Das 6. Gebot

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Abschrift des Heftes: "Die 10 Gebote in heilsgeschichtlicher Deutung"
von Friedrich Malessa, Samplatten (Ostpr.) (1895-1981)

Veröffentlicht unter Zulassung der Militärregierung Juli 1948
im Kurt Reith Verlag Wüstenrot Württ.

Siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

Das 6. Gebot

Du sollst nicht töten.

Das sechste Gebot ist in der Anwendung schwierig. Es hat schon vielen Menschen große Gewissensnöte bereitet. Alle, die es ernstlich befolgen wollen, stoßen im praktischen Leben auf große Gegensätze.

Viele haben dieses Gebot unbeachtet gelassen, weil es aus Gründen der Selbsterhaltung, und der Verpflichtung zum Nächsten, und zum Staat nicht anwendbar ist. Wer z. B. in ernster Notwehr sich verteidigen muss, oder zur Ausübung des polizeilichen Rechtes berufen ist, oder zur Landesverteidigung aufgerufen wird, kann unmöglich nach diesem Gebot sich richten.

Viele Menschen haben zufolge ihrer Gebotstreue sich selbst, ihre Mitmenschen oder den Staat in sträflicher Weise vernachlässigt und haben dann schwere Nachteile auf sich nehmen müssen.

Ebenso ernste Schwierigkeiten ergeben sich aus der Tatsache, dass Gott von seinem Volke verlangt, des Blutvergießers Blut gleichfalls zu vergießen. Ja, Gott hat gefordert, mit Völkern Kriege zu führen um sie zu unterwerfen, oft sogar zu vernichten.

Noch krasser sind die Fälle, wo nach dem Willen Gottes aus religiösen Gründen Menschen umgebracht wurden. Man denke an Elias und die Baalspriester. Wie sind diese Dinge mit dem sechsten Gebot in Einlang zu bringen? Ist das überhaupt möglich?

Man versuche nicht, diese Schwierigkeiten mit jenem bekannten Argument abzutun, dass dieses Gebot den einzelnen privaten Menschen meine, und ihm die sittliche Aufforderung erteile, seinem Mitmenschen kein Leid zuzufügen, sonderlich ihn aus eigener Verantwortung nicht zu töten. Diese Erklärung kann nicht befriedigen. Denn das Einzelleben ist die Grundlage des Gesamtlebens. Was für das Einzelleben gilt, ist auch für das Gesamtleben maßgebend. Und was im Gesamtleben nicht anwendbar und durchführbar ist, eignet sich ebensowenig für das Einzelleben.

Zur Klärung dieser heiklen Angelegenheit ziehen wir zunächst die Vernunft zu Rate. Sie ist in der Lage, auf diese Frage eine befriedigende Antwort zu geben. Sie steht hierin auch mit der Bibel im vollsten Einvernehmen.

Es liegt in jedermanns Empfinden, dass das Töten eine verbotene Sache sein sollte. Denn das Töten hat es mit dem Tod, d. h. mit dem gewaltmäßigen Beendigen des Lebens zu tun. Leben und Tod sind die denkbar größten Gegner. Nichts ist dem Leben feindlicher gestellt als der Tod. Leben will und soll bestehen. Das Bleiben ist das Prinzip des Lebens. Darum fordert das Leben naturnotwendig und ganz kategorisch, dass das Töten unterbleiben soll!

Was fordert das Leben?

Was fordert das Leben? „Du sollst nicht töten“! Da haben wir’s. Das Gebot spricht nur das aus, was das Leben fordert. Die Gebote stehen im Dienste des Lebens. Leben und Gebote sind darum nicht zu trennen; sie stehen im vollsten Einvernehmen.

So haben wir die Tatsache vor uns, dass in Anbetracht des Tötens nicht das Gebot uns die Gewissensnöte im praktischen Leben bereitet, sondern die Ablehnung des Gebotes! In der Nichtbefolgung dessen, was das Leben fordert und was auch das Gebot gebietet, liegt die große Not. Da müssen die Ursachen gesucht werden, die uns das Halten des Gebotes so schwer machen. Die Feinde des Lebens, d. h. alles, was das Leben behindert, müssen erkannt und beseitigt werden. Dann erst erkennen wir, dass das Gebot eine lebensvernünftige Forderung und einen beglückenden Sinn hat.

Wir entsinnen uns auch, dass das vorhergehende Gebot dasselbe Ziel verfolgt, nämlich die Mehrung des Lebens. Wir erkannten, dass das natürliche Leben eine wunderbare Heilsbedeutung hat. Aus dem Fortgang des natürlichen Lebens kommt der Erlöser mit seiner herrlichen Erlösung. „In dir und deinem Samen sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden“. Diese Lebensweisheit sollte schon den Alten eigen sein. Und nun kommt das sechste Gebot hinzu mit dem Zweck der Lebens-Wahrung! und fordert: Du sollst nich töten, d. h. das Leben nicht irgendwie behindern und abbrechen; denn du unterbindest damit nicht nur das Leben, sondern auch das Heilsgeschehen. Damit versündigst du dich nicht allein am Schöpfer, sondern auch am Erlöser.

Du sollst nicht töten

Wenn es so ist, dass Leben und Gebot sich restlos einig, ja sogar eins sind, dann ist es auch verständlich, dass die Forderung des sechsten Gebotes zur Erhaltung des Lebens nicht neu ist, sondern so alt, wie das Leben selbst. Wir werden darum zu untersuchen haben, wann das Gebot zur Erhaltung des Lebens zuerst ausgesprochen wurde. Da werden wir erkennen können, ob das Gebot eine Änderung erfahren darf. Eine Gebotsänderung kommt nämlich nur dann infrage, wenn eine Lebensänderung eintritt.

In dem Segensspruch des Schöpfers bei der Erschaffung des Menschen heißt es: „Seid fruchtbar und mehret euch“. Geboten ist damit die Lebens-Mehrung. Sie ist aus Heilsgründen unerlässlich. Verboten ist gleichzeitig jegliche Lebens-Behinderung! Gebot ist gleichzeitig ein Verbot. Das erste Wort Gottes über die Lebensausbreitung und Lebensbestimmung des Menschen lässt ganz eindeutig erkennen, dass das Gebot „Du sollst nicht töten“ als ein Lebensgesetz grundsätzlich festgelegt war. Lebenswahrung vor allen Todeseinflüssen ist von Anfang an ein unverrückbares Grundgesetz des Lebens.

Da der Mensch, der erste wahre Träger des Lebens in der gesamten Kreatur, zufolge der satanischen Einflüsse die positive Seite des Gebotes zu übersehen begann, hat ihm der Schöpfer die negative Seite des Gebotes als Ergänzung vorhalten müssen mit der Unterweisung: „... denn welchen Tages du davon ist, wirst du des Todes sterben“ (1Mo 2:17). Der Mensch wird aufgefordert, sorgfältig darauf zu achten, was das Leben fordert und streng zu meiden, was das Leben ertötet. Das Fördernde ist der Gehorsam, denn er bewirkt Lebensgemeinschaft mit dem Schöpfer. Das Störende ist der Ungehorsam, denn er ist die Auflehnung gegen den Schöpfer. Ungehorsam ist radikale Trennung vom Lebensquell.

Im Paradies ist dem Menschen das sechste Gebot mit besonderer Deutlichkeit nahegelegt worden. Es sollte ihn vor der Lebensgefahr bewahren helfen, damit das Leben an seinem kraftvollen Fortgang nichts einbüße. Das beweist aber andererseits, dass die Kraft des Lebens im Abnehmen war. Die im Paradiese notwendig gewordene Mahnung war ein Zeichen der zunehmenden Kraftlosigkeit. Aber je deutlicher der Verfall, umso klarer und bestimmter die Mahnung: Du sollst nicht dem Todeswesen Vorschub leisten, d. h. du sollst nicht töten.

Das Kain-Geschlecht

Im weiteren Bericht ist die Rede von der Tötung Abels. Kain war schon so lebensfeindlich geartet, dass ihn das höhere Leben seines Bruders störte. Er kehrte das Gebot des Lebens um und - tötete. Kain hat als erster das Lebens-Gebot für nichtig erklärt.

Doch auch in dem Kain-Verhältnis bleibt das Lebens-Gebot erhalten. Nichts anderes als ein Tötungsverbot sind die Worte: „... wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden“ (1Mo 4:15). Unmissverständlich bliebt auch für das neue Lebensverhältnis die reine Lebenserhaltung grundsätzlich bestehen. Denn der Fortgang des Lebens ist und bleibt eine normale Gottes-Sache; dagegen die Unterbindung des Lebens ist eine anormale Satans-Sache.

Und doch ist mit Kain eine Gebots-Änderung eingeführt worden. Denn das Gebot ist abhängig vom Leben. Da aber die Lebensweise eine andere wurde, musste auch das Lebens-Gebot dementsprechend geändert werden. Die Änderung ist aber nicht grundsätzlich, sondern zusätzlich. Der Gebots-Zusatz lautet: „... wer Kain totschlägt, das soll siebenfach gerächt werden“. Mit anderen Worten: Wer tötet, der wird auch getötet. - „Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll auch durch Menschen vergossen werden“ (1Mo 9:6).

Das Kain-Geschlecht ist dem Todschlag verfallen. Der Todschlag ist’s, der diesem Geschlecht als Zuchtmittel dienen kann! Der sündige Mensch kann nur durch seine sündige Tat eines Besseren belehrt werden. Für andere Lehrmittel hat er kein Gemerke. Vom Geiste Gottes lässt er sich nicht mehr strafen. So muss er sich mit den Mitteln strafen lassen, die aus dem Geist des Abgrunds geboren sind. Er muss, wenn er von der Verwerflichkeit des Tötens überzeugt werden soll, den ganzen Nachteil des Tötens an seinem Leibe verspüren. Nur so erkennt er den Sinn seines verkehrten Vorhabens.

Seit Kains Zeit kann dem im Todeswesen stehenden Menschen nur mit dem „Todes-Wesen“ eine Lehre gegeben werden. Von da ab ist dem natürlichen Menschen das Gebot: „Du sollst nicht töten“ nur mit dem Zusatz: weil dann auch du getötet wirst, verständlich. Nur den Zusatz begreift der vom Geiste Gottes gewichene Mensch. Darum kann in der sündigen Zeit das Lebens-Gebot nur durch den Zusatz sein Recht erhalten. Das ist also der Sinn und der Grund der Änderung des Gebotes.

Damit war das „Vergeltungs-Gesetz“: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ eingesetzt worden. Seit Kain besteht die offene Vergeltung. Das Vergeltungsgesetz ist in den Zeitläufen der Sünde naturnotwendig geworden. Erst in der Sphäre der Wiedergeborenen wird es außer Kraft gesetzt. *

* Die sogenannten Rache-Gesänge der Bibel haben hier ihre Begründung und ihren Sinn.

Züchtigung ist Gericht

Haben wir erst erkannt, dass das Todes-Wesen zum Zuchtmittel geworden ist, so werden wir auch begreifen, dass jede Züchtigung nicht Freude, sondern Traurigkeit auslöst, danach aber eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit wirkt bei denen, die dadurch g e ü b t sind (Hebr 12:11). Diese Züchtigung ist G e r i c h t !

Darum sind zu dieser Gerichtsausübung Schwertträger und Obrigkeiten eingesetzt worden. Die Obrigkeiten sind Gottes Diener und tragen ihr Schwert nicht umsonst (Röm 13:1-5). Wiewohl es in der Weltgeschichte schon zur Genüge Obrigkeiten gegeben hat, die nicht im Geringsten sich nach dem Willen Gottes richteten. Und doch ist „alle Obrigkeit von Gott eingesetzt“. In welchem Verhältnis sie auch sein mag, immer hat sie die Vollzugsgewalt und die Aufgabe, mit dem Todeswesen Lehren zu erteilen.

Wundern wir uns darum nicht, dass Israel Kriege führte und bekriegt wurde. Das waren unerlässliche Erziehungs- und Gerichtsgeschehnisse, die in Anbetracht der sündigen Welt ganz normal sind. Wundern wir uns auch nicht über die Schreckenstat des Elia an den Baalspriestern; das war eine Gerichtstat. Gerichte sind erforderlich, solange die Sünde ihr Wesen treibt. Wären die Gerichte nicht, so hätte die Sünde den Untergang alles Lebens längst bewerkstelligt. Die Gerichte sind darum Rettungsgeschehnisse, Gotteseingriffe, die die Sündenwerke nicht nur aufhalten, sondern sie auch überwinden. Aus den Gerichten erwächst letztlich der Sieg Gottes.

Der Mensch in der neuen Ordnung

Begreiflich wird jetzt das Verhältnis des geistlichen Menschen in dieser neuen Ordnung. Er wird, solange er die Bindung des irdischen Lebens hat, das zusätzliche Gebot zum Schutze des leiblichen Lebens als göttlich und normal respektieren. Er ist dankbar für die ihn schützende, von Gott gegebene Obrigkeit mit ihrem Schwert und ist ihr untertan und folgsam, auch wenn sie ihn zum bewaffneten Schutzdienst aufruft. In dem sündlichen Äon ist der Schutz des Schwertes unentbehrlich. Es hat darum auch Jesus geduldet, dass Petrus mit einem Schwert ausgerüstet war. Auch Paulus hat zum Schutze seines Lebens sich auf die Obrigkeit berufen.

Weiter ist zu beachten, dass der geistliche Mensch mit seinem Leben grundsätzlich nicht in das Vergeltungsgesetz gestellt ist, sondern in das ursprüngliche und unabänderliche Lebensgesetz. Er trachtet darum in erster Linie nicht nach der Erhaltung und Durchführung der Vergeltung, sondern nach der Erhaltung des Lebens. Nur notgedrungen ist er darum der „Schwertträger“, jedoch mit höchstem Begehren der Lebensträger.

Der geistliche Mensch wird darum auf die totale Lebens-Wahrung bedacht sein; einerlei, ob es das eigene Leben oder das des Nächsten ist. Er wird jedes handgreifliche Töten, d. h. jeden gewaltsamen Eingriff ins Leben zu verhindern suchen, z. B. Selbstmord, Selbstverstümmelung, Tötung des keimenden Lebens usw. Darüber hinaus wird er alle Dinge zu unterbinden suchen, die das Leben irgendwie zu schädigen vermögen. Er lehnt darum ab jeden übermäßigen, weil schädlichen Genuss von Alkohol, Nikotin, Koffein und dergleichen mehr. Er wahrt das Leben vor jedem Laster und jeder Ausschweifung. Er hütet das Leben vor jeder verderblichen Unmäßigkeit, sei es auch nur im Arbeiten, Essen und Trinken.

Weiter sieht der geistliche Mensch die Notwendigkeit der Lebens-Wahrung nicht nur in leiblicher, sondern weit mehr noch in geistiger Hinsicht. Sein Geistes-Leben ist das Grund-Leben, um dessen Erhaltung und Stärkung er mit größter Sorgfalt bemüht ist. Alles, was seinen Geist, wenn auch nur wenig und geheim schädigen kann, lehnt er ab, z. B. Schundliteratur, sittenverderbende Filme und Vorführungen, entwürdigende Belustigungen, zweideutige Reden und Unterhaltungen, unflätige Unterweisungen und dergleichen mehr.

Noch mehr. Der geistliche Mensch sucht alles zu überwinden, was das geistliche Leben zu hemmen vermag. Geistes- und Liebensgemeinschaft sind ihm der höchste Ausdruck des geistlichen Lebens. Alles, was das Geistes- und Liebesleben schädigen kann, gewinnt den Charakter des Totschlags. Jeder Mensch, der Geist und Liebe behindert, ist ein Totschläger (1Jo 3:15).

Eigentlich ist dem geistigen Menschen das Gebot „Du sollt nicht töten“ eine vollführte Angelegenheit. Er trägt dieses Gebot nicht als Buchstabe vor Augen, sondern als Prinzip im Herzen. Denn er fragt nicht, wie er zum Leben sich unschädlich verhalte, sondern wie er dem Leben dienlich werden kann. Den Schutz des Lebens sieht er verwirklicht im Dienst am Leben.

So wird der geistliche Mensch in seinem Leibes-Leben ohne Gewissensnöte alles auf sich nehmen, was im natürlichen Leben in der sündigen Zeit gottgewollt dient. Er wird aber vor allem danach trachten, wie er kraftvoll und rein für das geistliche und leibliche Leben dienend sich einsetzen kann. Leben ist ihm Dienst, und zwar Gottesdienst! Denn das Leben, in dem er dient, und mit dem er dient, ist Gottes. Gott ist Leben! -

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