Abschluss des 6. Reichs

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Abschrift des Buches: Rom - Babel - Jerusalem
Der Weg der Menschheit im Licht der Schrift bis zur Vollendung des Gottesreiches

Verfasser: G. Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach) (1928)
Verlag: Gebrüder Schneider, Karlsruhe i. B.

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor:
3. Die Zeitdauer Roms als 6. Reich

4. Abschluss des 6. Reichs

Über die kirchliche Entwicklung bereits des Altertums und noch mehr des Mittelalters wurde seither manches ernste Wort gesagt. Bedenkt man den Ernst, mit dem Paulus in der Frühlingszeit der Kirche den Zustand seiner Gemeinden beurteilte, und den noch größeren Ernst des Urteils des erhöhten Herrn, über die in der Offenbarung genannten Gemeinden (Offb 2 und 3), dann kann das Recht zum Vergleich der Erscheinungsform der Kirche mit ihrer Normalgestalt nicht bestritten werden. Nur dass dann der Schaden nicht nur bei einer einzigen Kirche gesehen werden darf. Vielmehr muss die Bereitschaft vorhanden sein, alles kirchliche Leben am Maßstab der Schrift zu messen. Zwar hat nicht nur die alte Kirchengeschichte, sondern auch die des Mittelalters edle Gestalten aufzuweisen, die längst nicht alle mit Namen aufgeführt werden können. Aus der alten Reichskirche wurde seinerzeit Augustin genannt. Ein edler Vertreter der griechischen Kirche war Chrysostomus. Von den vielen edlen Gestalten der mittelalterlichen Kirche des Abendlands sei auf Franziskus hingewiesen. Auch die Kirche als Ganzes bietet im Mittelalter viel Anziehendes. Die Geschlossenheit des christlichen Lebens der damaligen Zeit hat, angesichts der inneren und äußeren Zerrissenheit der Gegenwart, etwas Anheimelndes. Menschlich betrachtet war das, was die römische Kirche im Mittelalter fertigbrachte, eine gewaltige Leistung: sie hat altrömisches und germanisches Wesen zusammen verschmolzen; sie hat die bereits in Nationen auseinander strebenden Teile zu einer merkwürdigen Einheit zusammengebunden; sie hat Zucht und Ordnung gehalten. Sie war Gefäß für das Evangelium. Trotzdem kann, auf das Ganze gesehen, auf das Urteil nicht verzichtet werden, dass die Reichsgottesart der Christenheit in der römischen Kirche des Mittelalters, noch mehr abgenommen hat als in der Zeit der römischen und griechischen Reichskirche. Bereits wuchs die Kirche auch in dem Stück in die Rolle des alten Reichs hinein, dass sie zur Verfolgung von solchen überging, die zwar ihre Art nicht hatten, aber Leben aus Gott besaßen.

Die Reformation und die Kirchen

Das Feld wäre reif zur Ernte gewesen. Welches Sehnen und Suchen ging durch das 14. und 15. Jahrhundert, zumal in deutschen Landen, als mit dem Niedergang des Papsttums das kindliche Vertrauen zur bisherigen Führung einen Stoß erhalten hatte! Die Papstkirche konnte dieses Sehnen nicht befriedigen, und ist mancherorts gegen diejenigen vorgegangen, die dem Volk Brot statt Steine darboten. Das Sterben des römischen Reformators Huss, und des wahrhaft priesterlichen italienischen Mönches Savonarola ist bekannt. Da hat Gott eingegriffen und hat der armgewordenen Christenheit noch einmal das Evangelium aufgehen lassen. In zwei Formen hat er es ihr zukommen lassen, in der Wittenberger Reformation durch Luther, und in der Genfer durch Calvin. Zwingli kann in dieser kurzen Zusammenfassung übergangen werden, ohne seine Bedeutung und Lauterkeit zu verkennen. Ohne der Genfer Reformation zu nahe treten zu wollen, wird gesagt werden dürfen, dass die lutherische Reformation die eigentliche ist. Die Genfer setzt die lutherische bereits voraus. Außerdem drang die lutherische tiefer in den Mittelpunkt des Evangeliums ein. Das hängt mit dem Tiefgang zusammen, den Luther gehen musste unter der Zucht des Gesetzes, und damit unter dem Gericht der Sünde, und unter dem Druck der Heilandslosigkeit, bis er den Höhenweg des Glaubens geführt wurde, und am Herrn Christus und damit an der Gnade froh wurde.

Der Weg, den Calvin geführt wurde, ist nicht der gleiche. Er kannte die Gnade ebenfalls; aber im Vordergrund stand für ihn Gottes Herrlichkeit und Ehre. Daher fasste er das Evangelium zugleich als Gesetz, das er nicht bloß selber in eiserner Selbstzucht auslebte, sondern das ihm auch für die Leitung der neuen Gemeinden unentbehrlich war. Bei Luther ist der tiefe sittliche Ernst ebenfalls vorhanden. Nur auf diesem Untergrund hat er die Gnade so dankbar schätzen gelernt. Und niemals hat er die Gnade so verstanden, als ob das Ruhen in ihr den sittlichen Ernst ersetzen dürfe, aber er fand im dankbaren freudigen Glauben den Quellort für alles sittliche Handeln. In diesen Unterschieden wird es begründet sein, dass die beiden Reformationen sich bei ihrem Gang durch die Welt verschieden ausgewirkt haben. Die lutherische Art ist weltoffener, und hat doch das Evangelium erfasst als Kraft zur Überwindung der Welt. Auf Genfer Boden wurde die Welt viel härter bekämpft; aber zugleich wurde der Versuch gemacht, das Reich Gottes in die Welt hineinzubauen. Das ging ohne Härte in der Praxis nicht ab. Und doch konnte das Reich Gottes so nicht gebaut werden, und die Gefahr war vorhanden, dass das Evangelium zu einem feinen Gesetz gemacht werde. Während die evangelischen Kirchen des Festlands, mit Ausnahme des derjenigen Frankreichs und der Niederlande, vorwiegend lutherische Art annahmen, haben die übrigen evangelischen Kirchen, auch wenn sie nicht von der Genfer Reformation ausgingen, mehr das Gepräge der letzteren. Eine eigenartige Mittelstellung zwischen evangelischer und katholischer Art nimmt die englische Hochkirche ein, von der später die Rede sein soll.

Die Not der Volkskirchen

Es ist hier gleich die Frage eingeschaltet, ob das neugeschenkte Verständnis des Evangelium die Fehlentwicklung der Kirche aufgehoben hat. Das war nicht der Fall. Im Schoß der römischen Kirche brach das Evangelium hervor. Den deutschen Reformatoren lag der Gedanke fern, eine neue Kirche zu gründen. Sie hofften, die alte Kirche werde das Evangelium gelten lassen, und sie wären dann gerne bereit gewesen, sich in die bisherigen Formen zu fügen, wenn sie nur nicht göttliches Recht beansprucht hätten. Aber die römische Kirche fand bereits damals den Weg zur Umkehr nicht mehr. Sie ließ sich nicht reformieren. Mit der zum Glaubenssatz erhobenen Behauptung von der Unfehlbarkeit des Papsttums im Jahr 1870, hat sie sich vollends zur Buße unfähig gemacht. Der fortlaufende Gegensatz gegen das, in der Reformation ans Licht gekommene Evangelium verstärkt und vertieft das, was an der römischen Kirche ungöttlich ist. Wir denken, sie habe noch eine Zukunft, die aber ihre Kraft nicht aus der Tiefe des Evangeliums schöpft, sondern aus dem Gegensatz gegen dasselbe. Doch ist auch jetzt noch Evangelium in ihr enthalten. Ihr Leuchter ist noch nicht weggestoßen.

Aber der Widerspruch und die Gegenwirkung der römischen Kirche gegen das neuerwachte Glaubensleben ist nicht der einzige Grund dafür, dass auch in den Reformationskirchen die kirchliche Fehlentwicklung nicht überwunden wurde. Ein weiterer Grund lag in der Art, wie die neuen Kirchen sich bildeten. Nur ungern gingen die Wittenberger Reformatoren an die Gründung neuer romfreier Kirchen. Sie taten es erst, als das Evangelium in der alten Kirche kein Lebensrecht erhielt. Die Einführung des Evangeliums, in die von der alten Zeit her fest gefügten Verhältnisse, war schwer. Luther wusste wohl, dass die Kirche die Gemeinde der Glaubenden ist. Das geht hervor aus der schlichten Auslegung dessen, was Kirche ist, in der Erklärung des 3. Artikels. Aber um der Liebe zum armen Volk willen, und unter dem Druck der Zeit, der eine freie Gemeindebildung, ohne Anlehnung an die landeskirchliche und reichsstädtische Verfassung erschwerte, kam Luther auch für die evangelische Kirche auf die staats- und volkskirchliche Form. Er sah keinen anderen Weg.

Auch Calvin ging in Genf diesen Weg und bildete das Genfer Staatswesen auf dem Weg strenger Zuchtübung zu einer, ob seiner Sittenstrenge weithin leuchtenden, halbkirchlichen Gemeinwesen um. Diese Form der Kirche sind Segen und Jammer gleichzeitig eigen. Das Evangelium wird allgemein dargeboten, und aus dem Evangelium fließt auch denen Gutes zu, die kein tieferes Verhältnis zu ihm gewinnen. Auf diese Weise kam unser ganzes deutsches Volk, soweit die evangelischen Kirchen reichten, unter den Schirm des Evangeliums. Es ist dankbar zu schätzen, dass dieser Weg zum Volksganzen noch möglich ist, infolge des Vorhandenseins der Volkskirchen. Aber eine Not ist dabei, auch wenn sie nicht zu allen Zeiten, und nicht von allen in gleicher Weise, und in gleichem Maß empfunden worden ist und empfunden wird: in der Volkskirche ist das Volksganze Objekt und Subjekt der Kirche in einem. Das heißt: vertreten, dargeboten und vorgelebt werden kann das Evangelium nur von der Kirche im eigentlichen Sinn des Wortes, d. h. von denen, die selber innerlich vom Evangelium erfasst sind. Von dieser Kirche, die auf der Linie der Gemeinde Jesu steht, geht das Evangelium an das Volksganze der Kirche, dem ihre Liebe und ihr Wort gehört. Aber das Volksganze soll in der Volkskirche gleichzeitig Träger der Kirche sein, soll die Kirche selber darstellen. Mit anderen Worten: die erst berufen sind Christen zu werden, müssen bereits als Christen gewertet werden. Diese Not kann kaum empfunden werden in den Zeiten, da nicht bloß kirchliches Interesse in weiterem Sinn vorhanden ist, sondern auch Interesse am Evangelium. Da werden immer wieder, manchmal in rascher Folge und großer Zahl, solche, die bisher erst Objekt der Kirche waren, zu deren Subjekt: erst empfingen sie das Evangelium und dann geben sie es an ihre Volksgenossen weiter.

Aber die Not kommt zutage in Zeiten der geringen Dinge, wenn die Fähigkeit zu glauben klein ist; und noch mehr in solchen Zeiten, wenn Kirche und Volk auseinander gehen, sofern das Volksganze mehr oder minder des Evangeliums müde ist, oder gar ein Widerstand gegen dasselbe, oder ein Gegensatz zu ihm aufwacht, und wenn trotzdem das Band zwischen Volk und Kirche fortbestehen soll. Da kann es sein, dass auch solche Kreise rechtlich zur Kirche gehören und als Kirche anerkannt werden müssen, die das Band mit der Kirche tatsächlich, dem inneren Stand nach, gelöst haben. Wer sein Volk wirklich lieb hat, stellt sich nicht als Pharisäer auf die Seite, trägt vielmehr Leid um sein Volk, und beugt sich wegen seiner eigenen Sünde und Unzulänglichkeit, die den ernsten Stand des Volkslebens mitverschuldet hat; wird sich auch hüten, das Band zwischen Kirche und Volk noch mehr zu lockern, vielmehr für sein Volk glauben, hoffen, lieben, auch wenn es schwer fällt. Aber es kann ihm nicht verwehrt werden, diesen Zustand der Kirche als innere Not zu empfinden und für die Volkskirche zu bangen, auch mit dem Aufhören des genannten Bandes zu rechnen.

Die Kirche der antichristlichen Zeit

Das Schlussbild der Offenbarung kennt eigentlich nur eine wirkliche Volkskirche in der Zeit der antichristlichen Not: das ist die werdende neue Gemeinde aus Israel. Und auch sie ist keine, den gesamten Volksbestand Israels umfassende Kirche. Die Zahl ihrer Glieder ist beschränkt. Die Mehrheit des Volks bleibt draußen stehen und findet den Weg noch nicht. Ob aber sonst innerhalb Offb 11-18 eine Volkskirche denkbar ist, ist eine große Frage. Die eigentliche Zeit der Volkskirchen ist die Zeit des 1000-jährigen Reichs. Für den Ausgang des gegenwärtigen Zeitlaufs wird kaum eine neue Blütezeit der Kirche zu erwarten sein, wenn nämlich die Kirche in echt evangelischem Sinn verstanden wird. Die eigentliche Kirche der Endzeit wird eher zum Anfang zurückkehren, und wieder zum kleinen, zerstreuten Häuflein werden. Dagegen kann es wohl sein, dass eine anders geartete Kirche in der Endzeit vorhanden ist, vielleicht sogar eine blühende Kirche, aber eine solche, die des Evangeliums entleert, und zur Versammlung des Satans geworden ist (Offb 2:9). Trotzdem kann weder Luther noch Calvin ein Vorwurf gemacht werden, dass sie für die neuen Kirchen des Evangeliums die altgewohnte volksmäßige Form wählten. In der gegenwärtigen Weltzeit ist, der im Gleichnis vom Acker Mt 13 beschriebene Weg nicht zu vermeiden, zumal seit die Kirche aus ihrer ursprünglichen Freikirche zur volksmäßigen Form übergegangen ist.

Der Weg zur völligen Freiheit ist überhaupt nicht gangbar. Mit naturgemäßer Notwenigkeit wird eine Freikirche bereits im 2. und 3. Geschlecht zu einer Art Volkskirche. Und wollte sie gegen den Lauf der Natur sich als völlige Freikirche behaupten, so ginge es ohne Härte und Pharisäismus nicht ab. Die Not der Volkskirche muss - unter Umständen mit kräftigem Zeugnis gegen das, was in und an ihr nicht "Kirche" ist - getragen werden, nicht mit Murren, sondern trotz allen schweren Empfindungen mit Dankbarkeit, dass eine Volkskirche noch vorhanden und noch möglich ist. Wird die Trennung von der Kirche eigenmächtig vollzogen, so ist die Scheidung (die Separation) nicht ohne Sünde möglich. Soll es zu einer Trennung kommen, die kein böses Gewissen hinterlässt, so muss Gott selbst auf irgendeine Weise, die kein schlechtes Gewissen hinterlässt, auf unmissverständliche Weise das Zeichen dazu geben. Dann kann sie im Frieden geschehen. Aber dann ist auch die Zeit des Märtyrertums gekommen. Mag es Märtyrertum innerlicher Art jetzt schon geben; äußeres Märtyrertum herbeiwünschen, oder gar herbeiführen ist eine gefährliche Sache.

Die deutsche Geschichte in göttlichem Licht

Von Deutschland war bisher noch verhältniswenig wenig die Rede. Aber die Erwähnung der Reformation, und der evangelischen Volkskirchen lenkt die Gedanken notwendigerweise auf die deutsche Geschichte. In seinem Wort an die Athener hat Paulus in Apg 17:26 den Satz ausgesprochen, dass jedem Volk seine bestimmten Zeiten, und die Grenzen seiner Wohnsitze zugewiesen seien. Lassen wir diesen Satz gelten, dann steht auch die geographische Lage des deutschen Volkes unter göttlicher Vorsehung. Die Deutschen sind ein Teil der Germanen, aus mehreren ihrer Stämme bestehend, die nach langen Wanderungen im Gebiet des heutigen Deutschlands ihre Heimat gefunden haben. Sie können die Grenzen, die fast zu eng sind für ihre Volkszahl, nicht sprengen; die Zeiten, da ganze Völker wanderten, sind für die europäischen Völker vorbei. Die weite Verbreitung des Deutschtums außerhalb seiner eigentlichen Heimat, ist in der Hauptsache auf dem Weg der Einzelauswanderung zustande gekommen. Das deutsche Volk nimmt die Mitte Europas ein; es ist der Durchgangspunkt von Westen nach Osten, vom Süden nach Norden, und umgekehrt. Das deutsche Volk hat im Laufe seiner Geschichte viel ausgestanden. Viel Anteil an seiner Not hat der deutsche Erbfehler der Uneinigkeit. Jedoch ein großer Teil seiner Not rührt auch von der Eigenart seiner geographischen Lage her. Diese hat ihm aber auch eine Wirkungsmöglichkeit von besonderem Ausmaß geschaffen. Infolge seiner Lage ist Deutschland geographisch das Herz Europas; und das deutsche Volk ist das Herz der europäischen Völker geworden - durch seine Geschichte.

Ob es nicht mit der geographischen Lage zusammenhängt, dass der Neuanfang des Evangeliums gerade dem deutschen Volk beschert wurde? Also nicht etwa um des deutschen Gemüts willen, als ob dieses für das Evangelium empfänglicher wäre, als die seelische Verfassung anderer europäischer Völker. Soviel ist ja an dem letzteren Gedanken richtig, dass das deutsche Volk durch viele Leiden äußerer und innerer Art, zu einem vertieften Erfassen des Evangeliums erzogen worden ist. Der Grund für die Betrauung mit dem Evangelium lag vielmehr in dem ihm anvertrauten Beruf, es an die europäische Völkerwelt weiterzugeben. Denn als Volk der Mitte war es dazu leichter imstande, als ein Volk an der Außenseite. Nur von hier aus wird die Geschichte Deutschlands, und damit auch der europäischen Neuzeit göttlich verstanden werden können. Fern sei es, das deutsche Volk hinsichtlich, der ihm zuteil gewordenen Gabe und Aufgabe, neben das Volk der göttlichen Wahl, neben Israel zu stellen. Nur eine Nation, eben Israel, hat Gott zum Heilsträger für die Welt bestimmt. Aber im gewissen Sinn laufen die beiden Völker doch nebeneinander her. Beide sind in die Mitte gestellt: Israel in die des großen Kontinentalblocks, d.h. in die Mitte zwischen den drei großen zusammenhängenden Erdteilen; Deutschland in die Mitte Europas. Beide haben eine große Diaspora, d. h. ein großes Auslandsvolkstum innerhalb der Völkerwelt. Beide sind Völker des Leidens. Beide haben eine große gottgewollte Aufgabe. Beide wurden schwer gezüchtigt, wenn sie ihrer Berufung untreu wurden.

Frage nach der Weltstellung

Darf auch gesagt werden: beide sind nicht endgültig verstoßen? Von Israel gilt's; aber dessen Wiederaufnahme kommt erst nach furchtbarer Demütigung. Demütigungen unerhörter Art nach glänzendem äußeren Aufschwung sind in der Gegenwart auch über Deutschland verhängt worden. Wird auf die Demütigung eine Wiederaufnahme durch Gott folgen? Und wenn eine solche kommt, welcher Art wird sie sein? Was Christen für Deutschland begehren, ist eine neue Aufnahme in Gottes Gnade, und neue Berufung zum Dienst. Die Bedingung hierfür ist die gleiche wie für Israel: eindringende Buße. Eine Rückgabe seines früheren äußeren Glanzes, ohne gleichzeitige inwendige Erneuerung wäre für das deutsche Volk gar nicht günstig. Eine solche wäre möglich von ganz anderer als von Gottes Seite her, nämlich von der des Feindes, der dem Judentum, gerade weil es sich gegen seinen Beruf verhärtet hat, Weltstellung zu geben beginnt nach dessen tiefer Demütigung durch Gottes Gericht. Weltstellung ohne Buße, ohne Gott, ist kein Segen, sondern Fluch. An solchem Fluch kranken die Weltvölker, obwohl sie, äußerlich betrachtet, obenan stehen.

Ist diese Auffassung richtig, dass nämlich dem deutschen Volk ein göttlicher Beruf innerhalb Europas anvertraut worden ist, dann ist der Höhepunkt der deutschen Geschichte die Reformationszeit. Auf sie läuft die frühere Geschichte zu und von ihr, genauer von der Stellung des deutschen Volkes zum Evangelium, ist der Verlauf der folgenden deutschen Geschichte bestimmt. Und die eigentlich Großen Deutschlands, also nicht die Großen im Sinn der Welt, sondern nach göttlichem Maßstab, sind die Männer gewesen, in denen das Evangelium groß gemacht wurde, und durch die Glaube und christliche Lehre in Deutschland geweckt und gepflegt worden sind. Vorne an steht Luther, der in dem deutsches Wesen sich auf innigste mit dem Evangelium verbunden hat. Mehr als die anderen Völker Europas hat das deutsche Volk die Jahrhunderte vor der Reformation eine Schule unter dem Zuchtmeister des Gesetzes durchgemacht und innerlich durchgekämpft. Als das Evangelium neu aufkam, hat es mit und unter dem Evangelium gelitten, bis es durch den 30-jährigen Krieg, der um des Evangeliums willen entstand und geführt wurde, an den Rand des Zusammenbruchs kam. Ringsum festigten sich die Nationen und brachten es zu mächtigen staatlichen Bildungen; Deutschland stand zurück. Es hat auch das Evangelium weitergegeben -

Calvin stand in gewissem Sinn auf Luthers Schultern -, namentlich im Osten und Norden, und später auch über das Meer hinüber nach Amerika. Er hat auch in einzelnen christlichen Lebenskreisen die Verpflichtung zur Weltmission, d.h. zur Weitergabe des Evangeliums an die nichtchristliche Welt eher begriffen als andere Völker. Aber: hat Deutschland als Ganzes seinen göttlichen Beruf erfasst, hat es als Ganzes sich in Gottes Dienst gestellt? Ging es nicht auch in diesem Stück ähnlich wie bei Israel, das, als Ganzes genommen, versagte? Zwar hat Gottes Güte nach dem furchtbaren Elend des 30-jährigen Kriegs, dem deutschen Volk auch äußerlich dreimal einen neuen Aufstieg beschert. Zuerst arbeitete sich Preußen herauf - nicht am wenigsten unter der segnenden Kraft des Evangeliums - und erreichte unter Friedrich dem Großen eine beachtenswerte Höhe im Äußeren und Innern. Aber dann bereits wurde das alte Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade kränkelnd, durch das neue Evangelium von der Herrlichkeit des Menschen und seiner Vernunft und Güte, das doch kein Evangelium ist, sondern eine Umkehrung desselben.

Da brach der napoleanische Wettersturm los, und Preußen, und mit ihm Deutschland schien dem fremden Weltherrscher verfallen. Großteils in der Kraft des neu erwachenden Glaubenslebens, wurde der Kampf mit Napoleon gewagt, nachdem in Russland über dessen Selbstherrlichkeit ergangenen Gottesgericht. Und er gelang wunderbar. Deutschland hat einen neuen Glaubensfrühling erlebt. Aber zum allgemeinen Durchbruch kam das neue Glaubensleben nicht. Da pochten neue Stürme an Deutschlands Tore. Revolutionsgeist regte sich. Die sozialen Fragen tauchten auf. Die Zerklüftung des Volkslebens begann. Noch eimal wurde dem deutschen Volk eine wunderbare Güte Gottes zuteil. Das war im Jahr 1870. Aus dem von Frankreich aufgezwungenen Krieg, erwuchs das Deutsche Reich. Eine kraftvolle staatliche Zusammenfassung, allerdings ohne das südöstliche Deutschtum, wurde dem deutschen Volk beschert, mit dem evangelischen Kaisertum an der Spitze! Es hatte nicht die Art der Reiche dieser Welt, die mit Gewalt und Druck herrschen wollen, und deren Staatskunst innerlich unwahre Wege geht, während die Staatsmänner, die Diplomaten, von Recht, ja sogar von göttlichem Recht sprachen. Die schon länger selbstständig gewordenen Völker übten solche unwahren Künste schon längst. Die deutsche Staatskunst suchte sie zu vermeiden. Sie kann das Licht ertragen.

Vor den Augen der Welt liegen nun Aktenstücke aus der ganzen Welt des neuen Reichs offen da. Freilich wurde der Weg des neuen Reichs zwischen den Mächten dieser Welt zusehends schwerer, und die Versuchung, nach Art der Weltpolitik zu handeln, wurde größer. Und seinen eigentlichen Beruf, Träger des Evangeliums zu sein, hat auch der evangelische Teil des Volkes als Ganzes nicht erkannt, und ihn auch nicht als Ganzes geübt. Trotzdem sei nicht vergessen, was in Kirchen und Vereinen und in der Inneren Mission, im Dienst des Evangeliums an unserem Volk getan worden ist, und ebenso wenig der rege Anteil an der Heidenmission, obwohl er zahlenmäßig hinter den Leistungen der englischen und amerikanischen Kirchen zurückblieb. Aber es kam die Richtung auf, die nach den Gütern dieser Welt griff. Und während irdische Blüte und Ehre sich mehrte, erhielt Gott die Ehre nicht, die ihm gebührte, und besonders die Buße wurde ihm versagt, nämlich die Buße, die aus dem Dank für seine Güte und Segnungen entstehen soll. An Deutschlands Mark fraß der Wurm der Gottentfremdung und der Weltseligkeit, und bereits begann aus Deutschland, neben dem Evangelium, auch das Gift der Gottlosigkeit in die Welt hinauszudringen. Dann brach der große Krieg aus.

Folgen des 1. Weltkriegs

Auf einmal sah sich Deutschland inmitten einer Welt von Feinden. Der Krieg war eine Kette von wunderbaren göttlichen Durchhilfen; aber am Schluss kam doch das Erliegen. Wir konnten es während des furchtbaren Krieges kaum fassen, dass er in dieser Weise enden könnte. Nun beim Rückblick sehen wir in diesem Ausgang nicht nur einen Sieg der Übermacht und der Lüge, die sich in der Welt und im Innern verheerend gewirkt hat, sondern eine zusammenfassende Antwort Gottes auf die deutsche Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte. Mit dieser Erkenntnis ist der Sinn des Krieges noch nicht nach ALLEN Richtungen verstanden; aber für die deutsche Christenheit ist solche Erkenntnis ein wichtiger Baustein. Sie bewahrt vor der Gefahr, die Schuld am Fall am falschen Ort zu suchen, und falsche Wege zum Wiederaufbau einzuschlagen. Mit Deutschland geht es wie mit Israel: nur Der kann es heilen, der es zerschlagen hat; und Er heilt nur die, die sich zu ihm wenden.

Weiter oben wurde der Wiederaufgang des Evangeliums innerhalb der römisch gewordenen Kirche als ein Eingreifen Gottes verstanden, mit dem er die verkehrte Entwicklung anhielt, und in die von der rechten Richtung abgekommene Kirche ein Samenkorn neuen Lebens senkte, das, wenn es zur Reife gekommen wäre, zur Überwindung des alten Menschen hätte dienen können. Wenn nun der vorhin aufgestellte und geschichtlich geprüfte Satz richtig ist, dass Gott die deutsche Geschichte auf den Empfang, und die Weitergabe des Evangeliums anlegte, und dass Deutschlands geschichtlicher Gang seit der Reformation in Gnade und Gericht bestimmt worden ist, durch die Treue und Untreue seiner göttlichen Berufung gegenüber, dann liegt der weitere Satz nahe, dass die bisherige deutsche Geschichte aus dem Rahmen des römischen Reichs herausfällt, obwohl es äußerlich enge Beziehungen zu demselben hatte. Wir haben die französische und russische Geschichte als Fortsetzung und Erweiterung der ursprünglichen römischen Geschichte betrachtet, nicht bloß in dem Sin, dass sich die Geschichte dieser Völker an die des alten Rom anschließt, sondern auch in dem, dass innere, z. T. sogar vom Volksbewusstsein gefühlte Beziehungen, zu den treibenden Kräften der alten römischen Geschichte da sind, politisch und religiös. Die deutsche Geschichte gehört nicht in diesen Rahmen.

Dass es in der Hauptsache außerhalb des römischen Grenzwalls lag, während Frankreich schon vor unserer Zeitrechnung dem römischen Reich einverleibt wurde, ist für diesen Gedanken nicht maßgebend. Denn auch Russland gehörte politisch nicht zum alten römischen Reich, und sieht doch im oströmischen Konstantinopel Russlands Tor. Man könnte gegen den Satz von der Nichtzugehörigkeit Deutschland zum römischen Wesen einwenden, dass im Mittelalter fast lauter deutsche Herrscher die römische Kaiserwürde innehatten, und ihre Gedanken immer wieder an Italien ketteten, als an das Hauptland des alten Reichs, auch viel deutsches Blut für diesen Traum opferten; ebenso, dass die Idee des Reichs und des Kaisertums am tiefsten im Herzen des deutschen Volks verankert war. Aber gerade die Treue, mit der Deutschlands Herrscher am Reich hingen, ist ein Zeichen, dass sie sich wohl im Gemüt für diese Idee begeisterten und einsetzten, dass aber eigentlich römisches Wesen mit seinen Hintergründen, dem deutschen Wesen innerlich fremd war. Diese Beobachtung, dass nämlich das Eingehen auf einen Gedanken, auf eine Idee, noch nicht das Verflochtensein mit dem ihm zugrundeliegenden Wesen bedeuten muss, kann man auch an der vorreformtischen Kirchengeschichte Deutschlands machen. Treuere Ergebenheit als in Deutschland hat die Kirche des Mittelalters wohl in keinem Volk gefunden; aber die mehr und mehr vom Evangelium sich abwendende Art der Kirche, ist trotzdem auf deutschem Boden schon vor der Reformation geahnt und empfunden worden. Eigentlich römisches Wesen war ihnen fremd.

Freilich hat in Deutschland auch eine Art Boden geworden, die sich an der Weltfrömmigkeit der Kirche nicht stieß. Es war ein Verhängnis für Deutschland, dass diese Art festen Fuß fasste im habsburgischen Kaiserhaus, bei der Mehrzahl der geistlichen Würdenträger und bei einer Anzahl deutscher Fürsten. Dadurch wurde die deutsche Reformation im Keim bedroht, und ihre völlige Durchführung verhindert; unser Volk in Glaubenssachen in zwei Lager gespalten, unsere Reformatoren unter dem harten Druck der Verhältnisse gezwungen, die neue Kirche nicht nach ihren eigenen Lebensnotwendigkeiten, sondern in Anlehnung an die staatlichen Gebilde, und an die Staatshoheit aufzubauen, und Deutschland in das Elend des 30-jährigen Kriegs gestürzt.

Wie soll dieses Nebeneinander beurteilt werden? Sieht man nur auf die Vorgänge selber, dann wird der tiefere Grund des Unterschieds, des Zwiespalts und Kampfes nicht erfasst. Er kann nur verstanden werden, aus dem unsichtbaren Hintergrund alles Geschehens, dem Ringen zwischen der oberen und der unteren Welt. Luther hat das treffend im bekannten Reformationslied ausgesprochen: Der alte böse Feind wollte sein Werk nicht stören lassen. Darum bestellte er auf deutschem Boden die Mächte, die dem begonnenen Gotteswerk misstrauen, stören, hindern, es unterdrücken und beseitigen sollten: die dabei verwendeten Waffen waren je nachdem, List und Gewalt. Das Evangelium im Herzen Europas sollte nicht siegen. Darum bekam das von Gott gewirkte Neue sofort einen Widerpart zur Seite.

Die habsburgische Monarchie hat später auch solche Vertreter bekommen, die dem Evangelium nichts zuleide taten. Aber die Monarchie war belastet mit der ganzen Last der Vergangenheit. War es göttliche Politik, als Deutschland, dass eigentlich für das Evangelium verpflichtete Volk und Land, sich mit dem fast ganz auf den alten Bahnen gebliebenen, bzw. zu ihm zurück gekehrten, Österreich auf Gedeih und Verderb zusammenband? Damit ist kein Stein geworfen auf den letzten ehrwürdigen Vertreter Österreichs, der den Zusammenbruch seines Hauses und den Zerfall der Monarchie nicht mehr erleben musste, sondern zwei Jahre vorher die Augen schließen durfte. Aber Tatsache ist, dass die Verbundenheit mit Österreich, Deutschland mit hineingerissen hat in den Krieg, und mit die Ursache geworden ist zu seinem Sturz.

Eine Erinnerung ähnlicher Art sei hier eingefügt. Als die Türkei Ende Oktober 1914, zu einer Zeit, als die russische Dampfwalze Posen und Schlesien bedrohte, und so in das deutsche Reich einzudringen drohte, in den Krieg gegen Russland an der Seite Deutschlands und Österreichs eintrat, da war begreiflicherweise die Freude groß. Das Bündnis mit der Türkei wurde als Stärkung und Rückendeckung empfunden. Tatsächlich hat ja auch die Türkei Russland von seinem westlichen Bundesgenossen abgeschnitten, und viele Kräfte der Kriegsgegner Deutschlands gebunden. Trotzdem war die Bundesgenossenschaft mit der Türkei für Deutschland kein Glück, und hat mit zum schweren Ende beigetragen. Göttlich betrachtet ist das kein Wunder. Für das, dem Evangelium verpflichtete, Deutschland war das Bündnis mit der politischen Vormacht des Islam, welche schon vor dem Krieg die vielen armenischen Christenmorde auf dem Gewissen hatte, und deren noch furchtbarere Gräueltaten während des Kriegs, es trotz aller diplomatischen Schritte nicht verhindern konnte, etwas Widernatürliches. Die Schuld dafür belastet nicht nur Deutschland selber, sondern auch die Mächte, die Deutschland zu diesem unnatürlichen Bund getrieben haben. Aber trotz aller damaligen Not liegt hier Schuld Deutschlands vor. Gegen ähnliche Diplomatie, z. B. gegen die Einbeziehung Assyriens und Ägyptens zur Beseitigung von politischen Nöten, haben einst schon Israels Propheten gekämpft.

Der tiefere Sinn des Weltkriegs

Von verschiedenen Seiten her kam bereits die Rede auf den Weltkrieg: von der Geschichte Russlands als der Fortsetzung Ostroms (S. 189), von der Geschichte Frankreichs als die Wiedererstehung Westroms (S. 192), von der deutschen Geschichte (S. 251), wie von der Erwähnung Österreichs (s. 253). Auf dieses einschneidende Ereignis läuft die europäische Geschichte zu, und von diesem Ereignis wird sie zu ihrem Abschluss gelangen. Der Weltkrieg, der nun bald 10 Jahre hinter uns liegt, ist ein geschichtlicher Knotenpunkt ersten Ranges. Nicht bloß für die Geschichte Europas, sondern auch für die Weltgeschichte. Das Gefühl, dass 1914 ein Abschluss stattgefunden habe, und dass die Weltgeschichte seitdem in einen neuen Abschnitt eingetreten sei, ist allgemein bekannt. Ebenso ist der Eindruck weit verbreitet, dass seit dem das Geschehen ein rascheres Tempo angenommen habe. Aber wenn sich nun die Erwägungen der Zukunft zuwenden, dann gehen die Gedanken auseinander. Den einen, zumal den Siegervölkern, scheint trotz mancher Gewitterzeichen ein neuer Tag der Menschheit angebrochen zu sein. Andere, zumal solche, welche das Geschehen im Licht der Bibel sehen und sehen wollen, sind erschüttert und kommen von dem Eindruck nicht mehr los, dass der gegenwärtige Zeitlauf seinem Ausgang entgegeneile. Die letztere Auffassung wird auch in diesem Buch vertreten, und sie wird anhand des ganzen Geschichtslaufs im Licht der Bibel geprüft. In welchem Sinn der Weltkrieg im vorliegenden Buch verstanden wird, das möge an einem Gleichnis dargelegt werden.

Der Ausbruch dieses Kriegs gleicht dem Einwurf eines Steins in einen geschlossenen See. Bei Einwurf gibt's an der Einwurfstelle eine kräftige Wallung des Wassers; es spritzt empor. Das waren die Kriegswogen. Mit dem Aufspritzen und Aufwallen an der Einwurfstelle ist aber die Wirkung des Einwurfs nicht beendet; um die Stelle herum legen sich die Wellenkreise, die sich immer mehr erweitern, bis das Ufer des Sees erreicht ist. Da erst kommen sie zur Ruhe. Der See ist die Völkerwelt. Die Einschlagstelle war verhältnismäßig klein; der Kriegsschauplatz an sich, würde trotz seiner weiten Ausdehnung, die Bezeichnung des Krieges als Weltkrieg nicht rechtfertigen. Aber vom Kriegsschauplatz gehen auch nach Kriegsende die Wirkungen aus, nach allen Richtungen der Welt, und auf alle Verhältnisse der Welt, und bis an das Ende der Zeit, die bis zum Ablauf der gegenwärtigen Geschichte noch übrig ist.

Der Mittelpunkt des gewaltigen Geschehens war Deutschland. Der Herd des Krieges lag zwar nicht auf deutschem Boden, und Deutschland war nur eines der bedrohten Gebiete. Trotzdem stand Deutschland im Brennpunkt des Hasses. Auf die Niederlage Deutschlands waren alle Anstrengungen der Gegner gerichtet. Was war der Grund für den einmütigen Sturm auf Deutschland? Wir schalten alles Politische aus und lassen die Kriegsgründe, die tatsächlich oder insgeheim vorlagen, und die Kriegsziele, ob sie nun ausgesprochen wurden oder nicht, auf der Seite. Unsere Frage geht um den tieferen Kriegsgrund und das Kriegsziel. Für die Antwort ist es nicht wesentlich, ob eine am Krieg beteiligte Seite wissentlich, oder willentlich auf dieses Kriegsziel hingearbeitet hat. Denn letztlich handelt es sich um die Frage nach den unsichtbaren Hintergründen jenes eingreifenden Geschehens. Dass Gottes Hand über allem stand, dass er Deutschland hätte durchhelfen und es retten können, dass Er durch den Gang der Ereignisse dem ganzen deutschen Volk, und jedem einzelnen Glied desselben, tiefernste Dinge sagen wollte, das steht außer Zweifel. Aber wer mit wachen Augen die Ereignisse verfolgt hat, und wer zur Einsicht gekommen ist, dass das menschliche Geschehen nicht nur lichte Hintergründe hat, der wird in den Ereignissen der letzten 15 Jahre auch genug Unheimliches wahrgenommen haben, das auf einen satanischen Zweck dieses Krieges hinweist. Diesen Zweck klarzulegen, dazu ist ein weiteres Ausholen nötig.

Es war schon früher davon die Rede, dass das satanische Wirken nicht nur auf die Förderung des eigenen Zieles ausgeht, sondern sich auch mit der Ausschaltung der Widerstände befasst. Denn kampflos gelingt dem alten, bösen Feind sein Anschlag nicht. Es gibt Aufhaltendes (2Thes 2:6). Paulus spricht an jener Stelle vom Aufhaltenden zuerst im sächlichen, und dann (2Thes 2:7) im männlichen Geschlecht. Es lässt sich schwer mit Bestimmtheit sagen, wem Paulus an jener wichtigen Stelle die Aufgabe, Fähigkeit und Kraft zuschreibt, den Anbruch der antichristlichen Zeit aufzuhalten, bis die für sie bestimmte Stunde gekommen ist. Bei einer solchen Gelegenheit kann die heutige Christenheit sehen, wie eingehend die Apostel die alte Christenheit unterrichtet haben, und wieviel sie ihr zu sagen für nötig hielten, bereits im Anfang ihres Christentums. Wie viel musste Paulus z. B. den Christen in Troas zu sagen gehabt haben, wenn er bei der Durchreise vom Abend bis zum Anbruch des Tages mit ihnen sprach, wobei allerdings in Betracht zu ziehen ist, dass es das letzte Wort war, das er ihnen sagen konnte (Apg 20:7-12). Was im Hebräerbrief als ABC der Christenstands bezeichnet ist (Hebr 6:1.2), das kommt uns Heutigen sehr viel vor, und die große Menge der Christenheit bleibt hinter diesen Anfangsgründen zurück.

Das und der Aufhaltende

So gehört es auch mit zum Jammer der heutigen Christenheit, dass sie nicht mehr bestimmt weiß, was Paulus den Thessalonichern bereits in den ersten Wochen ihres Christenstandes gesagt hat über die letzten Dinge, so besonders über das, WAS aufhält (2Thes 2:6) und den, DER aufhält (2Thes 2:7). Vielleicht ist beim letzteren an einen der guten himmlischen Geister zu denken, von denen bei Daniel die Rede ist. Der steht noch in der Mitte zwischen der vorwärtsdringenden Macht der Finsternis und den menschlichen Verhältnissen, dass sie nicht vor der Zeit zum antichristlichen Zustand ausreifen. Wenn er nach Gottes Befehl aus der Mitte wegtreten muss - diese Übersetzung ist richtiger als die Luthers und Menges, die eine Beseitigung dieses aufhaltenden Wesens durch die satanische Macht nahelegt -, dann steht der raschen Vollendung des satanischen Plans nichts mehr im Weg. Ob nicht vielleicht an den guten Geist Israels zu denken ist? (Der gute Geist nicht im Sinn unserer abgeblassten Redeweise, sondern ganz buchstäblich, im Sinne Daniels). Und dem, WAS aufhält, ist vielleicht an irgendwelche irdischen Verhältnisse zu denken, wahrscheinlich aber an das Evangelium. Solange das Evangelium noch Wirkungsmöglichkeit hat, wirkt es aufhaltend. Das Evangelium ist im Griechischen wie im Deutschen sächlichen Geschlechts. Worauf nun aber eben so sehr der Nachdruck zu legen ist, wie auf die Bestimmung, wer und was mit dem Aufhaltenden gemeint sei, das ist die Aussage des Apostels, dass Gott gegen das Vorwärtseilen der satanischen Widerstände eingeschaltet hat. Wie großen Dankes ist das wert! Wo stünde die Welt, wenn die Macht der Finsternis schalten und walten dürfte? Und wer ahnt oder weiß, an welchen Abgründen er selbst schon vorbeigekommen ist, der soll dankbar sein, dass dem Zugriff des Satans eine haltende Hand entgegen wirkt. Er möge dieser haltenden Hand nicht zuviel Arbeit zumuten und leichtsinniges Eingehen auf die Verlockungen der Finsternis. Aber neben dem Trost steht der furchtbare Ernst: das Zurückhalten hört einmal auf! Dann eilt die Macht der Finsternis, ihr Werk zu vollenden.

Auch wenn unter dem, was aufhält, das Evangelium zu verstehen ist, kann das Aufhalten doch durch allerlei menschliche Zustände und Ordnungen vermittelt sein, nämlich durch solche, die die Ausbreitung, und die Aufnahme des Evangeliums begünstigen. Die Gemeinde Jesu als Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit ist etwas Aufhaltendes; das Vorhandensein von Gerechten wirkt aufhaltend (s. das Gericht über Sodom); die Aufgeschlossenheit einer Kirche für das Evangelium hält das Verderben zurück; selbst wenn es in der Kirche viel Menschliches und Menschelndes gibt; eine gute Sitte, die sich Respekt zu verschaffen weiß, hat bewahrende Macht, selbst wenn sie nicht unmittelbarer Ausfluss des Glaubens ist; feste staatliche und gesellschaftliche Ordnungen sind Dämme gegen das Einbrechen der Verderbensfluten. Ist nicht viel Grund zum Danken da, dass noch ein derartiges Aufhaltendes vorhanden ist, und dass mitten im Zusammenbrechen von Dämmen, andere Dämme aufgeworfen werden! Auch das Dammaufwerfen ist eine wichtige christliche Aufgabe. Aber neben dem Dank für das Aufhaltende, das noch vorhanden ist und neu entsteht, ist ein heilsames Erschrecken am Platz über das Verschwinden von so Vielem, das seither aufgehalten hat und über das Schwachwerden von so Vielem, das sich seither dem einbrechenden Verderben entgegengestellt hat.

Nach diesem Blick in die Schrift folgt ein Blick in die Geschichte im Licht der Schrift. Wie gern hätte der Drache das Tier rasch ausgestaltet! Ohne Bild: wie gern hätte er dem römischen Wesen rasch zur Herrschaft über die Welt verholfen! Es ist auch tatsächlich, trotz der Länge der Zeiten, rasch gegangen; aber Aufhaltendes gab es ebenfalls; wir sehen das Aufhaltende im Evangelium. Wie gerne hätte der alte böse Feind durch die Macht des römischen Kaisertums dieses aufhaltende Evangelium beseitigt! Er hat fast alle Qualen zu diesem Zweck aufgeboten, die nur denkbar sind, und er fand bereitwillige Helfer. Aber das Evangelium wich nicht; denn seine Bekenner waren mit Gewalt und Pein nicht zum Schweigen zu bringen. Da sollte das Evangelium geschwächt werden, indem er die Kirche zu weltlicher Ehre brachte, ihr die erste Stelle im Reich zuwies. Nur um den Thron sollte das Kaisertum höher sein. Eine herrschende Kirche tut sich ja schwerer, Bewahrerin des Evangeliums zu bleiben; aber die Ausscheidung des Evangeliums aus der Kirche gelang nicht. Als die germanischen Völker gegen Reich und Kirche vorgeschickt wurden, rettete die Kirche das Reich, und bot den neuen Völkern das Evangelium an, wenn auch nicht mit seinem vollen Gehalt. Da schickte der Feind die arabischen Scharen und mit ihnen eine, dem Evangelium nachgebildete, Botschaft, die doch kein Evangelium war. Aber die Vernichtung des christlich gewordenen Reichs gelang nicht, und das Evangelium wurde trotz vieler Verdunkelungen nicht ausgelöscht.

Da kam der Papst, und Menschensatzungen wurden herrschend. Wo würde das Evangelium bleiben? Es litt große Not; aber aus dem wenigen was blieb, erwuchs der Schrei der christlichen Völker noch mehr, nach dem vollen Evangelium. Da tat Gott ein Besonderes und erhörte das Schreien, und stellte das Evangelium wieder auf den Leuchter, und besonders dem deutschen Volk vertraute er das Licht an, damit es sich selbst davon erleuchten ließe, und es dann leuchten ließ in der arm gewordenen Christenheit. Da setzte die Finsternis zum Gegenstoß an und wehrte dem Leuchten; und im 30-jährigen Krieg blies sie das Licht fast aus. Aber es brannte weiter und wurde wieder zur Flamme. Und Deutschland hätte inmitten der Christenheit leuchten sollen. Dem wurde gewehrt durch den Weltkrieg.

Das deutsche Volk ist freilich ein sündiges Volk wie andere Völker auch. Und es ist gut, wenn der Vergleich mit andern Völkern, wer tiefer gefallen sei vor Gottes Augen, nicht zur Hoffart wird. Mögen andere Völker noch tiefer gesunken sein, so gilt doch von ihm der Spruch Lk 12:48: "Jedem, dem viel gegeben ist, von dem wird auch viel gefordert werden; und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man umso mehr verlangen"; und "der Knecht, der seines Herrn Willen weiß, und hat nicht nach seinem Willen getan, der wird viele Streiche leiden müssen" (Lk 12:47). Nicht Deutschland und das deutsche Volk soll gerühmt werden. Es soll nicht das Wort gelten: „Am DEUTSCHEN Wesen soll noch die Welt genesen!" Sondern das Evangelium soll gepriesen sein. Das Evangelium war das Gute in Deutschland und ist noch sein Gutes. Um des Evangeliums willen hat Gott unserem Volk während der Zeit des neuen Reiches so freundliche, friedliche Verhältnisse geschaffen und es zu Ehren gebracht.

Der Ausschaltung des Evangeliums galt der Kampf, den die Macht der Finsternis gegen Deutschland entfesselte. Ihr war noch zu viel Evangelium vorhanden innerhalb der Christenheit. Nun sollte das Volk, dem Gott das Evangelium inmitten der Christenheit anvertraut hatte, bis in die Grundfesten erschüttert und vom Evangelium losgelöst werden. Diejenige Macht, die auch äußerlich als Stütze des Evangeliums gelten konnte, das evangelische Kaisertum, sollte beseitigt werden. Deutschland, das bisher ein Fremdkörper im römischen Gefüge Europas war, sollte seiner Kraft und seines Einflusses entkleidet, als dienendes Glied in diesem Neurom eingefügt werden. Die Helfer der Finsternis waren in einträchtigem Zusammenwirken des neuerstandenen Welt- und Ostroms (Frankreich und Russland), sowie eine späte Nachbildung des alten Roms, nämlich Italien. Von England wird später die Rede sein. Ein tiefernstes Wort, das nach dem Weltkrieg auf römischer Seite gefallen ist, dass der eigentlich Besiegte im Weltkrieg Luther gewesen sei, lässt auch in die Gedanken des geistlichen Roms Blicke tun.

Die Ausschaltung der Selbstständigkeit Deutschlands ist gelungen. Es wurde der Politik der Großmächte unterstellt. Die politische Führung des festländischen Europas ist nun in Roms Hände gekommen (Rom hier im politischen Sinn verstanden). Die führende Stellung hat Frankreich inne. Vollendet ist dessen Eintritt in die Stellung des alten Westroms. Zum Ziel gelangt ist seiner Herrscherstellung, die in den Jahren 451 und 732 sich anbahnte, die in der Kaiserkrönung Karls des Großen ihre Fortsetzung fand (der als König des Frankenreichs, nicht als rein deutscher Herrscher zu werten ist), die 1303 am Ausgang des Mittelalters wieder in die Erscheinung trat, die von Napoleon I. und III. zu stolzer Größe erhoben wurde. Keine Macht des festländischen Europa kann sich gegenwärtig an Machtentfaltung neben Frankreich stellen. Es ist der Erbe des alten Rom, auch im stolzen Gefühl seines Ruhms. Aber Ostrom hat sich ebenfalls gemeldet. Zwar brach das alte russische Kaiserreich im Weltkrieg zusammen. Aber im Bolschewismus hat sich ein gelehriger Schüler der französischen Revolution zum Herrscher Russlands gemacht, dessen geistige Wirkung weit über die Grenzen Russlands hinausragt, nicht bloß nach Europa hinein, sondern in die Welt hinein. Und das durch fast 1 1/2 Jahrtausende hindurch politisch zerklüftete, und ohnmächtige Mutterland Roms, Italien, seit 1870 geeinigt, regt sich ebenfalls wieder, und hat seine Herrschaftsansprüche geltend gemacht. So steht das alte, totgeglaubte Rom von neuem da; zwar in verschiedenartiger Gestalt und nicht zu einem Ganzen zusammen geschlossen, und doch einig in der Art.

Der Krieg hat durch einen Zusammenschluss der Völker gezeitigt; den Völkerbund. Nach den ihm zugrunde liegenden Gedanken sollte er ein womöglich alle Völker umfassender Bund sein, also über Europa weit hinausgreifen. Aber die Union ist ihm von vornherein fern geblieben, und es wäre kein Wunder, wenn die außereuropäischen Völker mit der Zeit absplittern würden. Dieser Bund bedeutet noch nicht die Erfüllung von Offb 17:13, wo von den Mächten die Rede ist, die sich künftig dem antichristlichen Weltherrscher zur Verfügung stellen werden. Russland steht auf der Seite. Aber Deutschland ist eingetreten. Schon durch den Ausgang des Krieges ist es politisch ganz ins Getriebe der Weltmacht hineingestellt worden. Nun hat es sich auch mit eigenem Willen in das Ganze eines Bundes gestellt, dessen Kennzeichen man nicht die gegenseitige Treue der Bundesglieder zueinander nennen kann, sondern eher deren Ringen miteinander unter dem Schein der Freundschaft.

Deutschland am Scheideweg

Schmerzlich ist das Sterben der Vielen, oft der Besten, im Krieg; schmerzlich die lange Kette der Demütigungen, durch die das deutsche Volk seit Kriegsende gegangen ist; schmerzlich das Unterstelltsein unter eine Weltpolitik, die der inneren Wahrhaftigkeit entbehrt; schmerzlich auch die Schwierigkeit, bei der Verflochtenheit in das politische Weltgetriebe, die Seele nicht zu verlieren. Das sind die Nöte, die durch den äußeren Druck auferlegt sind. Noch schmerzlicher sind die Veränderungen, die mit der Seele unseres Volkes vorgegangen sind im Gefolge des Weltkriegs. Unwillkürlich fragt man: was ist denn geschehen? Wie kam das alles? Nicht nach der Veränderung der Staatsform ist gefragt, sondern nach den Eingriffen, denen unseres Volkes Seele ausgesetzt ist. Dass wir wie im Taumel kaum mehr zu uns selber kommen, dass die Sorge und der Leichtsinn miteinander uns gepackt haben, dass die Bande der Treue, das Vertrauen, der Liebe, des Respekts, der Zucht weithin gelöst sind, dass das Verlangen nach Befriedigung des sinnlichen Begehrens in jeder Form in so hohem Maße die Schranken nicht bloß des göttlichen Gebots, sondern auch der Sitte durchbricht, dass die Stände aus dem inneren Gleichgewicht kommen, auch der Bauernstand - das sind einige Beobachtungen, die tief bewegen. Wohl wird gesagt, dass jeder verlorene Krieg derartige Erschütterungen des Volkslebens mit sich bringe. Aber beruhigen kann dieser Hinweis nicht. Denn dieser Krieg war besonderer Art. Und ähnliche Verfallserscheinungen des Volkslebens regen sich auch in den Siegerstaaten. Wie soll das alles verstanden werden?

Das ist der Griff des bösen Feindes nach unserer und unseres Volkes Seele. Im Krieg war die Rede vom allgemeinen Angriff, von der Generaloffensive. Eine solche hat auch eingesetzt seitens des alten bösen Feindes, in erster Linie auf das Volk, dem das Evangelium vor andern anvertraut worden ist. Zuerst hat er in der Kriegszeit draußen, und daheim die Stellungen, wie durch Trommelfeuer sturmreif gemacht, und nun dringt er von allen Seiten ein und findet wenig Widerstand. Denn die Hauptstellung der Glaube, das Verankertsein des inneren Menschen in der oberen Welt, diese ist weithin überrannt. Am schmerzlichsten ist der große Angriff des bösen Feindes auf die Jugend. Er weiß, wie wichtig es ist, sie zu haben oder sie wenigstens haltlos zu machen. Denn mit der Jugend hat er das kommenden Geschlecht.

Es handelt sich für die Welt der Finsternis um viel. Deutschland hat eine Art Schlüsselstellung, um des Evangeliums willen. An dieser Stelle des größten Widerstands - diese Bezeichnung wird nur um des Evangeliums willen gebraucht - setzt er seine Hauptstreitkräfte an. Wäre er an dieser Stelle siegreich, dann könnte er zum Sturm auf der ganzen Linie vorgehen. Deutschland ist freilich nicht die einzige Stelle, wo er arbeitet. Eine seiner Hauptkampfstätten ist Russland, wo der Kampf im vollen Gang ist wider das, was in der griechischen Kirche noch an Evangelium vorhanden ist, und gegen das von den Reformationskirchen hinübergekommene Evangelium. Die Christenheit schenkt diesem Ringen, in dem die dortigen Brüder stehen, viel zu wenig Beachtung und widmet ihm zu wenig Fürbitte. Eine andere Kampfstätte ist das Gebiet der römisch-katholischen Kirche, wo es sich darum handelt, ob das in ihre, noch vorhandene Evangelium, sich auf Dauer behaupten kann. Ein anderes Kampfgebiet ist die angelsächsische Welt, wo das Evangelium ringen muss mit der überhand nehmenden Weltfreudigkeit, und mit dem lebhaften Kraftgefühl, damit nicht vergessen werde, dass das Reich Gottes nicht von dieser Welt ist, und dass mit menschlicher Macht nichts getan ist, zumal wenn es sich um Maßnahmen gegen die Mobilmachung des alten, bösen Feindes handelt. Ein anderes Gebiet ist die Welt des Islam, wo ein halb hingemordetes Christenvolk den Kampf um sein christliches Dasein kämpft, und wo versucht wird, das Netz nach der Völkerwelt noch weiter auszuwerfen. Ein weiteres Gebiet ist die noch heidnische Welt, ob sie nun das Elend des Heidentums in glänzender Form auskostet, oder in dumpfem Dahinbrüten; wo das heidnische Wesen, obwohl es am Kreuze überwunden ist, und obwohl es den Ruf zum Reich Gottes vernommen hat, sich von neuem schmücken will, und sich zum Kampf gegen das Evangelium aufmacht.

Die Kirchen im Kampf mit der Geisterwelt

Angesichts dieser Weitschichtigkeit des Kampffeldes mag es fast als eine ungebührliche Vorrangstellung Deutschlands erscheinen, wenn es als die Schlüsselstellung bezeichnet worden ist. Aber es sei wiederholt gesagt, dass damit kein Rühmen des deutschen Wesen beabsichtigt ist. Wer im Brennpunkt des Kampfes steht, und sich des Ernstes der Lage bewusst ist, wird daran nicht stolz, dass auf ihn der Angriff in besonderem Maße gerichtet ist. Es ist übrigens mit dem ausgesprochenen Gedanken nichts Außerordentliches gesagt, sondern nur ein Schluss aus den Tatsachen gezogen worden. Deutschland stand während des Krieges im Mittelpunkt, nicht bloß der europäischen, sondern auch der Weltgeschichte. Dass seine Geltung seit Kriegsende in der Welt gering geworden ist, hebt diese Tatsache nicht auf. Wer nun dem Urteil nicht ausweichen möchte, dass in der Geschichte, zumal der letzten 15 Jahre, trotz der Oberleitung Gottes, der den gegenwärtigen Zeitlauf beherrschende satanische Wille zum Durchbruch bekommen ist, der hat in der Tatsache, dass Deutschland im Mittelpunkt des gewaltigen Geschehens stand, ein deutliches Anzeichen dafür, wem sich die Angriffe des alten, bösen Feindes in gesammelter Form zuwenden. Um Deutschland geht der GEISTERkampf. Deshalb setzt die Macht der Finsternis hier alles in Bewegung, was sich schon irgendwie von ihr hat in Dienst stellen lassen. Um mit aller Vorsicht das biblische Wort aus 2Thes 2 anzuführen: in Deutschland ist noch etwas, was den raschen Sieg der Finsternis aufhält. Diesem Rest wendet sich ihre gesammelte Aufmerksamkeit zu, um ihn so zu bearbeiten, dass seine zurückhaltende Kraft ausgeschaltet wird. Dass das nur eine Teilauslegung des genannten Schriftwortes ist, wird nicht erst gesagt werden müssen; aber die Hineinstellung der deutschen Gegenwart, in das Licht eines wichtigen Schriftworts, kann doch einen Dienst tun.

Der genannte Angriff des bösen Feindes auf Deutschland hat nicht erst in den letzten Jahren begonnen. Schon lange vor dem Krieg hat das Ringen eingesetzt, um die Seele des Volks in der Mitte Europas. Bereits nach dem Krieg von 1870/71 begann bei vielen die Angst um das innere Leben unseres Volks. Sie hat sich zumal seit der Jahrhundertwende gesteigert. Der gewaltige Eindruck des Ungeheuren, das bei Kriegsausbruch unser ahnungsloses Volk ergriff, schien seine Seele zu Gott zurückzuführen, ebenso die Dankbarkeit für die großen Durchhilfen am Anfang des Krieges. Aber der lange Druck stumpfte ab. Eine noch größere Gefahr entstand aus dem Rühmen. Die große Durchhilfe, die Gott schenkte, wurde menschlicher Tüchtigkeit und Organisation zugeschrieben. So bahnte sich der innere Umschwung an. Die letzten Fragen, um die es sich handelt, sind die, behält unser Volk, als Ganzes genommen Gott, oder lässt es ihn fahren und opfert ihn der Verzagtheit oder allerlei Götzen, die doch die Leere des Geistes nie füllen können? Und diese Frage spitzt sich zu in der anderen: behalten wir den Sinn für Jesus, den Heiland und Herrn, und seinen im Evangelium an uns ergehenden Ruf, oder horchen wir auf die vielen lockenden Stimmen aus der Welt und aus der Tiefe, dass wir denen Gehör schenken?

Die Wichtigkeit der Fürbitte

In diese Lage sind die deutschen evangelischen Kirche der Nachkriegszeit hineingestellt worden. Die Verbindung mit dem Staat ist gelöst, wenn auch notwendigerweise Beziehungen zu ihm geblieben sind. Manche Glieder unseres Volks haben zwar das Band, das sie mit Kirche verband, zerschnitten. Es tut uns leid um alle, die ihre kirchliche Heimat selber aufgegeben haben. Mit dem Lösen diese Bandes geht mehr an inneren Werten verloren, als die meisten ahnen. Aber der weitaus größeren Mehrheit nach, haben die Glieder unseres Volkes die Verbindung mit den Kirchen festgehalten, und gehören auf diese Weise sowohl zum staatlich zusammengefassten Volksganzen, als auch zu ihrer Kirche. Deshalb müssen rechtliche und tatsächliche Beziehungen zwischen beiden sein, herüber und hinüber. Das Volksganze bedarf der Kirchen um seiner Seele willen; die Kirchen des Volksganzen, weil sie sonst keinen Leib haben, und weil Wohl und Wehe des Ganzen sie tief berührt. Es ist nötig, dass die Kirchen nicht hinter der Mahnung zurückbleiben, die einst Jeremia dem Teil des Volks zukommen ließ, der vor dem Hauptteil, hatte in die Gefangenschaft nach Babel wandern müssen: "Bemühet euch um die Wohlfahrt des Landes, wohin ich euch in die Gefangenschaft habe führen lassen, und betet für dasselbe zum Herrn; denn auf seiner Wohlfahrt beruht euer eigenes Wohl" (Jer 29:7 bei Menge). Es ist wichtig, dass die entsprechende Mahnung des Paulus von den Kirchen beachtet werde, die auch den Fürbitten und Danksagungen für alle "obrigkeitlichen Personen" (Übersetzung von Menge) eine Stelle im Gemeindegebet anweist, mit der Begründung, dass davon die Führung eines stillen und ruhigen Christenlebens abhänge, und dass solches fürbittende Eintreten dem Willen Gottes entspreche, der auf die Rettung aller hinziele (1Tim 2:1-7).

Fürbitte für Babylon und das heidnische Rom! Die beiden Männer, die solche Mahnung den Glaubenden ans Herz legten, hatten ein enges Gewissen, aber ihr Herz war weit. Die Zeiten, da die Kirchen ihren Glaubens nicht mehr leben dürfen, da auch dem Einzelnen die stille Übung christlichen Lebens erschwert wird, sind noch nicht da. Die Berufung zur segnenden Fürbitte, selbst im Leiden, wird übrigens auch dann nicht aufhören (s. 1Petr 3:9). Vielleicht ist solche Selbsterinnerung nicht unwichtig, damit die Gedanken nicht einseitig rückwärts gehen, sondern sich bestimmt auf die Gegenwart einstellen. Zum willigen Dienst an der Gegenwart mit dankbarem Sinn, hilft gerade der Blick auf das biblische Zukunftsbild mit seinem gewaltigen Ernst. Dieser Zukunft geht es entgegen. Niemand, auch der Glaubende nicht, soll sie aber vor der Zeit herbeiwünschen, sondern soll es dankbar schätzen, dass sie noch nicht da ist, und soll solchen Dank in die Tat umsetzen, auch wenn ihm ob des Vielen, das bereits ins Wanken gekommen ist, das Herz schwer wurde. Jetzt ist Rüstzeit. Wer in der Gegenwart bereits nicht mehr meint stehen zu können, oder der Versuchung des Scheltens erliegt, wird sich in kommenden Zeiten noch schwerer tun, und würde vielleicht die Gegenwart zurückholen, wenn er es noch könnte. Mit dem Wachwerden des Blicks soll auch die Liebe wachsen.

Die erste Nachkriegszeit war für die deutschen Landeskirchen hart. Der Rückhalt am Staat hörte auf. Der Sturm tobte um sie. Es war Gerichtszeit Gottes über unsere evangelischen Kirchen. Es ist gut, wenn die Kirchen sich stets bewusst sind, dass Gottes Gerichtsernst auch ihnen gilt, ja ihnen in erster Linie. Aber Gott hat die Kirchen stehen lassen. Nun sollen sie VOLKSkirchen sein, und sollen es gerne sein um der Liebe willen zu unserem äußerlich und innerlich arm gewordenen Volk, welches das Maß seiner zweifachen Armut noch nicht ganz erfasst, sondern weiterhin dahingeht wie im Fiebertaumel. Es war von den Volkskirchen schon einmal die Rede, als von der Reformation gesprochen wurde (S. 242 ff). Von der Reformationszeit her sind sie übernommen. Nun ist, da es sich um die Gegenwart handelt, noch einmal von ihnen zu sprechen. Unsere Volkskirchen müssen die Liebe und Treue zu unserem Volk mit der klaren Blick- und Willensrichtung auf Jesus, als den erhöhten Herrn der Kirche, verbinden. Unter der erstgenannten Liebe darf die nach oben, und nach vorwärts gerichtete nicht Not leiden.

Um des Evangeliums willen

Zwei Kleinode hat die Volkskirche: das Volk und das Evangelium. Um des ersten Kleinods willen nennen wir sie VOLKSkirche; um des zweiten willen VolksKIRCHE. Der Schwerpunkt liegt auf dem Evangelium; um des Evangeliums willen, aber auch um unseres armen Volkes willen. Denn ohne Evangelium verdirbt es. Nur das Evangelium kann es retten. Darum müssen unsere VOLKSkirchen VolksKIRCHEN bleiben, und es noch viel mehr zu werden suchen mit großem Ernst, mit klarer Richtung auf das Evangelium zu. Tun sie das, dann haben sie, obwohl sie mit der Gemeinde Jesu nicht zusammenfallen können, ein göttlicher Beruf und eine göttliche Verheißung, selbst wenn sie Leiden auf sich nehmen müssen.

Aber die Betonung VOLKSkirche birgt auch eine Gefahr in sich. Gerade weil unsere Kirchen Volkskirchen sein wollen und sollen, kann die Liebe und Sorge eine einseitige Blickrichtung nach der Volksseite erzeugen, die zu einer, über das Maß des Möglichen hinausgehenden, freiwilligen oder ängstlichen Anpassung an die Volksart führt. Unterliegen sie dieser Gefahr, so gehen sie innerlich zurück. Sie können nicht mehr genügend als Licht und Salz wirken, und fallen damit aus ihrem göttlichen Beruf, und unter das göttliche Gericht. Vielleicht könnte eine Kirche auf diese Weise Volksgunst gewinnen; doch dürfte eine evangelische Kirche, die in solcher Weise weltförmig würde, sich auch nicht wundern und beklagen, wenn sie der Geringschätzung anheim fiele und an Einfluss einbüßte. Auf eine weitere Möglichkeit sei noch hingewiesen: eine Kirche, die das Salz, das im Evangelium auch enthalten ist, nicht mehr verwendet, verliert die Widerstandsfähigkeit gegen die römische Kirche; sie würde allmählich reif für die Anlehnung an sie, und für die Rückkehr zu ihr. Auf einen solchen Augenblick wartet Rom. Rom würde die evangelische Kirche mit Freuden aufnehmen. Nicht nur das Evangelium und unser Volk steht vor der Kirche. Rom ist auch nicht weit entfernt. Jedes Wegtreten vom Evangelium führt auf Rom zu.

So wird unsere Kirche zum Evangelium hingetrieben, welche der wahre Schatz der Kirche ist, und welchem die Liebe der Kirche in erster Linie gebührt. Nur mit dem Evangelium ist der inwendige Schutz gegen Rom. Aber es darf nicht verschwiegen werden, dass eine klare Stellung im Evangelium eine ernste Sache ist. Um des Evangeliums willen kann die Kirche zu vielen Dingen nicht schweigen, auch zu solchen, die mit dem Volksleben verwachsen sind, und mit ihm zu verwachsen drohen. Sie kann nicht still sein zur Gottentfremdung unseres Volks, und zu seiner Heilandslosigkeit; sie muss sagen, dass Sünde Sünde ist, und die Sünde der Leute Verderben. Sie darf nicht nur im allgemeinen von Schäden reden, sondern muss - wenn auch in aller Liebe und mit dem Taktgefühl, das Zeit und Ort und Verhältnisse und Aufnahmefähigkeit der Hörer berücksichtigt - einzelne Schäden mit Namen nennen. Vor allem darf sie nicht schmeicheln. Wenn die Kirche zur Liebe auch den Mut der Wahrheit fügt, dann muss sie freilich mit der Möglichkeit rechnen, dass ihr Wort nicht verstanden, oder nicht gerne gehört wird, dass sie als rückständig oder als Spielverderber, als düster und finster empfunden wird, dass bald da, bald dort sich Missmut regt, kurz, dass ihre Beliebtheit, ihre Popularität nachlässt.

Der Weg ist schmal

Aber sie gewinnt dabei innerlich, besonders wenn die erbarmende Liebe festgehalten wird, die Missmut nicht mit kühler Zurückhaltung und Richtgeist beantwortet. Der richtige Weg für die Kirchen ist schmal. Ob er nicht schmäler werden wird, einsamer, angefochtener? Der Blick auf das Schlussbild der Weissagung, lässt auf die Dauer eine freundliche Stellung der Völker zu den am Evangelium festhaltenden Kirchen, nicht erwarten. Die Entwicklung wird wieder zum Anfang der Christenheit zurückführen, unter vielen Schmerzen. Einst, zu Neros Zeit, wurden die Christen beschuldigt, das Menschengeschlecht zu hassen - ihre nach aufwärts und vorwärts gerichtete Haltung wurde nicht verstanden. Wenn die Kirchen des Evangeliums, bei aller Liebe zu ihrem Volk, auf ihren eigentlichen Grund, und ihr eigentliches Ziel sich besinnen, und sich wieder darauf einstellen, dann kann die Gesellschaft auch unserer Tage sie nicht mehr verstehen; die Kirche wird dann mindestens als kulturfremd, wenn nicht als kulturfeindlich empfunden werden. Gott wird den Kirchen des Evangeliums, wenn sie das Evangelium als den eigentlichen Schatz der Kirche hüten, und halten und weitergeben wollen, den Weg des Kreuzes nicht ersparen können. Ihr zahlenmäßig feststellbarer Einfluss wird nachlassen, aber ihre innere Kraft und Reinheit wird wachsen.

Das Ärgernis des Kreuzes

Aus der Gemeinde Jesu ist die Kirche herausgewachsen; die Gemeinde Jesu in ihr war zu allen Zeiten ihr wichtigster Bestandteil und ihr eigentlicher Halt. In sie werden die Kirchen schließlich auf einem langen Weg der Schmerzen ausmünden müssen, wenn sie nicht, und soweit sie nicht unter christlicher Flagge den Bund mit der Welt noch enger machen, aber auf diese Weise schließlich im vollendeten Gegensatz gegen ihren eigentlichen Beruf, zu Werkzeugen in der Hand des Satans werden. Eine des Evangeliums entleerte Kirche kann der alte, böse Feind trotz ihrer christlichen Wappenschilder, oder vielmehr gerade wegen derselben, wohl brauchen. Die Welt will Religion, und wenn sie nur zum Schmuck, zur Dekoration dient. Sie kann es ohne den religiösen Schein nicht aushalten. Nur eines erträgt sie nicht, und wandelt damit auf den Bahnen ihres eigentlichen Herrn, des Fürsten dieser Welt und dieses Zeitlaufs, nämlich das Ärgernis des Kreuzes. Aber soweit eine Kirche sich dieses Ärgernissen entzieht, mag die Welt und ihr Herr auch christliche Worte und Formen wohl haben, wenn nur das Wesen fehlt. Die menschliche Gesellschaft der antichristlichen Zeit wird eine, in ihrer Form fromme, eine "religiöse" Welt sein. Es ist gut, wenn man sich von einer gefühlsmäßigen Frömmigkeit löst. Es ist auch gut, wenn man die neue religiöse Welle, die seit Kriegsende begonnen hat, und die sich in verschiedenen Formen äußert, ernstlich darauf prüft, ob sie mit der Bibel übereinstimmt. Der "starke Irrwahn", den Gott schickt, zumal in der Endzeit, so dass die Lüge Glauben findet, weil der Mensch die Liebe zur Wahrheit nicht hat aufkommen lassen (2Thes 2:10.11), kann sich auch in religiösen Formen äußern.

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5. Das Rätsel der römischen Kirche