Bitte um volle Wiederaufrichtung Jerusalems - Jes 62:6-12

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aus HSA: Verkündiger von Gericht und Heil nach Jesaja (40-66) Bd.2


Bitte um volle Wiederaufrichtung Jerusalems - Jes 62:6-12

Es gibt bei uns Menschen, zumal in der heutigen Zeit, viel nervöse Hektik, unruhiges Gestriebensein, lärmende Ungeduld. Was aber hier die Verse Jes 62:6.7 ausdrücken (wie auchschon Jes 62:1) hat damit nichts zu tun; man könnte es eine "heilige Ruhelosigkeit" nennen, die darin begründet ist, dass Gott immer noch nicht am Ziel seines Heilsplanes angekommen ist - weder mit Israel (Röm 11:25.26) noch mit der Welt (1Kor 15:24-28). Gott aber strebt "ungeduldig" vorwärts. Es darf keinen Stillstand geben. Gott will weiterkommen mit Israel, mit seiner Gemeinde und mit der Welt. - Hier geht es um Israel, insbesondere um Jerusalem. Es soll endlich Gott zum Ruhm auf Erden dienen. Seine Bewohner sollen in Sicherheit leben können, sie sollen - innerlich wie äußerlich - Gottes Rettung und Erlösung erfahren.

Jes 62:6 gibt zu Fragen Anlass: a) Wer ist mit den genannten "Wächtern" gemeint? Und b) Warum soll man Gott "erinnern"? Kann der Allerhöchste etwa vergesslich werden? - Eduard König und andere denken bei den Wächtern an Engel. Dieser Gedanke findet eine Bestätigung in Dan 4:10 - Dan 4:14 - Dan 4:20, und noch im neuen, vom Himmel herabkommenden Jerusalem stehen auf (oder an) den Toren 12 Engel (Offb 21:12).- Dagegen denkt Franz Delitzsch mit Hinweis auf Jes 52:8 und Hes 33:7 an die von Jahwe bestellten Propheten. Er hat sie gleichsam auf die Mauern des wiedererstandenen Jerusalem gestellt. Von dort steigt Tag und Nacht ihr Mahnruf zu Jahwe empor und ergeht ihr Zeugnis an die Welt ringsum (vgl. Jes 21:11.12 mit Erklärung). - Auch E.F. Ströter bezieht den Text auf das "wirklich wieder erbaute, aber noch nicht völlig erlöste und begnadigte, zum Ruhme Gottes gesetzte Jerusalem. Nicht nur Engel und Propheten, alle Gläubigen dürfen und sollen den Herrn erinnern, "ihn also bei seinem eigenen Wort nehmen und ihm alle seine Verheißungen beständig vorhalten. Eine größere Freude kann man seinem Herzen wohl nicht machen." - Gott ist also keineswegs vergesslich geworden. Aber so, wie er unsere Bitten hören will (obwohl er längst weiß, wessen wir bedürfen), so möchte er auch unser Erinnern vernehmen, dass ihm zeigt, dass wir intensiv mitdenken und wie er selbst, am Fortgang der Heilsgeschichte und dem Erreichen seiner Heilsziele brennend und beständig interessiert sind.

In Jes 62:10 ergeht eine Aufforderung, deren Dringlichkeit wie in Jes 40:1 - Jes 52:1 - Jes 52:11 - Jes 57:14 durch die Verdoppelung der Worte ausgedrückt ist. Ströter sagt: "In den ruhigen Gang der prophetischen Rede bricht mit einem Mal das gebietende Machtwort des Herrn hinein, in welchem sich gewissermaßen die Energie seines heiligen, erlösenden Wollens verkörpert. Seine Verheißung wird zur Tat; die Weissagung wird Wirklichkeit, die Gesichte werden Geschichte."

Doch an welche geschichtliche Situation ist hier zu denken? - Es ergeht hier wohl nicht wie in Jes 48:20 eine Aufforderung, Babel zu verlassen, denn der Text lautet nicht wie dort "Zieht aus", sondern "Zieht hinüber". Die Worte könnten an die übrig gebliebenen Bewohner Jerusalems gerichtet sein (E. König) oder an die schon wieder in Jerusalem Wohnenden, die den noch zu erwartenden Exilierten den Weg bahnen sollen. "Sie sollen... ihren Volksgenossen entgegengehen (und ihnen) den Weg zum Heiligtum zeigen, sie einladen und ihnen das aus dem Weg räumen, was sie am Betreten der Stadt Gottes hindert" (D. Schneider). Man kann auch (mit Knautzsch) an "die Bewohner der Städte, die am Wege der Heimkehrenden liegen", denken. Wie auch immer - es geht um einen gebahnten Weg nach Jerusalem hinein.

Jes 62:10-12 erinnern an Jes 40:2.3 - Jes 40:10, doch ein Unterschied könnte darin liegen, dass in Jes 40 an den Aufbruch aus Babel, in Jes 62 aber an die Ankunft in Jerusalem gedacht ist. Das Ganze ist aber mehr als eine Volksbewegung, es ist ein Handeln des rettenden Gottes. Jahwe selbst kehrt nach Zion zurück (Jes 52:8). Sein Lohn ist bei ihm und seine Vergeltung vor ihm (Jes 40:10 und Jes 62:11), dies bedeutet Gnade und Gericht, die immer in seinem heilsgeschichtlichen Handeln beisammen sind und zusammenwirken: Gnadenlohn für die Treuen und Straflohn für die Feinde und Abgefallenen. Auch erinnert unser Text an Jes 35:10 - das Wort der Heilsfreude, das in Jes 51:11 wiederholt wird.

"Bis ans Ende der Erde" soll die Kunde erschallen, sagt Jes 62:11. Dabei dürfen wir an die heutige Zerstreuung der Israeliten denken. Sie ist geschehen bis an die Enden der Erde. Doch derselbe Gott, der sein verschlepptes Volk aus Babel zurückholte, bringt es auch aus allen Völkern wieder heim in sein Land. Dies erleben wir in unseren Tagen.