Unsere gefallene Leiblichkeit

Aus Bibelwissen
Wechseln zu: Navigation, Suche

Abschrift des Heftes: Der Mensch unter dem Fluch
Julius Beck (1887-1962)

Aus der Reihe: Vätererbe Bd. III (1962)
Verlag Ernst Franz Metzingen, Württ.

Siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

Der Mensch unter dem Fluch

3. Unsere gefallene Leiblichkeit

Alle Wesen besitzen eine Körperlichkeit, einen Leib, der das Werkzeug der Seele und des Geistes ist. Dieser Leib ist eine Schöpfung des Geistes; der Geist baut sich jeweils sein Haus. So war die Leiblichkeit des noch nicht gefallenen Menschen ein Lichtsleib, der Strahlen aussandte; nicht aber einen Schatten warf wie der jetzige undurchsichtige Fleischesleib. In dem ersten Menschen mit seiner Anlage zur Ebenbildlichkeit war das Feuerleben der Seele die Grundlage, das Lichtesleben des Geistes das beherrschende Zentrum und der Leib ein paradiesischer Lichtsleib.

Erst durch den Sündenfall wurde – mit dem übrigen Wesen des Menschen – auch sein Leib degradiert. Aus dem strahlenden Lichtsleib wurde ein finsterer Erdenleib, welcher weithin den Tieren glich. Diese Übereinstimmung unseres Leibes mit dem Leib mancher Tiere verleitete die Wissenschaft, den Menschen aus dem Tierreich abstammen zu lassen. Aber dieser Tierleib war eine Strafmaßnahme des Schöpfers, gegen dessen Willen der Mensch sich vergangen hatte. Überall im menschlichen Wesen brach der Tod aus: der Geist, das höchste Prinzip im Menschen, verlor das Licht des Lebens; die Seele herrschte mit ihrem Feuerleben über den Geist, was absolute Unordnung bedeutet; daraus aber kommt der Tod. Der Leib wurde irdisch und tierisch; hatte sich doch Adam in das Tierische vergafft, wodurch ihm ein Tierleib und auch tierische Begierden mit Hilfe des Weltgeistes anerschaffen wurden. Während der Geist Gottes einen Lichtsleib schafft, schafft der Weltgeist einen Tierleib. Doch gibt es auch noch eine finstere Leiblichkeit ähnlich den schrecklichen Höllengestalten in der Offenbarung. Eine solche Leiblichkeit wird den zum andern Tod verurteilten Menschen einst zuteilwerden; in solch finsterem Leib müssen sie ihre Gerichte ausstehen.

Der jetzige Leib des Menschen ist tierisch und sterblich. Er besteht aus den Elementen dieser Welt; in seiner irdisch gerichteten Seele brennt Feuer, das Leben der Seele; in allen Teilen, besonders aber in den Lungen, befindet sich Luft, die wir atmen; Wasser ist ebenso in allen Organen, besonders aber im Blut und in den Muskeln enthalten; aus Erde bestehen hauptsächlich die Knochen und auch andere Organe. Dieser Elementenkörper ist dem Sternen- und Elementengeist unterworfen, den der Mensch eigentlich beherrschen sollte. Daraus kommen nicht nur viele Unpässlichkeiten auf körperlichem und seelischem Gebiet, sondern auch allerlei Krankheiten; und schließlich der Tod. „Ich armes Elementenkind hier weder Ruh` noch Frieden find`!“ Mit dem Leib trägt der Mensch das Todeswesen geradezu an sich. Schon bei seiner Entstehung ist der Todeskeim im werdenden Körper enthalten. Wir sind in Sünden gezeugt und empfangen; Sünde aber bedeutet Tod. Unser irdischer Leib ist verkörperter Tod. Wer seinen Leib überschätzt, betet den Tod an. Der Todeswurm nagt also von allem Anfang an im Menschen; schließlich ist die Zeit der irdischen Existenz abgelaufen, der Weltgeist vermag den menschlichen Leib nicht mehr am Leben zu erhalten. So sinkt er in seine Mutter, in die Erde und ihre Elemente zurück. Der Weltgeist nimmt seine Gabe an den Menschen wieder zurück; er hungert wieder nach dem Seinen.

Obwohl unsere tierische Leiblichkeit ein Zeichen des göttlichen Missfallens und also ein Strafleib ist, an welchem wir unsere Schande herumtragen, so ist er doch auch ein Organ, mit welchem und an welchem wir leiden können, wodurch Herrlichkeit ausgeboren wird. Wer am Fleisch leidet, hört auf zu sündigen. Und wer sein tierisches Wesen opfert, bekommt dafür Geisteswesen.

Der neue Leib der Auferstehung, „das Haus, nicht mit Händen gemacht“, wird bei allen Kindern Gottes schon während ihres Lebens gebildet.

Die gefallene Seele und der irdische Leib

Der Leib ist für die Seele nicht bloß Wohnung, sondern auch Werkzeug; er ist Organ zum Genießen und zum Leiden. Durch den ganzen Leib hindurch wohnt die Seele. Die Seele steht in der Mitte zwischen dem Leib, der von unten ist, und dem Geist, der von oben ist. Ist der Mensch in der Hauptsache leiblich orientiert, dann wird auch seine Seele ins Irdische gezogen. Pflegt der Mensch ein geistliches Leben, dann veredelt er dadurch auch seine Seele. Sie wird immer mehr mit Ewigkeit angefüllt. So besitzt die Seele eigentlich zwei Gesichter: eines ins Diesseits und eins ins Jenseits.

Wie der Leib räumlich eine Begrenzung der Seele ist, so ist die Seele durch den Leib auch gehemmt, ihre Allbegierlichkeit auszuleben. Der Leib, den an einem Überfluss – etwa an Essen oder Trinken – ein Ekel fasst, versagt sich der Seele, die immer noch mehr will, nachdem sie schon viel genossen hat. Ebenso begrenzen die allgemeinen Ordnungen des menschlichen Zusammenseins die Seele, sich hemmungslos auszuleben.

Doch bleibt der Seele immer eine gewisse Möglichkeit, durch den Körper sich allerlei irdische Genüsse zu verschaffen. Gehen aber die Bedürfnisse des Leibes nicht über diese Erde hinaus, so verlangt die Seele im Grund unendlich mehr, nämlich Gott selbst. Sie kann also nie völlig satt werden an den Gütern der Erde. Doch findet sie immer wieder einen irdischen Genuss, auch durch den Einfluss der Sonne, die – als offener Punkt der Lichtwelt – den irdischen Gütern und Gaben eine gewisse Portion Licht mitteilt. Doch braucht die Seele mehr, namentlich wenn ihre höheren Bedürfnisse geweckt sind.

Eine große Veränderung geht mit der Seele und ihren Funktionen vor sich, wenn sie sich im Tod vom Körper trennen muss. Dann vermag der Körper die Verbindung mit der Seele nicht mehr aufrecht zu erhalten; er geht in seinen Ursprung zurück und wird wieder zu Erde. Die Seele aber, die durch den Tod nicht verändert wird, muss nicht nur den Leib hinter sich lassen, sondern auch die Erde, aus der sie sich bisher weithin genährt hat. Im Todeszustand besitzt die Seele wohl noch alle ihre Bedürfnisse und Begierlichkeiten; aber nirgends ist eine Möglichkeit, diese zu befriedigen. So steigern sich die feurigen Begierden der Seele und werden zur lodernden Flamme, in welcher der reiche Mann klagte: „Ich leide Pein in dieser Flamme.“ Eine solche Seele ist nicht mehr existenzfähig; ihr Leben ist eigentlich ein Sterben, ein Tod; es ist der andere Tod.

Die gottbezogene Seele

In einem völlig anderen Zustand nach dem Tode findet sich eine Seele vor, die im Fleisch schon gesucht hat, ihre höheren Bedürfnisse durch das Wort Gottes zu stillen. In diesem Wort bietet sich ihr Gott zum Genuss dar, vollends in der Gestalt des Fleisches und Blutes Jesu, von dem es heißt: „Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben.“ Die Seele, die schon vor dem Tode in solcher Funktion der Anziehung göttlichen Wesens gestanden ist, kann diese Funktion alsbald fortsetzen; d. h. sie kann weiterleben und muss in der Ewigkeit nicht darben. Denn die himmlische Welt, aus welcher sie schon bisher Kräfte angezogen hat, steht ihr unmittelbar zur Verfügung. Ihr Leben ist Seligkeit und Genuss. Dagegen ist das Leben der nur irdisch genährten Seele, auch wenn sie die höchsten irdischen Kulturgüter genossen hätte, eine Qual. Denn ein Leben ohne Licht ist Qual und Pein; der menschlichen Seele ist das Lebenslicht unentbehrlich.

Nur nach Erde gerichtete Menschenseelen sind unnüchtern; sie kommen nie zur Besinnung über das, was ewig nährt und währt. Sie verlieren sich ins Irdische, das sie überschätzen, und bleiben von ihm gefangen. Sie gehen aber durch den Tod in den anderen Tod über, das bitterste Los, das der Mensch sich selbst bereiten kann. Denn die Seele hat das Leben nicht in sich selber; und doch sollte sie Leben haben. Sie nagt sozusagen an sich selbst und wird in ihrem irdischen Bestandwesen aufgezehrt, d. h. dieser Teil der Seele stirbt. Nur das ewige Teil bleibt bestehen – und nährt sich aus der Quelle des wahren Lebens.

Wie ganz anders könnte die menschliche Seele leben, wenn sie nicht gefallen wäre! Gleicht sie doch in ihrer ganzen Anlage der „Seele“ Gottes, in welcher ohne Unterbrechung das Leben ausgeboren wird. In derselben Funktion sollte auch das Abbild Gottes, die Menschenseele, stehen. Sie könnte in Gemeinschaft mit dem Licht des Lebens – oder mit der göttlichen Weisheit – innerlich ununterbrochen Leben und Licht ausgebären. In der gottverlassenen Seele laufen die Räder des Seelenapparates unaufhaltsam weiter; aber es ist ein Leerlauf; denn es wird nicht Leben, sondern der Tod in ihren Kräften ausgeboren. Das ist der geradezu erschütternde Zustand der gefallenen Menschenseele. Obwohl zum Leben erschaffen, ist sie dem Tod verfallen. Im Leib kann sich diese gefallene Seele wohl einen gewissen Ersatz aus der sichtbaren Welt beschaffen und so auch ein gewisses Leben gewinnen; ohne Leib fehlt dieser Ersatz. Es fehlt ihr jeder Tropfen Wasser und jedes Körnlein Brot; sie muss hungern, wodurch sich ihr Verlangen bis zur feurigen Begierde steigert. Das ist Hölle, welche sich die Seele selbst geschaffen hat. Sie vermag nicht vom göttlichen Licht zu leben; die Ersatznahrung aus der Erde ist ihr entzogen. So kann sie nur noch von Erinnerungsbildern ihres vorigen Daseins „leben“; aber die Erinnerung an die vormaligen Genüsse des Diesseits bereiten nur neue und größere Qual. Es sind wahre Tantalusqualen. Es kann einer Seele, die sich noch im Leibe befindet, aber auch jeder anderen, die bereits außer dem Leibe ist, nur geraten werden: „Suche Jesum und sein Licht, alles andere hilft dir nicht!“

Durch die Sünde wurde die Seele zur Todesquelle

Die ebenbildliche Seele ist ein Abbild des himmlischen Urbildes; in ihr herrscht der Geist Gottes und damit das Licht über die Finsternis. Die Finsternis ist die Unterlage, der Träger des Lichtes.

Durch die Sünde geschah eine Umkehrung im Verhältnis der Prinzipien: das Licht wurde entmächtigt und die Finsternis kam zum Herrschen. Dies war eine Unterordnung des Lichtes unter die Finsternis und bedeutete eine Revolution im menschlichen Wesen. Daher die völlige Verkehrung: Aus der Lebensquelle wurde eine Todesquelle.

Diese finstere Todesquelle in uns heißt auch das Sündengesetz. Es ist die Erbsünde, ja die Hölle in uns. Durch sie wird der Zustand des natürlichen Menschen ein total verkehrter und unseliger Zustand. Bedenklich und gefährlich ist es, wenn der Mensch diesen Verderbensstand als normal ansieht und sich entschuldigt: „So bin ich eben!“ Vielleicht gar in dem Sinn: so ist es ganz natürlich! Vom Wort Gottes aus gesehen ist dieser Zustand durchaus unnatürlich, d. h. gegen die wahre Natur des Menschen.

Das Sündengesetz in uns offenbart seinen Charakter darin, dass es alles verschlingen, alles für sich haben möchte, womöglich die ganze Welt. Und doch könnte das ganze All die unsterbliche Seele nicht befriedigen. Auch das ist verdächtig, dass dieser Höllentrieb in uns alles missbrauchen will: die Mitgeschöpfe, sogar die eigene Natur. Es herrscht das Todesgesetz in ihm.

Der Charakter dieses Gesetzes ist teils zeitlicher Natur: im Blick auf den Leib, in dem die Sünde wohnt; teils ewiger Herkunft: im Blick auf die Seele, die unsterblich ist. Jedenfalls aber ist sein Ursprung höllischer Art.

Des Teufels Werk in den Kindern des Unglaubens

Vermöge des Sündengesetzes hat der Teufel sein Werk in den Kindern des Unglaubens. Diesem Gesetz wohnen die sieben Grundkräfte Satans inne und wollen sich gebärend offenbaren. Können sie sich in einer Seele ohne Hemmung auswirken, so wird im Grund der Satan in ihr ausgeboren. Es trifft dann zu wie bei jenen Juden: „Euer Vater ist der Teufel.“ Vater sein bedeutet, dass diese finstere Macht in die Menschenseele einwirkt und das eigene Bild in ihr erzeugen möchte. Will doch Gott durch seine Vaterschaft in unserer Seele ebenfalls sein Ebenbild, den Sohn Gottes, ausgebären!

Es fragt sich, ob der Mensch diesem höllischen Wirken preisgegeben ist. Wo ein Mensch infolge vielen Sündigens gerichtlich „dahingegeben ist, zu tun, was nicht taugt“, da mag dies der Fall sein. Im normalen Zustand aber soll der Mensch der Sünde in sich widerstehen, ja geradewegs über sie herrschen, was in Kraft der von Gott geschenkten Gnade möglich ist. Wir können also dem Werden einer Höllengeburt in uns entgegenhandeln, „was geschiehet durch Gnade“.

Alle Menschen sind Sünder, weil dieses finstere Gesetz, das aus der Hölle stammt, in ihrer Natur herrscht und sich auswirkt. Wo die sündige Anlage ruht, handelt es sich lediglich um Erbsünde; wo sie sich jedoch auslebt, spricht man von Tatsünde. Sündige Tat aber bringt Schuld über den Menschen.

Es bedarf einer göttlichen Kraft, um dem Sündengesetz, das herrschend in uns lebt, entgegenzuhandeln. Es kann sein, dass die Herrschaft der Sünde in uns so groß ist, dass die Sünde gegen den Willen des Menschen handelt. „Ich tue nicht, was ich will; sondern was ich nicht will, das tue ich, d. h. muss ich tun.“ In diesem Zustand ist der Mensch ein Sklave der Sünde, die über ihn verfügt.

Der Mensch ist kein theoretischer Sünder, sondern ein wirklicher Sünder; die Sünde ist nicht nur eine Idee in ihm, sondern eine wirkliche Macht, ein Wesen. Ohne die Hoffnung auf Erlösung wäre der Zustand des Menschen unter der Sünde verzweifelt. Denn der Sündenstoff liegt wesenhaft in uns, wie das Hühnchen im Ei, und will sich ausgebären. Kommt dieser Stoff zur Ausgeburt, dann wird der Tod ausgeboren. Denn in solchem Zustand ist die Seele eine Todesquelle.

Lies weiter:
4. Vom Sündengesetz und vom göttlichen Naturgesetz