Das Sündopfer - 3Mo 4

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aus dem Buch von Andrew Jukes - Die Opfergesetze nach 3Mo 1-7


1. Teil: a) Das Sündopfer - 3Mo 4
2. Teil: b) Die Vielfalt des Sündopfers


Das Sündopfer - 3Mo 4

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Wir kommen nun zu den Opfern, die "dem HErrn nicht zum süßen Geruch" sind. Zu dieser Klasse gehören das Sünd- und das Schuldopfer. Der Zweck derselben ist, uns das Opfer Christi von einer ganz anderen Seite darzustellen, als wir es bisher betrachtet haben. Bis jetzt ist uns kein Gedanke an Sünde in den Opfern entgegen getreten. Das Brand- Speise- und Dankopfer waren bei aller sonstigen Verschiedenheit in dem Stück ganz gleich, dass in jedem derselben Jehovah etwas dargebracht wurde, das Ihm wohlgefällig war, eine Gabe, die Seinen heiligen Ansprüchen genügte, und in deren Annahme Er Befriedigung fand. Hier aber bei dem Sünd- und Schuldopfer lesen wir von Sünde. Hier sehen wir Sünde, die bekannt und gerichtet worden ist, und die ein Opfer und Blutvergießen erfordert, aber zugleich auch gesühnt, ausgetilgt und vergeben ist.

Man könnte vielleicht denken, dass diese Seite des Opfers, da sie uns zur Erkenntnis der Sünde führt, weniger tröstlich sei als diejenigen Seiten, die wir bereits betrachteten. Dies könnte der Fall sein, wenn wir andere Leute wäre, als die welche wir in Wahrheit sind. Da wir uns aber als Sünder kennen und als solche unter dem gerechten Zorn und dem Gericht Gottes stehen, so ist diese Seite des Opfers vielleicht die tröstlichste von allen, denn in dem Sündopfer erkennen wir, dass die Sünde gerichtet worden ist, und dass daher das Sündengefühl, wenn wir Glauben haben, unser Gefühl der Sicherheit nicht zu erschüttern braucht. Es wird freilich hier vornehmlich gezeigt, dass die Sünde überaus sündig, überaus hassenswert, überaus böse in Gottes Augen ist, doch sehen wir ebenso, wie völlig sie getragen, gerichtet und getilgt ist, dass uns also gerade das Sündopfer eine vollkommene Erlösung verbürgt. Auch ist es Tatsache, dass jene Seite von Christo, welche das Sündopfer versinnbildlicht, eher erkannt wird, als die in den Brand- und Speiseopfern dargestellten Seiten. Die Erfahrung bestätigt dies hinlänglich. Gleichwie in den Vorbilder die Sündopfer, obgleich bei der Einsetzung zuletzt genannt, ohne Ausnahme die ersten bei der Darbringung waren1, dementsprechend wird auch jeder Gläubige die Erfahrung machen, dass er zuerst das Sündopfer verstehen lernt.

1 Siehe Kapitel, in welchen die Ordnung, in welcher die Opfer dargebracht werden sollten, beschrieben ist, wie z.B. 2Mo 29 - 3Mo 8 - 3Mo 9 - 3Mo 14 und 2Chr 29.

Lange vorher schon, ehe sich das Verständnis für die Einzelheiten des vollkommenen Werkes Christi findet als den, der als Mensch alle Gerechtigkeit erfüllte und von Gott als süßer Geruch angenommen worden ist, ja ehe wir nur im Entferntesten daran denken, dass Gott Seine Lust hat an dem Opfer Seines lieben Sohnes und seine Befriedigung darin findet, erblickt der schwache Gläubige Christus als den Sündenträger, und Sein Opfer als ein Opfer für die Sünde. Und obgleich - wie wir aus dem Vorbild sehen werden - diese Anschauung äußerst unklar und ungenügend sein mag, obgleich sie von den verschiedenen Gläubigen mit einem sehr ungleichen Maß von Verständnis erfasst wird, so darf ich doch wohl sagen, dass sie ohne Ausnahme die erste ist, die der Christ von dem Opfer Christi erlangt.

Ich bemerkte bereits, dass die Opfer "zum süßen Geruch" in der Anordnung der Opfer, wie sie uns im Anfang des 3. Buches Mose berichtet wird, vor den anderen stehen, dass aber bei der Darbringung derselben die Ordnung umgekehrt wird. Ich schalte hier einige Worte ein, weil ich gewiss bin, dass diese Änderung uns etwas lehren soll. Ich bin überzeugt, dass der Grund uns alsbald klar werden wird, wenn wir die unterscheidenden Merkmale dieser Opfer erkannt haben. Die Opfer "zum süßen Geruch" stellen, wie wir gesehen haben, Christus dar, wie Er Sich in vollkommener Gerechtigkeit Gott Selbst für uns darbringt. Die anderen stellen Ihn im Gegenteil als Den dar, der Sich als unser Stellvertreter zur Sühne für die Sünde freiwillig opfert. Die Reihenfolge dieser Opfer stellt uns gewisse Seiten des e i n e n Opfers dar, und zwar in der Ordnung, in welcher Gott sie sieht, und nach dieser Seite hin muss natürlich Christus, der Sich ohne Sünde Gott opfert, dem Sich für die Sünde opfernden Lamm Gottes vorangehen. Wäre Er nicht in Sich Selber das gewesen, was wir in dem Brand- und Speiseopfer versinnbildlicht sehen, nämlich heilig und vollkommen, so hätte Er nicht für die Sünde geopfert werden können. Gerade d i e Tatsache, dass Er vollkommen war, befähigte Ihn, ein Sündopfer zu sein. Die D a r b r i n g u n g des Opfers aber zeigt uns andererseits die Ordnung, in welcher Israel das Werk Christi erblickte Israels Verständnis für das vorgeschriebene Opfer fängt in diesem wie in jedem anderen Fall da an, wo das Opfer den Sünden und Vergehungen des Volkes entspricht. Aus diesem Grunde stehen ohne Zweifel die Sündopfer den Brandopfer in der Reihenfolge voran.

Gehen wir jetzt aber zu den Opfern selbst über, so genügt der geringste Grad von Aufmerksamkeit, um zu zeigen, dass diejenigen Opfer, welche nicht "zum süßen Geruch" sind, sich in zwei Klassen teilen: in S ü n d - und S c h u l d o p f e r (3Mo 4 und 3Mo 5:1-13 - 3Mo 6:1-7) Unterscheidet der Christ richtig zwischen diesen beiden, so zeigt dies, dass er mehr als e i n e Lektion in Gottes Schule gelernt hat. Es ist in der Tat ein Kennzeichen - ein untrügliches Kennzeichen - von dem gegenwärtigen niedrigen Stand der Christenheit, dass so viele den Unterschied nicht zu erkennen scheinen, den Gott zwischen Sünde und Schuld sieht. Wäre ein solcher in der Tat nicht vorhanden, so würde Gott nicht für Sünde wie für Schuld ein besonderes Opfer verordnet haben. Selig daher jeder, der hier mit Gottes Augen sieht. Selig, sage ich; denn obgleich die Erkenntnis der Sünde an und für sich niemals eine Ursache der Freude sein kann, so ist sie doch ebenso gewiss ein Schritt zur Seligkeit, als es ein Zeichen von Gemeinschaft mit Gott ist, wenn wir eine Sache betrachten und beurteilen, wie Gott sie betrachtet und beurteilt. Wahrlich, es ist nur der Mangel an Erkenntnis dieser vor uns liegenden Wahrheit, dass so viele trauern, welche loben sollten; denn sie sehen nicht, dass sowohl für die in ihnen wohnende Sünde Versöhnung geschehen und angenommen worden ist, wie für ihre tatsächlichen Vergehungen. Ich unterlasse es indessen näher hierauf einzugehen, bis wir weitere Auskunft über die Bedeutung des Sündopfers gegeben haben. Ist dies geschehen, und ist, wie ich hoffe, ein gründlicheres Verständnis desselben gewonnen, so werden wir besser imstande sein, den Unterschied zwischen Sünde und Schuld zu erkennen.

Lasst uns daher zur Betrachtung des S ü n d o p f e r s übergehen. Wir können dasselbe erstens in seinem Gegensatz zu den anderen Opfern betrachten und sodann in seinen verschiedenen Mannigfaltigkeiten. Das erste wird die eigentümliche Seite des Opfers Christi hervorheben, welche wir in dem vor uns liegenden Bild erkennen sollen, das zweite aber, die verschiedenen Erkenntnisgrade, in denen diese Seite des Opfers von dem Volke Gottes erfasst wird.

I. Der Gegensatz zu anderen Opfern

1. Kein Opfer zum süßen Geruch

Betrachten wir zunächst das Sündopfer in seinem Gegensatz zu den übrigen Opfern, so finden wir dessen Umrisse durch drei Punkte bezeichnet:

  1. war es, obgleich ohne Makel, kein Opfer "zum süßen Geruch",
  2. wurde es nicht auf dem Altar vor der Stiftshütte, sondern auf dem Schutthaufen der Fettasche - draußen vor dem Lager verbrannt;
  3. war es ein Opfer für die Sünde, und zwar im Unterschied vom Schuldopfer.

Das Sündopfer war also 1. obgleich ohne Makel, doch kein Opfer "zum süßen Geruch" (3Mo 4.). Mehr als einmal habe ich bereits erklärt, was es heißt "zum süßen Geruch". Daher brauche ich jetzt nur darauf hinzuweisen, warum Jesus, der Fleckenlose, in diesem Opfer nicht dem HErrn ein süßer Geruch sein konnte. Der Unterschied liegt darin, dass die Opfer "zum süßen Geruch" Annahme bei Gott fanden, während die anderen jedoch zur Sühne dargebracht wurden. In der ersten Klasse wird die Sünde gar nicht bemerkt; es ist einfach der im Glauben gehorsame Israelit, der Jehova befriedigt. Das Sündopfer ist aber ein mit der Sünde des Opfernden beladenes Opfer. Im Brandopfer wie in den anderen Opfern "zum süßen Geruch" erschien der Opfernde als Anbeter, um in seinem Opfer, welches ihn selbst darstellte, Jehowah etwas Süßes, Angenehmes darzubringen. In den Sünd- und Schuldopfern, welche nicht "zum süßen Geruch" waren, erschien der Opfernde als überführter Sünder, um in seinem Opfer das Urteil zu empfangen, das seine Sünde ohne Schuld verdient hatte. In den Sündopfern wie in den Brandopfern ist Christus der Opfernde; aber bei jenen sehen wir, wie Er an unserer Stelle als überführter Sünder dasteht.

Denn obgleich Er der Heilige ist und ohne Sünde, wurde Er doch unser Stellvertreter, bekannte unsere Sünden als die Seinen und trug seine Strafe. Indem Er die Sünden Seines Volkes als Seine eigenen auf Sich nimmt, sagt Er: "Meine Schulden sind Dir nicht verborgen" (Ps 69:6). "Es haben Mich umgeben Leiden ohne Zahl; Meine Sünden haben Mich ergriffen, dass Ich nicht sehen kann, ihrer ist mehr denn Haare auf meinem Haupte, und Mein Herz hat Mich verlassen! (Ps 40:13). O wunderbares Geheimnis, der Heilige Gottes für Sünder zur Sünde gemacht (2Kor 5:21)! Und, o unaussprechliche Liebe, der Hochgelobte zum Fluch für Verfluchte geworden (Gal 3:13)!

Dieses ist also die Bedeutung des Unterschiedes zwischen dem, was ein süßer Geruch für Jehovah war und was nicht. In dem einen Fall wurde das Opfer angenommen, um zu zeigen, dass der Opfernde vom HErrn angenommen war; das gänzliche Verzehrtwerden auf dem Altar bezeugte, dass Gott den Opfernden annahm und Sich zufrieden erklärte. In dem anderen Fall wurde das Opfer hinausgeworfen und verbrannt, aber nicht auf Gottes Tisch, dem Altar, sondern in der Wüste außerhalb dem Lager, zum Zeichen, dass der Opfernde in seinem Opfer Gottes Gericht erleidet, und als Verfluchter aus der Gegenwart Gottes verstoßen wird. In dem einen erschien der Opfernde, um Gott zu befriedigen; und da er in seinem Opfer die läuternde Feuerprobe bestanden hatte, wurde er als ein süßer Geruch angenommen.

In dem anderen erschien er als schuldiger Sünder und trug in seinem Opfer die Strafe der Sünde. Das eine ist in dem Schriftwort ausgedrückt, "Der Sich Selbst für uns gegeben hat zur Gabe und Opfer, Gott zu einem süßen Geruch" (Eph 5:2), das andere in dem Wort: "Der Sich Selbst für unsere Sünden gegeben hat (Gal 1:4). "Er hat Den, Der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht (2Kor 5:21) Das Sündopfer gehört dieser letzten Klasse an; es war nicht ein Opfer des Wohlgefallens, sondern eine Sühnung der Sünde. Dennoch musste das Sündopfer "ohne Fehl" sein (3Mo 4:3) ebenso wie das Brandopfer, ja bei seinem anderen Opfer war die Vollkommenheit unbedingt erforderlich. Es wird immer wieder erwähnt, dass nur ein fehlerloses Tier ein Sündopfer sein konnte (3Mo 4:3 - 3Mo 4:23.28.32 etc.), ein Makel innerlich oder äußerlich genügte, um das Opfer unfähig zu machen, die Sünde anderer zu tragen. Weil daher Jesus ohne Sünde war, konnte Er ein Sündopfer für andere sein, weil Er vollkommen war, konnte Er unsere Sünden tragen.

Es ist gut über die Vollkommenheit und doch auch wieder über die Verwerfung des Schlachtopfers bei dem Sündopfer nachzudenken, damit wir lernen, auf welchem Weg allein die Sünde getragen werden konnte, und wie sie getragen und vergeben worden ist. Wäre an Jesus ein Flecken oder Makel irgend welcher Art gewesen, so hätte Sein Opfer die Sünde nicht aufheben und sühnen können. Wäre auch nur ein unheiliger Wunsch in Seinem Herzen aufgestiegen, oder ein Tat, ein Wort, ein Blick, ein Gedanke unvollkommen gewesen, so hätte Er den Fluch für andere nicht tragen können, so hätte Er Selbst der Versöhnung bedurft. Es wurde von Menschen, von Gott und vom Teufel auf die Probe gestellt, doch bewies die Verfluchung nur, dass Er "der Heilige Gottes" war. Dennoch gefiel es Gott, Ihn "zu zerschlagen" (Jes 53:10); obgleich Er "der Heilige" war, wurde Er hinausgestoßen außen vor das Lager. Das einzige fehlerlose Opfer, das die Welt jemals gesehen, wurde nicht nur von Menschen verworfen, sondern auch von Gott verdammt.

Der makellose Jesus nicht ein süßer Geruch! - Der makellose Jesus von Gott verflucht! - Als unrein, nicht nur aus der Stiftshütte, sondern auch "außen vor das Lager" geworfen! - Aber "Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen, die Strafe liegt auf Ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch Seine Wunden sind wir geheilt" (Jes 53:5). Hier können wir das Maß der Liebe Jesu erkennen und unsere Sicherheit, indem wir bereits in Ihm gerichtet sind. In Seiner Liebe sah Er uns in unserem sündigen Verderben. Da sprach Er: "Sieh, Ich komme," und Er kam, un wurde für Sünder verflucht. Als unser Stellvertreter bekannte Er unsere Sünden, nahm das auf Sich, was uns ewiglich unter dem Zorn gehalten hätte, an unserer Stelle, trug Er den Fluch und empfing von der Hand Gottes unsere Verdammnis. Weil Er nun für uns gerichtet worden ist, so ist der Gerechtigkeit Genüge getan. Wir, die wir glauben, sind bereits in Ihm gerichtet worden; denn Christus hat unsere Sünden getragen, "Er hat unsere Sünden selbst geopfert an Seinem Leibe auf dem Holz, auf dass wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben." (1Petr 2:24) "denn was Er gestorben ist, das ist Er der Sünde gestorben einmal, was Er aber lebt, das lebt Er Gott. Also auch ihr, haltet euch dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid, und lebt Gott in Christo Jesu, unserem HErrn (Röm 6:10.11)

Doch gehen wir nun über zu dem zweiten Pupnkt, der das Sündopfer kennzeichnet, und schon beiläufig erwähnt worden ist.

2. Das Opfer außerhalb vom Lager verbrannt

Das Sündopfer wurde außerhalb vom Lager verbrannt (3Mo 4:4.12.21) Die anderen Opfer wurden alle ohne Ausnahme auf dem Altar vor der Stiftshütte verbrannt. Hier heißt es: "Das Fell des Farren mit allem Fleisch samt dem Kopf und den Schenkeln und das Eingeweide usw., soll er alles hinausführen außerhalb des Lagers... und soll es verbrennen auf dem Holz mit Feuer" (3Mo 4:11.12). Die Bedeutung dieser Tatsache haben wir schon mehr als einmal erwähnt. Man sieht, wie völlig das Opfertier mit der Sünde, für die es litt, als eins betrachtet wurde, und zwar in solchem Grad, dass es selbst als Sünde angesehen und als solche vor das Lager hinaus in die Wüste geworfen wurde.

Ein Teil, "das Fett", wurde allerdings auf dem Altar verzehrt, um zu beweisen, dass das Opfer, obgleich die Sünde büßend, doch an und für sich vollkommen war. Der Leib aber des Schlachtopfers, "der ganze Farre", wurde hinausgeworfen als einer, der für Jerusalem untauglich und keines Platzes in der heiligen Stadt Gottes wert war. Was aber dies dem Hochgelobten gekostet haben muss, kann niemals ergründet noch verstanden werden, bis nicht die Heiligkeit Christi und die Sündhaftigkeit der Sünde wenigstens in etwa so erkannt werden, wie Gott sie schaut. Wer möchte die Geheimnisse jener Stunde ausdenken, als dieser Teil des Schattenbildes sich in Jesu erfüllte, als Er hinausgeführt wurde vor das Lager, Sich dem Zorngericht auszusetzen, welches die Sünder verdienten. Seine eigenen Worte: "Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen" (Mt 27:45) helfen uns vielleicht dabei, den Schleier zu lüften.

Als Mensch - und Er war wahrhaftiger Mensch mit allen unseren Empfindungen und Neigungen, ausgenommen die Sünde, - als Mensch empfand er das Nahen des Todes durch qualvolles, schmachvolles, andauerndes Leiden. Das Verbergen des Angesichtes Seines Vaters aber, als Folge der auf Ihm liegenden Sünde, das war Seine Seelenangst. Ohne Zweifel litt Er unter der Versuchung. Er litt unter den Anklagen, unter der Schmach und der Verachtung; ohne Zweifel fühlte Er den Spott Seiner Feinde, die Flucht Seiner Jünger mit allen ihren erschwerenden Umständen. Wie sehr Er das alles empfand, zeigen uns die Psalmen. Es war aber nicht das, was Ihm den Angstschrei: "Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen" auspresste, sondern darin bestand Seine Qual, dass Er, welcher noch nie einen Gedanken hegte, der Seine Gemeinschaft mit dem Vater hätte stören können, eine Zeitlang aus Seiner Gegenwart verbannt sein musste.

Im Garten Gethsemane, als Er dieser Stunde entgegensah, rief Er in dem heißen Verlangen nach ununterbrochener Gemeinschaft mit Seinem Gott unter Herzensangst, die Ihm Blutschweiß auspresste, wiederholt aus: "Ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir." Mit voller Hingabe des eigenen Willens fügte Er sogar hier hinzu: "Doch nicht, wie Ich will, sondern wie Du willst". (Mt 26:39). Ja, im vollen Bewusstsein dessen, was das Verlassensein von Gott bedeutete, tritt Er vor Seinen Vater und sagt: "Nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe" (Lk 22:42). Er hätte dem entgehen können, wenn Er Sich hätte schonen wollen. Er hätte sich weigern können, diesen Leidenskelch zu leeren. Wie wäre dann aber Sein Vater verklärt worden, wie wären wir dann Ihm zur Ehre erlöst worden? Darum litt Er für die Sünder und starb der Gerechte für die Ungerechten. Er nahm unsere Stelle ein, damit wir die Seinige einnehmen könnten; Er wurde ausgestoßen, damit wir auf ewig nahe gebracht werden möchten (Eph 2:13). Teurer, hochgelobter HErr, möchten wir doch durch tiefere Erkenntnis Deiner Liebe Dich inniger lieben lernen!

Welchen Trost findet hier nicht der Trauernde, der unter dem Gefühl der Sünde oder starker Versuchung seufzt. Er weiß, dass Jesus für die Sünde gelitten hat, und daher mit uns fühlen kann und es ohne Zweifel auch tun wird. O. welche Sicherheit ist hierin für uns enthalten: unsere Sünden sind von Einem getragen worden! Sie waren nicht Seine Last! Es ist Unglaube oder Unwissenheit, dass wir die Sündenbürde nur einen Augenblick selber tragen. Der Glaube sieht das Sündopfer außerhalb dem Lager und erkennt, dass Jesus selbst um der Sünde willen für uns gelitten hat.

3. Ein Opfer für die Sünde

Der dritte Punkt zeigt uns den Unterschied des Sündopfers vom Schuldopfer; jenes war ein Opfer für die Sünde, nicht für die einzelnen Vergehungen (3Mo 4:3.21.24.33 im Vergleich zu 3Mo 5:13.19 und 3Mo 6:2.6). Dieser Unterschied ist, wie alles übrige, was Gott aufgezeichnet hat, voll Belehrung und Trost für die unsere Seelen. Der Mangel an Erkenntnis desselben entsteht nur daraus, dass wir so wenig erkennen, was der Mensch ist, und was Gott ist. Bei unserer Kurzsichtigkeit haben wir natürlicherweise mehr das vor Augen, was der Mensch t u t, als das was er i s t; und während wir es gern zugeben, dass er Böses tut, denken wir vielleicht kaum daran, dass er b ö s e ist. Gott aber richtet sowohl das, was wir sind, als das was wir tun; die innewohnende Sünde ebenso wie unsere Vergehungen. Seine Augen erkennen unsere sündige Natur ebenso sehr wie unsere Verschuldungen, welche nur die Frucht dieser Natur sind. Er braucht nicht darauf zu warten, dass Frucht hervorkomme. Er weiß, dass die W u r z e l böse ist, daher werden es die T r i e b e auch sein. Der Unterschied zwischen dem Sünd- und Schuldopfer besteht nun darin, dass ersteres mit der Sünde in unserer Natur, letzeres mit ihren Früchten zu tun hat.

Es bedarf nur einer sorgfältigen Untersuchung der Einzelheiten in den Opfern, um dies klarzumachen. Bei dem Sündopfer wird keine besondere Tatsünde genannt, sondern es steht eine bestimmte Persönlichkeit als anerkannter Sünder da; bei dem Schuldopfer werden bestimmte Taten genannt, während die Person nicht hervortritt. Bei dem Sündopfer sehe ich, dass eine Person, die der Versöhnung bedarf, eine Gabe für sich selbst als Sünder darbringt; bei dem Schuldopfer sehe ich gewisse Taten, die der Versöhnung bedürfen, und es wird das Opfer für diese bestimmten Vergehungen dargebracht. Die Einzelheiten werden uns dies alles sehr deutlich vorführen. Obgleich man bei dem Sündopfer mehr die Person des Menschen als seine Handlungen sieht, muss doch der Beweis dafür erbracht werden, dass er ein Sünder ist. Man beachte indessen, dass solches nicht mittels einer Aufzählung gewisser Vergehen geschieht, sondern einfach durch den Hinweis auf das Gesetz, welches gebrochen ist (3Mo 4:2.13.22.27 etc.) Nun wird freilich die sündige Natur des Menschen immer zuerst an einzelnen Handlungen offenbar, aber dennoch werden bestimmte Übertretungen bei dem Sündopfer nicht genannt; denn der Zweck ist, die S ü n d e und n i c h t die V e r g e h u n g e n zu kennzeichnen. Das Sündopfer ist "ein Opfer f ü r die S ü n d e" und nicht ein Schuldopfer. Bei dem Schuldopfer andererseits ist es gerade umgekehrt. Hier sehen wir besondere Vergehungen und besonderes Ungerechtigkeiten einzeln aufgezählt, und zwar sind es teils Versündigungen gegen Gott, teils gegen den Nächsten.

Das Gesetz offenbart die Sünde

Nun möchte ich beiläufig auf einen Punkt aufmerksam machen, der uns hier beim Sündopfer begegnet, dass nämlich die Sünde durch das Gesetz offenbar wird. Ehe das Gesetz kam, hören wir niemals etwas von Sünd- und Schuldopfern. Wir lesen wohl von Brand- und Speiseopfern, welche von vielen der ersten Erzväter dargebracht wurden, aber es wird uns niemals berichtet, dass sie Sündopfer gebracht hätten; denn wo kein Gesetz ist, da ist auch keine Übertretung2

2 Röm 4:15 Ich bemerke, dass im Buch Hiob (Hi 1:5) das Brandopfer im Hinblick auf Sünde dargebracht wird. Wir sehen "Hiob machte sich des Morgens frühe auf und opferte Brandopfer nach ihrer aller Zahl; denn Hiob gedachte, meine Söhne könnten gesündigt und Gott abgesagt haben in ihrem Herzen." Dies fand statt vor der Gesetzgebung, daher sagt Hiob: "Meine Söhne könnten gesündigt haben." Hätten sie gesündigt, nachdem das Gesetz gegeben war, so wäre ein Sünd- oder Schuldopfer erforderlich gewesen, vor dem Gesetz aber was das Brandopfer alles, was dargebracht werden konnte, und da es die Erfüllung all dessen darstellte, was Gott verlangte, konnte in damaliger Zeit nichts weiteres hinzugefügt werden.

"Durch das Gesetz", sagt der Apostel, "kommt Erkenntnis der Sünde", und abermals, "wo kein Gesetz ist, das achtet man der Sünde nicht" (Röm 3:20 - Röm 5:13). Durch das Gesetz wird der Mensch von seiner Sünde überführt, und das Gesetz machte ein Sündopfer notwendig. "Das Gesetz aber ist neben hineingekommen, auf dass die Sünde mächtiger würde. Wo aber die Sünde mächtig ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger geworden" (Röm 5:20). Das Gesetz kam und bewies, dass der Mensch ein Sünder ist, und dass es unmöglich ist, sein sündiges Fleisch zu bessern. Die Gnade aber hat getan, was das Gesetz nicht tun konnte; die Gnade sandte E i n e n "in der Gestalt des sündigen Fleisches, und um der Sünde willen" (Röm 8:3), um uns zu erlösen. In Wahrheit sollte das durch Mose gegebene Gesetz weder dazu dienen, den Menschen heilig hinzustellen, noch ihn heilig zu machen, sondern es sollte vielmehr beweisen, was Gott seit der Zeit des Sündenfalls gewusst hat, dass wir in uns selber Sünder und nichts als Sünder sind. Doch wie sehr betrügt Satan den Menschen auch hier! Er will, dass wir das Gesetz als ein Heiligungsmittel betrachen sollten, während es doch dazu gegeben ist, uns zur Erkenntnis unserer Sündhaftigkeit zu bringen.

Der Unterschied zwischen Sünd- und Schuldopfer

Doch kehren wir zurück zu dem Unterschied zwischen Sünd- und Schuldopfer. Das eine Opfer war, wie wir gesehen haben, für die Sünde in unserer Natur und das andere für deren Früchte. Ich wollte, dass alle Kinder Gottes dies erkennen würden. Ich bin überzeugt - und das Vorbild beweist es - dass viele das Schuldopfer kennen, welche doch nur sehr unvollkommene Anschauungen von Christus als unserm Sündopfer haben. Ich rede nicht von Unbekehrten, diese können nichts als Vergehungssünden erkennen; dass Sünde in ihnen w o h n e , wird meistens gänzlich von ihnen geleugnet, jedenfalls wird sie nicht als Schuld erkannt und empfunden. Ähnlich ergeht es vielfach dem Neubekehrten. Er hat dies oder jenes Böses g e t a n. Dass er durch und durch böse ist, liegt ihm noch ziemlich fern. Seht aber den an, der schon etwas in der Gnade gewachsen ist. Bei solchen ist es nicht so sehr eine einzelne Tat, die das Gewissen mit Schuld belastet, sondern das beständige Gefühl der innewohnenden Sünde. Immer wieder sucht dieselbe hervorzubrechen, und das kann tief niederdrücken. Der Geist in uns schreit freilich: "Abba, Vater!" und "den Geist in uns gelüstet wider das Fleisch", doch finden wir, dass dies alles anstatt das Fleisch zu bessern, dasselbe nur offenbart und uns zeigt, wie sehr es wider den Geist gelüstet (Gal 5:17). Welche Freude ist es da nicht für diejenigen, die es auf so schmerzliche Weise lernen, w a s sie s i n d, und wissen, dass Christus hierfür starb, wie auch für die einzelnen Vergehungen, und dass die innewohnende Sünde ebenso wie unsere bösen Taten bekannt und mittels Seines Opfers hinweggetan sind. Gerade weil wir solche Sünder sind, hat Er das Sündopfer dargebracht; und deshalb sind die, welche Ihm vertrauen, gerettet.

Ach, wie wenig wird dies erkannt, und wie wenig Frieden ist daher bei den Gläubigen zu finden! Viele glauben, die Arbeit des Heiligen Geistes sei, ihnen ihre Sündhaftigkeit aufzudecken (Joh 16:8), sei eine Entschuldigung für Unglauben und Zweifel. Weil Gott ihnen nach seiner Barmherzigkeit gezeigt hat, was sie sind, nämlich Sünder, so könnten sie doch unmöglich glauben. Solchen sage ich: Werden wir als S ü n d e r durch Christus selig gemacht oder werden wir dadurch selig, dass wir sündlos und heilig sind? Gottes Zeugnis lautet dahin, dass wir als Sünder selig werden, nicht durch das Werk des Heiligen Geistes in uns, sondern durch Christi Werk für uns. Der HErr gebe, dass wir mehr von der Arbeit des Geistes in uns erfahren, dennoch aber ist nicht dieses die Ursache unseres Friedens. Das Vorbild führt hierüber eine deutliche Sprache. Wenn es uns überhaupt etwas lehrt, so zeigt es wenigstens, dass die Erkenntnis der Sünde nicht den Glauben an die Vergebung zu erschüttern braucht, denn der Glaube sieht nicht nur, dass wir gesündigt haben, sondern auch, dass der Heilige Gottes für uns zur Sünde gemacht worden ist. An unserer Vergebung zweifeln, weil wir unsere Sünde erkennen, ist geradezu Mangel an Glauben. Es zeigt, wie gering wir Christi Opfer schätzen, und wie beschränkt unser Vertrauen auf Gottes Liebe und Treue ist.

Darf ich es nun mit der Sünde leicht nehmen? Das sei ferne! Wollen wir wissen, wie abscheulich sie ist, so brauchen wir nur das Sündopfer zu betrachten. Da sehen wir den Heiligen Gottes, Seinen geliebten Sohn, um der Sünde willen hinausgestoßen und zerschlagen. Unsere Sünde ist wahrhaftig gräulich in Gottes Augen, aber sie verringert nicht den Wert des Opfers Christi. Unsere Sünde ist in Wahrheit höchst abscheulich; doch sage ich wiederum, ist nicht das Sündopfer gebracht worden? Ist es das nicht, dann können wir bis in Ewigkeit trauern, denn wir können nimmermehr ein einziges Vergehen auslöschen. Ist es aber gebracht worden, was sind denn alle unsere Zweifel anders als Geringschätzung des unausdenklich großen Opfers Christi!

Welche Vorwände wir auch angeben mögen - sei es Demut oder Furcht vor Hochmut oder die Größe unserer Sündhaftigkeit - Gott verurteilt sie als Unglauben und als ein Infragestellen dessen, was Er in Jesus getan hat. Gott vergisst freilich niemals, dass wir Sünder sind; wenn wir es auch tun, Er kann es niemals. Er vergisst aber ebensowenig das Opfer Christi, und dass die Sünden der Gemeinde mittels dieses Opfers ausgetilgt sind. Das Blut des Sündopfers, welches am großen Versöhnungstag durch den Hohepriester hinter den Vorhang gebracht wurde, bleibt dort ewiglich vor den Augen Gottes, wo niemand hinzutreten kann, um es zu entfernen. Selbst dann, wenn wir es aus den Augen verlieren sollten, bleibt es doch vor Ihm als Zeugnis, dass die Sünde gerichtet worden ist, und dass der Weg ins Allerheiligste für Sünder offensteht.

"Er hat vollbracht die Reinigung unserer Sünden durch Sich Selbst" (Hebr 1:3). Ja, Er ist nicht eher wieder in die Herrlichkeit zurückgekehrt, bis Er die Sünden getilgt hatte. Welche Gewissheit des Heiles ist hier für diejenigen zu finden, welche Jesus vertrauen! Es ist nicht ein zukünftiges Werk, nicht ein verheißenes, nicht ein solches, welches erst noch vollendet werden soll, sondern ein vollbrachtes Werk, welches die Grundlage unserer Sicherheit bildet. "Er trug unsere Sünden", so sagt Gott, und nachdem Er sie getragen, wurde "Er auferweckt" (Röm 4:25). Dass Er auferweckt wurde und wir in Ihm, ist der Beweis dafür, dass wir gerechtfertigt sind. Ist die Sünde nicht getragen, wie soll sie denn getragen werden? Soll Christus noch einmal sterben, soll Er noch einmal ein Sündopfer werden? "Christus ist e i n m a l geopfert, wegzunehmen vieler Sünden" (Hebr 9:28), und "wir haben forthin kein anderes Opfer mehr für die Sünden" (Hebr 10:18.26).

Hat Er darum unsere Sünden nicht getragen, so kann Er sie nimmermehr tragen. Hat Er sie aber getragen, warum haben wir nicht Frieden? Denken wir, das Sündopfer auf Golgata habe nicht genug getan für alle Sünden und jegliche Vergehung, so kann dasjenige, was übrig geblieben, sei es klein oder groß, nimmermehr gesühnt, nimmermehr vergeben werden. Aber Jesus hat für Sein Volk nicht etliche, sondern alle Sünden getragen, - "durch Ihn sind alle, die glauben, von allem gerechtfertigt" (Apg 13:39). "Er hat uns geschenkt a l l e Sünden" (Kol 2:13). Das Kreuz hat alles ausgetilgt. Der HErr offenbare diese Wahrheiten Seinen Auserwählten völliger, damit ihre Freude nicht Ja und Nein, sondern Ja und Amen sei.

Dies ist die Eigenart des Sündopfers, wie sie aus den Einzelheiten, in welchen es im Gegensatz zu den anderen Opfern steht. Wir fahren jetzt fort zu betrachten:

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