III. Die Prophetie Daniels: Unterschied zwischen den Versionen

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(2. Daniels Wort zu den vorchristlichen Zeitwenden)
(Welt r e i c h e und Welt h e r r s c h e r)
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:* In der Deutung seines Traumbildes hat Daniel dem König Nebukadnezar im Blick auf das goldene Haupt gesagt: das bist d u ! Daraus geht hervor, dass die Reiche und ihre Herrscher in nahem Zusammenhang miteinander gesehen werden müssen.
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:''* In der Deutung seines Traumbildes hat Daniel dem König Nebukadnezar im Blick auf das goldene Haupt gesagt: das bist d u ! Daraus geht hervor, dass die Reiche und ihre Herrscher in nahem Zusammenhang miteinander gesehen werden müssen. Daniel hätte ebensogut sagen können: das goldene Haupt ist das babylonische W e l t reich. Man kann sagen: die Reiche und ihre Herrscher sind Wechselbegriffe, d. h. Begriffe, die gegeneinander ausgetauscht werden könne. Denn das Reich ist repräsentiert durch seinen König und umgekehrt. In dieser Hinsicht hat Alexander der Große das griechische Reich repräsentiert und später die römischen Kaiser die römische Vorherrschaft. Die Erkenntnis dieser Zusammenhänge ist  zum Verständnis der Offenbarung des Johannes nicht unwichtig. Dort ist in Offb 17 von dem siebenköpfigen Tier die Rede. Was ist mit den K ö p f e n des Tieres gemeint? Es sind zwei Deutungen möglich: entweder die einzelnen Weltmächte, wie sie sich beim Versuch, eine einheitliche Völkerzusammenfassung ohne Gott zustande zu bringen ablösten, o d e r die jeweiligen Herrscher; aber ebensogut ist es möglich, dass b e i d e  gemeint sind.  Das gleiche gilt von der Deutung dessen, was im letzten Buch der Bibel das „Tier“ genannt wird. Es ist offensichtlich, dass an einigen Stellen unter dem „Tier“ eine Person verstanden werden muss, nämlich der Herrscher des letzten, des antichristlichen Reichs, also der Antichrist s e l b e r, dem Paulus (2Thes 2:7) „den Menschen der Sünde“ nennt. Ob aber a l l e Stellen, wo vom „Tier“ die Rede isst, von einer P e r s o n verstanden werden dürfen? Der letztgenannte Gedanke hat auch zu irrigen Auslegungen der Weissagungen geführt, z.B.  zu der Meinung, unter den sieben Häuptern seien die ersten sieben römischen Kaiser zu verstehen. Es wäre von Wert, bei der Auslegung der Offenbarung des Johannes ernstlich zu prüfen, ob die jeweiligen Aussagen vom Tier und seinen Häuptern persönlich oder sachlich zu verstehen sind.''
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:'' Im Kaisertum hat das Römerreich nach einer langen Vorgeschichte seine Vollgestalt erhalten. Der Begründer dieses e i g e n t l  i c h e n Römerreichs war der erste Kaiser, Augustus. Unter dessen Herrschaft ist der König des Gottesreichs, nämlich Jesus, durch seine Geburt gliedmäßig in die Geschichte des auserwählten Volkes und in die Menschheit eingefügt worden. Er war der kleine Stein, den Nebukadnezar von oben herunterrollen sah, der das stolze Standbild an seinen Füßen traf und zum Umsturz brachte. Die Schenkel der Füße des Bildes haben das römische Weltreich dargestellt. Gerade als dieses Reich unter seinem ersten Kaiser in seine Vollreife eintrat, begann die Zeit des Gottesreiches, zunächst noch in unscheinbarer  Gestalt. Der König und das Reich Gottes kamen von o b e n, ganz entsprechend dem, was Nebukadnezar am herabrollenden Stein gesehen hatte. Damals ist das Weltreich noch  nicht zusammengestürzt. Aber der Augenblick des Zusammenbruchs aller Reiche dieser Welt kommt noch. Dieser Zusammenbruch und der Übergang der Herrschaft an das Reich Gottes wird erfolgen, wen Jesus, dessen Zeichen damals die Krippe war und bald darauf das Kreuz, wiederkommt mit der Krone. Dann wird in Erfüllung gehen, was [[Offb 11:15]] steht: „nun sind die Reiche dieser Welt unseres Gottes und seines Christus geworden,  und er wird regieren in Ewigkeit."''<br/><br/>
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''Die Wanderung des K a i s e r t i t e l s''
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:''In diesem Zusammenhang, wo u. a. auch vom römischen Kaisertum die Rede war, sei darauf hingewiesen, dass es „Kaiser“ gegeben hat bis zur Gegenwart. Dieses Wort darf nicht nur als ein T i t e l verstanden werden. Es deutet vielmehr an, dass das römische Reich mit dem Sturz des w e s t römischen Kaisertums zur Zeit der Völkerwanderung noch nicht zu Ende gegangen ist. Ein o s t römisches Kaisertum gab es ja bis kurz vor der Reformationszeit, bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453. Die mittelalterliche Geschichte des Abendlandes war bestimmt durch den Widerstreit zwischen dem d e u t s c h e n  Kaisertum und dem Papsttum. Das Kaisertum des Mittelalters war nicht nur der Idee nach, sondert tatsächlich eine Erneuerung und Fortsetzung des altrömischen Kaisertumss. Das Kaisertum der Habsburger ist erst durch Napoleon beseitigt worden. Das Ergebnis des 70er Krieges war die Errichtung des deutschen Kaisertums. In der letztgenannten Übernahme des Kaisertitels war kein Anspruch auf Weltherrschaft enthalten. Aber außerhalb Deutschlands ist es, vielleicht in halbunbewusster Erinnerung an das Kaisertum des alten römischen Reichs, als Weltherrschafts a n s p r u c h  empfunden worden. Es wäre eine Tragik der neueren Geschichte, wenn die Benennung des Oberhaupts Deutschlands als „Kaiser“ das Misstrauen gegen Deutschland mitbegründet hätte, als wolle es die Welt erobern; wenn also gerade dieser Titel einer der Gründe gewesen wäre, die zum ersten Weltkrieg geführt haben.’'
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:''Dass es im Osten und Westen Europas ebenfalls ein Kaisertum gegeben hat in Anlehnung an den Titel des alten römischenWeltreichs, das ist ersichtlich an Napoleon I. und III. und an dem Zarentum Russlands. Denn „Zar“ ist nur die russische Form des altenWortes „Cäsar“ oder „Kaiser“. Die russischen Kaiser haben sich als die rechtmäßigen Nachfolger des oströmischen Kaisertums betrachtet. Dessen Sitz war Konstantinopel. Gewiss hat das frühere Russland den Besitz Konstantinopels auch aus politischen und wirtschaftlichen Gründen begehrt; aber ein romantischer (träumerischer) Einschlag war in diesem Verlangen ebenfalls enthalten. Russland fühlte sich selber als Nachfolger Ostroms.''<br/><br/>
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''Die e u r o p ä i s c h e  G e s c h i c h t e  der letzten zwei Jahrtausende’'
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:Im vorstehenden wurde der Wanderung des K a i s e r t i t e l s durch die europäische Geschichte in zwei Jahrtausenden nachgegangen
  
 
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:''Die Wanderung des K a i s e r t i t e l s''
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:''Die e u r o p ä i s c h e  G e s c h i c h t e  der letzten zwei Jahrtausende''
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:''Die S p r a c h zusammenhänge''
 
:''Die S p r a c h zusammenhänge''
 
:Das Besondere des g r i e c h i s c h e n  Reichs
 
:Das Besondere des g r i e c h i s c h e n  Reichs

Version vom 19. Dezember 2020, 16:45 Uhr

Abschrift des Buches: Zeitenwende
Eine Bibelhilfe aus dem Danielbuch

Verfasser: Georg Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach)
Verlag: Wilhelm Fehrholz Baden-Baden (1947)

Siehe weitere interessante Bücher unter: Abschriften

Inhaltsverzeichnis
Einführung
I. Die Wende zur Zeit Daniels
II. Das Vorbildliche an der Haltung Daniels

In Bearbeitung

III. Die Prophetie Daniels

In den seitherigen Ausführungen wurde ein Doppeltes versucht: einmal die große Zeitwende zu verstehen, innerhalb deren D a n i e l lebte und wirkte, und von solchem Verständnis aus hinüberzublicken auf die Zeitwende der G e g e n w a r t ; sodann aus Daniels persönlicher Haltung Richtlinien zu gewinnen zum Durchleben der Gegenwart in biblischem Sinne. Daniel hat aber auch p r o p h e t i s c h e Einblicke bekommen, die bis zum Ende der Wege Gottes reichen Für seine Zeitgenossen waren sie noch nicht bestimmt, im Unterschied von den anderen Propheten, die Gottes Wort und Weisungen m ü n d l i c h auszurichten hatten an die Menschen i h r e r Zeit. Die dem Daniel gewährten Blicke umfassen alle Zeiten bis zur Vollendung des Reiches Gottes. Was er im besondern im voraus zu sehen bekam, das waren die Zeiten, die eine W e n d e im Geschehen darstellen, während die Zeiträume z w i s c h e n solchen wenden nur mit wenigen Worten angedeutet sind.*

Anmerkung 24:

Gibt es Prophpetie auf weite Zeit hinaus?
* Es ist schon oft gefragt worden, ob eine Prophetie möglich sei, die sich auf lange Zeiten, ja über den ganzen Geschichtslauf hinüber erstrecke; ebenso ob außer den weiten Ausblicken auch eine Vorausdarstellung erst künftiger Geschehnisse bis auf E i n z e l h e i t e n hinaus denkbar sei. Namentlich die letztere frage hat auch solchen Schriftforschern Not gemacht, die der Bibel ein ganz großes Zutrauen entgegenbrachten. In dieser Hinsicht ist es namentlich das 11. Kapitel des Danielbuches, an dem geradezu Bibel n o t entstanden ist (vgl. dazu auch Anm. 1). Das genannte Kapitel blickt hinaus auf die makkabäische Notzeit, die das Ergebnis der jahrzehntelangen Kämpfe zwischen Syrien und Ägypten waren. Die beiden Länder werden in jenem Kapitel - vom Standort des Heiligen Landes aus gesehen - das Nordreich und Südreich genannt. Diese beiden Reiche waren die Ausläufer des durch Alexander den Großen zustande gekommenen griechischen Reichs, welches das dritte darstellt unter den in Nebukadnezars Traum (Dan 2) und im Gesicht Daniels von den vier Raubtieren (Dan 7) genannten Weltreichen. Jene Kämpfe haben, wie aus alten außerbiblischen Nachrichten zu ersehen ist, tatsächlich in der Weise stattgefunden, wie sie in Dan 11 des Danielbuchs vorausgesagt worden sind. Die Not des Gottesvolks unter dem syrischen König Antiochus Epiphanes ist ebenfalls in der im 11. Kapitel des Buchs vorhergesagten Weise eingetroffen. Jene Zeit hat im 1. Makkabäerbuch eine sachkundige geschichtliche Darstellung erhalten.
Was soll dazu gesagt werden? Was nach unserem menschlich begrenzten Denk- und Urteilsvermögen m ö g l i c h sei, das muss sehr sorgsam durchdacht werden. Beispielsweise wurde noch vor einem halben Jahrhundert der Gedanke des lenkbaren Luftschiffes für etwas Unmögliches angesehen; an ein Flugzeug, das ohne Ballonhülle die Luft durchqueren könne, dachte man vollends nicht. Und doch ist der letzte große Krieg - menschlich gesprochen - hautsächlich durch Flugzeuge von gewaltigem Ausmaß und Gewicht entschieden worden. Dementsprechend sind Urteile, wie sie n och vor einem halben Jahrhundert üblich waren, sehr vorsichtig geworden. wollte man nur gelten lassen, was der menschlichen Natur als möglich erscheint, dann müssten wir auch das W u n d e r streichen. Das Wort „unmöglich“ rechnet nicht mit dem lebendigen Gott, und vergisst zugleich die Grenzen unseres menschlichen Erkenntnisvermögens. Ob diese Grenze nicht auch überschritten wird, wenn man meint, mit den Mitteln der menschlichen Vernunft eine Prüfung darüber anstellen zu können, bis zu einemGrade, in welchem Ausmaß und auf wie lange hinaus Prophetie möglich sei? Prophetie entspringt ja gerade n i c h t menschlicher Vernunft, sondern ist eine Enthüllung des gegenwärtigen und zukünftigen Geschehens durch G o t t e s Geist.
Wenn man die prophetischen Voraussagen nicht antastet und einschränkt, dann werden freilich n e u e Fragen wach: inwiefern noch von menschlicher V e r a n t w o r t u n g gesprochen werden könne, wenn Menschenhände, allerdings ohne es zu wissen, nur ausführen, was nach Gottes längst gefasstem Plan geschehen soll? Und bleibt noch Raum übrig für Gottes Eingreifen im e i n z e l n e n , wenn der Gang des Geschehens in großen Zügen schon mehr oder minder festgelegt ist? Hat dann ein gläubiges B i t t gebet, das doch mit dem Eingreifen Gottes rechnet, noch einen Sinn?
Um solche letzten Fragen durchzudenken und zu einer befriedigenden Lösung zu gelangen, dazu reicht unser menschlich beschränktes und zudem noch durch die Gottesferne getrübtes Erkenntnisvermögen nicht aus, selbst wenn es sich an Hand der Schrift schulen lässt. Unser Erkennen bleibt in unserem irdisch-zeitlichen Stand noch Stückwerk (1Kor 13:9). Auch Paulus hat mit solchen Fragen gerungen. Sie haben ihn letzten Endes zur Anbetung Gottes veranlasst (Röm 9-11, besonders Röm 11:33-36). „Einst werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin“ (1Kor 13:12). Für jetzt werden solche Fragen still unter dem Kreuz Christi.’'
Darum ist ein Blick auf die Passionsgeschichte des Herrn besser als alle noch so tiefgründigen Erwägungen. Seine Passion war im g a n z e n Alten Testament bis in ihre Einzelheiten hinein im voraus dargestellt, und zwar nicht nur im prophetischen Wort des Alten Testaments, ,sondern auch in dessen G e s c h i c h t e n. Nur waren die vielen E i n z e l züge der Passion im Alten Testament noch nicht zu einem prophetischen G e s a m t bild zusammengefasst. Israels Führer haben trotz c ihrer bis in das einzelnen gehenden Bibelkenntnis nicht geahnt, dass sie mit ihrem Handeln das prophetische Wort zur E r f ü l l u n g brachten. Als sie Jesus am Kreuz erhöhten, wussten und bedachten sie nicht, dass ihre höhnenden Zurufe im Ps 22 im voraus schon fast wortwörtlich aufgezeichnet waren. Hat das ihre Schuld aufgehoben? Schuldig waren sie d o c h, obwohl sie das Wort der Schrift verwirklichten. Und trotz der V o r a u s verkündigung der Passion Christi war sein Kreuzesleiden doch seine b e w u s s t e Tat. Und innerhalb der Passionsgeschichte konnte sich trotz aller Vorausverkündigung der m e n s c h l i c h e n und s a t a n i s c h e n Übeltaten das v ä t e r l i c h e Wirken Gottes am Sohn und an den Jünger wunderbar auswirken. „Die göttliche Torheit ist weiser, denn die Menschen“ (1Kor 1:25).’'
Daniel selber hat vieles von dem, was er sehen durfte und m u s s t e, noch nicht verstanden und hat, weil er doch nichts Unverstandenes aufzeichnen wollte, mehrmals erst um Aufschluss bitten müssen. Vieles ist ihm aus den verhüllenden Zeichen heraus in die Wirklichkeit des Geschehens übersetzt worden. Aber nicht alles. Er hat diese Blicke auch nicht mit einem satten Gemütszustand aufgenommen, sondern mehrmals unter einer solchen Beunruhigung und Erschütterung, dass er darüber zusammenbrach und erst wieder durch Boten aus der unsichtbaren Welt aufgerichtet werden musste, ehe er zum Empfang weiterer Weissagung fähig war. Und dies, obwohl ihm das Zeugnis zuteil wurde, er sei Gott lieb und wert.
Übrigens isst der letztgenannte Charakterzug Daniels auch ein Hinweis auf unsere Zeit. Gewiss: es ist eine Erquickung und Befreiung, zu ahnen und wahrzunehmen, dass auch die Gegenwart und was noch kommen mag, von Gott längst vorbedacht ist. Aber es wäre gut, wenn mit der Wahrnehmung, dass wir etwas vom Schritt G o t t e s durch die Weltgeschichte sehen, auch eine innere E r s c h ü t t e r u n g verbunden wäre.
Der vorstehende Gedankenganz möge noch ergänzt werden durch einen Ausblick in die Ewigkeit. Wir werden alle einmal vor Gottes Angesicht und vor Christi Thron stehen. Wenn es so weit ist, werden wir den Verlauf unseres Lebens während unserer Erdenzeit in einer Weise übersehen, wie es uns jetzt, solange wir noch leben, noch nicht möglich ist. Gewiss werden wir auch jetzt schon in unserem Leben nicht nur eine Aneinandereihung von e i n z e l n e n Geschehnissen und Handlungen erblicken, sondern etwas ahnen von einem inneren Z u s a m m e n h a n g. So ist vor einer Anzahl von Jahren eine Lebensbeschreibung erschienen mit dem Titel: “Die Fußspuren Gottes in meinem Leben“. Diese Überschrift besagt viel. Aber einst werden wir in ungleich stärkerem Maß wahrnehmen, dass nicht wir selber es gewesen sind, die unser Leben nach eigenen Gedanken und Plänen gestaltet haben, sondern dass sich durch unser Leben ein roter Faden durchzieht, an dem Gottes Gedanken und Pläne und Ziele mit uns aufgereiht sind. Dann werden wir mit Beschämung wahrnehmen, wie wir den von Gott geplanten Grundriss unseres Lebens und Wirkens oft gestört haben, so dass Gottes Regierung wieder neu mit uns anfangen musste, um doch so noch zu Stand und Wesen zu bringen, was er sich mit uns vorgenommen hatte. „Mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und Mühe mit deinen Missetaten“ (Jes 43:24). W i e unser e i g e n e s Wollen und Wirken mit G o t t e s Gedanken und Wegen in unserem Leben sich zusammenreimt, das können wir jetzt noch nicht ü b e r s c h a u e n. Aber es ist gut, wenn wir es einmal a h n e n; und wenn es uns zu einem anliegen wird, endgültig auf Gotte Bahnen e i n z u g e h e n. Unser ganzes Anliegen wird, endgültig auf Gotte Bahnen e i n z u g e h e n. Unser eigenes wollen und Wirken wird durch Gottes Planen und Eingreifen in unser Leben nicht ausgeschlossen und ebensowenig unsere Schuld, wenn wir hinter dem Plan Gottes mit uns zurückbleiben und seine Wege kreuzen. An dieser Stelle haben wir wieder einen der wundersamen biblischen Z u s a m m e n blicke vor uns, die n e b e n einander und i n einander sehen, was wir mit dem Mitteln unseres menschlichen Verstandes nicht zusammenreimen können. Deswegen heißt es einmal (Phil 2:12.13): gerade deswegen, w e i l Gott es ist, der uns zum Wollen befähigt und zum Wollen das Vollbringen hinzufügt, d e s w e g e n lasst uns unser Heil wirken mit Furcht und Zittern!

1. Die Einordnung der prophetischen Blicke Daniels

Daniels Weissagung ist aus seinem Lebenslauf herausgewachsen. Dass Gottes Hand nicht nur über dem Leben der S e i n e n waltet, sondern die Weltgeschichte im G r o ß e n lenkt mit dem Ziel, sein Reich herbeizuführen, das hat Daniel erlebt, als er auf seine und seiner Freunde Bitten hin gewürdigt wurde, den Traum Nebukadnezars und dessen Deutung durch Gottes Geist zu erfahren.

Geraume Zeit nachher, als Nebukadnezar bereits gestorben und sein Sohn die Herrschaft übernommen hatte, wurde ihm in neuer, vertiefter Form die Weissagung zuteil, die er bereits bei der Deutung jenes Traumes kennengelernt hatte, nämlich von den vier großen Weltreichen. Die letzteren waren in Nebukadnezars Traum durch das große Standbild in menschlicher Gestalt mit seinen vier Teilen dargestellt (Dan 2). Daniel durfte nun selber das gleiche sehen, aber nicht unter den Zeichen einer herrlichen, menschlichen Gestalt, sondern abgebildet durch vier Raubtiere (Dan 7). Und das Gottesreich, von dem Nebukadnezar durch den kleinen Stein erfahren hatte, der das stolze Menschenbild zertrümmerte und dann so groß wurde, dass er die Welt ausfüllte, das sah nun er unter dem Zeichen des Menschensohnes (Dan 7). Zwei Jahre nachher - vielleicht war es damals bereits offenbar, dass die Blütezeit des babylonischen Reichs mit dem Tod seines Begründers dem Ausgang entgegenging - wurde ihm das Gesicht zuteil vom Aufkommen des medisch-ersischen Reichs in Gestalt des zweihörnigen um sich stoßenden Widders und zugleich von dessen einstigem Ende durch den daherstürmenden Ziegenbock (Alexander den Großen), durch den das griechische reich an Stelle des persischen trat. Auch der Griff des Griechentums nach dem Gottesvolk wurde ihm damals schon gezeigt wie er durch einen König aus einem der Nachfolgerstaaten nach Alexanders Tod erfolgte.

Ein neues Gesicht wurde ihm zuteil unter dem medischen König Darius, als das babylonische Reich durch das medo-persische abgelöst wurde. Damit war ein weissagendes Wort Jeremias von der 70-jährigen Dauer der babylonischen Herrschaft in Erfüllung gegangen. Daniel war damals bereits ein alter Mann. Nun legte sich ihm unter dem Eindruck der Weissagung die Frage nahe, ob der Sturz B a b e l s auch die Erlösung I s r a e l s bedeute und Gottes neue gnädige Gegenwart in Jerusalem und in einem neuen Tempel. Sein damaliges flehentliches Bittgebet wurde erhört, indem ihm die Weissagung von den 70 Jahr w o c h e n zuteil wurde. Sie besagt, dass die e i g e n t l i c h e und e n d g ü l t i g e Erlösung Israels erst in weiter Ferne zu erwarten sei, n ach einem jahrundertelangen Leben unter kümmerlichen Verhältnissem. Dann, an einem ganz bestimmten Zeitpunkt, werde seinem Volk die Erlösung nahetreten unter dem Messiaskönig. Aber nach dessen Ausrottung werde ein neuer Sieg der Weltmacht erfolgen mit großen Verwüstungen bis zum Schluss der Endzeit.

Daniels letztes Gesicht stammt aus dem dritten Jahr des Kores (Cyrus). Es fiel wohl in die Zeit, als Daniel die Erlaubnis zur Heimkehr seines Volkes erwartet. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass diese Heimkehr kurz vorher schon erfolgt war, nur dass vielleicht Daniel in seinem hohen Alter für seine Person nicht davon gebrauch machte. Vielleicht gelangten damals die ersten betrüblichen Nachrichten über die Schwierigkeiten des Neuanfangs in Jerusalem und über die Stockungen im Tempelbau nach Babel. Wäre es so, dann wäre damit erklärt, dass Daniel damals sehr betrübt war, und dass er das neue und letzte Gesicht nach einem dreiwöchigen Fasten erhielt.*

Anmerkung 25:

Geschichtliche Fragen zum Danielbuch
*Die Angabe Dan 10:1, wonach Daniel sein letztes Gesicht im d r i t t e n Jahre des Kores erhielt, scheint nicht zu stimmen mit der Bemerkung in Dan 1:21, wo es heißt, er habe noch das e r s t e Jahr des Kores erlebt. Denn am letztgenannten Satz entsteht der Eindruck, dieses erste Jahr des Cyrus sei Daniels Todesjahr gewesen. Wahrscheinlich ist es ja, dass das letzte Gesicht (Dan 10-12) in den Ausgang seines Lebens fiel. Denn es schließt mit der Ankündigung seines Todes, dem zu seiner Zeit eine fröhliche Auferstehung folgen werde (Dan 12:13).’'
Wie sind dies beiden Zahlenangaben zusammenzureimen? Die Stuttgarter Jubiläumsbibel nimmt an, dass die Bemerkung Dan 1:21 nicht Daniels Todesjahr benennen solle, sondern nur sagen wolle, er habe noch das Jahr erlebt, in welchem die Gefangenschaft Israels zu Ende ging. Die Heimkehrerlaubnis, die Cyrus den Gefangenen gewährte, fiel ja nach Esr 1:1 in sein erstes Regierungsjahr. Wenn diese Auffassung recht hat, dann hat Daniel, wie schon weiter oben als möglich angesehen worden ist, von der Heimkehrerlaubnis für seine Person keinen Gebrauch gemacht. Das wäre angesichts seines damaligen hohen Alters wohl verständlich, wiewohl unter den Heimkehrern sich offenbar auch manche Hochbetagte befanden. Denn sonst könnte nicht gesagt werden, ein Teil der Heimkehrer habe den alten Tempel noch mit eigenen Augen gesehen.
Es besteht aber auch noch eine andere Möglichkeit, die beiden Zahlenangaben zusammen zu sehen. Nämlich dann, wenn der m e d i s c h e Darius - der vom P e r s e r könig Darius zu unterscheiden ist - ein MItregent des Kores war, aber vor Kores starb. In diesem Fall könnte eine doppelte Zählung der Regierungsjahre des Kores vorliegen, von denen die eine die M i t regenschaft mit Darius einrechnen, während die andere seine Regierungsjahre erst von seiner A l l e i n herrschaft an zählen würde.
Ein ähnlicher Fall liegt vor beim z w e i t e n römischen Kaiser, Tiberius, der in den letzten Lebensjahren des Augustus dessen Mitregent war. In Lk 3:1 ist das 15. Jahr des Tiberius als das Jahr genannt, in welchem Johannes der Täufer sein Heroldsamt antrat. A l l e i n herrscher wurde Tiberius nach des Augustus Tod im Jahr 14 nach Beginn unserer Zeitrechnung. Es fragt sich nun, ob in der Zeitangabe „15. Jahr des Tiberius“ die Mitregentschaft des Augustus miteingeschlossen ist oder nicht. Wäre das letztere der Fall, dann fiele das auftreten des Täufers etwa in das Jahr 29 nach Beginn unserer Zeitrechnung. Wird dagegen die Mitregentschaft eingerechnet, dann ist der Beginn von Israels großer Erlösungsjahrwoche einige Jahre vorher anzusetzen. Dass dieser Hinweis nicht ganz unwichtig ist, das wird sich ergeben bei der Besprechnung der Weissagung Daniels von den 70 Jahrwochen im 9. Kapitel.
In diesem Zusammenhang seien noch zwei Unstimmigkeiten zwischen der üblichen weltlichen Darstellung der Geschichte und den Angaben des Danielbuchs genannt. Die erstere hält sich an außerbiblische Nachrichten aus griechischen Quellen und aus den alten Keilinschriften, die aber unter sich nicht immer zusammenstimmen, und sucht diese i einem Gesamtbild zusammen zu sehen. Für die beiden letzten Jahrzehnte des babylonischen Reichs stimmt das so gewonnene übliche Geschichtsbild nicht mit dem Bericht im Danielbuch zusammen. So ist die weltliche Geschichtsschreibung der Meinung, es gäbe nur einen P e r s e r könig Darius, der übrigens auch im Buch Esra genannt ist. Dagegen können man von einem M e d e r könig gleichen Namens, den das buch Daniel nennt, nicht sprechen. Ferner dürfe man das medische und persische Reich nicht als ein zusammengehöriges D o p p e l r e i c h sehen, wie es in Dan 5:28 und Dan 8:20 dargestellt ist. Vielmehr sei die medische Herrschaft der Perserherrschaft v o r a n gegangen und von der letzteren beseitigt worden.
Auch diese Unterschiede waren für manche Bibelforscher ein Anlass zu besorgter Frage, ob den Angaben im Danielbuch volles Zutrauen geschenkt werden dürfe. Dieser Sorge gegenüber möge, wie schon in Anmerkung 1, die Frage entgegengestellt werden: warum soll dem biblischen Bericht nicht mindestens die gleiche Glaubwürdigkeit zugesprochen werden wie außerbiblischen Nachrichten, die ohnedies nur mit Mühe zu einem Gesamtbild zu vereinigen sind? Vielleicht kommt noch die Zeit, welche die Richtigkeit des biblischen Berichtes n a c h z u w e i s e n imstande ist; ,aber auch solange dies noch nicht in vollem Maß möglich ist, darf der Bibelleser aufgemuntert werden, der i n n e r e n Selbstbezeugung der Bibel zu trauen. Solches Zutrauen wird belohnt durch den großen Gewinn, der gerade aus den Teilen der Bibel entnommen werden kann, die in Anfechtung stehen.’'
Was den im Danielbuch genannten M e d e r könig Darius betrifft, so ist es wohl möglich, dass manche Herrscher der damaligen Zeit mehrere Namen hatte, von denen die Bibel den einen und sonstige Nachrichten den anderen nennen.

Was dem fastenden Daniel damals zuteil wurde, da war die Erscheinung eines himmlischen Boten von großer Herrlichkeit. Die letztere hat eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Glanz in welchem der Apostel Johannes den erhöhten Herrn sah, als er ihm die im letzten Buch der Bibel niedergelegten Gesichte zuteil werden ließ. Im Hebräerbrief, aber auch durch Paulus, wird darauf hingewiesen, dass der Herr bereits v o r seinem Erscheinen im Fleisch in der Geschichte des alten Gottesvolkes wirksam gewesen ist, in das er dann mit seiner Geburt gliedmäßig eintrat. So ist es wohl möglich, dass hinter dem Engelfürsten, der damals dem Daniel Aufschlüsse gab, der Herr selber stand, der den treuen Knecht nach dem letzten Blick, den er ihn n och tun ließ, vom irdischen Tagewerk abrief zur Ruhe des Volkes Gottes, ähnlich wie einstens Mose. Der Inhalt des letzten Gesichts, das dem Daniel zuteil wurde, zielt zwar auf die größte Gefahr, die Israel in seiner vorchristlichen Zeit durchzukämpfen hatte, als das Griechentum mit Schmeicheln und Locken und ein Vertreter der griechischen Weltmacht, nämlich Antiochus Epiphanes, mit Gewalt es seiner göttlichen Berufung entkleiden wollte. Aber es ist wohl möglich, ja wahrscheinlich, dass das Gesicht ohne dass Daniel es damals schon ganz verstand, von Antiochus Epiphanes bereits hinüberschaut auf den großen Gegenspieler Christi am Schluss der derzeitigen Weltgeschichte, wo der „Antichrist“ noch einmal das erst berufene Gottesvolk zusammen mit dem neutestamentlichen hart bedrängen wird. Dan 11:36 mag der Übergang sein von jenem a l t t e s t a m e n t l i c h e n „Antichristen“ zum Antichristen der E n d z e i t.*

Anmerkung 26:

Die prophetische Perspektive
* Hier ist ein Wort zu sagen vom Gesetz der sogenannten prophetischen „Perspektive“. Dieser Ausdruck weist auf eine Eigentümlichkeit des l e i b l i c h e n Sehens hin und erklärt damit eine Besonderheit des p r o p h e t i s c h e n Schauens. Wenn das Auge nahe Gegenstände vor sich hat, kann es deren Standort und ihr räumliches Verhältnis zueinander deutlich wahrnehmen. Sieht es dagegen in weite Ferne, so schieben sich die Gegenstände ineinander. Wer beispielsweise von den Höhen der Schwäbischen Alb oder des Allgäus die Gipfel der Alpen vor sich hat, der sieht sie unmittelbar hintereinander, auch wenn die einzelnen Bergreihen durch tiefe Täler und größere Entfernungen voneinander getrennt sind. Das Auge kann die Entfernung der hinteren Linien von den vorderen nur schwer abschätzen und nimmt die Zwischenräume nicht wahr. Nur ein leiser Unterschied der Färbung ermöglicht einen Schluß auf kleiner oder größere Entfernung der einzelnen Berggipfel und Bergreihen. Ähnlich ist es beim Fernblick der P r o p h e t e n. Die haben die nähere und fernere Zukunft in vielen, vielleicht sogar in den meisten Fällen i n einander gesehen. Der Blick in die Zeiträume dazwischen war ihnen noch verhüllt. So ist es möglich, dass für den Blick des Daniel die nähere und fernere Zukunft seines Volkes in manchen Teilen seiner Weissagung zusammengeflossen ist, wo ihm nicht ein ausdrückliche N a c h einander der Ereignisse und Zustände gezeigt wurde. Dieses I n einander kommt besonders da zustande, wenn die nähere und fernere Zukunft in dem und jenem Stück Ähnlichkeit miteinander haben. So mag die Grenze zwischen der Trübsal Israels zur Zeit des Antiochus Epiphanes und zwischen der großen Trübsal, die als solche in Dan 12 genannt ist, Der 26. Vers des 11. Kapitels sein (Dan 11:36). Dafür, dass die Weissagungen nach diesem Vers auf eine s p ä t e r e liegende Notzeit Israels gehe, genauer gesagt: auf die Zeit vor dem Wiederkommen des Herrn, dafür spricht der Umstand, dass die Dauer der Tempelentweihung in der makkabäischen Notzeit eine etwas andere ist als die Dauer der im Dan 12 genannten Entweihung. Für die Entweihung in der makkabäischen Notzeit werden in Dan 8:14 2300 Abend-Morgen genannt, was vielleicht 150 Tage bedeutet; in Dan 12:11.12 dagegen ist die Entweihung auf 1290 Tage bzw. 1335 Tage beziffert; das erstemal auf etwas weniger als 3 1/2 Jahre, das zweitemal auf etwas mehr. Daniel hat selber ausgesprochen, dass ihm das Verständnis dieser Dinge abgegangen sei.

Der Unterschied zwischen Einblicken von Weltmenschen und Propheten

Seitdem sind 2 1/2 Jahrtausende dahingegangen. Das erstberufene Gottesvolk ist infolge der Verwerfung seines Königs und der Ablehnung des Evangeliums auf die Seite gestellt worden, und dafür sammelt der erhöhte Herr einstweilen die Gemeinde aus der Völkerwelt. Aber verstoßen hat Gott sein Volk nicht, wie es ausdrücklich in Röm 11 bezeugt ist. Die Zeit seiner Wiederaufnahme und neuen Indienststellung steht noch bevor. Seit beinahe 2000 Jahren ist Israel ein Volk zwischen den Zeiten und Völkern. Aber für die Christenheit aus der Völkerwelt gilt dies ebenfalls. Auch sie geht ihren Gang zwischen der ersten und zweiten Erscheinung des Herrn. Ebenso ist der ganze seitherige Geschichtslauf eine Art Zwischenzustand zwischen dem, was Gott mit der Menschheit vorhatte vor ihrem Fall und zwischen dem, was er an ihr tun will, wenn er durch seinen Sohn s e i n Reich auf dieser Erde aufrichten wird. So ist eine dreifache Geschichte dem großen Wendepunkt allen Geschehens nähergerückt: die Geschichte der W e l t, die Geschichte I s r a e l s, die Geschichte der C h r i s t e n h e i t. Unsere Generation steht dieser Wende ungleich näher als der Apostel Johannes, dem am Ausgang des apostolischen Zeitalters die eingehenden Blicke auf die größte Wende aller Zeiten geschenkt worden sind. In der Offenbarung des Johannes sind die Ausblicke Daniels bestätigt, aber gleichzeitig sind sie vertieft und erweitert, weil inzwischen der König Israels und der Welt offenbar geworden ist als der Gekreuzigte und Erhöhte. Da liegt etwas Ähnliches vor wie bei den dem Daniel in Dan 9 seinen Buches geschenkten Aufschlüssen. Dort ist eine Weissagung Jeremias bestätigt und ebenfalls vertieft und weitergeführt. Und die Generation vor dem Wiederkommen des Königs dürfen nun die Weissagung Daniels lesen und verstehen im Licht der Offenbarung des Johannes und zugleich im Morgenrot des kommenden Tages.

Das letzte, was Daniel im abschließenden Gesicht Dan 10-12 gezeigt wurde, ist übrigens nicht die Trübsal der Zeit des alt- und neutestamenlichen Antichrists, sondern ein Ausblick in die Herrlichkeit gottes. Er durfte bereits die Auferstehung schaue, hat vielleicht schon etwas davon geahnt, dass die Auferstehung der Gerechten eine besondere Herrlichkeit in sich schließe. Er selber durfte das alles nur von fern sehen. Denn er wurde zum Sterben berufen. Aber sein Sterben stand bereits im Glanz der kommenden Herrlichkeit.

Im vorstehenden wurde ein Überblick gegeben über die zeitliche Reihenfolge der Gesichte Daniels und zugleich aufgezeigt, in welchem Maß diese Aufschlüsse mit dem Lebensgang des Mannes verbunden, ja in ihn hinein verflochten waren. Seine eigene Berufung zum Propheten stand im inneren Zusammenhang mit dem Traum Nebukadnezars und damit, das ihm auf sein Bitten der Traum und dessen Deutung durch Gottes Geist geoffenbart wurde. Es wurde bereits gezeigt, wie sehr der dem König gewährte Traum von jener menschlichen Kolossalstatue und das Gesicht Daniels von den vier Tieren zusammenhängt. Es lohnt sich, die beiden Aufschlüsse miteinander zu vergleichen. An einem solchen Vergleich wird deutlich, dass Gott s e i n e n Leuten m e h r sagt als W e l t menschen. Mit Nebukadnezar hat Gott nur entsprechend dem Verständnis dieses Mannes reden können. Aber es ist ein Zeichen der Herablassung Gottes, dass er auch dem Weltherrscher nahegetreten ist. „Er ist nicht ferne einem j e g l i c h e n unter uns“ (Apg 17:27). Dem Weltherrscher erschienen die Weltreiche als eine prächtige M e n s c h e n g e s t a l t . Dem Daniel wurden sie gezeigt in der Gestalt von T i e r e n, ja von R a u b tieren. An diesem Punkt wird ein Unterschied sichtbar zwischen der m e n s c h l i c h e n Empfindung und dem Urteil G o t t e s. Dem ersteren erscheint alles Geschehen auf dieser Welt, das einzelne wie das umfassende, als die Entfaltung des menschlichen Wesens zu Glanz und Herrlichkeit. Die alten Griechen haben dafür den Satz geprägt: „v i e l e s Gewaltige lebt; doch n i c h t s ist gewaltiger als der M e n s c h !“ Mit dieser Anschauung vom Menschen ist untrennbar ein s t o l z e s Gefühl verbunden. Da freut man sich der menschlichen Größe und seiner Macht und seiner Ehre und seiner Kultur.

Aber dem Daniel hat Gott gezeigt, dass diese glänzende Außenseite alles menschlichen Wesens und Geschehens nur Fassade oder Schein ist. Hinter der schönen, großen, stolzen M e n s c h l i c h k e i t lauert das T i e r, und zwar nicht das Tier als s o l c h e s, sondern das R a u b tier, ja als Bestie. Das gilt für den einzelnen Menschen und seine Haltung und Handlungsweise wie für das g e s a m t menschliche Geschehen, sofern und solange man nicht dem Willen Gottes untertan ist. Wer hätte das an sich selber nicht auch schon geahnt oder mit Schrecken oder Entsetzen wahrgenommen? Wessen der Mensch fähig ist, das ist im Lauf der Geschichte offenbar genug geworden. Lange hat die Menschheit davon geträumt, dass mittelalterliche Methoden wie Inquisition und Folterung der Vergangenheit angehören, dass die Menschheit im Begriff sei, sich bis zum höchstmöglichen Grad zu verfeinern und zu veredeln. Das war der Traum des Entwicklungsgedankens. Dass auch hinter der Zivilisation und Kultur und namentlich hinter dem Fortschritt der Technik das Tier lauert, das ist in den letzten Jahrzehnten mit erschreckender Deutlichkeit offenbar geworden. Es sei an dieser Stelle ein Vorgriff gemacht auf die Zeit, die Daniel nicht mehr selber erlebt, die er aber in seinen Gesichten beschrieben hat. Kann man sich etwas Sympathischeres denken als das verfeinerte Griechentum mit seiner Humanität? Gewiss: der griechische Geist, wie er nicht nur in der alten Zeit sich entfaltet hat, sondern wie er weiter wirkt bis in die Gegenwart, hat auch l i e b e n s w e r t e Züge. Aber K r a l l e n hat die griechische Art ebenfalls.

Das ist seinerzeit offenbar geworden, als das Griechentum in Gestalt des Antiochus Epiphanes nach dem alten Gottesvolk griff. Was ihm durch Schmeicheln und Locken nicht gelang, da suchte er mit brutaler Gewalt zu erreichen und durchzusetzen, sogar gegenüber dem H e i l i g e n. Bei der Gewaltanwendung war das Gewissen völlig ausgeschaltet, und das Menschenleben galt nichts mehr. Im römischen Reich hat sich der römische G e i s t durchgesetzt. Wohl hat der letztere ein folgerichtiges Rechtssystem aufgebaut. Aber sein Tierart offenbarte sich ebenfalls, indem er die Bindung an Gott und Gottes Wort abstreifet und zum Anbeter der Gewalt wurde, was sich bis zum Machtrausch steigerte. „Herr, was ist der Mensch, dass Du sein gedenkst?“ (Ps 8). Aus dieser Loslösung des menschlichen Wesens von Gott ist jene Frage des Gewaltmenschen Pilatus an Jesus entstanden, die beides miteinander war, wehmütig und höhnisch, „Was ist Wahrheit?“ Die beiden Ausprägungen des menschlichen Wesens, wie sie das dritte und vierte Weltreich beherrscht haben, sind heute noch nicht ausgestorben; sie haben die europäische Geschichte von zwei Jahrtausenden beherrscht. Was wäre aus der europäischen Geschichte geworden, wenn Gottes Barmherzigkeit in diese Hintergründe des abendländischen Wesens nicht heilige Einflüsse hineingeleitet hätte, indem er unserem Erdteil das Evangelium von seinem Sohn anvertraut hat und dies in ungleich höherem Maß als den anderen Teilen der Welt! Wir können das kurz den c h r i s t l i c h e n Einschlag nennen.

Der letztere hat bis zu einem gewissen Grad das T i e r ähnliche an der Geschichte des Abendlandes eingedämmt, hat aber seinerseits auch selber schwere Einbußen erlitten. Es ist ein sehr ernstes Zeichen der letzten zwei Jahrhunderte und der Gegenwart, dass - wenn auch in verschiedenem Maß - der versuch gemacht worden ist, den christlichen Einschlag im europäischen Völker- und Staatsleben in den Winkel zu drängen, auszuschalten oder gar auszumerzen. Im Land der Reformation ist das trotz des Wortes vom „positiven Evangelium“ g r u n d s ä t z l i c h (systematisch) versucht worden. eine weitere Fortsetzung dieses Weges unter den seitherigen „christlichen“ Völkern hätte nicht nur tiefernsten Einfluss auf das Ergehen der Kirchen, sondern würde auch das europäische Staats- und Völkerleben auf das ernsteste beeinflussen. Es isst nicht möglich, die christliche Geschichte Europas von mehr als einem Jahrtausend rückgängig zu machen, ohne zugleich in das Antichristentum hineinzugeraten. Dass solche Gedanken überhaupt ausgesprochen werden können und müssen, ist auch ein Zeichen da für, wie weit unsere Geschichte fortgeschritten ist auf dem Weg zum Ausgang des jetzigen Zeitlaufs. Um von da zur Weissagung des letzten Buches der Bibel hinüberzublicken: dort sind bei der Beschreibung der Endzeit keine Gebilde mehr sichtbar, die man „Kirchen“ nennen könnte.

Eine Gemeinde Jesu zwar ist noch deutlich wahrzunehmen. Aber die steht nach dem Wort der Offenbarung in der Endzeit unter solchem Druck, dass ihr die Existenzgrundlage nahezu abgeschnitten ist und ihr nur noch der Kreuzesweg übrig bleibt. Es ist zu einer tiefernsten Frage für den Fortgang der europäischen und der Weltgeschichte geworden,: wie wird es mit der Christenheit der Völker und der Kirchen weitergehen? - Mit diesen Gedanken ist k ein Stein geworfen auf all die ernstlichen Bestrebungen der Kirchen, den Völkern, in deren Mitte sie wirken, das Beste - nämlich Jesus, das Wort Gottes und die Wirkungen des Heiligen Geistes - neu zu vermitteln oder wenigstens zu sichern. Ebensowenig ist die Arbeit der christlichen Mission, die seit zwei Jahrhunderten alle Kraft eingesetzt hat, der Völkerwelt das H e i l nahe zu bringen, irgendwie gering geschätzt. Nicht nur die Gemeinde Jesu im eigentlichen Sinn des Wortes, sondern auch die Kirchen haben die Pflicht, ihre ganze Kraft herzugeben, damit die Botschaft vom Reich und vom König des Reichs zu allen Völkern dringe und in ihnen wirksam werde. Aber es wird gut sein, wenn die Gemeinde Jesu sich bei aller Gewissenhaftigkeit und Mühe darüber klar ist, dass die Welt als G a n z e s n i c h t erobert wird, Sie hat ihr Zeugnis auszurichten - wehe, wenn sie es nicht tut! - aber am Schluss des jetzigen Zeitlaufs wird die Welt - als Ganzes genommen - nicht unter dem Zeichen des Kreuzes stehen sondern dem Antichristentum verfallen sein und dem Antichristentum huldigen. „Wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinst du, dass er auf der Welt auch Glauben finden werde?“ (Lk 18:8).

Der Gedankenganz des vorhergehenden Abschnitts war an die Wahrnehmung angeschlossen, dass Daniel das gleiche, was Nebukadnezar iin einer gewaltigen m e n s c h l i c h e n Gestalt gesehen hatte, in Gestalt von R a u b t i e r e n wahrnahm, deren letztes einer unbenennben B e s t i e glich. Es sei noch auf einen anderen Unterschied zwischen Dan 2 und Dan 7 hingewiesen auch Nebukadnezar wurde gezeigt, dass alle menschliche Herrlichkeit und Größe dem W e c h s e l und schließlichem Vergehen ausgesetzt ist. Daniel durfte m e h r sehen: er nahm wahr, dass beides durch das G e r i c h t Gottes herbeigeführt wird. Dass es ein solches Gericht nicht nur über alle menschliche Größe, sondern überhaupt über jedes menschliche Einzelleben,wie über die ganze Völkergeschichte gibt, das weiß die Welt n i c h t, und wenn sie es schon wissen könnte, so w i l l sie es nicht wissen. Was wird offenbar, wenn eine Periode menschlicher Machtentfaltung abgeschlossen wird, wie das in der Weltgeschichte schon oft der Fall war? Das ist ein richterlicher Akt Gottes, der sich schon i n n e r h a l b der Weltgeschichte vollzieht. In diesem Sinn hat jenes Wort wenigstens zum Teil recht; „die Weltgeschichte ist das Weltgericht“. Aber die g a n z e Wahrheit ist das noch nicht. Das eigentliche Gericht Gottes kommt erst n a c h dem Abschluss des Einzellebens und der Weltgeschichte. Es wird wohl so sein, dass die Furcht des Todes, die im Menschen steckt, auch im tapferen, nicht nur von der Ungewissheit herrührt, was nach dem irdischen Leben kommen werde, sondern dass sie auf einer Vorahnung des Gerichts beruht. „Es is dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht“ (Hebr 9:27). Es ist nun aber nicht so, dass das Gericht Gottes über das menschliche Geschehen sich nur in einer Menge von E i n z e l gerichten erschöpfen würde; vielmehr gehen auch die V ö l k e r und die R e i c h e dieser Welt dem Gerichtstag Gottes entgegen. - W e r wird richten? Es sei nur an ein Wort des Apostels Paulus erinnert, das er am Hauptsitz der stolzen griechischen Bildung gesprochen hat, nämlich in Athen: „Gott hat einen Tag gesetzt, an welchem er richten will den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit durch einen Mann, win welchem er es beschlossen hat,“ nämlich durch den von der Welt zwar ausgestoßenen, aber durch seine Auferweckung zum Herrn der Welt gemachten Christus (Apg 17:31).

In welchem Maß Daniel, obwohl er fas 600 Jahre vor der ersten Erscheinung Christi gelebt hat, auf diesen kommenden r e c h t e n Weltregenten hat hinausschauen dürfen, das geht hervor aus einem dritten Unterschied zwischen dem Traum Nebukadnezars (Dan 2) und dem Gesicht Daniels (Dan 7). Nebukadnezar nahm nur einen S t e i n wahr, der das stolze Menschenbild zum Umstürzen brachte. Daniel dagegen sah den M e n s c h e n s o h n. In diesem Punkt wird wieder ein durchgreifender Unterschied sichtbar zwischen dem, was der M e n s c h sieht, und dem, was ein durch G o t t e s G e i s t erleuchtetes Auge wahrnimmt. Menschen sehen nur Verhältnisse, Zustände, Taten, Mittel, Erfindungen, Technik, und schreiben all diesen g e g e n s t ä n d l i c h e n Größen die Wirkungen zu, welche das Weltgeschehen beeinflussen, formen und umgestalten. Dass das alles große Bedeutung hat, wird nicht bestritten. Beispielsweise haben zwei Atombomben genügt, um den letzten Krieg abzukürzen und zum Abschluss zu bringen. Was Menschen und Weltmächte aber n i c h t sehen, ,wenn sie nicht vom Geiste Gottes erleuchtet werden, das ist die Hand G o t t e s, die alles Geschehen lenkt. Ob es nun die g u t e Hand Gottes ist, von der Nehemia geschrieben hat, oder die m i l d e Hand, von der Ps 104 geschrieben steht, oder die a u s g e s t r e c k t e Hand Gottes, die zum Schlag ausholt, oder die g e w a l t i g e Hand Gottes, der sich alle menschliche Macht beugen muss - immer handelt es sich um ein p e r s ö n l i c h e s Eingreifen Gottes. Und dieses Eingreifen geschieht seit Christi Erhöhung auf den Thron Gottes durch den einst gekreuzigten Herrn. Das ist der Menschensohn, den Daniel am thron Gottes sah. Der wird nicht nur e i n s t das Gericht verwalten, sondern der r e g i e r t schon seit bald zwei Jahrtausenden als der Herr aller Herrn und der König alle Könige. Ja, wie schon weiter oben gesagt worden ist: er stand bereits hinter der v o r christlichen Geschichte Israels und der Welt. Aber seit der großen, am Kreuz vollbrachten Tat gilt das Wort des Propheten Jesaja noch m e h r: „des Herrn (nämlich Gottes) Vornehmen wird durch sein (nämlich Knechte Gottes) Hand w e i t e r gehen“ (Jes 53:10). Wie hat er selber, als er mit gebundenen Händen vor seinen Richtern stand, es feierlich bezeugt? „Ihr werdet sehen des Menschen Sohn, sitzen zur Rechten der Kraft Gottes und kommen in den Wolken des Himmels“ (Mt 26:64).*

Anmerkung 27:

Prophetische Geschichtsdarstellung
* In diesem Zusammenhang sei noch ein Wort gesagt über die besondere Art der p r o p h e t i s c h e n G e s c h i c h t s darstellung. Solche gibt es n u r in der Bibel; und in einem schwachen, unvollkommenen Nachbild innerhalb der Christenheit. Unter prophetischer Geschichtsdarstellung verstehen wir die Beleuchtung des Geschehenen mit G o t t e s Licht. Aufgabe eines Propheten ist nicht nur der Blick in das K o m m e n d e; auch nicht nur - wiewohl das etwas s e h r Wichtiges ist - das Hineinrücken der G e g e n w a r t in das Licht Gottes; sondern auch das Wahrnehmen dessen, was g e s c h e h e n ist, vom Standort G o t t e s her. In d i e s e m Sinn verstanden sind alle Bücher der Bibel prophetische Schriften, nicht nur die im engeren Sinn so genannten. Beispielsweise auch die Königsbücher; denn der Hauptnachdruck wird dort nicht gelegt auf den n a t ü r l i c h e n Fortgang des Geschehens; vielmehr wird in ihnen aufgezeigt, wie G o t t e s Hand in Israels Königszeit in die Geschichte eingriff und sie leitete in Erweisungen von Gnade und Gericht. Im Neuen Testament gilt das gleiche von den Evangelien und von der Apostelgeschichte. O welchen Wert hätte es für die Christenheit, wenn ihre Geschichte in diesem prophetischen Licht nicht nur bis zur Verbringung des Apostels Paulus nach Rom beschrieben wäre, sondern wenn all die Jahrhunderte seither in Gottes klarem Licht aufgezeichnet wären. Eine solche Darstellung des Gangs des Christentums durch die Jahrhunderte bis zur Gegenwart gibt es n i c h t Das ist sehr schmerzlich. Wäre eine solche prophetische Beschreibung der Kirchengeschichte vorhanden, dann wäre klar erkennbar, wo F e h l entwicklungen eingesetzt haben. Und die christlichen Kirchen und Gruppen wüssten eher, was an ihrem Wollen und Handeln richtig ist und was daran korrigiert werden sollte. Um ein Beispiel zu nennen: wie verschiedenartig sieht die Darstellung der Reformationszeit aus, je n achdem sie aus der Feder eines überzeugten Katholiken oder eines glaubenden Gliedes der evangelischen Kirche stammt! Es wird auch zu den Fügungen Gottes gehören, dass wir solche prophetischen Darstellungen der christlichen Geschichte n i c h t haben. Auf der anderen Seite beruht die heilsame Wirkung der biblischen Geschichten gerade auf deren prophetischer Darstellung. So ist es gekommen, dass den im Alten und Neuen Testament erzählten G e s c h i c h t e n in solch hohem Maß die Wirkung eigen ist, die Paulus in 2Tim 3 der g a n z e n Schrift zuschreibt, dass sie nämlich zurechtweise, erziehe, bessere und also behilflich sei, dass Gottesmenschen entstehen.
Diese Besonderheit der biblischen Geschichtsdarstellung kommt in der hebräischen Bibel dadurch zum Ausdruck, dass alle erzählenden Schriften vom Buch Josua an bis zum 2. Königsbuch „Propheten“ genannt werden. Nur mit der Beifügung „f r ü h e r e“ Propheten. Die e i g e n t l i c h e n prophetischen Schriften werden die „späteren“ Propheten genannt. Im Unterschied zu den „prophetischen“ Schriften in diesem doppelten Sinn werden die 5 Bücher Mose das „Gesetz“ genannt. Allen anderenBüchern des Alten Testaments erhielten kurzerhand den Namen “Schriften“. Als deren wichtigstes Stück galten die Psalmen. Dies Einteilung der hebräischen Bibel in Gesetz, Propheten und Psalmen“ klingt heute noch im Neuen Testament durch. So Lk 24:27, wenn es in der Geschichte von den Emmausjüngern heißt: „er fing an von Mose und allen Propheten und legte ihnen alle Schriften aus, die von ihm gesagt waren,“ und wenn es im gleichen Kapitel Lk 23:44 heißt: „es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben ist im Gesetz Mose, in den Propheten und in den Psalmen.“ Inwiefern ist dieser Hinweis nicht ganz unwesentlich? Weil damit ausgesprochen ist, dass der Herr nicht nur im Gesetz Moses und nicht nur in den e i g e n t l i c h e n prophetischen Schriften die Hinweise auf sich wahrgenommen hat, sondern dass er ebenso in den biblischen G e s c h i c h t e Vorausdarstellungen seines Lebens und seiner Herrlichkeit gegeben hat. In diesem Sinn ist es auch zu verstehen, wenn er von der g a n z e n „Schrift“ - so hieß man zu seiner Zeit das Alte Testament - gesagt hat die Schrift sei das Buch, das von i h m Zeugnis ablege (Joh 5:39).’'
Aus diesem Hinweis geht hervor, dass das Alte Testament noch lange nicht ausgewertet ist, wenn es nur als das Buch vom Volk Israel verstanden wird, in welchem auch g e l e g e n t l i c h e Hinweise auf dessen dort verheißenen König sich fänden. Vielmehr muss das g a n z e Alte Testament, wenn es richtig und im Vollsinn verstanden werden soll, mit dem Blick auf Ihn gelesen werden. Dann wird es lebendig. Dann können am Alten Testament die brennenden Herzen entstehen, von denen die beiden Emmausjünger n ach den paar Stunden Bibelarbeit unter der Anleitung des Meisters gesprochen haben. Solange das Alte Testament nur als „jüdisches“ Buch gelesen und empfunden wird, ist es noch ein „verschlossenes“ Buch. „Offen“ liegt es erst für diejenigen da, die in diesem Buch von Anfang bis zum Schluss Jesus sehen lernen. In diesem Licht betrachtet ist die g a n z e Bibel, nicht nur das Neue Testament, das Buch von J e s u s.

2. Daniels Wort zu den vorchristlichen Zeitwenden

Das babylonische Weltreich war in Gottes Hand das Mittel, wodurch in der Geschichte des erstberufenen Gottesvolkes die große Wende herbeigeführt worden ist, die bis zu einem gewissen Grad noch bis zum heutigen Tag andauert. Aber dieses gewaltige Weltreich hat selber eine Zeitwende erleben müssen. Nur 70 Jahre hat es Bestand gehabt; dann musste es seinem Nachfolger Platz machen. Es ist von praktischem Wert, wahrzunehmen, wodurch dieser Wechsel in der Weltgeltung herbeigeführt wurde. An diesem Punkt wird wieder der Unterschied zwischen der üblichen (profanen) Geschichtsdarstellung und der prophetischen Geschichtsauffassung deutlich. Die zuerst genannte könnte etwa von einem „Altern“ des babylonischen Weltreichs sprechen, das deshalb „jungen“ Völkern, wie Meder und Perser es waren, unterlegen sei. Das Buch Daniel sieht die Gründe für den Fall Babels und für dessen Ablösung durch das nächste Weltreich an einer ganz a n d e r e n Stelle, nämlich darin, wie die Herrscher Babels sich zum lebendigen Gott gestellt haben. Zwar waren die Regenten Babels Heiden und beteten ihr Götter an. Aber v ö l l i g e Heiden gibt es nicht. Denn jedem Volk und jedem Menschen tritt Gott nahe, auch wenn sie für gewöhnlich ihr Leben in der Gottesferne zubringen. Deshalb hat der Apostel Paulus in Athen, der Stadt der künstlerischen Götzenbilder gesagt, Gott habe allen Völkern das Suchen nach Ihm in die Seele gelegt, weil er nicht ferne sei von einem jeglichen, da wir ja alle miteinander nur in ihm unser Leben, unseren Bestand und unsere Wirkungsmöglichkeit haben (Apg 17:27.28). So ist der lebendige Gott auch in das Leben des Weltherrschers eingetreten. Daniel und seine Freunde waren die Werkzeuge seines Nahetretens. Aber auch unmittelbar hat sich ihm Gott bezeugt in jenem Traum, der freilich erst durch das Zeugnis Daniels für ihn Bedeutung erlangt hat. Damals hat Gott ihm bezeugt, dass er seine Machtstellung nicht sich selber verdanke, sondern Ihm, und dass er diese Machtstellung zu seiner Zeit auch wieder abgeben müsse. Nebukadnezar hat sich damals darunter gebeugt.

Nun ist es merkwürdig, dass gerade diese Selbstbezeugung Gottes an Nebukadnezar für den Weltherrscher der Anlass zum Fall geworden ist. Er sah an jenem Traum nicht mehr die Herrscherobmacht G o t t e s, sondern nur noch die glänzende, gewaltige M e n s c h e n gestalt. Was ihm zur dauernden Beugung unter den lebendigen G o t t hätte dienen sollen, das wurde für ihn zum Mittel der S e l b s t erhöhung und einer neuen, den Bestand seines Staates sichernden R e l i g i o n. So wird es wohl zu erklären sein, dass er nach jenem Traum - vielleicht eine geraume Zeit nachher - die menschliche Kolossalstatue errichten ließ und die ganze Beamtenschaft seines Reichs zur Ehrung dieses seines neuen Gottes kommandierte; und dass er, wenn nicht Gottes Hand eingegriffen hätte, zum Mörder der Freunde Daniels geworden wäre. Gott hat dem König dieses Herabsinken vorziehen und hat sich ihm aufs neue in seiner Herrlichkeit bezeugt, indem er die drei Männer aus dem Feuerofen errettete. Der König bekam damals sogar einen Blick für den Engelschutz, der den drei Treuen im Feuerofen beigegeben war. Die Wirkung auf Nebukadnezar war gewaltig. Er hat damals sogar seine Völker zur Ehrung des lebendigen Gottes aufgefordert.

Aber nun kam der n e u e Fall. Statt dauernd in der Beugung in vor der erkannten Herrlichkeit Gottes zu bleiben, verfiel er wieder in seinen alten selbstherrlichen Stolz. Er wurde zwar vorher durch einen Traum davor gewarnt. Aber bei der Einweihung seiner gewaltigen Bauten in Babel - wie oft haben schon solche Bauten der politischen Selbstverherrlichung dienen müssen! - brach dieses Selbstgefühl trotz der Warnung durch. Da wurde er tiefer gedemütigt, indem ihm auf geraume Zeit der Verstand genommen wurde. Der stolze Mann sank zum Tier herab. Aber auch in seinem umnachteten Zustand war er n och fähig, sich vor Gott zu beugen, und sofort bekam er seinen Verstand wieder und seine königliche Stellung. Diesmal scheint die Beugung nachhaltiger gewesen zu sein. Denn er hat die ganze Geschichte von seinem Stolz und von seiner Demütigung in einem königlichen Erlass seinen Völkern bekannt gegeben und sie zur alleinigen Ehrung des lebendigen Gottes aufgefordert.

Vielleicht rührt es von dieser Empfänglichkeit Nebukadnezars für Gott her, dass er und sein Reich in seinem Traum durch das edelstes Metall gekennzeichnet wurde, nämlich durch das Gold. Die folgenden Weltreiche werden in absteigendem Maß charakterisiert durch Silber, Kupfer, Eisen und Ton.

Eine Frage und Vermutung sei noch angeschlossen. Woher rührt diese Empfänglichkeit des babylonischen Weltherrschers? War das nicht vielleicht der Rest eines Erbes aus der Väterzeit her? Die Babylonier waren aus Sems Geschlecht, aus dem gleichen Geschlecht, dem das Volk Israel angehöre. Die Semiten haben das Gotteserbe am meisten bewahrt. Dann kamen die Japhetithen (worunter wir die Indogermanen verstehen dürfen), die nachher „in den Hütten Sems wohnen“ durften. (1Mo 9:27). - Das mag wohl der Grund sein, weshalb die Japhethiten die Segnungen des Christentums in den letzten zwei Jahrtausenden reichlich zugeflossen sind, während die Hamiten, d. h. fast alle übrigen Völker, erst in den letzten zwei Jahrhunderten näher mit dem Evangelium bekannt wurden durch den Dienst der Mission. Semiten waren auch die Assyrer, d. h. die Weltmacht, die vor dem babylonischen Reich bestimmend in die Weltgeschichte eingriff. Die letzteren waren auch nicht ganz unempfänglich für Gott trotz des Versunkenseins in den Götzendienst. Das ist aus dem Buch des Propheten Jona zu sehen, der die Leute von Ninive zwar verachtete und hasste, so dass sich der ihm befohlenen Botschaft an sie entziehen wollte, dessen Bußruf in Ninive dann aber vollen Erfolg hatte. Wodurch haben letzten Endes die Assyrer ihre Weltherrschaft eingebüßt? Ob nicht der selbstherrliche Stolz des assyrischen Großkönigs die Hauptschuld daran gehabt hat? Der hat bei der Belagerung Jerusalems zur Zeit des frommen Königs Hiskia und des Propheten Jesaja den lebendigen Gott gehöhnt und unter seine Götzen heruntergesetzt. Darum ist ihm die Eroberung Jerusalems misslungen, und Assyrien wurde reif zum Sturz.

Warum Babel fiel

Wodurch wurde B a b e l zum Sturz reif? Nicht schon durch Nebukadnezar, sondern erst durch seinen Sohn und Nachfolger Belsazar. Der hatte, wie es ihm Daniel ins Gesicht hinein gesagt hat, die Taten Gottes an seinem Vater gesehen udn war ebenso Zeuge von der Demütigung seines Vaters durch den lebendigen Gott. Er hat sich aber nicht gescheut, bei jenem Königsmahl die aus dem Tempel in Jerusalem geraubten heiligen Gefäße zum Saufen zu verwenden und dabei samt der ganzen geladenen Gesellschaft Loblieder auf seine Götzen zu singen. Auf diese Weise wurde das Maß voll. Nun erschien an der getünchten Wand jene geisterhafte Hand, die da Mentekel schrieb und die den Übergang der Weltherrschaft an die Meder und Perser ankündigte.*

Anmerkung 28:

Woran die Völker fallen
*"Gerechtigkeit erhöht ein Volk, - aber die Sünde ist der Leute Verderben“ (Spr 14:34). Das ist einer der Grundsätze der göttlichen Weltregierung. Das Fahrenlassen der Gottesfurcht ruiniert nicht nur das E i n z e l leben, sondern auch ganze V ö l k e r. Und wenn die F ü h r u n g eines Volkes auf diesem schlimmen Weg vorangeht, ja diesen Weg im eigenen Volk fördert oder gar durchzusetzen versucht, dann führt sie nicht nur über kurz oder lang ihren eigenen S t u r z herb ei, sondern zieht ihr V o k mit in den Sturz hinein. Es wäre von Wert, die europäische Geschichte der letzten 400 Jahre unter diesem Gesichtspunkt zu durchforschen. Die Loslösung vom lebendigen Gott hat erschütternde Folgen, selbst dann, wenn bis zu einem gewissen Grad noch F o r m e n der Frömmigkeit festgehalten werden. Auf der anderen Seite ist es wohl möglich, dass sogar Weltmäche, deren Handeln durchaus nicht immer dem Willen Gottes entspricht, trotzdem durch Gottes Regierung viel Segen und einen weiten Umfang und eine lange Dauer ihrer Weltgeltung erhalten, wenn sie im Innern Frömmigkeit, christliche Sitte und Gottesfurcht schätzen und schützen.

Warum das Perserreich längeren Bestand hatte

Warum wurde dem persischen Reich - das zuerst mit Medien noch zusammengehörte - durch Gottes Regierung eine längere Dauer zugebilligt, obwohl auch dieses Reich wie alle Weltmächte einen unheimlichen Hintergrund hatte? Nicht umsonst ist ja in Dan 10:13 von den Kämpfen die Rede, welche die gute Geisterwelt mit dem unsichtbaren „Fürsten“ des Perserlandes auszufechten hatte. Es mögen zwei Gründe gewesen sein. Der Hauptgrund war die verhältnismäßig freundliche Haltung, welche die Herrscher dieses Reiches gegenüber dem Gottesvolk einnahmen. Der Perserkönig Cyrus war es, der bald nach der Eroberung Babels den Gefangenen die Heimkehrerlaubnis gab und den Bau des Tempels gestattete. In der Folgezeit, etwa 80 Jahre nachher, hat ein anderer Perserkönig, Artaxerxes, den Esra mit weitgehenden Vollmachten für sein Volk nach Jerusalem entsandt und 13 Jahre nachher seinen Mundschenken, den Nehemia. Diese beiden Männer waren in Gottes Hand die Werkzeuge zur Festigung und Reinigung des Volkes und zur Wiederherstellung Jerusalems.*

Anmerkung 29:

Das Ergehen der Völker durch ihre Beziehung zu Israel
*Die Art, wie die Völker und die Weltmächte zum Volk Israel Stellung genommen und es behandelt haben, ist kein unwichtiger Erklärungsgrund für ihr e i g e n e s Ergehen. Zwar ist es richtig, dass Gottes Regierung das erstberufene Volk nach der Ablehnung des Evangeliums auf die Seite gestellt und seinen Gang in die Völkerwelt fern von der Heimat verfügt hat. Ebenso ist es richtig, dass diesem Volk bis auf verhältnismäßig wenig einzelne die Augen für seinen eigentlichen König noch nicht aufgegangen sind, und dass es weithin sich in einer Weise mit den Gütern dieser Welt und Zeit befreundet hat, die nicht im Einklang steht mit seiner göttlichen Berufung. Aber verstoßen ist dieses Volk n i c h t, und seine Berufung zu seinem neuen und eigentlichen Dienst in der Völkerwelt wird noch erfolgen. Es steht einmal in einer prophetischen Schriftstelle (Sach 12:2.3), dass Gott Jerusalem zum Taumelbecher für alle Völker machen wolle und ebenso zu einem Laststein, an dem sich die zerschneiden müssten, die ihn wegheben wollten. Es wäre von Wert, die Geschichte der letzten zwei Jahrtausende unter diesem Gesichtspunkt zu durchforschen. Der Weg, den das Volk Israel in dieser Zeit zu gehen hatte, war neben vielem Einfluss, den es ausübte im kleinen und großen, ein schmerzvoller Weg. Es hat durch lange Zeiten hindurch unter europäischen Völkern namenlos glitten, am schmerzvollsten im letzten Jahrzehnt leider inmitten unseres deutschen Volkes. Die Frage darf wohl ernsthaft erwogen werden, warum der letzte Weltkrieg für Deutschland dieses Ergebnis gehabt hat. Ein Grund wurde früher schon geltend gemacht, nämlich der, dass es den Weg politischer Größe und Erhebung ging, statt seine eigentliche Berufung im Diensts Gottes zu Versündigung an demselben mindestens den gleichen Anteil an dem furchtbaren Ergehen Deutschlands in der Gegenwart hat? Es ist wohl möglich, dass in Gottes Augen die letztgenannte Versündigung sogar noch schwerer gewogen hat.
In früheren Zeiten waren es andere Völker, unter denen das jüdische Volk gelitten hat. Beispielsweise wurden sie in Spanien äußerlich und noch mehr innerlich gepeinigt, um sie zum kirchlichen Christentum zu zwingen. Ob nicht der Niedergang der einstigen Weltstellung Spaniens eine Hauptursache in der genannten Versündigung hat; nicht eine unmittelbare, aber eine durch Gottes Fügung bewirkte?
Umgekehrt: ob nicht die britische und amerikanische Weltstellung wenigstens zum Teil dadurch zustande kam und erhalten blieb, weil die Juden in diesen Ländern eine geachtete Stellung einnehmen konnten? Die beiden Weltmächte sind es gewesen, die im Gefolge des ersten Weltkrieges den Weg Israels zum Land der Väter wieder freigemacht haben. Aus welchen Beweggründen heraus sie das getan haben, das ist zwar nicht nebensächlich, aber in Gottes Augen nicht ausschlaggebend. Das Volk Israel s o l l einmal nach Gottes Rat wieder aus allen Völkern in das verheißene Land heimdürfen. Wer ihm dazu behilflich ist, d,er geht in den Linien dieses Planes Gottes.
Im ersten Weltkrieg war Deutschland durch sein Bünndnis mit der Türkei genötigt, gegen die eFreigabe Jerusalems und des Heiligen Landes zu kämpfen. Es ist merkwürdig, in welcher Reihenfole die damaligen Verbündeten gestürzt sind: Türkei, Bulgarien, Österreich, Deutschland. Ob das Zufall war? Wahrscheinlich ist es, dass es Gott so gefügt hat im Rahmen seines Reichsplans.
Der letztere wird einmal auch zu dem Ergebnis führen, dass die Araber das Heilige Land schließlich den Juden freigeben müssen. Wohl können sie es nach dem n a t ü r l i c h e n Recht als i h r Land beanspruchen, weil sie schon seit 1300 Jahren dort ansässig sind. Aber das Recht Israels auf das Heilige Land ist ä l t e r als der arabische Besitz desselben, und zudem ist das Recht Israel auf Palästina g ö t t l i c h bedingt und verankert. Denn in dieses Land ist einst der Stammvater dieses Volkes durch Gott geführt worden, und ihm und seinem Volk ist es als Erbe verheißen worden, als die Stammväter noch Fremdlinge dort waren. Dass es das Land hat räumen müssen und in die Weiten der Völkerwelt zerstreut worden ist, das hängt mit dem Gericht Gottes über seine Versündigung an seinem König Jesus und am Evangelium zusammen. Aber dieses Gerichtsurteil besteht nur so lange, wie Israel auf dieser selbstgewählten falschen Bahn verharrt. Wenn es sich dagegen auf Gottes Bahn wieder zurückfindet, indem e sich die Augen für seinen König öffnen lässt, dann wird das Gerichtsurteil Gottes wieder aufgehoben, und Israels altes, ursprüngliches Recht auf sein Land tritt wieder in Kraft..... Die Art und Weise wie dies alles vor sich gehen wird, mag wohl - was menschlich gesehen und beurteilt - nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Weltgeschehen bedeuten, aber im Licht Gottes betrachtet ist dieses Geschehen in einem Winkel der Welt wahrscheinlich wichtiger als das große sogenannte Weltgeschehen. Es wird gut sein, in der Folgezeit den Gang des Geschehens im Heiligen Land und im Orient überhaupt nicht aus den Augen zu lassen. Denn dorthin wir die Weltgeschichte zurückkehren.

Der andere Grund, der vielleicht mitgewirkt hat, liegt auf einem anderen Gebiet. Als die Herrschaft auf die Meder-Perser überging, tat die Weltgeschichte einen Ruck vorwärts. Die Vorherrschaft in der Welt ging nun von den Semiten über auf die Japhethiten. Denn Völker aus der japhethitischen Völkergruppe sind es gewesen, die nacheinander im Weltgeschehen Vormachtstellung errungen und eingenommen haben; zuerst die Perser, dann die Griechen uns endlich die Römer. als die Perser zur Weltherrschaft gelangten, war die griechische und römische Geschichte schon längst im Gange. Aber sie verlief noch in kleinem Rahmen. Die alte griechische Geschichte bis auf Alexander den Großen war erst V o r geschichte; ebenso der lange Werdegang Roms bis zum Aufkommen des Kaisertums. Nun wird man vielleicht sagen dürfen, dass von den drei Völkern die Perser dem Reich Gottes am nächsten gestanden sind. Sie wussten etwas von dem, was die Bibel Sünde nennt. Ihnen war auch bekannt, dass es eine unsichtbare Macht gibt, wenngleich sie sich darin irrten, dass sie meinten, die letztere stehe n e b e n der Macht des guten Gottes, nicht in der U n t e r ordnung unter ihm. Es ist wohl möglich, dass gerade diese Reste aus der Zeit vor dem Aufkommen des Heidentums es gewesen sind, welche die freundliche Haltung des Perserreichs zum Gottesvolk herbeigeführt haben. Aber dem Machtrausch sind auch die Perserkönige erlegen. Und es ist merkwürdig, dass gerade das griechische Volk, nach dem sie ohne Grund griffen, es gewesen ist, das nachher unter Alexander dem Großen zum vernichtenden Gegenschlag gegen sie ausholte.

Die Perser gehören zum östlichen Teil der japhethischen Völkergruppe, die im großen und ganzen mit den Indogermanen zusammenfällt.*

Anmerkung 30:

Raum und Geschichte der japhetitischen Völkergruppe
* Die Perser waren nicht das einzige Volk, das den ö s t l i c h e n Teil der Japhethiten ausmacht. Noch weiter östlich, in Indien, ist ebenfalls ein Ausläufer der Japhethiten, der bereits vor der persischen Zeit sich die hamitische Urbevölkerung Indiens dienstbar gemacht hatte. Im Nordteil Europas gingen in jener Zeit Völkerverschiebungen von großem Ausmaß vor sich, von denen wir im einzelnen wenig Kunde haben. Diese Verschiebungen währten noch mehrere Jahrhunderte nach Beginn unserer Zeitrechnung. Ihren letzten Teil nennt man Völkerwanderung. Erst durch die letztere und nach der letzteren nahmen die europäischen Völker den Wohnraum ein, den sie in der Hauptsache heute noch innehaben. Einzelne Verschiebungen fanden auch noch im Mittelalter statt, ähnlich wie eine große Verschiebung der Bevölkerung im östlichen Deutschland eines der Ergebnisse des zweiten Weltkriegs ist.
Bei der japhethitischen Völkergruppe muss man also einen a s i a t i s c h e n und e u r o p ä i s c h e n Teil unterscheiden. Aber sie hat seit einigen Jahrhunderten auch einen Ableger in A m e r i k a. Dessen heutige Bevölkerung besteht zum größten Teil aus Nachkommen fast aller europäischen Völker, die nach der Wiederentdeckung Amerikas im Jahr 1492 als Eroberer und Einwanderer nach Amerika kamen und die dort ansässigen hamitischen Völker ausrotteten oder verdrängten bis auf kleine Reste. Ein weiterer Teil der Bevölkerung Nordamerikas, nämlich die dortigen Neger, sind die Nachkommen von Sklaven, die aus Afrika dorthin verschleppt wurden.

Als die Zeit der persischen Vorherrschaft zu Ende ging, wanderte der Schwerpunkt des Weltgeschehens zum westlichen Teil dieser Gruppe hinüber, die in Europa ansässig ist. Der größere Teil Europas, nämlich der mittlere, nördliche und östliche, lag damals noch nicht oder kaum im Gesichtskreis der alten Kulturvölker. Aber im Südteil Europas am Mittelmeer hatten sich bereits zwei neue Mittelpunkte herausgebildet, nämlich das kleine Griechenland und Rom, das damals im Begriff stand, sich Italien als sein eigentliches Heimatland einzugliedern. Von den Persern ging die Vorherrschaft zunächst zu den Griechen über und von denen dann auf Rom. Als der Übergang der Vorherrschaft nach Rom Wirklichkeit wurde, hatte sich diese gewaltigste Macht des ganzen Altertums die meisten Länder um das Mittelmeer bereits angegliedert, auch den Nordteil Afrikas und Spanien; die beiden letztern nach einem harten Kampf mit den Puniern (Phöniziern), die aus Hams Geschlecht waren.

Den Ü b e r g a n g der Vorherrschaft von den Babyloniern auf die Perser hat Daniel noch selbst erlebt. Den V e r l a u f der persischen Vorherrschaft einschließlich dessen Griffes nach Griechenland hat er im Gesicht geschaut. Aber ebenso erhielt er im Gesicht Kunde vom Aufkommen des griechischen und nachher des römischen Reichs. Im Traum Nebukadnezars waren die beiden letzteren durch den kupfernen Leib und die eisernen Schenkel angedeutet. In seinem eigenen Gesicht über den Gang der Weltreiche in Dan 7 sah er sie unter dem Zeichen des vierköpfigen Panthers und der unheimlichen Bestie, die mit keinem sonst üblichen Tiernamen benannt werden konnte Er sah auch bereits noch, ohne den Namen zu wissen, den Begründer des griechischen reiches in Gestalt des Ziegenbocks mit dem spitzigen Horn, der bei seinem Heraneilen kaum den Boden berührte und den Widder (das persische Reich) zu Boden stieß.*

Anmerkung 31:

Welt r e i c h e und Welt h e r r s c h e r
* In der Deutung seines Traumbildes hat Daniel dem König Nebukadnezar im Blick auf das goldene Haupt gesagt: das bist d u ! Daraus geht hervor, dass die Reiche und ihre Herrscher in nahem Zusammenhang miteinander gesehen werden müssen. Daniel hätte ebensogut sagen können: das goldene Haupt ist das babylonische W e l t reich. Man kann sagen: die Reiche und ihre Herrscher sind Wechselbegriffe, d. h. Begriffe, die gegeneinander ausgetauscht werden könne. Denn das Reich ist repräsentiert durch seinen König und umgekehrt. In dieser Hinsicht hat Alexander der Große das griechische Reich repräsentiert und später die römischen Kaiser die römische Vorherrschaft. Die Erkenntnis dieser Zusammenhänge ist zum Verständnis der Offenbarung des Johannes nicht unwichtig. Dort ist in Offb 17 von dem siebenköpfigen Tier die Rede. Was ist mit den K ö p f e n des Tieres gemeint? Es sind zwei Deutungen möglich: entweder die einzelnen Weltmächte, wie sie sich beim Versuch, eine einheitliche Völkerzusammenfassung ohne Gott zustande zu bringen ablösten, o d e r die jeweiligen Herrscher; aber ebensogut ist es möglich, dass b e i d e gemeint sind. Das gleiche gilt von der Deutung dessen, was im letzten Buch der Bibel das „Tier“ genannt wird. Es ist offensichtlich, dass an einigen Stellen unter dem „Tier“ eine Person verstanden werden muss, nämlich der Herrscher des letzten, des antichristlichen Reichs, also der Antichrist s e l b e r, dem Paulus (2Thes 2:7) „den Menschen der Sünde“ nennt. Ob aber a l l e Stellen, wo vom „Tier“ die Rede isst, von einer P e r s o n verstanden werden dürfen? Der letztgenannte Gedanke hat auch zu irrigen Auslegungen der Weissagungen geführt, z.B. zu der Meinung, unter den sieben Häuptern seien die ersten sieben römischen Kaiser zu verstehen. Es wäre von Wert, bei der Auslegung der Offenbarung des Johannes ernstlich zu prüfen, ob die jeweiligen Aussagen vom Tier und seinen Häuptern persönlich oder sachlich zu verstehen sind.
Im Kaisertum hat das Römerreich nach einer langen Vorgeschichte seine Vollgestalt erhalten. Der Begründer dieses e i g e n t l i c h e n Römerreichs war der erste Kaiser, Augustus. Unter dessen Herrschaft ist der König des Gottesreichs, nämlich Jesus, durch seine Geburt gliedmäßig in die Geschichte des auserwählten Volkes und in die Menschheit eingefügt worden. Er war der kleine Stein, den Nebukadnezar von oben herunterrollen sah, der das stolze Standbild an seinen Füßen traf und zum Umsturz brachte. Die Schenkel der Füße des Bildes haben das römische Weltreich dargestellt. Gerade als dieses Reich unter seinem ersten Kaiser in seine Vollreife eintrat, begann die Zeit des Gottesreiches, zunächst noch in unscheinbarer Gestalt. Der König und das Reich Gottes kamen von o b e n, ganz entsprechend dem, was Nebukadnezar am herabrollenden Stein gesehen hatte. Damals ist das Weltreich noch nicht zusammengestürzt. Aber der Augenblick des Zusammenbruchs aller Reiche dieser Welt kommt noch. Dieser Zusammenbruch und der Übergang der Herrschaft an das Reich Gottes wird erfolgen, wen Jesus, dessen Zeichen damals die Krippe war und bald darauf das Kreuz, wiederkommt mit der Krone. Dann wird in Erfüllung gehen, was Offb 11:15 steht: „nun sind die Reiche dieser Welt unseres Gottes und seines Christus geworden, und er wird regieren in Ewigkeit."

Die Wanderung des K a i s e r t i t e l s

In diesem Zusammenhang, wo u. a. auch vom römischen Kaisertum die Rede war, sei darauf hingewiesen, dass es „Kaiser“ gegeben hat bis zur Gegenwart. Dieses Wort darf nicht nur als ein T i t e l verstanden werden. Es deutet vielmehr an, dass das römische Reich mit dem Sturz des w e s t römischen Kaisertums zur Zeit der Völkerwanderung noch nicht zu Ende gegangen ist. Ein o s t römisches Kaisertum gab es ja bis kurz vor der Reformationszeit, bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453. Die mittelalterliche Geschichte des Abendlandes war bestimmt durch den Widerstreit zwischen dem d e u t s c h e n Kaisertum und dem Papsttum. Das Kaisertum des Mittelalters war nicht nur der Idee nach, sondert tatsächlich eine Erneuerung und Fortsetzung des altrömischen Kaisertumss. Das Kaisertum der Habsburger ist erst durch Napoleon beseitigt worden. Das Ergebnis des 70er Krieges war die Errichtung des deutschen Kaisertums. In der letztgenannten Übernahme des Kaisertitels war kein Anspruch auf Weltherrschaft enthalten. Aber außerhalb Deutschlands ist es, vielleicht in halbunbewusster Erinnerung an das Kaisertum des alten römischen Reichs, als Weltherrschafts a n s p r u c h empfunden worden. Es wäre eine Tragik der neueren Geschichte, wenn die Benennung des Oberhaupts Deutschlands als „Kaiser“ das Misstrauen gegen Deutschland mitbegründet hätte, als wolle es die Welt erobern; wenn also gerade dieser Titel einer der Gründe gewesen wäre, die zum ersten Weltkrieg geführt haben.’'
Dass es im Osten und Westen Europas ebenfalls ein Kaisertum gegeben hat in Anlehnung an den Titel des alten römischenWeltreichs, das ist ersichtlich an Napoleon I. und III. und an dem Zarentum Russlands. Denn „Zar“ ist nur die russische Form des altenWortes „Cäsar“ oder „Kaiser“. Die russischen Kaiser haben sich als die rechtmäßigen Nachfolger des oströmischen Kaisertums betrachtet. Dessen Sitz war Konstantinopel. Gewiss hat das frühere Russland den Besitz Konstantinopels auch aus politischen und wirtschaftlichen Gründen begehrt; aber ein romantischer (träumerischer) Einschlag war in diesem Verlangen ebenfalls enthalten. Russland fühlte sich selber als Nachfolger Ostroms.

Die e u r o p ä i s c h e G e s c h i c h t e der letzten zwei Jahrtausende’'

Im vorstehenden wurde der Wanderung des K a i s e r t i t e l s durch die europäische Geschichte in zwei Jahrtausenden nachgegangen



Die S p r a c h zusammenhänge
Das Besondere des g r i e c h i s c h e n Reichs
Anmerkung 32: Das Judentum im griechisch-römischen Kulturkreis
Israels Sammlung
Antiochus Epiphanes
Anmerkung 33: Der Werdegang des Antichrists
Das Danielbuch und die Offenbarung
Beiträge zum Werdegang des Antichrists
Tiere und T i e r k ö p f e
Das Warten der Völker’’
Das Warten der Gemeinde
Die Vorläufer des Antichrists
Das „Geheimnis der Bosheit“
Gibt es einen p e r s ö n l i c h e n Werdegang des Antichrists?


3. Daniels Wort zur c h r i s t l i c h e n Zeitwende’'’
Die Veranlassung dazu
Anmerkung 34: Die Frage der Jünger Apostelgeschichte 1
Anmerkung 35: Tipps zum Forschen im prophetischen Wort
Korrektur der Erwartung Daniel
Anmerkung 36: Geschichtliche Leerläufe
Die Jahrwochen
Anmerkung 37: Die Textschwierigkeit Dan 9 und ihre Lösung
Die e r s t e Heilswoche Israels zur Zeit Jesu
4. Daniel Wort zur l e t z t e n Stunden (innerhalb Anm. 37)
Wiederholung der Heilswoche Israels bei Abschluss
Die große Trübsal
Anmerkung 38: Unterschied zwischen Trübsalen und der g r o ß e n Trübsal
Die Auswahl
Anmerkung 39: Geschichtliches dazu
5. Ausblicke Daniels auf das Reich Gottes auf E r d e n
Anmerkung 40: Was heißt „H i m m e l“ reich?
Anmerkung 41: Der „Menschensohn“
Anmerkung 42: Gemeinde Jesu, Kirchen und Reich Gottes
Israels Herrscherstellung im Zeichen des D i e n s t e s
Anmerkung 43: Das Gericht und der Richter
6. Blicke Daniels in die n e u e Zeit
Anmerkung 44: Der letzte Ausblick des P a u l u s
Anmerkung 45: Der Blick a u f wärts und v o r wärts
Vorläufiges Schlusswort
Der Dienst der Prophetie
Die Gegenwart als Zeitenwende