Die fliegende Schriftrolle

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Die Nachtgesichte des Propheten Sacharja
Pfarrer Theodor Böhmerle (1870 - 1927)

Erklärt auf einem Bibelkursus in Langensteinbach vom 21.-31. Januar 1924
Nachgeschrieben, geprüft und ergänzt von Pfarrer Friedrich Take

weitere Abschriften hier:

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor:
6. Der Leuchter und die beiden Ölbäume (Sach 4:1-14)

7. Die fliegende Schriftrolle

  • Sach 5:1-4 (ELB) (1) Und ich hob wieder meine Augen auf und sah: Und siehe, eine fliegende Schriftrolle! (2) Und er sprach zu mir: Was siehst du ? Und ich sagte: Ich sehe eine fliegende Schriftrolle, ihre Länge beträgt zwanzig Ellen und ihre Breite zehn Ellen. (3) Und er sprach zu mir: Dies ist der Fluch, der ausgeht über die Fläche des ganzen Landes. Denn jeder, der stiehlt, ist bisher - wie lange nun schon! - ungestraft geblieben, und jeder, der [falsch] schwört, ist bisher - wie lange nun schon! - ungestraft geblieben. (4) Ich habe ihn ausgehen lassen, spricht der HERR der Heerscharen, und er wird kommen in das Haus des Diebes und in das Haus dessen, der bei meinem Namen falsch schwört; und mitten in seinem Haus wird er über Nacht bleiben und wird es vernichten, sowohl sein Gebälk als auch seine Steine.

Das 6. Nachtgesicht

Nun kommt das sechste Nachtgesicht: die fliegende Schriftrolle. Etwas Neues! Der Prophet sieht, als er vom vorhergehenden strahlenden Gesicht vom goldenen Leuchter und den zwei Ölbäumen fast geblendet, und tief innerlich froh bewegt ob des Segens Gottes über sein Volk, seine Augen wiederum aufhebt, eine fliegende Schriftrolle, Sach 5:1-4, auseinandergerollt.

Der Fluch über dem Land

Auf der durch die Luft fliegenden Schriftrolle steht ein Fluch geschrieben, der nicht Tinte geschrieben, sondern wirkende Kraft ist. Diese Kraft teilt sich, und doch ist in allen Teilen die gleiche Kraft. Und die Teile dringen wie Gespenster in die Häuser der Diebe und Meineidigen ein, setzen sich dort fest und ruinieren die Häuser buchstäblich, natürlich samt den Bewohnern. Von der Ausrottung von Bösewichtern handelt also das sechste Gesicht, und zwar „im ganzen Lande“, Sach 5:3, das heißt im Lande Juda, soweit es von den Heimkehrern wieder besiedelt worden ist. Der mit „Meineidige“ wiedergegebene hebräische Ausdruck denkt ganz speziell an Leute, die im Wirtschaftsleben betrügen. Es ist daher kaum zu bezweifeln, dass das Stück Sach 5:1-4 seine Spitze gegen die im Lande zurückgebliebenen Judäer richtet, die sich die herrenlosen Güter der Exilierten angeeignet, und sich in deren Besitz häuslich eingerichtet hatten, und die sich nun den Ansprüchen der heimgekehrten ehemaligen Besitzer gegenüber sahen.

Dass es bei diesen Auseinandersetzungen zu manchem Meineid und Betrug kam, dass mancher mindestens Teile seines Vermögens den „Dieben“ lassen musste - schließlich waren ja auch auf der anderen Seite erworbene Rechte da - ist kein Wunder. Daher erklärt sich endlich auch die besondere Zuspitzung des Fluches auf das Haus „mit Balken und Steinen“. Gerade das war bei der Rückkehr der alten Besitzer immer das erste Streitobjekt. Das sechste Nachtgesicht verheißt also die gerechte Lösung der für die Heimkehrer so schwierigen Grund- und Bodenfragen überhaupt alle mit der Reparatur verbundenen Vermögensstreitigkeiten und ähnlicher Schwierigkeiten.“ (Altes Testament, Deutsch, Göttingen 1950 S. 104ff.)

Die prophetische Bedeutung der Rolle

Aber über die zeitgemäße Bedeutung der Vision des Sacharja von der fliegenden Schriftrolle hinaus hat dieselbe noch eine hohe, in die Zukunft weisende Bedeutung. Denn der Prophet erkennt sofort das Ungewöhnliche an ihr. Denn sie ist zwanzig Ellen lang und zehn Ellen breit Sach 5:2. Wie kommt es, dass er diese Maße sogleich richtig abgeschätzt hat, und was bedeuten sie prophetisch? Das „Land“ (Kanaan) war auch ungefähr doppelt so lang wie breit. Außerdem waren es dieselben Größenverhältnisse wie sie bei dem Vorhof des salomonischen Tempels zugrunde gelegen hatten. Und nun waren ja die aus Babylon zurückgekehrten Juden dabei, diesen zerstörten ersten Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen. Darum hatte der Prophet diese Breiten- und Längenmaße stets vor Augen. Dass diese Schreibrolle aber gerade die Maße jener heiligen Stätten versinnbildlichte, hat eine mehrfache Bedeutung.

Erstens, wenn die Briefrolle doppelt so lang wie breit war, wie das Land Palästina selbst, so ist daran zu ersehen, dass sich ihr Inhalt auf das ganze Kanaan bewohnende, bekehrte Volk der Juden bezieht. Zweitens: Die dem Vorhof am Tempel Salomos gleiche Länge und Breite des Briefes zeigt an, dass sein Inhalt sich auf alles, was im Vorhof des Tempels ist, also auf alle Heiden (auf die Nationen) erstreckt. Und drittens: wenn sich die Maße der Briefrolle mit denen des Heiligtums decken, so soll das heißen, dass in Zukunft, also im messianischen Königreich Gottes alle auch nur denkbaren Verhältnisse Palästinas, wie aller Länder auf Erden, von der strengen Heiligkeit Gottes werden beherrscht werden.

Der Fluch auf der Schriftrolle

Was steht denn auf dieser an dem Propheten hoch in der Luft vorüberschwebenden, für alle lesbaren Schriftrolle geschrieben? Für alle lesbar steht dort geschrieben, dass jeder Dieb und Meineidige von Gott im ganzen Land, bzw. auf der ganzen Erde ausgerottet wird. Und das während der tausendjährigen Gottesherrschaft! Gibt’s denn dann noch Diebe und Meineidige auf Erden? Ja, wenn auch Christus als König regiert, und der Teufel auf tausend Jahre gefesselt ist. Aber die Sünde im Menschen und der Tod sind doch noch da!

Diese beiden Kategorien von Sündern und damit von Sünden sind im Ganzen herausgegriffen, um als Beispiel und Vertreter für die Gesamtheit aller Sünder und Sünden dazustehen. Denn die Sünde des Diebstahls, die Gott auf der zweiten Gesetzestafel verboten hat, ist die krasseste Form der Selbstsucht, und die häufigste Art der Versündigung gegen den Höchsten. Und der Meineid, das falsche Schwören bei Gott, der Missbrauch seines Namens, welcher auf der ersten Tafel des göttlichen Gesetzes verbogen ist, ist die gräulichste Versündigung gegen Gott. Es sind aber beides, wie gesagt, nur Beispiele von Übertretungen der Gebote Gottes, von deren eines sich gegen den Nächsten, das andere sich gegen Gott richtet. Dabei ist selbstverständlich nicht gemeint, dass andere Sünden gegen die zweite und erste Gesetzestafel ungeahndet blieben. Nein, alle Sünden stehen unter dem Fluch. Und durch den Fluch Gottes, wie er hier auf der riesigen, plakatartig anzusehenden, die Luft durchfliegenden Schriftrolle zu lesen ist, wird schriftlich bewirkt, was sonst nur durch ein mündlich ausgesprochenes Gerichtswort Gottes geschieht, dass nämlich alle mit solchen Sünden noch Behaftete aus dem Königreich Gottes ausgestoßen werden.

Denn wir dürfen uns das tausendjährige Reich nicht zu himmlisch vorstellen. Wohl ist sein Abstand von allen bisherigen Reichen der Erde in sittlich-religiöser Hinsicht ungeheurer. Wohl ist der Satan auf tausend Jahre von der Erde verschwunden. Aber Sünde und Sündenwesen, und darum auch Tod und Leid sind im tausendjährigen Reich nicht ausgerottet. Darum schwebt auch über die ganze Erde, wie uns im sechsten Nachtgesicht gezeigt wird, der Fluch Gottes über die Sünde, um dort sofort zu treffen, wo man sich mutwillig und offen in die Sünde begibt oder sie festhält. In dem jetzigen Äon ist das ja nicht der Fall. Da können vielfach einzelne Menschen sowie ganz Korporationen gegen sämtliche Gebote Gottes verstoßen, ohne dass sie dafür im selben Augenblick der verzehrende Blitzstrahl des Fluches Gottes trifft. Hier muss sich erst das Böse ausreifen, ehe es gerichtet wird. Im tausendjährigen Reich jedoch ist das anders. Da geht es heilig ernst zu. Denn dort haben sich sämtliche Menschen nach erlebtem Bankrott der eigenen Kraft bereit erklärt, nach den Gesetzen Christi zu leben.

Sofortige Bestrafung der Sünder

Darum werden sie sofort bestraft, wenn sie seine Gebote mutwillig übertreten. Sowie einer sündigt von den an Christus gläubig Gewordenen, setzt sich der Fluch Gottes in sein Haus und vernichtet es wie in der ersten Christenheit Ananias, der gestohlen und betrogen hatte, mit seinem Weib von dem Fluch Gottes getroffen wurde und mit Saphira umkam. Bei denen, welche als Wiedergeborene zur Gemeine Jesu Christi zählen, geht es ähnlich so, dass die begangene Sünde sofort an ihnen und ihrem ganzen Hause gestraft wird. Denn wenn ich in Christo stehe, ist mein Haus dadurch auch geheiligt in Christo. Ich stehe dann unter dem Gesetz des Geistes Jesu Christi und mein Haus mit mir. Bin ich in Christo so tritt die innere Bestrafung auf der Stelle ein. Bei jedem verkehrten Wort zum Beispiel heißt's in mir: „Das hast du falsch gesagt!“ Bei jedem Zusammentreffen mit Menschen, bei dem ich Christum verleugne, werde ich innerlich sofort gestraft. Ja, sogar, wenn nur ein Gedanke aus den Niederungen des Fleisches in mir auftaucht, mahnt der Geist Gottes sofort: „Tue Buße! Lass ihn dir nehmen lass dich sofort davon rein waschen durch den Glauben an das Blut Christi! Gibst du ihm nach, wird der böse Gedanke zur bösen Tat. Diese aber zieht Gericht auf sich, den Vernichtungsfluch Gottes. Darum tu Buße!“

Und wie bei dem einzelnen Gläubigen, der zur Wiedergeburts-Gemeinde gehört, alsbald nach einem Fall, nach einer Sünde der Geist Gottes im Herzen drinnen straft, so ist es auch bei der Gesamtheit solcher, die den Herrn Jesus wahrhaft lieb haben. Kommt in ihrer Mitte irgendeine Verfehlung vor, so bewirkt der Heilige Geist, dass es der Sünder, die Sünderin in ihrer Gemeinschaft nicht aushalten kann. Wo der Heilige Geist in der Gemeinschaft der Gläubigen mächtig sein kann, da kommt es zu Offenbarungen der Sünde, zu radikaler Entfernung der sündigen Elemente. Denn ein gesunder Körper schafft allen Unrat gleichsam automatisch heraus. Ist unser Gemeinschaftsleben gesund, weil wir voll sind des Heiligen Geistes, so erfassen wir es, dass der Geist Gottes als ein Geist heiliger Zucht unter uns waltet. Statt dessen ist es so, dass Geistesmenschen sich oft fragen müssen: Darf man das wohl sagen? Und wird es auch angenommen? Wird man nicht beleidigt oder aufgebracht sein? Ein Zeichen dafür, wie wenig Heiligen Geist wir besitzen, in unserer Mitte haben, wie wenig wir tatsächlich in Christo sind. Sonst würde eben gleichsam von selbst, durch den Geist Gottes, die Sünde unter uns offenbar und sogleich gestraft werden.

Im tausendjährigen Reich wird scharfe Justiz angewandt. Wo dort einer sündigt, indem er an Diebstahl, das heißt an habgieriger Unehrlichkeit, Unreinheit, Mord, Ehebruch oder sonst einer Missetat festhält, lässt sich der Fluch Gottes, der in Gestalt des auseinandergefalteten Briefes über dem Lande schwebt, auf ihn und sein Haus nieder, tritt ein, „legt sich ihm mitten ins Haus und verheert es wie sein Holz und Gestein.“ (Procksch), das heißt an solchem Gottlosen erfolgt ein gründliches Gericht.

Wir sehen, dass Gottes Gnade niemals mit der Sünde spielt auch nicht im tausendjährigen Reich. Da erst recht nicht, weil Gott in Jesu Christo mit seinen Heiligen auf der Erde sein Gottesreich aufgerichtet hat, und alle Nationen sich unter das Gesetz Christi, die Bergpredigt zu beugen willig geworden sind, und der Heilige Geist ausgegossen ist auf alles Fleisch. Gottes Heiligkeit gebietet bei seiner Einwohnung im tausendjährigen Reich auf Erden, dass alle mutwilligen, bewussten Sünder sofort ausgetilgt werden. Das besorgt der Fluch, der über dem ganzen Lande schwebt.

Wie dürfen wir dankbar sein, dass in der Gegenwart Gottes Langmut mit den Sündern noch über uns waltet! In der Jetztzeit zeigt er noch in unbegreiflicher Weise Geduld und Erbarmen. Dass wir aber seine Geduld nicht für Schwäche halten und sein Nachsicht missbrauchen! Sonst, wenn wir uns nicht bekehren, wenn Gottes Gnade uns zieht, wird uns im jüngsten Gericht viel furchtbarerer Fluch, viel grausigeres Gericht treffen als die mutwilligen Sünder, die Diebe und Unehrlichen, die Betrüger und Selbstsüchtigen, Meineidigen und Lügner des tausendjährigen Reiches, welche der Bannfluch Gottes zerschmettern wird.

Lies weiter:
8. Das Weib im Scheffelmaß (Sach 5:5-11)