Und vergib uns unsere Schuld

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Abschrift des Heftes: "Das Vaterunser“
von Friedrich Malessa, Samplatten (Ostpr.)

Philadelphia Buchhandlung August Fuhr, Reutlingen, 2. Aufl. 1952

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Inhaltsverzeichnis

Das „Vaterunser" in erbaulicher und prophetischer Deutung

6. Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern

A. In erbaulicher Deutung

Das göttliche Interesse um das Leibesleben ist groß. Und doch nur so groß, dass es mit einer Bitte angetan ist. Das geistliche Leben ist Zweck; das leibliche Leben nur Mittel zum Zweck. Darum führt die fünfte Bitte ins volle geistliche Leben. Mit der vorhergehenden Bitte soll der Mensch zum gottgefälligen Selbstbewusstsein geführt werden, um bei dieser Bitte zum echten Gottesbewusstsein zu gelangen. „Ich ermahne euch nun liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen möget, welches da sei der gute, wohlgefällige und vollkommene Gotteswille“ (Röm 12:1.2). Das Heil Gottes will den ganzen Menschen erfassen, um ihn dann auch ganz gebrauchen zu können. Das Heil ist personell, dann aber auch universell.

Dass die fünfte Bitte die Schuld behandelt, ist eine konsequente Folgerung. Denn das Fleischesleben, auf das die vierte Bitte hinweist, ist das Wohngebiet der Schuld. Im Fleischesleben findet die Schuld ihren höchsten Ausdruck. Da ist sie beheimatet Die Beseitigung der Schuld ist darum erste und höchste Notwendigkeit. Andernfalls kann das Leibesleben nicht in den Heilsdienst gestellt werden. Das Leibesleben muss erst unter die Herrschaft des Geisteslebens.

Die Grundhaltung und Grundrichtung des geistlichen Lebens wird in der fünften Bitte behandelt. Drei Merkmale sind zu beachten:

  1. Schulderkenntnis
  2. Schuldbekenntnis und
  3. konsequente Schuldbereinigung.

Schulderkenntnis

Schulderkenntnis geht voraus. Sie ist noch keine geistliche Haltung, aber eine geistliche Einwirkung. Ohne Wirkung kein Resultat; ohne Eingebung keine Erhebung. „In deinem Licht sehen wir das Licht“. Um dieses zu erlangen, legt Jesus uns die Bitte in den Mund: „Und vergibt uns u n s e r e Schuld.“

Unendlich schwer ist es, die eigene Schuld zu begreifen. Der Mensch ist von Natur um seiner selbst willen geneigt und gewillt, nur das zu sehen, was vor Augen, d. h. was des anderen ist. So wie er mit dem fleischlichen Auge vieles um sich, aber wenig an sich und gar nichts in sich sieht, so auch mit dem geistlichen Auge. Jesus hat große Veranlassung zu der Mahnung: „Was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?“ (Mt 7:3). Das ist des alten Versuchers höchster Gewinn, wenn er den Menschen zur Abwälzung seiner Schuld auf andere bewegen kann. So war es schon im Paradiese. „Das Weib, das du mir zugesellet hast, gab mir von dem Baum, und ich aß. - Die Schlange betrog mich also, dass ich aß“ (1Mo 3:12.13).

Das Nicht-erkennen-wollen der eigenen Schuld ist nicht nur eine der größten Lügen, sondern auch eine neue, unübersehbare Schuld. Wohin führt die Schuldabwälzung? Zum letzten, der auf seinen mehr die Schuld abschieben kann, zu Gott! - Das ist die größte Schuld, dass der schuldige Mensch Gott für schuldig erklärt. Und wenn der Mensch seine Schuld auf andere schiebt, verneint er sie und begeht damit ein grobe Lüge. Schuldverneinung ist die größte Verschuldung!

In der heutigen Zeit werden mehr den je die Schuldigen gesucht. Sie sind trotz ernstes Suchens nicht zu finden. Warum? Weil die Schuldigen immer die „anderen“ sind. Die „anderen“ sind aber unfassbar, weil sie auch die „anderen“ meinen. So werden die Schuldigen gesucht. Suchen der Schuldigen häuft Schuld auf Schuld. - Wo mögen wohl die Schuldigen sein, die die Riesennot der ganzen Weltgeschichte auf ihrem Gewissen haben? Sind sie überhaupt zu finden? Nein, weil die Schuldsucher nicht beten: Vergib uns u n s e r e Schuld.

In der Schuldfrage ist es höchst ratsam, von der Mehrzahl zur Einzahl überzugehen, damit man beten kann: Vergib mir m e i n e Schuld. Die persönliche Schuld muss erst erkannt werden. Denn die Gesamtschuld ist nur die Summe der persönlichen Schuld. Ohne persönliche Schuld gäbe es keine Gesamtschuld. Das von Jesus in der Mehrzahl gebrauchte Wort „unsere Schuld“ schließt das in der Einzahl notwendige Bekenntnis „meine Schuld“ nicht aus, sondern ein. Alle sind gemeint. Alles sind aber persönlich gemeint. Niemand darf sich anschließen. Jedermann hat persönlich mit seiner Schuld vor dem unbestechlichen Gott zu stehen.

Schuld ist Not! Der Notleidende muss seine Not erst begriffen haben. Dann erst wird er die Hilfe des Retters in Anspruch nehmen. Ohne Noteinsicht ist die Inanspruchnahme der Hilfe nicht möglich. Nur der „Notleidende“ streckt seine Hand aus und ergreift die Hilfe. „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen“ (Ps 50:15). So hängt alle Hilfe von der persönlichen Schulderkenntnis ab. Schulderkenntnis ist die Einleitung der Schuldbefreiung. „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. So wir aber unsere Sünden bekennen ....“ (1Jo 1:8.9)

Schuldbekenntnis

Schulderkenntnis führt zwangsläufig zum Schuldbekenntnis. Zwangsläufig! Denn wirklich erkannte Schuld ist untragbar; sie ist wie Feuerpein. „Denn da ich’s wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein täglich Heulen. Denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, dass mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird. Darum bekannte ich dir meine Sünde, und verhehlte meine Missetat nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen. Da vergabst du mir die Missetat meiner Sünde“ (Ps 32:3-5). Es haben sich schon viele Schuldner freiwillig dem Richter gestellt, weil sie lieber im Urteil des Richters, als im Gericht der Schulderkenntnis stehen wollten. Echte Schulderkenntnis ist ein Trieb, dem niemand widerstehen kann. Dieser Trieb bleibt, bis er entkräftet wird im Bekenntnis. Schuldbekenntnis ist selige Entspannung. Schuldbekenntnis ist der Eingang ins Wonneland. Schuldbekenntnis leitet Erlösung ein, ja ist Anfang der Erlösung.

Konsequente Schuldbereinigung

Bekenntnis ist Einleitung der Erlösung. Denn Bekenntnis stell vor den Schuldtilger, vor Gott! Gott aber wird nur b e k a n n t e Schuld vergeben. Er bewirkt Erlösung durch Christus. So ist Erlösung und Versöhnung die wunderbare Gottesantwort auf die brennende Frage der bekannten Schuld.

Der bekennende Schuldner steht vor Gott in der Erlösung und Versöhnung. Er hat dieses einzigartige Erlebnis für sich und - für andere. „... von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen“ (Joh 7:38). Darum die Bitte mit der Ergänzung: „Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Es folgt die konsequente Schuldbereinigung insgesamt. Die Versöhnung offenbar ihr Grundwesen sowohl in den himmlischen, wie auch in den irdischen Sphären. Versöhnung ist absolut ihr Grundwesen sowohl in den himmlischen, wie auch in den irdischen Sphären. Versöhnung ist absolut und umfassend; sie kann nur voll oder gar nicht sein. Besteht die Versöhnung des Menschen zu Gott hin, dann besteht sie gleichzeitig auch zu den Menschen hin. Übrigens hat die Versöhnung immer die Richtung von oben nach unten, denn sie kommt von Gott. „Wer da saget, er sei im Licht, und hasset seinen Bruder, der ist noch in der Finsternis. Wer seinen Bruder liebet, der bleibet im Licht, und ist kein Ärgernis bei ihm. Wer aber seinen Bruder hasset, der ist in der Finsternis, und wandelt in der Finsternis, und weiß nicht, wo er hingehet; denn die Finsternis hat seine Augen verblendet. - Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben kommen sind; denn wir lieben die Brüder. Wer den Bruder nicht liebet, der bleibet im Tode. Wer seinen Bruder hasset, der ist ein Totschläger; und ihr wisset, dass ein Totschläger hat nicht das ewige Leben bei ihm bleibend. Daran haben wir erkannt die Liebe, dass er sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen. - So jemand spricht: Ich liebe Gott, und seinen Bruder nicht liebet, den er siehet, wie kann er Gott lieben, den er nicht siehet?“ (1Jo 2:9-11; 1Jo 3:14-16; 1Jo 4:20). Das Wunderbare ist, dass Menschen unter den Menschen Träger der Versöhnung werden.

Vergebung ist Schuldtilgung

Freilich hat die Schuldvergebung unter den Menschen die Schuldvergebung Gottes zur Voraussetzung. Nur wer Vergebung hat, kann vergeben, nur wer beglückt ist, kann beglücken.

Wer aber Vergebung erlangt und nicht bereit ist zu vergeben, der hebt seine erlangte Vergebung auf, weil er durch die Nichtvergebung eine neue Schuld heraufbeschwört. Vergebung ist Schuldtilgung. Nichtvergebung ist Schuldbewahrung. Schuldbewahrung ist aber Teufelswerk. Wer also die Schuld bestehen lassen will, steht im Dienste des Teufels und rechnet mit der eigenen Vergebung vor Gott nicht. Gott ist bereit zu vergeben, sofern seine Vergebung als vollgültig erkannt und bekannt wird. Wer das Vollmaßwesen der Vergebung Gottes nicht annehmen will, hat nicht das Recht, sie zu beanspruchen. Wer die Vergebung Gottes kürzen will, verschuldet sich an Gott.

Willst du Vergebung deiner Schuld, dann bete im Glauben: Vergib mir meine Schuld. Vergiss aber auch nicht gleichzeitig bei aller Wahrhaftigkeit zu beten: Wie auch ich vergebe meinen Schuldigern.

B. In prophetischer Deutung

Bei der Totalschau ist die Erkenntnis der Schuld von größter Wichtigkeit. Denn die Schuld ist die Ursache aller Not. Andererseits ist die Freiheit von der Schuld die Ursache aller Seligkeit. Die Schuld ist darum der markanteste Faktor aller Weltzeiten und aller Weltverhältnisse.

Wir wollen bedenken, dass die ganze Bibel nur ein Thema kennt: Erlösung durch Christus! Was ist Erlösung? Lösung von Schuld. Erlösung ist notwendig, weil die Schuld vorhanden ist. So ist mit dem Erlösungsthema auch das Schuldthema gestellt. Die Bibel hat das Doppelthema: Unsere Schuld und seine Huld! Wer darum ernstlich besorgt ist um die Darstellung der Erlösung, der muss mit gleichem Ernst besorgt sein um die Klarstellung der Schuld. Die Schuldklarstellung geht dabei noch voraus. Denn Erlösung kommt nur da infrage, wo die Schuld herausgestellt ist. Diese Tatsache wird vielfach ganz übersehen. Man spricht von der Erlösung und verschleiert die Schuld. Darum die vielfache Kraftlosigkeit der Erlösungslehre.

Der Anfang der Schuld

Um die Schuld in ihrer Schwere begreifen zu können, ist es notwendig, sie im Anfang, Fortgang und Ende zu erkennen. Wo ist die Schuld am Anfang? Nicht im Paradiese, denn sie bestand da schon in dem Schluldträger, dem Teufel. Die Schuld im Paradiese ist nur „wieder-geboren“. Leider ist die Schuld nicht nur ein harmloses Vergehen, das mit einem kleinen Griff beseitigt werden könnte. Die Schuld ist nicht nur sachlich, sondern auch höchst persönlich. Sie findet ihre Verkörperung im dem alten Widersacher. Er ist der große Gegenspieler des himmlischen Vaters, und lässt ebenfalls mit seiner Vaterschaft die Schuld immer neu geboren werden. „Er ist ein Lügner und ein Vater derselben.“ Auch diese Vaterschaft wird gekrönt durch die entsprechende Kindschaft. „Ich rede, was ich von meinem Vater gesehen habe; so tut ihr, was ihr von eurem Vater gesehen habt. - Ihr tut eures Vaters Werke. - Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollt ihr tun. Derselbe ist ein Mörder von Anfang, und ist nicht bestanden in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem Eigenen; denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben.“ (Joh 8:38-44). Lies auch Mt 13:38. „Das ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend Böses muss gebären.“

Das ist die große Tragik, dass die Schuld eine Vatersacht, demzufolge auch eine Wiedergeburt und Kindschaft hat. Darum ist die Schuldbeseitigung wahrhaftig nicht so einfach. Solange die Schuld-Vaterschaft besteht, ist die Überwindung der Schuld-Kindschaft nie restlos möglich. Solange eine Quelle vorhanden ist, besteht auch der Fluss. Erst muss der Vater der Schuld beseitigt werden, dann erst kann die immer neue erstehende Schuld restlos verschwinden. Heilszeitlich gesehen wird dieses im Tausendjährigen Reich beginnen. Satan wird gebunden, d. h. sein Einfluss wird beseitigt. Die segensreiche Folge wird sein: „Alle Heiden werden kommen.“

Wo hat also die Schuld ihren Anfang? Im „Vater der Lüge“. Zeitlich gesehen ist der Anfang nicht festzustellen. Die Bibel sagt uns darüber nur, dass der „Mörder von Anfang“ schon vor den Menschen war.

Worin mag wohl ursprünglich die Schuld bestanden haben? Wahrscheinlich in dem merkwürdigen Anspruch, der vom Teufel später den Menschen erstrebenswert gemacht wurde: „Ihr werdet sein wie Gott!“ Dieser Größenwahn, diese Selbstsucht, dieser Ich-Wille ist und bleibt die Grundlage aller Schuld. - Der Ich-Wille ist durchaus göttlich, solange er Gott allein eigen ist. Sofern ihn aber außer Gott noch andere haben wollen, wird er teuflisch. In dem Augenblick, als Luzifer (Lichtträger) den Anspruch auf die Gottheit erhob und neben dem Gott-Sein mindestens das Götter-Sein verlangte, erstand die Schuld, die beseitigt werden muss, sofern Gott Gott blieben soll. Schuld ist also der Anspruch, Gott gleichgestellt, oder sogar überstellt zu sein, ihn nicht mehr als Herr anerkennen wollen, um selbst Herr zu sein. Schuld ist Autoritätsverneinung, Gottverneinung, Auflehnung gegen Gott!

Der Fortgang der Schuld

Der Fortgang der Schuld, der in der ganzen Weltgeschichte nicht nur Spuren hinterlassen, sondern sie auch restlos geprägt hat, ist für die festgestellte Schuldgrundlage die deutlichste Bestätigung. Was besagt der Ungehorsam der ersten Menschen im Paradiese? Gottauflehnung! Was bedeutet der Brudermord des Kain? Gottauflehnung! Was beweist die Entwicklung der ersten Menschheit bis zur Sintflut, die gekennzeichnet ist mit den Worten: „Die Menschen wollen sich von meinem Geist nicht mehr strafen lassen!“? Gottauflehnung! Was stellt der Turm zu Babel dar? Gottauflehnung! Was besagt die ganze Geschichte Israels mit dem „Tanz um das goldene Kalb“ und mit dem Ausspruch: „Wir wollen nicht, dass er über uns herrsche!“? Gottauflehnung! Was ist der glühende Eier der gegenwärtigen Menschheit? Gottauflehnung! Welches ist der Beweggrund des Endkampfes des „Menschen der Sünde“ gegen Christus? Gottauflehnung! Wie heißt der Antrieb für den für die Gottgegner aussichtslosen Kampf von „Gog und Magog“? Gottauflehnung. Welcher Grund bringt den Teufel und seinen Anhang schließlich in den Feuersee? Gottauflehnung.

Das Ende der Schuld

Damit ist auch schon das Ende der Schuld angezeigt. Gericht! Gericht, wie wir es in seiner Schwere jetzt nicht begreifen können. Doch es bleibt dabei: Die Schuld endet im Gericht!

So haben wir den Urschuldner und den Urschuldträger mit der grauenhaften Urschuld festgestellt, der charakterisiert ist mit den wenigen Worten: „Vater der Lüge, Mörder von Anfang“. Damit ist aber unsere Bitte: „Und vergib uns u n s e r e Schuld“, noch nicht geklärt. Merkwürdigerweise beten wir um die Vergebung u n s e r e r Schuld, nicht des Teufels Schuld. Ist das noch eine Extra-Schuld außer der teuflischen? Ja, weil wir nicht sündigen mussten, sondern sündigen wollten. Nur mit freier Entscheidung ausgestattete Wesen können schuldig werden. Der Mensch war frei und - sündigte. Bis dahin bestand nur eine teuflische Schuld, keine kreatürliche: „Sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit ohne ihren Willen, sondern um deswillen,der sie unterworfen hat, auf Hoffnung“ (Röm 8:20). Nun aber erstand die Doppelschuld, die teuflisch-menschliche Schuld!

Gott zum Bilde waren wir erschaffen mit der erhabenen Bestimmung, sich selbst und alle Kreatur unter die absolute Herrschaft Gottes zu führen. Was haben wir vollbracht? Wir haben uns und alles uns Anvertraute dem Teufel ausgeliefert. Schuld! Unsere Schuld! Wir haben sie gewollt!

Unsere Schuld steht im Vordergrund; des Teufels Schuld steht im Hintergrund. Des Teufels Schuld ist mit der unseren zwar wesensgleich, hat aber ein andere Phase. Unsere Schuld ist die nächstliegende, darum für uns die Hauptschuld. Ihre Beseitigung ist brennende Notwendigkeit. Darum sehnt sich die ganze Kreatur nicht nach der Beseitigung des Teufels, sondern zuerst nach der Offenbarung der Kinder Gottes, d. h. nach der Freiheit aus der letzten Schuld - unserer Schuld (Röm 8:21). Die Freiheit aus des Teufels Schuld ist eine Sache für sich. Sie ist „vollbracht“, und zwar auf Golgatha und wird in ihrer Endgültigkeit noch offenbar werden. Des Teufels Schuld steht für uns jetzt im Hinter-Grund. Der Einbruch des Heils trifft gegenwärtig den Vorder-Grund, - unsere Schuld.

Unser Schuld muss jetzt beseitigt werden. Diese Verpflichtung lastet au uns wie Bergeslast. Wehe dem, der sich ihrer Verpflichtung entzieht. Leider tut man das, indem man jemandes Schuld sucht, oder die Schuld überhaupt bagatellisiert. „Wenn es eine Schuld gäbe, dann besteht sie in der Lehre von der Schuld.“ Ist durch Schuldverneinung die Schuld etwa beseitigt? Nicht beseitigt, aber wesentlich verschärft. U n s e r e Schuld ist turmhoch geworden und hat zur Folge die ganze Weltnot. Der Beseitigung der Weltnot muss die Beseitigung unserer Schuld vorausgehen.

Und vergib uns unsere Schuld

Wie kann das geschehen? Durch Vergebung! „Und v e r g i b uns unsere Schuld.“ Wie geht das vor sich? Indem die Schuld vergessen wird? Nein, denn das Vergessen ist nicht möglich, sonderlich bei Gott! Vergeben wird uns die Schuld durch die Sühnung, Bezahlung. „Am Ende der Welt ist er einmal er schienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben“ (Hebr 9:26). Wir denken an das vorher Gesagte: Schuld endet im Gericht. Jesus ging für uns ins Gericht. Golgatha it der Gerichtsort. Wohl dem, dessen Schuld im Christusgericht, im Golgathagericht, im Geistesgsericht geendet. „So euch nun der Sohn frei machet, so seid ihr recht frei. - So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich. - Wer mein Wort höret und glaubet dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“ (Joh 8:36.51; Joh 5:24). Wer aber mit seiner Schuld nicht im Christus-Gericht endet, der endet mit ihr im Todes-Gericht (Hebr 9:27).

Damit ist unsere Bitte noch nicht erschöpft. Es folgt die zweite Hälfte: „Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ (Hebr 9:14 deutet an, welchen Zweck die Vergebung hat; „Zu dienen dem lebendigen Gott.“ Gott dient uns in Christus mit der sühnenden Vergebung. Diesen Dienst übernehmen wir. Auch wir üben Vergebung, sühnende Vergebung. Bei der Vergebung muss Sühne vorhanden sein, nicht nur Vergessen. Sühne wird aber nicht vom Schuldner getätigt, sondern vom Vergeber. Dann erst ist die Vergebung echt. Damit ist nicht gesagt, dass der Mensch seine materiellen Schulden nicht abzutragen braucht. Das sind Sachschulden und liegen auf den Gebiet der Verpflichtung. Es gibt aber vielmehr Lebensschulden, die sind unabtragbar und können nur vergeben werden. Wer z. B. eine Beleidigung ausspricht, ist bei dem Beleidigten schuldig geworden. Diese Schuld kann nicht abgetragen, sondern nur vergeben werden. Die Vergebung kann aber nicht der Schuldige aussprechen, er kann sie nur empfangen.

Vergebung wiederum erfordert die Herablassung bis auf die Stufe des Schuldners, bedeutet Einsatz seiner selbst, bedeutet Opfer der Liebe. Dieses Liebes-Opfer sühnt die Schuld. Das ist weit mehr als ein Vergessen der Schuld. Vergessen verschleiert, sühnendes Vergeben beseitigt.

So hat Gott durch den Liebeseinsatz seines Sohnes unsere Schuld sühnend vergeben. So sollen auch wir unseren Schuldigern durch den Selbsteinsatz der Liebe sühnend vergeben. Sofern wir aber nicht vergeben, wird unsere Vergebung vor Gott aufgehoben, weil unsere Nichtvergebung vor den Menschen eine nichtvergebene Schuld vor Gott ist.

Warum besteht in der Welt so viel Nichtvergebung, und daraus so viel Gegensätzlichkeit? Weil man nicht bereit ist, wie Gott, durch das Liebes-Opfer die sühnende Vergebung zu tätigen. Man will bestenfalls die Schuld vergessen. Das bringt nichts ein. Vergessene Schuld ist eine mit einem Schleier verdeckte Schuld, die bleibt, weil sie beim „genauen Hinsehen“ feststellbar ist. Vergebene Schuld ist beseitigt und ist nimmer da! Nur die sühnende Vergebung, wie sie Gott an uns übt, und wie wir sie untereinander üben sollen, kann den Frieden bringen, der höher ist denn alle menschliche Vernunft (Joh 14:27).

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7. Und führe uns nicht in Versuchung