Falsche und echte Frömmigkeit - Jes 58:1-14

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aus HSA: Verkündiger von Gericht und Heil nach Jesaja (40-66) Bd.2


Falsche und echte Frömmigkeit - Jes 58:1-14

Jesaja tritt hier (wie schon in Jes 56:9 bis Jes 57:13) im Auftrag Gottes als Strafprediger auf. Er führt Israel seine Sündhaftigkeit vor Augen, und zwar geht es um das rechte, Gott wohlgefällige Fasten und um die rechte Sabbatheiligung. War Gottes Volk zur Zeit des gottlosen Königs Manasse weithin der Sünde des heidnischen Götzendienstes erlegen (Jes 57:3-13), so bildete sich später - im Exil beginnend - eine andere Sünde heraus, die bis in die Tage der Erdenzeit Jesu und seiner Apostel hineinreichen sollte: die fromme Selbstgerechtigkeit und Werkgerechtigkeit, von Paulus auch als "eigene Gerechtigkeit" bezeichnet (Röm 9:31.32 - Röm 10:3 - Phil 3:8.9). Man fastete nicht etwa zu wenig, doch das Fasten war zu einem seelenlosen toten Werk verkommen, für das man gar noch eine göttliche Belohnung erwartete (Jes 58:3). Zu dem vom Gesetz vorgeschriebenen Fasten ("Kasteien der Seele") am "großen Versöhnungstag" (am 10. des 7. Monats Tischri) traten in Babel noch weitere Fasttage hinzu, und zwar zum Gedenken an die begonnene Belagerung (am 10. des 10. Monats Tebeth), Eroberung (am 17. des 4. Monats Tammuz) und Zerstörung Jerusalems (am 9. des 5. Monats Ab) sowie zum Gedenken an den Tod Gedaljas (am 3. des 7. Monats Tischri). (Man vergleiche Sach 7:3.5 und Sach 8:19).

Der Herr macht deutlich, was für ein Fasten ihm gefällt (Jes 58:5-7); nicht eine geheuchelte Demut und Selbstkasteiung, sondern Mildtätigkeit gegenüber Untergebenen, Hilflosen und Hungernden. "Als während der Belagerung Jerusalems durch die Chaldäer eine allgemeine Freilassung der (nach dem Gesetz im jeweils 7. Jahr freizulassenden) Sklaven israelitischer Abkunft vollzogen worden war, holten, sobald die Chaldäer abgezogen waren, die Herrn ihre Freigelassenen in die Dinstbarkeit zurück (Jer 34:8-22). Diesen selbstisch despotischen Sinn hat das Volk, wie Jes 58:6 zeigt, auch in der Verbannung nicht abgelegt" (Delitzsch). - Das Fasten soll der Besinnung auf Gott und dem Gebet dienen (Jes 58:4, und aus Liebe zu Gott soll die Liebe zum Nächsten fließen (5Mo 6:5 - 3Mo 19:18 - Lk 10:27). - Ebenso soll der Sabbat, das "eigentliche Bind- und Erhaltungsmittel Israels als religiöser Gemeinde, zumal im Exil" (Delitzsch), nicht als auferlegte Last, sondern als Lust (Jes 58:13 beobachtet werden, um Jahwe näher zu kommen und in seine Ruhe (die Ruhe des göttlichen Schöpfungssabbats) einzugehen.

Überraschenderweise hören wir dann in diesem Kapitel ernster Mahnung und strenger Zurechtweisung ab Jes 58:8 herrliche Verheißungen, die - auch sprachlich - zu den schönsten in Jesaja gehören; manches erinnert an Hi 11:13-19 - Hi 22:23-28. Wir wollen sie näher ins Auge fassen und dabei bedenken: Wenn dies schon hier im Alten Testament gilt, wie viel mehr im Neuen Testament! Der Herr liebt ja die Glieder des Leibes Christi nicht weniger als Israel! Sie sind allerdings von einer Bedingung abhängig: sich vom Bösen entfernen und Gutes tun. Aber gibt es nicht auch im Neuen Testament - unbeschadet der T Rettung und Rechtfertigung aus Glauben und Gnade, ohne Mitwirkung der Werke - Verheißungen mit einer Bedingung? Man lese 2Tim 2:11-13 - Jak 4:8 und beachte das seibenmal vorkommende "Wer überwindet" in denÜberwinderverheißungen von Offb 2 und Offb 3.

  • Dann wird gleich der Morgenröte dein Licht hervorbrechen ...Deine Finsternis wird der Mittagshelle gleich werden. Schon in den Sprüchen steht geschrieben (Spr 4:18): "Der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe." So darf es im Leben eines Gotteskindes, das "in Christus" lebt und bleibt, immer heller, lichter, klarer werden - was nicht mit Fehlerlsigkeiet und Vollkommenheit verwechselt werden darf, sondern im Sinne von Eph 5:8-14 und Phil 2:14-16 zu verstehen ist.
  • Die Heilung deiner Wunde wird eilends sprossen. Es ist eigentlich "das neue, gesunde Fleisch unter der Wnde" gemeint (Knautzsch). Auch vor Gott Gerechtgewordene können noch an Verwundungen zu leiden haben. Hier ist nicht an einen Unfall oder ein Unglück zu denken, sondern an Verletzungen der Seele infolge der Sünde. Sie sind nicht alle durch die Erlangung der Vergebung (Eph 1:7 - 1Jo 1:9) augenblicklich beseitigt. Doch etwas Neues kam ins Leben (2Kor 5:17); dieses soll nun wachsen, sprossen und seine heilenden Kräfte entfalten.
  • Deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die Herrlichkeit Jahwes deine Nachhut bilden. Bei dem Wort "Gerechtigkeit" ist hier wohl im Sinne von Jer 23:6 - Jer 33:16 an Jahwe selbst zu denken. Er geht voran und bildet mit seiner Herrlichkeit die Nachhut; er führt den Zug an und hält ihn zusammen; das bedeutet umfassenden Schutz. Neutestamentlich gesprochen: Jesus ist unsere Gerechtigkeit (1Kor 1:30) und seine Herrlichkeit ist unsere Hoffnung (Röm 5:1.2 - Kol 1:27). Die ihm gehören, werden sowohl gerechtfertigt als auch verherrlicht (Röm 8:30).
  • Du wirst rufen und Jahwe wird antworten. Es ist etwas Wunderbares, Gebetserhörungen zu erleben. Allerdings gilt immer 1Jo 5:14: "Wenn wir etwa nach seinem Willen bitten hört er uns." Seinen Willen lernen wir in dem Maße kennen, als wir im Wort Gottes wurzeln. Auch Wunschgebete dürfen wir vorbringen, doch mit dem Zusatz: "wenn es dein wille ist". - Gott kann auf vielfältige Weise auf unser Fragen, Bitten Rufen, Schreien antworten: durch innere Tröstung, Zuspruch von außen, Wunscherfüllung, außerordentliche Bewahrung, vertiefte Gemeinschaft mit ihm.
  • Der Herr wird dich immerfort leiten. Es gibt äußere und innere Leitung. Dem in Babel befindlichen Israel wird im 2. Teil des Jesajabuches Jahwes Leitung auf dem Heimweg zugesagt. Die Apostel erfuhren Gottes Leitung auf ihren Missionsreisen; dazu kann auch ein "Wehren" oder "Hindern" gehören (Apg 16:6.7). - Es gibt die Leitung im Wort (Joh 16:13) und die Leitung im Gebet (Röm 8:26). Wohl dem, der sich täglich der Führung seines Herrn und der Leitung durch seinen Geist (Röm 8:14) anvertraut.
  • Du wirst einem bewässerten Garten, ja einer Wasserquelle gleichen. Dies ist eine doppelte Zusage: a) Dein Durst wird auf göttliche Weise gestillt werden und du gleichst einem Garten, in dem nützliche Früchte wachsen (Gal 5:22). b) Du wirst selber zu einer Quelle werden, die anderen "Wasser des Lebens" darreicht (Joh 4:14).
  • Du wirst deine Lust haben an Jahwe. Die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn (1Jo 1:3) ist für den erlösten Geist eine Wonne. Für den Gottlosen ist Gott ein Schrecken, für den Gläubigen unter Gesetz ein strenger Richter, für den Gläubigen unter der Gnade (Röm 6:15) ist er der Inbegriff der Freude, der Hoffnung, der höchsten Lust. Es ist kostbar, dass Jesaja dies schon zu seiner Zeit denen verheißen durfte, die Jahwe recht ehren.

Immer wieder schlägt Jesaja geradezu neutestamentliche Töne an, so auch in unserm Kapitel. Es erhebt sich die Frage: Wo steht Jesaja? Wohin führt er seine Hörer? - Natürlich ist er noch kein Verkündiger der Gerechtigkeit allein aus Glauben durch Gnade wie Paulus (Röm 3:21-26 - Eph 2:8-10); so weit war die Heilsgeschichte noch nicht vorangeschritten. Er ist aber auch nicht einfach ein Gesetzesprediger - in der unnachsichtigen Strenge von 3Mo 26 oder 5Mo 28 (vgl. Gal 3:10-12 - Hebr 12:18-21). Im gesamten Jesajabuch (Jes 1-66) meldet sich Jahwe, der Ewigseiende, immer wieder als der Gnädige und Barmherzige, Vergebende, Tröstende und Wiederherstellende, Verheißungstreue und zutiefst Liebende zu Wort - ohne dass die Bindung ans mosaische Gesetz schon aufgehoben wäre. Vieles erinnert an die Botschaft Jesu auf Erden, an die Bergpredigt etwa oder an die Weherufe Jesu gegen die Pharisäer (Mt 5-7 und Mt 23). Jesus verurteilte wie Jesaja ein nur äußerliches Halten der Gebote ohne Herzensfrömmigkeit (Mt 15:1-7), die selbstgerechte Art derer, die über ihrer kleinlichen Pedanterie das Schwerwiegende des Gesetes vergaßen: gerechtes Gericht und Barmherzigkeit und Glauben (Mt 23:23). Er pries die Armen im Geist glückselig, die Sanftmütigen, die nach Gerechtigkeit Hungernden und die Barmherzigen. Vor allem aber ging er den Lammesweg. - Das alles darf Jesaja in Ermahnung, Verheißung und Lehre schon im Voraus verkündigen. So bildet er eine Brücke, die von Mose herüberführt zu Jesus.