Sondern erlöse uns von dem Übel

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Abschrift des Heftes: "Das Vaterunser“
von Friedrich Malessa, Samplatten (Ostpr.)

Philadelphia Buchhandlung August Fuhr, Reutlingen, 2. Aufl. 1952

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Inhaltsverzeichnis

Das „Vaterunser" in erbaulicher und prophetischer Deutung

8. Sondern erlöse uns von dem Übel

A. In erbaulicher Deutung

Erlösen kann nur Gott. Erlösen will Gott. Aber er drängt die Erlösung niemand auf. Freie Gabe soll sie werden. Sie ist frei und macht frei. Um sie sollen wir bitten, d. h. sie sollen wir wollen.

Erlösung ist dasjenige, was die Menschheit bewusst oder unbewusst sucht und dringend bedarf. Erlösung ist aber auch dasjenige, das der Teufel zu verhindern sucht. Erlösung steht darum im Mittelpunkt bei allem Für und Wider, und bleibt auch das Zielgeschehen, solange ein Übel die erlösungsbedürftige Menschheit plagt. „Welcher uns von solchem Tode erlöst hat und noch täglich erlöst; und hoffen auf ihn, er werde uns auch hinfort erlösen“ (2Kor 1:10). „An welchem wir haben die Erlösung durch das Blut, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade. Welcher ist das Pfand unseres Erbes zu unserer Erlösung, dass wir sein Eigentum würden zu Lob seiner Herrlichkeit“ (Eph 1:7.14).

Die letzte Bitte behandelt darum das Ziel- und Abschlussgeschehen. Wo die Drei der Gottheit mit der Vier der Menschheit sich vereinigen, wo Gott in Christus mit der sündigen Menschheit sich findet, da ersteht volle Erlösung. Nicht eine Teilerlösung, sondern eine Erlösung von allem Übel.

Dieses letzte Erlösungsthema hat seinen Schwerpunkt in den Worten: „... von dem Übel.“ Auch die beiden vorhergehenden Bitten haben die Erlösung behandelt. Denn Freiheit von der Schuld und Führung durch alle Versuchung sind doch nichts anderes als Erlösungsgeschehnisse. Und doch gewinnt die Erlösungswahrheit in der siebenten Bitte eine besondere Bedeutung, weil es sich um das Abschlussgeschehen, um die Lösung von allem Übel, aber wie es auch heißen kann, von dem „Bösen“ (Teufel) handelt.

Ursprung aller Übel

Es ist uns wohl bewusst, dass alle Schuld ihren Ursprung im Teufel hat; ebenso auch alle Versuchung. Jedoch ist die Schuld- und Versuchungsverästelung so groß und so umfangreich, dass der Urheber dahinter sich verstecken, und unseren Blicken entziehen kann. Schuld und Versuchung offenbart sich in tausend Verwicklungen und Verstrickungen persönlicher, gemeinschaftlicher und sachlicher Art, so dass wir bei der Fülle der Übeltaten den Übeltäter übersehen. Der Feind ist hinter seinen „Vortrupps und Stoßtrupps“ so verschanzt und so verborgen, dass er nur zu leicht sich ungesehen halten kann. Es kann sich dann ergeben, dass man die Erlösung von allen Verschuldungen erstrebt, und von allen nur denkbaren Versuchungseinflüssen befreit werden will, dabei aber den Urheber übersieht. Das mag denn eine Erlösung sein von vielen Bosheiten, aber nicht von dem „Bösen“. Und solange die Wurzel aller Verschuldung und Versuchung in der „Verborgenheit“ unberührt bleibt, nützt das Abschneiden der tausendfältigen Sprösslinge wenig. Die Wurzel behält die Triebkräfte. Neue Triebe sind dann unausbleiblich. So setzt die siebente Bitte an die Wurzel allen Übels an und will zum Vollmaß der Erlösung führen.

Erlösung vom Bösen

Unsere Erlösung muss nicht nur vom sachlich Bösen, sondern auch vom personifiziert Bösen erfolgen. Das Persönliche ist immer einflussreicher als das Sachliche. Der Teufel ist immer gefährlicher als das Teuflische. Seine Person ist gehaltvoller als seine Sache. Das Persönliche bleibt Geist; die Sache wird Materie. Der Geist bleibt im Einfluss über Zeit und Raum beständig; Materie verliert den Wert. Welchen sündigen Einfluss kann z.B. heute der Steinhaufen des Babelturms ausüben? Aber der persönliche Beweggrund von damals bleibt bestehen: „Wir wollen uns einen Namen machen.“ Darum ist die Erlösung von dem „Bösen“ so wichtig.

Zur Erlösung vom Bösen können wir nichts hinzutun. Denn der Böse besteht nicht nur in uns, sondern auch außer uns. Wenn schon die Überwindung des Bösen in uns vielleicht mit der Beihilfe unseres Vermögens, z. B. unseres Willensvermögens geschehen kann, so können wir an der Überwindung des Bösen außer uns gar nichts tun. Und doch ist uns der Böse außer uns zur ständigen Gefahr. Soll unsere Erlösung ganz sein, dann muss der Böse außer uns überwunden werden; ohne unser Hinzutun, allein durch Gott. So werden wir mit unserem Erlösungsanliegen allein vor Gott gestellt.

Vor ihm stehen wir und dürfen von seinem Standpunkt schauen, wie er mit dem „alt bösen Feind“ fertig wird. Zuerst hat er ihm durch die Auferstehung seines Sohnes die Todes-Macht genommen. „Die Kraft seiner Auferstehung“ (Phil 3:10) ist der Faktor, durch den der Todes-Fürst endgültig überwunden wird. Der Sieg des Lebens ist dem Lebensfürsten gewiss, weil er nicht nur auferstanden, sondern die Auferstehung ist (Joh 11:25)! Im Todesbollwerk ist eine Bresche geschlagen worden, durch die der Erstling aus den Toten hindurchgegangen ist. Mit ihm werden alle „Erstlinge“ als Beute durch die Bresche geführt. „Darum will ich ihm große Menge an Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben, darum dass er sein Leben in den Tod gegeben hat, und den Übeltätern gleich gerechnet ist, und er vieler Sünde getragenhat, und für die Übeltäter gebeten. - Dass du sollst öffnen die Augen der Blinden, und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen, und die da sitzen in der Finsternis aus dem Kerker“ (Jes 53:12; Jes 42:7).

Die „Erstlinge" stehen auf derselben Stufe. „So sie samt ihm gepflanzt werden zu gleichem Tode, so werden sie auch seiner Auferstehung gleich sein (Röm 6:5). Sie haben nicht nur die Gabe der Überwindung, sondern auch die Aufgabe der Überwinder. Der Vater hat in ihnen gewirkt Wiedergeburt, neues Leben, Kindschaftsleben, Sohnesleben. Sohnesleben führt in die volle Verpflichtung. „Der sich selbst für uns gegeben hat, auf dass er uns erlösete von aller Ungerechtigkeit, und reinigte ihm selbst ein Volk zum Eigentum, das fleißig wäre zu guten Werken“ (Tit 2:14). Mit Christus stehen die Christen in dem großen Überwinderdienst und üben eine Herrschaft aus nicht nur über das Böse, sondern auch über den Bösen. „Wisset ihr nicht, dass wir über die Engel richten werden?“ (1Kor 6:3).

So führt uns die letzte Bitte nicht nur in die Vollmaßerlösung des Christus, sondern auch in den vollen Dienst der Erlösung. Volle Erlösung soll durchgeführt werden durch Christus und die Seinen. Indem wir beten: „Erlöse uns von dem Bösen“, stellen wir uns gleichzeitig in den Dienst der Erlösung und lassen die Erlösung vom Bösen durch uns geschehen. Die letzte Bitte legt dem Beter eine sehr große Verpflichtung auf. Hast du sie begriffen?

B. In prophetischer Deutung

"Der Übel Größtes aber ist die Schuld.“ Das ist wahr, denn die Schuld ist die Ursache allen „Übels“. Das Übel ist immer die Folge der Verschuldung.

Die Ursache liegt immer keimhaft, wurzelhaft, im Verborgenen. Und ins Verborgene schauen ist sehr schwer. Darum ist die Schuld, die im Verborgenen liegt, schwer erkennbar.

Was uns sichtbar und erkennbar wird, ist das Übel. Das ist der „Auswuchs“, die Frucht der Schuld. „Was hattet ihr nun zu der Zeit für Frucht? Welcher ihr euch jetzt schämet; denn das Ende derselben ist der Tod“ (Röm 6:21). „Danach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod“ (Jak 1:15).

Die Vollfrucht der Schuld ist der Tod. Seit der Schulderstehung ist der „Tod zu allen Menschen durchgedrungen“ (Röm 5:12). Tatsache ist, dass die Schuld weit vor den Menschen bestand. Der Tod ist darum schon da durchgedrungen, und zwar zu aller Kreatur. Was bekundet 1Mo 1:21? die Durchdringung des Todeswesens.

Der Tod ist in seinem Wesen so kategorisch, dass er als Person, ja sogar als Herrscherperson angesehen wird (Röm 5:14). Obgleich er nur Zustand ist, ist er doch durch den Schuldträger, den Teufel, so personifiziert, dass er als Person empfunden wird. Tod und Teufel haben solche Gemeinsamkeit, dass sie beide mit gleichem Namen benannt werden können.

Was ist Tod?

Tod ist darum nicht Existenzlosigkeit, oder wie manche meinen, ein „Auslöschen“. Tod ist Leben, aber ein Leben ohne Gott! „Denn dieser mein Sohn war tot, und ist wieder lebendig worden“ (Lk 15:24). Gotttloses Leben ist Todes-Leben. Beispiel: Flusswasser zeigt auch Leben, jedoch nur, so lange es a b w ä r t s fließen kann. Quellwasser dagegen ist „lebendiges Wasser“ weil es a u f w ä r t s fließt!

Wie schon gesagt, beherrschte dieses „Übel“ den ganzen Kosmos schon vor den Menschen. Wie ein brutaler Tyrann quälte der Tod diese Welt. Da begann nach dem unerforschlichen Liebesbeschluss Gottes die Erlösung von dem Übel. Wann denn? Bei der Grundlegung „dieser“ Welt. Die ersten Verse der Bibel sprechen davon und bezeugen das Abringen des Lebendigen aus der Todesherrschaft.* Mit der Erschaffung des Menschen, der zum „Fürsten des Lebens“ werden sollte, bestand die göttliche Absicht, die Macht des Todes zu brechen. Leider wurde der Mensch nicht der Brecher aller Todesbande, sondern er wurde gebrochen von dem Todesherrscher. Der Lebens-Mensch hat im Dienste der Lebens-Herrschaft versagt und musste die entsetzliche Folge auf sich nehmen: „Des Todes sterben“ (1Mo 2:17). Seit jener Stunde ist der Ruf: „Sondern erlöse uns von dem Übel“, noch dringender geworden.

*In meiner schon erwähnten Schrift: „Jesus Christus im Alten Testament“, sind diese Geschehnisse näher beleuchtet.’'

Schließlich kam der Retter voll Licht und voll Leben, und hat das vom ersten Lebensbringer (Adam = rot, blutfarbig, Opferlamm) noch mehr entstellte Gotteswerk auf Golgatha „vollbracht“! Da hat er dem Tod die Macht genommen (2Tim 1:10). Da ist des Todes Herrschaft zerbrochen. Da ist die Möglichkeit erstanden, „aus dem Tode in das Leben zu kommen“ (1Joh 3:14). „Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben“ (1Jo 5:12). Noch ist aber die Macht des Todes nicht beseitigt, sondern nur gebrochen. Die gebrochene Todesmacht genügt, eine unsagbare Herrschaft auszuüben. Die Bitte besteht zu Recht: „Erlöse uns von dem Übel“.

Wie geht Erlösung vor sich?

Indem durch den „Lebensfürsten“ die Gefangenen aus dem Gefängnis einzeln befreit werden durch die Wiedergeburt. Tod ist nur durch „neues Leben“ überwindbar. Die „Länge“ dieses Erlösungsgeschehens bleibt dem Lebensfürsten vorbehalten (Jes 53:8). Ausschlaggebend bleibt sein Vorhaben: „Es sollen wohl Berge weichen, und Hügel fallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer“ (Jes 54:10).

Diese von dem großen „Übel“ erlösten Menschen haben nicht nur das Vorrecht, erlöst zu sein, sondern ein jeglicher von ihnen wird in Jesus Christus dargestellt vollkommen (Kol 1:280), damit sie gemeinsam als sein „Leib“ alles in allen und allem vollführen (Eph 1:22.23). Mit dem Empfang des Lebens sind sie beauftragt worden, Lebensdarsteller zu werden (2Kor 4:14; Kol 1:22), mit der Bestimmung, dem Todesherrscher Beute zu entreißen. „Haupt und Leib“ sind zu gleichem Lebens-Dienst (Erlösungsdienst) vereinigt.

Das Ziel dieses Erlösungsgeschehens ist einwandfrei angegeben mit den Worten: „Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod“ (1Kor 15:26). Das Ergebnis dieses Zielgeschehens besagt Kol 1:19.20: „Denn es ist das Wohlgefallen gewesen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte, und alles durch ihn versöhnet würde zu ihm selbst, es sei auf Erden oder im Himmel, damit, dass er Frieden machte durch das Blut an seinem Kreuz durch sich selbst.“

Die Bestimmung über Erlösungsfähigkeit und Unfähigkeit hat er sich vorbehalten und steht uns keineswegs zu. Es ist darum sinnlos, über das uns nicht Zustehende zu diskutieren. Fest steht jedenfalls, dass wir im Erlösungsdienst stehen und gegenwärtig die Erlösung ausnahmslos jedermann antragen sollen. Wir würden uns heute eines schweren Vergehens schuldig machen, wenn wir die Erlösungsbedürftigen in Erlösungsfähige oder -unfähige gruppieren wollten.

Wenn aber der letzte Feind, der Tod, aufgehoben sein wird, dann wird auch die Erlösung von allem Übel Wirklichkeit sein. Mit dem Übel wird beseitigt sein auch der „Böse“, weil er mit ihm identisch ist. Dann hat auch die dritte Bitte, der die siebente unterstellt ist, volle Berechtigung: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.“

Es werden die wahren Beter auch die siebente Bitte ihrem Vater im Himmel mit gleichem Ernst vortragen, bis er sie erfüllt hat, und mit seinem Vaterwesen alles in allem sein wird.

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