Unser täglich Brot gib uns heute

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Abschrift des Heftes: "Das Vaterunser“
von Friedrich Malessa, Samplatten (Ostpr.)

Philadelphia Buchhandlung August Fuhr, Reutlingen, 2. Aufl. 1952

Siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

Das „Vaterunser" in erbaulicher und prophetischer Deutung

5. Unser täglich Brot gib uns heute

A. In erbaulicher Deutung

Der Kontrast zwischen der dritten und der vierten Bitte ist sehr groß. Da ist die Rede von den höchsten Ereignissen der Himmel, hier von allergeringsten Dingen des Erden- und Fleischeslebens. Ist da noch ein Zusammenhang zu finden? Nein, denn die zweite Bittengruppe, die das gottgewollte Menschheitsverhältnis behandelt, darf nicht der ersten Bittengruppe angebaut, sondern unterbaut werden. Die vierte Bitte gehört unter die erste. Da ist der Zusammenhang vorhanden.

Die vierte Bitte enthält eine so kleine, alltägliche Angelegenheit und ist gerade deswegen so wichtig. Nichts bewegt uns mehr als die leiblichen Bedürnisse. Alles können wir eher entbehren als das tägliche Brot. Es wird uns wegen der ständigen Notwendigkeit zum größten Bedürfnis, darum Anlass zur größten Bitte. Damit stellen wir die erste Tatsache fest:

Die Bitte stellt uns vor den Geber

Die uns stets naheliegende Bitte stellt uns beständig vor den Geber. Dieser Grund allein würde uns die Bitte unentbehrlich machen. Das ist des Vaters Absicht, uns in seiner Nähe zu behalten. Er will der gütige Geber sein. Seine Gaben sollen uns zur Genüge zuteil werden. Dazu ist aber das Zu-ihm-Kommen erforderlich. Zu ihm, dem Geber, wird nur der Bittende kommen. Wenn darum das tägliche Brot und Veranlassung werden kann, als Bittende zum Geber zu gehen, so ist allein das schon wichtig genug.

Damit werden in das ihm wohlgefällige „Nehmerverhältnis“ gestellt. Wer nimmt, der hat, der besitzt! Unser Besitz entspricht dem Maß des Nehmens. So wird mit dieser Bitte auch

Unser Verhältnis zum Besitz

das gottwohlgefällige Verhältnis zum irdischen Besitz geklärt. Auch der größte Besitz ist Gabe Gottes. Besitz kann darum nicht schänden. Ausschlaggebend ist aber die Haltung zum Besitz. Wer sich nur als „Verwalter“ weiß, kann mit den ihm gereichten Gaben Großes verrichten. Dem steht der irdische Besitz zur „Verfügung“. Wer aber „Eigentümer“ ist, über den wird der Besitz verfügen; der ist Sklave des Besitzes. „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn dass ein Reicher ins Reich Gottes komme“ (Mt 19:24). Darum die lichtvolle und klärende Bitte des weisen Salomo: „Armut und Reichtum gib mir nicht; lass mich aber mein bescheiden Teil Speise hinnehmen. Ich möchte sonst, wo ich zu satt würde, verleugnen und sagen: Wer ist der Herr? Oder wo ich zu arm würde, möchte ich stehlen, und mich an dem Namen meines Gottes vergreifen“ (Spr 30:8.9).

Die gottgewollte Haltung, hinsichtlich der leiblichen Dinge klärt auch das V e r h ä l t n i s zum irdischen B e r u f. Das bescheidene Teil soll von Christenmenschen nicht nur erbeten, sondern auch erarbeitet werden. „Bete und arbeite.“ „Bete, als ob die Arbeit nichts nützt, arbeite, als ob das Beten nichts nützt.“ Christen können nur treu sein, auch im irdischen Beruf. - In dieser Ausrichtung bleiben sie auch Herr der Arbeit, und nicht ihr Knecht. Arbeit ist ihnen Lust und nicht Last.

Erhellt wird in dieser Hinsicht auch die H a l t u n g eines Christen im E h e - und F a m i l i e n l e b e n. „So aber jemand die Seinen, sonderlich seine Hausgenossen, nicht versorget, der hat den Glauben verleugnet und ist ärger denn ein Heide“ (1Tim 5:8). Das „tägliche Brot“, für sich und die Anbefohlenen, gewinnt unter dem Willen des himmlischen Vaters eine nie täuschende Grundlage und eine nie irreführende Ausrichtung. Wer darauf acht gibt, kann nicht fehl gehen.

Himmlische Gaben

Nun will aber der himmlische Vater es nicht nur bei den irdischen Gaben bewendenlassen, sondern will gerade durch dieselben uns die Veranlassung geben, auch die himmlischen Gaben in Empfang zu nehmen. Er ist der Geber aller guten und vollkommenen Gaben (Jak 1:17). Für dem Empfang der himmlischen Gaben muss aber eine Vor- und Zubereitung des Nehmers stattfinden. Geistliche Gaben kommen vom geistlichen Geber und erfordern geistliche Nehmer. Die Haltung des Nehmers muss gebildet werden. Diesen Bildungsdienst übernimmt ebenfalls die vierte Bitte, indem er sie vor das „Heute“ stellt. Der irdische Mensch soll mit dem „Heute“ eine höhere Gesinnung, eine freie Haltung erlangen.

Das „Heute“ macht frei vom „Morgen“. Es macht sorglos, zuversichtlich, still und frei. Es macht bescheiden und anspruchslos. Es löst von den knechtenden Bindungen der Welt. Es bewahrt vor der Hab- und Gewinnsucht. „Denn die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke und viel törichter und schädlicher Lüste, welche versenken die Menschen ins Verderben und Verdammnis.“ (1Tim 6:9). Das „Heute“ befreit von Neid und Streit. Es macht genügsam, dankbar und glücklich. Wahrlich, wenn der Mensch durch die „geringe“ Bitte diese Haltung gewinnt, dann ist sie wichtig genug. Sie ist immer der Anlass, der zum geistlichen Stand führt.

Daraus ergibt sich eine weitere Bedeutung der Bitte, die uns auch in die Zusammenhänge der ersten Bittengruppe stellt. Das Gottgewollte des Leibeslebens ist nicht das „Wohlleben“ der Fleischlichkeit, sondern der überleitende Dienst für das himmlische Leben, für die Geistleiblichkeit. Der Leib steht im Dienste des Geistes. Auf diesen Geistesdienst muss er ausgerichtet werden. Im Blick darauf gewinnt das Leibesleben mit seinen täglichenBedürfnissen eine unendliche Bedeutung. „Geist samt Seele und Leib müsse bewahret werden auf die (äonengestaltende) Zukunft unseres Herrn Jesus Christus“ (1Thes 5:23). Das geistliche Leben ist vom leiblichen abhängig. Das ist eine kühne, aber berechtigte Feststellung. Im Blick auf das geistliche Leben hat Paulus festzustellen: „Wisset ihr nicht, dass eure Leiber Christi Glieder sind? Wisset ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“ (1Kor 6:15.19; 1Kor 3:16.17). Tempel heißt Offenbarungsstätte. Diese Aufgabe hat der Leib, er soll die Offenbarungsstätte des Geistes werden!

Wie wichtig ist darum die natürliche und zweckmäßige Pflege des Leibeslebens. Wer seinen Leib vernachlässigt oder schädigt, der sündigt am Geist. Der entzieht dem Geist die Offenbarungsmöglichkeit. Des Leibes Keuschheit, Reinheit, Mäßigkeit, erforderliche Entsagung und anderes mehr gewinnen hier die allergrößte Bedeutung.

Der Christusmensch steht vor seinem himmlischen Vater mit der Bitte: Erhalte meinen Leib durch das tägliche Brot nach deinem Willen. Lass ihn los und ledig werden von allen unnützen Sorgen und irdischen Bindungen. Lass ihn aber erhalten bleiben für deine herrliche Sache.

B. In prophetischer Deutung

Für die Gesamtschau ist die vierte Bitte sehr beachtenswert. Zunächst ist festzustellen, dass die vierte Bitte nicht als Fortsetzung der dritten zu gelten hat, weil die dritte Bitte der Abschluss der ersten Bittengruppe ist. Die erste Bittengruppe bekundet die äonenmäßige Heilshaltung des himmlischen Vaters. Die zweite Bittengruppe behandelt die gottgewollte Heilshaltung der Menschheit. Sie ist darum nicht als eine fortlaufende, sondern als eine parallele Linie anzusehen. Der Anfang der zweiten Bittengruppe gehört unter den Anfang der ersten.

Erinnern wir uns des Sinnes der ersten Bitte. Geheiligt soll werden der Name des himmlischen Vaters nicht durch Engel, sondern durch geheiligte Menschen. Den Heilungsdienst verrichten Geschöpfe, die Fleisch und Blut an sich tragen. Eben weil unter Fleisch und Blut dieser Heiligungsdienst vollführt werden soll, darum muss er durch „Fleisch und Blut“ geschehen. Das Fleisch gewinnt für den Heilsdienst eine unübersehbare Bedeutung. Die vierte Bitte behandelt die gottgewollte Erhaltung des Fleischeslebens. Darum werden wir durch dieselbe veranlasst, nach der Heilsbedeutung des Fleisches überhaupt zu fragen.

Zweck des menschlichen Daseins

Zu welcher Zeit, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck wurde der Mensch erschaffen? Er wurde erschaffen, als die gefallene Kreatur weit hergestellt, aber immer noch unter der Herrschaft des „Fürsten dieser Welt“ stand. Er wurde geschaffen „ihm zum Bilde“! Darum war sein Wesen turmhoch erhaben über das Wesen aller gefallenen Kreatur. Der Zweck dieser erhabenen Mensch-Schöpfung war: „Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da h e r r s c h e n.“

Übersehen wir ja nicht diese Tatsache: Herrschaft war der Zweck des menschlichen Daseins. Aufgrund dieser Zweckbestimmung war auch der Mensch „ihm zum Bilde“ erschaffen worden. Statthalter Gottes war der Mensch. An Gottes Stelle hatte er seinen erhabenen Gottesdienst zu erfüllen. Im Namen und im Auftrag Gottes sollte er die Herrschaft über die unter einer fremden Macht stehenden Kreatur gewinnen. Das war eine gewaltige Aufgabe.

Im Fleisch war die gefallene Kreatur. Ins Fleisch wurde darum der Statthalter Gottes gestellt mit dem Auftrag, die im Fleisch liegenden Fesseln zu sprengen, um eine neue Herrschaft (Gottesherrschaft) aufzurichten. - Wer für diese Tatsache einen Blick gewinnt, erkennt in etwa die Bedeutung des Fleischeslebens.

Verständlicher wird uns diese Tatsache, wenn wir berücksichtigen, dass der Mensch ursprünglich nicht unter der Satansherrschaft stand wie alles übrige Fleisch. Wohl hatte der Mensch sein Fleischesleben von dieser verfluchten Erde. Aber es war von dem göttlichen „Odem“ so durchwoben und so erhoben, dass der „Fürst dieser Welt“ es nicht vergewaltigen konnte. Satan hatte in Anbetracht des „neuen Fleisches“ nur noch Versuchungsrecht, kein Vernichtungsrecht. Das ist der deutlichste Beweis für die Erlösungsabsicht Gottes durch das „neue Fleisch“. Erlösungs-Herrschaft war die göttliche Bestimmung des „Fleisches-Menschen“.

Genau zu beachten ist aber auch die Tatsache, dass das „neue“, d.h. noch nicht sündige Fleisch im Bestand noch nicht für das Reich Gottes bestimmt war. Auch schon für den Anfang galt das paulinische Wort: „Das sage ich aber, liebe Brüder, dass Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben; auch wird das Verwesliche nicht erben das Unverwesliche“ (1Kor 15:50). Das Fleisch war nicht Zweck, sondern Mittel zum Zweck. Das sündlose Fleisch sollte das unter der Sündenherrschaft stehende Fleisch befreien, und unter eine neue Herrschaft führen. Dieser Befreiungsdienst wäre freilich nur im restlosen Einsatz (Opfer) des sündlosen Fleisches möglich. Das Fleisch aus dem Todeswesesn erretten kann nur ein „neues“, in den Tod gegebenes Fleisch.

Das Fleisch als Opfer

So war das erste Fleischesleben ein Opferleben. Es war der ihm innewohnende Odem auch schon ein Opfer-Odem. Der ganze Mensch war also ein Opfer-Mensch (Opfer-Lamm), welches für das verfluchte Fleisch geopfert werden sollte. - Ach, wäre doch nur der Mensch das fehlerfreie Opferlamm geblieben, es hätte das Opfer seinen Zweck schon da erreicht.

Leider wurde der Mensch ein Opfer im gegenteiligen Sinn. Er wurde ein Teufelsopfer. Er hat darum nicht die gottgewollte „Herrschaft“ aufgerichtet, sondern noch mehr vernichtet, denn auch er wurde beherrscht. Er hat die Erlösung nicht vollführt, sondern sie erst recht notwendig gemacht. Es hat darum der zweite Adam (Christus) eingesetzt werden müssen. Der erste Adam hat es nur bis zu einer „lebendigen Seele“ gebracht, jedoch der zweite Adam „zum Geist, der lebendig macht“ (1Kor 15:45).

Beachten wir aber sehr, dass dem geistlichen Leib der natürliche vorausgeht. „Aber der geistliche Leib ist nicht der erste, sondern der natürliche; danach der geistliche“ (1Kor 15:46). Erst muss das Fleisch überwunden werden, dann kann der Geist sein Füllewesen haben. Erst muss der Fleisch-Leib als eine Vollfrucht (Erstlingsfrucht) erstehen. Darum auch musste der zweite Adam erst ins Fleisch. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ (Joh 1:14). Auch der zweite Adam konnte die Erlösung nur auf dem Wege des Fleisches vollführen. Er musste geopfert werden im Fleisch, um die Fesseln des Fleisches zu sprengen. Der vor Grundlegung dieser Welt bestimmte Erlösungsweg durchs Fleisch blieb für ihn bindend und maßgebend.

So steht das Fleisch im Zentrum des Erlösungsgeschehens. Zwar ist nicht das Fleisch der Erlöser, nein, der Erlöser ist der Christus Gottes! Doch auch er vollführt die Erlösung im Fleisch und durch das Fleisch. Das Fleisch behält die zentrale Bedeutung alles Erlösungsgeschehens. Im Reiche des Fleisches wird die Erlösungsschlacht geschlagen.

Das Fleisch in seiner Heilsbedeutung

Von hier aus ist das Fleisch in seiner Heilsbedeutung zu bewerten. Zwei Vorgänge sind für es unumgänglich:

  1. “Welche aber Christo angehören, die kreuzigen ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden“ (Gal 5:24).
  2. “Und tragen nun allezeit das Sterben des Herrn Jesu an unserem Leibe, ,auf dass auch das Leben des Herrn Jesu an unserem Leibe offenbar werde. Denn wir, die wir leben, werden immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen, auf dass auch das Leben Jesu offenbar werden an unserem sterblichen Fleische“ (2Kor 4:10.11).

In Anbetracht dessen ist die vierte Bitte unerlässlich. Die Sorge um die gottgewollte Erhaltung des Leibes ist groß, denn es ist gleichzeitig eine Heilssorge. Das tägliche Brot zur zweckmäßigen Erhaltung des Leibes ist keine Bagatelle. Der himmlische Vater will, dass seine Kinder alle Leibesbedürfnisse gestillt erhalten, denn sie sind mit ihren Leibern seine Offenbarungsstätte. Die gottgewollte Erhaltung des Lebenslebens ist Heilsgebot.

Lies weiter:
6. Und vergib uns unsere Schuld