Das 8. Gebot

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Abschrift des Heftes: "Die 10 Gebote in heilsgeschichtlicher Deutung"
von Friedrich Malessa, Samplatten (Ostpr.) (1895-1981)

Veröffentlicht unter Zulassung der Militärregierung Juli 1948
im Kurt Reith Verlag Wüstenrot Württ.

Siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

Das 8. Gebot

Du sollst nicht stehlen.

Wir leiten diese Darstellung mit einem Auszug aus Starkes Kommentar ein.

„Da Gott den Menschen die Güter dieser Welt ausgeteilt hat, so will er auch, dass einer dem andern das gönnen und lassen soll. Dies Gebot verbeut die Entwendung des fremden Gutes, oder das Stehlen und alle Ungerechtigkeit.

I. Im Blick auf den Nächsten

a) Öffentlich: durch Straßenraub, offenbaren Diebstahl der Güter und Menschen (5Mo 24:7; 3Mo 19:11; 1Tim 1:10).
b) Heimlich: mit dem Herzen durch Geiz und Bauchsorge.
c) Mit Worten: durch listiges Abschwatzen (Jer 9:4.9);
d) Mit der Tat:
  1. der Obrigkeit gegenüber durch Entziehung der Steuern, durch Veruntreuen, mutwilliges Betteln.
  2. den Untergebenen gegenüber, wenn die Oberen die Gerechtigkeit um Geschenke verkaufen, d. h. sich bestechen lassen, wenn Herrschaften dem Gesinde und Arbeitern den Lohn enthalten (5Mo 24:14.15), ungerechte Zinsen nehmen (Hes 18:12.13; Hes 22:14.15), Esswaren auf Teuerung zurückhalten (Am 5:11.12; Am 8:4-6) die Almosen versagen, ungerecht pfänden, wenn Eltern ihr Gut verschwenden, Vormünder untreu handeln usw.
  3. seinesgleichen durch Betrug im Handel, bei Ellen, Maß, Gewicht, Geld, gar zuviel fordern, unziemlichen Vorteil nehmen gar zu genau dingen, zu wenig geben, durch Vorenthaltung des Geborgten, Anvertrauten, Verlorenen, Gefundenen, durch Vorwitz, untreue Arbeit, Verwahrlosung, Verhehlung des Gestohlenen usw.

II. Im Blick auf sich selbst (und die Familie)

Durch Müßiggang, Verschwendung, köstliches Zehren, Fressen, Saufen, Kleiderpracht, prächtiges Bauen, unnötiges Rechten, Verspielen, Vertanzen, leichtsinniges Bürgen usw.“

Nach dieser erbaulichen Darlegung wollen wir das achte Gebot in der Linienführung der anderen Gebote stellen, um weitere wichtige Lehre zu erhalten.

Zunächst vergegenwärtigen wir uns die Tatsache, dass die vorhergehenden Gebote die p e r s ö n l i c h e n Werte zur Darstellung bringen. Das achte Gebot geht einen Schritt weiter und vermittelt die göttliche Stellungnahme zu den s a c h l i c h e n Werten. Die sachlichen Dinge sollen durch die persönlichen ihre Prägung erhalten. Darum geht in den Geboten die Regelung der persönlichen Dinge voraus. Sofern aber auf dem persönlichen Gebiet die Ordnung eingetreten ist, muss sie folgerichtig auch auf dem sachlichen Gebiet offenbar werden.

Weiter wollen wir beachten, dass die vorhergehenden Gebote eine Weisung bis in die schöpferischen Anfänge der Menschheit boten. In diesem Blickfeld werden wir auch das vorliegende Gebot zu sehen haben. - Vergessen wir nicht die Tatsache: Es geht in den Geboten um die Richtungweisung der göttlichen Menschheitsentwicklung zu überprüfen.

Wie war es denn mit dem ursprünglichen menschlichen Eigentumsbewusstsein bestellt, das nach vielen Verirrungen und Verwirrungen durch das Gebot: „Du sollst nicht stehlen“ geordnet werden muss? Zunächst stellen wir die Tatsache fest, dass im Ursprung der Mensch sich nicht als Eigentümer sah, sondern als Verwalter.

Der Mensch als Verwalter

Das „Herrsche und mache sie untertänig“ beweist, dass der Mensch nichts als Eigentum ansehen darf, sondern als Beauftragter mit voller Verantwortlichkeit seinem Herrn und Schöpfer a l l e s wiedergewinnen sollte. Der Mensch war ein unbestechlicher Sachwalter seines Herrn. - Einem Verwalter liegt der Diebstahl völlig fern. Er braucht nicht zu stehlen, weil er alles empfängt. Sein Herr versorgt ihn mit allem. So stand im Ursprung der Mensch im Verwalter-Verhältnis und hatte darin das Gebot: „Du sollst nicht stehlen“ nicht nötig.

Die weitere Menschheitsentwicklung, d. h. die Trennung des Menschen aus der Einheit in die Zweiheit, ergab eine neue Lage. Solange der Mensch in der Einheit war, und niemand das ihm zur Verwaltung Übergebene streitig machen konnte, wusste er nur von dem: „Dein, o Gott!“ In der Zweiheit wurde das Unser-Verhältnis erforderlich.

Das Unser-Verhältnis

Denn bei einer Teilung oder Trennung werden Eigentumsrechte und Eigentumsansprüche angemeldet. Jeder beansprucht das Seinige. Jeder muss das Seinige beanspruchen. Wenn die ersten Menschen vor dem Sündenfall das Verwalterbewusstsein noch so einigermaßen hinübergerettet hatten, so hat sich nunmehr durch das Unser-Verhältnis das Eigentumsbewusstsein wesentlich verschoben, weil die Abwärtsentwicklung vom Unser zum Mein sehr nahe lag. Der Ausspruch des Adam: „Das ist doch Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein“ ist dafür der beste Beweis. Hier wird das Mein und Dein erkenntlich.

Auch im Unser-Verhältnis hat das Stehl-Verbot entbehrt werden können, weil das Zusammengehörigkeitsbewusstsein der Menschen noch so stark war, dass ein gegenseitiges Berauben nicht infrage kam. Wohl ist beim Unserverhältnis das Eigentumsrecht schon angekündigt, jedoch es besteht noch keine offene Gefahr, solange das Unser tatsächlich bestimmend ist. Das wahre Unser-Verhältnis ist zwar nicht gefahrlos, jedoch immer noch beglückend, weil das gemeinsame Leben eine gegenseitige Benachteiligung verbietet.

Nach dem Sündenfall wird die Lage erneut anders. Die Entwicklung verläuft ganz zu ungunsten der Menschen. Die Sünde führt sie ins radikale Ichwesen. Sünde trennt und macht grenzenlos selbstsüchtig. Das geschlossene Unser-Verhältnis schwindet. Raum gewinnt das Mein- und Dein-Verhältnis.

Das Mein- und Dein-Verhältnis

„Das Weib, das du mir gegeben hast, trägt die Verantwortung“. „Die Schlange, die du erschaffen hast, hat das bewirkt“. „Soll ich meines Bruders Hüter sein“? usf. Das Mein setzen die Menschen ins rosige Licht. Es ist ihnen für die ganze Denk- und Handlungsweise grundlegend und ausschlaggebend. Es ist ihnen fortan der Gegenstand größter Fürsorge.

Das Rechenschaftsbewusstsein wurde verschoben. Jeder versuchte das Seinige zu beschönigen und die Verantwortung dem anderen zuzuschieben. So erstanden die fluchwürdigen Mein- und Dein-Begriffe. Und wäre das Mein und Dein in der erforderlichen, klaren und respektvollen Abgrenzung zueinander, und in der notwendigen Abhängigkeit voneinander geblieben, dann hätte sich das Verhältnis von Mensch zu Mensch zwar schwierig, jedoch immer noch erträglich gestalten können. Leider ist die Grenzverwirrung nur zu leicht möglich, denn das vom Fluch behaftete Mein und Dein wird durch die verfluchten Lebensverhältnisse zu fraglich und zu problematisch. Immer geht das Mein auf Kosten des Dein voraus. Es hat darum z. B. ein Lot vor Abraham das Mein so zur Geltung gebracht, dass Abraham den Kürzeren ziehen musste. Und nur seiner inneren Beziehung zur Urhaltung war es zu verdanken, dass zwischen ihm und seinem Neffen nicht von vornherein eine Katastrophe hereinbrach.

Es gehört schon ein dem natürlichen Menschen unbekanntes Maß von Selbstlosigkeit dazu, wenn das Mein nicht auf Kosten des Dein bestehen soll. Diese Selbstlosigkeit hat der Mensch nach dem Sündenfall nicht mehr aufbringen können. So kam es, dass er zwischen Mein und Dein bald nicht unterscheiden konnte und ihm darum das Gebot gegeben werden musste: Du sollst nicht stehlen.

Die Dieberei ist somit die Folge einer langen Abwärtsentwicklung und damit der hässlichste Ausdruck des Sündenwesen. Der Dieb ist der charakterloseste Mensch. Der äußere Ausdruck seiner Charakterlosigkeit in der Stehlerei ist selbstverständlich nur die Folge der inneren Charakterlosigkeit. Das, was er innerlich hat, nämlich die maßlose Zügellosigkeit, kommt nach außenhin zur Darstellung. Es ist darum nicht verwunderlich, dass man einem Menschen, der nichts liegen und stehen lassen kann und alles als „Mein“ betrachtet, nicht trauen und nichts anvertrauen kann. Der Dieb ist der minderwertigste und unzuverlässigste Mensch.

Die Ursache zum Diebstahl ist die Lösung von Gott, d. h. der Verlust des Rechenschaftsbewusstseins, damit auch der Verlust des Verwaltungsbewusstseins. Dieser Verlust führt zum letzten Verlust, nämlich zur Nichtachtung, ja sogar zur Verachtung der Grenze zwischen Mein und Dein. Dem Dieb ist diese Grenze ärgerlich und unverständlich. Er ist nicht wenig erstaunt, dass sie überhaupt besteht.

Wenn wir uns die von Starke aufgezählten Möglichkeiten des Stehlens genau ansehen, so müssen wir feststellen, dass die Stehlerei eine der verbreitetsten und schwersten Sünden ist. Sie ist wie eine unaufhaltsame Seuche, die alle Menschen, arm und reich, gebildet und ungebildet, erfasst hat. Denn man überlege, was alles Diebstahl ist. Er kann beginnen mit dem unscheinbaren Raub der Ehre des Menschen und kann sich auswirken in der Entziehung der Lebensrechte der Völker untereinander. Die heillosen Konflikte zwischen den einzelnen Personen, die oft langwierig und kostspielig auf den Gerichten ausgetragen werden, und die völkermordenden Kriege mit ihren unsagbaren Katastrophen sind in ihren Ursachen und Auswirkungen fast ausschließlich auf dieser Linie zu suchen. Wahrhaftig, das achte Gebot meint eine weltumspannende Not. Damit erhält das achte Gebot eine große Bedeutung und eine noch größere Dringlichkeit.

Die Überwindung der Not

Überwunden kann diese Not nur am Kreuze Christi werden wo das Ich und Mein in ihrer verfluchten Art in den Tod gegeben werden. Wo Pauli Wort sein volles Recht erhält: „Nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“

Damit kommen wir mit einigen Sätzen auf die Haltung der geistlichen Menschen zu sprechen. Sie werden in besonderer Weise beansprucht, weil sie eine doppelte Natur haben. Mit ihrer himmlischen Natur leben sie in einem absoluten Du und Dein. Mit ihrer irdischen Natur werden sie gewisser Hinsicht auch im Ich und Mein leben müssen. Wohl soll das Ich im Dienste des Du stehen.

Wohl ist ihnen das Mein nur eine Notlösung, d. h. ein vorübergehendes Verhältnis, aber es ist da! Und nun benötigen sie viele Wiedergeburtskräfte, um gottgefällig hindurchzukommen. Denn es ist wahrhaftig keine kleine Angelegenheit, wenn das zeitlich notwendige Dein von dem Mein in keiner Weise, man beachte in keiner Weise, übervorteilt werden soll. Solches bringt nur der fertig, der das Gesetz ins Herz geschrieben erhielt und mit Paulus sprechen kann: „Einer achte den andern höher als sich selbst“. Zu dieser Haltung genügt nicht das Gesetz des Buchstabens, sondern das Gesetz des Lebens. Das Gesetz des Buchstabens wird hier bestenfalls die Not vergrößern. Dagegen das Gesetz des Christuslebens wird die Not überwinden. Wo das Christusleben zum Gesetz wird, da ist das Gesetz des Buchstabens von untergeordneter Bedeutung. Da ist das Geistesleben führend, und der Buchstabe in der Gefolgschaft.

Der geistliche Mensch wird im Geiste zum Urzustand geführt. Das „Dein, o Vater“ ist Fundament seines Bewusstseins. Und wenn er im Sündenzeitlauf das Mein gottgefällig noch gebrauchen muss, so ist das Zeitliche und Äußere nur transparent. Unverkennbar leuchtet hindurch das ewige und beglückende Dein. Der geistliche Mensch wird auch in Anbetracht des Eigentumsbewusstseins die Ewigkeit in die Zeit hineinleuchten lassen. Er wird seiner Umgebung nicht nur den Beweis liefern, dass das Mein im Dienste des Dein stehen kann, sondern er wird darüber hinaus seiner Umgebung zum Lebensgesetz werden, und wird mit dem Zeugnis des Dein unausgesetzt und ohne Worte die Träger des Mein einfordern: Du sollst nicht stehlen.

Wie wird es einst sein, wenn das Leben allein von dem reinen Du regiert werden wird? Können wir uns den Reichtum und das Glück dieses Lebens vorstellen? Ist die Lebensfülle und Lebenstiefe, die aus der fortgesetzten Lebens-Zuneigung und Lebensmehrung einst erstehen wird, jetzt schon fassbar? Nein, denn es ist uns diese positive Seite des Lebens unbekannt. Wir kennen zur Hauptsache die negative Seite, nämlich den Abtrag, die Minderung des Lebens. Auf Schritt und Tritt werden wir im derzeitigen Leben benachteiligt und beraubt. Die Zeit trägt den Charakter der Enteignung. Wenn wir jetzt nur das eine fassen, dass die Diebstahlsart einst beseitigt werden wird, so dürfen wir uns die Lebensfülle von dereinst in etwa vorstellen. Darum trachten wir mit allem Fleiß danach, auf dass schon jetzt „unser Wandel in den Himmeln“ sei.

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