Was ist „paulinisches" Evangelium?

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Version vom 1. Dezember 2020, 18:09 Uhr von MI (Diskussion | Beiträge) (Widerspruch von den Nationen)

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Autor: Manfred Mössinger

In Berarbeitung

Was ist „paulinisches" Evangelium?

Evangelium - wie es Paulus offenbart wurde

Die Verkündigung des Evangeliums unseres erhöhten Herrn, wie es vor allem dem Apostel Paulus geoffenbart wurde, ist zu unterscheiden von dem Evangelium, das Jesus während Seiner Erdenzeit verkündigte und den 12 Aposteln anvertraute. Es handelt sich gleichsam um eine zweite Offenbarungsstufe des Evangeliums Jesu Christi. Hier muss ich nun zunächst einigen Missverständnissen entgegentreten, die sich gern einschleichen:

Verkündigern, die diese Unterscheidung beachten, macht man gelegentlich den Vorwurf: Hier wird Paulus verherrlicht und Jesus verdunkelt; Paulus und seiner Botschaft wird größeres theologisches Gewicht beigemessen als Jesus und Seiner Verkündigung auf Erde; man beschäftigt sich mehr mit den Paulusbriefen als mit den Jesusworten der Evangelien. Demgegenüber muss klar herausgestellt werden, dass niemals Paulus gegen Jesus ausgespielt werden kann und dass Worte des Apostels Paulus nicht gegen Worte Jesu Christi stehen. Jesus hat in Seiner Niedrigkeit persönlich zum Volke Israel gesprochen, und derselbe Jesus hat als der erhöhte Christus zum Apostel Paulus gesprochen. Es gibt nicht zweierlei „Jesus Christus“! Es ist nur ein Herr.

Aber es gibt zweierlei Offenbarungsstufen. Wir kennen Jesus in Seiner Niedrigkeit als Messias für Israel, und wir wissen um den erhöhten Christus als Haupt der Gemeinde. Paulus war nicht 40 Tage in der Wüste, um vom Satan versucht zu werden; Paulus hat nicht im Garten Gethsemane gelegen und dort für alle Schöpfung das entscheidende „Ja, Vater“ gesprochen; Paulus hat auch nicht am Kreuz von Golgatha gehangen und die Sünde der ganzen Welt getragen, noch ist er am dritten Tage von den Toten auferstanden und dann gen Himmel gefahren. Das alles kann nur von Jesus gesagt werden.

Und auch in den Briefen des Paulus geht es immer und überall um Jesus Christus. Christus ist das Ziel, die Mitte und der Inhalt seiner Botschaft. Paulus kannte nur einen einzigen Ruhm, nämlich das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus (Gal 6:14).

Aber ebenso ist es Tatsache, dass das Evangelium von Jesus Christus durch die Offenbarung des erhöhten Christus an Paulus einen entscheidende Weiterentwicklung erfahren hat. Mit Paulus ist ein neuer Haushalt Gottes eröffnet worden, die „Haushaltung“ oder „Verwaltung der Gnade Gottes“ (Eph 3:2.9. Elbf. Ü.). Darum ist das von Paulus verkündigte Evangelium ein ganz besonderes Evangelium. Es ist nicht nach Menschenart, keine menschliche Leistung fällt hier ins Gewicht, es herrscht die absolute, vollkommene Gnade. Paulus hat es von keinem Menschen empfangen noch gelernt - weder von Petrus noch Johannes noch Jakobus - sondern durch direkte Offenbarung des erhöhten Christus (Gal 1:11-12)

Bei Paulus haben wir eine Weite der Gottesgedanken, eine Schau der Heilsgeschichte Gottes von den Ursprüngen bis in die letzten Ziele hinein, wie sie sonst nirgends dargestellt ist. Ausmaß und Fülle seines Evangeliums sind einzigartig und vorher nie so gehört worden. Wenn er sagt, er habe das von ihm verkündigte Evangelium durch Offenbarung Jesu Christi empfangen, dann schließt das jede menschliche Vermittlung aus, es ist auch nicht Resultat eigener Überlegungen, obwohl Paulus ein scharfer Denker war. Sein Evangelium ist reines Gnadengeschenk.

Widerspruch von den Juden

Noch einmal möchte ich betonen: Nicht Paulus ist der Inhalt seines Evangeliums, das er im besonderen zu verkündigen hat, sondern immer nur Jesus Christus in Seiner ganzen Fülle. Diesem Evangelium wurde von Anfang an von verschiedenen Seiten her widersprochen. Wohl der schärfste Widerspruch begegnete ihm von Seiten der Juden; denn Paulus hat den Weg des Gesetzes als Heilsweg und Heilungsweg völlig ausgeschaltet. Er hat die Überlieferung des Rabbinats außer Kraft gesetzt. Lehre und Leben werden in der Gesinnung Jesu Christi begründet und nicht im Buchstaben des Gesetzes oder in den Aufsätzen der Ältesten. Er hat ein ganz neues Verständnis von Opfer und Tempel gebracht und damit den Kult Israels mit dem Opferdienst im Tempel außer Kraft gesetzt.

Schließlich ist ihm auch durch ein besondere Offenbarung gezeigt worden, dass nicht Israel als Ganzes zu erst errettet wird, sondern dass Gott dieses Volk auf die Seite setzt und zeitweilig verstockt, um zuerst eine Gemeinde aus allen Nationen und aus einem Überrest Israels herauszurufen und herauszuretten. Erst nach Vollendung dieser Gemeinde wird das Volk Israel wieder seine Heilsbedeutung gewinnen. Nicht zuletzt wurde das von Paulus verkündigte Evangelium von den Juden auch deswegen abgelehnt, weil die Botschaft vom Kreuz jede Religion, jede Religiösität, jedes eigene menschliche Handeln, das dem Heil oder der Heiligung des Menschen dienen soll, konsequent in den Tod führt. Vielmehr ist gerade der verfluchte, ausgestoßene, am Schandpfahl sterbende Jesus Christus das Heil der ganzen Welt, allerdings nicht für leistungsstolze religiöse Menschen, sondern für verlorene Sünder.

Auch ein großer Teil der Judenchristen lehnte Paulus und seine Botschaft ab. Denn Paulus hat die Beschneidung als Zeichen der Zugehörigkeit zum neuen Bundesvolk für die Heidenchristen zurückgewiesen und statt dessen die „Beschneidung des Herzens“ gefordert (Röm 2:28-29). Viele Judenchristen eiferten damals für das Gesetz für den wahren Heiligungsweg, auf dem auch der Christ wandeln und Gott gefallen soll. Paulus hatte in Galatien und schließlich in Jerusalem schwere Auseinandersetzungen mit ihnen zu führen. Auch Apg 21 und Apg 22 müssen wir wohl annehmen, dass auch Judenchristen an der Verhaftung und Überführung des Paulus in die Hände der Römer beteiligt waren.

Widerspruch von den Nationen

Es konnte nicht ausbleiben, dass Paulus auch von den Nationen (den „Heiden“) abgelehnt wurde, und zwar deshalb, weil er in seiner Botschaft vom Kreuz die Torheit der Weltweisheit ganz deutlich aufdeckte (1Kor 1:20-25; 1Kor 2:6-16). Diese Weltweisheit hatte nicht zur Erlösung der Menschen geführt. Außerdem hatte Paulus die Herrschaft der Mächtigen dieser Erde unmittelbar angegriffen, indem er Jesus als den HERRN (kyrios) und HEILAND (sootär) aller Welt ausgerufen hatte (Phil 2:10-11; Phil 3:20-21). Wer sich mit dem Evangelium, das Paulus verkündigte, einsmacht, es wirklich übernimmt, muss bis auf den heutigen Tag mit Ablehnung rechen. Immer noch gilt, was in Apg 28:22 gesagt ist: Diesem Evangelium wird widersprochen in der ganzen Welt. Es wird gut sein, wenn wir die Botschaft des Apostels Paulus von seiner Christusbezeugung vor Damaskus her zu verstehen suchen. Sie dürfte etwa im Jahre 34 n. Chr. stattgefunden haben und eine kirchengeschichtliche und heilsgeschichtliche Bedeutung.

Berufung zum Dienst

Der gelehrte Rabbiner, der leidenschaftliche, fanatische Pharisäer, der reinrassige Jude, der die jüdische Religion wie kaum ein anderer in sich verkörperte, wird von Jesus Christus als Sein besonderes Werkzeug aus den früheren Verhältnissen herausgeholt und zum Dienst berufen. Das war gleichsam ein Attentat Christi im Hauptquartier des Rabbinats, und die Zentrale in Jerusalem stand Kopf. Hatte ihn vorher das Gesetz zu einem Antichristen in seiner Blindheit gemacht, so musste er fortan ebenso entschieden gegen das Gesetz als Heilsweg und Heiligungsweg Stellung nehmen. Jesus Christus hatte gründlich in ihm abgerechnet mit seiner früheren Religion, mit diesem fleischlich religiösen Weg, Gott zu gefallen. Durch Paulus wurde es nun möglich, die Botschaft des Evangeliums von Jesus Christus aus der rein jüdischen Umklammerung zu lösen und in die Weite der Nationenwelt und zu den vorgesehenen göttlich-heilsgeschichtlichen Zielen zu führen. Ohne diesen Durchbruch wäre es nie zu einer Nationengemeinde gekommen, zur Bildung eines Leibes Jesu Christi, das Christentum wäre ein jüdische Sekte geblieben und im 3. oder 4. Jahrhundert n. Chr. von der Bildfläche verschwunden, denn das starre Festhalten der Judenchristen am jüdischen Gesetz erlaubte nie eine Erweiterung in den Raum der Nationenwelt hinei

Aufgrund seiner Christusbegegnung kann Paulus sich als ein „Vorbild“ der Gläubigen bezeichnen (hypotypoosis = Muster, prägendes Vorbild; 1Tim 1:16). An ihm hat Jesus Christus Seine ganze Langmut zur Schau gestellt. Denn gerade dieser Mann, der Seiner Gemeinde in ganz außergewöhnlichem Maße Schaden zufügte, sollte zum Sonderapostel Jesu Christi und Verkündiger der größten und herrlichsten Wahrheiten des Evangeliums werden. Er musste erfahren, dass sein bisheriges Leben im Lichte Gottes völlig verkehrt war (Apg 9; Apg 22; Apg 26). Er hätte nach der Heiligkeit Gottes den sofortigen Tod verdient gehabt. Darum wird er nach seiner Bekehrung immer wieder ins Staunen und in die Anbetung darüber getrieben, dass er Gottes Gerechtigkeit als Begnadigung erfahren darf, ja dass Gott ihn sogar in Seinen Dienst stellt. er weiß sich nun aus Gnade, allein aus Gnade gerettet. Wenn es um die totale Gnade Gottes geht, ist der Apostel Paulus wahrhaftig das einzigartige Präge-Vorbild für alle, die heute, im Haushalt der Gemeinde Jesu Christi, gläubig werden.

Inhalt des paulinischen Evangeliums

Ich möchte nun auf den besonderen Inhalt des paulinischen Evangeliums eingehen und ein Achtfaches nennen:

  1. die Lehre vom Heiligen Geist;
  2. die Lehre vom Sohne Gottes;
  3. die Botschaft vom Leib des Christus;
  4. die Schau von der Versöhnung;
  5. das Evangelium von der totalen Gnade;
  6. die Lehre von der Gerechtigkeit Gottes;
  7. die heilgeschichtlich-prophetische Schau über Israel;
  8. die besondere Erwartung der Leibesgemeinde.

1. Paulus predigt eine neue Gegenwart und Wirklichkeit Gottes, und zwar im Heiligen Geist. Das paulinische Evangelium offenbart ein neue göttliches Prinzip: die Erfahrung des Heiligen Geistes - und durch ihn des Vaters und des Sohnes. Der Heilige Geist ist die messianische Endzeit-Gabe Gottes. Das neue Leben eines jeden Christen ist möglich und geschieht im Heiligen Geist. In diesem Geist (als Lehre und Tatsache) liegt der Schlüssel zu allen theologischen Erkenntnisse, Einsichten und Aussagen des Paulus. Hatte die judenchristliche Gemeinde, was das Apostelamt betrifft, noch das historisch-traditionielle Autoritätsprinzip, so stellt Paulus dem ein neues Prinzip entgegen: die Erfahrung des Geistes des erhöhten Christus als Quelle aller christlichen Erkenntnis und Beauftragung. Während sich die Urapostel auf den geschichtlich-irdischen Christus berufen, weiß sich Paulus vom übergeschichtlich-pneumatischen Christus ausgesandt. So hat er es selbst in seiner Bekehrungsstunde erlebt, als er mit dem Heiligen Geist erfüllt wurde (Apg 9:17). Genau das hat ihm vorher gefehlt. Wenn er ihn hier empfangen hat, dann konnte er ihn vorher als jüdischer Rabbiner noch nicht gehabt haben. Nun aber hat er die Geistesgegenwart als Gegenwart des erhöhten Christus und des lebendigen Gottes erfahren.