Aufforderung an die Stadt Jerusalem und Verheißung ihrer künftigen Hoheit - Jes 60:1-14

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aus HSA: Verkündiger von Gericht und Heil nach Jesaja (40-66) Bd.2


Aufforderung an die Stadt Jerusalem und Verheißung ihrer künftigen Hoheit - Jes 60:1-14

Die Kapitel Jes 60-62 betrachtet man als ein besonderes Büchlein innerhalb des Jesajabuches: das Buch von Zions zurkünftiger Herrlichkeit. Den Inhalt von Jes 60 fasst Eduard König mit den Worten zusammen: "Der Aufgang der göttlichen Heilssonne über Zion bewirkt a) eine Sammlung aller Völker um diese Sonne und b) eine Verklärung der äußerlichen Verhältnisse Zions sowie den des Personen- und Naturlebens in ihm." Sehr schön schreibt Franz Delitzsch zu Jes 60:1: "Noch ist es Nacht, Nacht der Sünde, der Strafe des Leidens, der Trauer, eine lange nun schon bald siebzighährige Nacht" (Jes 25:11.12 - Sach 1:12 - von 605 als Beginn der Wegführungen bis nach 538). In diese Nacht hinein "hat der Prophet in göttlichem Auftrag das Licht gepredigt. Nun ist er in seinem inneren Durchleben des Inhalts seiner Predigt bis dicht an den Zeitpunkt hingelangt, wo das Glauben zum Schauen werden soll, und er ruft in der Kraft Gottes der Gemeinde zu: Steh auf, werde licht! Die Anrede geht an Zion-Jerusalem, die wie in Jes 49:18 - Jes 50:1- Jes 52:1.2 - Jes 54:1 als Weib gedacht ist. Niedergeschlagen von Gottes Strafgericht, dahingesunken von innerer Niedergeschlagenheit liegt sie am Boden. Da ergeht an sie der Ruf: Steh auf!"

Mehrfach begegnen wir bei Jesaja der prophetischen Zusammenschau zeitlich weit auseinder liegender Dinge. "Ereignisse der näheren und ferneren Zukunft rücken zusammen wie die Gipfel der Berge für den Wanderer im Hochland" (Erich Sauer), und je weiter entfernt, desto kleiner erscheint alles (nach dem Gesetz des perspektivischen Schauens). So werden Christi Kommen in Niedrigkeit und sein zukünftiges Erscheinen in Herrlichkeit in einem Bild zusammengeschaut (vgl. Jes 9:5 - Jes 11:1-9 - Jes 61:1-3). Dies gilt auch für den obenstehenden Abschnitt. Welche Zeit steht dem Propheten vor Augen? Die der Heimkehr Israels aus dem babylonischen Exil und des Wiederaufbaus Jerusalems und des Tempels? Ganz gewiss, aber damals erfüllten sich die Weissagungen von Jes 60:1-14 nur teilweise. Die Schau reicht in viel spätere Zeiten hinein (ohne dass Jesaja die dazwischen liegenden "Täler" bewusst waren) - ins Tausendjährige Königreich Christi auf Erden (Offb 20:1-6) und sogar auf die neue Erde (vgl. die Verse Jes 60:3 und Jes 60:11 mit Offb 21:24-26).

In unserem Text ist zunächst von einem Sonnenaufgang die Rede. Er betrifft Jerusalem und Israel, während die Völkerwelt noch im Dunkeln liegt. Hier gilt, was Paul Gerhadrdt in dem Lied "Ist Gott für mich..." ausgesprochen hat: "Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ." Jahwe-Jesus ist die Sonne aller Sonnen, das Licht der Welt (Ps 84:12 - Mt 17:2 - Joh 8:12 - Offb 1:16). Allerdings sieht man dieses Licht nicht immer, denn es gibt im Verlauf der Heilsgeschichte Gottes auch Nachtzeiten (vgl. Jes 21:11.12 - Joh 9:4 - Röm 13:12). Wunderbar, wenn dann nach banger, dunkler Nacht die Sonne aufgeht (Mal 3:20). So geschah es als Teilerfüllung, als das babylonische Exil zu Ende ging, und auch wieder, als Jesus auf die Erde kam (Mt 4:16); die Vollerfüllung aber liegt noch im Schoß der Zukunft (vgl. Jes 33:17 - Offb 21:23).

Die Völker merken, dass in Jerusalem Außerordentliches geschieht, und angezogen von dem Glanz und der Herrlichkeit Gottes, in dem Jerusalem erstrahlt, strömen sie zur Gottestadt (Jes 60:3, vgl. Jes 2:1-4). Hier ist der Blick auf das Friedensreich des Messias gerichtet. Nun kommen die Vöker nicht mehr, um Jerusalem zu belagern, zu bekriegen. Die Kämpfe von Sach 12:1-4 und Sach 14:2-5 sind vorüber. Die Völker und ihre Führer ("Könige") strömen (soweit sie in den Endzeitgerichten nicht umkamen, friedfertig und demütig nach Jerusalem. Es ist ihnen bewusst, wie großes Unrecht sie Israel im Lauf der Jahrhunderte zugefügt haben, und die Söhne beugen sich unter der Last der Schuld ihrer Väter (Jes 60:14). Gern leisten sie "Wiedergutmachung" durch Dienst oder Gaben.

Wenn Delitzsch meint, man dürfe aus Jes 60:7 ncht schließen, dass das Tieropfer dereinst wiederhergestllt werden wird", denn das würde "dem Geiste des Neuen Testaments widersprechen", das Tieropfer sei "durch Selbstofper des Knechtes Jahwes ein für alle Mal abgetan" - so müssen wir dem geschätzten Ausleger an dieser Stelle widersprechen. Natürlich hat er damit Recht, wenn es um die Gemeinde Gottes geht und um die vollgültige Sühnung der Sünden vor Gott (siehe Hebräerbrief). Dem Opfer Jesu ist nichts hinzuzufügen. Aber warum sollen nicht als Anschauungsunterricht für die Völker im zukünftigen Friedensreich des Messias noch Tieropfer dargebracht werden? Auch Hes 43 und andere Stellen bezeugen es. Vor Golgatha wiesen sie als Vorschattung auf das einmalige Opfer des Sohnes Gottes hin - in der Zukunft nach Golgatha in der Rückschau. Erst in der Neuschöpfung gibt es Tempel und Opferdienst nicht mehr (Offb 21:22). Aber das messianische Königkreich ist der Neuschöpfung noch nicht gleich. Das zeigt sich auch darin, dass es in diesem Reich noch Gewaltandrohung und Gewaltausübung gibt (Jes 60:12 unseres Textes sowie Ps 2:8.9 - Sach 14:17 - Offb 2:25.27). Erst am Ende der Zeiten ist jegliche Gewalt überflüssig geworden und wird abgetan, und die Liebe Gottes kann gewaltlos herrschen. Paulus schaut dies in 1Kor 15:24-28.

Wenn Jes 60:8 von den heimkehrenden Israeliten sagt, dass sie "wie eine Wolke daherfliegen und wie Tauben zu ihren Schlägen, so dachte Delitzsch an "Schiffe, so schnell dahereilen wie vom Wind gejagtes leichtes Gewölk". Der folgende Vers Jes 60:9 spricht ja auch von den Tarsis-Schiffen als den Führern der die zerstreuten Israeliten heimbringenden Flotte; es sind die bereits in Jes 2:16 und Jes 23:1 - Jes 23:14 genannten Hochseeschiffe, die von Phönizien an Tartessus in Südspanien ansteuerten. - Heute denken manche Auleger in Jes 60:8 an Flugzeuge. Das kann, muss aber nicht gemeint sein. In jedem Fall ist eine starke Sehnusucht in den Herzen der heimkehrenden Israeliten gemeint. Ernst F. Störter (1846 - 1922), Theologieprofessor, Bibelausleger und Judenmissioniar, schrieb 1909 in einem Artikel über Jes 60-62 ("Israel, das Licht der Heiden"): "Das Bild von den Tauben, die ihren Schläge zueilen, will wohl in ersten Linie veranschaulichen den wunderbaren, unauslöschlichen Wander- und Heimattrieb, den Gott, wie keinem anderen Volk auf Erden, seinem unter die Heiden zerstreuten Israel in das Herz gelegt hat. Wo ist ein Volk unter dem Himmel mit einem solchen Heimweh zurück nach dem Lande der Väter!... Viele Wasser mögen sie nicht auslöschen - die Liebe zu dem Lande, das auf seine rechtmäßigen Erben wartet. Mit heller Flamme lodert das zionistische Feuer vor den Augen einer staunenden Völkerwelt in unsern Tagen."

Die Verse Jes 60:6.7 sprechen zunächst von Midian und Efa, es war Handel treibende Völker, Nachkommen von Abraham und Ketura (1Mo 25:2.4). Sie kommen von Saba im südlichen ARabien (vgl. 1Kö 10:1). Kedar und Newbajot waren Nomadenstämme aus der syrisch-arabischen Wüste, Söhne Ismaels (1Mo 25:13).