was Scharfsinn und Logik (Denkrichtigkeit) betrifft. Sie hat das menschliche Denken in Ketten geschmiedet. Wir finden hier einen schlagenden Beweis, dass Gott Seine Gedanken den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber geoffenbart hat.

Die Erwählung ist ein tiefes Geheimnis, und dennoch spricht Gott offen und ehrlich mit uns darüber. Der Schlüssel zum Verständnis ist nicht menschlicher Scharfsinn, menschlicher Vernunftschluss, sondern göttliche Herzensreinheit, die uns von Natur zwar nicht innewohnt, die Gott aber schenkt.

Wir sollen Gott bei Seinem Worte nehmen und Ihm nicht böse Gedanken unterschieben; wir sollen Ihn für ehrlich halten und Ihm zutrauen, dass Er unter allen Umständen an Seinem Worte festhält und dass Er in allen diesen Dingen nur die Liebe walten lassen wird.

Was hat man doch betreffs der Erwählung fertig gebracht! Man wagte zu lehren: Gott wolle ja, dass alle Menschen gerettet würden, in Wirklichkeit sei es aber nicht so gemeint. Der größte Teil der Menschen sei rettungslos zur Verdammnis verurteilt.

Man hat Gott die scheußlichsten Hintergedanken unterschoben, so dass Calvin schreiben konnte, in der Hölle seien Säuglinge einer Spanne lang zu finden! Zwar übergeht man heute derartige Ausdrücke, aber man hat gegen eine solche Lehre noch keine Stellung genommen in reformierten Kreisen.

Auf der anderen Seite hingegen hat man mit aller Auserwählung aufgeräumt. Man behauptet, es gäbe nur den einen großen Gedanken Gottes von einer einzigen gleichartigen Seligkeit, zu der alle Menschen berufen seien. Damit wird alles gleichgemacht und jeder Unterschied ausgewischt.

In dem Fall des Abraham nun wird zum ersten Mal das Verfahren der Auserwählung angewandt. Auch damit hat Gott annähernd zweitausend Jahre gewartet. Gott geht nun dazu über, sich ein Volk zu erwählen als Werkzeug für die Ausführung Seiner Gedanken mit der Menschheit. Bis dahin hatte Gott nichts getan mit Taten, sondern nur mit Worten, wenn wir an die Verheißung vom Schlangentreter denken und an Henochs Ausspruch: „Der Herr kommt mit Seinen heiligen Zehntausenden, Gericht zu halten“ (Jud 1:15).

Jetzt aber beginnt Er etwas z u t u n . Wie wir schon hervorgehoben haben, ist ein großer Unterschied in der Verfassung der Menschen vor der Flut und nach ihr. Vorher gab es nur Familien, keine Staatenbildung; jetzt dagegen bilden sich Völker, Reiche, Herrschaften, Obrigkeiten. Auf diesem neuen Boden setzt Gott ein mit der Bildung eines auserwählten Volkes. Er lässt nicht nur die neugewordene Ordnung bestehen, sondern geht geradezu auf diesen Gedanken ein.

Nachdem man Ihm vorgegriffen, tritt Er an die Ausführung Seiner Gedanken heran, die Er mit den Menschen von Anfang an gehabt haben muss, den sie verstanden und aufgegriffen haben. Gott stellt sich auf die von dem Menschen schon betretene Linie, aber in eigenartiger Weise: nicht durch ein etwa augenfälliges Gericht, sondern durch Absonderung, indem Er im Übrigen die Welt ihren Lauf gehen lässt. Das ist so überaus wichtig.

Von der Flut an, die gewissermaßen eine neue Erde schuf, hat Gott sich einen grundstürzenden Eingriff nicht mehr erlaubt. Er hat es nicht für gut befunden, dem Lauf der Dinge in Babylonismus, Organisation, Entwicklung, Zusammenschluss, Auflehnung gegen Seine Gedanken eine andere Richtung zu geben: Er beschränkt sich vielmehr darauf, durch Absonderung Seinen eigenen Plan durchzuführen und sich ein Volk zuzubereiten, das Sein Volk sein sollte.

Vater aller Gläubigen

Mit einem Manne hat Er es begonnen, der Vater aller Gläubigen, zunächst derer aus der Beschneidung. Dieser Abraham hat eine dreifache Beziehung. Die aus der Beschneidung, als seine natürlichen Nachkommen, stehen leicht begreiflich in besonderer Beziehung zu ihm. Diese Linie tritt uns überall entgegen und wird nicht verdeckt oder beseitigt durch seine Beziehung zur Gemeine, sondern wird im Gegenteil dadurch noch vertieft und bestätigt.

Die zweite geistliche Beziehung ist die neutestamentliche Gemeine Jesu Christi, die nicht sein sollte eine Erfüllung und damit eine Beseitigung der ursprünglichen natürlichen Beziehung zu seinen Nachkommen dem Fleische nach, sondern eine Bestätigung seiner eigenen höheren Bedeutung.

Dann ist er aber auch ein Vater vieler Völker, da von seinem zweiten Weibe eine ganze Reihe von Völkern hervorgegangen ist. Die zählen nicht zu Israel, gehören auch nicht in den Rahmen der Gemeine, wohl aber gehören sie zu den Nachkommen Abrahams, als Andeutung auf die nach Aufrichtung des Königreichs Jesu Christi zu gewinnenden Völker.

Wir stehen hier an der Wurzel einer großartigen Anlage, die zwar zunächst im Auge hat die Bildung des Volkes Israel, dann aber über Israel hinausläuft auf die Berufung und Auswahl eines Volkes aus den Völkern der Gemeine Jesu Christi.

In Abraham sehen wir den Anfang dieser noch höheren Anlage unsers Gottes in ähnlicher Linie, jedoch auf höherem Boden, den Anfang einer Schar, die nicht national (staatlich) ist wie Israel, die international (überstaatlich, völkerumfassend) ist und die in ihrer Zusammensetzung eine doppelte Bürgschaft ist für die Erlösung aller Völker.

Wir sind nur Erstlinge; damit aber sind auch die Nachkommen gefordert. Ist der Anbruch heilig, so auch der Teig; ist die Wurzel heilig, dann auch die Zweige (Röm 11:16). Hier ist der erste Ansatz zu dem wunderbaren Doppelbau. Der Ausbau dieser großartigen Gedanken ist uns noch vorbehalten. Wir erwarten noch Offenbarungen darüber in anderen Zeitaltern.

Wenn wir von der Auserwählung sprechen, muss uns die Frage kommen. Warum mag Gott wohl einen solchen Weg eingeschlagen haben? Die Schrift bleibt uns die Antwort auf diese Frage schuldig. Andere Wege wären gar wohl möglich gewesen. Welche? Wir müssen uns unter die göttliche Weisheit beugen, die nicht auf alle Fragen Antwort gibt.

Wie kam Gott dazu, diesen einen Chaldäer auszuwählen? Warum nicht mehrere, andere? Auch darüber erhalten wir keine Antwort. – Wie kam Er dazu, m i c h zu erwählen? Gegenüber dieser persönlichen Frage kann man nur sich beugen, stille sein und danken. Es ist auch gar nicht nötig für unsere Erkenntnis dieser tiefen Geheimnisse der Gedanken Gottes, dass wir uns über sie vollständig befriedigende Antwort geben müssten. Wir dürfen Gott auch etwas zutrauen. Er hat einen solchen Weg wohl eingeschlagen, weil Er auf diese Weise bei Seinen Auserwählten ein sehr hohes Maß von unbedingtem Glauben voraussetzen muss.

Es liegt in der Natur der Dinge, dass Er mit Seinen Auserwählten gar nicht zustande kommt, wenn sie nicht Menschen sind, die Ihm, ohne auf den Grund zu sehen, dieses unbedingte Vertrauen entgegenbringen, dass Seine Wahl das Beste ist, und dass Er den besten Weg eingeschlagen hat, Sein Ziel zu erreichen. Dieses Vertrauen erleichtert Ihm den Weg ungemein, da Er sich frei ausgesprochen hat über die Ziele, die Er verfolgt. Hätte man das zu aller Zeit einfach beachtet, dann wäre man nie in solch tiefe Abgründe menschlicher Verkehrtheiten hineingeraten, seinem Gott alle möglichen Hintergedanken zuzuschreiben, die Sein Wesen verdächtigen und verunehren müssen und die es Tausenden denkender Menschen unmöglich machen, Gott zu glauben.

Abrahams Segen

Vor uns liegt die Erklärung Jehovas an Abraham (1Mo 12:2): „Ich will dich zum großen Volke machen, und will dich segnen, und dir einen großen Namen machen, und sollst ein Segn sein“. Sie sieht nach nichts Großem aus, obwohl es viel ist, wenn Gott das alles zu einem alleinstehenden Menschen sagt. Die Zusage: „Ich will dich segnen und dir einen großen Namen machen“, geht noch nicht über den Rahmen der Persönlichkeit Abrahams hinaus. Die Worte dagegen: „und du sollst ein Segen sein“, können nicht auf diesen Menschen beschränkt bleiben, weil er nicht allein für sich ein Segen sein kann. Da sprengt Gott selbst die Bande der Persönlichkeit, des persönlichen Genießens, Gewinnes, Rahmens; Er zieht die Schleusen auf. Ja, Er geht noch weiter (1Mo 12:3): „Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dir fluchen; und durch dich sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden“. Gott will lieber segnen als fluchen.

Joh 17 setzt sich Jesus mit Seinem Vater klar auseinander über das, was Er getan und was vor Ihm lag. Und so betet Er Joh 17:9: „Ich bitte für die, die Du Mir gegeben hast, und nicht für die Welt“. Das ist die erste Gruppe. Er will damit festlegen, dass es sich hierbei nur um Zubereitung, Bewahrung und Ausrüstung der Auserwählten aus Seinem Volke Israel, Seiner Jünger handelt.

Mit diesen Worten hat Er aber nicht ablehnen wollen der Welt Heiland zu sein. Auf einen Augenblick wendet Er sich von der Welt ab und gedenkt nur der Zubereitung und Ausrüstung dieser Seiner Auserwählten, als Er von durch Durchführung der göttlichen Heilsgedanken spricht.

In Joh 17:20 kommt aber ein weiterer Kreis von Auserwählten: „Ich bitte für die, die durch ihr Wort an Mich glauben werden“. Dieser Kreis umschließt alle, die in der Gegenwart von der apostolischen Verkündigung erreicht werden.

Das ist aber noch nicht der größte Kreis und auch noch nicht die ganze Welt. Der letzte umfassende Kreis wird in Joh 17:23 genannt, wenn Jesus fleht, dass sie, die Auserwählten der Gegenwart, die Seinen, zu vollendeter Einheit gelangen mögen, „auf dass die Welt erkenne, dass Du Mich gesandt hat, und liebest sie, gleichwie Du Mich liebest“.

Nach 1Mo 12:3 ist dieses Erkennen aber ewiges Leben. Wenn also die Welt zur Erkenntnis Jesu Christi gelangt, so ist d a s Leben für die ganze Welt.

Vollendete Einheit kann nur bedeuten die Zusammenbringung der Glieder des Leibes Christi mit ihrem Haupte in der Vollendung bei der Zukunft des Herrn. Hier haben wir ganz deutlich aus dem Munde des Herrn das gleiche große Programm der göttlichen Erwählung, das bei Abraham zuerst angeschlagen worden ist.

Hätte man Ihm nur zugetraut, dass, was Er sagt, wahr werden wird, nämlich dass Er als Frucht Seiner Erlösung und der vollendeten Einheit der Seinen die Welt zum ewigen Leben gelangen werde!

Und dazu genommen noch jene Stellen, da Er sagt, Er habe die Schlüssel des Todes und des Totenreiches (Offb 1:8) und da Er Herr über Tote und Lebende genannt wird (Röm 14:9). Nun hat man aber sich daran gewöhnt, zu denken: Jesus könne den Toten nicht mehr beikommen; wenn der Tod eingetreten sei, müsse Er kehrt machen. Hätte man es Ihm nur zugetraut, dass Er Sein Ziel mit unfehlbarer Sicherheit erreichen werde, wie viel Druck, Gebundenheit, Verzweiflung hätte man sich damit erspart!

Das Köstliche für uns ist, dass Gott trotz aller Verkehrtheiten sich nicht aus der Fassung bringen lässt und bei Seinem Programm bleibt, weil Er vollkommen sicher ist bei dem, der auferstanden ist aus den Toten.

Noch eins. Wenn man nur nicht den Missgriff gemacht hätte, die Auserwählung auf die Erlösung zu beschränken!

Heute fasst man Auserwähltsein als gleichbedeutend mit Errettetsein auf. Man kennt kaum einen anderen Begriff als den des Errettetseins. Wer nicht auserwählt ist, ist schon verloren. Nur Auserwählte kommen in den Himmel. Das ist die herrschende Vorstellung.

Während es doch gleich hier beim ersten Anfang der Erwählung klar ist, dass Gott unmöglich daran gedacht haben kann, unter all den Menschen nur den einen Abraham retten zu wollen. Oder gehen wir weiter zu dem Samen Abrahams, Jesu Christo: sollte etwa der Sohn der Jungfrau, der gar keiner Errettung bedarf, der einzige Gerettete sein, da Er den Titel „Der Auserwählte“ trägt (Jes 42:1)?

Und wenn Gott ein Volk das Auserwählte nennt, so wissen wir gewiss, dass Gott nie davon geträumt hat, nur die Juden retten zu wollen; im Gegenteil ist ja das Heil nur zu uns gekommen durch ihren Fall.

Wie hatte es doch nur dahin kommen können, dass man den Begriff der Auserwählung in dem Sinne von Errettung brauchen konnte! Von überall her empfängt diese Auffassung eine Bresche.

Der überwiegende Teil des Begriffs der Auserwählung ist der der Verwendbarkeit für Gott! Da liegt der Schwerpunkt. Zwar schließt Erwählung die Errettung ein; aber ein Auserwählter geht über sich hinaus und gestattet auch Gott, über ihn hinaus zu gehen, d. h. ein Segen zu sein und ein Segen zu werden. Die Auserwählten haben niemals die Segnungen für sich, sondern für andere; sie sind Gefäße und Werkzeuge des Segens für andere. Wer Segnungen empfängt und für sich behält, ist nicht auf dem Wege, seine Erwählung festzumachen. Nur wer für andere hat, dem wird gegeben werden, dass er die Fülle hat. Das ist die Grundfrage bei diesem großen Kapitel.

Berufene und Erwählte

Und nun zunächst noch ein Wort über den Unterschied zwischen Berufenen und Auserwählten. Hier ist kein unlöslicher Gegensatz, so dass Berufene auch Verlorene seien, wenn wir an ein Wort denken wie das: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt“ (Mt 22:14).

Auch bei diesem Wort haben wir eine ähnliche Missdeutung zu beobachten, wie bei dem Wort Erwählung. Denken wir an das Gleichnis von den Zehn Jungfrauen (Mt 25:1-12). Sie alle sind geladen, berufen, berechtigt zur Teilnahme an dem wunderbaren Vorrecht, den Bräutigam zu empfangen und zur Hochzeit zu geleiten.

Es handelt sich also hier nicht um eine Lebensfrage, nicht um Annahme oder Verwerfung, wohl aber um Anerbietung eines hohen Vorrechts. Nur die Hälfte von ihnen machte ihre Berufung fest, indem sie ihrerseits es nicht am Entgegenkommen fehlen ließen. Sie hatten die Klugheit, den Eingang mit dem Bräutigam zu finden.

Die anderen, welche ebenso berufen waren, aber den Eingang versäumten, haben ihre Eigenart als Jungfrauen nicht verloren, wohl aber gingen sie des hohen Vorrechts verlustig. Damit sind sie nicht ewig verloren. Leider haben wir uns daran gewöhnt, alles über den einen Leisten zu ziehen: selig oder verloren. Wir beurteilen alles unter diesen Begriffen.

Wie ist dann aber der Ausspruch zu verstehen: „Ich kenne euch nicht“? Es ist nicht schwierig, ihn zu erklären. Ein hoher Beamter, der am Hofe aus- und eingeht, begeht einen Fehltritt und wird vom Hofe „geschnitten“, d. h. er wird gemieden und macht sich am Hofe unmöglich. Er ist dort abgetan; man kennt ihn nicht mehr. Damit kommt er aber nicht um sein Leben und auch nicht um seinen Beruf. Das wissen wir aus unsern Verhältnissen; und in der Schrift ist es nicht anders.

Berufen sind zehn, auserwählt fünf. Liegt die Auserwählung etwa nur in der göttlichen Vorherbestimmung? Wir wissen jedenfalls diese Bestimmung nicht; das aber wissen wir, dass Gott uns vor dieselbe Möglichkeit stellt.

In 1Thes 1:4-6 legt Paulus die beiden Gesichtspunkte der Auserwählung lichtvoll fest. „Das Wort kommt in Kraft und im Heiligen Geist und in großer Gewissheit.“ Das ist der göttliche Gesichtspunkt. Der menschliche ist der: „Ihr seid unsere Nachahmer geworden und des Herrn“. Auserwählte wissen also mit unbedingter Gewissheit, dass sie das ihnen gebotene Wort ohne Abstrich angenommen haben, gleichviel was es sie kostete. „Mit Freuden des Heiligen Geistes“. Der Heilige Geist will uns in alle Wahrheit leiten. Er will uns den ganzen unverkürzten Rat Gottes offenbaren.

Warum ist dann so wenig Erkenntnis vorhanden? Weil wir diese Quellen verschüttet haben. Aber alle Auserwählte haben sich von Gott alles sagen zu lassen und sich nicht damit zufrieden zu geben, „nur selig“ zu sein. Man kennt heute ein „entschiedenes Christentum“, es beschränkt sich aber auf das bloße Seligwerden.

Erinnern wir uns an die Geschichte von Martha und Maria (Lk 10:38-42). In verzehrendem, aufreibendem Eifer für den Herrn arbeitet man sich tot. Demgegenüber sagt uns der Herr: „Eins aber ist not“. Man muss sich von dem Herrn alles sagen lassen, was Er sagen will. Daran erkennt der Herr Seine Auserwählten.

Studieren wir Joh 17:8. Woran erkannte der Herr die, die Ihm Sein Vater gegeben hat? „Sie haben Dein Wort angenommen, das Ich ihnen gegeben habe.“ Das ist die Probe, auf die Er sie stellt. Als einst viele Seiner Jünger zurückgingen, Seiner Worte wegen, die Er zu ihnen sprach, und es zu einer reinlichen Scheidung kam, da fragte Er auch die Zwölfe absichtlich: „Wollt ihr nicht auch weggehen?“ Nicht weil Er sie zurückstoßen wollte oder an ihrer treuen Hingabe gezweifelt hätte, sondern weil Er es ihnen zum Bewusstsein bringen wollte, was sie an Ihm hatten. Petrus aber antwortete: „Du allein hast Worte des Lebens“ (Joh 6:67-68).

An unserer Stellung zum Worte wird es offenbar, ob wir zu Seinen Auserwählten gehören. Man hat sich daran gewöhnt, alles nur auf die persönliche Seligkeit zu beziehen, in der Meinung, damit der Gemeine zu dienen und merkt gar nicht, dass man auf diese Weise sich einen Riegel gegen die wahre Erkenntnis vorgeschoben hat. Das ist ein namenloser Jammer. – An der Aufnahme des Wortes also wird es offenbar, ob wir Auserwählte sind, zu Gefäßen der Ehre Gottes. „Wer an Mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen“ (Joh 7:38).

Während auf alttestamentlichem Boden, auf dem Boden früherer Haushaltungen der Abstand zwischen Berufung und Erwählung mit großer Bestimmtheit und Schärfe entgegentritt, wie in dem lehrreichen Beispiel von Abraham und Lot, werden in der Gemeine, dem Leibe Christi beide Begriffe so gebraucht, dass sie sachlich einander fast vollständig decken, wiewohl man sie der Form nach auseinanderhalten kann.

So schreibt Paulus: „Welche Er vorherbestimmt (dazu gesetzt, verordnet, auserwählt) hat, die hat Er auch berufen; welche Er aber berufen hat, die hat Er auch gerechtfertigt, welche Er aber gerechtfertigt hat, die hat Er auch verherrlicht“ (Röm 8:28.30). Man vgl. 1Thes 1:4 mit 1Thes 2:12; 2Thes 2:13.14; 1Kor 1:2.26.27; Eph 1:4 mit Eph 4:1; Kol 3:12.15 u. a.

Es ist eine kostbare Wahrheit, dass der Leib Jesu Christi sich nur aus also Auserwählten und dann auch wirksam Berufenen zusammensetzt. Auserwählte sind nicht nur Gerettete und Erlöste, sondern Segensträger und Segensspender für andere.

Im Hebräerbrief (Hebr 11:8.9) wird bezeugt, dass Abraham im Glauben ausgezogen und im Glauben eingezogen sei, aber es findet sich kein Wort von Lot, der nach 1Mo 12:4 mitgezogen ist. Das ist ergreifend. In der ganzen Schrift findet sich keine Hindeutung darauf, dass er ein Segen sei, wohl aber das Wort unsers Herrn (Lk 17:32): „Gedenket an Lots Weib!“ Und dennoch ist er ausgezogen auf derselben Linie und auf demselben Wege wie Abraham!

Ergreifend ist das, weil wir in der Person Lots ein sehr deutliches Beispiel und Vorbild für ungezählte Menschen erblicken müssen, die auch den Weg des Glaubens betreten haben und nicht verloren gehen, die aber doch nur wie durchs Feuer gerettet werden. Er war ein Geretteter, aber für Gott vollständig unbrauchbar. Wir dürfen nicht hinweggehen. Es gibt ein Gerettetsein, bei dem für Gott nichts weiter herauskommt als die Rettung einer einzelnen Seele. In Lot hat sich nie ein Mensch gesegnet, und niemand ist je in ihm gesegnet worden. Nur die eine Warnung steht da: „Gedenket an Lots Weib!“ Sein Weib wird ihm durch das Feuergericht entrissen. Seine Töchter haben ihm namenlose Schande eingetragen. Ihre Nachkommen durften nach dem Gesetz nie in die jüdische Gemeinde kommen. Dabei aber war Lot ein Geretteter, und die Schrift nennt ihn eine gerechte Seele (2Petr 2:8). Und nun gibt es Leute, die mit dem Sprüchlein zufrieden sind: „Nur selig!“ Für Gott kommt dabei nichts heraus.

Abraham kommt erst in so hohem Alter in die Schule, in der er durch jahrzehntelange Erprobung zu der Verheißung des Samens erlangen sollte – ein Beweis dafür, wie Gott den menschlichen Aufschub zu gebrauchen weiß, Seine Gedanken umso klarer und herrlicher hervortreten zu lassen. Abraham muss so alt werden, damit Gottes Art deutlicher erkennbar werden kann und gar kein Zweifel übrig bleibt, und wir nicht verzagen sollen, als ob Gott durch unsern Aufschub verhindert würde, alles auszuführen, was Er sich vorgenommen hat.

Abraham ist allerdings dabei zu kurz gekommen. Er hätte viel länger ein solch fröhliches Glaubensleben führen können, wenn er in Haran nicht hängen geblieben wäre. Viele kommen so erst spät zum Glauben, trotzdem sie schon früher oder früh dazu Gelegenheit gehabt hätten. Gott kommt aber doch bei ihnen zum Ziel. Wie? – das verstehen wir nicht; dass aber Er es versteht, ist klar.

1Mo 12:5 wird erzählt, wen und was Abraham aus Haran mitnahm. Das übernächste Kapitel unterrichtet uns, dass Abraham über eine Anzahl von dreihundertachtzehn Knechten verfügte. Die waren bei dem ersten Auszug noch nicht mannhaft genug für den großen Dienst, den Abraham seinem Bruder Lot leisten sollte. Auch nach dieser Richtung hin wurde der Aufschub zum Gewinn. Zum anderen Male gelangten sie nach Kanaan.

„Damals waren die Kananiter im Lande“. Diese Bemerkung in 1Mo 12:6 ist nicht nebensächlich oder überflüssig. Diese Tatsache sollte Abraham daran erinnern, dass er das ihm verheißene Land noch nicht besitzen, sondern damit zu rechnen habe, dass Gott die Kananiter oder Amoriter, die dem Gericht entgegenreifenden Stämme, mit ganz besonderer Absicht tragen wolle und dass ihm nicht der Auftrag gegeben sei, mit ihnen aufzuräumen. Was er nach d e r Hinsicht hätte leisten können, dafür bekam er ja eine Probe, als es sich bei ihm darum handelte, den Bruder zu befreien. Gott gab ihm einen glänzenden Sieg, da er auch nicht einen Mann verloren hat. Gott wäre im Stande gewesen, auch mit den wenigen Knechten Abrahams die Kananiter zu besiegen. Gideon hatte auch nur dreihundert Mann und ist mit einem feindlichen Heere fertig geworden.

Die gläubige Gemeine hat sich auf kananitischem Boden zu bewegen und muss dort ausreifen, ehe es zu der äußern geschichtlichen Darstellung und Durchführung der Reichsgedanken auf Erden kommen kann. Denn was Kanaan für Abraham im engeren Kreise bedeutete, das bedeutet für die Gemeine der ganze Erdkreis, für den das Königreich Jesu Christi aufgerichtet werden soll.

Die Kananiter sind noch im Lande. Gott könnte wohl mit ihnen fertig werden. Als Jesus gefangen werden sollte, sagte Er zu Petrus: „Meinest du, Ich könnte nicht Meinen Vater bitten und Er würde Mir noch jetzt mehr denn zwölf Legionen Engel stellen (Mt 26:53)? Mit d e n Legionen wäre Jesus wohl im Stande gewesen, mit Seinen Feinden fertig zu werden; mit ihnen hätte Er gründlich aufräumen können auf dem Boden Seines Landes. Keine Stadt, kein Land, kein Volk hätte Ihm widerstehen können, wenn es Seines Vaters Absicht gewesen wäre. Aber der Sohn als Abrahams Same hat darin Seinen Vater richtig verstanden. Sein Wort ist also nicht Prahlerei, sondern spricht eine nüchterne Tatsache aus.

Auch die Gemeine steht auf demselben Standpunkte. Man weist hin auf die Macht Gottes, die hinter uns steht, auf die unbezwingliche Kraft des Heiligen Geistes, auf die Macht des Evangeliums. Gewiss, das ist unzweifelhaft wahr, aber daraus dürfen wir nicht den Schluss ziehen: wir erobern die Welt für Christum. Das wäre ein Trugschluss und dem vergleichbar, dass Jesus hätte die Römer aus dem Landes treiben sollen oder Abraham die Kananiter.

Ebenso wenig wie das, liegt es im Sinne Gottes, mit der Welt aufzuräumen. Er braucht sie noch, wenigstens für uns. Wir sollen lernen, unter den Kananitern mit Gott zu leben. Wir sollen nicht in der Welt dastehen ohne Versuchungen, ohne Schnapskneipen, ohne Glücksspiele, ohne Tanzsaal usw. Man möchte gar zu gerne eine solche Welt machen, damit die Leute glatt durchkämen. Aber die Kananiter sind noch im Lande. Mitten in der gottlosen, argen Welt sollen wir wandeln als Lichter in der Welt.

„Da erschien der Herr dem Abraham und sprach: Deinem Samen will ich dies Land geben (1Mo 12:7)“. Alles geht von Gott aus. Gott bleibt am Sprechen. Abraham muss Gott reden lassen und lernen, Ihm Recht zu geben. Gott lässt sich mit Verordnungen, Maßregeln usw. nicht ein in der ganzen Erziehung des Glaubens, bis da, wo Abraham das Reifezeugnis empfängt.

Gott erscheint und Gott spricht: Das schöpferische, zeugende, lebenbringende Wort ist alles. Das deutet an, dass es sich in unsrer ganzen Erziehung gar nicht darum handelt, was wir zu verrichten vermögen, sondern darum, dass Gott, Der in Christo erschien, dessen Glanz aufgegangen ist, allein zu Worte kommt und dass wir Ihm alles und jedes Wort abnehmen. Jene Haushaltung ist eine Westentaschenausgabe für unsern Haushalt.

„Deinem Samen will ich dies Land geben.“ Merkwürdig, dass diese Verheißung so oft wiederholt wird. Das lässt weit hinaus blicken in Bezug auf dieses Land. Warum gerade Gott das Land, in dem sich die Kananiter eingenistet hatten und in dem sich ein Teufelsdienst, eine Dämonenkultur der entsetzlichsten Art breit gemacht hatte und das also von Satan vorher besetzt war, Abraham und seinem Samen übergeben hat, um auf diesem Boden einen Mittelpunkt zu schaffen, von dem aus alle Kräfte der Erneuerung Seine ganze Schöpfung durchdringen sollten, ist ein Geheimnis der göttlichen Verwaltung.

Gott hat dieses Fleckchen zum Schauplatz Seiner wunderbarsten Offenbarung ausersehen. Abraham muss dort wohnen, als die Kananiter darinnen weilten. Dann aber auch das Volk, das den Kananitern gründlich den Garaus machen sollte. Sie als die Träger, Hüter und Bewahrer der Offenbarungen Gottes empfangen es als ewiges Erbteil.

Der Sohn konnte nur auf dem Boden des geliebten Landes erscheinen. Alles, was an und für die Menschheit geschehen, ist auf dem Boden dieses Landes geschehen, oder an dieses Land geknüpft. Nirgendwo wird auch nur die leiseste Andeutung gefunden, dass die zukünftigen Herrlichkeitsoffenbarungen irgendwo anders ihren Mittelpunkt haben werden, als in diesem Lande.

Selbst nach jenem entsetzlichen Völkergericht, von dem Sacharja (Sach 14:1-9) spricht, wird uns gesagt, dass die Übriggebliebenen von all den Völkern nach Jerusalem hinaufziehen werden, um dort anzubeten, denn Jehova wohnt in d e m Lande. Ihre Abordnungen ziehen hinauf; welche nicht hinaufziehen, über die regnet es nicht (Sach 14:16.17).

Der Spuren gibt es mehr als genug in der Schrift, dass diese Vorliebe Gottes nicht nur vorübergehend sich auf dieses Fleckchen Erde erstreckt. Man hat es als kindlich gedacht hinstellen wollen, dass Er, der Himmel und Erde besitzt, ein Stückchen Erde zu Seinem Wohnsitz erwählt haben sollte. Dem gegenüber bleibt das Wort bestehen: das Land ist Mein. Darum durften die Israeliten auch ihr Eigentum nicht endgültig verkaufen; sie besaßen es nur in Erbpacht. Es ist, als ob Er zu Seinem Volke gesagt hätte: Ich lasse euch bei Mir wohnen. Und Jes 8:8 wird es: „Dein Land, Immanuel“, genannt.

Da, wo der Satanismus sich eingenistet hatte, und wo er sein Ärgstes getan hat und tun wird an Gottes Volk – auf dem Boden wird Gott Seine höchsten Siege feiern; und gerade diese Stätte hat Er Sich auserwählt, das Werk der Erlösung auf ihr auszuführen. Gerade auf diesem Boden fleht Jesus: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23:34). Wer dieses Wort in menschlicher Meinung beschränken will, der mag es tun. So wenig die Obersten und Schriftgelehrten aber wussten, was sie taten, ebenso wenig wusste es Satan; denn hätte er es gewusst, dann hätte er ihr Tun verhindert.

Köstlich ist es wahrzunehmen, dass Abraham mit seinem Gott in inniger Gemeinschaft stand; denn die Errichtung eines Altars deutet auf Anbetung hin. Das ist ein deutlicher Wink, dass auch in der noch so sehr verderbten Menschheit, von der Terachs Familie nicht ausgeschlossen werden darf, denn auch sie waren Götzendiener, die Urgedanken, die noch aus der Zeit vor der Flut stammten, sich erhalten hatten.

Dass Abraham nun Jehova einen Altar baut, ist klarster Beweis, dass sich bei ihm von Anfang an die Sachlage geklärt hat und dass er wirklich bekehrt worden war. Damit ist Abraham ein Vorgänger aller derer geworden, die sich „bekehrt haben zu Gott von den Abgöttern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott, und zu erwarten Seinen Sohn vom Himmel“ (1Thes 1:9.10). Denn dass Abraham auf eine Stadt Gottes gewartet hat, wird von der Schrift bezeugt, und auch auf den Verheißenen hat er gewartet.

Die Grundlinien sind bis heute die gleichen geblieben. Ausziehen bedeutet nicht nur Lösung von äußeren Verhältnissen, sondern auch gründliche Abkehr vom Götzendienst. Seine Nachkommen haben sich nicht ganz frei davon gehalten. Schon in Jakobs Familie finden wir einen Hang zu Hausgötzen. Bei Abraham begegnet uns von Anfang an eine klare, entschiedene Stellung gegenüber allen früheren Beziehungen zur Abgötterei.

Abrahams Versuchung

„Er schlug sein Zelt auf“, lesen wir 1Mo 12:8; d. h. er hielt sich für einen Fremdling und wartete auf die Stadt, welche die Grundfesten hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist“ (Hebr 11:9.10). Ohne Frage traute er seinem Gott das Vermögen zu, mit äußeren Mitteln eine achtunggebietende Stadt zu errichten, aber er überließ das seinem Gott und der Zukunft und „schlug sein Zelt auf“. Sein ganzer Wandel war ein Nomadenleben. Nirgends machte er sich ansässig und zum Bürger auf dem Boden des verheißenen Landes.

1Mo 12:10 erzählt uns, wie sich der Auserwählte Gottes von den Umständen treiben, drücken, vorschreiben lässt. Auch ein Abraham, der Vater der Gläubigen, tat es. Er fragte nicht den Herrn, hatte also auch keine Weisung. So zieht er denn nach Ägypten und in die Versuchung hinein, kommt aber auch wieder heraus.

Kann ein gläubiger Mensch, der soeben erst so große Verheißungen empfangen und der so geglaubt hat, denn in die Lage kommen, zu denken, es könne sein Leben kosten? Was wäre dann mit den Verheißungen Gottes geworden? Wie können diese Verheißungen so völlig aus dem Gesichtskreis schwinden? Diese schmerzlichen, demütigenden Erfahrungen gehören mit zu der Erziehung der Auserwählten.

Aus dem Abschnitt 1Mo 12:11-13 kann man entnehmen, dass Abraham ein heller Kopf war, der die Sachlage genau kannte. Er war ein weltkluger Mensch, aber seine Klugheit hat ihm nicht geholfen. Man ist im Irrtum, wenn man meint, man komme damit durch.

Nach 1Mo 12:14-16 geschah das, was er befürchtet hat und vermeiden wollte. Was mag Abraham aber gedacht haben, als der Fürst ihm diese reichen Gaben um seines Weibes willen sandte?

1Mo 12:18 lässt uns merkwürdige Blicke tun in das Verfahren Gottes mit dem Könige der Heiden, allerdings um Seines Knechtes willen. An diesem weltlichen Fürsten zeigt sich eine Betätigung Gottes, die uns deutlich zeigt, dass, sowie diese Mächte in irgend welche Beziehungen getreten sind zu dem Auserwählten Gottes, Gott es verstanden hat, auch den Heiden Seinen Willen erkenntlich und verständlich zu machen.

Wofür der Auserwählte blind war, dafür hat dieser Heide ein helles Verständnis. Dass hier eine Sünde geschehen war, dass der Auserwählte sich einer gefährlichen Abweichung von der rechten Linie schuldig gemacht hatte, das erkannte der Heide; und es war gewiss eine tiefe Demütigung, dass er, der Auserwählte, sich von einem Weltmenschen eine solche Zurechtweisung holen muss.

Gar manche Kinder Gottes denken, man könne Unbekehrte gewinnen, wenn man auf ihre Gedanken eingehe. Zugeständnisse machen, auf den Gedankengang der Welt eingehen. Weltliches und vorsichtig berechnendes Verfahren beobachten mag zwar große Vorteile eintragen, aber man wird auch erleben, dass die Welt sagt: „Was hast du getan? Du hast dein Heiligstes verleugnet, dein Köstlichstes preisgegeben, hast dich mir gegenüber zur Hure gemacht“. Leider ist diese Gewohnheit überall herrschend. Die Kirchengeschichte legt dafür Zeugnis ab, wie frühe schon die Gläubigen sich mit der Welt eingelassen haben. Irdische Vorteile hat man zwar erlangt, innerlich aber unendlich viel verloren.

Wie nun, wenn Abraham hätte eine Bußpredigt halten sollen? Er stand ja sittlich unter dem Fürsten dieser Welt. So steht die Kirche u n t e r dem sittlichen Urteil der Welt. Wenn die Kirche wissen will, warum sie keinen Einfluss machen, keine Achtung einflößen kann und die Menschen nicht erreicht, dann ist hier der Schlüssel.

Zum Schluss wird uns 1Mo 12:19.20 berichtet, wie Gott Sich des Gerichts an Pharao und des gerichteten Pharaos bedient, um Seinen Knecht Abraham zurechtzubringen, so wie Gott Sich der gerichteten Völker bedient hat und bedienen wird, um Seinen Knecht Israel zurecht zu bringen, und wie Er Sich der gerichteten Völker bedient, um den Christus Gottes herauszubringen. Es sind hier überall dieselben Linien.

Wir sehen es hier unwiderleglich, dass die Gerichte Gottes unter allen Umständen erzieherische, zurechtbringende Zwecke haben. Gott straft nie, nur um gestraft zu haben; aber Er straft furchtbar. „Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (Hebr 10:31).

Kapitel 13

Abrahams Trennung von Lot

Nach seiner Entlassung kommt Abraham wieder dahin, wo er zuvor gewesen (1Mo 13:4); er kommt wieder zurecht, nachdem er gewitzigt, gedemütigt worden war. Er kam zu der Stätte, da der Herr mit ihm geredet hatte. Gott gab ihm eine Gelegenheit, zu bewähren, dass er ein Auserwählter Gottes war und wie er Seine Unterweisungen in Gericht und Gnade aufgenommen hatte.

Zugleich stellt sich ganz klar heraus, wie es bei Lot aussah (1Mo 13:5-9), die Erfahrungen waren für beide die gleichen. Lot hatte schmerzlichen Anteil an den Erfahrungen Abrahams gehabt und hätte die gleiche Lehre daraus ziehen können. Abraham hat Ägypten kennen und fürchten gelernt. Er hatte sich die Finger verbrannt und wollte nun nicht mehr mit dem Feuer spielen.

Lot hatte es nicht gelernt. Zwar war er wieder zurückgekehrt, aber sein Herz und seine Gedanken waren von dem ägyptischen Wohlleben eingenommen. Das kam jetzt zum Ausdruck. Weil der Viehstand sich gemehrt, kamen Schwierigkeiten. Es wurde klar, dass die beiden sich trennen mussten.

Ob Abraham es gewusst, ob es ihm innerlich klar geworden war, dass von einer inneren, engen Gemeinschaft mit Lot nicht mehr die Rede sein konnte? Er überlässt ihm nicht nur die Wahl, sondern auch den Vortritt, wo er als der Ältere hätte gebieten können. Er gibt dem innerlich von ihm geschiedenen Lot Freiheit, sich zu entscheiden.

Wenn ein gedeihliches, ferneres Zusammengehen nicht mehr möglich ist, so dass eine reinliche Scheidung nötig wird, dann soll die denkbar höchste Rücksicht walten. Von gewaltsamer Zurückweisung ist da gar keine Rede. Bei aller Trennung hat Abraham Lot nie die herzlichste Liebe und Opferwilligkeit entzogen. Derselbe Abraham, von dem sich Lot innerlich und äußerlich getrennt hatte, steht obenan, wo es gilt, seinem Bruder zu helfen. „Ist es möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden“ (Röm 12:18). Zum Friedenmachen gehören allerdings zwei.

Die Schilderung in 1Mo 13:10-13 ist bezeichnend für die Entscheidung und Wahl des Lot. Bestimmend für sie war nicht die Frage: wie kann ich mit meinem Bruder, d. h. mit meinem Onkel unter allen Umständen in Gemeinschaft bleiben? Ausschlaggebend war offenbar nur der eigene Vorteil, die eigene Gier, das eigene Gelüst. Die Kultur, der Reichtum, das Wohlleben Sodoms hat es ihm angetan; er fühlt sich angezogen und hingezogen.

Nachdem Abraham gezeigt, dass er den Herrn verstanden, dass er unter keinen Umständen die Gemeinschaft mit ihm opfern, und dass er sein eigenes Los ganz aus des Herrn Hand nehmen will, da begegnet ihm der Herr (1Mo 13:14).

Landverheißung

Nun wird i h m das Land zugesagt (1Mo 13:15). Man hat behauptet, das Wort: „Dir und deinem Samen“, sei immer körperschaftlich aufzufassen. Aber nach Apg 7:5 hat Gottes Zusage nur dann Wert, wenn ihm das Land persönlich zugesichert worden ist. Der Gegensatz gegen Lot erfordert es, den Sinn in ihr zu finden, dass Er ihm zu seiner Zeit das Land geben werde.

Nach 1Mo 13:16 soll seine Nachkommenschaft dem Staub der Erde gleichen, und nach 1Mo 22:17 dem Sand am Meer und den Sternen am Himmel. Diese drei Bezeichnungen können, wie schon weiter oben hervorgehoben worden ist, nicht dasselbe besagen wollen und nur bedeuten, dass seine Nachkommen so zahlreich werden sollen, dass sie sich der Zählung entziehen würden. Wir finden vielmehr in ihnen eine deutliche Hinweisung auf die drei Arten seiner Nachkommenschaft.

S t a u b nimmt Bezug auf den Boden des Landes, von dem er stammt. Unter dieser Bezeichnung ist an die natürliche Nachkommenschaft zu denken, die künftigen Bewohner des Landes.

S a n d am Ufer des Meeres leitet auf die biblische Vorstellung hin, nach der das Meer die Völkerwelt bedeutet, die über die Meere zerstreut ist. Damit ist ihm eine Nachkommenschaft von Völkern zugesagt. In den sechs Söhnen von seinem zweiten Weibe finden wir einen Hinweis auf Völker, die in den zukünftigen Zeitaltern von Abraham entstammen sollen.

S t e r n e richtet unsern Blick auf die große Zahl derer, die zu der himmlischen Körperschaft, der Gemeine Jesu Christi gehören. In ganz unverkennbarer Weise ist hier eine dritte Gattung von Nachkommenschaft in Aussicht genommen. Wie im Staub auf Erden und im Sand am Rande des Meeres die irdische, so ist in den Sternen die himmlische Nachkommenschaft des Vaters der Gläubigen vorausgesagt. Das ist nicht als eine Spielerei anzusehen, sondern es sind deutlich die großen göttlichen Grundlinien ausgesprochen.

Wenn es zu einer wortgetreuen Erfüllung dieser Verheißung kommen soll, so muss ja eine so große Vermehrung dem Fleische nach eintreten, dass sie die gegenwärtigen Zustände weit hinter sich lässt. Jes 60:22 sagt zu, dass Gott es zu Seiner Zeit eilends ausrichten werde. Israel war nie ein sehr zahlreiches Volk. Diese Zusage nötigt zu der Erwartung, dass die Zukunft eine großartige Vermehrung des Volkes bringen wird.

Die sechstausendjährige Arbeit unseres Gottes ist nur Modellarbeit. Obwohl großartig angelegt, wird sie doch von der Ausführung weit, weit in den Schatten gestellt werden.

Vierzehntes Kapitel

Es ist nicht von ungefähr und wohl zu beachten, dass in diesem Kapitel mit solcher Ausführlichkeit und Genauigkeit Namen von Völkern, Königen und Örtlichkeiten berichtet werden, dass sie geradezu eine Herausforderung an die wissenschaftliche Untersuchung bedeuten, was ihre Geschichtlichkeit und Zuverlässigkeit betrifft.

Wenn diese patriarchalischen Lebensbilder Stammessagen wären, dann würden solche Zutaten, wie Genauigkeit in den Angaben von Zeit, Ort und Namen sehr wohl zu entbehren sein; und nicht nur das, sondern es wäre kaum anzunehmen, dass wir alsdann solche genauen Angaben finden würden, an denen es sich, wenn sie nicht stimmen, ja leicht feststellen ließe, dass man es nicht mit wirklicher Geschichte, sondern mit Sagen zu tun hat.

Die Forschungen der letzten Jahrzehnte haben nun ganz überraschende Beweise erbracht, dass es sich in den mosaischen Berichten in der Tat um Geschichte handelt, nachdem man uns so lange hatte glaubhaft machen wollen, dass Abraham und die Urgeschichte Israels Legende sei.

Die Geschichtlichkeit dieser Züge tritt immer deutlicher hervor. Die deutsche Wissenschaft, die sich den Anschein gab, aus reinem Wahrheitstrieb und ungetrübtem Forschungsdrangs zu ihren Feststellungen und Behauptungen genötigt zu sein, hat in sehr unschöner und unehrlicher Weise jene Forschungen tot zu schweigen gesucht. Man kann von ihr aber auch nichts Besseres erwarten. Wer sich aber gründlich über die Ergebnisse der Ausgrabungen in Babylonien usw. unterrichten möchte, findet in Urquhardt, „Die neueren Entdeckungen und die Bibel“, eine Fülle von einschlägigen Nachweisen und Belegen. Bei jenen Angaben zeigt sich, nach welchen leitenden Gesichtspunkten die heilige Schrift geschrieben wurde.

Törichterweise hat man ihr häufig den Vorwurf gemacht, sie sei nicht vollständig oder ausführlich genug. Das träfe zu, wenn sie es sich als ihre Aufgabe gestellt hätte, die Geschichte aller Reiche des Ostens und ihrer Könige zu liefern. Sie erhebt aber nicht den Anspruch, ein vollständiges, ausführliches Verzeichnis der Geschichte der Völkerwelt zu geben.

Was will sie denn? Sie will in großen Zügen veranschaulichen, wie Gott die Geschichte der Völker Seinen Zwecken dienstbar macht; und alles, was an geschichtlichen Angaben in ihr enthalten ist, ist hineingebracht worden, weil es mittelbar oder unmittelbar Bezug hat auf die Durchführung der großen Gedanken Gottes für die Menschheit.

Der leitende Gesichtspunkt für die heiligen Schreiber ist nicht der gewesen, uns genaue Erörterungen über jene Ereignisse oder jene Könige zu überliefern, sondern nur der, uns zu zeigen, wie die Gedanken Gottes, die in einer ganz bestimmten Linie, in der Linie eines bestimmten Volkes, sich fortbewegen, in ihrer Durchführung sich unvermeidlich mit einer ganzen Anzahl von Völkern, Königen, Obrigkeiten in den verschiedenen Zeitläufen berührt haben.

Und die Schrift, die nicht von einem Verfasser herrührt, sondern eine ganze Reihe von Verfassern aufweist, die sie im Laufe vieler Jahrhunderte geschrieben haben, verfolgt überall mit großer Sorgfalt und Treue dieses Verfahren. Dabei ist von vornherein ausgeschlossen, dass eine Verabredung, die Einheitlichkeit zu wahren, getroffen werden konnte. Das sollte genügen, einen sorgfältigen Forscher zum Nachdenken zu bringen.

In unserem Kapitel hätte es eine verlockende Gelegenheit gegeben für einen Mann, der über hinreichende Quellen verfügte, oder sich weitere Unterlagen verschaffen konnte, wie es Moses sicher vermocht hätte, nun in breiterer Ausführlichkeit zu berichten, was er wusste oder in Erfahrung gebracht hatte, um zu zeigen, dass er noch mehr wüsste - Gelegenheit, sich nicht nur auf dürre Tatsachen zu beschränken, sondern sich über die Ereignisse zu verbreiten, um so die ganze Sachlage zu stärken und die Glaubwürdigkeit zu steigern.

Für Menschen, die nur von menschlichen Gesichtspunkten aus geschrieben hätten, gab es Stoff genug, noch weit mehr zu sagen und noch andere Tatsachen herbeizubringen. Allen diesen Versuchungen haben die heiligen Schreiber sämtlich widerstanden. Sie standen alle unter der beschränkenden Zucht des Geistes. Diese Einheitlichkeit des Geistes, die das ganze Buch durchweht, durchzieht, durchtränkt, ist der stärkste und schlagendste Beweis für die göttliche Eingebung der Schrift. Sie ist wie aus einem Guss. Es gibt keinen Schreiber, der den Neigungen seines eigenen Geistes folgen durfte. Sie alle mussten sich ohne gemeinsame, gegenseitige Absprache beschränken, w e i l ein Geist sie sämtlich trieb, wie 2Petr 1:20.21 es so treffend ausgesprochen hat.

Noch etwas mehr. Wir sehen, dass die Schrift auf der ganzen Linie nach Anlage, Vorbereitung und Ausführung wohl eine sehr sorgfältig geplante, zielbewusste Beschränkung beobachtet, dass sie aber keineswegs eine Ausschließung bedeutet, was die Heilsabsicht Gottes mit den übrigen Völkern betrifft.

Wenn Gott auch Abraham und durch ihn Israel als Sein Volk ausersehen hat, so ist doch aus solchen Geschichtsberichten, wie der Vorliegende, zu erkennen, dass Gott auch die anderen Völker nicht vergisst, obgleich Er sie im übrigen ihre eigenen Wege wandeln lässt; und wir bekommen darin die kostbare Bürgschaft, dass auch sie an Seinem Heile Anteil haben werden. Alle diese Geschehnisse sind da, zum Heil und Besten der von den Gerichtsheimsuchungen Gottes gestraften Völker. Sie alle haben Zurechtweisungen bekommen, die das eine Ziel verfolgen, dass die Nationen erkennen sollen, dass Jehova der Herr ist. Das war das eine große erzieherische Ziel, das Gott im Auge gehabt hat, nicht nur bei freundlichen Heimsuchungen, sondern auch vorzüglich bei Seinen Gerichtsheimsuchungen, die unzertrennbar waren von der Ausreifung Seines auserwählten Volkes.

Alle die Gerichte, die Ägypten, die Sodomiter und Nebukadnezar getroffen haben, haben den einen Hintergrund, dass „alle Königreiche auf Erden erkennen, dass Du, Jehova, allein Gott bist“ (2Kö 19:19)!

Wenn wir diesen großen Grundgedanken im Auge behalten und ins Licht von Joh 17 rücken, dann liegt für uns in der Art, wie Gott Sich zu erkennen gibt, nämlich dass Er Sieger ist gegenüber allen Widerständen, wieder eine köstliche Bürgschaft dafür, dass es bei allen Seinen Gerichtswegen mit den Völkern Gottes Absicht ist, sie dem einen großen Ziele entgegenzuführen, von dem Jesus in Seiner Aussprache mit dem Vater redet: „Dass sie Dich, der Du allein wahrer Gott bist und den Du gesandt hast, Jesum Christum erkennen“. Und Gott erkennen, ist nach Jesu Worten „das ewige Leben“ (Joh 17:3). Alles Frühere ist nur Vorbereitung und Hinweisung darauf. Gott rechnete nicht damit, dass die erste Sendung Seines Sohnes das zuwege bringen würde, aber „das andere mal“ (Apg 7:13.35) wird es geschehen. Hier sind ganz köstliche Linien gezogen.

Lots Schicksal

Lots Schicksal erregt unsere innerste Anteilnahme (1Mo 14:12). Die Schrift sagt nicht nur, dass er seine Augen aufhob und sich die Auen und Tristen am Jordan erwählte, weil sie ihm wie ein lieblicher Garten erschienen waren, sondern auch, dass er immer näher nach Sodom zeltete. Zuletzt wohnte er in Sodom selbst; er hat sich also dort dauernd niedergelassen.

Das unruhige Wanderleben, wie Abraham es hatte, hat er aufgegeben. Es war ihm gar behaglich, alle Kulturvorzüge zu genießen. Dass die Einwohner Sodoms böse waren, musste er in Kauf nehmen. Sie plagten seine Seele. Das wird in 1Mo 19 mit Ausführlichkeit geschildert.

Darum, weil er in Sodom wohnte, wurde er von dem schweren Missgeschick und Unheil mit erreicht, das durch jene unglückliche Schlacht über Sodom hereinbrach. Also gerade weil er nicht beweglich geblieben war und sich ansässig gemacht hatte, kam er in das gleiche Gericht, das sich über seine Städte vollzog. Aber auch dieses Gericht war eine gnadenreiche Züchtigung Gottes, die sie und ihn vor schwereren Heimsuchungen hätte warnen können. Lot wird mit getroffen, weil er sein Bett in Sodom gemacht hat. Er muss nun zusehen, wie es ihm genommen und hinweggeführt wird.

Das war nur e i n e Lehre. Eine eine noch bedeutendere war die, wie sein Onkel und Bruder Abraham sich zur ganzen Angelegenheit stellt. Wenn je ein Mann Gelegenheit gehabt hätte, zu sagen: es geschieht dir recht, so hättest du nicht handeln dürfen – dann hätte Abraham sich jetzt diese Gelegenheit verschaffen können. Das ist gewöhnlich der Vers, den wir singen, und dann lassen wir einen solchen Menschen stecken. Abraham aber ist zu den größten persönlichen Opfern bereit, die das Ziel haben, den Bruder zu retten und das wiederzubringen, was ihm geraubt worden war, wenn auch durch eigenes Verschulden.

Wir haben hier ein kostbares Beispiel, wie man sich mit großen Opfern und persönlicher Hingabe unter das unverschuldete Leid und Unglück anderer stellen darf. Abraham war unschuldig an dem Übel, das Lot getroffen, und niemand hätte ihm eine Mitschuld beimessen können. Aber bei der ersten Nachricht wendet er alles auf, was in seinen Kräften steht, Lot zu retten. Dabei macht er einen erlaubten Gebrauch nicht nur von seiner Geschicklichkeit, sondern auch von seinen Machtmitteln. Er hätte ein vorzüglicher Heerführer werden können; das zeigt die kleine Probe, wie er den Babyloniern begegnet, sie überlistet und vollständig schlägt.

Das soll uns sagen, dass es keineswegs für ein echtes Glaubensleben, für ein Leben inniger Glaubensgemeinschaft mit Gott notwendig ist, dass man sich all der natürlichen Anlagen und Gaben, die Gott gegeben hat, entschlägt und sie verkümmern lässt, sondern dass man den von Gott gewollten Gebrauch davon macht. Abraham darf nicht nur von dem seinen Gebrauch machen, sondern ist dazu gehalten. Wenn das gute Recht vorhanden ist, dann ist es unsere Aufgabe, alles, was Gott uns gegeben hat, zum Heile unseres Bruders zu benützen. Abraham durfte alles daran setzen, was Gott in seinen Bereich gestellt.

Wenn unsere menschlichen Wissenschaften kein anderes Ziel im Auge hätten, als dem Bruder zu dienen und nicht der eigenen Verherrlichung, der Vergrößerung des eigenen Namens und Ansehens, dann wäre gegen ihre Errungenschaften nicht das mindeste zu sagen. Es wird ja eine Zeit kommen, wo Wissenschaft, Kunst und Technik zu keinem anderen Zwecke dasein werden, als die Gedanken Gottes zu verherrlichen und Seine Heilsabsichten auszuführen.

Diese Dinge an sich sind nicht zu verwerfen. Verwerflich ist nur, dass sie keinem höheren Ziele dienen, als der Welt zu zeigen, was „wir“ leisten können. Das ist ihr Fluch. Dienen sie dazu, den Bruder zu retten – und manches dient ja dazu, wie z. B. die Medizin, die oft mit schweren Opfern Erlösung von leiblichen Übeln möglich gemacht hat – dann wäre es ein Unrecht, mit Verachtung darauf zu blicken.

Hier liegt eine große Gefahr für uns. Wie darf es dazu kommen, auf solche selbstlose Bemühungen, das Können in den Dienst der Rettung der Menschen zu stellen, verächtlich hinwegzublicken. Wir wollen nicht alles auf einen Haufen werfen zu den Selbstverherrlichungen, die auf diesen Linien getrieben wird. Es gibt doch sehr viel selbstlose Hingabe auf diesem Gebiet; und Gott, der den Becher kalten Wassers nicht unbelohnt lässt, wird diese hingebenden Dienste nicht übersehen.

Abraham bringt alles zurück

Abraham bringt alles zurück. Das ist ein Wink für uns hinsichtlich des Zieles Gottes. Was durch eigenes Verschulden verlustig ging, wird wiederhergestellt durch den Dienst Abrahams. Wir haben hier eine Probe von der Erfüllung der Verheißung, dass in seinem Namen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden sollen, und ein kleines Beispiel dafür, wie denen, die selbstverschuldete Leiden zu tragen haben, ihr Schaden ersetzt werden kann. Die zukünftigen Zeiten werden noch viel mehr von diesen Dingen bringen.

Als Abraham zurückkam, hatte er zwei Begegnungen. Ehe der König von Sodom ihm begegnet, sorgte Gott dafür, dass dem Abraham, der mit gehobener Stimmung aus der Könige Schlacht herausgekommen sein wird, zuvor eine andere Begegnung zuteil wurde.

Melchisedek

Hier tritt uns eine Erscheinung, eine Persönlichkeit, ganz unvermittelt entgegen, die uns, wie später ein Elias groß, gewaltig, geheimnisvoll anmutet. Von ihm wird nicht gesagt, wer er war, was er getan, woher er gekommen, was aus ihm geworden ist (Hebr 7:23) – alles das wird mit Stillschweigen übergangen.

Auch hier haben wir wieder ein Beispiel, welch keusche Zurückhaltung die heiligen Schreiber beobachtet haben. Wir können nicht anders als annehmen, dass es in der Absicht Gottes gelegen hat, alle Mitteilungen über Ereignisse und Persönlichkeiten, die nicht auf der Linie des auserwählten Volkes sind, auf das Mindestmaß beschränken zu lassen.

Wenn ein Schriftsteller wie Moses eine Begegnung mit einem solchen Manne aus eigenem Antrieb geschrieben hätte, dann hätte er sich über diesen Melchisedek aus bloßem geschichtlichen Sinn viel weiter verbreiten müssen, und wenn er zunächst keine näheren Nachrichten gehabt hätte, so hätte er die Fähigkeit besessen, sich weitere Quellen zu verschaffen, um mehr sagen zu können. Kein Mensch von solcher Geistesbegabung würde es schon aus rein wissenschaftlichem Anreiz über sich gewonnen haben, nur mit zwei Strichen etwas zu zeichnen, wo ausführlichere Mitteilung äußerst dankenswert gewesen wäre. Es liegt nicht im menschlichen Geiste, sich solche Beschränkungen aufzuerlegen, und sie sind nur so zu erklären, dass ein Riesengeist wie Mose sich von einem größeren Geiste abhängig und bestimmt wusste. Sie sind uns Beweis, dass diese Männer nicht eine Silbe mehr schreiben durften, als ihnen der Geist erlaubte, und natürlich auch nicht eine Silbe weniger. In solchen Zügen haben wir einen Beleg mehr für die Aussage des Petrus: Die heiligen Menschen Gottes haben nicht aus menschlichem Willen geredet, sondern getrieben von dem Heiligen Geist (2Petr 1:21). Sie standen unter einer Geisteszucht, die wunderbar, übernatürlich, göttlich war.

Melchisedek, König der Gerechtigkeit und von Salem (Jerusalem): in diesem Namen liegen kostbare Winke für uns. Es werden uns kein Geschlechtsregister und keine geschichtlichen Zusammenhänge dieses einzigartigen Priesterkönigs gegeben. Fast alle Unterweisungen über ihn fließen aus seinem Namen und aus seinem Titel König von Salem.

Es tritt uns hier in großer Bestimmtheit die Tatsache entgegen, dass trotzdem die Kanaaniter im Lande waren und die Gottlosigkeit und das Sündenverderben wie in Sodom überhand genommen hatte, und trotzdem der Auserwählte Gottes wie ein Fremdling auf- und niederzog, der höchste Gott auch einen ansässigen Zeugen in jener Zeit gehabt hat.

Wir tun hier einen tiefen Einblick in die freundliche Absicht Gottes über die verderbten Völker. Wenn er König der Gerechtigkeit war, der verglichen wird mit dem Sohne Gottes, also Sein Vorbild, Sein Schattenbild, so will uns das doch ungemein viel sagen.

Ehe Gott Seinen Knecht Abraham soweit führen konnte, wie Er ihn führen wollte, zur Glaubensgerechtigkeit, und dazu, Vater der Gläubigen zu sein, ehe eigentlich die ersten Ansätze für das Zukünftige vorhanden waren, da hat Gott schon auf Völkerboden einen wunderbaren Zeugen – einen Zeugen, der eine so hohe Stellung in den göttlichen Ordnungen einnimmt, dass das Amt des Sohnes Gottes dem Seinigen verglichen wird, ja dass dieses sogar Beispiel und Muster ist für das Hohepriestertum, das besser ist, denn Aarons.

Da liegen wunderbare, feste Grundzüge für das Verhalten Gottes den Völkern gegenüber, die uns zu denken geben. Wir haben hier Ansätze, die sich sehr deutlich decken mit den Angaben des Paulus in seinem Evangelium, dass unsere Erwählung zurückgreift vor Grundlegung der Welt, d. h. dass alle unmittelbaren Anstalten Gottes auf der Linie der Verheißung nicht das letzte Maß sind, an welchem die Liebesgedanken Gottes mit Seiner Gemeine gemessen werden müssen. Sie reichen rückwärts hinaus über das Maß, das Er in Seinen Verheißungen gesetzt hat.

Dafür bleibt der Vater der Gläubigen nicht der letzte Meilenweiser. Dieser Melchisedek reicht hinter Abraham zurück und über ihn hinaus. Er tritt uns als eine fertige, vollendete Persönlichkeit entgegen, ehe noch Abraham in der Schule Gottes den ersten Anfang gemacht hat, ehe er die ersten Stufen der Leiter erklommen hat. Das weist uns hinter diese Linie der Verheißungen zurück. So gewiss sie grundlegende Bedeutung haben – eine erschöpfende Bedeutung für Seine Gemeine aus den Nationen haben sie nicht.

Das tritt uns sehr deutlich im Galaterbrief entgegen. Eine der Hauptunterscheidungen zwischen dem Evangelium an Israel und dem an die Gemeine ist ja die, dass es sich bei den Zwölfen darum handelt, Jesum Christum zu erweisen als den Sohn Abrahams, den Träger und Erfüller aller Verheißungen für alle Völker rückwärts und vorwärts, während Paulus in seinem Evangelium soweit geht, dass er die Bedeutung des Lebens Jesu zurückschiebt gegenüber Seinem Tode, so dass sein Evangelium beginnt mit Golgatha und nicht mit dem Leben zwischen Bethlehem und Golgatha, worauf die heutige Theologie sich beschränken will.

Paulus erklärt: mein Evangelium beginnt mit dem Gekreuzigten; und ob wir Ihn auch nach dem Fleisch gekannt haben, so kennen wir Ihn doch nicht mehr (1Kor 2:2; 2Kor 5:15.16). Das Evangelium an die Beschneidung musste sich mit Seinem Leben beschäftigen. Die Apostel mussten Ihn erweisen aus der Schrift und aus der Verheißung; diese Züge durften in ihrem Evangelium nicht fehlen.

Wir dagegen haben keine Verheißung und kennen Ihn als Verheißenen nicht. Bei uns gibt es keine Linien, die sich in Ihm erfüllen müssten. Für uns ist es der Sohn Gottes, für Den der Geist eine wunderbare Gemeine zubereitet, die des Lebens des Sohnes Gottes teilhaftig wird.

Für jene war es allerdings von hohem Wert, dass Er ins Fleisch kam und Sich als der Messias erwies; für uns aber kann das diese Bedeutung nicht haben. Wir können es ruhig zur Seite stellen und zur Seite stehen lassen. Auch für uns haben alle jene Berichte einen kostbaren Wert, weil sie Seine Person betreffen; für die besonderen Beziehungen zur Gemeine aber kommen sie nicht in Frage, sondern nur das, dass Er am Kreuz gestorben ist, die Scheidewand hinweggetan hat, und nun wieder auferweckt ist und wir mit Ihm in himmlische Örter versetzt sind. Das ist der Ausgangs- und Kernpunkt.

So wertvoll für uns jene Erzählungen in den Evangelien sind als Beweise für die Zuverlässigkeit der Voraussagen Gottes – Gegenstand der Prophetie ist die Gemeine nie gewesen. Hier aber ist ein Ansatz dafür in Melchisedek, der vor Abraham steht und hinter ihn zurückgreift.

Die Begegnung mit Abraham ist eine ganz ergreifende. Melchisedek, ein Priester Gottes, ein Vorbild des ewigen Hohenpriesters Jesus Christus, bringt Brot und Wein hervor. In dieser Tatsache kann man die biblische Begründung dafür finden, dass der Sohn Gottes, nachdem Er mit Seinen Jüngern das Israel gegebene Passamahl gehalten hatte, Brot und Wein nahm und sie benützte, um mit diesen Bestandteilen ein Gedächtnismahl Seines Todes zu stiften, und zwar nicht nur für die Judenchristen, sondern auch für uns. Deswegen sagt Paulus: „Ich habe es vom Herrn empfangen“.

Wir haben hier wieder dieselbe keusche Folgerung, von der wir schon gesprochen haben: er lässt sich betreffs des Gedächtnismahles für uns vom Herrn unterweisen und nicht von den Zwölfen. Das hat für uns eine ganz besonders köstliche Bedeutung. Es liegt in diesem Mahle mehr, als was nur den Samen Abrahams betrifft. Der Meister hat es unmittelbar mit dem Passamahl verbunden, und hergeleitet aus den Bestandteilen, die zu Ihm gehörten.

Aber die Weise, wie Paulus von dem Mahle redet, stellt es klar, dass er es in bestimmte Beziehung gebracht hat zu dem Hohenpriester Melchisedek. Dessen Dienst, Würde und Amt ragen weit hinaus über das abgeschattete Priestertum in Israel, und ist wiederum nur eine Verabschattung des Dienstes, den das Hohepriesteramt Jesu Christi der Völkerwelt zu leisten hat.

Wir schauen hier in ein köstliches Geheimnis, aus dem wir schließen dürfen auf die wunderbaren Gedanken Gottes, die jenseits hinausragen über alles, was Gott in Abraham gedacht und beschlossen und von dem Paulus geredet hat.

Das Umfassende des Segens Melchisedeks ist bemerkenswert (1Mo 14:19.20). Das Wort greift prophetisch weit, weit hinaus über die zukünftigen Gedanken Gottes mit Abraham und seinem Samen. Er greift zurück auf Gott den Höchsten, der Himmel und Erde geschaffen hat. Das ist der weiteste, breiteste und festeste Unterbau für alle ferneren Offenbarungen unseres Gottes.

Wir dürfen das keineswegs gering achten. Die Schrift greift bei besonders hohen Anlässen immer wieder darauf zurück, z. B. im Kolosserbrief, wo der Apostel Paulus den weiten Rahmen zieht dessen, was einbegriffen ist in dem Versöhnungswerke Christi am Kreuz. Er weiß es nicht wirkungsvoller zu tun, als indem er uns vorstellt, dass durch Ihn alles geschaffen ist im Himmel und auf Erden und dass in Ihm alle Dinge ihren Bestand haben (Kol 1:16.17). Das ist Beweis dafür, wie sich der Geist Gottes der grundlegenden Tatsachen bedient, und zugleich eine Bürgschaft dafür, dass der große Gott das Werk Seiner Hände nicht lassen wird.

So finden wir auch hier eine unverkennbare Bezugnahme auf die Ehre und Gesinnung Gottes, der die Erde und was darinnen geschaffen hat und Seinen Namen dafür verpfändet, dass es mit Seiner großen weiten Schöpfung, die die Himmel und aller Himmel Himmel umschließt, ein Seiner würdiges Ziel, eine Vollendung geben wird, daran sich Gott nach keiner Weise zu schämen haben wird, wenn Er sie dem Prüfungsblick all Seiner geschaffenen denkenden Geschöpfe unterbreiten wird: Ist es Mir gelungen? Oder habe Ich einen Fehlschlag zu verzeichnen? Habe Ich etwas angefangen, was Ich nicht auszuführen vermochte? Ist es jemand gelungen, Meinen Plan wirklich zu durchkreuzen?

Wir wissen noch viel zu wenig von den Ausgängen der Dinge außer dem, was Er durch die Propheten in Aussicht gestellt hat, aber wir haben noch viel weniger gesehen, erlebt, erfahren, was Gott tun kann, als dass wir Gott auf Seinem Boden beschränken dürfen. Die Selbstverständlichkeit, mit der man Gott messen zu können glaubt an dem, was bisher geschehen ist, und mit der man noch dazu Ihm Schranken gezogen hat in Seiner eigenen Schöpfung, über die Er nicht hinausgehen könne und dürfe, kann nur mit Beschämung enden darüber, dass wir in solchem Wahnwitz befangen waren.

Die Aussage in 1Mo 14:20 weist hin auf die Zusage 1Kor 15:25-28, dass Gott Ihm alle Seine Feinde unter Seine Füße gelegt habe und Ihm alles unterworfen ist, wobei die einzige Ausnahme nur Der ist, Der Ihm alles unterworfen hat. Lauter Anklänge, die weit hinüberreichen über das, was wir als geschichtliche Erweisungen Gottes kennen gelernt und erfahren haben. Unser Gott ist noch lange nicht fertig, aber Er hat gut angefangen und wird gut weitergehen.

Im Übrigen verweisen wir auf den Hebräerbrief, in dem Hebr 7:4-10 der Beweis erbracht ist, dass das levitische Priestertum niedriger einzuschätzen sei als das des Melchisedeks.

Die Könige von Sodom

Nun ist Abraham innerlich gerüstet und gestählt zu einem siegreichen Begegnen mit dem Könige von Sodom (1Mo 14:21) -- einer Erscheinung, die etwas Unheimliches an sich hat. Es handelt sich um das Haupt eines Gemeinwesens, das die höchste Stufe des Verderbens erreicht hat und das Gott hinwegtun muss. Es bedeutete eine große Gefahr für die Ruhe, die Gelassenheit und den klaren Blick auf den allerhöchsten Gott, einem solchen Manne zu begegnen.

In der göttlichen Erziehungsweise ist das beste Mittel, einen Gläubigen zu wappnen gegen eine solch gefährliche Begegnung der Hinweis auf den Gott, der Himmel und Erde gemacht hat. Das ist ein handgreiflicher Beweis, dass es keine stärkendere Speise geben kann als das Wort der Weissagung, als Beschäftigung mit dem Gott, Der die großen Gedanken hat, nicht nur mit dem Gott, Der „mein Heiland“ ist, umschrieben von meiner Person und meinem persönlichen Heil. Es ist gewiss groß, über unsere Erfahrungen Belege zu geben, aber niemals geben sie Rückhalt gegen die Versuchungen. Da genügt nur der Hinweis auf den höchsten Gott, der das All umschließt mit Seinen Gedanken und Der mit Seinen Feinden fertig wird.

Abraham kann also dem Könige von Sodom siegreich antworten (1Mo 14:22.23). Welche Zumutung hatte er doch an Abraham gestellt, die eine Antwort hervorrief? „Die Güter behalte für dich!“ Der König will damit zum Ausdruck bringen, dass Abraham ein großartiger Mensch sei, der sich außerordentlich aufgeopfert und unbezahlbare Dienste geleistet habe, dem er höchste Ehre zolle und dementsprechend begegne. „Die ganze Beute behalte für dich!“ Der König von Sodom zeigt sich nicht als „Lump“. Er hat gut reden; er hatte ja keinen rechtmäßigen Anspruch auf Beute. Das hatte nur Abraham. Der hatte sein Bestes eingesetzt, um seinen Bruder zu retten, und als begleitendes Ereignis geschah es, dass auch Sodom wieder zu seinem Eigentum kam.

Auch bei der Errettung unserer Brüder kommt die Welt zu dem Ihren; sie hat großartige Vorteile davon. Wenn sie dem Christentum entgegentritt, wie der König von Sodom dem Abraham, als wolle und könne sie die Gönnerschaft für die Rettungsarbeit übernehmen, um damit auszudrücken, sie werde sie schirmen und schützen, so muss man dagegen Verwahrung einlegen. Die Welt hat im Grunde genommen kein Recht dazu; denn sie ahnt nicht, dass ihr das Ihre nur durch die Freundlichkeit Gottes wiedergeschenkt wird.

Es ist sicher eine berechtigte Anschauung, wenn wir glauben, dass der ganze Bestand an Wohlfahrt und geregelten Verhältnissen, die für die Völker so wesentlich sind, zurückgeführt werden kann auf die rettende Bewahrung Gottes. Die Regierungen und Obrigkeiten werden nicht erhalten durch Bajonette und Kanonen, sondern weil es so viele Beter gibt. Dass die Gesellschaft nicht durchfault und zerrüttet ist bis auf den letzten Knochen, kommt nicht daher, dass sie selbst so trefflich und vorteilhaft arbeitet, ihre Pestbeulen zu heilen, sondern daher, dass noch so viel Salz im Fleisch ist, so dass die endgültige Fäulnis aufgehalten und verhindert wird. Das erkennt man aber nicht; man würde sich lächerlich machen, wenn man solche Gedanken äußern wollte. Aber es hat dennoch seine Richtigkeit.

Es lag die große Gefahr vor, bei dem Anerbieten des Königs von Sodom den klaren Blick für den wirklichen Zusammenhang der Dinge zu verlieren, wie es auch für das Christentum eine Versuchung gewesen ist, in der sie aber nicht wie Abraham hier bestanden hat, sich die Schutzherrschaft der Welt gefallen zu lassen. Er hat verstanden, die Hände zu erheben zu dem höchsten Gott, und nicht einen Faden und Schuhriemen zu nehmen von dem Könige von Sodom. Wenn das Christentum all die Jahrhunderte hindurch diesen Standpunkt eingenommen und mit ruhiger Entschiedenheit jede Unterstützung aus d e r Quelle zurückgewiesen hätte, dann stände es wohl heute anders um das Evangelium und der Welt.

Für seine Verbündeten unternimmt es Abraham nicht, den gleichen Maßstab zu gebrauchen, wie für sich (1Mo 14:24). Da hat er richtiger gehandelt, als die meisten lieben Gotteskinder tun. Sie meinen, dass, nachdem sie zu der Erkenntnis der Wahrheit Gottes gekommen sind, alle Menschen über den gleichen Leisten zu schlagen sind. Sie ahnen gar nicht, dass sie die Ehre des Herrn damit nicht fördern, sondern hindern. Das können wir nicht und dürfen es auch nicht. Solche Seelen, denen der Blick dafür fehlt, müssen wir den Händen des Herrn befehlen. Abraham hat keinen Versuch gemacht, jene Leute auf gleiche Stufe mit sich selbst zu stellen.

Lies weiter:
6. Gottes Bund mit Abram (1Mo 15 u. 16)