Welt- und Heilsgeschichte zur Zeit des anderen Gesetzes

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Abschrift des Heftes: Die Gemeinde Jesu Christi
in ihrer Bedeutung für Himmel, Erde, Zeit, Ewigkeit
Friedrich Malessa, Samplatten (Ostpr.)

Paulus Verlag Stuttgart

Siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

II. Welt- und Heilsgeschichte der Ekklesia

5. Welt- und Heilsgeschichte zur Zeit des anderen Gesetzes

In weltgeschichtlicher Hinsicht hat uns die Welt vor neue, sehr beachtenswerte Geschehnisse gestellt, die wir mit dem Wort Reaktion kennzeichnen können. Bis Babel bestand im Bestreben der Menschen die Tendenz der Zentralisation, welche die Menschvergottung zum Ziele hatte. Dieses Vorhaben ist freilich eine Utopie; denn es gibt leider nicht nur einen Menschen, der den Götterstand erreichen will. Wenn dann die „Götter“ sich begegnen, dann gibt’s Kampf, Verwirrung! Das trat nach Babel ein.

Zu Abrahams Zeit war in seinem Wohngebiet fast jedes Dorf ein Königreich. Die Königreiche schossen wie Pilze aus der Erde, denn sie mussten der Ichsucht der vielen Herrscher Genüge leisten. Das waren Zeiten gründlicher Dezentralisatiion.

Das hatte wiederum zur Folge, dass die „Könige“ im ständigen Konflikt miteinander lagen. Zeiten solcher Königreiche sind Notzeiten ersten Ranges. In ihnen werden wiederum Reaktionsgelüste wach. - Zentralisation wird, wie wir noch sehen werden, die Dezentralisation ablösen.

Hier stehen wir in der Zeit der Dezentralisation. Es ist die Zeit der kleinen Herrscher; - und sie herrschen! Jeder Miniaturherrscher versucht seine Grenzen zu weiten; selbstverständlich auf Kosten des Nachbarherrschers. Raub und Vergewaltigung sind Lebensrechte. Wo dann noch Einsicht vorhanden ist, sucht man Schutz in Bündnissen. Bundespolitik ist immer die Folge einer Räuberpolitik. So beschreibt uns 1Mo 14 die Zeit des Raub- und Protekoratswesens.

Unter solchen Verhältnissen kommen kleine Volksgruppen (Minderheiten) in große Bedrängnisse. Um nicht fortgesetzt die Überfallbeute anderer zu werden, bleibt ihnen nur die Zuflucht zu größeren, loyal gearteten Volksgruppen übrig. Sie unterstellen sich der Oberhoheit, somit dem Schutz eines größeren Herrschers. Das taten Abrahams Nachkommen. Obwohl da noch andere Verhältnisse mitsprachen, fiel es weltgeschichtlich doch so aus, dass Jakob mit seinem ganzen Hause sich unter die Fittiche der starken Ägypter flüchtete, um in der Provinz Gosen unter Gunst und viel Wohlwollen der Pharaonen zu wohnen.

Es blieb aber dieses Verhältnis nicht von ewiger Dauer. Reaktion ist das Naturgesetz dieser Welt. Der Rhythmus des Weltgeschehens hat auch die stark vermehrten Nachkommen Jakobs erfasst. Das wird verständlich, wenn man bedenkt, dass die Ägypter nicht nur im Nährstand, sondern auch im Wehrstand lebten. Es hat darum das ägyptische Volk in der Entwicklung kaum Schritt halten können mit einem Volk, das nur im Nährstand lebte. Und wenn schon die Entwicklung die gleiche war, so musste doch der Augenblick kommen, wo das Gastvolk den Lebensraum räumen durfte.

Hierbei ergaben sich mancherlei reaktionäre Verhältnisse. Das Wohlwollen, das Israel in Ägypten zuerst genoss, veränderte sich in Missfallen. Das Gastrecht wurde geändert in die Dienstpflicht. Aus dem Wohnrecht zur Eigenständigkeit wurde eine Wohnpflicht zur Staatserhaltung.

Israels Auszug aus Ägypten

So musste der „Auszug der Kinder Israel“ erfolgen, da ein Volk die Volkspflichten nicht erfüllen kann, sofern ihm die Volksrechte entzogen werden. Pflichten bedingen Rechte, und umgekehrt. Wo eins entbehrt werden muss, hat das andere keine Existenzberechtigung.

Der Auszug erfolgte dramatisch. Ägypten hat Naturereignisse erlebt, die unerträglich wurden. Auch das musste eintreffen, denn wo ein Volk dem anderen die Existenzmöglichkeit nimmt, und es dennoch zum Frondienst am Leben erhält, tritt unweigerlich der Augenblick ein, in dem das versklavte Volk die Fesseln gelöst erhält. Dass bei dem Brechen der Fesseln Israel sich ganz passiv verhielt, baucht hier bei der weltgeschichtlichen Schau nur vermerkt zu werden. Allen Auslegungen wird es nicht gelingen, die Tatsache zu beseitigen, dass höhere Gewalten die Pharaonenherrschaft zerbrochen haben, und nicht Israel.

Dramatisch war auch die Wanderung des israelitischen Volkes nach Kanaan. Vierzig Jahre hat es gebraucht, um eine verhältnismäßig kurze Strecke zurückzulegen. Was man dafür für Gründe anführen mag, ob die Unentschlossenheit des Volkes, oder die unzulängliche Führung, oder das Entgegentreten anderer Völker, immer stehen wir vor der Tatsache: Israel hat schwere Strafen hinnehmen müssen wegen grober religiöser Verfehlungen.

In Kanaan wird Israel sesshaft und eigenständig. In der ersten Zeit behält das Volk die Eigenart in jeder Hinsicht. Doch nur zu bald entlehnte es von den Nachbarvölkern vorerst die politische Form. Es ist nicht mehr zufrieden mit Führern und Regenten, die ihm „gegeben“ werden, es will Könige nach „eigener Wahl“. Damit hat Israel nicht nur politisch sich der Umwelt angepasst, sondern auch kulturell. Es nahm das Umweltwesen in jeder Hinsicht an.

Dem zufolge blieb es nicht aus, dass das Auf und Nieder im Staatsleben sich bei Israel in gleicher Weise zeigte. Könige kamen und gingen, herrschten und kämpften, siegten und wurden besiegt, ganz wie es in der übrigen Welt auch war. Weltgeschichtlich gesehen bestand in Spätisrael „nichts Neues“.

Israel und das Reich

Die Heilsgeschichte dieser Zeit hat eine Prägung, die mit besonderer Sorgfalt erschaut werden muss, die aber auf der Linie der Ekklesia unschwer erkannt werden kann.

Zur besonderen Beachtung sei noch bemerkt, dass der vorauseilende Schatten der Reichsekklesia in dieser Zeit in besonderer Weise ersichtlich wird. Von der vorgeschatteten Reichsekklesia sind dann leicht die Linien zu ziehen zu der wesenhaften Reichsekklesia, die einst ohne Makel herausgestellt wird.

Wir vergegenwärtigen uns noch einmal die Tatsache, dass Israel als Volk auf die Reichslinie gestellt ist. Im Volke Israel lebt das Bewusstsein und der Wille zum Reich! Fraglos ist das ein Reich, das Universalbedeutung hat. Israel erwartet als Volksgemeinde das Weltreich (freilich das Heils-Weltreich), das ihm auch von Gott verheißen ist.

Dass sich bei dieser sonderbaren Daseinsbestimmung Israels auch ein eigenartiger Volks- und Reichscharakter ausbildet, ist selbstverständlich. Die passionellen Züge, der Wille zur Weltentbehrung und Weltentsagung, die persönliche Abgeschiedenheit und Abgeschlossenheit der früheren Glaubensmänner wird folgerichtig abgelöst von dem generellen Willen, von dem universalen Lebensanspruch, von der majestätischen Daseinsforderung, von dem völkerumfassenden Herrschaftsrecht. Dieses Gepräge des Volkes Israel kommt nicht aus einem verwerflichen Eigenwillen, der sich in eigennützigen und wahnwitzigen Herrschaftsgelüsten kundtun, sondern es ist das der Wille Gottes, der sich heilsmäßig durch dieses Volk der Welt offenbart. Es soll ein Heilsregieren werden, und nicht eine Tyrannei. Israel soll ein theokratischer Volksstaat werden!

Weil Israel mit der universellen Reichsbestimmung auf die Reichslinie gestellt ist, muss es auch reichsmäßig, d. h. völkisch erzogen und herangebildet werden. Israel wird darum auf gottgegebene Veranlassung nach Ägypten geführt, um bei dem in jeder Hinsicht hochstehenden Volk für seine Heilsmission geprägt zu werden. Freilich soll das ägyptische Wesen nur zur Bildung dienen, und ja nicht zur Aneignung. Israel bleibt darum abgesondert im Lande Gosen.

Als dann Israel in der großen Gefahr steht, das ägyptische Wesen in sich aufzunehmen, hat es wiederum auf göttliche Veranlassung eine Isolierung hinnehmen müssen, die nicht wenig das Volk in die Enge trieb. Mit der Bedrückung Israels in Ägypten wollte Gott gewiss zweierlei erreichen: 1. Bewahrung in der Volkseigenart, 2. Vor- und Zubereitung für den Auszug aus Ägypten, um bestimmungsgemäß das Reich zu empfangen.

Ein Volk braucht Lebensraum

Weiter ist zu beachten: Das Volk braucht Lebensraum. Ein Volk mit solcher Bestimmung benötigt für seine Entwicklung ein Land, das für ein gutes Gedeihen alles Notwendige enthält. Israel empfängt darum in Ägypten die fette Provinz Gosen, um hernach das schon lange verheißene Land zu empfangen, in dem „Milch und Honig fließt“. Israel erhält „Kanaan“!

Ehe es Kanaan erlangt, um da als Volk das „Reichsregiment“ anzutreten, muss es Volks- und Reichsgesetze empfangen. Das „Reich“ benötigt eine „Reichsverfassung“. Sinai ist darum für die Volks- und Reichsbestimmung Israels von grundlegender und unausbleiblicher Bedeutung! - Wer die Gesetzgebung von Sinai nicht in diesem Blickfeld schaut, versteht sie überhaupt nicht und wird sie darum immer falsch bewerten. Das „Evangelium“ von Sinai ist „Reichs-Evangelium“ und trägt Reichscharakter und ist in erster Linie bestimmt für das Reichs-'Volk!’

Zu beachten ist, dass das Gesetz von Sinai zweifache Bedeutung hat, nämlich zeitliche und überzeitliche, oder gegenwärtige und zukünftige. Die zeitliche Bedeutung ist einleuchtend. Die zeitliche und überzeitliche, oder gegenwärtige und zukünftige. Die zeitliche Bedeutung ist einleuchtend: Das Volk braucht ein Volksgesetz! Welches ist aber die zukünftige Bedeutung? Besteht sie überhaupt? Ja! Paulus sagt: „Das Gesetz ist ein Zuchtmeister auf Christus.“ Warum das? Weil Christus der König dieses Volkes und dieses Reiches sein wird! Christus ist nicht nur der Vollführer, sondern auch der Vollstrecker des Gesetzes!

Eine weitere Erklärung ist: Ein Volk braucht einen König. - (Schade, dass Israel nicht Gott zum König gewählt hat (1Sam 8:4-9), es wäre vor allen Irrtümern bewahrt geblieben). Das Volk Israel erhält einen König mit der ganzen Königsautorität!

Weiter ist zu berücksichtigen, dass ein Volk mit einem König auch eine Königs- und Königsreichsresidenz benötigt; das ist Jerusalem. (Bei der prophetischen Bewertung denke man an „Zion“.) Durch diese Königsstadt ist eine Zentrale aufgerichtet, an die sich das Volk gebunden weiß und von ihr immer wieder neu orientiert wird.

Leider trafen auch immer noch Verwirrungen ein, die das Reichsvolk in seiner Entwicklung nicht nur hemmten, sondern es zeitweise ganz lahm legten. Wir haben bisher alle Abwege Israels absichtlich übersehen, um sie an einer gegebenen Stelle besonders anzudeuten. Das ist es ja eben, was das Schattenwesen des Reiches in dieser Zeit ausmacht, dass Israel unter so vielen Verirrungen litt. Das Reich hat noch nicht aus dem Schattenhaften ins Wesenhafte übergehen können, weil die Sünde immer noch das Reichswesen unwesentlich gemacht hat. Anders gesagt: Das Gegenständliche wurde durch die Sünde aufgehalten, und gezeigt hat sich nur der vorauseilende Schatten. Es mussten darum immer wieder Gottessprecher (= Propheten) auftreten, und eine mehr oder weniger große Reformation durchführen. Zu beachten ist aber, dass das Wort der Propheten schlechthin eine Volks- und Reichsbotschaft ist, die immer das Zielmäßige: Volk und Reich im Blickfeld hat.

Für die in diesem Kapitel behandelte Zeit hat sich allerdings der Himmel durch das gottlose Wesen so verdunkelt, dass auch die Schattenumrisse von der wesenhaften Reichsgemeinde kaum festzustellen sind. Die Konturen des Schattens schwinden so weit, dass es großer Aufmerksamkeit bedarf, sie überhaupt noch festzustellen. Ohne Bild gesprochen: Die Reichsgemeinde wird noch so armselig, dass man sie kaum auffinden kann. Sie besteht zur Hauptsache nur noch in der Prophetenbotschaft und in der Hoffnung. Davon im nächsten Kapitel.

Merksatz: Die Reichsgemeinde, die in dieser Zeit ihre Vorschattung hat, muss naturgemäß Volk sein, muss als Volk ein Reich haben, Volks- und Reichsgesetze, König, Residenz, Kult, Herrschaft, Machtwille usw. - Wie wunderbar wird erst die Reichsgemeinde sein, wenn sie vom Schattenhaften ins Wesenhafte eingeht!

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6. Welt- und Heilsgeschichte zur Zeit der vier Weltreiche