Die Gemeinde in ihrer Wesenhaftigkeit

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Abschrift des Heftes: Die Gemeinde Jesu Christi
in ihrer Bedeutung für Himmel, Erde, Zeit, Ewigkeit
Friedrich Malessa, Samplatten (Ostpr.)

Paulus Verlag Stuttgart

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Inhaltsverzeichnis

Die Gemeinde Jesu Christi

in ihrer Bedeutung für Himmel, Erde, Zeit, Ewigkeit

4. Die Gemeinde in ihrer Wesenhaftigkeit

Wir haben bereits festgestellt: Die Gemeinde ist die Vervollständigung des Christus. Damit haben wir den tiefsten Grund ihrer Wesenhaftigkeit angedeutet. Sie ist nicht nur eine Sondergruppe von Menschen, die in der Zeit und der Ewigkeit eine aparte Bedeutung hat, sondern sie gehört in besonderer Weise dem Christus, ja man kann sagen: sie ist der Christus! Diese Überzeugung hat Paulus ganz, wenn er sagt: „Die Gemeinde ist sein Leib.“

Die Gemeinde hat darum Christuswesen! Paulus sieht die Gemeinde mit Christus in einer Beziehung, wie sie nur zwischen Leib und Haupt besteht. Die Gemeinde hat Persönlichkeitswesen des Christus!

Diese Tatsache zeigt uns die Linie, auf der wir die herrliche Wesenhaftigkeit der Gemeinde, wenn auch nur teilweise, erkennen können. Zu ermessen ist das Wesen der Gemeinde nur an ihrem Christus. Christus ragt mit seinem Schöpfer- und Erlöserwesen hinein, sowohl ins Himmlische, wie auch ins Irdische. Aller Himmel Himmel können ihn nicht fassen, und alle Höllenschlünde können ihn nicht halten. Es ist nichts höher als Christus, es ist aber auch nichts tiefer als Christus. Sein Wesen besteht in allen Höhen und in allen Tiefen. Seine Tiefe entspricht seiner Höhe, und seine Höhe seiner Tiefe. Er ist der Christus des göttlichen Alls!

Auf der Linie des Christus sehen wir die Gemeinde und stellen zuerst nach der himmlischen Seite hin drei Wesenszüge fest: Kindschaft, Sohnschaft, Erstlingsschaft.

Kindschaftsstand

Die Gemeinde steht im Kindschaftsstand! „Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater“ (Röm 8:15). „Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreiet: Abba, lieber Vater! Also ist nun hier kein Knecht mehr, sondern eitel Kinder; sind’s aber Kinder, so sind’s auch Erben Gottes durch Christus“ (Gal 4:6.7)

Israel hat einen bevorrechtigten Stand. Es ist immer das Volk der Wahl. Und doch bleibt es im Knechtsverhältnis. Selbst Moses steht in diesem Verhältnis: „Und Mose war treu in seinem ganzen Hause als ein Knecht, zum Zeugnis des, das gesagt sollte werden; Christus aber als ein Sohn über sein Haus; des Haus sind wir ...“ (Hebr 3:5.6). Gewiss hat auch ein treuer Knecht im Hause große Vorrechte. Er darf Verwalter aller Güter seines Herrn sein. Ein Kind ist aber unvergleichlich mehr! Es ist nicht nur Verwalter der Güter Gottes, sondern Erbe! „So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen und Hausgenossen“ (Eph 2:19). Der Gemeindemensch ruft nicht mehr: „Mein Herr und mein Gott“, sondern „Mein Vater“. (In meiner Schrift „Das Vaterunser“, siehe hier: ist diese herrliche Wahrheit näher beleuchtet.) Man denke über diesen wesentlichen Unterschied nach!

Söhne Gottes

Söhne Gottes sind die Glieder der Gemeinde. „Darum gehet aus von ihnen und sondert euch ab, spricht der Herr, und rühret kein Unreines an, so will ich euch annehmen und euer Vater sein, und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein, spricht der allmächtige Herr“ (2Kor 6:17.18) „Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben, und solches Leben ist in seinem Sohn“ (1Jo 5:11).

Der Sohn ist immer da, wo auch der Vater ist. Und so wie der Sohn Gottes vor dem Vater steht und nur das tut, was der Vater will, so auch die „Söhne Gottes“* Sohnschaft ist die notwendige Folge der Kindschaft und zeigt den Reifegrad, der sich in der Dienstbereitschaft folgerichtig offenbart!

*Das ist wohl der Unterschied zwischen Kind und Sohn: Das Kind übernimmt die Rechte des Vaters, und der Sohn übernimmt die Pflichten des Vaters. Die beiden Benennungen kennzeichnen den Rechts- und Pflichtenstand. In diesem Verhältnis steht die Gemeinde in Christus vor dem himmlischen Vater.

Erstlinge

Auch Erstlinge sind Gemeindeglieder. „Er hat uns gezeuget nach seinem Willen, durch das Wort der Wahrheit, auf dass wir wären Erstlinge aller Kreaturen“ (Jak 1:18). „Ihr seid gekommen zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel angeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten!“ (Hebr 12:23).

Was die Erstlingsschaft vor Gott bedeutet, kann an der natürlichen Erstlingsfrucht in etwas erkannt werden. Die erste Frucht ist immer die Vollfrucht, die vollausgereifte Frucht, die Wertfrucht! So sind auch die Erstlinge die Vollfrucht, die Vollreifefrucht, die Wertfrucht! Die Erstlinge sind immer mit dem Erstling Christus in Beziehung zu bringen (1Kor 15:23). Das ist eine Würde, die wahrlich nur an Christus begriffen werden kann.

Von hier aus wird das Wesen der Gemeinde auch nach der irdischen Seite leicht erkennbar. So erhaben die Gemeinde nach der himmlischen Seite ist, so erhaben auch nach der irdischen. Wiederum sind es drei Züge, die das Wesen der Gemeinde nach der irdischen Seite kennzeichnen: Bruderschaft, Liebesgemeinschaft, Leidensgemeinschaft.

Wenn die Gemeindeglieder vor dem himmlischen Vater Kinder sind, was wohl untereinander? B r ü d e r ! Auch Jesus nennt sich ihr Bruder: „Wer den Willen tut meines Vater im Himmel, derselbe ist mein Bruder“ (Mt 12:50; Röm 8:29; Hebr 2:11). Aus Kindschaft ersteht naturnotwendig Bruderschaft. Es gibt keine Gotteskindschaft ohne Bruderschaft und keine Bruderschaft ohne Gotteskindschaft.

Die Brudergemeinschaft

Die Bruderschaft sieht gemeinde- und wesensmäßig so aus: „Denn gleich wie ein Leib ist, und hat doch viele Glieder, alle Glieder aber eines Leibes, wiewohl ihrer doch viele sind, sind sie doch ein Leib: also auch Christus. Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leibe getauft, wir seien Juden oder Griechen, Knechte und Freie, und sind alle zu einem Geist getränket. Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. So aber der Fuß spräche: ich bin keine Hand, darum bin ich des Leibes Glied nicht; sollte er um deswillen nicht des Leibes Glied sein? ... Aber Gott hat den Leib so vermenget und dem dürftigen Glied am meisten Ehre gegeben ... Ihr seid aber der Leib Christi und Glieder, ein jeglicher nach seinem Teil“ (1Kor 12:12-27)* „Lasset uns aber rechtschaffen sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken an dem, der das Haupt ist, Christus. Von welchem aus der ganze Leib zusammengefügt ist, und ein Glied am anderen hanget durch alle Gelenke, dadurch eins dem anderen Handreichung tut, nach dem Werk eines jeglichen Gliedes in seinem Maße, und machet, dass der Leib wächst zu seiner selbst Besserung; und das alles in der Liebe“ (Eph 4:15.16)** Die Bruderschaft besteht nicht im Namen und in der Meinung, sondern im Wesen! Nicht im Schein liegt sie begründet, sondern im Sein!

* Dieses Wort erklärt nur zu deutlich die Einheit und auch die Mannigfaltigkeit der Gemeinde. Nicht in den konfessionellen, dogmatischen und organisatorischen Unterscheidungen besteht die Mannigfaltigkeit, sondern in der organischen und lebensmäßigen Ergänzung!
** Hier sind die praktischen Gemeindefragen: Erziehung, Ermahnung, Zucht, Austritt, Ausschluss u. a. m. alle beantwortet. Wer sich vom Leibe Christi löst, der ist gelöst. Nur Leben hat und bewirkt organische Verbundenheit. Leben hat zwangsläufige Einheit. Wo Einheit fehlt, da ermangelt das Leben.

Bruderschaft ist gleichzeitig Liebesgemeinschaft. Liebe ist die Grundlage alles göttlichen Seins. Paulus stellt die Liebe in den Vordergrund. „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“ (1Kor 13:13). Warum ist die Liebe Gottes so hoch über alles? Weil sie nichts Menschliches ist, weder Zuneigung, noch Sympathie, noch Erotik, auch nicht einmal das, was zwischen Mutter und Kind besteht. Liebe Gottes ist Gabe Gottes, und zwar geheimnisvolle und elementare Kraftübertragung! „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist“ (Röm 5:5).

Genau wie Glaube und Hoffnung nur dann lebendig und recht sind, wenn sie von Gott gewirkt sind, so auch die Liebe. Die Liebe ist die größte unter ihnen, weil sie ins Sichtbare und Zeitliche am deutlichsten hineinragt.

Glaube ist das Erfassen des Unsichtbaren, Hoffnung ist das Erfassen des Zukünftigen. Liebe macht den Glauben wahr und die Hoffnung lebendig!

Der Glaube muss in der Liebe tätig sein. Die Hoffnung muss am Liebesgeschehen von Golgatha sich entzünden. Die Liebe ist im Zentrum und ist der Grund alles Geschehens. Liebesgemeinschaft in der Gemeinde ist darum höchste Notwendigkeit!

Liebesgemeinschaft

Liebesgemeinschaft ist mehr als Brudergemeinschaft. Brudergemeinschaft ist lebensmäßige Verbundenheit. Liebesgemeinschaft ist das Offenbarwerden der lebensmäßigen Verbundenheit. Liebe ist immer Tat!

Gemeinde ist nur da, wo der Wesenszug der Liebe nach der irdischen Seite offenbar wird. Liebe nach der himmlischen Seite ist abhängig von der Liebe nach der irdischen Seite. „So jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasset seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebet, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?“ (1Jo 4:20).

Liebe schafft Einheit! Gemeinde Jesu Christi kennt darum keine Unterschiede und keine Grenzen. „Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal Einer in Christo“ (Gal 3:28). Gemeinde Jesu Christi kennt darum auch keine Vereine. Vereine sind Grenzen, die die Gemeinde zerstückeln. Vereine sind Menschenwerk. Gemeinde ist Gotteswerk, denn sie ist eine Einheit.*

* Falsch ist jede Arbeit in der Gemeinde, sofern sie nicht im Interesse der Gemeinde, sondern einer Gemeindegruppe geschieht. Gemeinde Jesu Christi duldet keine Sonderinteressen. Alles Bestehende in der Gemeinde, das sich selbst, und nicht die Auferbauung der Gemeinde sucht, hat in ihr keine Existenzberechtigung und ist ein Krebsschaden.

Leidensgemeinschaft

Liebesgemeinschaft führt notwendigerweise zur Leidensgemeinschaft. Liebe offenbart sich im Opfer. Opfer ist aber Erleiden. Jede Liebesgemeinschaft muss darum auch Leidensgemeinschaft werden. „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“ (Mt 5:4).

Als der himmlische Vater aus Liebe zur verlorenen Welt seinen Sohn gab, musste er leiden. Und als der Sohn aus Liebe zu den verlorenen Menschen sein Leben hingab, musste er leiden. „Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, dass wir durch ihn leben sollen“ (1Jo 4:9).

Soll die Gemeinde gleichwie ihr Christus im Erlösungsdienst stehen, dann muss sie Anteil haben an seinen Leiden. Wie bei Christus führt der Weg der Christen über Golgatha. Paulus hat diese hohe Tatsache klar erkannt, wenn er sagt: „Zu erkennen ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, dass ich seinem Tode ähnlich werde“ (Phil 3:10).

Leidensgemeinschaft im erlösungsmäßigen Sinne ist dasjenige, was die Welt zu ihrer Erneuerung bedarf. Nie kann der im Tode stehenden Welt geholfen werden, wenn nicht Leben restlos eingesetzt wird. Tod kann nur durch „Vollleben“, d. h. durch ein Ganzopferleben überwunden werden. Das Erlöserleiden des Christus muss gleichfalls in seiner Gemeinde vorhanden sein.

So ist die Gemeinde in ihrer Wesenhaftigkeit: Im Himmel erreicht sie beim Vater das Allerhöchste, denn sie ist mit Christus das Kind, der Sohn und der Erstling. Auf Erden überwindet sie alles, denn sie steht in der Brudergemeinschaft, Liebesgemeinschaft und Leidensgemeinschaft. Die Gemeinde hat nach der himmlischen Seite das größte Vorrecht, denn sie besitzt den Vater! Nach der irdischen Seite hat sie die höchste Pflicht, denn sie erringt durch Christus den Sieg über Sünde, Tod und Welt. Die Gemeinde hat im Himmel eine unaussprechliche Würde und auf Erden eine heilige Bürde. Nach oben hin empfängt sie lauter Gaben, nach unten hin übernimmt sie lauter Aufgaben. Beides im Vollmaß und in der innigsten Wechselwirkung ergibt das glorreiche Wesen der Gemeinde Jesu Christi. Kennst du das Gemeindewesen? Erlebst du es in deiner Umgebung und lebst du es aus? Bringst du mit deinen Mitbrüdern in dieser Weise die Gemeinde Jesu zur Darstellung? „In die Kraft, nicht in den Schein, dringe ein.“

Lies weiter:
5. Die Gemeinde in ihrer zeitlichen Bedeutung