Eine Auslegung des Philipperbriefes

Aus Bibelwissen
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Abschrift des Buches: Der Brief von der Freude (Philipperbrief)
Pfarrer Theodor Böhmerle (1870 - 1927)

Aus dem letzten Bibelkurs im Oktober 1926
(nach den Notizen mehrerer Teilnehmer)

weitere Abschriften:

Inhaltsverzeichnis des Buches

I. Eine Auslegung des Philipperbriefes

Einleitung

Geschrieben ist der Philipperbrief von Rom aus, und zwar, wie wir aus dem Brief selber ersehen, von dem gefangenen und gebundenen Paulus. Nicht den Apollos, den gebildeten und redegewandten Mann, sondern den unscheinbaren und gebundenen Juden schickt Gott nach Rom. Paulus selbst hatte ja andere Pläne. Er wollte wohl nach Rom, aber dann weiter nach Spanien. Große Missionspläne lagen in seinem Sinn. Er sah die tiefe Not in den Ländern, die er noch nicht bereist hatte, doch hieß es bei ihm und seinen Mitarbeitern immer wieder, wie es Apg 16:6.7 steht: „Es ward ihnen gewehrt von dem Heiligen Geiste“ - „der Geist ließ es ihnen nicht zu“ (vgl. Röm 1:13; Röm 15:22; 1Thes 2:18). Es ging also oft gegen seinen Willen. Aber er war gehorsam und folgte der Leitung Christi.

Wenn w i r Not sehen, fangen wir oft an, etwas von uns aus zu tun. Man muss doch die Not beseitigen! Wenn uns aber bloß die Not zur Arbeit ruft, dann handeln wir auch nicht anders als die Welt, wenn sie ein Hilfskomitee gründet, einen Wohltätigkeitsbazar abhält, und Geldsammlungen veranstaltet. Wir lassen ihr das; es ist auf ihrem Boden ganz recht. Uns aber muss Christus ziehen. Wenn wir Not irgendwelcher Art sehen, können wir nicht deshalb rennen und laufen. Wir meinen, wir müssen die schweren Lagen, in die wir und andere kommen, möglichst schnell erleichtern. Kinder Gottes lassen sich nicht von ihrem Mitleid, sondern vom Geist Gottes leiten. Nicht die Not soll uns rufen, sondern Jesus.

Wir haben den Eindruck, dass der Apostel Paulus gerade durch seine Leiden und Trübsale immer freudiger geworden ist. Er war so gerichtet, dass er durch all sein Erleben nicht von sich aus Jesus verherrlichen wollte, sondern er wollte Jesus Raum geben, sich an ihm zu verherrlichen. So flossen dann die Quellen. Die besten Quellen kommen aus der Tiefe und werden meist nur im Leiden erreicht.

Auch die Gemeine zu Philippi hatte schwere Trübsale durchzumachen. Sie war vermögend gewesen, ist aber durch Verfolgung um des Glaubens willen, arm geworden. Die Purpurhändlerin Lydia war gewiss vorher reich, aber sie wurde wohl in ihrem Handel beeinträchtigt, als sie Christin wurde, wenn manche römischen und griechischen Herren jetzt ihren Purpur anderswo kauften.

Die Gemeine in Philippi war vom Kreuz geprägt. Not bringt die Segensquellen heraus, bringt die Herzen zusammen. Not lässt uns Blicke tun in die Lebenslagen anderer. So nahm auch Paulus nur von den Philippern Geschenke an, weil er sah, aus welchem Geistestrieb diese Gaben kamen. Von Thessalonich und von Korinth nahm er nichts.

Der Brief an die Philipper ist ein Gefangenschaftsbrief, und doch ein Freudenbrief. Sechzehnmal kommen die Worte „Freude“ und „sich freuen“ darin vor. Der Brief enthält von allen Briefen am wenigsten Tadel, weil die Philipperchristen viel leiden mussten.

Nach Philippi reiste der Apostel, nachdem ihn in einem Gesicht bei Nacht ein Mann aus Mazedonien gebeten hatte; „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!“ (Apg 16:9). Es ist die erste europäische Stadt, in die das Evangelium kam.

Über Philippi als Stadt ist zu sagen, dass es eine römische Militärkolonie war, in der alte, ausgediente Soldaten nach Römerart angesiedelt worden sind. Der Kerkermeister war wohl auch so ein alter Söldner. Eine große Judengemeinde gab es in Philippi nicht, sonst hätten sie eine Synagoge gehabt. Den Juden war es nicht wohl, wo Soldaten waren, denn die römischen Soldaten waren „antisemitisch“. Deshalb haben sie auch Paulus bei seiner Gefangennahme so schlecht behandelt, als er durch die Geschichte mit der wahrsagenden Sklavin ins Gefängnis kam. Dort preist er den Herrn, wird wunderbar befreit, und anderen Tages von den Römern gebeten, die Stadt zu verlassen.

Paulus war also nur ganz kurz in Philippi, nur wenige Wochen. Aber es ist merkwürdig: Eine Geistesgemeine wächst aus diesen geringen Anfängen. Wo Geistesleben ist, braucht man uns nicht, da werden wir abkömmlich. Paulus war meistens nur wenige Monate, gelegentlich auch ein oder zwei Jahre hindurch am selben Ort. Er meinte nicht, wenn er nicht mehr da sei, gehe das Werk wieder verloren. Er wirkte geistesmäßig; nur wer das tut, kann sich entbehrlich machen. An diese Gemeine nun schreibt der Apostel. Sie hatte ihm eine Gabe geschickt durch Epaphroditus. Dieser war in Rom todkrank geworden und wollte jetzt wieder heim. Da redete der Geist zu Paulus, dass er den Philippern schreiben soll. Der Geist Gottes redet immer aus Lagen heraus oder in Lagen hinein, in denen wir sind. Er faselt nicht in der Luft herum. So entstand unser Philipperbrief durch die Einwirkung des Geistes Gottes.

Wenn wir uns dabei den Apostel denken, so müssen wir ihn uns vorstellen als einen, der nie wusste, ob nicht morgen schon sein Haupt unter dem Schwert des Henkers fiel. Er war also einer, der geköpft werden sollte, aber noch immer auf sein Urteil warten musste. Das bedeutete ein ständiges Martyrium, unter dem aber die Segensquellen weiter zum Ausbruch kamen.

Es ist ein großer Irrtum, wenn man so landläufig meint: Je frommer man lebt, umso besser hat man’s in diesem Leben. - Gewiss, innerlich ist man voll Freude, aber nach außen ist’s oft lauter Kreuz und Leiden. Unser Heiland sagt: „In der Welt habt ihr Angst“ (Joh 16:33). Das ist Gotteskindschaftswesen. Ein Gotteskind ohne Passion ist ein Unding. Erst die Passion macht fruchtbar. Durch Kreuz und Leiden und Überwindung zum Sieg - und das immer neu - , das ist unser Weg!

Luthers Verhalten auf dem Reichstag zu Worms wird meistens so dargestellt, als ob er wie ein Held vor den Kaiser getreten wäre, sich brüstend: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ In Wahrheit stand dort ein zitternder Mönch, der ausrief, als er wieder in sein Gasthaus zurückkam: „Ich bin hindurch!“ Das zeugt von viel Kampf und Anfechtung.

Auch Paulus, und gerade er in außergewöhnlichem Maße, musste in die Leidensschule, wo es immer wieder hieß: „Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe!“ Was für ein Leiden war es doch für den rührigen, und für Christus und Sein Evangelium unermüdlich arbeitenden Apostel, gefangen sitzen zu müssen, immer einen Soldaten bei sich, in Ketten jahrelang warten müssen. In diesem Tiegel wurde das Gold geläutert.

So wird jeder an seinem Platz und in seinem Rahmen Märtyrer an dem, was ihm am schwersten fällt. Dabei wächst man ins Erstlingswesen in Christus, unter Anfechtung, Leiden und Schmach. Das ist söhnemäßig.

Kapitel 1

Und nun hinein ins Wort! - Der Apostel beginnt seinen Brief an die Philipper, den wir mit: „Der Brief von der Freude“ überschreiben möchten, mit der Nennung der Absender:

Paulus und Timotheus

Phil 1:1
Er hebt den Timotheus neben sich, wiewohl er dessen geistlicher Vater ist. Er kennt seinen Timotheus und weiß, dass der Geist mächtig auch an ihm wirksam ist. Sie beide sind also als aus Gott Geborene eins in Christo. Das ist eine herrliche Einheit. „Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal einer in Christo Jesu“ (Gal 3:28). Im Geist in Christus Einssein - daran erkennt man die Brüder. Diese Einheit geht in feinen Stufungen vor sich, so wie auch unser Leib eine wunderbare Gliederung hat. Der Geist ordnet jedes an seinen Ort, auf seine Stufe.

Als ich Stadtvikar in Durlach war, kam ich in die Stunde zum alten Sattler Steinmetz. Der sagte zu allen Du, nur zu mir nicht. Eines Tages bat ich ihn, er möge doch auch mich duzen. Bruder Steinmetz aber sagte mit feinem Gefühl für die Unterschiede: Ich habe Sie lieb als Bruder; aber wenn die Leute hören, dass ich zu Ihnen Du sage, dann verlieren Sie in Ihrem Amt als Stadtvikar den Respekt der Leute. Ich bin Sattler Steinmetz, und Sie sind der Herr Stadtvikar!“

Bei aller Einheit sind Kinder Gottes selbstständig in Christo. Sie empfangen Leitung und Weisung direkt von Christus durch den Geist. Das Hängen an einer Person in der Seelsorge ist meistens ein Fehler und hört bei einem Geistesmenschen auf. Er hat den Geist, der in alle Wahrheit leitet, straft, durchrichtet und auch aufrichtet. Die Welt bringt alles in Unordnung. Entweder macht sie alles gleich, auch Mann und Weib, und hebt die Unterschiede auf, oder sie richtet Kasten auf und greift auch daneben. Wenn Menschen eine Einheit machen wollen, dann machen sie Einerleiheit. Dagegen hat jede Geistesgemeine ihre Eigenart. Bei Gott ist es nie langweilig; da ist mannigfaches Leben und sind überall Originale bei aller Einheit im Geist. Bei Gott ist nichts Herdenmäßiges. Deswegen ist auch jede Gemeine für sich; sie sind durch keine Organisation gebunden.

Die ganze Welt ist organisiert, und es „hebt“ (hält) doch nicht. Wir brauchen keine Organisation. Wenn ich nach Berlin komme, finde ich Brüder. Als ich als Stadtvikar nach Durlach kam, wohnte ich beim Bürgermeister. Gleich am ersten Tag, als ich bei meinem Hausherrn einen Besuch machte, fragte ich ihn, wo denn hier in Durlach die seien, die man die Frommen nennt. „Gehen Sie grad 'nüber zu meinem Vetter Karl (Steinmetz)“, sagte er, „der ist nämlich ihr General.“ So fand ich die Brüder.

Wer die Brüder in Christo liebt, findet sie. Was sie zusammenschließt, ist das Band der Liebe. „Seht, wie sie einander so lieb haben!“ Und doch ist jedes Gotteskind selbstständig in seinem Gott und in Christus. Es bittet bei Entscheidungen: „Herr, lass mich Deinen Weg wissen.“ Und je nachdem der Geist antwortet, geht es seinen Weg dahin oder dorthin.

Wenn es durch die Verschiedenartigkeit und Mannigfaltigkeit der Gotteskinder dann und wann zu Meinungsverschiedenheiten kommt, so bleiben sie dennoch einander Brüder. Auch wenn ein Bruder einmal gefehlt hat, bleibt er doch Bruder. Wenn aber jemand, der lange Zeit unserer Gemeinschaft angehörte, bei irgendeiner Gelegenheit von uns geht, halten wir ihn nicht. Es tut weh, aber wir lieben ihn dennoch.

„Paulus und Timotheus“, so ordnet der Geist. Es kann also nicht heißen: „Timotheus und Paulus“. Die beiden gehören zusammen und sind in Christo eins. Paulus hatte keinen der, so wie Timotheus, bei ihm in allen seinen Anfechtungen beharrt hat. Darum war er auch jetzt bei ihm, wenn er nicht gerade einen Auftrag an und in den Gemeinen zu erfüllen hatte. Er war ganz eines Sinnes mit Paulus. Das konnte nur deshalb so sein, weil beide dieselbe Berufung hatten. Die gläubige Gemeine hatte die Gabe erkannt, die sowohl in Paulus als auch in Timotheus lag. Daraufhin sonderte die Gemeine sie beide zu dem Werk aus, Paulus schon in Antiochien (Apg 13:2.3), Timotheus später in Lystra, wohl unter Handauflegung der Ältesten (vergl. 1Tim 4:14). Sie waren berufen durch den in der Gemeine wirkenden Geist Christi, und hatten Leitung durch eben denselben Geist. So waren sie in ihrer Grundlage eins im Geist und wirkten geistesmäßig.

Heute ist es vielfach umgekehrt. Da lässt man einen jungen Menschen Theologie studieren, auch wenn keine Gabe da ist, und wundert sich nachher, wenn dann seine Wirksamkeit so ganz ohne das Zeugnis des Geistes ist. Es muss doch bei aller Berufung so sein, dass zuerst die Gemeine durch den in ihr wirksamen Geist die Gabe erkennt, die in einem Menschen ist. Es handelt sich um die Berufung der Gabe, nicht um die Erlernung des Berufs. Wo Gott eine Gabe schenkt, gibt es rechte Pfarrer, Diakonissen, Evangelisten! Jeder vom Geist Ausgesonderte ist ein besonderes „Exemplar“.

In den Gemeinschaften sollte man viel mehr die Gaben erkennen und erwecken; und die, die sie haben, sollten auch damit dienen. Wenn keine Gabe da ist, muss man den Geschwistern sagen; bittet doch um die mancherlei Gaben, damit ihr darin reich werdet! Es sollte nicht sein, dass in einer Gemeinschaft Jahre hindurch kein mit dem Wort dienender Bruder ist, und nur Stunde sein kann, wenn der Reiseprediger kommt.

Knechte Christi Jesu

Das Wort „Knecht“ wird in den Gemeineschriften nie als Anrede benützt. Wenn es darin einmal vorkommt, so ist es im evangelischem Sinn gebraucht. Knecht heißt also hier soviel wie: „Eigentum“ Christi. Knechte in diesem Sinn sind Leibeigene Christi, die ohne Ihn nichts tun können. Kinder Gottes sind nie knechtische Menschen. Sie sind ja Erben Gottes und Miterben Christi. Der Sohnesstand ist höher als der Stand eines Knechtes, auch wenn der Herr einmal zum Knecht sagen kann: „Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, Ich will dich über Vieles setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude!“ (Mt 25:21). Das Kind hat als Erbe schon alles. Wir glauben daher, dass das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden den Juden gehört, und zwar im Königreich Christi. „Christi Jesu“, nicht Jesu Christi. Sie sind Eigentum nicht des Jesus, des Menschen, der zum Christus wurde, sondern des Christus, des Messias, der in Jesus Mensch geworden ist.

Es gibt feine Unterscheidungen, die mit der geistlichen Reife in der Anrede Gottes und des Heilandes gemacht werden, je nachdem, was wir auf dem Herzen haben. Es bleibt nicht beim kindlichen Lallen, sondern klar bewusst kehren wir die bestimmte Seite der Gottheit heraus: „Gott, Du Alllmächtiger und Allwissender!“ - „Vater, hilf mir aus dieser Stunde!“ - „Jesus Christus, gib den Heiligen Geist!“ - „Christus, vergib meine Schuld!" - Heiland, ich bitte für meine Brüder!"

Allen Heiligen in Christo Jesu

Alle, die im Glauben stehen, sind Heilige. Wer in den Umkreis eines Gläubigen eintritt, wer sich in die Gebetsluft eines gläubigen Hauses hinein begibt, kommt unter die Einwirkung der Heiligkeit dieses Ortes. Wer in einer Glaubensgemeine ist, ist damit schon heilig, denn er wird dort durch das Gebet der Gläubigen getragen und geheiligt. Die Gemeinen haben Anziehungs- und Abstoßungskräfte. Wer aus Gott geboren ist, hat seinen besonderen Geruch. Von Wiedergeborenen heißt es deshalb im Besonderen, dass die Welt sie nicht “riechen“ kann. Die Gemeinen sind „Herausgerufene“. So ist auch in Korinth eine Gemeine der Heiligen, trotz aller schweren Mängel und Laster, die darin offenbar geworden sind. Sie waren dennoch Herausgerufene. „In“ Christo Jesu sein, das ist das Kennzeichen der Heiligen, das Geburtsgeheimnis der Gotteskinder. „An“ Christus glauben, an Ihm hangen, das ist natürlich-religiös. „In“ Ihm sein, in Ihm leben und weben, das ist Kindschaft. Wir bitten darum, dass wir unseres Standes in Ihm immer gewisser werden.

Samt den Bischöfen und Dienern

Die Bischöfe, die sonst auch Älteste heißen, hatten mehr für das Geistliche und Innere zu sorgen, die Diener mehr für das Äußere. Zumeist waren es die an Lebensalter ältesten, die gewichtigsten Brüder. Sie wurden nicht gewählt, sondern sie waren durch den Geist und die Gemeine legitimiert. Sie sind der Gemeine vorgestanden, wie auch heute in unseren Stunden die Brüder mit ihrer Stellung im Angesicht der versammelten Gläubigen bezeugen, dass das gesprochene Wort Wahrheit ist. Die in Christo stehenden Leute sollen deshalb der Gemeine nicht immer den Rücken hinstrecken, sondern mit am Brüdertisch sitzen. Die jungen Glieder sollen den älteren Brüdern Achtung und Gehorsam entgegenbringen.

Gnade sei euch und Friede von Gott

Phil 1:2
Gnade sei euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus
Gnade ist das Element, in dem wir leben. Gnade ist uns von Gott, dem Vater, durch Jesus Christus gegeben und vom Geist bezeugt. Es sind mancherlei Gnaden. Die Gesamtgnade ist die, dass ich armer Sünder, durch Christus versöhnt und erlöst, in dem Vater im Frieden stehe. Die Gnade hat zwei Seiten, eine mehr negative, das ist die sündentilgende, versöhnende, reinwaschende Seite , - und eine positive, das ist die gebende Seite, aus der Leben, Erkenntnis und Festgegründetwerden in Christo kommt. Darum haben wir keine Werkreligion, sondern wir tun alles in Ihm aus freier Gnade. Die Gnade ist es, die uns im Lauf fördert in allen Stücken. Wenn wir durch die Gnade im Heiland vollendet sind, dann langt’s. Im Werk langt’s nie; da bleiben wir friedlos. Und all unser Unfriede stammt aus dem Ichwesen, das die Gnade zurückweist.

Der uns am Kreuz die Gnade erworben hat, ist auch unser Friede. Durch Ihn ist alles vollbracht, meine, deine und der Welt Erlösung. Du kannst und brauchst nun nichts mehr tun, nur noch Gnade um Gnade nehmen, täglich Gnade in allen Fällen und allen Anliegen. Seele, beuge dich und nimm! Wer rettungsbedürftig ist, fragt nicht lang, sondern ergreift die rettende Hand. Wenn es hinter einem brennt, besinnt man sich nicht lange, ob man ins Sprungtuch springen soll.

Ich danke meinem Gott, sooft ich euer gedenke

Phil 1:3
Ein größeres „mein“ gibt es nicht als dieses „mein Gott“. Es ist größte Gnade, so sagen zu dürfen. Lassen wir uns ja dieses „mein“ nicht nehmen! Auch wenn wir sündigen und fehlen, bleibt Er unser Gott. Paulus dankt, sooft er an die Philipper denkt. Wir sollten viel mehr füreinander danken, danken für die Brüder, danken dafür, dass wir Gemeinschaft haben dürfen. Auch dann sollen wir danken, wenn uns die Brüder nicht gleich gefallen; denn Bruderliebe ist auch Passion.

Der Totengräber eines Ortes war ein Bruder der dortigen Gemeinschaft, ein furchtbar grobschlächtiger Mann. Bei einer Beerdigung machte er einmal am offenen Grab ein arges Geschrei, weil etwas nicht nach seinem Willen ging. Daraufhin beantragten die Brüder beim alten leitenden Bruder seine Entfernung aus der Gemeinschaft. Dieser hörte sie an, ließ sie ausreden und sagte nur: „Ja, es gibt arg astiges Holz.“ Der Totengräber blieb in der Stunde.

Danken dürfen wir auch dafür, dass wir noch gläubige Pfarrer haben. Wer nicht dankt bringt sich um viel Segen. Der Glaube sieht zuerst das Gute und dankt beständig, und wird dadurch sieghaft. Im Danken und in der Freudigkeit in Gott liegt Sieg, Sieg auch über die größten Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten. Das Danken ist wie eine Arznei, die wir zur Gesundung unserer Seelen einnehmen müssen.

Wer in der Welt dienen will, muss tief gegründet sein in der Bruderliebe. Bei den Brüdern ist der Quellgrund, die Brunnenstube, aus der mannigfache Gaben fließen, denn sie sind in Christo. Hier ist auch die Hochschule für die praktische Ausübung des Wiedergeburtslebens. Da kann man lernen, sich einzufügen, sich unterzuordnen, der Kleinste zu werden, allerlei geistliche Gaben auszutauschen. Hier kann man sich im Glauben, Hoffen und Tragen üben. Wer die Brüder nicht liebt, wie will der die Welt lieben? Er hat keine Kraft dazu. Nach 2Petr 1:7 kommt die allgemeine Liebe zuletzt. Zuerst muss Bruderliebe dasein.

Die allermeiste Liebe ist verkehrt und fängt mit Weltliebe an, natürlich-religiös. Wir müssen aber zuerst gefüllt werden mit der Liebe Gottes, müssen uns von Ihm lieben lassen in Christo Jesu, dann wird auch unsere Liebe zur Welt geistesmäßig geordnet. Dann können wir auch d i e Brüder lieben, die noch in vielem verkehrt handeln, und Freude an ihnen haben. Es sind eben doch Brüder. Wir kämen ja zu gar keiner Freude, wenn wir uns immer gleich an allem stoßen würden, was uns an unsren Brüdern oder in den Gemeinen an Unfertigem begegnet, ja an Fehlerhaftem und Sündigem. Wir müssen eine Art „Generalfreude“ in uns tragen, eine Freude, die aus der gewissen Zuversicht entspringt, dass der Herr, der uns zurechtbringt, auch diese zum Ziel hin fördern wird. Im Übrigen müssen wir aber zusehen, wie wir mit den Mängeln und Gebrechen zurechtkommen.

Wir nörgeln auch nicht an Staat und Kirche herum, wiewohl uns darin Vieles nicht gefällt, sondern wir sehen zunächst auch hier das Gute, das wir darin haben. Ist es nicht etwas Großes, dass wir noch frei unsere Überzeugung heraussagen dürfen, dass die Mächte der Finsternis uns nicht hindern dürfen in unserem Glaubensleben, und in seiner Auswirkung als Gemeinschaft? Wir bezahlen auch unsere Steuern, ja manchmal mehr als die andern, weil wir es mit der Wahrheit genau nehmen - Einer unserer Brüder war der kleinste Bauer in seinem Dorf. In der Zeit, als man noch Getreide abliefern musste, stand er in einer Monatsstunde auf und sagte; „Jetzt Brüder, ich muss euch etwas verraten: Ich bin der Reichste im Ort, ich liefere am meisten ab!“ Er gab eben alles wahrheitsgetreu an.

Wegen eurer Gemeinschaft am Evangelium

Phil 1:5
Der Apostel freut sich über das Festhalten der Philipper am Evangelium. Er hatte eine gewisse Angst davor, dass die Philipper unter der Wirkung von Kreuz und Schmach, die eine Folge ihres Glaubens waren, zurückgehen könnten. Dass das nun nicht so ist, das erfüllt ihn mit ständiger Freude, sooft er ihrer gedenkt. Dieses Festhalten am Evangelium ist etwas überaus Großes. Bei Evangelisationen sind nach einigen Jahren von Hunderten oft nur noch eine Handvoll übrig. Viele sind es, die ihren Lauf mit uns angefangen haben. Leider sind es je länger, desto weniger, die mit uns wachsen und mit uns leiden.

Auch Paulus fühlt sich mit zunehmendem Alter einsamer. Es sind sehr wenige um ihn, mit denen er Gemeinschaft am Evangelium haben könnte. Es ist wie im Gymnasium. In der Sexta sind es oft noch hundert, aber bis zur Prima dringen wenige durch. Das Hinter-sich-Gehen ist etwas vom Betrübendsten für Kinder Gottes, wenn sie so mit ansehen müssen, wie das innere Leben abnimmt. Das gibt auch Leiden und Trübsal.

Wir haben oft wenig wahre Gemeinschaft. Finden wir aber Brüder in Christo, dann erwacht auch eine Freudigkeit in uns, und wir spüren, wie Kraftquellen aufbrechen. Immer, wenn ich in Langensteinbach auf der Kanzel stand, sah ich von der Empore nach den Brüdern. Wenn ich dann den Bruder Augenstein von Auerbach sah, und er mich, dann winkte er mit den Augen, als wollte er sagen: Ich bete mit! Das gab mir ein freudiges Auftun des Mundes. Ganz anders ist es, wenn man spürt: es ist kein innerer Kontakt da. Das ist dann beim Reden geradeso, wie wenn einem beim Holzspalten das Beil zurückfährt, weil das Holz zäh ist. Das tut entsetzlich weh.

Im Alter werden wir einsamer. Dann gleichen wir Sameneichen, die ihre Eicheln weit um sich streuen, aber ganz einsam unter lauter Niederholz stehen. Darum ist es etwas Großes, wenn wir solche um uns haben dürfen, die mit uns festhielten und mit uns gewachsen sind im neuen Wiedergeburtsleben.

Ich bin in guter Zuversicht

Phil 1:6
d Ich bin ebenso in guter Zuversicht, dass, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollenden bis auf den Tag Christi
Nun, nachdem der Apostel sich so über das Festhalten der Philipper am Evangelium hat freuen dürfen, spricht er die feste Zuversicht aus: Der, der ein gutes Werk, nämlich die Wiedergeburt, in ihnen begonnen hat, der wird dasselbe auch vollenden auf Seinen Tag. Darüber bestehen beim Apostel keine Zweifel. Als Kinder Gottes sind wir ja jetzt schon Erben, wenn wir das Erbe auch erst in der Vollendung antreten.

Meine Kinder sagten schon als kleine Knirpse ihren Gespielen: „Das ist unser Haus!“. Wenn ich dann etwa sagte „Das ist mein Haus!“, da lachten sie bloß. So gewiss war ihnen ihr Erbe.

In Christo sind wir Vollendete, aber freilich noch im Wachsen, gerade wie ein Kind auch etwas Vollkommenes ist, aber es muss noch auswachsen zum vollkommenen Mannesalter. Ein Kind Gottes kann auch nicht mehr zurückfallen, es ist ja Gottes, und Er wird doch Sein Kind versorgen zur Vollendung hin. Mit dem Schwersten fängt’s an, mit Buße und Beugung, mit Hergeben und Aufgeben, mit Zerbruch des Eigenwesens; aber der Heiland bringt hindurch durch alle Gefahren.

Wir müssen unterscheiden lernen zwischen Bekehrtsein und Wiedergeborensein. Der Bekehrte steht vor Gott, lässt sich anscheinen vom Licht, auch wohl erleuchten, aber er dringt nicht in Christus ein, sondern bleibt äußerlich an Gott oder Christus hängen mit der Möglichkeit, wiederum ins alte Wesen zurückzufallen. - Der Wiedergeborene steht i n Gott und wächst mit Ihm bis auf den Tag Christi. Da ist er dann vollendet und geht in sein Erbe.

Das Glaubensbekenntnis unserer Kirchen ist nur auf die Bekehrten eingestellt. Es kennt keinen Tag Christi Jesu. Nach der Himmelfahrt Christi kommt gleich die Wiederkunft zum Gericht. Ein Kommen mit den Seinen zur Aufrichtung Seines Königreichs, das Tausendjährigen Reichs, kennen sie nicht.

Es ist also falsch, Bekehrung und Wiedergeburt einander einfach gleichzusetzen. Freilich ist es auch nicht so, dass ein Bekehrter nicht zum Wiedergeburtsleben durchdringen könnte. Petrus zum Beispiel hat aus der Bekehrung heraus die Wiedergeburt erlebt. Man spürt es ihm ordentlich an, wie er in seinem ersten Brief aufatmet, wenn er schreibt: „Gelobt sei Gott, der uns wiedergeboren hat“ (1Petr 1:3) Jetzt endlich hat er’s. Es war ein langer Weg für ihn, der als bekehrter Jude noch viel Gesetzliches an sich hatte.

Der Bekehrte ist eben gesetzlich. Der Wiedergeborene wächst in Christo. Er bringt dabei viel Frucht, die geistesmäßig aus Ihm erwächst, wie die Rebe durch die Säfte des Weinstocks ihre Früchte bringt. Der Bekehrte muss veranstalten und hinauswirken. Er macht viel Betrieb und Umtrieb. Der Wiedergeborene ist viel mit Gott allein. Da bekommt er sein Gepräge. Denn: „Umgang mit geistlichen Menschen macht geistlich; Umgang mit Gott macht göttlich“. (Schulmeister Kolb). Der Bekehrte ist auf seelischer Stufe ein Vielwirker. Der Wiedergeborene reift im Leiden aus und ist ein Wartender auf den Tag, an dem offenbar wird, was er ist, auf den Tag Jesu Christi.

Für die Wiedergeborenen gilt es, an der ersten Liebe festzuhalten. Die erste Liebe hängt an Christus wie ein kleines Kind an seiner Mutter. Die erste Liebe hat nur einen Brennpunkt: Christus. Wenn eine Mutter ihrem kleinen Kind ruft, dann kommt es voller Freude gelaufen. Es kennt ja nichts Lieberes als die Mutter. Später kann man oft lange rufen, bis eins kommt.

Diese Liebe tut nichts; sie empfängt nur. Dadurch wächst der neue Mensch. Dass das Wiedergeburtsleben nicht stetig weiterschreitet und wächst, liegt daran, dass wir später diese erste Liebe verlassen. Dann haben wir zwei Brennpunkte: Gott und die Welt. - Das ganze Weltall ist durch den Abfall von Gott aus der Ordnung geraten. Das könnte der Grund sein, dass alle Gestirne in Ellipsen laufen, also auch zwei Brennpunkte haben.

Auch 1Mo 1 ist von einem guten Werk Gottes berichtet. Die erste, gute Schöpfung kam nicht zur Vollendung in ihrem Wachstum wegen des eingetretenen Sündenfalles. Aber Gottes Plan muss ausgeführt werden. Darum schafft nun Gott auswahlmäßig durch Seinen Geist neue Kreaturen, besser gesagt: Neugeburten in Christo Jesu. Also geht die Erneuerung der gefallenen Schöpfung von 1Mo 1 weiter in den Kindern Gottes.

Auch hier fängt Gott an, nicht wir. Wir können uns nicht zur Wiedergeburt bringen, die ein Gnadenakt Gottes ist. Das tut die Gnade, die einen Menschen herausnimmt, und durch Leiden vollendet bis auf Seinen Tag.

Diese Geistesverklärung in der Neugeburt, die in der Auferstehung vollendet wird, geht fortlaufend vor sich. Aber alle Wiedergeborenen gehen erst am Tag Jesu Christi in die Vollendung ein. Es ist nicht so, dass jetzt schon vollkommen fertig drüben warten, bis wir nachkommen. Vielmehr müssen alle mitlernen und sich in die Neuhinzukommenden gliedhaft einfügen.

Wir müssen dabei bedenken, dass etwa ein Abraham es in seinen Patriarchenverhältnissen in manchem leichter hatte als wir, die wir in der beginnenden antichristlichen Zeit leben. Schwierigkeiten, wie sie jetzt alle Berufe für die Kinder Gottes mitbringen, kannten Abraham oder auch Luther noch nicht. Die Schwierigkeiten werden umso größer, je genauer wir es mit der Befolgung der Schrift nehmen. Wir sind gewiss, dass es uns noch viel schlechter ginge, wenn wir nicht bisher manchen Kompromiss mit der Welt geschlossen hätten. - Ein Gotteskind sollte sich keiner Organisation anschließen. Das bringt freilich viel Leiden von Seiten der Mitarbeiter in Fabrik und Büro. Für Gläubige gibt es überall viel Spannungen. Aber es muss uns wohl, äußerlich gesehen, schlecht und immer schlechter gehen. Doch nur im Blick auf den Tag Christi können wir das Kreuz auf uns nehmen.

Die Entwicklung der Endzeit geht zum Tag und vom Tag Christi an in folgenden Abschnitten vor sich:

  1. Das Kommen des Herrn an Seinem Tag zu Seiner Gemeine, zur Herrschaft in der Luft (1Thes 4:16.17)
  2. Das Kommen mit den Seinen auf Zion am Anfang des Tausendjährigen Reiches (Offb 19:11ff.)
  3. Im Königreich erscheint Christus je und je (vergleiche das Gleichnis von dem Arbeiter werbenden Herrn, Mt 20:1-16).
  4. Das Erscheinen Christi am Ende des Tausendjährigen Reiches zur Vertilgung von Gog und Magog (Offb 20:7)

Beim Kommen des Herrn an Seinem Tag vollendet sich die geistleibliche Ausgestaltung der Seinen. Diese Ausgestaltung beginnt mit der Wiedergeburt und wird in der Ausauferstehung vollendet.

Wir wurden gefragt, warum denn der auferstandene Lazarus nicht erzählt habe, wie es im Jenseits war. Das wäre doch sehr interessant gewesen. Wir müssen darauf antworten: In diesen Dingen muss alle Neugier schweigen. Wir sollen nicht ins Jenseits schauen. Es gibt auch keine Möglichkeit dazu, auch nicht bei Spiritisten und ähnlichen Leuten. Wer betrogen und verstrickt werden will, soll zu diesen gehen. Jesus sagt: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Wenn uns also Christus in Seinem Wort nichts weiter darüber sagt, dann sollen wir auch nichts weiter darüber wissen wollen.

Die erste Auferstehung am Beginn des Tausendjährigen Reiches kann unmöglich auf die Wiedergeborenen gehen. Diese sind ja schon als Christi Glieder in Ihm fertig bei Seinem Kommen. Diese Erstauferstsehung betrifft die Juden zum Anbruch des Königreichs und hat als solche ihren Vorläufer, als bei der Auferstehung Christi viele Heilige aus den Juden auferstanden. Das Königreich selbst ebbte aber wieder zurück, da die Juden den Auferstandenen nicht annahmen.

Weil ich euch in meinem Herzen habe

Phil 1:7
Wie es denn mir billig ist, dass ich dermaßen von euch allen halte, darum dass ich euch in meinem Herzen habe in diesem meinem Gefängnis, darin ich das Evangelium verantworte und bekräftige.
Die Philipper hatten in ihren Leiden um des Evangeliums willen, auch in den Leiden des Apostels bei der Bezeugung des Evangeliums, standgehalten und sind nicht zurückgegangen. Gerade dadurch, weil sie selber in immer tieferes Leiden geführt wurden, erkannten sie auch Paulus als Apostel Christi und gewannen ihn umso lieber. An den um des Evangeliums willen freiwillig übernommenen Leiden erkennen wir die Kinder Gottes.

Die Leiden des Apostels mussten vor der Gemeine und vor der Welt ihre Rechtfertigung finden. Dem äußeren Anschein nach musste Paulus etwas begangen haben - wie wäre er sonst gefangen in Rom! So stand zu befürchten, dass manche daraus schlössen: Mit dem ist es eben doch nicht ganz echt. Wenn Paulus tatsächlich um seiner Sünden willen hätte leiden müssen, dann hätte er damit nicht Gottes Lob verkündigt. Die Welt schließt immer schnell, wenn sie einen Menschen in Kreuz und Leiden sieht, dass er irgendetwas verbrochen hat. Die Welt sagt gern: Was hast du jetzt von deinem Beten, wenn es dir so schlecht geht? Aber auch solche, die fromm sein wollen, sagen oft: Der muss so viel durchmachen; da stimmt etwas nicht! Damit zeigen sie eben nur, dass ihnen der Sinn für das Leiden abgeht.

Hier bei Paulus wird es sogar der kaiserlichen Leibwache, also der Welt, ganz klar, dass dieser Mensch um seines Glaubens willen, um des Evangeliums willen litt. Damit war sein Leiden als ein Leiden in Christo gerechtfertigt.

Das erkannten auch die Philipper ihrerseits. Daraus nahmen sie nun auch die Rechtfertigung für ihre Leiden, aber auch die Befestigung im Glauben. Nun adelt sie Paulus noch besonders dadurch, dass er sie zu Mitwissern seiner Leiden und Nöte macht. Er traut ihnen zu, dass sie dieselben innerlich mittragen, und dadurch mit tätig sind an dem Werk, das ihnen gegeben ist. Er zieht damit die Philipper zu sich herauf.

Die Leiden Christi sehen und mittragen, ja mit vollmachen dürfen, das ist Gnade und Würde. Es stimmt nicht ganz, wenn es im Lied heißt: „Hier nennt man dich eine Bürde; droben bist du eine Würde, die nicht jedem widerfährt.“ Schon hier ist Mittragen von Leiden um des Evangeliums willen eine Würde. - Der Inhaber eines Geschäfts weiht nur seine zuverlässigen Mitarbeiter in die Sorgen und Schwierigkeiten seines Betriebs ein. Seine Lehrlinge wissen von alledem nichts.

So sehen wir, wie das Leiden des Apostels, das er freiwillig in Christo übernommen hat, auch die Philipper in ihren Leiden rechtfertigt und im Glauben befestigt. Dadurch wird wiederum der Apostel befestigt. Er lässt sie Einblicke tun in den ganzen Kreuzesrat Gottes. Dadurch wiederum werden die Philipper willig, noch mehr an Leiden zu übernehmen und weiterzukämpfen. Wie ein Keil den andern treibt, so fördern sich Gotteskinder gegenseitig in der Gemeinschaft der übernommenen Leiden Christi und wachsen und reifen aus unter dem Druck.

Gott ist mein Zeuge

Phil 1:8
Denn Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlangt von Herzensgrund in Christo Jesu.
Man könnte sagen, dass hier Paulus gegen die Bergpredigt verstößt, die doch vorschreibt: „Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel“ (Mt 5:37). Nach unserer Erkenntnis gibt die Bergpredigt Richtlinien für das kommende Königreich, die Zeit des in Christo erfüllten Gesetzes. Wir aber stehen in Christo, sind also nicht mehr unter dem Gesetz. Aber um der Gesetzlichen willen gehen wir in manchen Stücken freiwillig unter das Gesetz.

Wenn wir einfältig in Christo stehen, dann brauchen wir uns nicht immer ängstlich zu fragen: Ist’s auch recht was ich tue? Ein Kind spielt vor der Mutter, fällt auch wohl in den Dreck. Dann wäscht man das Kleid eben wieder. Wenn ich in der Einfalt in Christo stehe, bringt Er alle meine Ungeschicklichkeiten in Ordnung. Also nur nicht so ängstlich! -

Der Apostel drückt mit dieser Anrufung Gott zum Zeugen aus, wie sehr lieb er die Philipper habe. Es war also ein Herzenserguss. Der Apostel sehnt sich nach den Philippern, aber er sehnt sich „im Herzensgrund Jesu“. Die kreatürliche Sehnsucht geht auf die Person, die Sehnsucht im Herrn geht auf den „Menschen in Christus“ im Bruder. Bei Paulus ist es zunächst die Sehnsucht nach Brudergemeinschaft hier auf Erden, dann aber die Sehnsucht nach geistleiblicher Vereinigung mit ihnen beim Herrn.

Auch wir sehnen uns nach Brudergemeinschaft. Lässt der Herr die Erfüllung dieser Sehnsucht nicht zu, dann sind wir darüber nicht unglücklich. Wir möchten wohl gern, aber wir müssen nicht. In Christo können wir alles tun und alles lassen; wir haben in Ihm die Kraft dazu.

Darum bete ich

Phil 1:9
Darum bete ich, dass eure Liebe je mehr und mehr reich werde in allerlei Erkenntnis und Erfahrung
Paulus spricht in diesem Vers von der Liebe der Philipper, dass diese immer mehr reich werden mögen an klarer Erkenntnis. Wenn er sagt: „eure Liebe“, so meint er damit soviel wie: herzinnige Lebensgemeinschaft. Glaube ist vertrauende Lebensgemeinschaft, Hoffnung, zuversichtliche Lebensgemeinschaft. Im lebendigen Umgang mit dem andern lerne ich ihn kennen und weiß ihn zu behandeln. Ich spüre heraus, was ihm wehtut und wann ich einen Bogen um ihn machen muss.

Aus Rücksichtnahme auf die Gäste des Bibelheims baute ich mein Haus auf die andere Seite des Tals. Der Dorfjunge fragte mich einmal: „Warum hat der Herr Pfarrer sein Haus nicht gebaut neben das Heim? Wäre doch für Herrn Pfarrer kein so weiter Weg!“ Als ich ihm erwiderte, dass dies deshalb geschehen sei, weil bei der Erziehung meiner Kinder ich je und je auch einmal eines züchtigen müsse, und dass das die Gäste des Heims nicht zu wissen brauchen, sagte er: „Respekt vor dieser Weisheit!“

Die herzinnige Lebensgemeinschaft mit Christus ist mit einem Wachstum in der Erkenntnis verbunden. Auf die Bekehrung muss das Wachstum in Christus erfolgen, das unvergleichlich mehr ist und nur in der Liebesgemeinschaft mit dem Herrn geschehen kann. In diesem Umgang mit Ihm lerne ich Ihn kennen, so wie Er mich kennt. So haben wir vor zehn Jahren noch manchen Wunsch zu einem Gebet gemacht. Heute tun wir es nicht mehr, weil wir wissen, dass Jesus es nicht will. Wir kennen Ihn eben nun besser. Auch manches stürmische Gebet lassen wir jetzt. Jesus kennt die Verhältnisse besser als wir. Darum überlassen wir es Ihm.

Dass ihr prüfen möget, was das Beste sei

Phil 1:10
Sind wir so in herzinniger Lebensgemeinschaft mit Christus, dann erwächst aus ihr auch jenes Feingefühl für das Unterschiedliche, das, was die Schrift Salbung nennt (1Jo 2:20.27). - Bei den Pflanzen ist jede anders geartet. Dennoch ist bei den allermeisten Menschen (etwa in einem Strauß) Blume neben Blume, eine wie die andere. So ist es auch im Geistlichen. Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort, das sich doch schwer handhabt wie ein zweischneidiges Schwert. Sie kennt noch nicht die feinen Verästelungen des Seelen- und Geisteslebens. Die Alten sind bedächtiger. Sie kennen das Unterschiedliche, die feinen Abstufungen und Grade, in denen unser Leben in Christo verläuft. Sie wissen auch, dass alles führungsgemäß verschieden geleitet wird, dass ihr Weg nicht auch notwendig der der anderen sein muss. Das Alter wird milder, abgeklärter. Wir bewundern die Menschen, die in allen Lagen mit sicherem Griff das Rechte treffen. In solchen Fällen reden wir von „Geistesgegenwart“. So macht der Umgang mit Christus in Wahrheit „geistesgegenwärtig“. Wir werden durchsalbt mit Geist, so dass wir mit allem Feingefühl das Richtige zu treffen vermögen.

auf dass ihr seid lauter und unanstößig auf den Tag Christi
Es darf nicht so sein wie bei jener Weintrinkerin, die als Siegel ihrer vermeintlichen Gotteskindschaft jahraus, jahrein immer nur sagte: „Ich, ich und meine Sünden!“ Dazu weinte sie. So geht es wirklich nicht. Man muss auch Ernst machen und ablegen, was einem aufgedeckt wird, damit man lauter und unanstößig wandelt.

Jetzt und hier ist gewissermaßen nur die Vorübung. Am Tag Christi sind wir vollendet; dann fängt unsere Wirksamkeit erst recht an.

Paulus weist immer wieder hin „auf den Tag“. An diesem Tag wird der Christus vollendet. Wir sollen lauter und unanstößig sein, wenn wir vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden (2Kor 5:10). Da wird die Gemeine noch durchgerichtet.

Darauf folgt das Kommen des Herrn mit den Seinen zur Aufrichtung Seines Königreichs. Die Welt kommt nicht vor Christi Richterstuhl, sondern sie wird einst von der Gemeine gerichtet werden (1Kor 6:2).

Im Königreich wird es so sein: König ist Gott-Vater, der Seinem Sohn Jesus Christus Hochzeit macht. Der Leib des Sohnes ist die Söhnegemeine. Sein Weib sind die gläubigen Juden, die auf ihren Bräutigam warten. Seine Beamten sind die gesetzestreuen Juden oder Knechte, die die Welt missionieren. Die Glieder der Gemeine sind immer die ersten, durch die alle Segnungen fließen.

Etwas von dieser Einteilung, die auch auf der neuen Erde sein wird, hat die katholische Kirche, nur in fleischlicher Weise. Es ist eine großartige menschliche Verdrehung dieser göttlichen Ordnungen. Da steht der Papst wie das Haupt (unser Haupt ist Christus!) Dann kommt der Klerus mior (die höchste Geistlichkeit, die Oberpriester), und dann der Klerus minor (die niedere Geistlichkeit, die Unterpriester). In der Ordnung Gottes sind die Söhne die Oberpriester und die Juden die Unterpriester.

Heutzutage hängt die Welt fast nur noch an den Priestern. Das geht bis in unsere Geneinschaftskreise hinein. Wie oft hängen sich die Leute an einen Bruder, genau wie an einen Priester. Er soll für sie beten, und sie tun nichts mehr.

Erfüllt mit Früchten der Gerechtigkeit

Phil 1:11
Erfüllt mit Früchten der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus geschehen in euch, zur Ehre und Lobe Gottes.
Der ganze Plan kommt aus dem Gott-Vater und läuft aus zur Ehre des Gott-Vaters. Der Zerbruch ist gerade der Segen, durch den die Menschen zu Gott kommen. Wir dürfen nicht jammern, wenn unsere Kinder in Not kommen; denn wir wissen, dass sie solche Wege gehen müssen, um zu Gott zu kommen.

Alles läuft hinaus zum Lobpreis Gottes. Deshalb kann Gott dem Wirrwarr auf Erden zusehen, weil Er das Ende weiß. Gott sieht von Anfang an alles vollendet. Darum kann Er mit so großer Geduld auf das Ziel warten.

Ich lasse euch aber wissen, liebe Brüder

Phil 1:12
Paulus redet die Philipper mit „liebe Brüder“ an. Die Gemeine, die sich ja aus Männern und Frauen zusammensetzt, wird immer nur männlich angeredet, obgleich jedes ihrer Glieder auch einen weiblichen Zug hat, der zum Wachstum nötig ist, nämlich das Empfangen und Aufnehmen des Christus. Der Wiedergeborene, ob Mann oder Frau, ist seinem Wesen je länger, je mehr männlich-weiblich. Doch ist das Hauptkennzeichen des Wiedergeborenen wie der Gemeine das Männliche, das Zeugen und Bezeugen.

Es hat eben alles im göttlichen Haushalt seine Ordnung. Da ist zuerst Gott, der Vater, der Ungrund, der Ohnegrund; dann Christus, der Sohn, der Grund, der aus dem Ohnegrund Herausgeborene; dann die Gemeine, Sein Leib, das ausführende Organ oder die Söhne; sodann die Knechte, die Juden; zuletzt die Untertanen, die Nationen alle. Und diese Haushaltungen sind wieder gliedhaft geordnet, auch die Gemeine. Sie alle müssen in ihren Ordnungen laufen, sonst laufen sie nicht recht.

Da ist also die Gemeine männlich. Ihre Aufgabe ist das Zeugen durch Wort und Geist. Unsere Kirchen werden mehr und mehr weiblich. Denken wir nur an den schon weit reichenden Einfluss der Frauen im kirchlichen öffentlichen Leben. Die Frau soll auf der inneren Linie bleiben. Aber auch viel Weibisches in der Art ist eingedrungen. Schon Zinsendorf ist davon nicht frei geblieben. Das Süßliche und Weichliche ist nicht Jesus-Art und nicht Gemeine-Art.

Wie es um mich steht, das ist nur mehr zur Förderung des Evangeliums geraten.
Der Apostel freut sich, den Philippern schreiben zu können, dass seine Lage eher zur Förderung des Evangeliums ausgeschlagen ist. Je mehr die Gegner hindern und verhindern wollen, umso mehr empfehlen sie ihn. Die Juden wollten ihn ganz beseitigen. Sie brachten es fertig, dass er jahrelang ins Gefängnis kam. Das hat kräftig zur Ausbreitung des Heils mitwirken müssen.

An dem gefangenen Juden Paulus haben sich die Geister in Rom gleich geschieden. Was hoch hinaus wollte, da hat von ihm nichts wissen wollen. Äußere Ehre konnte man da nicht holen. Der gefangene Paulus ist die beste Evangelisation gewesen. Wir benützen heute allerlei Zugmittel wie Musik, Gesang und zugkräftige Redner. Doch liegt es nicht im Anziehen der Geister allein, sondern auch im Abstoßen.

Als das Heim gebaut war, hatten wir die Sorge, das Haus könnte nicht genügend Gäste bekommen. Da ließen wir einen Prospekt drucken, in dem es hieß: „Modern eingerichtetes Haus, angenehmer Aufenthalt, große Wälder direkt am Haus, günstige Bahnverbindung“. Heute fragt auch dann und wann jemand an: Schicken Sie uns einen Prospekt! Da haben wir kleine Zettel vervielfältigen lassen, die fangen so an: „Wir sind kein Erholungsheim, sondern ein Bibelheim.“ Da kommt gleich manch eines nicht, dass uns bloss Unruhe ins Haus brächte.

Der Apostel Paulus hat von vornherein die unlauteren Elemente abgestoßen, freilich nicht durch Sünden, sondern durch seine Niedrigkeit und durch sein Wort. Wir sollten vielmehr darauf bedacht sein, nicht so sehr geistreich, als vielmehr biblisch zu reden.

Etliche predigen zwar Christus

Phil 1:15
Etliche predigen zwar Christus auch um Neides und Haders willen
Hier öffnet uns der Apostel den Blick für die inneren Ursachen mancher sogenannten Reich-Gottes-Arbeit. Manche predigen aus Neid und aus Streitsucht. Es werden vorher schon begabte Brüder in Rom gewesen sein, die sich nun durch die Anwesenheit des Apostels zurückgesetzt, und in den Schatten gestellt fühlten. Deren Eifer erwachte nun. Sie predigten Christus, um Paulus den Rang abzulaufen.

Sie werden dabei mitunter ganz heimlich am Apostel herumgezupft haben, etwa so: Man weiß halt doch nicht recht, ob etwas dran ist, weil er schon so lange gefangen ist; man muss doch abwarten. Damit suchten sie den Apostel zu schädigen. Bei diesem Streit war es Paulus ganz einerlei, aus welchen Beweggründen heraus die anderen so tätig geworden sind. Nicht einerlei aber ist es ihm, was gepredigt wird. Christus muss dabei verkündigt werden.

Was tut’s aber?

Phil 1:18
Was tut’s aber? Dass nur Christus verkündigt werde auf allerlei Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich doch darin und will mich auch freuen.
Die Seelen, die mir der Heiland geben will, die bekomme ich ja doch. Die andern bekommen die ihren. Alles muss zum Heil hinauslaufen, auch der Gegensatz. Hass und Liebe anderer muss mich fördern, und muss das Laufen des Evangeliums fördern. Alle Dinge müssen uns zum Besten dienen. „Wer ist, der euch schaden könnte, so ihr dem Guten nachkommt?“ (1Petr 3:13). Nur einfältig in Christo bleiben, dann kann uns niemand und nichts Schaden tun. Ja, wir erfahren dann, dass zuletzt doch Christus den Sieg behält und die Ihm angehören. Paulus kennen wir heute noch, von seinen damaligen Gegnern wissen wir nichts mehr. Es fällt sehr schwer, sich da zu freuen, wo man sich von anderen Verkündigern in den Schatten gestellt fühlt. Mein Amtsvorgänger Kappler im Pfarramt Langensteinbach war sehr beliebt. Als ich schon einige Zeit in Langensteinbach war, ging ich eines Sonntags früh durchs Dorf. Mein Nachbar stand im Garten und strahlte übers ganze Gesicht. Nach der Ursache befragt, gab er zur Antwort: „Ja, Herr Pfarrer, wisse Se’s denn noch net: der Kappler kommt!“ Au, da ist mich hineingefahren: der Kappler kommt - und da strahlen die Langensteinbacher! Ich hab mich geschämt ob dieser neidischen Gesinnung und bin wieder ins Pfarrhaus und hab gebetet. Nachher hab ich aus Herrzensgrund sagen können: „Grüß Gott, lieber Kappler!"

Wie ich sehnlich warte

Phil 1:20
Wie ich sehnlich warte und hoffe, dass ich in keinerlei Stück zuschanden werde, sondern dass mit aller Freudigkeit, gleichwie sonst allezeit also auch jetzt, Christus hoch gepriesen werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod.
Es ist dem Apostel hauptsächlich darum zu tun, seine gegenwärtige Lage möge dazu dienen, dass Christus an ihm verherrlicht werde. Er will zu Gottes Lob dasein. Er sagt darum, dass er in der festen und freudigen Hoffnung stehe, dass dies offensichtlich an seinem Leibe geschehe, sei es durch Leben oder Tod. Christus am Leibe verherrlichen heißt also nicht, um jeden Preis aus der Gefangenschaft freiwerden, um jeden Preis gesund werden oder sich gesundbeten zu wollen; vielmehr heißt das, dass wir des Leibes Beschwerden in Christo immer wieder überwinden. Das, was Christus an uns tut und wie wir uns dazu stellen, das verkündigt und verherrlicht Christus viel mehr als alles was wir tun. Das ist die stärkste Mission, wenn Er aus uns Lichter machen kann. Wenn Jesus sich innen an uns auswirken kann, dann werden wir „leuchtfähig“ (und das ist mehr als „leistungsfähig“)

Alles muss Ihn verherrlichen, unser Leben und unser Tod. „Der Tod Seiner Heiligen ist wertgehalten vor dem Herrn“ (Ps 116:15). Der enthauptete Apostel ist ein Zeugnis der Kraft Christi, die uns Sterbensfreudigkeit gibt. Wir wissen, wenn wir sterben, dass die nicht von ungefähr geschieht, sondern weil es Gott will. Ein Kind Gottes stirbt nie zu früh oder zu spät. Wenn wir nach Gottes Willen sterben, ist auch unser Sterben ein Zeugnis. Da, wo Christus am Kreuz angenagelt ist, ist’s ein allergrößtes Wirken; da fängt es erst recht an. In Leiden, Trübsal und Sterben wirkt sich Christus auch in uns aus.

Christus ist mein Leben

Phil 1:21
„Mir ist das Leben Christus“. Ich kenne kein anderes Leben mehr. Woher soll auch sonst Leben kommen, wenn nicht aus Ihm, dem Quellgrund alles Lebens? Wir als von Gott losgelöste, ins Todeswesen verstrickte Geschöpfe, können nur durch Buße und Glauben Leben anziehen. Als zur Wiedergeburt Gebrachte sind wir nun an Christus angeschlossen wie die Wasserleitung ans Reservoir.

Die Welt nennt uns Schwärmer und verdrehte Leute. Sie bedenkt nicht, dass sie selbst verdreht ist. Wir sind freilich auch verdreht, einmal durch die Sünde, dann aber durch die Gnade wieder zurechtgedreht. Also stehen wir richtig.

Die Welt rechnet mit den Naturgesetzen und weiß nicht, dass diese durch die Sünde in Todesgesetze verwandelt sind. Die wahren Lebensgesetze sind unsichtbar. Deshalb sind für uns Wunder letztlich keine Wunder in dem Sinn, dass wir sie nicht fassen könnten; vielmehr sind sie uns ganz klare Vorgänge. Da hat Gott eben wieder einmal Seine Lebensgesetze für uns sichtbar angewandt. - Wer unbedingt Wunder sehen will, ist noch im fleischlich-natürlichen Leben und Wesen. Der Glaube hängt am Unsichtbaren, fußt in ihm und zielt nach ihm. „Christus ist mein Leben“ - das ist eng verbunden mit Ich-Sterben. Wir sind in allen Stücken Lebensmenschen, aber in Christo ist auch Sterben Gewinn. Lebendige2 Gläubige geben dran, was ihnen schadet, und gewinnen so, was sie fördert, Hieronymus bittet: „Nimm, was mein ist, gib was Dein ist.“ - Es ist aber ganz falsch, Menschen in äußeren Dingen bekehren zu wollen; es muss von innen heraus kommen. Also nicht etwa die Tabakpfeife herausreißen; es gehen sonst die Zähne mit! Ist aber erst einmal der Mund vom Lobe Gottes voll, dann fällt die Pfeife von selber heraus.

Auch die Welt erkennt die Unzulänglichkeit des Sichtbaren bis zu einem gewissen Grad. Deshalb sucht sie das Sichtbare zu vergeistigen. Der Idealismus sieht ähnlich aus wie Glaube oder Offenbarung, ist aber ganz unpraktisch. Der Idealist sieht vor allem keine Sünde. Für Dinge, die notwendig zu tun wären, ist er blind. Er schwebt zwischen Himmel und Erde. - Wie furchtbar dieser Idealismus sich rächt, zeigt das Beispiel Kaiser Wilhelm II. Sein Wort bei Kriegsbeginn 1914 „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!“ ist ein rein ideales. Aber umso besser haben ihn die Parteien gekannt!

Dem lebendigen Christentum ist nichts zu hoch: er erkennt die Tiefen der Gottheit; aber auch nichts zu niedrig: es kann mitunter bis in den Staub und kann sich da bewähren. Der lebendige Glaube macht einfältig, praktisch und nüchtern.

Ich bekam einmal den Besuch eines hohen Geistlichen. Er fand mich nicht gleich daheim, hörte aber hinter dem Haus Geräusche und traf mich dann dort, wie ich gerade die Grube leerte. „Ich hätte wahrhaftig nicht gedacht, Sie da zu finden!“ kam es mit Entsetzen aus seinem Munde.

Gläubige Leute sind Bäume, deren Wurzelwerk im Himmel ist, und deren Früchte auf die Erde reichen, damit die Ungläubigen sie zupfen (pflücken) können.

Sterben ist mein Gewinn

Dann komme ich ja zum Herrn. Paulus weiß, dass das das Bessere wäre für ihn, der im Herrn daheim ist. Aber freilich ist es nicht so, wie viele meinen, dass nach dem Sterben ein ganz anderer Zustand für sie eintritt, dass die Leiden aufhören und ein seliger Glückszustand sie erfasst. Es wird vielmehr genau so weitergehen, wie es hier aufgehört hat, nur unter anderen Verhältnissen.

An manchem Grab habe ich denken und sagen müssen: Wenn der da unten jetzt heraufkommen könnte und sprechen, ihr würdet euch wundern!

Was soll ich wählen

Phil 1:22
Weil aber im Fleisch leben dient, mehr Frucht zu schaffen, so weiß ich nicht welches ist erwählen soll.
Mein ganzes Inneres geht auf den Christus, den Erhöhten, und Sterben wäre damit Gewinn. Wenn ich aber auf dieser Erde noch eine Arbeitsfrucht bringen kann, irgendwie noch nützlich sein kann, will ich doch ruhig hier bleiben. Dann stehe ich zur Verfügung.

Ich habe Lust abzuscheiden

Phil 1:23.24
Es liegt mir beides hart an: ich hab Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein, was auch viel besser wäre; aber es ist nötiger, im Fleisch zu bleiben um euretwillen.
Geistliche Menschen sind dem Tode ganz anders gegenübergestellt als natürliche Menschen. Ein Paulus, obwohl er gern beim Herrn wäre, weiß doch, dass im Leibe bleiben vielleicht nötiger ist, um Frucht zu schaffen. Er sagt nicht wie so viele Leute im Alter:

Wenn ich nur gestorben wäre; zu was bin ich auch noch da! Er spricht: Du weißt, meine Lust ist, bei Dir zu sein. Wenn Du mich aber hier noch brauchen willst, bin ich bereit zu bleiben.

So fühlt sich Paulus hart bedrängt: „Ich werde zusammengehalten, zusammengedrängt“: das Bei-Christo-Sein und das Frucht-schaffen rückt mir auf Seele und Leib. Ich habe die Leidenschaft, die Begierde, aufzulösen und bei Christo zu sein. Nicht „abzuscheiden“, sondern aufgelöst, verwandelt, überkleidet zu werden. Ich will lieber „analysiert“ werden (so heißt’s im Griechischen), dass mein innerer Kern herauskommt und alles andere abfällt. Das ist das Überkleidetwerden. Er entscheidet sich aber nicht für das Angenehme, sondern für das, was des Herrn Wille ist. Er ist bereit im Fleisch zu bleiben, in diesem Gesamtzustand im Sünden- und Todeswesen.

Ich weiß, dass ich bleiben werde

Phil 1:25
In guter Zuversicht weiß ich, dass ich bleiben, und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und Freude des Glaubens.
Paulus hofft zuversichtlich, dass er noch einmal zur Förderung der Philipper zu ihnen kommen werde, eine Hoffnung, die ihm wohl erfüllt worden ist. Manchmal kann es aber auch ganz anders gehen. Auch in der besten Meinung und Erwartung können wir irren und müssen uns vom Herrn korrigieren lassen, oft durch harte Tatsachen. Wer sich dann im Glauben fügt, erfährt Gottes Gnade im inneren Wachstum. - Man kann auch etwas von Gott im Gebet erzwingen wollen. Die Erhörung solcher Bitten schließt immer Gericht in sich. Drüben in der Ewigkeit werden die Gläubigen einander erheben: Dir habe ich zu verdanken, dass ich hier bin! Die Weltmenschen aber hindern einander schon hier, und in der Hölle wird’s dann heißen: Du bist schuld, dass ich hier bin! Denn auch die Gottlosen werden drüben eine Ernte antreten, aber eine furchtbare. Auch ihre Werke folgen ihnen nach samt ihren Früchten. Bei den Gläubigen aber ist’s ein freudiges Ernten ohne Aufhören. Da wird sich’s weisen, wie vielfältig sie gesät haben, und wie viel hat zusammenwirken müssen zu ihrer Vollendung und Ausreifung.

Hier auf Erden ist das Ernten eine Mühe, dort ein Lohn. Als Bruder Augenstein in Auerbach einmal in einem guten Jahr am Einernten war, sagte er zu mir, als er eben wieder einen vollbeladenen Wagen einfuhr: „Es ist gut, dass wir erst drüben ernten ohne Aufhören; wär’s schon hier, das könnt’ ich nicht schaffen."

Wandelt würdig dem Evangelium Christi

Phil 1:27
„Nur treibt eine Politik, die würdig ist des Evangeliums Christi.“ In diesem Vers mahnt der Apostel die Philipper, dass sie ihren Wandel, oder eigentlich ihre „Politik“, würdig führen (wandeln heißt hier politeuein). In der Politik sollte alles weise erwogen werden, was zum Besten aller dient. Unsere Politik ist im Himmel (Phil 3:20). Wir müssen in diesem Sinn einen geübten politischen Verstand haben. Für uns bedeutet politisch sein: in Weisheit erwägen und zurechtlegen, was zum Besten dient. Weil unsere Politik im Himmel ist, ist sie wahrhaftig, lauter und unanstößig, nicht wie die Weltpolitik, die ja voller Lug und Trug ist.

Als Dreiundzwanzigjähriger war ich noch mit großer Begeisterung in der konservativen Partei. Weil ich reden konnte, sollte ich einmal eine Wahlrede halten. Dabei sollte natürlich nicht offenbar werden, dass ich noch gar nicht wahlberechtigt war (damals erst mit 25 Jahren). Man suchte mich zu veranlassen, dass ich lügen sollte, wenn ich nach meinem Alter gefragt werde. Da erkannte ich das ganze verlogene Parteiwesen und machte Schluss. - Wir haben den Eindruck, dass die Menschheit jetzt mit Bewusstsein die Lüge zur Wahrheit stempelt. Sie vertritt immer mehr nur das Prinzip von unten. Wir haben Christus zu vertreten. Da gilt es, nicht zu klug, sondern mehr einfältig zu sein.

Steht in einem Geist und in einer Seele, zusammen kämpfend im Glauben des Evangeliums.
Es war offenbar Streit, Zwietracht und Neid unter den Philippern, eine von Frauen genährte Gegensätzlichkeit (vergl. Phil 4:2). Paulus will, dass die Philipper in einem Geist und in einer Seele stehen, dass sie einen Grundwillen und eine Auswirkung haben im Bezug auf das Evangelium. Einen Grundwillen haben, das bedeutet soviel wie: alles Ichwesen, aller Eigenwille wird in uns getötet, es herrscht der Heilige Geist in uns. Das ist Wiedergeburt. Da ist ein Geisteswille da, ein zerbrochener Wille. Da sind alle auf das Eine oder auf den Einen gerichtet, und dennoch ist dabei durchaus keine Schablone. Es ist ein Geist oder e i n Herz, aber jeder mit seiner besonderen Führung auf das Ziel gerichtet. Dabei ist aber kein Vielerlei, sondern alles geschieht in schlichter Einfalt. Das bedeutet der Ausdruck „in einer Seele".

Es ist etwas Großes, wenn die Seele dem Geist gehorcht, denn die Seele, die im Blute liegt, tritt heraus und hinein in die Mitte. Mit ihr schmecken, sehen, finden und hören wir. Sie ist die Heraustretende. Und oft purzelt sie ganz heraus, so dass der Geist sie nur mühevoll wieder hereinholen kann. Sie ist die Geistverzehrende, weil sie geneigt ist, in das Vielerlei hineinzugehen, während der Geist auf Gott in Christo als der großen Eins geht. Bekehrte, die nicht zur Wiedergeburt durchgedrungen sind, sind solch Seelische. Sie bleiben in dem Vielerlei stecken, wenn auch angeschienen oder angeleuchtet von der Gnade. Die allermeisten Menschen sind seelisch, und die große Masse bleibt seelisch. Kommt es zu einem Wiedergeburtsleben, dann kommt der Geist und durch ihn die Seele in Zucht. Der Geist muss die Seele packen und beherrschen.

Im Beruf muss die Seele ja heraustreten. Aber es gilt, wenn nötig mitten in der Arbeit, sie wieder hereinzuholen unter die Kontrolle des Geistes. Das tut der Geist in Christo: Komm jetzt, bleibt jetzt da und bete mit mir! -

Bruder Steinmetz in Durlach geriet oft außer sich, wenn die Fuhrleute ihre zerrissenen Geschirre zu Dutzenden fluchend in seine Werkstatt warfen. Er pflegte sich dann einzuschließen und trotz Klopfen und Rufen von außen so lange zu beten, bis er völlig still war. Dann öffnete er mit den Worten: „So, jetzt kannst fluche!“ Er war jetzt gewappnet. - Schulmeister Kolb wünschte, dass er abends so aus der Schule komme, wie er morgens in sie hineinging, nämlich gesammelt.

Seele und Geist sind dennoch eins, nur nach verschiedenen Seiten hin wirksam. Deswegen ist es wichtig, dass der Geist die Seele immer wieder zur völligen Ruhe, zum Gleichgewicht, zum Stehen im Geist bringe. Wer dann die Herrschaft über seine Seele hat, der hat sie auch über den Leib. Der kann dann sagen, wenn die Seele etwa den leidenden Leib bedauert: „Komm, mach’s nicht so arg, es ist ja gar nicht so schlimm. Danke, lobe den Herrn, meine Seele! Was betrübst du dich, meine Seele!“ E i n e Seele sein, dazu gehört viel Weisheit.

Noch mehr Weisheit gehört aber dazu, eine Seele zu bleiben. Es ergeben sich seelische Konflikte in den Berufen. Denken wir etwa an unsere Landwirte, die Tabak oder Wein anbauen, oder an unsere Pforzheimer Brüder, von denen manche Rosenkränze machen. Es wird wenig Berufe geben, wo solche Konflikte ganz ausbleiben.

Ihr werdet als gläubige Menschen alles im Heiligen Geist ansehen. Macht, was ihr innerlich dürft. Der Heiland ist größer als all dieses Zeug: Zigarrendrehen, Engel- und Rosenkränzemachen, Tabak- und Weinanbau; überwindet in den übrigen Kämpfen im Glauben. Wenn aber der Glaube ignoriert wird, dann muss es weg.

Lasst euch in nichts erschrecken

Phil 1:28
Lasset euch in keinem Weg erschrecken von den Widersachern, welches ist ein Anzeichen, ihnen der Verdammnis, euch aber der Seligkeit, und das von Gott.
Wenn wir über diesem Stehen im Geist auch das Seelische durchdrungen sein lassen vom Geist, dann kommt der Widersacher. Das bringt die Welt in Widerspruch, wenn wir in einem Geist und in einer Seele beim Evangelium bleiben, zu ihrem Verderben.

Die ins Verderben kommen, müssen durch Todeswellen und Verderbensströme hindurch, die in dieser oder in jener Welt laufen. Was aber ihnen zum Verderben gereicht, muss uns zur Rettung dienen. Rettung ist hier soviel wie Endrettung, nicht vorläufige Rettung aus Not und Trübsal, obwohl sie auch mit dabei sein kann. Die Welt will uns gar nicht mehr, sondern stößt uns von sich hinaus. Uns aber reibt ihr Widersachergeist in die Rettung hinein.

Wenn die Mädchen von Langensteinbach, die zur Stunde gehen, abends im Dunkeln noch heimmüssen, kam es schon vor, dass junge Burschen sie belästigten. Sobald sie aber erkannten, wen sie vor sich hatten, hieß es: „Au, die geht ja in d’Stund!“

Als ich einmal von Ettlingen nach Langensteinbach fahren wollte, bemerkte ich auf dem Bahnhof eine Schar meiner ehemaligen Studiengenossen, die zu einer Kneipe in eine Waldschenke fuhren. Sie glaubten, ich ginge mit, und riefen: „Ha, da kommt der Böhmerle, der passt doch nicht zu uns!“ Sie waren von einem Druck befreit, dass ich nicht mitging - ihnen zum Verderben, mir zur Rettung.

Denn euch ist gegeben um Christi willen

Phil 1:29
Denn euch ist gegeben, um Christi willen zu tun, dass ihr nicht allein an Ihn glaubet, sondern auch um Seinetwillen leidet.
Es gibt auch ein Leiden zugunsten Christi. Leiden um unserer selbst willen oder gar um unserer Sünden willen sind hier nicht gemeint. Es ist Gnade, wer mit Christus leiden darf. Ohne dieses Leiden bekommen wir keine Einblicke in den Rat Gottes mit uns und mit der Gesamtschöpfung. Andererseits bringt jede neue Erkenntnis und Offenbarung auch neues, vertieftes Leiden. Wenn ich meinen Leuten im Heim sage, was ich im „Reich-Gottes-Boten“ oder in der „Gemeine“ gerade schreibe, dann sagen sie oft: „Schreiben Sie das nicht; es kommt sonst wieder hageldicht über Sie.“ Aber ich muss. Und es kommt dann auch allemal so.

Was Christus gelitten hat als Haupt, müssen wir als Leib noch vollmachen. Wir haben den Eindruck, dass unsere Gemeinschaften zu wenig Leiden haben. Ja, wir sehen das Gegenteil: wir werden geehrt. Das war früher anders als manchmal die Polizei die Stundenhalter verfolgt hat. Für die Gemeine kam das Leiden früher aus der Kirche. Jetzt kommt es eher aus den Gemeinschaften. Wenn wir in unserem Glaubensleben weitermachen, es anwenden in Familie und Beruf, im politischen und geschäftlichen Leben, dann werden wir Leiden bekommen.

Ihr habt denselben Kampf

Phil 1:30
Ihr habt denselben Kampf, welchen ihr an mir gesehen habt und nun von mir höret.
Da sind wohl etliche Philipper um ihres Glaubens, und um des Festhaltens am Evangelium willen eingesperrt worden. Paulus will ihnen sagen: „Diese Gnade ziert euch“. Das müsste uns auch wieder gegeben werden! Wir wachsen nicht genug in Christo weiter, sonst hätten wir mehr Kreuz. Aus der völligen Klarheit des Stehens in Christo werden die Leiden geboren.

Lies weiter: Kapitel 2
II. Durch Leiden zur Herrlichkeit