Das 9. Gebot

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Abschrift des Heftes: "Die 10 Gebote in heilsgeschichtlicher Deutung"
von Friedrich Malessa, Samplatten (Ostpr.) (1895-1981)

Veröffentlicht unter Zulassung der Militärregierung Juli 1948
im Kurt Reith Verlag Wüstenrot Württ.

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Inhaltsverzeichnis

Das 9. Gebot

Du sollst kein falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

Das neunte Gebot behandelt das Verhältnis des Menschen zu seinem Nächsten. Das ist sehr zu beachten. Alle Versündigung hat zwar ihren Anfang im persönlichen Leben des Menschen, aber ihr Fortgang und ihre Auswirkung ist am nachteiligsten vor seinem Nächsten. Hierbei ist zu beachten, dass der Mensch seine eigene Lebensnot ungern trägt, noch weniger für sie verantwortlich sein will. Darum versucht er, sie dem Nächsten aufzubürden. Soll ihm das gelingen, so muss er falsches Zeugnis abgeben, d. h. falscher Zeuge wider seinen Nächsten werden. Mit anderen Worten: Er muss lügen, afterreden, verleumden. Darum ist das falsche Zeugnis wider den Nächsten eine der schwersten Sünden. Sehen wir uns die Menschheitsgeschichte, in der die Falschzeugnisnot erstanden ist, kurz an.

Das erste falsche Zeugnis

Das erste falsche Zeugnis gab Adam wider sein Weib. Nicht weil Eva ihn zur Sünde verleitet hatte, und er sich dann vor Gott entschuldigen musste. In diesem Falle wäre das kein falsches Zeugnis, sondern die Aussage eines wahren Vorganges. Adam wurde ein falscher Zeuge wider sein Weib, weil er seine Schuld zu decken suchte! Denn schuldig war in erster Linie er! Zwar hat Eva zuerst von der verbotenen Frucht gegessen, d. h. sie hat als erste die ausgereifte Sündentat begangen. Jedoch hat Adam sie verursacht. - Der Urheber einer Schuld ist mehr verantwortlich zu machen als der hineingeschlitterte Schuldtäter.

Zur Klärung dieses Tatbestandes stellen wir uns folgende Fragen vor: Wusste Adam nicht, dass sein Weib Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein war, und somit in allen entscheidenen Fragen von ihm restlos abhängig bleiben sollte? Wusste er nicht, dass sie ihm restlos angehörte, d. h. der schwächere Teil seines Lebens war? War nicht gerade Adam für die echte Lebensgemeinschaft und Lebenseinheit verantwortlich? Sollte darum nicht gerade er dafür sorgen, dass sein Weib nie einsam bleiben, und so folgenschwere Entscheidungen allein treffen sollte? Wo war der „Herr alles Lebendigen“ zu der Zeit, als der Widersacher immer nachhaltiger an dem schwächeren Teil arbeitete? Wo war in der verhängnisvollen Stunde der ausschlaggebende Berater und der verantwortliche Mann? War nicht Gottes Frage: „Adam wo bist du“ schon hier dringend angebracht?

War Adam irgendwo im Schmollwinkel? Ist ihm die heißersehnte Gehilfin schon überdrüssig geworden? Wer gab ihm das Recht sich von seinem Weibe zu trennen, wobei es doch mit ihm in einer abhängigen Lebensgemeinschaft stand? Wer war für die folgenschwere und eigenmächtige Handlungsweise mehr verantwortlich, Adam oder seine in der restlosen Abhängigkeit stehende „Lebens-Gehilfin“? Zweifellos trägt Adam die Hauptschuld an der ersten, verkehrten Entscheidung. Zumal er in seiner Willensreinheit und Willenskraft soweit gesunken war, dass er hernach sklavisch sich dem Willen seiner Gehilfin unterordnete. - Darum hat Gott den vollverantwortlichen Adam zuerst zur Rechenschaft gezogen.

Adam stellt sich schuldlos

Anstatt nun seine Schuld zu bekennen, versucht Adam sich schuldlos zu stellen, indem er seinem Weibe die alleinige Schuld zuschiebt, sogar Gott dafür mit verantwortlich macht. Das war seine Vollreife-Schuld! Das musste kommen, weil Adam die Schuld nicht leugnen konnte; sie war da! Um aber nicht selbst als Urheber der Schuld zu erscheinen, schob er sie auf sein Weib. - So entstand das falsche Zeugnis, die Lüge, die Verleumdung, das Afterreden wider seinen Nächsten.

Das falsche Zeugnis hatte darum seine Ursache nicht etwa in der leichtfertigen Geschwätzigkeit wider den Nächsten, sondern in dem bewussten Vorhaben, sich schuldlos zu stellen. Dafür musste der Nächste für schuldig erklärt werden.

An den ersten Menschen erkennen wir noch eine weitere, sehr tragische Not. Das falsche Zeugnis wurde wider den Unterstellten ausgesprochen. Eva wagte nicht, die Beschuldigung zurückzuweisen, wahrscheinlich aus Furcht vor dem Stärkeren. Sie hätte doch wenigstens die Mitschuld ihres „Herrn“ anführen können, zumal er bedenkenlos die Frucht aus ihrer Hand nahm und aß. Eva hatte diese Rechtfertigung nicht versucht, sondern hat einen anderen Rechtfertigungsweg eingeschlagen, indem sie das am Boden kriechende Tier verantwortlich machte. Wiederum die Schuldabwälzung auf den schwächeren Partner. - Eigenartig und vielsagend ist bei dem Menschen die Feststellung des Schuldligen. Er sucht sich den Schwächeren aus, damit der nicht zu widersprechen wage. Merkwürdig ist die Haltung des Menschen: Im Vollbringen der Schuld ein Sklave; im Feststellen des Schuldners ein Herr!

So waren es zwei Umstände, die die ersten Menschen zum falschen Zeugnis wider den Nächsten bewogen:

  1. Als Vollverantwortlicher Schuldner sich schuldlos zu stellen,
  2. das Abwälzen der Schuld auf den Unterstellten, der zu widersprechen sich fürchtet.

Hätten die ersten Menschen diese Schuldnöte sich nicht angeeignet, d. h. hätte jeder offen seine Schuld bekannt, dazu bei der Suche nach dem Schuldigen den anderen höher geachtet als sich selbst, so wäre das falsche Zeugnis wider den Nächsten nie aufgekommen.

Diese beiden Umstände sind die sündigen Beweggründe geworden in der ganzen Menschheitsgeschichte. Obgleich in vielen Fällen das falsche Zeugnis andere Gründe zu haben scheint, z. B. leichtsinnige Geschwätzigkeit, Klatschsucht und anderes mehr, so ist es beim genauen Hinsehen doch nicht soll. Die Klatschsüchtigen schwätzen nicht wegen ihrer Veranlagung so viel, sondern weil sie durch das Reden über andere von ihrer Person ablenken, oder auch ihre Person ins bessere Licht stellen wollen. Menschen, deren Schuld offenbar zu werden droht, werden sich bemühen, die Schuld anderer noch viel schwieriger hinzustellen, oder sogar ihre eigene Schuld ihnen anzudichten, um im Dunkel des Nächsten selbst unsichtbar zu werden. Der Nächste wird schwarz in schwarz gemalt, um das eigene Grau noch recht hell erscheinen zu lassen.

Der andere Umstand setzt der Falsch-Zeugnis-Sucht noch die Krone auf. Wenn hinzukommt, dass der Nächste nicht mehr respektiert wird, dann wird zur Begründung der Respektlosigkeit mit den schimpflichsten Dingen verleumdet werden müssen. - Afterreden und Verleumdung sind Begleiterscheinungen der Respektlosigkeit.

Diese Dinge haben der Menschheit in ihrer ganzen Geschichte, sowohl im einzelnen als auch im gesamten Leben unübersehbare Nöte bereitet, Gott hat sie darum unter ein besonderes Verbot gestellt. - Das neunte Gebot reiht sich würdig und wichtig den anderen an.

Die Haltung des geistlichen Menschen

Zum Schluss noch einige Worte über die Haltung des geistlichen Menschen. Der geistliche Mensch kann nicht falsch Zeugnis geben, lügen, afterreden, verleumden, weil er in erster Linie seine Schuld nachzuweisen sucht, und sie zum Kreuze trägt. Wenn er die Schuld des Menschen sieht, dann nur im Sinne der Fürbitte und der Versöhnung. Er achtet ja den anderen höher als sich selbst. Dem geistlichen Menschen ist die Verleumderart restlos fremd, weil ihm die Voraussetzungen und Möglichkeiten dafür fehlen. Er hat keine Veranlassung, seine Schuld anderen aufzubürden, weil er die Befreiung von der Schuld kennt. Nicht mal ein entwürdigender Gedanke oder ein abfälliges Urteil wird ihm aufkommen, weil er alles Urteilen und Richten Gott überlässt.

Der geistliche Mensch trägt das neunte Gebot im Herzen. Den Besitz seines Herzens lebt er vor seinem Nächsten aus. Er wird von seinem Nächsten auch ein Zeugnis ablegen, weil er ein Zeuge ist. Doch ist das ein Zeugnis im Geiste Christi. Dieses Zeugnis hat im Gefolge: „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube Sanftmut, Keuschheit“ (Gal 5:22)

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