Die siebzig Jahrwochen, Dan 9

Aus Bibelwissen
Wechseln zu: Navigation, Suche

Aus dem Zweimonatsheft für gläubige Schriftforscher:
"Das prophetische Wort"
Begründet von Professor E. F. Ströter

Herausgegeben von Heinrich Schaedel
Maranatha-Verlag, Klosterlausnitz i. Thür.
XIX. Jahrgang 1925

siehe weitere Abschriften

Die Visionen im Buche Daniel:

Von Heinrich Schaedel

1. Das Monarchienbild, Dan 2
2. Die vier großen Tiere, Dan 7
3. Der Widder und der Ziegenbock, Dan 8
4. Die siebzig Jahrwochen, Dan 9
5. Der große Krieg, Dan 10-12


4. Die siebzig Jahrwochen, Dan 9

Die babylonische Gefangenschaft

In der Vision vom Monarchienbild, die Daniel dem König Nebukadnezar erklären durfte, hatte auch der Prophet gelernt, dass vier große Weltreiche aufeinander folgen würden. In der Vision von den vier Tieren lernte Daniel den inneren Charakter dieser Weltreiche kennen, und das Verhältnis wurde ihm auch gezeigt, das diese Reiche dem Volk Israel gegenüber einnehmen werden. Besonders war es das vierte Tier, das für Israels Zukunft von wichtiger Bedeutung sein wird, weil aus diesem der Antichrist als der große Feind des Volkes Gottes hervorgeht. Der große Kampf wird hier gezeigt, den Israel mit den Weltmächten in der Endzeit zu bestehen haben wird. Hier beherrscht der politische Gesichtspunkt die Vision. In der dritten Vision vom Widder und Ziegenbock wurde dem Propheten der alttestamentliche Antichrist gezeigt, der ein Vorbild ist auf den neutestamentlichen Antichristen, und Daniel sollte hier lernen, wie die falsche Religion weggeräumt ,und die wahre Gottesverehrung eingeführt werden wird, nicht nur in der Zeit des Antiochus Epiphanes, sondern auch bei der Wiederkunft Christi. In dieser Vision steht aber der religiöse Gesichtspunkt im Vordergrund.

All das Geschaute hat den Propheten zum tiefen Nachdenken gebracht und zum ernsten Forschen in den älteren Propheten veranlasst. Dabei hat er sein Volk auf betendem Herzen getragen und täglich Gott an seine Verheißungen, die er diesem seinem Volke gegeben hatte, erinnert. Gerade das ist ja unserm Gott angenehm, wenn man eingeht auf das, was er geredet hat und man ihn daran erinnert im Gebet. Große Ereignisse waren in der Welt eingetreten und hatten allerlei Veränderungen gebracht im babylonischen Reiche. Darius aus dem Stamme der Meder hatte Babylonien erobert und daraufhin das zweite, das indisch-persische Weltreich gegründet. Da beschäftigte sich der Prophet mit der Frage: Wie lange wird es denn nun noch dauern, bis dass Israel wieder in sein Vaterland heimkehren darf? Dass Gott das Volk Israel nicht endgültig verworfen habe, sondern noch große Gedanken und Pläne mit demselben hat, hatte Daniel nicht nur aus den bisherigen Visionen erkannt, sondern auch klar gesehen beim Lesen der älteren Propheten. Er berichtet selber darüber, dass er in dem ersten Jahr dieses neuen Weltreiches in der Schrift geforscht, und dabei geachtet habe auf die Zahl der Jahre, davon der Herr geredet hatte zum Propheten Jeremias, dass Jerusalem sollte siebzig Jahre wüst liegen. Über die Dauer der Gefangenschaft Israels lesen wir Näheres in Jer 52:10. Besonders wichtig ist das klare Wort

  • Jer 29:10: „Denn so spricht der Herr: Wenn zu Babel siebzig Jahre aus sind, so will ich euch besuchen und will mein gnädiges Wort über euch erwecken, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe."'

Diese Zeitspanne ging nun zu Ende und der Prophet Daniel wollte doch gern die Erfüllung dieses Wortes sehen. Gerade die beiden Stellen im Propheten Jeremia zeigen uns wieder die Eigenart der Prophetie, indem sie bei der Schilderung der damaligen Verhältnisse hinausblickt auf das letzte Ziel der Wege und Pläne Gottes, denn es leuchtet hier bereits die kommende Herrlichkeit der völligen Erlösung des Volkes Israel hindurch. So schildert Jer 25 auch das Gericht, das Babylon und die anderen Völker treffen wird, indem sie den Zornwein Gottes trinken müssen aus dem Kelch, den der Herr ihnen reichen lässt. Die Ausführung dieses Gerichtes kam allerdings nicht am Ende dieser siebzig Jahre der jüdischen Gefangenschaft, sondern wird erst ganz erfüllt in der Zeit wenn die glorreiche Wiederherstellung Israels stattfindet, wie es uns in Offb 17-19 geschildert wird.

Daniel betet für sein Volk

Da lagen nun allerlei Probleme und Schwierigkeiten vor dem Propheten, die er aus eigenem Denken nicht erklären konnte. Was sollte er nun tun? Daniel wählt den einzig richtigen Weg, er redet mit Gott im Gebet. Dieses Gebet wird uns im vorliegenden Kapitel Dan 9 mitgeteilt. Es ist ein mustergültiges Gebet; und auch ein neutestamentlicher Beter kann aus demselben viel lernen. Priesterlich stellt sich hier Daniel unter die Sünden seines Volkes und bekennt sich mitschuldig vor Gott. Es sind drei Punkte, um die es sich hier handelt, nämlich um das Volk Gottes, um die heilige Stadt und um den niedergebrannten Tempel. Dabei erinnert Daniel den Herrn an seine wunderbaren Verheißungen, die er den Väter gegeben hatte.

  • Dan 9:19: „Ach Herr, höre! Ach Herr, sei gnädig! Ach Herr merke auf und tue es und verziehe nicht um deiner selbst willen, mein Gott! denn deine Stadt und dein Volk ist nach deinem Namen genannt.“

Solches Gebet, in dem der Herr an seine Verheißungen und sein Wort erinnert wird, ist Gott immer angenehm und er achtet so gern darauf. Als Antwort wird nun dem Propheten Daniel eine hochbedeutsame Vision gegeben über den Zeitplan Gottes mit Israel.

Gott antwortet Daniel

  • Dan 9:20-24: „Als ich noch redete und betete, und meine und meines Volks Israel Sünde bekannte, und lag mit meinem Gebet vor dem Herrn, meinem Gott, um den heiligen Berg meines Gottes, eben da ich so redete in meinem Gebet, flog daher der Mann Gabriel, den ich zuvor gesehen hatte im Gesicht, und rührte mich an um die Zeit des Abendopfers. Und er unterrichtete mich und redete mit mir und sprach: Daniel, jetzt bin ich ausgegangen dich zu unterrichten. Denn da du anfingst zu beten ging dieser Befehl aus, und ich komme darum, dass ich dir’s anzeige; denn du bist lieb und wert. So merke nun darauf, dass du das Gesicht verstehst. Siebzig Wochen (Jahrwochen) sind bestimmt über dein Volk und über deine heilige Stadt, so wird dem Übertreten gewehrt und die Sünde abgetan und die Missetat versöhnt, und die ewige Gerechtigkeit gebracht, und die Gesichte und Weissagung versiegelt und ein Hochheiliges gesalbt werden."

Wir werden hier an das Wort Gottes erinnert:

  • Jes 65:24: „Und es soll geschehen, ehe sie rufen, will ich hören"

Ein ernster Beter findet bei Gott immer ein offenes Ohr, das dürfen wir hier auch lernen. Das Bekenntnis Daniels in seinem Gebet enthielt sechs wichtige Punkte und diesen sechs Punkten folgt eine sechsfache göttliche Antwort. Das Bekenntnis umfasst:

  • 1. Israels nationale Übertretung (Dan 9:11);
  • 2. Israels nationale Sünde (Dan 9:16);
  • 3. Israels nationale Missetaten (Dan 9:16);
  • 4. Israels Mangel an Gerechtigkeit (Dan 9:18);
  • 5. Israels Strafe ist vorausgesagt (Dan 9:11-13);
  • 6. Israels Heiligtum ist verwüstet (Dan 9:17).

Die vom Engel dem Daniel gegebene Antwort enthält in Dan 9:24 genau sechs korrespondierende Punkte.

  • Dan 9:24: „Siebzig Jahrwochen sind bestimmt über dein Volk und über die heilige Stadt,
1. So wird den Übertretungen gewehrt werden, und
2. die Sünde wird abgetan, und
3. die Missetat versöhnt, und
4. die ewige Gerechtigkeit gebracht, und
5. die Gerichte und Weissagungen versiegelt, und
6. ein Hochheiliges gesalbt werden."

Klar und unzweideutig kommt hier zum Ausdruck, dass diese siebzig Jahrwochen nichts zu tun haben mit der Völkerwelt, sondern nur über Israel und Jerusalem ist diese Weissagung gegeben. Dieser Grundsatz muss beachtet werden, wenn man nicht in der Auslegung allerlei wilden Spekulationen zum Opfer fallen will, wie es leider so manchen Auslegern des Daniel ergangen ist. Die Völkerwelt ist hier ganz außer Acht gelassen, und handelt es sich ausschließlich um die Zertretung und Wiederherstellung Jerusalems nach einem von Gott bestimmten Zeitplan. Man wird jeden Versuch ablehnen müssen, der aus diesen biblischen Zahlenangaben etwas herausrechnen will für die jetzige Zeit der Gemeinde. Es ist feststehender biblischer Grundsatz, dass die Schrift niemals irgendeine Zeitberechnung gibt in Verbindung mit dem Geheimnis der Gemeinde des Herrn, die auserwählt wurde vor Grundlegung der Welt, also Ewigkeitskörper sein soll und gar nichts zu tun hat mit zeitlicher Berechnung. Die Zahlenangaben in der Prophetie stehen immer in Verbindung mit Israel. Das ist auch hier in unserem vorliegenden Abschnitt klar zum Ausdruck gebracht. Leider wird aber diese wichtige Wahrheit von vielen Auslegern übersehen, und das ist auch die Ursache, dass immer wieder die Gläubigen beunruhigt werden mit solchen Berechnungen.

Solange Israel beiseite gestellt ist im Weltplan Gottes, solange gibt es auch nichts auszurechnen. Die biblischen Zahlenberatungen werden erst dann wieder gelten und in Anwendung gebracht werden können, nachdem Gott Israel wieder in den Vordergrund gestellt haben wird, und mit ihm wieder rechnet. Mit anderen Worten, die göttliche Uhr steht jetzt still und sie wird erst wieder in Bewegung gesetzt werden, sobald dieser Ewigkeitskörper, die Gemeinde, vollendet ist und das Volk Israel wieder im göttlichen Weltplan in den Vordergrund tritt. Wenn man darum doch endlich einmal aufhören wollte mit der Kalendermacherei für unsere jetzige Zeit. Die auf solche Weise verbrauchte Energie könnte wahrlich bessere Verwendung im Studium der Prophetie finden, wodurch heilsamere Frucht zustande käme. Die Ungläubigen würden dann auch weniger Veranlassung haben über die Bibel zu spotten, als wie es jetzt der Fall ist, wo sich solche Ausrechnungen immer wieder als Täuschung erweisen.

Siebzig Siebenheiten sind bestimmt

Dem Daniel wird klar gesagt, dass nicht nur siebzig Jahre über das Volk Israel bestimmt seien, wie es Jeremia voraussagen durfte, sondern es seien noch weitere „siebzig Siebenheiten“ von Zeiten über das Volk bestimmt. Luther übersetzt das hebräische Wort „Siebenheiten“ mit Wochen. Das Wort könnte ja auch als eine Siebenheit von Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren aufgefasst werden. Da Daniel aber nach den siebzig Jahren gefragt hat, und der Engel weiter keine Erklärung gibt, so ist hier ohne weiteres an Siebenheiten von Jahren, das heißt Jahrwochen zu denken. Die Übersetzung mit dem Wort Jahrwochen würde aber ohne Zweifel den Sinn auf das beste treffen. Also der Prophet soll nicht mit den siebzig Jahren, die nun bald abgelaufen sind, rechnen, sondern mit siebzig mal sieben Jahren, dann wird die ewige Gerechtigkeit gebracht werden.

Ausgangspunkt der Berechnung

Wichtig ist nun die Feststellung des Ausgangspunktes dieser Rechnung:

  • Dan 9:25: „ So wisse nun und merke: Von der Zeit an, da ausgeht der Befehl, dass Jerusalem soll wieder aufgebaut werden, bis auf den Gesalbten den Fürsten, sind sieben Jahrwochen; und zweiundsechzig Jahrwochen, so werden die Gassen und Mauern wieder gebaut werden, wiewohl in kümmerlicher Zeit."

Die Schrift erzählt uns von verschiedenen Edikten oder Befehlen, die von den Königen des medisch-persischen Reiches ausgegeben wurden. Da ist zuerst das Edikt des Kores oder Cyrus (Esr 1:2-4), den den Juden erlaubte, nach Jerusalem zurückzukehren und den Tempel wieder zu erbauen. Sodann der Befehl des Darius, der den Erlass des Kores bestätigte und den Tempelbau förderte. Ein dritter Befehl ging aus von dem König Arathahsasta (Artaxerxes), der Esra Vollmacht gab, den Tempel zu verschönern, und Gottesdienste einzurichten (Esr 7:12-16). Ein vierter Befehl wurde von Artaxerxes (Neh 2) gegeben, der den Nehemia beauftragte, die zerfallenen Mauern der Stadt Jerusalem wieder zu bauen. Dieser letzte Befehl ist der Ausgangspunkt der Berechnung. Leider haben das viele Ausleger übersehen und so wird meistens das Edikt des Artarxerxes an Esra (Esr 7) als Ausgangspunkt genommen. In den ersten drei Edikten ist aber keine Rede von der Wiedererbauung der „Mauern Jerusalems“, sondern sie haben es nur zu tun mit der Erbauung des Tempels und der Einführung des gottesdienstlichen Rituals. Erst das letzte Edikt (Neh 2) spricht von den Mauern Jerusalems. Nach neueren Berechnungen war das im März 445 v. Chr.

Wenn wir nun diese Darstellung hier ohne Voreingenommenheit betrachten, dann sehen wir, dass drei Abschnitte gemacht werden; die eigentliche Wiederherstellung Jerusalems dauerte 7 Jahrwochen oder 49 Jahre. Danach folgen 62 Jahrwochen oder 434 Jahre bis zur Verwerfung des Messias. Dann aber folgt offenbar eine Unterbrechung.

  • Dan 9:26: lautet: „Und nach den 62 Jahrwochen wird der Gesalbte (Messias) ausgerottet werden und nichts mehr sein. Und das Volk eines Fürsten wird kommen und die Stadt und das Heiligtum verstören, dass es ein Ende nehmen wird wie durch eine Flut; und bis zum Ende des Streits wird’s wüst bleiben."

Deutlicher kann man doch nicht reden. Zwischen der ersten und zweiten Periode ist keine Unterbrechung angedeutet, und darum ist ohne weiteres anzunehmen, dass dieselben direkt aufeinander folgen. Es unterliegt doch kaum einem Zweifel, dass mit der Ausrottung des Gesalbten die Kreuzigung des Messias gemeint ist. Dann kommt das Volk eines Fürsten und zerstört Jerusalem. Wie eine Flut wird diese Zerstörung hereinbrechen über diese Stadt, und bis zum Ende des Streits wird es wüst bleiben. Hier müssen wir sofort an Lk 21:24 denken, wo der Herr Jesus sagt:

  • Lk 21:24: „Und sie werden fallen durch des Schwertes Schärfe und gefangen geführt werden unter alle Völker; und Jerusalem wird zertreten werden von den Heiden, bis dass der Heiden Zeit erfüllt wird."

Das jüdische Jahr bestand aus 12 Monaten zu je 30 Tagen, und das Jahr hatte darum 360 Tage. Das zeigt uns die Schrift schon in der Erzählung von der Sündflut (1Mo 7:11; 1Mo 8:4; 1Mo 7:24; 1Mo 8:3), wo erzählt wird, dass die Flut 5 Monate oder 150 Tage gedauert habe. Ein englischer Gelehrter Sir Robert Anderson hat nun über diese ganze Frage eingehende astronomische Berechnungen angestellt und ist zu folgendem Resultat gekommen: der 1. Nisan im 20. Jahr des Artaxerxes war der 14. März 445 vor Chr., an dem das Dekret des Königs gegeben wurde. Der Einzug Jesu in Jerusalem erfolgte am 10. Nisan, das ist der 6. April 32 n. Chr. gewesen. Das ergibt nach unserem Kalender 476 Jahre und 24 Tage. Wenn wir nun nach unserem Kalender rechnen wollen, dann haben wir folgendes Zahlenbild. 476 mal 365 Tage sind 173740 Tage. Dazu ist die Zeit vom 14. März bis 6. April zu zählen, also 24 Tage und 116 Tage der Schaltjahre für diese ganze Zeit. Das ergibt 173880 Tage von dem Dekret des Artaxerxes bis zur Kreuzigung Christi, beziehungsweise dem Einzug Jesu in Jerusalem. Die 69 Jahrwochen sind 483 prophetische Jahre zu je 360 Tagen. 483 mal 360 ergibt nun aber wieder genau 173880 Tage. Hier ist jedenfalls die annehmbarste Lösung dieses ganzen Problems gegeben.

Die 70. Jahrwoche

Wir haben nun aber noch nach der 70. Jahrwoche zu sehen. Diese wird uns in Vers 27 geschildert:

  • Dan 9:27: “Er wird vielen den Bund stärken eine Jahrwoche lang. Und mitten in der Jahrwoche wird das Opfer und Speiseopfer aufhören. Und bei den Flügeln werden stehen Gräuel der Verwüstung, bis das Verderben, welches beschlossen ist, sich über die Verwüstung ergießen wird."

Nach dem einfachen Wortlaut dieser Verse muss diese 70. Jahrwoche unbedingt nach der Kreuzigung Jesu liegen. Unter dem Fürsten, dessen Volk Jerusalem zerstören werde, haben wir Titus, den späteren römischen Kaiser zu sehen, der im Jahre 70 n. Chr. Jerusalem zerstörte. Diese Zertretung Jerusalems soll dauern, bis dass die Zeit der Heiden erfüllt sein wird, die ja mit Nebukadnezar anfing. Bis zum Ende des Streites wird die heilige Stadt wüst bleiben, d.h. sie wird solange nicht Gottes Stadt sein. Das Fürwort „Er“ ist hier von großer Bedeutung. Manche meinen, dass der Messias darunter zu verstehen sei. Diese Ansicht ist aber offenbar falsch, denn sie hat keinen Sinn. Das Fürwort bezieht sich ohne Zweifel auf den „Weltfürsten“, dessen Volk Jerusalem zerstörte. Es ist aber zu beachten, dass wir es hier nicht mit nur einem „Fürsten“ zu tun haben, sondern ein Fürst kommt und zerstört Jerusalem und den Tempel.

Der andere Fürst aber richtet im Tempel, der dann noch wieder erbaut sein muss, einen Gräuel der Verwüstung auf. Beide stellen aber die antigöttlich verkörperte Weltmacht dar. Der eigentliche Weltfürst wird nach der Schrift der Antichrist sein, der aber mehrere Vorläufer und Vorbilder gehabt hat. Das ist der geheimnisvolle „Er“, mit dem wir es hier zu tun haben. Die einfachste und natürlichste Erklärung ohne spitzfindige Künstelei ergibt sich auf diese Weise. Nach den 69 Jahrwochen wird der Messias verworfen und gekreuzigt werden. Damit ist das Gericht über Israel besiegelt und bricht herein. Die Uhr des göttlichen Weltplanes mit dem Volk Israel steht nun still. Die Zerstörung Jerusalems unter der Führung eines Weltfürsten folgt, und bis zum Ende dieser Zwischenzeit wird Jerusalem zertreten bleiben. Hierbei sehen wir wieder wie wunderbar die Schrift harmoniert.

In dieser Zwischenzeit gelangt nun das paulinische Geheimnis vom Leibe Christi, der sich aus Juden und Heiden bildet, zur Verwirklichung. Sobald die Gemeinde aber vollendet sein wird, wird auch die göttliche Uhr wieder anfangen zu gehen. Die siebzigste Jahrwoche tritt in Erscheinung, die von dem Antchristen beherrscht wird. Dann kann man wieder rechnen, während das für diese Zwischenzeit einfach unmöglich ist. - Der Antichrist wird also mit vielen, das heißt wohl mit der führenden Masse des jüdischen Volkes, einen festen Bund schließen für 7 Jahren. Der gläubige Rest des Judenvolkes lehnt natürlich dieses Bündnis ab.

Bau des Tempels

Dass diese Auffassung von der siebzigsten Jahrwoche richtig ist, geht klar aus mehreren Angaben der Schrift hervor. Schon hier bei Daniel wird gesagt, dass diese letzte Jahrwoche in der Mitte geteilt wird. Mitten in der Jahrwoche wird das Opfer und Speiseopfer aufhören. Das setzt voraus, dass in dem jüdischen Staat, der nach der Prophetie wieder erstehen wird, auch der Tempel wieder erbaut, und der alttestamentliche Opferdienst wieder eingerichtet werden wird. Das geht ja schon aus den letzten Kapiteln des Propheten Hesekiel deutlich hervor. Der Judenstaat entsteht in Palästina unter dem Protektorat des Antichristen, der in den ersten 3 1/2 Jahren offenbar den jüdischen Kultus dulden wird. Seine widergöttliche Macht wird dieser letzte Weltfürst erst in der zweiten Hälfte dieser 70. Jahrwoche zur Anwendung bringen. Diese Hälfte der letzten Jahrwoche wird in der Schrift auf dreifache Weise bezeichnet. Da ist zuerst der Ausdruck: „Eine Zeit, zwei Zeiten und eine halbe Zeit“, der uns schon in Dan 7 begegnete. Die drei Stellen wo diese Bezeichnung dieser 3 1/2 Jahre vorkommt, sind Dan 7:25; Dan 12:7; Offb 12:14. Sodann ist diese Zeit angegeben als 42 Monate in Offb 11:2, Offb 13:5, also wieder genau 3 1/2 Jahre. Und schließlich ist diese Zeit noch angegeben als Periode von 1260 Tagen (Offb 11:3; Offb 1:6). Wie wir sehen, bestand das prophetische Jahr aus 12 Monaten zu je 30 Tagen, oder 360 Tagen. 3 1/2 mal 360 oder 30 mal 42 ergibt diese 1260 Tage. Wir wollen hier nicht untersuchen, ob die eine oder die andere Stelle Bezug habe auf die erste Hälfte dieser Jahrwoche, was vielleicht Offb 11:3 möglich wäre, sondern wir wollen nur feststellen, dass aus diesen Angaben in der Offenbarung wir es zu tun haben mit dieser letzten Jahrwoche des Daniel, die nirgends in der Vergangenheit untergebracht werden kann.

Der Gräuel der Verwüstung

Was wir uns nun unter dem Gräuel der Verwüstung vorzustellen haben, dürfte aus zwei Stellen der Schrift klar werden. Da haben wir zuerst das Wort

  • 2Thes 2:3.4: „Lasset euch von niemand verführen in keinerlei Weise; denn er kommt nicht, es sei denn, dass zuvor der Abfall komme und offenbart werde der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens, der da ist der Widersacher, und sich überhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, also dass er sich setzt in den Tempel Gottes als ein Gott, und gibt sich aus, er sei Gott."

Eine Anzahl Schriftausleger wollten hier den Papst erkennen, doch scheint das willkürlich zu sein. Wenn auch der Papst sich viel angemaßt hat, und sich ausgibt als Stellvertreter Christi, so hat er doch sich noch nicht als Gott ausgegeben und sich nicht göttliche Verehrung angemaßt. Sodann haben wir doch gar kein Recht die Peterskirche in Rom „Tempel Gottes“ zu nennen. Der Tempel Gottes kann nur in Jerusalem sein, und dort wird er nach den Aussagen der Schrift auch wieder in der letzten Zeit stehen. Paulus setzt dieses Ereignis unmittelbar vor die Wiederkunft Christi. Somit steht das noch aus und wird sich das schon zur rechten Zeit erfüllen. Die zweite Stelle ist Offb 13:11-15. Da wird uns gesagt, dass der falsche Prophet eine Statue des Antichristen anfertigen lässt, der ein Geist gegeben wird, so dass das Bild reden kann. Die Einwohner des Landes, wohl die Juden in Palästina, werden gezwungen, dieses Bild des Antichristen anzubeten.

Die gläubigen Juden, die sich weigern diesen Götzendienst mitzumachen, werden in Acht und Bann getan. Der Antichrist kann natürlich als Weltbeherrscher sich nicht immer in den Tempel in Jerusalem setzen und sich anbeten lassen. Da kommt sein Kultusminister, der falsche Prophet auf den schlauen Gedanken, eine Statue machen zu lassen, die den Antichristen darstellt. Wahrscheinlich wird dieses Bild des Antichristen dann im Tempel in Jerusalem Aufstellung finden. Das Bild wird reden können. Da haben wir in der letzten Zeit einen merkwürdigen Anschauungsunterricht für diese Dinge bekommen. Da spricht ein Mann in einer entfernten Stadt und durch das Radio hören wir deutlich die Stimme dieses Mannes und verstehen auch seine Worte. Wenn nun hier gesagt wird, dass diesem Bild noch ein Geist gegeben werde, dann liegt die Annahme nahe, dass auch noch spiritistische Kräfte am Werk sein werden. Jedenfalls geben uns diese Aussagen der Schrift eine Erklärung davon, was wir unter dem Gräuel der Verwüstung zu verstehen haben.

Der Herr behält den Sieg

Der Herr aber behält den Sieg. Das Gericht über den Antichristen und sein ganzes Wesen ist beschlossen, d. h. es liegt im Plane Gottes. Die Hölle kann sich nicht gegen den Herrn behaupten. Offb 19 und Offb 20 schildern uns den Sieg Christi über Satan, den Antichristen und den falschen Propheten. Nicht unbedeutend ist in der Politik die Frage der Zukunft des nahen Orients. Der Judenstaat ist wohl das einzige positive Ergebnis des Friedensvertrages von Versailles. Was die nächsten Jahre uns bringen werden? Wir können es ruhig abwarten. Von der hohen Warte des prophetischen Wortes Gottes in unserer Bibel aus können wir nüchtern die Weltereignisse beurteilen. Wir wollen es aber nicht vergessen, dass wir als gläubige Gemeinde in der Zwischenzeit zwischen dem ersten und zweiten Kommen des Herrn nicht auf die große Trübsal zu warten haben. Auch haben wir nichts auszurechnen. Wir haben nur die Aufgabe, unserm Gott zu dienen und zu warten seines Sohnes vom Himmel.

Lies weiter:
5. Der große Krieg, Dan 10-12