Die vier großen Tiere, Dan 7

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Aus dem Zweimonatsheft für gläubige Schriftforscher:
"Das prophetische Wort"
Begründet von Professor E. F. Ströter

Herausgegeben von Heinrich Schaedel
Maranatha-Verlag, Klosterlausnitz i. Thür.
XIX. Jahrgang 1925

siehe weitere Abschriften

Die Visionen im Buche Daniel:

Von Heinrich Schaedel

1. Das Monarchienbild, Dan 2
2. Die vier großen Tiere, Dan 7
3. Der Widder und der Ziegenbock, Dan 8
4. Die siebzig Jahrwochen, Dan 9
5. Der große Krieg, Dan 10-12


2. Die vier großen Tiere, Dan 7

Nach der ersten Vision von dem Monarchienbild, die dem Nebukadnezar gegeben wurde, folgen im Buche Daniel interessante geschichtliche Angaben, aus denen auch für die Gegenwart manches zu beachten wäre. Vor allem ist es da wichtig zu sehen, wie der Mann Gottes, Daniel, seinem Glauben treu geblieben ist, und die gefährliche Hofluft seinem Charakter nichts geschadet hat. Gerade durch sein mannhaftes Bekenntnis ist er trotz aller Gefahren und Krisen immer wieder anerkannt worden und zu Ehren gekommen. Ebenso seine jungen Freunde. In unserer Betrachtung wollen wir aber diesen geschichtlichen Teil überspringen und wenden uns gleich zu der nächsten Vision, die wir im 7. Kapitel finden. Seit jener ersten Vision sind 62 Jahre vergangen. Daniel ist ein alter und erfahrener Mann geworden. Er kam zu den höchsten Ämtern im babylonischen Reich. Trotz aller böswilligen Verleumdungen und Verdächtigungen hat er sich treu als Prophet und Mann Gottes bewährt und niemand konnte ihm die Achtung versagen. Unter allen Verhältnissen hat er sich stets die Gebetsfenster zu seinem Gott offen gehalten, und seine Lebensgeschichte ist von seiner Jugend an bis in sein hohes Alter ohne Bruch verlaufen. Sein Leben ist vorbildlich für alle Zeiten.

Daniel hat Nebukadnezar und zwei seiner Nachfolger ins Grab sinken sehen. Nun sitzt der frivole Belsazar, wahrscheinlich ein Tochtersohn des Nebukadnezar, auf dem Thron, der nach Kapitel 5 von Gott zu leicht erfunden wurde. Im ersten Regierungsjahr dieses Königs wurde Daniel die wunderbare Vision von den vier Tieren gegeben. Daniel hatte ohne Zweifel als frommer Mann viel mit Gott im Gebet geredet, als er das gottlose Leben und Treiben dieses jungen Königs sah. Er lebte in den Verheißungen Gottes und wusste, was der Herr gesagt hatte von der Zukunft Israels. Er liebte auch sein Volk, das hier in der babylonischen Gefangenschaft schmachtete, und seine Harfen traurig an die Weiden hing und weinte, wenn es Zion gedachte. Gott der Herr lässt seinen Knecht Daniel in einer Vision Aufschluss geben über die Entwicklung der Völkerwelt.

Die Vision Daniels

Daniel hat seine Vision aufgeschrieben:

  • Dan 7:2-15: “Ich, Daniel, sah ein Gesicht in der Nacht, und siehe, die vier Winde unter dem Himmel stürmten widereinander auf dem großen Meer. Und vier große Tiere stiegen herauf aus dem Meer, ein jedes anders denn das andere. Das erste wie ein Löwe und hatte Flügel wie ein Adler. Ich sah zu, bis dass ihm die Flügel ausgerauft wurden; und es ward von der Erde aufgehoben, und es stand auf zwei Füßen wie ein Mensch, und ihm ward ein menschlich Herz gegeben. Und siehe, das andere Tier hernach war gleich einem Bären und stand auf der einen Seite, und hatte in seinem Maul unter seinen Zähnen drei große, lange Zähne (Rippen). Und man sprach zu ihm: Steh auf und friss viel Fleisch! Nach diesem sah ich, und siehe, ein anderes Tier, gleich einem Parder, das hatte vier Flügel wie ein Vogel auf seinem Rücken; und das Tier hatte vier Köpfe, und ihm ward Gewalt gegeben. Nach diesem sah ich in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, das vierte Tier war gräulich und schrecklich, und sehr stark und hatte große eiserne Zähne, frass um sich und zermalmte, und das übrige zertrat’s mit seinen Füßen; es war auch viel anders denn die vorigen und hatte zehn Hörner. Da ich aber die Hörner schaute, siehe, da brach hervor zwischen ihnen ein anderes kleines Horn, von welchem der vorigen Hörner drei ausgerissen wurden; und siehe, dasselbe Horn hatte Augen wie Menschenaugen und ein Maul, das redete große Dinge. Solches sah ich, bis dass Stühle gesetzt wurden; und der Alte setzte sich, des Kleid war schneeweiß und das Haar auf seinem Haupt wie reine Wolle; sein Stuhl war eitel Feuerflammen, und dessen Räder brannten mit Feuer. Und von ihm ging aus ein langer feuriger Strahl. Tausendmal tausend dienten ihm. Das Gericht ward gehalten, und die Bücher wurden aufgetan. Ich sah zu um der großen Reden willen, so das Horn redete; ich sah zu, bis das Tier getötet ward und sein Leib umkam und ins Feuer geworfen wurde und der andern Tiere Gewalt auch aus war; denn es war ihnen Zeit und Stunde bestimmt, wie lange ein jegliches währen sollte. Ich sah in diesem Gesichte des Nachts, und siehe, es kam einer in des Himmels Wolken wie eines Menschen Sohn bis zu dem Alten, und ward vor ihn gebracht. Der gab ihm Gewalt, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker, Leute und Zungen dienen sollten. Seine Gewalt ist ewig, die nicht vergeht, und sein Königreich hat kein Ende. Ich, Daniel, entsetzte mich davor, und solches Gericht schreckte mich“.

Diese Vision von den vier Tieren hat offenbar auch die vier großen Weltreiche zum Inhalt, wie das in der ersten Vision von dem Monarchienbild der Fall war. Doch ist es nicht eine Wiederholung dessen, was dort bereits gesagt wurde, sondern hier haben wir mehr. Hat Nebukadnezar die äußere Gestaltung der vier Weltreiche gesehen, so sieht Daniel jetzt deren inneren Charakter. Dem reifen Gottesmann Daniel konnte natürlich der Herr tiefere Einblicke gewähren als dem König Nebukadnezar. Daniel sieht, wie die vier Winde das Meer aufpeitschen und tief bewegen. In der Prophetie ist das Meer ja das Bild der Völkerwelt.
So lesen wir:

  • Ps 65:8: „Du stillest das Brausen des Meeres, das Brausen seiner Wellen und das Toben der Völker.“

Noch deutlicher redet:

  • Offb 17:15: „Die Wasser, die du gesehen hast da die Hure sitzt, sind Völker und Scharen und Heiden und Sprachen."

Vier Tiere steigen aus dem aufgewühlten Völkermeer hervor, wohl verschieden in ihrem Aussehen, aber es sind alles Tiere. Damit hat Gott dem Charakter der Weltreiche den göttlichen Stempel aufgedrückt. Trotz aller Weltverbesserung, Kulturentwicklung und Menscheitsverbrüderung haben die Weltreiche bis heute noch nicht ihren tierischen Charakter verloren. Eigentümlich ist es ja auch, dass sie Staaten bis auf unsere Tage gewöhnlich ein Tierbild als Symbol in ihren Siegeln haben. Das Wesen der Tiernatur besteht ja in der niedrigsten Selbstsucht. Der hinter uns liegende Weltkrieg hat der Charakterisierung des Wortes Gottes einmal wieder völlig Recht gegeben. Die Raubtiernatur der Staatsgebilde in dieser Welt ist uns in schauriger Weise vor die Augen gestellt worden. Wenn doch endlich die christlichen Weltverbesserer diese Lektion lernen wollten, die Gott den Menschen immer wieder in erschreckend deutlicher Weise git. Die Bibel lässt keinen Zweifel über ihr Urteil, das sie über die Völker hat. Im Völkerleben sehen wir es immer wieder, wie sich die Nationen gierigen Bestien gleich, aufeinanderstürzen und Vernichtungskriege gegeneinander führen. So war es, so ist es und so wird es sein, bis dass der Herr Jesus wiederkommt und den Menschen ein neues Herz gibt und neue Lebensordnungen schafft. Wir Menschen haben dazu weder die Kraft noch die Aufgabe. Alle idealen Weltverbesserungspläne scheitern immer an der einfachen Tatsache, dass es dem Menschen möglich ist, die Sünde aus eigener Kraft zu überwinden und aus der Welt zu schaffen. Nur der lebendige Gott kann das sündhafte, egoistische Menschenherz umgestalten.

Auch wir Deutsche haben da keine Ursache Steine auf andere Völker zu werfen und zu sagen, diese Charakterisierung stimme bei den andern, aber bei uns komme nur die Lammes- und Taubennatur in Frage. Wir wissen nur zu gut, wie sich auch in der Nachkriegszeit bei Hoch und Niedrig in unserem Volk erschreckende Abgründe gezeigt haben, deren Vorhandensein man nie für möglich gehalten hätte.

Das erste Tier

Das erste Tier in Daniels Vision ist ein Löwe mit Adlerflügeln; aber eine Vereinigung des Königs der Landtiere und des Königs der Lufttiere. Es ist das eine unverkennbare Parallele zu dem goldenen Haupt im Monarchienbild, und haben wir hier eine neue Charakterisierung des ersten Weltreiches Babylon zu sehen. Die kurze und treffliche Beschreibung hier ist sehr inhaltsreich:

  • Dan 7:4 “Ich sah zu, bis dass ihm die Flügel ausgerauft wurden; und es ward von der Erde aufgehoben, und es stand auf zwei Füßen wie ein Mensch, und ihm ward ein menschlich Herz gegeben."

Man muss hier doch unwillkürlich an Nebukadnezars Überhebung denken (Dan 4), worauf er von Gott mit Größenwahnsinn geschlagen wurde, der ins Gegenteil umschlug, so dass Nebukadnezar sich, wie uns Daniel erzählt, für ein Tier hielt und unter den Tieren lag im Tau des Grases auf dem Felde. Da wurden diesem stolzen Löwen die Flügel ausgerissen. Aber er ward von der Erde erhoben und stand wieder da, wie ein Mensch und ein menschlich Herz wurde ihm gegeben. Das erinnert dran, wie Nebukdadnezar wieder zurechtkam, sich vor Jehova beugte und ihm die Ehre gab. Das wird ja in Dan 4 genau beschrieben. Das ist eben immer das Wesen der Bekehrung, dass des Menschen Herz erneuert wird. Das Tier lebt sich selbst, aber ein rechter Mensch lebt seinem Gott. Es ist diese Erfahrung des Nebukadnezar zugleich ein köstlicher Beleg dafür, dass unser Gott der Menschheit ein neues Herz geben will. Allerdings muss es da zuerst zur Beugung vor dem Herrn kommen. Soweit ist es heute zwar noch nicht, aber das wird unser Rettergott fertigbringen, wenn die Stunde dafür da ist, denn es steht geschrieben:

  • Phil 4:10-11: „Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes des Vaters."

Das zweite Tier

In dem zweiten Tier haben wir das zweite Weltreich zu sehen, das trefflich nach seinem inneren Charakter gekennzeichnet wird. Es ist ein gefräßiger Bär, der halb ruhend und halb aufgerichtet ist. Das ist wieder eine kurze aber deutliche Charakterisierung, ein Hinweis auf den mehr ruhenden medischen Teil und den tatkräftigen persischen Teil dieses Weltreiches. Die drei Rippen im Maul des Bären sollen wohl hinweisen auf die drei Hauptländer, die der medisch-persische Bär eroberte. Das Hauptmerkmal aber dieses Tieres ist die unerstättliche Gefräßigkeit: „Steh auf und friss viel Fleisch“, so heißt es hier. Die Weltgeschichte erzählt uns sehr viel von der unersättlichen Ländergier dieses zweiten Weltreiches. Seine Könige haben als Welteroberer in der Geschichte große Namen bekommen. Für uns aber ist es wichtig festzustellen, dass die gefräßige, selbstsüchtige Tiernatur hier klar zum Ausdruck kommt. Es wird uns auch nicht von einem König des zweiten Weltreiches berichtet, dass ihm wie Nebukadnezar ein menschlich Herz gegeben worden sei und er sich vor Gott gebeugt habe. Wir sehen auch hier wieder eine deutliche Entwicklung nach unten. Wir wissen zwar aus der Schrift, dass Kores den Juden sehr freundlich gesinnt gewesen ist, aber von einem inneren Umschwung seiner Stellung Gott gegenüber ist uns nichts gesagt. Im ersten Weltreich finden wir noch eine Anbetung Jehovas von Seiten des Königs.

Im zweiten Weltreich ist noch freundliche Gesinnung oder Toleranz gegen Gottes Volk wahrzunehmen. Im dritten Weltreich ist offenbar religiöse Gleichgültigkeit oder Indifferenz vorhanden. Die jüdische Sage erzählt, dass der Hohepriester in Jerusalem Alexander dem Großen Stellen aus dem Propheten Daniel vorgelesen habe, die ihm aber gleichgültig gewesen seien. Im vierten Weltreich aber sehen wir eine offene Feindschaft gegen Gott und sein Volk, die dann in furchtbarer Weise zum Ausbruch kommt.

Das dritte Tier

Das dritte Tier hatte auch charakteristische Merkmale.

  • Dan 7:6: “Nach diesem sah ich, und siehe, ein anderes Tier, gleich einem Parder, das hatte vier Flügel wie ein Vogel auf seinem Rücken; und das Tier hatte vier Köpfe und ihm ward Gewalt gegeben."

Der Panther oder Leopard ist ja ein sehr schnelles und behendes Raubtier. Die Flügel dieses Panthers deuten jedenfalls noch eine außerordentliche Schnelligkeit an. Der Begründer des dritten Weltreiches war bekanntlich Alexander der Große, und ist ja etwas derartiges von Schnelligkeit in der Ausbreitung seiner Macht nie in der Geschichte vorgekommen. In einem kurzen Jahrzehnt hatte dieser Fürst sich die ganze bekannte Welt unterworfen. Als etwa 20-jähriger Jüngling kam er auf den Thron und starb, als er 32 Jahre alt war. Vom Balkan stürmte er über Kleinasien bis nach Indien hin, und alle Länder eroberte er in sehr kurzer Zeit. Das Geheimnis dieses beispiellosen Erfolges haben wir in den Worten hier: „Ihm ward Gewalt gegeben." Unsere Aufgabe ist es hier nicht eine Untersuchung darüber anzustellen, in wie weit Alexander eine Zuchtrute Gottes für die damaligen Völker gewesen ist, aber das steht fest, dass auch die Weltereignisse ihren Platz im Plane Gottes mit der Völkerwelt haben, und es wird nicht mit Unrecht gesagt, die Weltgeschichte sei das Weltgericht.

Wir weisen noch darauf hin, dass das Tier vier Köpfe hatte. Schon in den 13 Jahren der Herrschaft Alexanders zeigten sich die großen Feldherren des Königs in ihrer Macht, und hatten sie sich auch bedeutenden Anhang gesichert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Alexanders Weltmacht bald auseinander gefallen wäre, wenn er auch noch länger gelebt hätte. Bei seinem Tode haben seine vier großen Feldherren sich in das griechische Weltreiche verteilt, von denen zwei Reiche wieder besondere Bedeutung bekommen für das Volk Israel: das Reich der Seleukiden, nämlich Syrien, und das Reich der Ptolomäer, Ägypten.

Das vierte Tier

Eine ganz besondere Schilderung ist nun aber dem vierten Tier gewidmet und wird die Aufmerksamkeit des Lesers gefesselt von dieser eigenartigen Schilderung.

  • Dan 7:7: “Das vierte Tier war gräulich und schrecklich und sehr stark, und hatte große eiserne Zähne, frass um sich und zermalmte, und das übrige zertrat's mit seinen Füßen; es war auch viel anders denn die vorigen und hatte zehn Hörner."

Ein Name ist diesem schrecklichen Tier nicht gegeben, es scheint aber, als ob es die Eigenschaften der übrigen Raubtiere alle in sich vereinigt, wie das ja auch aus der Schilderung in Offb 13 hervorgeht. Das Eisen wird hier als besonderes Merkmal erwähnt, und erinnert an das Eisen im Monarchienbild, was ja charakteristisch ist für das römische Reich. Der römische Militarismus und das römische Recht leben auch noch fort in den modernen Ausgestaltungen des römischen Reiches. Die Schwäche zeigt sich aber erst in den Zehen und hier in den Hörnern.

  • Dan 7:8: „ Da ich aber die Hörner schaute, siehe, da brach hervor zwischen ihnen ein anderes kleines Horn, von welchem der vorigen Hörner drei ausgerissen wurden; und siehe, dasselbe Horn hatte Augen wie Menschenaugen und ein Maul, das redete große Dinge."

Dass die zehn Hörner hier dasselbe sagen, als wie die zehn Zehen in der ersten Vision, unterliegt kaum einem Zweifel. Etwas Neues wird aber gesagt, dass ein kleines Horn hervorbrechen wird, das drei von den zehn Hörner hinweg reißt. Der Schluss ist hier ganz leicht zu ziehen. Zur Zeit, wenn die zehn Reiche in Erscheinung getreten sein werden, gibt es eine Überraschung für die Welt, indem eine kleine und unbedeutende Macht mit einem Mal in den Vordergrund der Weltgeschichte treten und vier der zehn Reiche sich unterwerfen wird. Zwei besondere Merkmale dieses kleinen Horns sind hier angegeben: hohe Intelligenz oder großen Verstand und die Macht der Rede. Das wollen doch ohne Zweifel die beiden Ausdrücke, Augen wie Menschenaugen und ein Maul, das große Dinge redete, sagen. Sind es schließlich nicht auch heute schon diese beiden Dinge, auf die es in der Politik am meisten ankommt: Klugheit und Großrederei? Besonders das letztere. Wer den Mund versteht am weitesten aufzureißen, der hat den größten Anhang.

Daniel bittet um Erklärung

Nachdem Daniel noch in der Vision die ergreifende Gerichtsszene geschaut hat, war er sehr erschüttert und entsetzt. „Solches Gesicht erschreckte mich“, schreibt er. Gern hätte er über das ganze Gesicht und seine Bedeutung näheren Aufschluss gehabt. Er bittet einen dabei stehenden Engel ihm nähere Erklärungen zu geben. Kurz und bündig erklärt ihm dieser:

  • Dan 7:17: Diese vier großen Tiere sind die vier Reiche, so auf Erden kommen werden."

Damit ist also göttlich die Auffassung bestätigt, dass wir es hier mit denselben Weltzeichen zu tun haben, als wie in der ersten Vision. Daniel wollte nun aber mehr wissen über das vierte Tier, über die zehn Hörner und über das kleine Horn, das größer wurde als die anderen. Der Engel gibt ihm auch auf diese Frage eine Antwort:

  • Dan 7:23-26: „ Er sprach also: Das vierte Tier wird das vierte Reich auf Erden sein, welches wird gar anders sein denn alle Reiche; es wird alle Lande fressen, zertreten und zermalmen. Die zehn Hörner bedeuten zehn Könige, so aus dem Reich entstehen werden. Nach ihnen aber wird ein anderer aufkommen, der wird gar anders sein denn die vorigen, und wird drei Könige demütigen. Er wird den Höchsten lästern und die Heiligen des Höchsten verstören, und wird sich unterstehen, Zeit und Gesetz zu ändern. Sie werden aber in seine Hand gegeben werden eine Zeit und (zwei) Zeiten und eine halbe Zeit. Danach wird das Gericht gehalten werden; da wird dann seine Gewalt weggenommen werden, dass er zugrunde gerichtet, vertilgt und umgebracht werde."

Diese großartige Schilderung ist nicht mehr geheimnisvolle Prophetie, sondern bereits klar geschriebene Geschichte, die Jahrtausende von Gott voraus gesagt wurde. Das ist göttliche Auslegung eines prophetischen Gesichtes, und konnte wahrlich nicht deutlicher geredet werden. Knapp, kurz und bestimmt wird gesagt, dass es vier Weltreiche in der Geschichte während der Verwerfung Israels geben werde. Vier ist ja die menschliche Zahl, und haben wir hier die „Zeit der Heiden“ oder Nationen zu sehen, die ihr Ende oder ihre Vollendung finden wird bei der Wiederherstellung Jerusalems und des Volkes Israels. Das kleine Horn ist offenbar der Antichrist, von dem hier zum ersten Mal so deutlich geredet wird, der aber schon geheimnisvoll angedeutet wurde von den älteren Propheten, und über den wir dann im Neuen Testament viele klare Aussagen und Beschreibungen haben. Er kann nach diesem Gotteswort hier erst in Erscheinung treten, nachdem der Völkerbund von zehn Reichen aus dem sturmgepeitschten Völkermeer hervorgegangen sein wird. Die Macht des Antichristen wird sich auch besonders gegen das Volk Israel wenden zum Gericht über dasselbe. Es heißt

  • Dan 7:21 „Und ich sah das Horn streiten wider die Heiligen, und es behielt den Sieg wider sie."

Unter den Heiligen hier, wie überhaupt im ganzen Alten Testament, kann man nur das Volk Israel verstehen. Die Zeit des antichristlichen Wütens gegen Gott und Israel ist auch festgesetzt, und sehen wir da, wie Gottes Plan bis in die Einzelheiten festgelegt worden ist. Die Juden werden wohl zur Strafe sich gegen den Antichristen nicht behaupten können und wird das eine schreckliche Zeit für Jakob sein.

  • Dan 7:25: “Sie werden aber in seine Hand gegeben werden eine Zeit und (zwei) Zeiten und eine halbe Zeit."

Die Orientalen haben in ihren Sprachen die sogenannte Dualisform neben der Einzahl und der Mehrzahl, womit sie die Zahl zwei ausdrücken können. Das können wir im Deutschen nicht durch eine Endsilbe bezeichnen, und müssen wir darum das mit dem Zahlwort umschreiben. Darum steht auch zwei in Klammer. Doch haben wir eine Erklärung dieser ganzen Schilderung, die eine weitere Erläuterung gibt.

  • Offb 13:1-5: „Und ich trat an den Sand des Meeres und sah ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte sieben Häupter und zehn Hörner, und auf seinen Hörnern zehn Kronen, und auf seinen Häuptern Namen der Lästerung. Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Parder, und seine Füße wie Bärenfüße, und sein Mund wie eines Löwen Mund. Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Stuhl und große Macht. - Und es ward ihm gegeben ein Mund, zu reden große Dinge und Lästerungen, und ward ihm gegeben, dass es mit ihm währte 42 Monate lang."

Diese Schilderung deckt sich vollkommen mit dem vierten Tier in der zweiten Vision im Buche Daniel, die wir hier vor uns haben. Zugleich werden wir auch informiert, wie lange die geheimnisvolle Zeitangabe dauert. 42 Monate, sind 3 1/2 Jahre und es wäre somit das obige Wort zu lesen: ein Jahr, zwei Jahre und ein halbes Jahr. Das ist aber die 3 1/2 jährige antichristliche Trübsal, von der wir so viel in der Schrift lesen. Wir kommen später in unseren Betrachtungen nochmals auf diese Zeitrechnung zurück.

Die Gerichtsverhandlung

Es bleibt uns nun noch übrig, die Gerichtsverhandlung zu betrachten. Feierlich erzählt uns Daniel, wie Stühle gesetzt wurden und der Hochbetagte, der alte Gott, sich darauf setzte. Gott Jehova ist es, den Daniel hier im Gesicht sieht. Die himmlischen Heerscharen umgeben ihn, und sind bereit seine Befehle auszuführen. Wie furchtbar ernst dieses Gericht ist, geht schon daraus hervor, dass dreimal vom Feuer die Rede ist. Der Richterstuhl war eitel Feuerflammen, seine Räder brannten mit Feuer und ein Feuerstrahl ging aus von ihm. Hier werden wir lebhaft daran erinnert, dass Gott ein verzehrendes Feuer ist. Dieses Feuergericht wird nun an dem Antichristen und seinen verbündeten oder untergebenen Reichen, respektive deren Beherrscher, vollzogen. Dieselbe Gerichtsszene wird in Offb 19 geschildert:

  • Offb 19:20: „Und das Tier ward gegriffen und mit ihm der falsche Prophet, der die Zeichen tat vor ihm - ; lebendig wurden diese in den feurigen Pfuhl geworfen, der mit Schwefel brennt."

Unter diesem Feuer, das schon vom Thron Gottes ausgeht, haben wir jedenfalls den flammenden Zorn Jehovas zu sehen, der alle Feinde und Widersacher mit seinem göttlichen Gericht treffen wird. Dass wir hier nicht ohne weiteres auf die absolute Vernichtung der Feinde Gottes schließen dürfen, geht schon aus Offb 20:10 hervor, wo klar gesagt ist, dass der Satan, der nach den 1000 Jahren nochmals losgelassen wurde, und wieder die Menschen verführt, in den feurigen Pfuhl geworfen wurde, in dem das Tier und der falsche Prophet schon 1000 Jahre waren, ohne vernichtet worden zu sein.

Der Höhepunkt der Verhandlung

Der Höhepunkt dieser ganzen Gerichtsverhandlung in dieser wunderbaren Vision ist aber in den Worten ausgedrückt:

  • Dan 7:13-14: „Und siehe, es kam einer in des Himmels Wolken wie eines Menschen Sohn bis zu dem Alten, und ward vor ihn gebracht. Der gab ihm Gewalt, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker, Leute und Zungen dienen sollten. Seine Gewalt ist ewig, die nicht vergeht, und sein Königreich hat kein Ende."

Wir haben hier eine der wunderbarsten Stellen des Alten Testamentes von dem Kommen des Herrn in Herrlichkeit zum Antritt seiner Königsherrschaft. Der Herr Jesus hat selber an dieses Prophetenwort erinnert:

  • 'Mt 25:31: „Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit."'

Gott der Herr Himmels und der Erde hat sich vorgesetzt:

  • Eph 1:10: „dass alle Dinge zusammengefasst würden in Christo, beides, das im Himmel und auf Erden ist“.

Dieses Programm wird unser Gott auch durchführen, und kann es da keine Hindernisse geben.

Noch ein bedeutsames Wort haben wir in

  • Dan 7:27: „Aber das Reich, Gewalt und Macht unter dem ganzen Himmel wird dem heiligen Volk des Höchsten gegeben werden, des Reich ewig ist, und alle Gewalt wird ihm dienen und gehorchen."

Auch das gehört in den Plan Gottes hinein. Israel ist nun einmal das Reichsvolk, das wieder im Reichsland wohnen wird. Es ist das geheiligte, wiedergeborene, gänzlich erneuerte Volk Israel, das hier Daniel bereits im Gesicht als ersten Erben des Reiches sehen darf. Von dem Verhältnis des Volkes Israels zu den Weltreichen ist dann noch ferner die Rede in den folgenden Visionen.

Fassen wir den Höhepunkt dieser Vision in der Gerichtsszene nochmals kurz zusammen, so ergibt sich ein dreifaches:

  • a) Der Antichrist wird gerichtet und in das Feuer geworfen. Die mit dem Antichristen verbündeten Herrscher finden auch ihr Gericht.
  • b) Des Menschen Sohn wird Gewalt, Ehre und Reich gegeben von Gott. Seine Herrschaft wird kein Ende haben, wie die anderen Weltreiche.
  • c) Das wiedergeborene Israel ist das Reichsvolk, das dann unter dem Szepter Christi seinen herrlichen, gottgewollten Segensberuf als erstgeborener Sohn Gottes unter den Völkern antreten wird. Israel wird dann nicht mehr der Schwanz, sondern wieder das Haupt unter den Völkern sein.

Lies weiter:
3. Der Widder und der Ziegenbock, Dan 8