Sittlicher Rückschlag der Leugnung

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Abschrift des Buches: Das Los der Toten
(gänzlich umgearbeitete Neuauflage von Auferstehung des Fleisches)

Verfasser: Pastor Samuel Keller
Verlag der Vaterländischen Verlags- und Kunstanstalt, Berlin 1913

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor:
9. Das Ziel der Todesüberwindung

10. Sittlicher Rückschlag der Leugnung

1Kor 15:29-34

(29) Was werden sonst die tun, welche für die Toten getauft werden? Wenn Tote überhaupt nicht auferweckt werden, was werden sie denn für dieselben getauft? (30) Was laufen auch wir jede Stunde Gefahr? (31) So wahr ich mich euer, ihr Brüder, rühmen darf in Christo Jesu, unserm Herrn, ich sterbe täglich. (32) Habe ich menschlicherweise zu Ephesus mit wilden Tieren gekämpft, was nützt es mir? Wenn Tote nicht auferweckt werden, lasset uns essen und trinken! Denn morgen sind wir tot. (33) Lasset euch nicht verführen. Böse Geschwätze verderben gute Sitten. (34) Werdet rechtschaffen nüchtern und sündigt nicht. Denn einige haben keine Kenntnis von Gott. Zu eurer Umkehr sage ich das.

Taufe für die Toten

1Kor 15:29 kann sehr verschieden ausgelegt werden. Es soll in den ersten Jahrhunderten Sektierer gegeben haben, die den abergläubischen Brauch übten, dass sich jemand für seine ungetauft verstorbenen Eltern taufen ließ; der Heilssegen dieser stellvertretenden Taufe sollte jenen zugute kommen. (Ähnlich lassen sich in der Gegenwart für Bebel begeisterte Anhänger der neuapostolischen Gemeinde „für Bebel versiegeln“, so dass der alte Spötter, der keine Ahnung davon hat, einen Seelensegen bekommen soll!) Da nun das Neue Testament sonst nirgends auch nur die leiseste Andeutung von solcher Vikariatstaufe bringt, wird man wohl dem geistesmächtigen Paulus nicht zutrauen dürfen, dass er solchen Hokuspokus unterstützt oder billigt, sondern kann eher schließen, dass jene letztere Unsitte aus dem falschen Verständnis unserer Stelle herrührt.

Die zweite Deutung liegt der Wahrheit vielleicht schon näher. Gibt es keine Auferstehung, dann sind die kurz vor ihrem Tode getauften Christen (wie es damals oft vorkam, dass man die Taufe so weit aufschob), nicht in den Zusammenhang einer Gemeinde Lebendiger, sondern Toter aufgenommen! Dann hat ihre Taufe keinen Sinn. Noch einen Schritt möchte ich in dieser Richtung vorwärts wagen, dann bekommt das Wörtchen „für“ seinen ganzen grammatischen Sinn, auch käme dann ein feiner Zusammenhang mit dem Vorausgehenden und Nachfolgenden in die sonst unvermittelt auftauchende dunkle Stelle. Hatte ich vorher recht mit der kämpfenden Gemeine in der unsichtbaren Welt, dann machte es für sie in jenen Anfangszeiten besonders viel aus, ob wieder jemand als Blutzeuge Jesu den Tod erlitt und durch solchen glorreichen Eintritt ins Totenreich ihre Schar verstärkte. Dann wäre solch ein Märtyrer „für“ diese Toten und ihre, wie für Jesu Sache in der Geisterwelt gestorben. Solchen Tod aber mit der Taufe zu vergleichen, dürfte uns erlaubt sein, wenn Jesus Lk 12:50 und Mk 10:38ff. von seinem Todesgang das Wort braucht: „Ich muss mich taufen lassen....“ Dann wäre auch der Zusammenhang mit dem Folgenden ganz klar: Denn Paulus schließt seine eigene Leidenserfahrungen unmittelbar an jene Märtyrer-Bluttaufe an. Für die Gedankenführung des Apostels lautet dann der Satz etwa so: „Wenn die Toten nicht auferweckt werden, sondern (1Kor 15:18) verloren sind, - was für einen Nutzen werden diese Blutgetauften davon haben, dass sie sich aus Liebe zu Christus und zu dieser himmlischen Kirche unter die Toten reihen?“

Von dem damals schon viel Aufsehen machenden Märtyrerblut der Blutzeugen (man denke, was Paulus als Verfolger selbst für Eindrücke davon empfangen haben mag!) geht der Apostel in 1Kor 15:30-32 auf seine eigenen ähnlichen Erfahrungen über. Wenn die Toten nicht auferweckt werden, sondern mit dem Tod alles aus ist, dann erscheint er selbst wie ein Narr, dass er sich täglich um des Evangeliums willen dem Tode weiht. Der christliche Ruhm, den sich ein treuer unerschrockener Missionar oder Prediger in seinem schweren Beruf erwirbt, ist ein täglich neues Kreuz, das Paulus gerade im Umgang mit den Korinthern, an denen er sich diesen Ruhm verdiente, tief zu empfinden bekam. Wer nimmt solch ein bitteres Arbeiten, das täglich tausend Mückenstiche einträgt, auf sich, wenn er nicht glauben würde, dass es einem ewigen Leben der Herrlichkeit für sich selbst und andere gelte?

2Kor 11:23ff. hat Paulus ein ganzes Register seiner Leidenserfahrungen aufgezählt; aber weder dort, noch in der Apostelgeschichte wird auch nur mit einem Wort angedeutet, dass er zu Ephesus zur Strafe der Bestiarier, den wilden Tieren vorgeworfen zu werden, verurteilt worden sei. (Bildlich auf den Aufstand des Demetrius zu Ephesus lässt sich die Bemerkung nicht beziehen, weil derselbe erst nach Abfassung unseres Briefes stattfand!) Außerdem durfte er als römischer Bürger gar nicht zu solcher Strafe verurteilt werden. Wenn diese Verurteilten, geschwächt von Gefängnishaft, mit stumpfen Waffen gegen hungrige Löwen kämpfen mussten, gab es für sie keine Gnade: keiner pflegte mit dem Leben davonzukommen. Also hat Paulus hier ein anderes Bild gebraucht, das vielleicht schon in dem Ausdruck „täglich“ anklang. Die Gladiatoren waren um Gold bedingte Fechter, die in der Arena zur Belustigung des Volkes, mit scharfen Waffen einen immerhin gefährlichen Kampf mit wilden Bestien zu wagen hatten. Daran dachte Paulus wohl: „Täglich wieder in die Arena! Täglich wieder preisgegeben den Faustschlägen von Satans Engel und allen möglichen Angriffen böswilliger Menschen!“ Wer würde „nach menschlicher Weise“, d. h. wenn nur irdischer, menschlicher Lohn und Erfolg dafür zu haben wäre, sich zu solchem Los bereit finden lassen? - Vielleicht hat er den Korinthern von solchen besonders schweren Zeiten in Ephesus erzählt, so dass sie gleich wussten, was er mit dieser Andeutung meine. -

Wenn die Toten nicht auferstehen

Nein, so die Toten nicht auferstehen (1Kor 15:32), gibt’s nur eine einzige Lebensweisheit: „Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.“ Das war damals das einzig Logische, - es ist’s geblieben, bis auf den heutigen Tag! Wollen wir einmal, die wir mit Ernst seit Jahrzehnten Christi Kreuz getragen haben, an unsere eigenen Erfahrungen denken! Wie anders hätten wir an den entscheidenden Wendepunkten unseres Lebens, und in dunklen Versuchungsstunden das süße Genießen von Erdenluft dem herben Selbstverleugnen vorgezogen, wenn nicht die Ewigkeit und das Reich Jesu vor unserem Geistesauge gestanden hätte! Löscht jenseits des Grabes alles weg, macht es ganz gewiss, dass es kein anderes Leben mehr gibt, dann ist das einzig Vernünftige, dass man sein Kreuz heute noch weit wegschleudert und hineilt zu dem lachenden Reigen der Sinneslust! Endet unser Leben mit dem irdischen Tode, dann steigert sich das Verlangen nach Erdenglück zur einzigen verzehrenden Glut, die alle anderen Erwägungen versengt wie Bindfäden! Dann erlischt die Bereitwilligkeit zum Leiden und zur Selbstlosigkeit, und man wird alles auf die eine Karte setzen, hier sich so reichlich als möglich zu entschädigen!

Die Gefahr ist groß, denn es steht innerlich die Lust auf dem Spiel und von außen nehmen tausend Stimmen die leisesten Motive auf, um sie uns in Gestalt von berückenden Einreden und Vorstellungen wiederzubringen. Fährt man nicht betroffen zurück, wenn nach heimlichen Kampf gegen den alten Menschen am andern Tage ein älterer, erfahrener Christ, oder sonst ein in unsern Augen hoch dastehender Mann, uns begütigend auf die Schulter klopft und sagt: „Allzu Scharfe macht kantig! Schonen Sie sich ein bißchen! Man braucht nicht immer so alle Konsequenzen aus seiner Überzeugung zu ziehen, und kommt dann viel gemächlicher durchs Leben. Sagen Sie doch nicht so keck Ihre Meinung und lassen Sie ein X für ein U gelten, so werden Sie nicht soviel von Links und Rechts angegriffen! Sie können es leichter haben, wenn Sie sich ein bißchen mehr nach andern Menschen richten wollten!“ Weiß der Mann, was es mich gekostet hat, die natürliche Scheu und angeborene Weichheit gegen anderer Gefühle erst niederzukämpfen, bis ich nach innerster Überzeugung aussprach, was ich für heiligste Pflicht gegen Jesus hielt?

Die Gefahr der Verführung

Die Gefahr der Verführung ist groß, dass man alle Schärfen und Kanten des Evangeliums abschleift, um gerade der Welt, in der man sich bewegt, recht nach dem Munde zu reden: Böse Geschwätze verderben gute Sitten! Wenn einer draußen im fremden Wald den Weg verfehlt, den er nicht kennen kann, hat’s doch keinen Sinn ihm zuzurufen: Geh nicht in die Irre! Aber hier werden wir selbst schuldig, wenn wir uns durch Geschwätz von Rechts oder Links von dem erkannten Pfad der Pflicht, und der Überzeugung abbringen lassen. Daher hat die Mahnung Pauli nur einen Sinn für Leute, denen noch zu helfen ist, und die innerlich im Gewissen noch recht gut spüren, was für ihre Lebenslage die Wahrheit ist, die sie gerade sagen müssen!

Das Verslein: „Böse Geschwätze verderben gute Sitten“ stammt aus der Thais von Menander und mochte als geflügeltes Wort bekannt sein. Immerhin ist es möglich, solche Zitate Pauli aus der heidnischen Literatur seiner Zeit dafür anzuführen, dass er etwas von ihr gewusst habe. Das Christentum wollte sicherlich damals so wenig wie heute aus Rüpelei und Unbildung einen extra heiligen Trumpf machen!

Ohne Gott kein unvergängliches Leben

1Kor 15:34: Aus dem einstigen Todesschlaf des dumpfen Heidentums waren diese Korinther durch die Predigt Pauli aufgeweckt. Jetzt aber war es wie ein Rausch aus der leichtfertigen Umgebung, in der sie noch steckten, über sie gekommen, dass sie mit solchen Redensarten, wie dass die Toten nicht auferstehen, liebäugelten. Aus solcher diesseitigen Welttrunkenheit sollten sie aufwachen, - recht nüchtern die Tatsache ins Auge fassen, die er ihnen als von der größten Tragweite für ihr Leben und Streben vorgestellt hatte, dass mit dem Aufgeben der Auferstehungshoffnung sie ihr ganzes Christentum wieder einbüßen würden. - Auch das nächste Wort vom „Sündigen“ hat in diesem Zusammenhang nicht die Bedeutung der trivialen Ermahnung, es überhaupt mit irgend was für Sünden nicht leicht zu nehmen, sondern zielt auf das besondere Verfehlen des Zieles der Ewigkeit hin! Wer als Christ nicht glaubt, dass es ein Leben und ein Gericht nach dem Tod gebe, der betritt schon den Weg der Verstockung; denn nichts lähmt den sittlichen Ernst so, wie solche Leugnung. Darum müsste vielleicht in lauen Gemeinden und gleichgültigen Zeiten mehr und deutlicher vom ewigen Leben, und der Bedeutung des sittlichen Ernstes hinieden für jenes Leben gepredigt werden. Gibt es kein ewiges Leben, dann brauchen wir überhaupt keine Religion und keinen Heiland! -

„Denn einige haben keine Kenntnis von Gott!“ Dann ist es ja kein Wunder, wenn ihre sittlichen Ideale verblassen, und sie auf dem besten Wege sind, ganz gottlos zu werden. Gott wird nicht durch unsere Gefühle und guten Vorsätze erkannt, auch nicht durch Stimmungen und Andächteleien geehrt, sondern wir müssen klar wissen, was er bisher zu unserem Heil getan und was er noch vorhat, aus uns zu machen! Nur das Volk, das seinen Gott erkennt, wird sich aufmachen und es ausrichten! Ohne Gott gibt es kein unvergängliches Leben!

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11. Das neue Leibesleben