Die Frage nach der Herkunft des Menschen

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Abschrift des Heftes: Der erste Mensch und seine göttliche Würde
Julius Beck (1887-1962)

Aus der Reihe: Vätererbe Bd. I (1962)
Verlag Ernst Franz Metzingen, Württ.

Siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

Der erste Mensch und seine göttliche Würde

Die Erörterung über das Menschenproblem ist neu angeregt worden durch das Buch von Dr. P. Müller: Bibel und Naturwissenschaft; sowie durch das Büchlein von Prof. Dr. v. Huene: Die Erschaffung des Menschen. Es ist fraglich, ob sich, auch unter Bibelgläubigen, ein gemeinsames Verständnis dieser Frage erreichen lässt. Jedenfalls wird der wissenschaftlich beeinflusste Denker schwerer tun, sich dem Bericht der Bibel ohne Einwendungen und Einschränkungen anzuschließen, als der naiv Glaubende. Diesem dagegen fällt es schwer, sich in die Denkweise der Wissenschaft hineinzufinden. Es gibt ein Denken aus Glauben und ein Denken aus Wissen; ihre Quellen sind verschieden.

Der Bibelgläubige kann eine Priorität der Wissenschaft gegenüber der Bibel nicht anerkennen; auch nicht einer Deutung oder Umdeutung der Bibel, um eine Annäherung der beiden Standpunkte zu erreichen im Sinne einer Harmonie zwischen Bibel und Wissenschaft. Es bedarf einer solchen Angleichung nicht, etwa um die Wahrheit der Bibel zu erhärten. Das Sonnenlicht des göttlichen Wortes bedarf des Laternenlichtes der menschlichen Erkenntnis nicht, um als wahr erwiesen zu werden. Es wird für den Bibelgläubigen immer dabei bleiben müssen, seine Vernunft dem Gehorsam des Glaubens unterzuordnen, was noch keineswegs ein sacrificium intellectus bedeuten muss. Die Denkkategorien des Wortes und Geistes Gottes sind eben ungleich höhere als die des Menschengeistes.

1. Die Frage nach der Herkunft des Menschen

Dies trifft auch zu im Blick auf die Frage der Erschaffung bzw. der Herkunft des Menschen. Der Wissenschaftler möchte seine geologischen Kenntnisse, insbesondere die paläontologischen Funde, als Grundlage für die Lösung des Problems angesehen wissen. Der Glaube empfindet hier Hemmungen. Skelette und Knochen können ihn im Blick auf göttliche Fragen und Tatsachen nicht überzeugen, so überzeugend diese Funde für wissenschaftliche Tatsachen sein mögen. Die Wissenschaft lebt in der Welt des Diesseits; der Glaube in der göttlichen Welt. Ihn kann nur ein aus der Region des Göttlichen stammendes Licht überzeugen. Hier liegt auch der Grund dafür, warum die – meist im Glauben noch schwache – Jugend durch wissenschaftliche Beweise wohl überzeugt werden mag, nicht aber der gereifte Glaube.

Im Blick auf das Menschenproblem scheinen sich immer deutlicher zwei sich widersprechende Linien herauszugestalten. Die eine betont in erster Linie die körperliche Seite des Menschen; der andern, biblischen Anschauung ist der Mensch in erster Linie ein Geistwesen; seine Leiblichkeit wird nur sekundär gewertet. Die Wissenschaft glaubt das Problem über die Herkunft des Menschen gelöst zu haben, wenn sie eine möglichst lückenlose Kette von Skelettteilen vorlegen kann, die die nahe körperliche Verwandtschaft zwischen Tier und Mensch dartun. Und sie findet immer wieder neu das „letzte Schlussglied“! Ob sie tatsächlich an die Beweiskraft dieser Funde glaubt – in dem Sinne, damit die Herkunft des Menschen beweisen zu können, möge dahingestellt sein. Je mehr sie es aber tut, umso mehr ist ihr der Mensch in erster Linie ein nur körperlich orientiertes Wesen, das sich allmählich über das Tier erhebt und zum Geisteswesen, zum Homo sapiens, wird. Es ist der heute vorfindliche Mensch, welcher aber, gemessen am Bilde Gottes, einer höheren Betrachtungsweise lediglich als Ruine eines wahren Menschen – erscheint. Denn es ist der Mensch in seiner Tiersähnlichkeit, die damit geflissentlich betont wird, wodurch freilich das Bewusstsein unserer Menschenwürde nicht sonderlich erhöht wird.

Die Sichtweise des Glaubens

Umgekehrt sieht der Glaube aufgrund der Schrift den Menschen in erster Linie als Geistwesen – in seiner Gottähnlichkeit. Ihm ist der Geist nicht nur das primäre, sondern das entscheidende Merkmal der Gattung „Mensch“ – in bewusster Sonderung vom Tier. Zu seiner tierähnlichen Körperlichkeit kommt der Mensch in biblischer Schau erst durch den Sündenfall, diese größte Katastrophe in der Entwicklung des Menschengeschlechts. Dabei wird der von Gott herkommende Mensch geistig sowohl als körperlich degradiert. Der Tierleib ist mit ein Zeichen dieser Degradierung. Da die Schrift – im Blick aufs Ganze – wesentlich den Ratschluss Gottes enthält, den Menschen aus dieser durch den Fall erworbenen Tiers- (und Teufels-) Ähnlichkeit wieder zur Gottähnlichkeit emporzuführen, muss die zweite Sicht, die den ersten Menschen als ein Geistwesen erkennt, als die richtige bezeichnet werden. Nicht ein bis zu einer gewissen Kulturstufe emporgewachsener Mensch wird durch den Fall um einige Grade in seiner Entwicklung zurückgeworfen; sondern der gottähnliche Mensch verliert vorläufig nach göttlichem Recht weithin diese Gottähnlichkeit – und erscheint äußerlich im Gewand des Tieres. Es ist unstatthaft, auf die – mehr zufällige – Tatsache dieses tierischen Gewandes des Menschen Theorien über seine Abstammung vom Tier aufzubauen, auch wenn gewisse Skelettteile sich entwicklungsmäßig schön aneinanderreihen lassen.

Kompromisse aber müssen die klare Sicht sowohl bei der einen als bei der andern Schau stören. Übrigens sei auf die Analogie Jesu hingewiesen: Er verlor seine Göttlichkeit keineswegs, auch wenn Er im Gewand des Menschen, sogar des gefallenen Menschen, erschien. So blieb auch dem Menschen seine anerschaffene Würde wenigstens rudimentär erhalten; sie kann durch göttliches Eingreifen jederzeit wieder erneuert werden.

Dem Glauben ist es eigen, Dinge zu „schauen“, die wissenschaftlich nicht bewiesen werden können, die für ihn aber doch überzeugend und wahr sind. Der Glaube lebt in einer höheren Psyche – und gehört selbst einer höheren Welt an. In dieser höheren Welt gelten andere Beweisgründe als in der niederen, sichtbaren, der wir nach unserer Leiblichkeit zugehören. Dieser Umstand wird häufig viel zu wenig beachtet; sonst würde man nicht versuchen, göttliche Tatsachen mit Argumenten zu beweisen, die dem irdischen Raum angehören. Viel eher muss gesagt werden, dass göttliche Wahrheiten, die „wissenschaftlich“ bewiesen werden, bereits ihren göttlichen Charakter eingebüßt haben. Der Mensch hat sie in seine Denkebene heruntergezogen. So kann man etwa die Geburt Gottes als Mensch wissenschaftlich weder bestreiten noch beweisen. Solch ein Beweis wäre ein hölzernes Schüreisen. Wir verzichten darauf. Dagegen verzichten wir nicht auf die Glaubensüberzeugung, die eine Wirkung des Geistes Gottes im Menschen ist. Der wahre Glaube hat sein Licht in sich selbst; dies ist kein Vernunftlicht, sondern göttliche Erleuchtung. Davon lebt er und darauf gründet er sich, nicht auf menschliche Beweisführung. –

Gegenüberstellung: Wissenschaft und Glaube

Bei einer Gegenüberstellung von wissenschaftlicher Erkenntnis und glaubensmäßiger Auffassung der Herkunft des Menschen fällt bedeutsam ins Gewicht, dass es der wissenschaftlichen Beweisführung wesentlich darauf ankommt, in körperlichen Eigenschaften das Wesen des Menschen zu sehen. Schließen die Knochenfunde möglichst nahe aneinander, so sieht die Wissenschaft eben darin einen zwingenden Beweis für die Abstammung des Menschen – von unten her! Denn sie kennt nur eine Entwicklung von unten nach oben.

Die glaubensmäßige Erkenntnis weiß – nach der Schrift – von einer katastrophalen Entwicklung des Menschen von oben nach unten und sieht in der Körperbeschaffenheit des – tierisch gewordenen – Menschen eine vorläufige Endentwicklung des Sündenfalles. Es ist also einleuchtend, dass man im Blick auf den Körper des Menschen jederzeit dessen tierische Abstammung hervorheben kann; wie man auf der anderen Seite den Geist des Menschen als sein Wesensmerkmal betonen, und damit seinen göttlichen Ursprung nachweisen kann. Denn beide, der Körper sowohl als der Geist, kommen aus den Händen des Schöpfers. Wer aber allzu viel Gewicht auf die tierähnliche Körperlichkeit des Menschen legt, dem sei die Tatsache nahegelegt, dass nach göttlichem Entwicklungs- und Erlösungsplan der Mensch diesen provisorischen Körper im Tod ablegt und – als nicht eigentlich zu seinem Wesen gehörig – in Schanden lässt. In der Auferstehung aber soll ihm ein ganz neuer Leib, übrigens ein Geistleib, gegeben werden, ein Argument mehr für die Behauptung, dass das Wesen des Menschen in seiner Geistesstruktur liegt. Nämlich: dem noch in der Sünde liegenden Menschen – der Tierleib; dem in den Geist erhobenen erlösten Menschen - der Geistleib!

Schließlich kommt sehr wenig darauf an, was wir Menschen von uns selbst und von unserem Ursprung hatten; Gottes Absicht und Ziel bei der Schaffung des Menschen muss für uns verbindlich sein. Diesen Rat Gottes aber enthält das Wort Gottes. Man wird gut daran tun, dieses Wort zu seinem vollen Recht kommen zu lassen, um die Wahrheit über den Menschen kennenzulernen. Freilich: Nur wer aus Gott ist, hört auch Gottes Wort!

Der erste Mensch und seine göttliche Würde

nach dem Gesicht in Hesekiel 1
Um eine biblische Vorstellung von Begriff „Ebenbild Gottes“ zu gewinnen, muss man die Erscheinung der Herrlichkeit des Herrn „über den Cherubim“, wohl eine reale Erscheinung dessen, den das Wort Gottes den „eingeborenen Sohn Gottes“ heißt, zu Rate ziehen. Dieser ist die himmlische und vorweltliche Menschheit, nach dessen Figur und Struktur das irdische Ebenbild Gottes, der Mensch Adam, geschaffen wurde. Die himmlische Menschheit ist das Modell der irdischen Menschheit.

Es kann sich nicht darum handeln, alle einzelnen Züge und Beziehungen des Gesichtes in Hes 1 zu erklären; das dürfte überhaupt unmöglich sein. Nie wird die Kreatur ihren Schöpfer begreifen können. Es kann sich also nur um einige wenige Linien handeln, die wir dem Gesicht entnehmen können; insbesondere um einzelne Begriffe für das, was unter „Ebenbild“ zu verstehen ist. Die Erscheinung Gottes im Neuen Testament in der Gestalt des Menschen Jesus von Nazareth ist viel realer als die Schilderung in Hes 1. Sie ist aber auch wieder viel verdeckter insofern, als Jesus seine Herrlichkeit unter dem Mantel eines menschlichen Leibes verbarg und sie nur gelegentlich in einzelnen Strahlen offenbarte. Immerhin ist es sehr bedeutsam, dass die Gottheit, ohne sich aufgeben zu müssen, in menschlicher Gestalt erscheinen kann, und dies in solcher Deutlichkeit, dass Jesus sagen konnte: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“

Dasselbe Wort gilt auch in Bezug auf Hes 1, wo derselbe „eingeborene Sohn vom Vater“ sich dem menschlichen Auge des Propheten enthüllt. So sehen wir also in dieser Erscheinung der Herrlichkeit des Herrn eine Selbstoffenbarung und eine Selbstdarstellung des Sohnes, der himmlischen Menschheit, und dürfen mit Recht dieselben Begriffe gebrauchen, wenn wir von der Ebenbildlichkeit des irdischen Menschen handeln.

Der Mensch als Nachbild des eingeborenen Sohnes besaß, solange er noch in der Gemeinschaft Gottes lebte, in geschöpflicher Beschränkung dieselbe Seelenstruktur, die wir in Hes 1 finden. Es muss einer besonderen Überlegung anheimgestellt werden, nachzuweisen, inwiefern diese Urform der Ebenbildlichkeit andeutungsweise auch noch beim heutigen gefallenen Menschen zu erkennen ist. Nur am Rand kann da und dort darauf Bezug genommen werden. Es bedarf einer Art Rekonstruktion, wenn aus der Seelengestalt des heutigen Menschen seine ursprüngliche Anlage erkannt werden will. So sehr ist diese Grundform zerstört und mit dem Schutt der Sünde überdeckt! Der Mensch von heute ist nur noch eine Ruine des ersten Menschen in seiner Gottähnlichkeit.

Allgemein gesagt ist das, was Hesekiel sieht, der Thron Gottes, auf welchem „die Herrlichkeit des Herrn“ sichtbar ist. Eine neutestamentliche Parallele dazu finden wir in Offb 4, wo sich die göttliche Majestät dem Schauer Johannes zeigt. Soweit die beiden Gesichte nicht gleichlautend sind, ergänzen sie sich. Gerade um einen Thron Gottes handelt es sich aber auch bei der menschlichen ebenbildlichen Anlage. „Ein Thron des Allerhöchsten soll deine Seele sein.“ Es dürfte sich darum lohnen, aus Hes 1 und Offb 4 einzelne Elemente für die Beschreibung der ursprünglichen Menschenseele zu entnehmen. Doch müssen wir bei den Begriffen „Tiere“ und „Räder“ uns bewusst sein, dass sie nur Andeutungen dessen sind, was sie eigentlich sagen sollen. Darum wird es uns auch trotz dieser biblischen Begriffe nicht möglich sein, ein eindeutig klares Bild von der wahren Beschaffenheit einer gottebenbildlichen Menschenseele zu gewinnen.

Der Lobpreis der Tiere (und der 24 Ältesten) in Offb 4 gilt „Dem, der auf dem Stuhle saß“. Dieser ist Hes 1 beschrieben „als eine große Wolke voll Feuers, das allenthalben umher glänzte, und mitten in demselben Feuer war es lichthelle. Die ganze Erscheinung ist wie getrieben von einem ungestümen Wind“. Wir erkennen in den Elementen Feuer, Licht und Wind unschwer die Symbole von Vater, Sohn und Geist. Derselbe „Gott“ bezeichnet sich in Offb 1:8 als das A und das O, als den Anfang und das Ende, als Den, der da ist und der da war und der da kommt. Je mehr in Hes 1 die Beschreibung in Einzelheiten sich ergeht, umso schwieriger ist deren Deutung; wir müssen uns mit Annäherungswerten begnügen.

Ist unter den Symbolen „Feuer, Licht und Wind“ die Herrlichkeit Gottes selbst angedeutet, so in den Tieren und Rädern der Thron, auf welchem die Herrlichkeit sitzt. Wir dürfen uns aber unter „Thron“ nicht das plumpe und leblose Gestell eines irdischen Fürstenthrones vorstellen; denn Gott wohnet „über Cherubim“, d. h. sein Thron ist voller Leben – wie Er selbst. Gerade darum dürfte es auch nicht ganz leicht fallen, die zerrüttete Menschenseele heute noch als Thron des Allerhöchsten zu begreifen. Auch hier müssen Andeutungen genügen.

Von den Tieren und Rädern in Hesekiel 1

Die Selbstoffenbarung der Herrlichkeit Gottes lässt uns sozusagen körperlich die himmlische Menschheit in ihrer inneren Struktur der Kräfte und Eigenschaften erkennen. Denn in Menschengestalt offenbart sich die Gottheit am liebsten, ohne ihre Natur verändern zu müssen. Dieser himmlischen Menschheit ist die irdische Menschheit, Adam, als Ebenbild der Gottheit nachgebildet. Wohl finden sich am heutigen Menschen nur noch Spuren der früheren, herrlichen Art seiner inneren Seelenstruktur; sie mögen aber genügen, um uns nicht nur von der verlorenen Größe und Herrlichkeit des Menschen zu künden, sondern auch seine künftige Herrlichkeit anzudeuten. Denn nach wie vor ist es der Wille Gottes, den Menschen wieder in das göttliche Urbild zurückzubringen. So umfassend ist der Begriff der Erlösung.

Das durch die Wolke verdeckte Innere der Erscheinung in Hes 1 „war gestaltet wie vier Tiere, und dieselben waren anzusehen wie Menschen“. Diese „Tiere“ heißen auch Lebewesen, auch Cherubim; wir dürfen also nicht allzu massiv denken und uns irgendein irdisches Tier vorstellen; denn diese Tiere haben im Thron Gottes nichts verloren. Als Symbol dienen in diesem Gesicht lediglich der Löwe in seiner königlichen Art; der Ochse in seiner Stärke; der Adler mit seinem scharfen Gesicht. Hat doch jedes der vier Tiere vier Angesichter wie die der genannten Tiere, wozu noch das adelige Menschenantlitz kommt.

Wir nehmen an, dass diese vier Tiere das Äußerste, die Leiblichkeit bedeuten sollen, sozusagen den Thron Gottes, das Untergestell. Ohne Leiblichkeit kann sich weder Geist noch Seele offenbaren. „Als ich die Tiere so sah, siehe, da stand ein Rand auf der Erde bei den vier Tieren, und war anzusehen wie vier Räder“ (Hes 1:15). Diese Räder bedeuten nicht nur etwas anderes, sondern auch etwas Höheres als die Tiere, obwohl Tiere und Räder zu einer Einheit zusammengehören und auch miteinander wirken. Das häufig wiederkehrende „wie“ deutet darauf hin, dass man an etwas viel Größeres als an Tiere und Räder denken muss; diese irdischen Symbole dienen nur zur Andeutung und Beschreibung von sonst in unserer Sprache unaussprechlichen Dingen. Das Göttliche kann nicht so leicht in menschlicher Sprache ausgedrückt werden. So ist die „Einheit“, welche die Tiere und Räder miteinander ausmachen, die Ganzheit der göttlichen Kräfte, die beim Menschen als untere und obere Kräfte der Seele zu erkennen sind.

Tiere und Räder sind nur die Organe, durch welche der Geist, dessen Symbol der wie Kristall glänzende Himmel über den Tieren und den Rädern ist, wirkt und sich offenbart. Denn weder Tiere noch Räder haben eine selbständige Funktion; sie sind lediglich Kräfte, in welchen der sie durchwaltende Geist sich offenbart. Bemerkenswert ist noch, dass „die Felgen der Räder voller Augen waren um und um“. Diese Augen deuten wohl auf die allseitige Wahrnehmungsfähigkeit bei Gott hin: Er sieht alles, hört alles usw.

„Und über dem Himmel, so oben über ihnen (den Rädern und den Tieren) war, ... saß auf einem Stuhl Einer, gleichwie ein Mensch gestaltet“ (Hes 1:26). Hier thront das ewige Wort, der eingeborene Sohn, von dem der Geist ausgeht, welcher in den Rädern und Tieren sich offenbart. Und dieses Wort hat die Gestalt eines Menschen; es ist die himmlische Menschheit.

Von dem Vater, aus dem der Sohn geboren wird, wird in dieser Erscheinung nichts gemeldet; nur dass es „lichthelle und inwendig – in dem Himmelswesen – gestaltet war wie ein Feuer um und um“. Wir denken daran, dass der Vater nicht bloß den Sohn aus sich gebiert, sondern dass seine Fülle auch im Sohne wohnt.

Das göttliche Geburtsrad

Das Bild, von den Tieren bis zum Menschen auf dem Stuhl, stellt uns symbolisch das göttliche Geburtsrad, die göttliche Geburts- und Lebensquelle dar, allerdings nur in schwachen Symbolen. Wieviel herrlicher und majestätischer mag diese geschilderte Wirklichkeit in dem göttlichen Wesen tatsächlich sein! Die ganze Erhabenheit seines Wesens kann von uns Menschen nicht erfasst werden, kann uns auch in menschlichen, irdischen Worten nicht nahegebracht werden.

In groben Strichen aber ist uns auch die menschliche Geburtsquelle, ihr Geburts- und Lebensrad angedeutet; nämlich die Gestalt der Kräfte des ebenbildlichen Menschen, um die es uns zu tun ist. Hier hören wir eine Antwort auf die Frage: „Herr, was ist der Mensch?“ Hier wird sichtbar, was gemeint ist mit dem Schöpfungswort: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei.“

Dieses Bild, das Gott gleich sei, soll noch kurz vor unsere Augen gestellt werden. Wir beginnen mit der „Wolke voll Feuer“ in Hes 1:4. Sie bildet den Umschluss, sozusagen die Leiblichkeit der Kräfte, die als Feuer und Licht in ihr angedeutet werden. Feuer und Licht wirken durch die Tiere und Räder, d. h. durch die Kräfte der Seele. Es sind zusammen acht verschiedene Kräfte, in denen der lebendige Wind, der Geist, wirkt. Dann entsprechen die vier Tiere den unteren Kräften der Seele: Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack. Diese vier schließen sich zusammen im Gemüt, einem der vier Räder. Die drei restlichen Räder bilden die drei oberen Seelenkräfte ab: Verstand, Wille, Gedächtnis, die für sich wieder die Dreieinigkeit andeuten. Diese drei Räder sind aber in dem vierten, dem Gemüt, abermals zusammengefasst. War es doch ein Rad, und war anzusehen wie vier Räder (Hes 1:15). Die durch die vier Tiere angedeuteten unteren Seelenkräfte sind also im Gemüt alle zusammengeschlossen und bilden zusammen das Geburtsrad der menschlichen Seele. Ein Wunderding, das abermals mit bloßen Worten nicht eindeutig und vollständig zu beschreiben ist. So aber, wie die Tiere sich immer bewegen und so, wie der Begriff „Rad“ dauernde Bewegung andeutet, so sind auch die Kräfte unserer Seele dauernd in Bewegung, eine Quelle, aus der es immer quillt, sei es Gutes oder Böses. Ganz wesentlich für den Begriff des Ebenbildes ist es aber, dass über diesen Seelenkräften der kristallene Himmel steht, aus welchem der Geist in die Seelenkräfte fällt und sie zur Bewegung anfacht. Dieser Geist (Gottes) brütet sozusagen, wie bei der Schöpfung über den Wassern, so hier über den „Wassern“ unserer Seele und teilt ihren Kräften dauernd Leben mit. Denn sie sind kein perpetuum mobile; der Mensch hat das Leben nicht in sich selber. In diesem Geist, der beim ebenbildlichen Menschen der Geist Gottes ist, offenbaren sich göttliche Kräfte; ist doch der Mensch Offenbarungswerkzeug Gottes. Das ist seine ursprüngliche Funktion und Bestimmung. Wo freilich – im gefallenen Menschen – statt des Geistes Gottes ein anderer, ungöttlicher Geist das Rad der menschlichen Seele belebt und treibt, findet ein Missbrauch der göttlichen Kräfteanlage statt. Dies ist beim sündigen Menschen leider der Fall; deshalb kommen „aus seinem Herzen“, aus seinem Innersten, arge Gedanken, d. h. Wirkungen des Argen.

Ganz herrlich aber ist die wahre Betätigung dieser Kräfte, wenn der von Vater und Sohn ausgehende Geist in seiner siebenfachen Gestalt sich in ihnen auswirkt. Da werden Früchte des Geistes in der Menschenseele geboren: Liebe, Freude, Friede, Geduld ...! Lauter Dinge, die auch der fromme Mensch nicht selbst aus sich hervorbringen kann.

Damit steht aber das Bild des ursprünglichen Menschen vor unseren Augen, auf dessen Seelenthron das „Wort“ saß, das Wort, das Gott war. So nahe beieinander sind Gott und Mensch im Urbild zu denken; so nahe kommen sie sich wieder im „neuen Menschen“, der nach Gott geschaffen ist! Dieses Wort, das Leben, war das Licht der Menschen, das durch alle Kräfte und Kammern der menschlichen Seele hindurchleuchtete – als die Herrlichkeit des Menschen. So hatte der Mensch die Quelle des Lebens in sich. Diese floss in alle seine Kräfte aus und zeugte und gebar göttliche Wesen in den menschlichen Seelenkräften. Auch diese erhabene Funktion soll im „neuen Menschen“ wiederkehren; sollen doch unsere Seelenkräfte, von Gott belebt und erfüllt, den Sohn Gottes aus sich gebären, das Höchste, dessen eine Menschenseele fähig ist. Sind aber, wie beim gefallenen Menschen, die Kräfte unserer Seele verkehrt, so sind sie wohl noch eine Geburtsquelle; aber sie gebären nicht mehr Gott, sondern den Gegengott, den verkehrten Gott, aus sich heraus. Dies bedeutet nicht nur die größte Unseligkeit, sondern auch das größte Unglück, das über den Menschen kommen kann. –

Die Seele des Tieres

Nur kurz sei ein Blick auf die Seele des Tieres geworfen! Wo ist bei ihr etwas von der Herrlichkeit der Menschenseele zu finden? Wie niedrig sind ihre Funktionen im Vergleich zu denen der Menschenseele, auch noch des gefallenen Menschen; vollends aber beim ebenbildlichen Menschen! Es lohnt sich nicht, Menschen- und Tierseele in religiöser Hinsicht zu vergleichen. Wie sehr aber Menschen, die tierischen Regungen in sich Raum geben, unter ihrer Menschenwürde handeln, das erkennen wir ohne weiteres. Bedauernswert erscheinen uns auch jene „Philosophen“, die an die Möglichkeit einer Entwicklung der Tierseele hinauf zur Menschenseele glauben und die den Menschen Adam seelenruhig aus der Tierwelt emporsteigen lassen. Ihrem Denken fehlt das wahre Licht des göttlichen Wortes, daher die Oberflächlichkeit und Naivität ihrer Gedanken.

Auch wenn der heutige Mensch nur noch als Ruine des einstigen „Urmenschen im göttlichen Bilde“ erscheint, so freuen wir uns der Tatsache, dass der Schöpfer auch Erlöser geworden ist und „neues Leben aus den Ruinen erblühen“ lassen kann. Gott hat seinen Gedanken, Menschen nach seinem Bilde zu schaffen, keineswegs aufgegeben; seine Verwirklichung ist durch den Sündenfall wohl verzögert, aber niemals aufgegeben worden. Denn das Programm Gottes lautet nach dem geschehenen Sündenfall und der inzwischen herbeigeführten Erlösung in Christus Jesus: „Siehe, Ich mache alles neu!“ (Offb 21:5). Ja, es soll die Herrlichkeit dieser „neuen“ Schöpfung noch größer werden als die der „alten“.

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2. Worin bestand im Einzelnen die Ebenbildlichkeit des ersten Menschen?