Das weisssagende Wort als Wegweiser

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Abschrift des Buches: Rom - Babel - Jerusalem
Der Weg der Menschheit im Licht der Schrift bis zur Vollendung des Gottesreiches

Verfasser: G. Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach) (1928)
Verlag: Gebrüder Schneider, Karlsruhe i. B.

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor:
4. Der Gang des Gottesreiches durch die Menschheit

1. Das weisssagende Wort als Wegweiser

Bis zu diesem Punkt gibt die Bibel deutliche Hinweise zum biblischen Verständnis des Geschichtsverlaufs. Wie soll die nun folgende lange Zeit der Kirchengeschichte verstanden werden, d. h. sowohl die Geschichte der Kirchen selber, als auch die Stellungnahme der Völker zum Evangelium und zu den Kirchen? Gerade diese Zeit möchten wir verstehen, weil sich auf ihr die Gegenwart auftut. Gibt die Schrift auch für diesen wichtigen Zeitraum eine Wegweisung?

Abschluss des Schriftzeugnisses

Hier ist die Stelle, wo über die Offenbarung zu sprechen ist. So wie das Wort Daniels Licht wirft auf die Zeit bis zum Sieg Roms, so gibt die Offenbarung Licht über die Zeit zwischen dem Sieg Roms und dem Kommen des Gottesreichs in Kraft. Aber mühelos ist der Überblick über den Gang der Menschheit im Licht der Offenbarung trotzdem nicht. Es ist ein nachdenkendes Eindringen in dieses letzte Buch der Schrift nötig, und ein eifriges Bemühen um das Verständnis des Geschichtsverlaufs im Licht dieses weissagenden Wortes, um die göttliche und die ungöttliche Linie im Geschichtslauf wahrzunehmen, von der apostolischen Zeit an bis zur Gegenwart und von der Gegenwart bis zur Endzeit.

Die im Folgenden gegebene Verwendung der Offenbarung wertet diese als Abschluss des gesamten Schriftworts. Die alten Nachrichten machen es wahrscheinlich, dass dieses Buch auch zeitlich den Abschluss der Bibel bildet, in dem Sinn, dass sämtliche anderen Schriften des Neuen Testaments ihm vorausgehen. Aber selbst wenn es zeitlich nicht die letzte Schrift der Bibel wäre, so bildet es inhaltlich doch den Abschluss, nicht bloß des Neuen Testaments, sondern der ganzen Bibel. Es fasst die gesamte Weissagung der Schrift zusammen, die der Propheten, aber auch die Jesu in seinen irdischen Tagen und die der Apostel. Es ist weder als Geringschätzung der übrigen Weissagung gemeint, noch ist es tatsächlich eine solche, wenn der Blick vorwiegend auf der Offenbarung ruht. Die Christenheit könnte ohne die letztere die andern weissagenden Abschnitte der Schrift nur schwer verstehen; denn es würde das Einheitsband fehlen. Aber das ist richtig, dass die genannten Abschnitte ihrerseits wieder das Wort der Offenbarung verdeutlichen und ergänzen. Es ist gut, wenn die gesamte Weissagung der Schrift ineinandergesehen wird als eine große Einheit. Dann lösen sich die scheinbaren Widersprüche auf; und was noch nicht ganz deutlich ist, das wird durch den Fortgang der göttlichen Regierung noch deutlich werden.

Die Offenbarung ist der Abschluss der Weissagung der Schrift; aber auch der Abschluss des übrigen Schriftinhalts. Nirgends sind die unsichtbare Welt und die Vorgänge in ihr so zusammenfassend und deutlich dargestellt wie im letzten Buch der Bibel. Es beschreibt nicht bloß die kommenden Ereignisse und die kommende Welt, sondern auch die jetzige Regierung Gottes. Was Johannes in Offb 1:9-20 sah vom lebendigen Herrn, der trotz seiner Erhöhung unter seinen Gemeinden anwesend ist, ist eine wichtige Ergänzung der Evangelien und der Briefe. Und Offb 4 und 5, und eine Reihe anderer Stellen geben wichtige Blicke in das überirdische Geschehen, das allem irdischen Geschehen zur Seite, ja vorausgeht. Ferner: das Bild der Gemeinde Gottes und Christi, wie es sein sollte und wie es meist an allerlei Trübungen leidet, ist kaum irgendwo so schlicht, und doch so eindringlich gezeichnet, wie in Offb 2 und 3. Auch das Evangelium mit seinem Angebot der vollen Gnade, und mit dem durchdringenden Bußruf ist deutlich gesagt. Vor allem aber macht die Offenbarung das Auge hell für die unheimlichen Mächte der Finsternis und zeigt, in welch ungeahntem Maße die menschliche Geschichte von ihnen beeinflusst ist. Diesem Offenstehen der Menschheit für die satanische Welt entsprechen die Gerichte Gottes, die in der Endzeit, und bei der Entscheidung an Schärfe zunehmen. Beide, die Bezeugung der Verhaftung der Menschheit an die teuflischen Mächte und die Bezeugung der Gerichte Gottes, ist lange für übertrieben gehalten worden. Aber die Empfindung der Wirklichkeit dieser Schrecknisse ist wacher geworden, seit der Weltkrieg und seine Folgeerscheinungen den Traum von der stetigen Aufwärtsentwicklung der Menschheit empfindlich gestört haben.

Was nun im vorliegenden Zusammenhang an der Offenbarung besonders geschätzt wird, das ist das weissagende Wort in ihr. Wichtig ist gleich der Eingang, mit welchem Johannes das Buch einführt: es ist eine Enthüllung Gottes an Jesus Christus für seine Gemeinde (Offb 1:1-3). Hier kehrt die schlichte Art wieder, wie Jesus in seinen irdischen Tagen sprach, als er die Fragen der Jünger nach den kommenden großen Ereignissen beantwortete: er stellte sein Wissen, obwohl er der Sohn war, unter das des Vaters (Mt 24:36; Mk 13:32). Auch in seinem erhöhten Stand ist er mit seinem Handeln und Wissen an den Vater gebunden. Aber er durfte auch das verschlossene Buch öffnen, als er am und auf dem Thron angelangt war. Der Vater ließ ihn an seinem ganzen Ratschluss teilnehmen, und übertrug ihm die Ausführung des Heilsplans. So ist Offb 1:1-3 zugleich eine Bezeugung der Majestät Christi. Ob die Schranke, von der er noch in seinen irdischen Tagen sprach, nicht in seinem jetzigen Herrlichkeitsstand gefallen ist, so dass vor ihm jetzt alles klar und aufgedeckt daliegt? Der Vater hat ihm alles übergeben! Dann hat er aber auch das Recht, über die von ihm selbst in Mk 13:32 gezogene Grenze hinauszugehen und mehr zu offenbaren als in den Tagen seines Fleisches, zumal je näher es seinem Heraustreten aus der Verborgenheit entgegengeht.

Auslegung der Offenbarung

Leicht ist die Auslegung der Offenbarung nicht. Das zeigt ein Blick auf die verschiedenen Arten der Auffassung dieses Buches, von denen 4 unterschieden werden können. Am wenigsten verträgt sich mit der Wertung der Offenbarung als „Schrift", die sog. zeitgeschichtliche Auffassung, die darin in der Hauptsache einen Hinweis auf die Zeit sieht, welche dem Erscheinen des Buches unmittelbar folgte. Dabei wird Babel auf das Rom der Kaiserzeit gedeutet und in Offb 11 wird ein Hinweis auf den Fall Jerusalems durch die Römer gesehen. Eine Folge dieser Auffassung ist, dass man dann die Offenbarung noch vor das Jahr 70 legen muss, während, wie bereits bemerkt, alte Nachrichten sie in die Zeit des Kaisers Domitian verlegen, etwas in das Jahr 95. Nun soll nicht bestritten werden, dass das Buch zur Mahnung und zum Trost für seine damaligen Leser bestimmt war; aber wenn es nur die Ereignisse der nächstfolgenden Zeit hätte darstellen sollen, dann wäre es durch den Gang der Geschichte widerlegt worden. Denn ein großer Teil des Inhalts handelt von der Endzeit, wenngleich die unwiderlegbare Feststellung, welche Stücke des Buches NUR endgeschichtlich verstanden werden dürfen, schwierig ist. Und die eigentliche Endzeit ist immer noch nicht da, obwohl viele Jahrhunderte vergangen sind, seitdem jene 7 Gemeinden in Kleinasien das Buch zu lesen bekamen. Wäre die Offenbarung wirklich NUR zeitgeschichtlich zu verstehen, dann könnte sie zum Verständnis der Zeit seit 70 wenig beitragen.

Einen andern Weg der Deutung der Offenbarung hat die sog. reichsgeschichtliche Auslegung der Offenbarung beschritten, die in ihr den grundsätzlichen, durch die ganze Geschichte bis zum Ende fortgehenden Kampf zwischen Gottesreich und Weltreich abgebildet sieht, und auf Einzeldeutung lieber verzichtet. Vielleicht ist manchem ein Dienst getan durch den Hinweis auf ein älteres Buch, das aber keineswegs veraltert ist. Es ist das Buch des Baslers Karl August Auberlen aus dem Jahre 1854: "Der Prophet Daniel und die Offenbarung des Johannis, in ihrem gegenseitigen Verhältnis betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert.“ siehe Abschrift hier: Auberlen vertritt die oben genannte reichsgeschichtliche Deutung der Offenbarung. Ebenso wichtig wie das, was er in seinem Buch über die Offenbarung sagt, sind seine Ausführung über Daniel. Sie haben gegenüber den mancherlei Zweifelsfragen, die z. T. unnötig sind, eine befreiende Wirkung.

Andere sahen in den Siegel- und Posaunengesichten eine prophetische Vorausdarstellung der Weltgeschichte, und in den Aussagen über die 7 Gemeinden eine Schilderung von kirchengeschichtlichen Zeiträumen. So wird die Offenbarung im trefflichen Dächsel'schen Bibelwerk verstanden. Die Beobachtung der Kirchengeschichte durch diesen Spiegel hat vieles Ansprechende zutage befördert. Aber sie wird weder der Geschichte noch dem weissagenden Wort gerecht. Bald muss das erstere, bald das letztere gepresst werden. Deshalb kam bei dieser Auffassung auch keine Übereinstimmung der Auslegungen zustande. Immerhin sind auch heute noch solche Ausführungen wie die von Dächsel mit Gewinn zu lesen.

Die neueren Ausleger neigen in der Mehrzahl der sog. endgeschichtlichen Deutung zu, die in der Offenbarung eine Darstellung der schweren, dem Reich Gottes vorangehenden Endzeit sieht. Eine treffliche, übersichtliche Einführung in diesem Sinn, aber unter eingehender Berücksichtigung der anderen Auffassungen, namentlich Bengels, gibt der Pfarrer Th. Weber in seiner Schrift mit dem Titel: "Zur Auslegung der Offenbarung des Johannes" (Licht und Leben-Verlag Elberfeld 1920) Auch die Siegelgerichte (Offb 6) werden da schon endgeschichtlich gedeutet. Das Gesicht vom 1. Reiter sieht er verwirklicht im Siegeslauf der Mission im 19. und 20. Jahrhundert; das 2. Siegel habe seine Erfüllung im Weltkrieg gefunden.

Aus allen Auffassungen der Offenbarung ist zu lernen, auch aus der zeitgeschichtlichen. Die letztere hält den Blick in der Nähe fest: "Siehe, ich komme bald!" Die reichsgeschichtliche lässt den Blick nicht abirren vom Reich Gottes. Die kirchengeschichtliche bezeugt, dass das Ende sich schon längst vorher anbahnt. Die endgeschichtliche mahnt, sich das Auge durch die vielen Augenblickserscheinungen nicht blenden zu lassen, sondern es klar auf die eingreifende und doch selige Wendung hin zu richten.

Der Weg des Gerichts

Bezüglich der Siegelgerichte wagt der Verfasser dieses Buchs keine bestimmte Aussage, wie sie zu deuten seien. Aber er hält es für wohl möglich, dass Offb 6. einen Überblick über den Gang der Geschichte gibt, seitdem das Evangelium um seine Aufnahme ringen muss. Trotz aller Schwierigkeiten geht es seinen Siegeszug durch die Welt: die von ihm Besiegten, und die dann mit demselben Siegenden, sind die Glieder der Gemeinde Jesu. Aber auf der Erde selber kann trotzdem, der ihr seinerzeit bei Jesu Geburt angekündigte Friede noch nicht einkehren, weil sich die Menschheit als Ganzes der Herrschaft Christi noch nicht unterordnet; vielmehr muss die Welt als Folge ihrer verkehrten Haltung Kriege und Mangel und Sterben auskosten. Die Gemeinde Jesu muss dies alles mit hindurchgehen und auf sie legt sich noch eine besondere Last: sie wurde und wird zur Märtyrergemeinde (5. Siegel). Gott lässt sein Reich doch kommen (nicht ausdrücklich beschriebenes 7. Siegel); aber es kommt nur nach furchtbaren Erschütterungen, die bis zum Abbruch der jetzigen Welt fortschreiten (6. Siegel). So mag es wohl sein, dass die Siegelgerichte die ganze Zeit seit Christi Kreuz ausfüllen; aber was durch die ganze Zeit hindurchgeht, kann in der Endzeit selber, und in der in die Endzeit ausmündenden Zeit, in verstärktem Maß in Erscheinung treten. Gerade in den letzten Zeiten des Geschichtslaufs macht das Evangelium reiche Beute, aber die Erschütterungen der Völkerwelt und im Naturgebiet, und der Kampf gegen die Gemeinde Jesu, werden ebenfalls stärker. In einer solchen Deutung reichen sich alle Auffassungen der Offenbarung die Hand.

Ob es aber möglich ist, die Posaunengerichte schon vor die Endzeit zu setzen, das ist fraglich. Der Trompetenstoß ist das Zeichen, dass ein wichtiges Ereignis bevorsteht. So ist es wahrscheinlich, dass die Gerichte, die mit den Posaunen angedeutet sind, das Ende ankündigen sollen, nicht das Ende der Welt, sondern das Ende des widergöttlichen Menschheitsganges. Eine Einreihung der Posaunengerichte in die bereits vergangene Geschichte wäre nur möglich unter weitgehender Umdeutung. Dass für das Verständnis Schwierigkeiten bestehen bleiben, auch wenn man die Erfüllung dieser Weissagungen erst am Eingang der Endzeit annimmt, ist richtig. Denn die ersten vier Posaunen werden dann wohl nur verstanden werden können, als Naturereignisse von einer uns bis jetzt noch unbekannten Schwere, und die 5. Posaune (das 1. Wehe) als der Einbruch höllischer Mächte in die Gott entfremdete Menschheit. Doch verlieren diese Gedanken ihr Befremdendes, wenn bedacht wird, dass die Schrift öfter von Erschütterungen der Naturordnung in der Endzeit redet, und dass eine Überflutung der Menschheit mit satanischen Mächten nicht verwunderlich ist, da ja die Menschheit zuletzt ganz unter teuflischen Bann geraten soll. So ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass die Posaunengerichte noch bevorstehen, und an den Beginn der eigentlichen Endzeit gehören.

Auf festerem Boden steht die Auslegung der 6. Posaune (des 2. Wehe) an. Denn dieses Wehe reicht bereits in die antichristliche Zeit hinein (Offb 11:14). Für diese werden 2 mal 3 1/2 Jahre genannt. Wenn diese Zeitbestimmung wörtlich genommen werden darf - wogegen kein triftiger Gegenstand geltend gemacht werden kann, zumal die 3 1/2 Jahre auch mit 1260 Tagen und 42 Monaten gleichgesetzt werden (Offb 11:2.3; Offb 12:6.14) - dann gehört das 6. Posaunengericht in die Endzeit. Die 7. Posaune füllt deren Schluss aus, der 42 Monate währen soll (Offb 13:5), und der nach den 7 Zornschalen hinüberleitet in das Reich Gottes auf Erden, das nach der in Offb 20:2.3.4.5.7 gebrauchten Zeitbestimmung gerne das 1000-jährige Reich genannt wird. Es hat eine Zeit gegeben, wo sogar dieses Reich, an dessen Zukunftscharakter kaum mehr gezweifelt wird, als schon gekommen betrachtet wurde. Die Offenbarung schließt ab mit einem Blick in die neue Welt.

Der Abfall von Gott

Wenn nun nach dem Bisherigen anzunehmen ist, dass die Erfüllung der Weissagung von Offb 8 an, ja von Offb 6:9 an noch in der Zukunft liegt, so erscheint die Ausbeute für das Verständnis der langen Zeit seit der Zerstörung Jerusalems bis zur Gegenwart, ja bis zum Beginn der eigentlichen Endzeit, als gering. Aber wenn auch bisher noch keine unmittelbare Wegleitung genannt wurde, so enthält die Offenbarung doch eine Reihe wichtiger Bezeugungen, die wegweisend wirken. Es seien die wichtigsten genannt: die menschliche Geschichte mündet nicht geradlinig in das Reich Gottes ein, vielmehr geht der Menschheitsgang in Unbußfertigkeit und Verhärtung Gott gegenüber aus. Die Menschheit geht schließlich in offene Empörung über gegen Gott und seinen Christus; die Welt wird offenkundig widergöttlich und antichristlich. Alle sündige Selbstherrlichkeit ballt sich schließlich zusammen in einem, die ganze Menschheit umfassenden Reich unter einem, von satanischem Willen geleiteten Menschheitsführer, und mit einer allen Abfall von Gott zusammenfassenden Welthauptstadt, Großbabel, genannt.

Diese Bezeugungen der Offenbarung, die denen aus Jesu Mund und in den Briefen der Apostel entsprechen, gehören freilich an den Schluss der menschlichen Geschichte. Aber darf angenommen werden, dass der Menschheitsgang erst am Schluss diese schlimme Wendung nehmen werde? Vielmehr steht es so, dass der schlimme Ausgang nur zur Reife bringt, was sich längst angebahnt hat. Der Sündenfall und die Verwerfung Jesu in seinen irdischen Tagen erhält, durch die in der Schrift bezeugten Schlussereignisse, nur seine Spitze. Wenn es aber so ist, dann ist in der Schrift bezeugt, dass das Angebot des Evangeliums die Menschheit als Ganzes nicht für Christus gewinnen kann. Damit ist weiter gesagt, dass eine wohlgemute Betrachtung der Welt- und Kirchengeschichte seit der Apostel Zeit der Schrift nicht entspricht.

Trotzdem leitet die Weissagung nicht zum Schwermut, zum Pessimismus, an. Das Reich Gottes kommt trotz allem. Aber auf dem Weg des Gerichts. Das gerichtliche Eingreifen Gottes wird gegen das Ende des gegenwärtigen Zeitlaufs zunehmen. Der Widerstand gegen Gott und Christus wird schließlich durch Christi Eingreifen abgebrochen, aber erst nachdem die Gemeinde Christi durch Drangsal und Tod hindurchgegangen ist.

Dieses Schlussbild der Offenbarung vom Gang der Menschheit ist eine große Hilfe für das Verständnis der geschichtlichen Linien, trotz der drückenden Empfindungen, die ein derartiger Ausblick auslöst. Aber zugleich entsteht an diesem Zukunftsbild eine Reihe von Fragen: wie kommt es zu solch schlimmem Ausgang? Gibt es Entwicklungsstufen auf dem Weg dahin? Wie kann trotz des Vorhandenseins der Kirchen, ein für die Kirchen beschämendes Schlussergebnis zustande kommen? Kann man in der Vergangenheit und Gegenwart bereits etwas wahrnehmen von einer abwegigen kirchlichen Entwicklung? So ist ersichtlich, dass für eine biblische Erkenntnis der Menschheitsgangs, seit dem Anfang unserer Zeitrechnung, noch manche Frage offen bleibt.

Das Tier und seine Köpfe

In dem vorliegenden Buch wird der ernsthafte Versuch gemacht, bei der Darstellung die bisher genannten Hinweise der Offenbarung zu verwenden. Aber der Leitgedanke der Darstellung ist einer bestimmten Stelle entnommen, nämlich Offb 17:8-11. Dort ist von dem Tier mit den 7 Köpfen die Rede. Was das Tier sei, ist nicht gesagt, aber die Köpfe werden gedeutet als Berge und Könige. Zur Zeit des Johannes waren 5 Könige gefallen, der 6. war vorhanden, der 7. sollte erst später erscheinen, aber nur kurze Zeit dasein. Über das Tier wird die merkwürdige Aussage gemacht, dass es früher dagewesen sei, aber zur Zeit des Johannes nicht vorhanden war, dass es dagegen später aus dem Abgrund auftauchen, und dann in die Verdammnis fahren werde. Ein 8. Kopf wird mit dem Tier selbst gleichgesetzt. Dieses Tier ist die Trägerin der Hure, die Offb 17:18 als die große Stadt bezeichnet wird, die beherrschenden Einfluss auf die Könige der Erde ausübe. Bereits in Offb 13 ist von diesem Tier mit seinen 7 Köpfen die Rede. Nur wird dort noch gesagt, dass einer der Köpfe eine tödliche Wunde erhalten habe, die zur Endzeit heil wurde; außerdem, dass das Tier einen Lästermund bekommen habe.

Zwei Hilfsmittel bieten sich an, um die oben zusammengestellten Aussagen zu einem einheitlichen Ganzen zusammen zu fügen: einmal der Vergleich des Tiers der Offenbarung mit den Tieren bei Daniel, sodann der Blick auf den Gang der Geschichte bis zur Zeit des Johannes. Der Vergleich des Tiers Offb 13:2 mit Dan 7:4-7 ergibt, dass in der Offenbarung die durch die Tiere dargestellten Weltreichsbildungen als einheitliches Ganzes gekennzeichnet werden. Dann das Tier bei Johannes trägt die Züge der Tiere bei Daniel. Es ist übrigens bei der Besprechung des Buches Daniel bereits darauf hingewiesen worden, dass auch dort die Tiere als zusammengehörig geschaut sind; denn den 4 Tieren von Dan 7 entsprechen die Teile des Standbilds in Dan 2, und das Standbild ist trotz seiner Teile ein einheitliches Ganzes, wie denn auch beim Zusammenstoß des Steines mit den Füßen des Standbildes das ganze Bild zusammenbricht.

Was ist nun das Ganze, von dem die aufeinanderfolgenden Teile nur Ausprägungen sind? Man kann es Weltreich nennen; aber deutlicher wäre es, wenn man es als die ungöttliche Menschheitszusammenfassung oder Menschheitsorganisation bezeichnen würde, die der Gegensatz zum gottgewollten Menschheitsganzen ist, also zum Reich Gottes (Dan 2:44). Die ungöttliche Menschheit erhält in der Offenbarung das Bild im Tier, während das Reich Gottes in Dan 7:13 sein Bild im Menschensohn erhielt. Indem die Menschheit sich von Gott ab und gegen ihn wendet, sinkt sie vom Menschlichen ins Tierische hinunter. Die hier verwendete Deutung des Menschensohnes wird zwar noch nicht dem ganzen Tief der Stelle gerecht, aber es ist ein wichtiger Teil der Deutung von Dan 7:13, dass das Gottesreich echt menschliche Züge trägt, während die Menschheit in ihrer widergöttlichen Entwicklung als zum Tier entartet erscheint.

Die weitere Deutung ergibt sich aus dem Verlauf der Geschichte. Das Tier als widergöttliche Menschheitsorganisation ist schon einmal wirklich gewesen. Seine Geschichte steht in 1Mo 11. Es war, als Gott eingriff, noch nicht völlig ausgestaltet, und es war Gnade, dass Gott damals die völlige Ausgestaltung noch hinderte; aber die wesentlichen Züge, einer zum Tier herabgesunkenen Menschheit waren bereits vorhanden. Weil das Tier damals noch nicht ganz ausgereift war, deshalb erscheint es in der Sprache der Offenbarung als einer der Köpfe des Tieres, als eine der Ausprägungen des widergöttlichen Menschheitsreichs. Und die Zertrennung des damaligen Menschheitsganzen wird bildlich dargestellt mit der tödlichen Verwundung eines Kopfes (Offb 13:3). Wohl wuchsen nachher anstelle des schwer verwundeten Kopfes andere Köpfe nach; aber keiner der Köpfe vor der Endzeit erreicht die Bedeutung des 1. Kopfes. Deshalb wurde dem Johannes in Offb 17:8 gesagt: das Tier war da, ist aber nicht mehr vorhanden. Das römische Reich, das zur Zeit des Johannes den größten Teil der damals bekannten Welt beherrschte, war wohl seit dem Fall des ältesten Babel die stärkste wieder Annäherung an eine widergöttliche organisierte Menschheit; aber auch als Rom hochgekommen war, war das Tier noch nicht aus seinem Todeszustand zu neuem Leben erwacht.

Der 6. Kopf

Das römische Reich ist der 6. Kopf des Tiers. Die in Offb 17:9 enthaltene Deutung der Köpfe auf Könige kann nicht regierende Könige bedeuten; vielmehr sind Könige und Reiche Wechselbegriffe, die wechselnd füreinander gebraucht werden können, in der gleichen Weise, wie Daniel dem Nebukadnezar sagte: DU bist das goldene Haupt, obwohl mit dem goldenen Haupt das babylonische REICH gemeint war (Dan 2:38). So mag einst Nimrod in seiner Person die Triebkraft des ältesten Babels gewesen sein; so war Alexander der Große, und später Antiochus die Verkörperung des griechischen Reichs; so fand das alte römische Reich im jeweiligen Kaiser, bzw. im Kaisertum seine Darstellung. Es ist nötig, diese umfassende Bedeutung des Ausdrucks "Könige" zu betonen, weil die zeitgeschichtliche Deutung der Offenbarung zu ihrer ungenügenden Auslegung durch die persönliche Fassung des Wortes mit veranlasst wird, und die Offenbarung in die Zeit legen zu müssen meint, da erst 5 Kaiser Roms gestorben waren. Die Gleichsetzung der Köpfe mit Bergen Offb 17:9 wird sich daraus erklären lassen, dass die Weltreichsbildungen hinsichtlich ihrer Sichtbarkeit und Machtentfaltung, aus dem Menschheitsganzen herausragen wie die Berge aus einer gleichmäßigen, ungegliederten Ebene. Es ist nicht ausgeschlossen, dass für die Leser der damaligen Zeit in diesem Vergleich auch ein Hinweis auf Rom enthalten war, da Rom, das in jenen Zeiten die Hure darstellte, auf 7 Hügeln erbaut war.

Nach dem 6. Kopf, der das römische Reich darstellt, sah Johannes noch ein kürzer dauerndes 7. Reich kommen; und hierauf erblickte er ein großes Wunder: das Tier kam aus seinem Todeszustand, zum Staunen der Welt, wieder zum Leben (Offb 17:8); oder, was gleichbedeutend ist, das todwund gewordene Haupt wurde wieder heil (Offb 13:5). Das zu neuem Leben erstandene Tier und der heilgewordene Tierkopf wird Offb 17:11 als das 8. Reich bezeichnet. Das 8. Reich erscheint also, äußerlich betrachtet, zunächst als eine weitere Reichsgründung, welche die 7. ablöst; aber es ist etwas viel Umfassenderes, nämlich die zum Ziel gelangte widergöttliche Menschheitsorganisation, die von der Welt staunend als die Verwirklichung des alten Menschheitstraums empfunden wird.

Die Hure

Ehe auf die Eigenart des 6. Reichs näher eingegangen wird, sei noch ein Wort gesagt über die Hure. Die letztere ist zwar eine Erscheinung der Endzeit; deshalb leitet ihr Fall, d. h. der Fall Großbabels, das Kommen des Reiches Gottes ein. Aber weil sie Offb 17:9 als auf 7 Bergen sitzend bezeichnet wird, und weil die letzteren gleichbedeutend sind mit den aufeinanderfolgenden Reichen, so ist die Hure da, seit es Weltreichsbildungen gibt. Unter der Hure sind die Weltstädte zu verstehen. Die Weltstädte waren von jeher die Mittelpunkte ihrer Reiche. Sie waren das Ergebnis ihrer Reiche und beherrschten wiederum die Reiche und ihre Herrscher und Völker. Der Fall der Reiche und ihrer Hauptstädte und ihrer Herrscher steht im Zusammenhang miteinander. Die Weltstädte saugen das Leben und die Kräfte der Reiche und Völker ein, und von ihnen geht wiederum ein bestrickender und vergiftender Reiz auf die Völker und ihre Herrscher aus. In diesen Städten ist der Herd des Antichristentums; da kommt es auch zum Märtyrertum. Wie schon in Jerusalem, so floss bald auch in Rom Christenblut.

Doch ist das Wort von der Hure nicht nur allgemein zu fassen, so dass sie mit den Reichen wechselt, sondern zur vollen Wirklichkeit kommt die Weissagung von der Hure im 8. Reich, das sie Wiedererstehung und Vollendung des 1. Reichs ist. Des 1. Reiches Mittelpunkt war Babel. Das muss schon damals mit seinem Turm eine gewaltige Stadt gewesen sein. Aber jenes alte Babel und das Babylon Nebukadnezars ist nur eine schwache Vorausdarstellung der Hauptstadt des antichristlichen Reichs, die deshalb in der Offenbarung als GROSSbabel bezeichnet wird. Vor ihr kann einmal mit vollem Recht gesagt werden: sie hält die Könige der Erde im Bann Offb 17:8.

Besonderheit des 6. Tierkopfes

Wenn die bisherige Deutung von Offb 17 und Offb 13 recht hat, dann muss das 6. Reich der Offenbarung eine lange Dauer haben, die bis kurz vor Beginn des antichristlichen Reiches, also des 8. Reiches währt. Denn dem letzteren soll nur das 7. mit kurzer Dauer vorausgehen. An diesem Punkt scheint die bisherige Deutung zu scheitern, obwohl sie die Angaben der Offenbarung zu einem in sich übereinstimmenden, und mit der alten Geschichte zusammenstimmenden Ganzen zusammenfasst. Denn das Römerreich der Kaiserzeit hat wohl lange Dauer gehabt, reicht aber nicht von ferne an die Gegenwart heran, und noch weniger bis an die Nähe des antichristlichen Reichs.

Die Unstimmigkeit kann aber auch darin liegen, dass das 6. Reich dem Rom der Kaiserzeit gleichgesetzt wird. Gewiss hat das 6. Reich der Offenbarung mit dem römischen Kaiserreich begonnen; aber nirgends ist gesagt, dass es durch das kaiserliche Rom erschöpfend dargestellt sei. Es kann wohl sein, dass das 6. Reich eine vielseitigere, kompliziertere Größe ist, als das alte Rom. Nur das ist von vornherein klar, dass das alte Rom zum 6. Reich gehören, und dass dasselbe in irgendwelcher Weise in diesem Reich weiterwirken muss.

Ein Leitgedanke dieses Buchs ist nun der bestimmte Eindruck, dass die Geschichte der beiden letzten Jahrtausende im Grunde römische Geschichte sei, die, vom alten Römerreich ausgehend, ganz Europa erfasste, ja über Europa nach Amerika hinübergriff, und allmählich die Weltgeschichte beeinflusste. In der Darstellung ist der Nachweis zu führen, ob dieser Eindruck ein bloßer Gedanke ist, oder ob der Verlauf der Geschichte den Gedanken bestätigt. Ist das letztere der Fall, dann erläutert der Geschichtsgang das weissagende Wort, so wie das letztere zuerst das geschichtliche Forschen in eine bestimmte Richtung gewiesen hat. Weissagung und Geschichte müssen sich ja gegenseitig ergänzen: die Weissagung beleuchtet den Geschichtsgang, und der Geschichtsgang muss die Weissagung bestätigen. Lässt sich der oben genannte Gedanke, dass Rom der Hauptnenner für die europäische Geschichte, und für die gegenwärtige Weltgeschichte sei, einigermaßen überzeugend führen, dann erscheint die Aussage der Offenbarung nicht mehr merkwürdig, dass das 6. Reich nur durch ein kurzdauerndes 7. Reich vom antichristlichen Reichs der Endzeit getrennt sei. Die Beziehung des 6. zum 7. Reich kann so formuliert werden: das 6. Reich ist die eigentliche Vorbereitung des antichristlichen Reichs, dem es über das kurzdauernde 7.. hinüber die Hand reicht. Das 6. Reich ist der eigentliche Vorläufer des letzten Reichs; das 7. ist nur eine Zwischenstufe.

Die maßgebende Bedeutung des 6. Reichs wird auch durch einen Vergleich zwischen der Offenbarung und Daniel nahegelegt. Den Tieren Daniels entsprechen die Tierköpfe der Offenbarung. Der 6. Tierkopf der Offenbarung ist das 4. Tier bei Daniel; denn beide haben das römische Reich im Auge. Der Unterschied der Zählung rührt nur daher, dass Daniel die Reiche von seiner Zeit an zählt, also die beiden früheren Reiche, Assyrien und das älteste Babel, nicht rechnet. Nun ist das 4. Reich bei Daniel das letzte; es stellt den Höhepunkt der Tierentwicklung dar. Mit dem 4. Reich Daniels stößt das Gottesreich zusammen. An diesem Punkt scheint eine Unstimmigkeit zwischen Daniel und der Offenbarung zu sein. Denn die Offenbarung kennt noch 2 weitere Reiche, und das Gottesreich kommt erst nach dem Sturz des antichristlichen Reichs. Der Unterschied geht aber nahezu zusammen und löst sich nahezu auf, wenn das 6. Reich der Offenbarung eine solch umfassende Art und Bedeutung hat, wie oben dargelegt ist. Im 7. und 8. Reich reift ja das 6. Reich nur vollends aus.

Die 10 Hörner

Die 10 Hörner, von denen in Offb 13:1; Offb 17:3.12 die Rede ist, und die zur Zeit des antichristlichen Reichs zugunsten des letzten Weltherrschers auf ihre Stoßkraft verzichten, werden den 10 Hörnern des 4. Tiers bei Daniel entsprechen und den 10 Zehen des Standbildes, in welche der untere, der 4. Teil von Nebukadnezars Traumbild ausging. Es ist aber wahrscheinlich, dass diese 10 Hörner nicht erst zum 8. Tierkopf gehören, sondern bereits beim 6. und 7. sich bilden. Das 4. Reich Daniels braucht zu seiner völligen Ausgestaltung das 6., 7. und 8. Reich der Offenbarung.

Ist der vorliegende Gedankengang richtig, dann ist dem 6. Reich die Tierart in besonderem Maß zugeeignet wie ebenso wieder dem 8. Reich. Vom 6. Reich an geht es eben der Heilung der Todeswunde des 1. Tierkopfes, dem Wiedererstehen des Tiers aus seinem Todeszustand entgegen, und dies trotz des Vorhandenseins des Gottesreichs, obwohl er noch in Schwachheit erfolgt, reizt die satanische Macht zur Entfaltung ihrer ganzen Kraft. Bereit die früheren Köpfe des Tiers sind feindselig gegen das Reich Gottes aufgetreten; am feindseligsten der Vorgänger Roms, der 5. Kopf, zur Zeit des Antiochus. Wenn das 6. Reich die wirksamste Vorbereitung des Antichristentums ist, dann ist zu erwarten, dass es im Banne des Satans alles aufbietet, um das bei seinem Beginn aufgetretene Gottesreich aus der Menschheit auszutilgen. Die Machthaber dieses Reichs brauchen sich der sie beherrschenden Triebkräfte gar nicht bewusst zu werden. Sie und die in diesem Reich nach oben kommenden Zeitströme und Massenbewegungen sind beeinflusst und geleitet von der teuflischen Macht, die das Tier auf den Plan gerufen, und ihm freie Bahn und Wirkensmöglichkeit geschaffen hat.

Seine sichtbare Darstellung findet das Reich in der Zeit seiner Niedrigkeit durch die Gemeinde Jesu. Um diese geht der Kampf zur Zeit des 6. Kopfes. Er wird geführt mit Gewalt und List. Wenn es der Macht der Finsternis gelänge, die Gemeinde Jesu auf irgendeine Art aus der ihr vorgezeichneten Bahn innerhalb der Völkerwelt wegzudrängen und wegzulocken, dann wäre sie ihrem Ziel nähergekommen, die Menschheit für das Antichristentum reif zu machen. Die Geschichte der beiden letzten Jahrtausende ist daraufhin zu prüfen, ob sich im Gang der von Jesu gegründeten Gemeinde solche Beeinflussungen und Zielverrückungen wahrnehmen lassen. Zu solcher Beobachtung drängt schon die Wahrnehmung, dass das andere Organ des Reiches Gottes, das alttestamentliche Gottesvolk, noch vor Jesu Kommen auf eine verkehrte Bahn gelockt und, in der Ausstoßung Jesu und in der Ablehnung des Evangeliums, dem satanischen Willen dienstbar wurde. Die nähere Ausführung muss der geschichtlichen Darstellung vorbehalten bleiben.

Es war seither von der Bedeutung des "Tieres" in der Offenbarung die Rede. Das Tier ist die Gott entfremdete Menschheit, die unter satanischer Leitung schließlich zur offenen Empörung gegen Gott und seinen Christus übergeht. Noch ehe es nach seiner tödlichen Verwundung beim Fall des ältesten Babel wieder zur Vollkraft gelangt, erhält es in seinem 6. Kopf eine besonders wirkungskräftige Vorbereitung, entsprechend der Weissagung Daniels, dessen dem 6. Kopf entsprechendes 4. Tier, die ungestüme Tierart am ausgeprägtesten an sich hatte. So sind es bereits zwei geschichtliche Gebilde, auf welche die Bezeichnung "Tier" zutrifft: die widergöttlich werdende Menschheit der Endzeit und die vielseitige Größe, die seit Christi Kommen, und bis kurz vor der Endzeit die Welt beherrscht, und sich dienstbar macht, der wir nach ihrer anfänglichen Erscheinungsform den Sammelnamen "Rom" geben können. Wenn man aber die Stellen, in welchen in der Offenbarung vom "Tier" gesprochen wird, unbefangen liest, dann lässt sich der Eindruck kaum umgehen, dass das Wort auch zur Bezeichnung einer einzelnen Persönlichkeit verwendet wird.

Das Tier in Person

Vielleicht ist Offb 13:5 diejenige Stelle, die erklärt, wie der, ursprünglich einem umfassenden Gebilde zukommende Name, auch zum Namen einer Einzelperson wurde: das Tier bekommt einen Mund, einen Sprecher. Das ist diejenige Persönlichkeit, die das antichristliche Menschheitsreich verkörpert, der Beherrscher dieses Reichs, der für gewöhnlich der Antichrist genannt wird (1Jo 2:18), von Paulus der Mensch der Sünde (2Thes 2:3). In ihm bekommt die Menschheit in ihrer schlimmen Entwicklung einen ausgesprochenen Willen, der dann wieder den Willen des Ganzen beseelt, einen Mund, der ausspricht, was die meisten empfinden und denken, und der wiederum mit seinem Wort die Empfindungen, Gedanken und Willensbewegungen der Menge leitet. Der Antichrist ist das Tier in Person.

So ergibt sich, wenn Daniel und Offenbarung zusammen genommen werden, eine dreifache Bedeutung des bildlichen Ausdrucks "Tier". Die eigentliche und zugleich umfassendste ist die, dass es die entartete und ihre göttliche Würde durch eigene Schuld verlorengegangene Menschheit bedeutet. Weiter wird so genannt derjenige Mensch, der in der Endzeit aus der widergöttlich gewordenen Menschheit herauswächst und ihr vollends unter satanischer Leitung und Vollmacht den antichristlichen Charakter aufprägt. Und die wichtigste Stufe auf diesem unheimlichen Menschheitsgang ist die Zeit des 6. Reichs, durch welches die ganze frühere Entwicklung der Menschheit miteinander verknüpft wird, und durch welche sie zum Endpunkt hinübergeleitet wird. Dieses 6. Reich war bei Daniel das Tier in seiner schlimmsten Gestalt. Man kann den normalen Menschheitsgang, wie ihn Gott gewollt hat, an einer Pyramide darstellen, die sich auf einer Grundfläche erhebt und sich verjüngend, der Spitze zustrebt. Die Grundfläche ist die Menschheit, wie sie Gott zur Erbin seines Reichs bestimmt hat. Auf dieser Grundfläche erhebt sich in engerem Rahmen das rechte Israel. Die den beiden gemeinsame Spitze ist Jesus.

Es gibt auch eine ungöttliche Pyramide. Deren Grundfläche ist ebenfalls die Menschheit, aber in ihrem von Gott abgewandten, von der reinen Menschenwürde zur Tierart heruntergesunkenen Wesen. Die Menschheit strebt ebenfalls in die Höhe. Die wichtigste Stufe auf dem Weg zur Höhe ist das 4. Tier Daniels, oder der 6. Tierkopf der Offenbarung. Die schlimme Spitze, in die der verkehrte Menschheitsbau ausläuft, ist der Mensch der Sünde. Mehr bringt die Gott entfremdete Menschheit nicht zustande. Wenn die letzte Folgeerscheinung des ganzen Menschheitsgangs ein der Sünde und dem satanischen Willen völlig verfallener und dienstbarer Mensch ist, dem die Menschheit zujubelt und sich willig unterordnet, dann ist die ganze menschliche Geschichte gerichtet.

Der Menschheitsweg im Überblick

Im folgenden wird nun der Versuch gemacht, den Menschheitsgang seit der Zeit, da das alte Gottesvolk versagte und unter Gottes Gericht kam, und seit der Zeit, da die Gemeinde Jesu ihren Gang antrat in die Welt hinein, und durch die Welt hindurch zu verstehen, unter Beachtung der oben dargelegten, aus der Offenbarung gewonnenen Gesichtspunkte. Dass es sich trotz, des aus der Schrift gewonnenen Lichts, um ein Tasten handelt, ist bereits ausgesprochen worden. Eine solche Betrachtung des Geschichtsganges ist eine herzbewegende Sache, zumal da sich manche tiefernste Beurteilungen nicht vermeiden lässt. Sie wird noch bewegender, wenn die Gegenwart als Gesamtzusammenhang hineinzustellen ist, und wenn die in die kommende Endzeit hinüberweisenden Linie aufzusuchen sind. Dass dabei Missgriffe möglich sind, wird ohne weiteres zugegeben. Aber die Aufgabe bleibt bestehen, an den Zeiten die Zeichen abzulesen für das Kommen des Reichs. Die Bereitschaft und die Befähigung dazu hat Jesus sogar von denjenigen seiner Zeitgenossen erwartet, die ihm abgeneigt waren (Mt 16:3). Nicht nur die Gemeinde Jesu, sondern auch die Kirchen müssen Fehltritte tun, wenn sie die Zeichen der Zeiten nicht beachten, und sich nur von der jeweiligen Lage in ihren Entschlüssen und Handlungen bestimmen lassen.

Es sei nur noch erlaubt, dass das Buch Daniel für den äußeren Geschichtsablauf, während der Zeit des 6. Reichs eine Handhabe gibt, indem es an dem, den Geschichtsgang darstellenden Standbild beim 6. Reich, Schenkel, Füße und Zehen unterscheidet. Der Gedanke legt sich dadurch nahe, dass dieses Reich sich in drei Stufen entwickle und dass es, ohne seine Einheit einzubüßen, vielgestaltig werde. Es ist wohl möglich, dass die 10 Reiche, die den Antichristen als herrschende Gewalt anerkennen (Offb 17:12), sich bereits im 6. Reich anbahnen. Auch der Hinweis auf die Beimischung des Tons zum Eisen bei den Füßen und Zehen wird seine geschichtliche Bedeutung haben. Die Geschichte Europas ist eine Auslegung zum Gleichniswort.

Im folgenden wird zuerst an die bisherige Darstellung noch einmal angeknüpft. Dann wird ein Ausblick gegeben, wer wohl die 7. Reichsgestalt darstellen werde. Hierauf folgt ein Überblick über den Gang der europäischen Geschichte bis zur Gegenwart, wobei besonders auf die Entwicklung der Gemeinde Jesu zu achten ist.

Die durch Köpfe dargestellten Reiche

Durch die menschliche Gesamtgeschichte geht ein vollendeter Gegensatz: der zwischen dem Reich Gottes und zwischen der von der Macht der Finsternis angeregten, beeinflussten, geleiteten widergöttlichen, und schließlich widerchristlichen Menschheitsorganisation. Denn seit dem Fall der Menschheit bereits, am Beginn ihrer Geschichte, geht um die Menschheit das Ringen Gottes und der satanischen Welt. Gott geht darauf aus, die Menschheit in sein Reich hineinzubauen, und die Finsternis möchte sie - der Menschheit selbst größtenteils unbewusst - ihren Zwecken dienstbar machen. Mag die weltliche Geschichtsbetrachtung von diesem furchtbaren Gegensatz nichts wissen und nichts wissen wollen; mag ihr das Reich Gottes und ein widergöttlich bestimmtes Menschheitsreich eine unbekannte und unbequeme Größe sein - wer die Schrift nicht umdeuten kann, kann diesen Gegensatz in der Menschheitsgeschichte nicht übersehen, und kann die letztere nicht einheitlich deuten. Wir warten darauf, dass sie noch einheitlich wird; aber erst dann, wenn Gottes richtende Hand die satanische Macht unter Verschluss legt und aufhebt.

Was den widergöttlichen Menschheitsgang betrifft, so ist bisher davon gesprochen worden, dass die Bibel zwischen dem Beginn der zweiten Menschheit, und der Berufung Israels, bereits von einer widergöttlichen Zusammenfassung der ganzen damaligen Menschheit berichtet, deren Mittelpunkt und

der 1. Kopf Babel und deren Wahrzeichen der Turm

war. Gott machte aber dem Kommen seines Reiches Raum, indem er diese Organisation nicht zur Vollendung gelangen ließ, und die Menschheit zerteilte. Dagegen schuf er Israel als Werkzeug für die Aufrichtung seines Reichs unter der Völkerwelt, und bereitete es auf seinen Beruf in einer langen Geschichte vor. Aber als Israel versagte, musste er der Macht der Finsternis wieder Spielraum lassen, und sofort begannen die Weltreichgründungen, die eine Wiedererstehung des ältesten Babels in vollendeter Gestalt zum Ziel haben. Die ungöttliche Menschheitszusammenfassung ist das Tier. Babel ist dessen erster Kopf, in welchem bereits das Tier selbst vorgebildet ist.

Der 2. Kopf, das assyrische Weltreich,

griff nach dem Teil Israels, der sich am weitesten von Gottes Weg entfernt hatte, nach dem nördlichen Reich.

Der 3. Kopf, Babylon,

war eine vorläufige Wiedererstehung des ältesten Babel. Dieses Kopfes bediente sich der Macht der Finsternis, um auch an Juda die Hand zu legen, und so das Reich Gottes im Keim zu ersticken; zugleich vollstreckte Gott durch Babylon an Juda und Jerusalem das Gericht, aber nicht zur Verstoßung sondern, um es durch das Gericht hindurch auf eine neue Grundlage zu stellen.

Seitdem hat die Oberhand der ungöttlichen Menschheitsentwicklung nicht mehr aufgehört. Als Israel neu anfangen durfte, stand es unter

’’'dem 4. Kopf, dem persischen Reich.
Der 5. Kopf, das griechische Reich,

griff nach seiner Seele und nach seinem Leben; das Leben durfte er ihm nicht nehmen, aber es setzte sich in Israel eine folgenschwere Entwicklung durch, die es weit ab von Gottes Weg führte. Als

der 6. Kopf, das römische Reich,

sich eben gebildet hatte, da senkte sich das Reich Gottes in Jesus, dem Gottes- und Menschensohn, in Israel, und damit in die Menschheit hinein und warb um Aufnahme, zunächst in Israel, um an Israel sein Werkzeug für die Völkerwelt zu haben. Noch warf es das Weltreich nicht über den Haufen; sondern samenkornartig sollte es keimen und wachsen (Mt 13:1-9). Aber das Gottesvolk fand sich mit dem Weltreich zusammen und gemeinsam, sogar unter Vorangang Israels, wurde der Christus aus der Menschheit ausgestoßen. Da schuf sich der Erhöhte ein neues Werkzeug: seine Gemeinde, und stellte sie schutzlos, nur ausgestattet mit dem der Welt unbekannten Heiligen Geist, als Wahrzeichen der kommenden neuen Schöpfung, in die Welt hinein, in die widergöttlich gewordene jüdische und heidnische Welt. Wie wird es dem zarten Pflänzlein gehen? Die Antwort darauf hat die seitherige Geschichte gegeben, aber noch nicht ganz. Unsere Zeit steht mitten drin in der Beantwortung dieser Frage.

Die Ziele der Finsternis

Die Absicht der Macht der Finsternis geht nun auf die Erreichung von zwei Zielen: einmal auf Herausbildung der widergöttlichen Menschheitsorganisation, sodann auf Ausschaltung der Gemeinde Gottes, als des Anfangs und Werkzeug des Reiches Gottes. Zwei Werkzeuge stehen ihr zu diesem Zweck zur Verfügung: das heidnische und das jüdische Wesen. Ihre Wirkungsweise, ihre Methode gegenüber der Gemeinde Gottes und Christi ist eine doppelte: bald die der äußeren, bald die der inneren Überwindung. Die erstere erfolgt auf dem Weg der gewaltsamen Bekämpfung; die andere, indem das heidnische oder das jüdische Wesen, oder beide zusammen Einfluss auf die Gemeinde Gottes zu gewinnen, und sie zu ihrer Art herunterzuziehen suchen. Wo diese Art der Beeinflussung gelingt, wird die also verderbte Gemeinde zu irdischer Ehre und Macht erhoben. Diese Vorgänge treten nicht ins Bewusstsein der handelnden Personen. Die der Finsternis dienenden Werkzeuge sind sich selber über die sie bewegenden Triebkräfte nicht klar, zumal wo es sich um Massenbewegungen handelt; auch die Führer sind sich nicht bewusst, dass sie selber geführt sind - auf sie ist das Wort Jesu von den "blinden Blindenleitern" anzuwenden (Mt 15:14). Schuldlos sind aber Führer und Geführte trotzdem nicht; denn in der Übernahme einer widergöttlichen Führerrolle, in der willentlichen Übernahme einer widergöttlichen Führerrolle, und in der willentlichen Teilnahme an ungöttlichen Bewegungen, wird zugleich das Innerste des Menschen offenbar.

Nur zwei Gestalten der letzten Zeit stehen mit vollem Bewusstsein und klarem, tätigen Willen in satanischem Dienst: der Antichrist und der falsche Prophet. Diese müssen dann auch bei ihrem Fall die ganze Schärfe des Gerichtes tragen. Bei manchen andern mag die Grenze des bewusst Teuflischen fast erreicht werden; die meisten aber werden als Verführte und Mitläufer beurteilt werden müssen. Die Gefahr des Mitgezogenwerdens war zu allen Zeiten groß; sie wächst, je mehr es der Endzeit zugeht. Es bedarf der Heiligung und Bewahrung durch den Geist Gottes, und des willentlichen Eingehens auf dessen haltende und zurückhaltende Zucht, um vom Strom der Zeit nicht mitgerissen zu werden. Der schlimme Geist, der in dieser Weltzeit sich auswirkt, möchte alle in seinen Bann ziehen, um sie zur "Anbetung des Tieres" in irgendeiner oder in mehreren Formen (Offb 20:4) zu veranlassen. Auch solche, die Jünger Jesu sind, können "den gegenwärtigen Zeitlauf liebgewinnen" (2Tim 4:10).

Noch vor dem Überblick über die Geschichte des 6. Kopfes - Roms - ist ein Ausblick wünschenswert auf den 7. Kopf. Welche Macht kann damit gemeint sein? Etwas Bestimmtes zu sagen, ist nicht leicht. Es ist wahrscheinlich, dass es eine Macht ist, die bereits vorhanden ist, aber ihre Herrscherstellung im vollen Sinn erst antritt. Rom war längst eine gewaltige Macht, ehe es den letzten Rest des griechischen Reichs sich aneignete, und damit den Ring um das Mittelländische Meer schloss, und im Kaisertum seine Spitze erhielt. Griechenland hatte bereits eine lange Geschichte hinter sich, als Alexander mit griechischen Waffen und griechischem Geist das Perserreich aus den Angeln hob. So hatten auch Persien und Babylonien ihre Vorgeschichte, ehe sie in ihre Stellung als Weltmächte eintraten. So ist es nicht nur möglich, sondern eher wahrscheinlich, dass diejenige Macht bereits vorhanden und wirkungsfähig ist, die als der 7. Kopf an die Stelle des 6. tritt, d. h. die Rom in der Führung der Völkerwelt ablöst, und die letztere vollends reifmacht für das antichristliche Regiment.

Wer ist der 7. Kopf?

Lange Zeit hat den Verfasser der Gedanke bewegt, die angelsächsische Welt, die jetzt bereits ausschlaggebenden Einfluss auf das Weltgeschehen hat, werde das europäische Festland in der Führung der Welt ablösen, und den Übergang bilden zum antichristlichen Weltreich der Endzeit. Ob der Gedanke in dieser Form richtig ist, ist mir sehr zweifelhaft geworden. Es mag ja wohl sein, dass England und die Union, vielleicht einmal durch gemeinsames Interesse und gemeinsame Not noch mehr zusammengeschlossen als jetzt, den Höhepunkt ihrer weltgeschichtlichen Stellung noch nicht erreicht haben, während das bis zum Weltkrieg führende Europa unter der Wirkung des Krieges an Weltgeltung bereits erheblich eingebüßt hat. Ob aber die eigentliche Zeit des Angelsachsentums erst noch kommen wird, wie anzunehmen wäre, wenn das Angelsachsentum den 7. Kopf darstellen würde, das ist doch fraglich. Die Weltgeltung von England - Amerika kann ebenso in die dritte Erscheinungsform Roms mit eingeschlossen sein. Dagegen legt sich ein anderer Gedanke näher: der 7. Kopf des Tiers, also die Macht, welche die Welt dem Antichristentum in die Arme führt, werde das Judentum sein, soweit es im Unglauben verharrt. Judentum ist nicht gleichbedeutend mit Judenschaft. Das letztere Wort fasst die nationale Grundlage ins Auge, das erstere das geistige Wesen.

Zur Judenschaft gehören, ist kein Makel. Die Judenschaft kommt von Israel her. Und Israel ist ein Ehrenname. Unter Judentum dagegen ist dasjenige Wesen zu verstehen, das in seinen Anfängen bereits zur Zeit Jesu vorhanden war, und Jesum nicht ertrug, und das nach Ablehnung des Evangeliums, und nach der Ausstoßung der Gemeinde Jesu, sich im Laufe der Jahrhunderte innerhalb der Judenschaft noch weiter ausbildete, und zu einer folgenschweren Verkehrung der eigentlichen Art Israels geworden ist. Dieses Judentum hat den Geist dieser Welt in beunruhigender Weise in sich aufgenommen, und irdische Machtmittel geistiger und materieller Art in ausgedehntem Maß sich zu eigen gemacht, und übt bereits Weltgeltung aus. Wer erwägt, wie ernst Jesus schon zu seinen Zeiten den Geist des Judentums beurteilt hat (Joh 8:44), dem wäre es nicht verwunderlich, wenn der Fürst dieser Welt dem Judentum noch eine besondere Rolle vorbehalten hätte, nämlich die, die Welt vollends zur Reife zu bringen für den antichristlichen Weltherrscher.

Die Israel geltenden großen Verheißungen gehen nicht verloren, wenn das Judentum diesen Weg ginge. Denn die Schrift spricht von Israels heiligem Rest. Stellen wie Röm 11:26, wo von der Rettung des ganzen Israel die Rede ist, müssen nicht in der Weise verstanden werden, dass die die Bekehrung Israels in der Endzeit alle Glieder dieses Volkes umfasst. Der Sinn ist wahrscheinlich der, dass die Bekehrten Israels ein Vollisrael darstellen, nicht bloß eine Zusammenfassung vieler Einzelner. Die richtige Auslegung dieses "Ganzisrael" wird Offb 7:1-8 sein, wo von jedem der 12 Stämme eine bestimmte Zahl von solchen genannt wird, die das Siegel Gottes bekommen, zusammen 144 000. Auch Offb 11:1 wird zum Verständnis beitragen, weil dort gesagt ist, dass das wahre Israel auf den inneren Tempelhof zusammengedrängt werde. Das heutige Gesamtisrael nach der Vollzahl seiner Glieder könnte das Heilige Land kaum fassen, geschweige denn Jerusalem oder gar der innere Tempelhof. Übrigens ist Röm 11:26 der genaue Zeitpunkt der Rettung von ganz Israel nicht angegeben, er ist nur hinter den "Eingang der Vollzahl der Heiden" gesetzt. Eine umfangreiche Bekehrung Israels, die über das Maß, der in der Endzeit gewonnenen neuen Bekennergemeinde hinausgeht, ist auch im 1000-jährigen Reich denkbar und wahrscheinlich.

Ist die ausgesprochene Vermutung richtig, dass

das Judentum den 7. Kopf des Tieres

bedeute, dann wären die beiden Teile der Menschheit, Völkerwelt und Israel, beide schuldig, und beide satanischem Willen dienstbar geworden, auch in führende Weltstellung eingetreten, eins nach dem anderen. Im 6. Weltreich hält die Völkerwelt Israel noch unten; aber es regt sich bereits kräftig und schickt sich an, der im 6. Reich vertretenen Völkerwelt die Zügel aus der Hand zu nehmen. Israel tritt dann im Judentum in seine Weltstellung ein; nicht in die ihm in Gottes Rat, zu der von Gott bestimmten Zeit zugedachte Gottesreichsstellung (Apg 1:6); sondern in die ihm, wie einst Jesus in der Versuchung, vom Teufel angebotene und aus dessen Hand empfangene (1Mo 12:3), so muss die von der Finsternis verliehene Weltgeltung des Judentums der ganzen Völkerwelt zum Fluch werden.

Keine Völkergruppe kann dann der andern mehr etwas vorwerfen. Wahrscheinlich waren die Hamiten die Träger der ersten ungöttlichen Menschheitszusammenfassung. Dann ging die Führung der Weltreichsbestrebungen auf die Semiten über. Seit dem Aufkommen des Perserreichs ist sie in der Hand der Japhetiten. So hat sich die gesamte Völkerwelt an der verkehrten Menschheitsentwicklung beteiligt, bald geführt, bald führend. Dann tritt auch Israel hinzu, das nach seinem erstmaligen Versagen als Gottesvolk seit der babylonischen Zeit, unter dem Druck der Völkerwelt, bzw. des jeweils führenden Weltreichs gestanden war, und nimmt die Führerrolle an sich in Gestalt des Judentums, vergilt die Drangsal, unter der es so lange gestanden, und verdirbt sich und die Völkerwelt. Im Reich der Endzeit unterstellt sich die ganze Menschheit in ihren Gruppen und Staatenbildungen dem antichristlichen Herrscher. Der schon öfter ausgesprochene Gedanke, dass der letzte der Judenschaft entstammen, und dem jüdischen Geist zur Alleinherrschaft helfen werde, hat vieles für sich. Ist es so, dann entstammen dem Volk Israel die größten Gegensätze, die es gibt: der Christus und der Gegenchristus; der letztere als Widerspiel und Widerpart des rechten Christus; der eine die Gabe Gottes an die Menschheit, der andere die Schöpfung aus der Hölle; der eine dem Israel nach dem Geist zugehörig, der andere dem fleischlichen. Ist das fleischliche Israel mit dem aus ihm heraus gewachsenen unheimlichen Menschheitsführer gefallen, dann kann das rechte Israel, unter der Leitung seines Königs Jesus Christus, seine Segenswirkung an der Menschheit entfalten.

Lies weiter:
2. Rom als 6. Reich