Das Ziel der Todesüberwindung

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Abschrift des Buches: Das Los der Toten
(gänzlich umgearbeitete Neuauflage von Auferstehung des Fleisches)

Verfasser: Pastor Samuel Keller
Verlag der Vaterländischen Verlags- und Kunstanstalt, Berlin 1913

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor:
8. Folgen der Leugnung der Auferstehung

9. Das Ziel der Todesüberwindung

1Kor 15:20-28

(20) Nun aber ist Christus auferweckt worden von den Toten, als Erstling der Entschlafenen. (21) Denn da durch einen Menschen Tod, so ist auch durch einen Menschen Totenauferstehung gekommen. (22) Denn gleichwie in Adam alle sterben, so werden auch in Christo alle lebendig gemacht werden. (23) Ein jeder in seiner Ordnung; als Erstling Christus; dann die Christo angehören in seiner Wiederkunft. (24) Danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergibt, wenn er jegliche Gewalt und Macht vernichtet haben wird. (25) Denn er muss königlich herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. (26) Als letzter Feind wird der Tod aufgehoben. (27) Denn alles hat er unter seine Füße gelegt. Wenn er aber sagt, dass ihm alles unterworfen ist, so ist offenbar der ausgenommen, der ihm alles unterworfen hat. (28) Wenn er ihm aber alles wird unterworfen haben, dann wird auch der Sohn selbst sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, auf dass Gott sei alles in allen.

Unter dem Druck der Vorstellungen von 1Kor 15:12-19 war es den Apostel selbst schwer aufs Herz gefallen, - wenn es so wäre! - und darum spürt man geradezu, wie er aufatmet bei dem „Nun“ des 1Kor 15:20. Nun aber ist das alles ja nur Traum und Alpdruck falscher Voraussetzungen, und die Sonne scheint wieder: „Christus ist auferweckt von den Toten!“ Da blitzt es wieder durch, dass der Apostel immer nur die leibliche Auferstehung im Auge hat: denn dem Geiste nach hat Christus nie zu Toten gehört!

Das Wort „Erstling“ verrät den Israeliten. Er mahnt, an den 16. des Monats Nissan zu denken (1. Ostertag der Juden), wo man den Anbruch der Ernte, die Erstlingsähren vor dem Beginn der eigentlichen Getreideernte in den Tempel brachte. So ist Christus der Anfang und Anbruch der ganzen Lebensernte, die, auf dem Felde der Menschheitsgeschichte reif geworden, zum Vater gebracht wird. Außerdem kann man für die nächsten Verse schon den Klang der Wesensgemeinschaft zwischen Christus und uns heraushören: Die Erstlingsähre war ja auch Getreide, wie nachher alle anderen Ähren!

Jesus der Erstling aus den Toten! So wie er ist noch nie einer von den Toten auferstanden! Die andern Menschen, die vom Tod aufgeweckt wurden, kehrten in ihren alten Leib zurück und mussten später doch sterben. Das an ihnen geschehene Wunder hatte keine eigentliche Beziehung zum Fortschritt der Heilsgeschichte für die ganze Menschheit. Henoch wurde der Tod erspart; Moses ist nur ohne menschliche Zeugen gestorben und begraben; Elias im Wettersturm von der Erde genommen. Jedenfalls ist vor Jesus niemand im eigentlichen Sinn unseres Zusammenhanges auferweckt worden. Bis zu Jesu Auferstehung galt Feuerbachs Wort: „Der Tod ist der große Erbe aller Dinge“, - bis dahin glich der Tod der Höhle des Löwen, in die viele Spuren hineinführen, aber keine heraus. Jesus ist zuerst mit einem neuen, verklärten Leib aus der Todeshöhle wieder hervorgekommen.

Bis auf Jesus hatte es eine Reihe von Stufen in der Naturentwicklung gegeben. Vom Unorganischen der toten Welt der Steine und Stoffe war es aufwärts gegangen zur ersten Lebensstufe der Pflanzenwelt; dann kam das Tierleben, das sich aus den beiden vorigen Stufen ernährte und sie bis zu einem gewissen Grad beherrschte. Eine Stufe höher stand das persönliche selbstbewusste Menschenleben, das alle niederen Naturkräfte benutzte, und eine Geistesherrschaft über den Stoff errungen hatte, dass derselbe Ausdruck der Gedanken des Menschen werden musste. Man denke an die Künstler, der dem spröden Marmor seine Seele einhaucht, oder toten Saiten die ergreifendsten Töne entlockt. Und diese Stufe war seit über viertausend Jahren erreicht, und damit schien die Entwicklung stehen geblieben zu sein, weil menschliche Sünde der Naturbeherrschung eine Grenze gezogen hatte. Der Tod forderte doch an seiner Zollschranke unerbittlich seinen Tribut.

Die neue Ordnung durch Jesus

Das wird durch Jesus anders. Schon auf Erden nahm Jesus eine andere Stellung zu der ihn umgebenden niederen Natur ein: die Verklärung, das Wandeln auf dem Meer und mehrere seiner Naturwunder zeigen, wie anders sein Geist den Stoff beherrschte! Das wird durch seinen Tod und seine Auferstehung auch mit seinem stofflichen Leib noch auf eine höhere, vollendete Stufe gehoben, wie es nie früher gewesen war. Jetzt ist eine neue Ordnung, eine neue Gesetzmäßigkeit, durchgebrochen: im Augenblick, wo wir hier reden, gibt es ein verklärten Menschenwesen (Fleisch und Blut ganz im Dienst und Licht des Geistes Gottes!) in der unsichtbaren Welt. Ich scheue nicht vor dem Ausdruck zurück: das ist Verklärung des Fleisches! Daher wird auch, wie wir noch später des Näheren ausführen wollen, den Ausdruck im Glaubensbekenntnis „Auferstehung des Fleisches“ um keinen Preis durch irgendeinen anderen ersetzen lassen wollen! -

Und nun geht der Gedankengang des Apostels in dieser Richtung weiter: Wie Christus auferstanden ist, ist noch keiner auferstanden; aber wie er sollen aller Entschlafenen auferstehen (1Kor 15:21-22). Das hat er schon mit dem Ausdruck „Erstling“ vorausgenommen und führt es jetzt aus. In und durch Christus wird das Rätsel der Weltgeschichte gelöst und der Zweck der ganzen Schöpfung erst erreicht.

Ehe wir die großartigste Partie nicht nur dieses Kapitels oder dieses Briefes, sondern vielleicht der ganzen paulinischen Verkündigung näher würdigen, muss noch vorausgeschickt werden, dass der ungläubige, bibelfremde Weltmensch hier vergeblich nach dem leisesten Schatten von Vernunftbeweisen suchen wird, die ihn überzeugen könnten. Paulus schreibt nur für Leute, die mit ihm auf dem gleichen Grund des selbst erfahrenen Heilsglaubens stehen. Er sagt auch nicht, dass die ganze wunderbare Auffassung (1Kor 15:21-28) der höchsten Zusammenhänge mit dem weitesten Ausblick auf den Abschluss der Menschheitsgeschichte, ihm durch eine besondere feierliche Offenbarung unmittelbar von Gott zuteil geworden sei, sondern schließt aus dem Tun Gottes und den anerkannten Schriftwahrheiten so ruhig auf die Zukunft, als wären das die selbstverständlichsten Dinge. Aus dem Wesen Christi und seines Werks muss dass alles folgen! Das nach Paulus richtig verstandene Christentum ist die Verwirklichung der letzten großen Pläne Gottes mit seiner Schöpfung! Hat die Auferweckung Christi auf dieser Linie eine unersetzliche, durch nichts überbietbare Aufgabe, so wird sie uns dadurch wieder auf eine neue Art beleuchtet und über allen Zweifel herausgehoben.

Wie in Adam - so in Jesus alle

1Kor 15:21.22 besagen: Tod und Auferstehung gehören zur göttlichen Ordnung, aber sie sind in die Menschheitsgeschichte hereingekommen. „So wenig das Sterben einem Menschen außer in der Ordnung zustoße, ebensowenig auch die Auferstehung, und zwar eben, weil das eine, und die andere durch einen Menschen gekommen sei.“ Gottes Gedanke mit der Menschheit war, dass sie einst teilhaben sollte an seinem ewigen Leben. Durch Sünde und Tod des ersten Menschen (woran alles seine Nachkommen teilhaben) war in diesem Gottesplan schon in Christo die Weiterführung des göttlichen Planes beschlossen, und so kam durch diesen neuen Menschen Erlösung und Auferstehung in die Welt. „Der Nerv der Beweisführung liegt darin, dass der Apostel alle Mensch in eben derselben allgemeinen und notwendigen Gemeinschaft mit Christo, wie mit Adam erkennt.“ Ich kann mich dem logischen Zwang dieses Satzes von Krauß nicht entziehen und doch sträubt sich mein christliches Gefühl etwas dagegen! Denn der Naturzusammenhang mit Adam ist doch etwas ganz anderes, als der Glaubenszusammenhang mit Jesus. Oder zielt Paulus hier auf die Wiederbringungslehre?

Wollen wir, um den Faden der paulinischen Darstellung nicht zu verlieren, den Gedanken ohne alle weiteren Konsequenzen stehen lassen, wie er sich aus dem Zusammenhang ergibt: Wie wir durch Adam alle sterben, weil wir durch das gleiche Blut mit dem Stammvater verbunden sind, so werden wir durch Christum alle wieder lebendig gemacht, weil er durch sein Blut unsere Art an sich nahm, und wir solche Wesensgemeinschaft mit ihm haben. An den Unterschied in der Wirkung des Lebendigmachens, - die einen zur Herrlichkeit und die anderen zum Gericht, - scheint Paulus hier nicht zu denken; darum gehen wir hier auch nicht weiter darauf ein.

Ein jeder in seiner Ordnung

1Kor 15:23: „Ein jeder aber in seiner Ordnung; als Erstling Christus, dann die ihm angehören in seiner Wiederkunft*). Als erster ist Jesus auferstanden, aber nicht zahlenmäßig, als einzelner losgelöst von der ganzen übrigen Menschheit, sondern als der Anbruch, der schon die Nachfolge der anderen andeutet. Dann kommt eine große Pause; in der befinden wir uns jetzt. Dann wird bei seiner ersten Wiederkunft eine erste Auferstehung von Toten geschehen, die in besonderer Weise ihm im Leben angehört haben. So peinlich manchem Ausleger diese Behauptung Pauli sein mag, so sehe ich nicht ein, wie man um eine solche Aussage in solchem Zusammenhang herumkommen kann. Da ist uns doch das Wort zu stark! Außerdem bestätigt die, sicher ein Menschenalter später geschriebene, Offenbarung Johannis (Offb 20:4-6) diese Lehre von der ersten Auferstehung.

*) Es erscheint aufmerksamen Bibellesern wie ein Widerspruch zu diesem Wort Pauli, dass Mt 27:51-53 erzählt: „Die Erde ward bewegt und die Felsen zerrissen und die Gräber wurden geöffnet, und viele Leiber entschlafener Heiliger wurden auferweckt. Und nach seiner Auferstehung aus den Gräbern hervorgegangen, kamen sie in die heilige Stadt und wurden vielen sichtbar.“ Heilige, sind nach dem neutestamentlichen Sprachgebrauch an Jesus gläubig Gewordene, Wiedergeborene. Solche gab es vor Pfingsten nicht. Außerdem setzt das unbestimmte „nach seiner Auferstehung“ den Zeitpunkt vom Abend des Karfreitags weg, auf den Ostermorgen. Daher möchte ich zur Lösung dieser Schwierigkeit, wenn man nicht mit manchen Auslegern diesen Bericht der „phantastischen Vergrößerung der Überlieferung“ zuschiebt, vorschlagen: 1. Unter diesen Heiligen müssen wir Leute wie Zacharias und Elisabeth, Simeon und Hanna, und ähnliche Stille im Lande verstehen, die im Glauben an die Messianität Jesu gestorben waren. 2. Ihre Erweckung war nicht diejenige mit dem neuen Auferstehungsleib, weil solche noch aussteht bis zu Jesu Wiederkunft, sondern eine Erscheinung, wie die des Samuel zu Endor, im Zwischenleib. 3. Das Ganze war ein Signal dafür, dass der, welcher „das Gefängnis gefangen führt“ (Eph 4:8-10), einen Umschwung in der unsichtbaren Welt bewirkt hat, - eine Erfüllung von Lk 19:40 - und ein Zeichen dafür, dass Gott, wenn man seinen Zeugen (Hebr 1:1-3) für das Erdenwirken mundtot macht, durch Tatsachen immer noch erschütternd reden kann.’'

Da haben wir schon die in den voraufgehenden Versen vermisste Scheidung zwischen wahren, und halben, oder ganz ungläubigen Christen. Es müssen, die hier gemeint sind, in besonderer Weise ihre Zusammengehörigkeit mit Christo dargetan haben. Ob nur Blutzeugen und wirkliche Reichsgottesarbeiter gemeint sind, von denen das Wort gilt, dass einst Paulus und Barnabas auf die Visitenkarte geschrieben wurde: „Menschen, die ihre Seele dahingegeben haben (Apg 15:26) für den Namen unseres Herrn Jesu Christi“ - ich weiß es nicht gewiss. Nur entsinne ich mich, dass mein seliger Vater mit großer Wärme von der ersten Auferstehung zu sprechen pflegte, und mich als jungen Pastor sehr ernst ermahnte, nicht nur damit mich zufrieden zu geben, "dass du wie ein nasses Hühnchen im letzten Augenblick aus dem Wasser gerissen, mit knapper Not selig wirst (1Kor 3:15), sondern dass du so ganz Christi Eigentum mit deinem ganzen Leben und Arbeiten werdest, dass du teilhast an der ersten Auferstehung.“ Wie oft habe ich daran denken müssen, wenn gewisse sentimentale Christen mit Emphase immer wieder betonten: „Wenn ich nur irgendwo auf dem letzten Platz sitzen muss! Wenn ich nur selig werde!“

Und hierauf das Ende

Ehe wir weiterlesen, wiederhole ich für solche Leser, die in den biblischen Gedankengängen nicht zu Hause sind, ganz kurz die bekannte Reihenfolge der einzelnen Stufen der Ereignisse.

  1. Abfall, Anfang der Wehen einer neuen Zeit:
  2. Katastrophen, Weltkriege, soziale Revolultion*), Antichristentum
  3. Jesu erste Wiederkunft, erste Auferstehung seiner Brautgemeinde, Hochzeit des Lammes, tausendjähriges Reich.
  4. Noch ein letztes Aufflammen alles Gegensatzes gegen Christum in der sichtbaren und unsichtbaren Welt, zweite Wiederkunft, jüngstes Gericht.
  5. Danach Weltverklärung und ewiges Leben auf der neuen Erde. -
*) Ohne irgendeine Zahl oder ein Jahr oder einen Zeitraum zu nennen, glaube ich doch, dass wir uns in dieser Epoche schon befinden.

Halten wir uns diese Kette von Stufen vor, dann fragt es sich, was der Apostel hier mit 1Kor 15:24 „Hierauf das Ende“ meint? Er denkt an das Ende der Menschheitsgeschichte, den letzten Akt: nach dem jüngsten Gericht übergibt Jesus die erlöste und wiedergewonnene Menschheit dem Vater. Dann liegt zwischen Jesu Auferstehung und diesem Ende ein langer Zeitraum, über den der Apostel hier bloß sagt, dass er damit ausgefüllt ist, dass Jesus jegliche Herrschaft und jegliche Gewalt, die ihm widersteht, überwindet und aufhebt. Das ist ein einzelner Gewaltakt, kein Staatsstreich, kein unpsychologisches Zerschmettern, keine gewaltsame Erdrosselung aller ihm widerstrebenden Meinungen und Persönlichkeiten in der Geisterwelt, sondern eine Geschichte des Krieges zwischen Jesu Reich und Satans Reich auf Erden und in der unsichtbaren Welt.

Der schon wiederholt herangezogene Kommentar von Krauß sagt an dieser Stelle, S. 112 u. 113:

„Nur das eine verschweigt Paulus nicht, dass eine ganze Weltentwicklung auch im Jenseits nicht aufhören wird, in der Kontinuität der diesseitigen Heilsaneignung zu stehen. Christus herrscht, bis der letzte Feind überwunden ist. Nicht von ihm überwunden, d. h. unerlöst, von der Gnade und Liebe Gottes nicht gezwungen, sterben viele Menschen. Überwunden sind sie erste, wenn Christus ihnen Mittler des Lebens geworden. Also muss sich seine Tätigkeit ins Jenseits hinein erstrecken, also auch die Auferstehung allen ohne Unterschied zuteil werden..... Daraus müssen wir schließen, dass, da auf der einen Seite Christus auch jenseits noch die Feinde überwindet und auf der andern nur die Christi sind, auferstehen, eben alle Menschen Christi werden sollen! Und damit hierüber gar kein Zweifel stattfinde, endigt die ganze Erörterung mit dem Satz, dass Christus am Ziel seiner Wirksamkeit angelangt, sich selber seiner Herrschaft zu begeben habe, damit Gott sei alles in allem, damit also überall keine religiösen Unterschiede mehr stattfinden, in der für dieselbe Bestimmung geschaffenen Ordnung.“

Krauß schießt meines Erachtens noch über Pauli Sinn hinaus. Aber ich quittiere dankbar die ausdrückliche Anerkennung des einen Faktors, dass sich Christi Tätigkeit ins Jenseits hinein erstreckt. Nehme ich einige andere Schriftstellen hinzu, so darf ich vielleicht im folgenden meine Anschauung als auf biblischem Grund entstandene, und in der gleichen Richtung weiterbauende Arbeitshypothese“ entwickeln.

Jesu Wirken heute

Apg 1:1 sagt Lukas von seinem Evangelium: „Die erste Rede habe ich zwar getan - von alle dem, was Jesus anfing, beides zu tun und zu lehren.“ Deutet er nicht damit schon an, dass er in der Apostelgeschichte fortsetzen will, zu schildern, wie Jesus fortfuhr, beides zu tun und zu lehren? Und man spricht ja heute noch gern von Taten Jesu in unseren Tagen. Dieses Tun Jesu erstreckt sich nicht bloß auf die Ereignisse, die man auf den sichtbaren Schlachtfeldern der inneren und äußeren Mission verfolgen und buchen kann. Wie auf Kaulbachs berühmten Bild „Die Schlacht auf dem katalaunischen Felde“ die soeben Gefallenen sich als Geister über den unten noch wogenden Kampf erheben, und ihn in der Luft fortsetzen, - so wird in der unsichtbaren Welt weitergekämpft.

Vergleichen wir hierzu Kol 1:16.19 sowie Phil 2:10 mit unserer Stelle, so wird die Anschauung nicht so phantastisch sein, dass die zweite Bitte im Vaterunser einem faktischen Notstand entsprungen ist. Wer herrscht denn jetzt noch, wenn wir beten müssen: Deine Königsherrschaft komme! - ? Wen will Jesus in der Herrschaft über die Menschen ablösen? Wer hat den Platz in den Herzen eingenommen, den Gott für Jesus bestimmt hat? Denken wir an die „begreifliche, aber so verhängnisvoll von einer geradezu unwillkürlichen Unglaubenstendenz beherrschte Wissenschaftsbegeisterung unserer Tage, auch an die politischen und sozialen Glanzgedanken nach allen Richtungen, welche die Geister fesseln, so sehen wir überall die Menschen wie Jagdgebiete schon längst an eine ganze Menge von Herrschaften vergeben.“ Wie mancher, der wie Nietzsche, Marx, D. F. Strauß, Darwin und ähnliche, in seinem Erdenleben eine Gedankenherrschaft über Menschen errungen hat, ist nun schon lange in der Geisterwelt und wie viele, die gedankenmäßig ihre Anhänger geworden waren, sind ihnen gefolgt. Es gibt da in der unsichtbaren Welt Zusammenhänge, organisierte Oberleitungen, Herrschaften, geniale Gewalten, die noch eine große Bedeutung für ihre Anhänger haben! Sollen alle jene Existenzen einfach vergewaltigt werden, oder will Jesus friedlich, durch innere Überzeugung, siegen? Dürfen wir hier aus der Art, wie Jesus hier auf Erden gegen seine erbittertsten Gegner kämpft, nicht einen bescheidenen Rückschluss auf seine Kampfmethode in der unsichtbaren Welt uns gestatten? Hier majorisiert, erstickt und übertrumpft er seine Feinde nicht, sondern er lässt sie ihre Trümpfe ausspielen und im offenbaren Sieg zuschanden werden. Das Lamm überwindet nicht durch Löwenkraft, sondern durch wehrloses Leiden und durch nicht übertriebene Liebe.

Arbeitet der Meister so weiter, - dann gilt das Wort auch seinen Dienern: Wo ich bin, soll mein Diener auch sein! Ich weiß, ich rede töricht und will meine Anschauung auch niemand aufzwingen, aber ich möchte an einem konkreten Beispiel zeigen, wie ich’s meine. Ein gläubiger Christ hatte auf Erden erbitterte Gegner, und hatte nicht immer mit mustergültiger Sanftmut sich mit ihnen herumgeschlagen. Jetzt ist er im Geisterreich, und viele seiner Gegner auch. Durch die Leiden, die sie ihm auf Erden angetan, hat er eine Art Anrecht auf ihre Persönlichkeiten für jene Welt bekommen, und darf jetzt Jesu Arbeit an ihnen unter ganz anderen Kampfbedingungen dort fortsetzen. Eins hat er schon ihnen voraus: dass sie überhaupt als bewusste Persönlichkeiten dort fortleben, zieht ihnen einen Hauptpunkt ihres Unglaubens unter den Füßen fort, und wird sie anders geneigt machen, auf ihn zu hören. Die Leute, die uns auf Erden vielleicht das bitterste Unrecht zugefügt haben, sind dann in besonderer Weise unser Arbeitsgebiet im Zwischenzustand. Gerade, was sie uns an Lieblosigkeit und Herzeleid angetan, das liefert sie uns dort in die Hände, damit wir fortfahren können, zu segnen, die uns verfolgt haben. Unser Name ist wie eine Besitzmarke auf solche Gegner geklebt! Und da sollten wir blindlings zürnen, wenn uns viele so unsäglich weh tun auf Erden! Wird auf der Erde im Fortschritt der Reichsgottesgeschichte oder der Entwicklung der Wissenschaft irgendein Gebiet besonders hell beleuchtet, worin sich jene Feinde Jesu einst am stärksten fühlten, und jetzt erweist sich, dass sie darin gröblich geirrt hatten, muss ihr Widerstand drüben erlahmen. Der Niedergang des Darwinismus in den Gelehrtenstuben der Gegenwart muss Darwins Geist drüben, in seinem Widerstand erschüttern, und er wird leichter zugänglich werden für eine Revision seiner christusfeindlichen Positionen! Dazu kommen immer neue Scharen auch gläubiger Geister hinzu und bezeugen, dass das totgesagte Christentum sich die Welt erobert! Jesus ist an der Arbeit durch seine Leute hier und dort, seine Feinde zu entwaffnen und zu überwinden! -

Früher ist Jesu Werk nicht abgeschlossen, als bis alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt sind. Damit ist nicht gesagt, dass er alle Gegner, auch dämonische oder teuflische, auf solche Weise innerlich gewonnen haben muss. Es mögen immerhin noch manche nachbleiben, denen wir nur ihre Menschenbeute abgejagt haben und die sich selbst doch in wahnwitzigem Trotz gegen jedes Nachgeben immer fester versteifen. - Was sich nicht innerlich hat überwinden lassen, muss aufgehoben, hinweggetan, - vernichtet worden sein.

Mir liegt in dieser lebendig-plastischen Vorstellung der Fortsetzung des Geisterkampfes und Treue auch im Verborgenen und Reinheit der Gesinnung. Sind wir nach jenem andern Wort Pauli diejenigen, die auf der Weltbühne vor den Augen der uns sichtbaren und unsichtbaren Zeugen, den Schaukampf darstellen (1Kor 4:9), gibt es für unsern sittlichen und religiösen Ernst die Zeugenschaft jener Wolke, von der Hebr 12:1 spricht, ist Eph 6:12 buchstäblich zu nehmen, dann besteht zwischen unsern Reichsgotteskämpfen auf Erden und jener Fortsetzung in der Geisterwelt mehr Wechselwirkung, als man sich im allgemeinen vorstellt. Die „Pforten der Hölle“ (Mt 16:18) sind doch sicher solche Oberleitungen*) der unsichtbaren Welt, die in das Geschick der Gemeine Jesu auf Erden hineinspielen. Vice versa! Ein Sieg Jesu, der auf Erden erfochten wird, erschüttert Tausende seiner Gegner im Hades und schafft dort Luft, während ein uns heute unbekannt bleibender Sieg Jesu in jenen Geisterkrieg plötzlich eine Segensquelle von neuem Mut, und neuen Anfängen den kämpfenden Jesusscharen auf der Erde zuführt. Da geht keine Kraft verloren und da ist nichts von Selbstverleugnung, Liebe und Gehorsam so gering, als dass es nicht der Sache Jesu mithelfen müsste zum großen Sieg. Wie werden uns da die kleinsten Gelegenheiten so groß und wichtig!

*) Man vergleiche den Ausdruck, womit sich merkwürdigerweise die türkische Regierung bezeichnet: „Die hohe Pforte“!

Der Tod ist eine Person

1Kor 15:26: Es mutet uns Japhetiten echt semitisch-orientalisch an, wenn Paulus (wie übrigens die Schrift sonst noch oft) den Tod als Persönlichkeit fasst. Vielleicht hat er damit nicht nur bildlich geredet, sondern in Wirklichkeit recht! Jedenfalls klingt unser Vers wie ein Gericht über einen persönlichen Gegner. Alle Wesen, welche je seine Beute geworden sind, - die ganze ungeheuerliche Bevölkerung des Totenreichs - , müssen ihm entrissen werden, und außerdem muss es ihm (wohl durch seine eigene Vernichtung Offb 20:14) unmöglich gemacht werden, neue Opfer an sich zu reißen. Wenn 1Kor 15:54 unseres Kapitels sich erfüllt hat, und die vergänglichen Leiber in unvergängliche verwandelt worden sind, gibt’s keinen Tod mehr. - Warum aber wird der Tod als der letzte Feind vernichtet! So lange es geistige und sittliche Urheber des Todes gibt („Alle, die mich hassen, lieben den Tod“, Spr 8:36), die noch nicht überwunden, beseitigt oder vernichtet sind, hat auch der Tod als Exekutor seine Befugnis und sein Existenzrecht. - Also zwischen der ersten Wiederkunft Jesu und dem letzten Gericht herrscht der Tod noch fort, - wenngleich nicht über die Priesterkönige Jesu, die durch die erste Auferstehung dem Machtbereich des Todes endgültig entnommen sind.-

Jesu ewiges Priestertum

1Kor 15:27-28: Jesus hatte vor Grundlegung der Welt eine, dem Vater untergeordnete Liebesstellung. Dann kam die Erlöserarbeit, wo Jesus von sich selbst sagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“. In solcher Vollmacht arbeitet er heute noch. Jetzt gilt noch sein Hohepriestertum, da es noch viel zu versöhnen gibt „auf Erden oder im Himmel“, Kol 1:20. Jetzt gibt’s noch Gnade und Vergebung! Wenn nach Gottes Ratschluss der Sohn das ganze Erlösungswerk ausgeführt hat, dann hört dieses ewige Priestertum auf, weil es nichts mehr zu versöhnen gibt. Was schließlich doch nicht würdig geworden (Lk 20:35), dass Herrlichkeitsreich zu erlangen, ist in den Gerichtsgluten weggeschmolzen; - es ist nichts übrig geblieben, was nicht Gott ganz unterworfen wäre. Bis dahin scheint der Vater ausgeschaltet (in Jesu Reden von seiner Wiederkunft auch!) zu sein; ist aber Jesu Werk vollendet, dann usurpiert dieser keine Sekunde die Ehre des Regenten für sich, sondern übergibt die wiedereroberte Provinz, die harmonisch gewordene Menschheit, dem Vater. Von einem Aufgeben seiner Existenz, einen Aufgeben in Gott ist nicht die Rede, wie manche gemeint haben, sondern nur die Beendigung seiner eigentlichen Rettungsarbeit ist gemeint. Weil wir Menschen dann im Vollsinn des Wortes ihm ähnlich, und Miterben Christi geworden sind, kann Gott selbst jetzt ungestörte Gemeinschaft mit der Welt seiner Kreaturen haben.

Der Ausdruck „auf dass Gott sei alles in allen"- oder wie man nach dem Griechischen, mit eben soviel Recht sagen könnte „in allem“, geht über unser Verstehen und Vorstellen. Wenn wir auch zunächst ihn so fassen könnten: Der lebendige Gott denkt, will und handelt in allen, so spüren wir auch in diesem Satz die Ohnmacht unseres Wissens und die Armut unserer Sprache. Dass das mehr sein muss, als das Bauen des Gartens Eden vor dem Sündenfall, ist uns klar, - dass wir manches angeben könnten, was nicht mehr sein wird, ist richtig, - aber wenn man sich auf die Schriftaussagen beschränkt, die vom ewigen Leben handeln und bringt die bildliche Redeweise der Propheten und der Offenbarung Johannis in Abzug, bleibt für unsere Phantasie ein blaches Feld übrig: „Im Dementglanz des ewigen Lichtes zergehen der Erde Farben zu nichts."

Lies weiter:
10. Sittlicher Rückschlag der Leugnung