Vom Sündengesetz und vom göttlichen Naturgesetz

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Abschrift des Heftes: Der Mensch unter dem Fluch
Julius Beck (1887-1962)

Aus der Reihe: Vätererbe Bd. III (1962)
Verlag Ernst Franz Metzingen, Württ.

Siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

Der Mensch unter dem Fluch

4. Vom Sündengesetz und vom göttlichen Naturgesetz

„Gesetz“ bedeutet diejenige Ordnung, die „gesetzt“ ist, die herrscht. Im gefallenen Menschen herrscht die Sündenordnung, das Sündengesetz. Es stammt nicht von Gott, sondern vom Teufel, der dieses Gesetz zuerst in sich entwickelt hat. Von ihm überkam es der Mensch, weil er dem göttlichen Willen untreu geworden war. Es ist das Sündengesetz eine geistige Macht; als solche kann es nur wieder von einer Geistesmacht beherrscht werden.

Der Ort des Sündengesetzes ist da, wo die Seele ihren Sitz hat. Diese durchwohnt alle Kammern des menschlichen Körpers. Doch hat das Sündengesetz seinen Hauptsitz in den Zentren des menschlichen Wesens, im Gehirn und im Herzen. Im Gehirn ist auch der Sitz des göttlichen Naturgesetzes, d. h. derjenigen geistigen Ordnung, die dem gefallenen Menschen als Rest des göttlichen Ebenbildes geblieben ist. Es ist das Gewissen.

Das Gewissen im Menschen hat eine große Bedeutung; doch hat es nichts Absolutes an sich, da jeder Mensch sein eigenartig funktionierendes Gewissen besitzt. Der Mensch vor dem Fall besaß die göttliche Weisheit als eine Kraft, die ihn in der Verbindung mit dem Schöpfer erhielt. Jesus aber brauchte gar kein Gewissen; Er besaß im Vater alles, was zu einer vollkommenen Menschenexistenz notwendig war. Das Gewissen kann als Rest des früheren Ebenbildes bezeichnet werden. Zwar besitzt es nicht mehr die Herrlichkeit des Ebenbildes, bezeichnet aber doch etwas von dem göttlichen Adel des Menschen, dem der Schöpfer ein moralisches Gesetz einerschaffen hat. Es ist der göttliche Mahner in uns, und als solcher von hohem Wert. Menschen ohne richtig funktionierendes Gewissen rücken sehr nahe an das Tier heran.

Das Gewissen als göttliches Organ

Merkwürdig ist, dass sich das Gewissen – als göttliches Organ – doch auf natürliche Weise vererbt. So hätte sich ohne den Sündenfall das ganze Ebenbild auf Adams Nachkommen vererbt; die „Nachkommen Jesu“ sind alle wieder Ebenbilder. Immerhin ist ein Unterschied in der Zartheit des Gewissens je nach der sittlichen Stufe, welche die Eltern eingenommen haben. Da aber das Gewissen mehr oder weniger ein göttliches Organ ist, so kann bei seiner Fortpflanzung nicht nur der gewöhnliche Schöpfergeist mitgewirkt haben; vielmehr hat sich im Gewissen das göttliche Lebenswort mit in den Menschen eingesprochen, so dass dieser nicht „von allen guten Geistern verlassen“ ist.

Die Aufgabe des Gewissens ist, das Feuer der Seele in all ihrem Verlangen zu leiten und zu beherrschen, soweit beim gefallenen Menschen von einer Herrschaft des Gewissens gesprochen werden kann. Insofern entspricht das Gewissen dem Instinkt der Tierseele und sagt dem Menschen, was gut oder böse, was nützlich oder schädlich sei. Es ist eine Art Obrigkeit im Menschen, doch weithin auf moralischer Stufe. Es steht hoch über dem Sündengesetz als ein göttliches Organ; aber doch weit unter dem Geistesgesetz, der Lebensordnung des neuen Menschen.

Immerhin ist es das Gottgefühl in uns. In ihm können wir Gott fühlen, aber auch hören. Gott lässt uns im Gewissen kund werden, was Er uns über uns selbst zu sagen hat. Ein gutes Gewissen ist eine Art „Wohlgefallen Gottes“ in uns; das schlechte Gewissen zeugt von der richterlichen Funktion des Gewissens, das uns nach einer bösen Tat zum Sünder verurteilt. Nicht der Mensch lässt im Gewissen Gott Anteil an seinem Leben haben, sondern umgekehrt: alles, was uns Gott wissen lassen will über uns selbst, teilt Er uns durch das Organ des Gewissens mit. Dieses kann also immerhin als ein göttliches Organ bezeichnet werden, in welchem der alles durchdringende Geist, nämlich Gott, zu uns redet. Irrende Gewissen hören Gott falsch; tote Gewissen werden von Gott keines Wortes mehr gewürdigt.

Das Gewissen wird später die Wiege des neuen Menschen; es ist ein Teil der unsterblichen Menschenseele. Diese besteht aus oberen und unteren Kräften. Die oberen Kräfte stammen aus der Lichtswelt, die unteren aus einer anderen Welt. Das Gewissen gehört den oberen Kräften zu und wird auch die Ewigkeit im Menschen geheißen. Es ist das Auge, das Licht der Seele, welches durch Sündigen finster werden kann.

Vom Gewissen

Der ebenbildliche Mensch besaß das göttliche Organ der himmlischen Weisheit; der gefallene Mensch besitzt nur noch einen kümmerlichen Rest von ihr, das Gewissen, welches in geringem Maß dieselben Funktionen übt wie einst die himmlische Weisheit. Das Gewissen ist ein Rest des göttlichen Ebenbildes. So wie die himmlische Weisheit den ersten Menschen betreute, so betreut uns das Gewissen; und so wie der erste Mensch mit der himmlischen Weisheit wirken und sich offenbaren sollte, so kann es der gefallene Mensch in verjüngtem Maßstab mit dem Gewissen tun. In diesem scheint dem Menschen noch ein schwaches, himmlisches Licht.

Gewissenhafte Menschen hören auf ihr Gewissen; gewissenlose missachten seine Warnungen. Aber sie missachten damit die Stimme Gottes in sich; denn Gott selbst redet hier zum Menschen. Das Reden Gottes im Gewissen soll unser Leben ordnen, damit wir „in der Wahrheit bleiben“; der Teufel ist nicht bestanden in der Wahrheit, sondern wählte sich einen eigenen Weg. Das Gewissen heißt darum auch das Wahrheitslicht oder das Licht und Recht, welches aber vor dem Fall viel heller leuchtete. Ein „gutes“ Gewissen besitzt, wer auf Gottes Stimme in seinem Inneren hört; ein „geschlagenes“, wer ein Verdammungsurteil von ihm erfahren muss. Denn das Gewissen ist eine Art Gerichtsthron Gottes, durch welchen uns der Schöpfer sein Urteil über uns wissen lässt. Hier erfährt der Mensch auch, dass er das göttliche Sein verloren hat und in einem Zustand des Elends und des Jammers liegt. Aus dem Gewissen kommen auch die sich verklagenden oder entschuldigenden Gedanken. Es ist das Naturgesetz, eine Art Instinkt in uns, und fehlt keinem Menschen, auch dem sogenannten Heiden nicht. Dieser wird einst gerichtet nach dem Maß, wie er diesem „Gesetz Gottes in sich“ gehorcht hat; nicht etwa nach den Ordnungen des Neuen Testaments, die er nicht kennt.

Das Gewissen ist kein selbständiges Organ; es ist Werkzeug des Geistes Gottes, welcher im Gewissen und durch das Gewissen redet. Es heißt auch die Ewigkeit im Menschen; in dieser ruht und wirkt der Geist der Ewigkeit. Im Geist der Ewigkeit aber ist Gott im Menschen gegenwärtig. Alle Geschöpfe mit dem Namen „Mensch“ haben in dieser Weise Gott in sich. Es ist der ungeoffenbarte Gott, das A und O, der Ungrund der Mystiker. Dieser Ungrund will sich in einen Urgrund einführen, d. h. der Vater im Ungrund will im Sohn als dem Urgrund offenbar werden; jedoch nicht allgemein, sondern nur in den Menschen, in welchen sich Gott im Sohn offenbaren will. Doch will Gott noch allen Menschen „helfen“, d. h. wieder in ihnen im Sohn offenbar werden, dass sie seiner Herrlichkeit wieder teilhaftig werden.

Gottes Reden zu uns

Im Gewissen redet Gott zu uns; Er will aber mehr tun, als nur reden. Das „Reden Gottes“ bedeutet ein Bewegen seiner Kraft. Denn das Gewissen ist die innerste Berührungsstelle zwischen Gott und Mensch, in welcher Gott seine Kräfte in den Menschen einführen, d. h. ihn „überschatten“ kann – wie einst Maria; jedoch nur geistlich, nicht körperlich. So soll der Mensch wieder ein Gottesträger werden. Im Blick auf solches Wirken Gottes im Gewissen wird dieses auch die geistliche Gebärmutter des Menschen geheißen, in welche der Geist Gottes wesenhaft einwirken und in dem Er eine Zeugung hervorbringen kann. Das ist dann die Geburt von oben, wovon Jesus mit Nikodemus sprach. Wer sie erfahren hat, ist „wieder“geboren, d. h. aus dem Geist gezeugt, und besitzt nunmehr zwei Leben, das niedere Naturleben und das göttliche Geistesleben. Dieses wächst sich allmählich aus zum „Christus in uns“. Ohne diese „Gottanlage“ wäre keine Möglichkeit vorhanden, dass der Mensch wieder in das Ebenbild Gottes zurückkehren könnte.

Es ist also zu wenig, wenn man das Gewissen nur als Sinnes- oder Gefühlsorgan bezeichnet; es ist nicht nur ein Sinnesorgan, sondern geradezu ein Zeugungsorgan im Menschen, das lediglich der Einwirkung Gottes vorbehalten ist. Bedeutsam ist, dass sich dieses Organ bei der natürlichen Fortpflanzung forterbt, was auf eine besondere Mitwirkung des Geistes Gottes bei Zeugung und Geburt eines jeden Menschen schließen lässt.

Hier im Gewissen „erkennt“ der Herr die Seinen, der Hirte seine Schafe; nicht aber die „Herr-Herr-Sager“. Ohne dieses Erkanntwerden bleibt der Mensch allein, so dass er keine Mitwirkung Gottes erfährt. Wo aber Gott sich zum Menschen herablässt, da empfängt er ewiges, d. h. göttliches Leben. Denn die „Erkenntnis Gottes ist ewiges Leben“, nicht nur natürliches. Das „Zeugnis Gottes“ im Menschen ist also sowohl ein Wort-, als ein Tatzeugnis. Gezeugt, d. h. geredet wird von der Wahrheit, von Recht und Unrecht im Menschen; gezeugt wird aber auch – im wörtlichen Sinn – ein neuer Mensch nach dem Bilde Gottes. Wie arm wäre der Mensch ohne sein Gewissen!

Beim gottlosen Menschen wirkt sich das Gewissen anders aus als beim gläubigen Menschen. Bei diesem leuchtet das Licht Gottes lieblich wie eine Sonne, so dass der gehorsame Mensch das Wohlgefallen Gottes erfahren darf. Beim gottlosen Menschen, der sein eigener Herr sein, jedenfalls aber sich nicht von einer anderen Instanz beurteilen lassen will, zeigt das Gewissen eine drohende Gestalt. Wie ein Blitz in der Nacht leuchtet plötzlich, ohne dass der Mensch es verhindern kann, das Gewissenslicht in der Seele auf und erhellt den höllischen Zustand im Herzen. Darüber erschrickt er, sucht aber, dem Licht auszuweichen. „Wer ist der Herr, des Stimme ich hören soll?“ – das ist die Stimmung im Herzen des Gottlosen. Gott redet zu ihm im Zorn und im Feuereifer, d. h. im Gericht, und lässt den Menschen seinen verlorenen Zustand innewerden. Dies ist Vorschmack der Hölle oder des anderen Todes.

Wer die Gottesstimme in sich ablehnt, ist weithin zum Tier herabgesunken und hat den göttlichen Funken – durch eine Wiederholung des Sündenfalles – nahezu in sich ausgelöscht. Das Licht verlässt ihn. Da auch keine göttlichen Zeugungen geschehen, gilt bei Gott ein solcher Mensch als geistlich „tot“.

Gewissen und Bild Gottes im Menschen

Nach dem vorigen Abschnitt kann Gott den Menschen im Gewissen berühren und beeinflussen. Wie weit geht aber dieser Einfluss Gottes? Es soll in einem Menschen, der von Gott ergriffen wird, nicht nur eine fromme Stimmung erzeugt werden; damit ist dem Menschen nicht geholfen. Gott hat trotz des Sündenfalls dem Menschen im Gewissen eine Möglichkeit gelassen, wieder in das Bild Gottes zurückzukehren.

Zwar ist der Mensch durch die Sünde von Grund auf verderbt. Leib, Seele und Geist sind von dem Sündengift infiziert, so dass der Mensch in vollem Umfang ein „Sünder“ geworden ist. Aber eben darin besteht die große Gnade der Erlösung, dass Gott solche Sünder, nicht etwa vollkommene Wesen, in sein Bild zurückführen will. Dadurch wird die Größe seiner Gnade und Liebe gegen uns offenbar.

Grundmäßig muss und soll uns wieder geholfen werden. Denn die Sünde hat Gestalt und Wesen in uns gewonnen; sie ist eine Macht geworden, die der Mensch aus eigener Kraft nie überwinden kann. Doch hat Gott in Christus den Entschluss gefasst, gegen die finsteren Höllenkräfte in uns die allmächtigen Kräfte des Blutes Christi wirken zu lassen. Hier steht Kraft gegen Kraft; aber göttliche Kraft gegen finstere Kraft. Durch die Kraft des in den Geist erhöhten Blutes Christi soll alles noch viel herrlicher werden, als wenn der Mensch nicht gefallen wäre. Das ist der Triumph Gottes gegenüber der Macht der Finsternis.

Es konnte – und durfte – der Fall die Grundanlage des Menschen nicht zerstören. Wie in Gott, so sind auch in der Menschenseele die aktiven und passiven Grundkräfte, die mit A und O bezeichnet werden, vorhanden. Und diese Grundkräfte werden durch eine dritte Kraft, die Lust oder das U, gelenkt und zur Offenbarung gebracht. Anstelle dieser Lust stand im Menschen vor dem Fall die göttliche Weisheit. In diese Lust des Menschen kann Gott sein Licht einstrahlen lassen – unbeschadet der im Menschen vorhandenen Sünde – und kann einen Reiz des Lichtes und der Herrlichkeit im Herzen erwecken. Er kann uns durch das Gewissen locken und strafen und lenken, wenn wir nicht widerstreben. Dieser von Gott gemachte Anfang soll schließlich zur völligen Wiederherstellung des Menschen führen.

Zwar hat zunächst der Weltgeist den Menschen in Beschlag genommen und die aus dem Irdischen stammende Naturanlage zur Entwicklung gebracht; er vermag aber im Menschen nur tierische Bildungen zuwege zu bringen. Noch schlimmer wirkt sich die Beeinflussung des Menschen durch die Finsternis aus. Reizt der finstere Geist den Menschen, und hat die Lust in ihm „empfangen“, dann fängt in unserem Seelenrad das Gebären an, dessen Endstadium Tod ist.

In den menschlichen Seelenkräften aber soll Leben, ja Christus selbst als das Leben, ausgeboren werden.

Und eben das ist möglich, weil alle Sünde den Menschen nicht so sehr ruinieren durfte, dass die in ihm vorhandene Lichtsanlage, deren Rest das Gewissen ist, überwältigt werden könnte. Lockt nun das Licht aus Gott diese Gottanlage im Menschen, so wacht in ihm das erstorbene Ebenbild wieder auf. Hat die Lichtslust im Menschen „empfangen“, d. h. hat der Geist Gottes den Menschen „erkannt“, so fängt alsbald ein Gebären im Geburtsrad der menschlichen Seele an, und nun wird göttliches Lichtsleben ausgeboren, ewiges Leben, das in seinem Endstadium „Christus in uns“ ist. Diese Möglichkeit liegt im Gewissen des Menschen vor; sie pflanzt sich sogar natürlicherweise fort.

So liegt in jedem menschlichen Wesen diese Möglichkeit einer Rückkehr in das Bild Gottes. Denn bei der Zeugung und Geburt, die doch eine Schöpfung darstellen, bei welchen die Eltern als unterschöpferische Werkzeuge sich betätigen, hat sich der ewige Geist mit eingeschaffen. Diese Anlage kann, wenn die Zeit des betreffenden Menschen „erfüllt“ ist, von Gott erweckt und zu seinem Bild verklärt werden. Insofern sind alle Menschen „göttlichen Geschlechts“. Darin aber besteht ihre göttliche Würde. Es vermag jedoch nur Gott diesen göttlichen Keim zur Entfaltung zu bringen.

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5. Vom Willen des Menschen