Vom Willen des Menschen

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Abschrift des Heftes: Der Mensch unter dem Fluch
Julius Beck (1887-1962)

Aus der Reihe: Vätererbe Bd. III (1962)
Verlag Ernst Franz Metzingen, Württ.

Siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

Der Mensch unter dem Fluch

5. Vom Willen des Menschen

Immer handelt es sich beim Willen um die Frage, ob wir einen freien oder einen gebundenen Willen haben. Jesus handelte jeweils aus freien Stücken, weil er von der Finsternis nicht beeinflusst war; der gefallene Mensch hat diese Stufe der Willensfreiheit verloren, besitzt aber doch noch einen relativ freien Willen.

Die menschliche Seele hat zwei Mittelpunkte oder zwei Pole: das Sündengesetz und das Gottesgesetz; das Gesetz in den Gliedern und das Gesetz im Gemüte. Bei der Frage, welches Gesetz regieren oder im Einzelfall herrschen soll, entscheidet der Wille. Er ist der Herrscher, der aber seine Herrschermacht weithin eingebüßt hat.

Entsteht in einem versuchlichen Einzelfall eine Lust in unserem Herzen, dann kann sich der Mensch dieser Lust mit dem Willen hingeben. Alsbald aber wird durch solche Hingabe des Willens der versuchenden Macht Recht und Möglichkeit eingeräumt, in diese offene Lust einzuwirken und sie zu besamen. Geschieht dies aus dem finsteren Reich, so entsteht daraus eine Finsternisfrucht. Ist aber bei dem Reiz eine Lichtslust im Menschen erwacht, in welche ein göttlicher Herrlichkeitssame einfließt, so entsteht daraus eine Lichtesfrucht. Jedes Mal handelt es sich um einen Zusammenfluss zwischen menschlicher und entweder finsterer oder himmlischer Kraft (=Tinktur).

Dem Willen wird die Entscheidung für die eine oder andere Versuchung leichter, wenn er eine Vorneigung entweder zum Licht oder aber zur Finsternis hat. Beides liegt im Erbgut und ist entweder Vorzug oder Last. Um diese Vorneigung aber ist der Wille geschwächt.

Doch besteht kein absoluter Zwang für den Willen bei der Entscheidung; immer bleibt ihm eine gewisse Wahl, so oder anders sich zu entscheiden. Insofern kann von einem „freien“ Willen gesprochen werden. „Im Willen liegt freilich die Macht, denn Gott hat sie in ihn gebracht.“

Dieser „freie“ Wille steht aber nicht in absoluter Einsamkeit in unserer Seele; um ihn kümmern sich das Licht und die Finsternis in ihren vielen Gestalten. „Alles ficht um mich, Seele, und um dich!“ Gott wirbt sozusagen um den menschlichen Willen durch seine Weisheit, die den Willen lockt, wie die Henne ihre Küchlein lockt. Die Gnade Gottes zieht und züchtigt den Menschen, während das Wort Gottes vernehmlich redet in ihm. So nahe kommt Gott dem Menschen! Dasselbe tut auch der Weltgeist – oder die Torheit – auf allen Gassen; der Mensch hört dabei das finstere Sprechen der Schlange. Jeweils ist solches Locken und Reizen verbunden mit einer mehr oder weniger starken Beeinflussung durch Gitti der den Weltgeist lockt. Darum sind diese Stimmen sehr ernst zu nehmen. Indem der Mensch darauf antwortet, entscheidet sein Wille über Leben oder Tod, über Himmel oder Hölle.

Ist einer Seele eine Vorneigung zur Finsternis angeboren, so äußert sich diese Anlage als ein Mangel an Gottgefühl und innerem Licht; eine solche Seele ist bald verführt und verzaubert. Bei einer stärkeren Anlage für das Licht ist in einer Seele viel Nachdenken über göttliche Dinge vorhanden; ebenso ein Hören auf das Gewissen und auf das Reden Gottes im Seelengrund. Hat sich die Seele willensmäßig für das Böse entschieden und wiederholt sich diese Entscheidung öfters, dann reagiert das Gewissen in ihr immer weniger; schließlich verliert sie das Gewissenslicht fast ganz. Sucht die Seele das Licht und folgt der Wille der Stimme des Gewissens, so ahndet das Gewissen eingetretene Verfehlungen immer genauer. Diese Ahndungen des Gewissens bei einer falschen Wahl werden in empfindsamen Seelen immer stärker; es entstehen Gewissensbisse, ja Gewissensqualen, weil eben die geschwächte Kraft des Willens immer auch wieder einmal versagt, so dass Sünde getan wird. In solchen Fällen kann das Gewissen den Menschen wie in eine Hölle versetzen. Ein so stark reagierendes Gewissen ist ein gutes oder enges Gewissen und ist ein großer Schatz für den, der es besitzt. Reizt die Lust zur Wahl und entscheidet der Wille zur Tat, so ist das Gewissen der Richter über das, was getan wurde.

Der Mensch – los von Gott?

Wie weit kann sich der Mensch losreißen von der Quelle des Lebens? Schöpfungsmäßig muss jedes Wesen mit dem Schöpfer verbunden bleiben, um überhaupt existieren zu können. Das Wort, das uns erschaffen hat, muss uns auch erhalten, nämlich unseren Odem und alle Funktionen unseres natürlichen Lebens. So leben alle Tiere und Pflanzen aus Gott. Der Mensch aber hat noch eine höhere Verbindung und Gemeinschaft mit Gott, weil der Schöpfer ihm den Geist gegeben hat. Er kann auch eine Geistesgemeinschaft mit Gott pflegen. Und diese kann sich bei Wiedergeborenen steigern bis zur bewussten Lichts- und Lebensgemeinschaft – nach dem Gleichnis vom Weinstock und den Reben. Diese intime Gemeinschaft mit Gott, der in seinen Geschöpfen wohnen will, ist besonders für den Menschen vorgesehen.

Schon auf dem Naturboden besteht zwischen Gott und dem Menschen eine engere Verbindung; denn der Mensch ist von Gott besonders ansprechbar im Gewissen. Hier redet Gott mit ihm. Folgt der Mensch der Gewissensstimme, dann steigert und vertieft sich diese Gemeinschaft. Missachtet er Gottes Sprechen im Seelengrund, dann verkümmert dieses göttliche Organ des Umgangs mit Gott. Hier kann eine Loslösung von Gott eintreten, wenn schon der Mensch sich vom natürlichen Lebensgrund nicht losreißen kann; vom geistigen Lebensgrund kann er sich entfernen, überhaupt aus der inneren Gotteswelt. Er verlässt dann Gott, der Licht, Liebe und Leben, d. h. das eigentliche Geisteselement für ihn ist. Verlässt aber der Mensch dieses Zentrum, dann verliert er die Verbindung mit der Lebensquelle, aus welcher Seele und Geist ihre Nahrung ziehen. Gott ist ein doppelter Wurzelgrund für das menschliche Dasein.

Vom Weltgeist gelockt

Die aus Zeit und Ewigkeit bestehende Menschenseele kann vom Weltgeist gelockt und versucht werden – und sich allenfalls zu ihm hinwenden. Dann verliert sie das göttliche Licht und geht in die Finsternis des Weltwesens ein. So lebt die Mehrzahl aller Menschen; darum heißen sie „gottlos“, ohne dass sie bösartig wären. Kommt dies aber hinzu, dann wird aus gottlos – satanisch! Hier überschreitet der Mensch zwei geschöpfliche Grenzen: die Grenzlinie nach oben, zu Gott hin; und die Grenzlinie nach unten, wo er sich dem Tier bzw. dem Satan nähert. Solche Grenzüberschreitungen sind äußerst gefährlich; aus einem nach innen gekehrten Menschenwesen wird dadurch ein rohes, ausgekehrtes, mehr zum Tierischen als zum Göttlichen sich neigendes Wesen. Damit verliert der Mensch auch seine inneren Geistesorgane. Das Ohr im Gewissen, welchen die Stimme seines Schöpfers nicht mehr hören will, wird taub; das Auge, das in allem Gott schauen könnte, wird blind; das Gefühl für Gott stumpft sich ab und will den Geist Gottes und die Stimme der Zucht und der Weisheit nicht mehr hören. Ein solcher Mensch atmet nicht mehr in Gott, sondern im Weltgeistwesen – und vertiert. Aus einem geistigen Wesen ist ein fleischliches, niedersinnliches Wesen geworden. Allmählich stirbt das Gefühl für Gott ganz ab; der Mensch wird „von allen guten Geistern“ verlassen. Er hat damit den Sündenfall wiederholt und vertieft; das Böse in ihm hat zugenommen und hat sich die Herrschaft angeeignet. Zwar haben alle Menschen diese sündliche Anlage, die sich von Gott wegentwickeln kann, von Geburt aus in sich; es ist die „angeborene Verderbnis menschlicher Natur und die reizende Lust zum Bösen“. Wir nennen diese Anlage die Erbsünde, das Erbübel. Der Mensch ist also ein geborener Sünder; doch kann daraus ein gewohnheitsmäßiger Sünder werden, der die sündige Anlage nicht nur in sich trägt, sondern sie auch in sich entwickelt. Jenes ist das physische, dieses das moralische Übel, in dem sich der Mensch vorfindet. Alle Menschen sind solcherweise Sünder; nur der „Mensch“ Jesus machte hier eine absolute Ausnahme. Statt ein Sünder zu sein, war er innerlich ein Gott. Wir aber sollen ebenfalls göttlich, d. h. von der Sünde wieder loswerden. Es muss zugegeben werden, dass es Menschen mit einer kleineren und solche mit einer größeren Portion des Sündenstaubes gibt. Ebenso ist das Verhältnis dem Licht, dem Guten, gegenüber. Es gibt sogenannte Edelmenschen, aber auch weniger edle Menschen; man denke an Kain und Abel, an Esau und Jakob! Bei aller Gleichheit der Anlage bestehen also gewisse Unterschiede in der „Begabung“ des Menschen mit Licht oder mit Finsternis.

Da der Mensch für seine Anlage nicht verantwortlich gemacht werden kann, fragt es sich, wie Gott als der Schöpfer solche Unterschiede wertet. Wir selbst weiten sie groß aus – wie jener Überfromme, der betete: „Ich danke Dir, Gott, dass ich nicht bin wie andere Menschen.“ Bei Gott dürften kleinere oder größere Unterschiede in der Anlage und auch in der Entwicklung des Bösen nicht besonders hoch gewertet werden; denn: „Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden!“ Bekannt ist, dass Gott häufig große Tatsünder in seine Nachfolge ruft; auch Paulus war ein solch großer Sünder, und nach ihm viele andere.

Für alle Arten von Sündern aber besteht die große Möglichkeit, wieder in die Sündlosigkeit – und damit in das Bild Gottes – zurückzukehren. Je nach der Anlage mag sich der Weg zurück zu Gott für den Einzelnen etwas verschieben; aber für alle ist ein solcher Weg vorhanden. Diese Tatsache mag manchen Sünder mit seiner Anlage aussöhnen. „Gott will, dass allen Menschen – vom Tod zum Leben, von der Finsternis zum Licht – geholfen werde.“ Hat Er doch seinen Sohn geradezu als „Helfer, Heiland und Seligmacher“ zu den Sündern auf die Erde gesandt! Im Grund bedarf es aber bei allen Menschen desselben Aktes der Neuschöpfung, wenn aus einem natürlichen, „gottlosen“ Menschen wieder ein Bild Gottes werden soll. Dann verschwinden die kleinen Unterschiede von gut oder böse sowohl in der Anlage als in der Ausübung und Entwicklung der bösen – oder besseren – Anlage; denn Gott ist ein Herzenskündiger, der den Menschen nicht nach äußerlichen Taten und Werken, sondern nach dem Stand und Wert seines Inneren schätzt.

Erbsünde und wirkliche Sünde

Wir unterscheiden die uns angeborene Sünde, das sogenannte physische Übel, von dem moralischen Übel, der Tatsünde. Diese Sünden sind bei verschiedenen Menschen verschieden; der Eine hat eine größere Portion Erbsünde als der Andere; er ist darum noch nicht schlimmer als der minder Belastete. Ebenso unterscheiden sich die Menschen nach dem kleineren oder größeren Maß begangener Sünden. Man heißt diejenigen „gut“, welche wenige Tatsünden begangen haben; „böse“ ist, wer deren viele auf sich geladen hat. Es muss aber bedacht werden, dass Gott an die Menschen nicht die gleichen Maßstäbe anlegt wie wir; „Sünder und Hurer mögen eher ins Himmelreich kommen als selbstfromme Pharisäer“. Die Sünde auf der tierischen Stufe ist weniger schlimm als die Sünde auf geistiger Ebene.

Wie geschieht es, dass aus Erbsünde wirkliche Sünde wird? Es muss der Mensch willensmäßig ja sagen zum Bösen; und sodann auch tun, was er bejaht hat. Genauso ist es beim Gutestun: „Wer diese meine Rede hört und tut sie, der wird innewerden...“ Wer das Schlangensprechen hört und es tut, hat „Sünde“ getan.

Für diese begangene Sünde ist der Mensch verantwortlich; nicht dagegen für die angeborene Sünde. Auch ist die Versuchung zur Sünde noch nicht Sünde. Hat der Mensch durch Bösestun Schuld auf sich geladen, dann kann diese Schuld bereinigt werden – entweder durch Vergebung, oder aber durch Gericht und Strafe. Dem Schalksknecht, unserem Ebenbild, wurde zunächst die ganze Schuld erlassen; später wurde sie ihm wieder aufgerechnet.

Die Sünde als Macht

Die Sünde kann in einem Menschen einen solch hohen Grad von Macht ausüben, dass sie über ihn herrscht. Da tut der Mensch nicht mehr, was er will, sondern was er nicht will. Er ist versklavt von der Sünde; sie tyrannisiert ihn. So ist der „normale“ Zustand des natürlichen Menschen. Dieser lässt seinen Lüsten und Begierden mehr oder weniger freien Lauf. Das Triebleben ist die tierische Stufe menschlicher Existenz. Vom Tier aus kann der Mensch den Weg hin zu Gott – oder hin zum Teufel machen. Im Tierswesen findet er sich von Natur vor. Tatsünde entsteht aus der Erbsünde nach einem geistigen Gesetz, das man „Geburt“ nennt. Es handelt sich also nicht nur um einen physikalischen, sondern um einen organischen – seelischen – Vorgang. Alle Offenbarungen der Seele können „Geburten“ genannt werden. Unsere Seele ist also eine Gebärerin; dazu besitzt sie die Anlage, ähnlich der „Anlage“ Gottes, der aus sich heraus immer den Sohn, das Licht, gebiert.

Diese Anlage des Menschen besteht aus Aktions- und Reaktionskräften; man bezeichnet sie auch als männliche und weibliche Kräfte. Diese Grundkräfte der Seele werden zum Wirken, d. h. zu einem Geburtsprozess veranlasst durch eine weitere Kraft, die Lust. Diese Lust ist an sich neutral, d. h. weder gut noch böse. Aber sie kann gut oder böse werden. Lässt sie sich vom Lichte Gottes reizen, dann überkommt die empfängliche Lust eine Sam- oder Tinkturkraft aus Gott, dem Licht. Ist die Lust „geschwängert“, dann treibt sie die beiden Grundkräfte zur Geburt. Es kann aber nur das ausgeboren werden, was samenartig in der Seele liegt: das Licht, die Finsternis oder das natürliche Weltgeistwesen. Lässt sich die Lust von der göttlichen Weisheit reizen und füllen, dann wird der angeborene Lichtsgrund in uns zur Entwicklung, d. h. zur Geburt gebracht. Umgekehrt verläuft der Prozess, wenn uns die höllische Weisheit (=Torheit) reizt; denn jetzt kommt die Finsternisanlage zum Wachsen. In diesem Fall kommt das Böse zur Geburt; der Mensch sündigt. Hat er aber seine Lust an dem Herrn, dann wird nicht der Tod, sondern das Leben in ihm geboren. „Welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben“, d. h. Todeswesen ausgebären. So hoch ist die menschliche Seele organisiert, dass sich derartig grundlegende und weitreichende Prozesse in ihr abspielen können.

Da die Lust eine so große Rolle spielt, muss der Mensch sehr scharf über sie wachen. „Lass dich nicht gelüsten!“ Merkt er, dass falsche Lust in ihm Platz greifen will, dann ziehe er sie zurück und fasse einen anderen Willen, der zur bösen Lust nicht ja, sondern nein sagt.

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6. "Wenn die Lust empfangen hat ...!"