Die Situation damals und heute

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Abschrift des Buches: Das Los der Toten
(gänzlich umgearbeitete Neuauflage von Auferstehung des Fleisches)

Verfasser: Pastor Samuel Keller
Verlag der Vaterländischen Verlags- und Kunstanstalt, Berlin 1913

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor:
5. Das unvergängliche Leben

6. Die Situation damals und heute

Wenn man der mächtigen, zwingenden Darlegung des Paulus in 1Kor 15 gerecht werden will, ja wenn man sie überhaupt nur richtig verstehen will, muss man sich vorher klarmachen, was Paulus will. Das meine ich mit dem Ausdruck: die Situation von damals. Erst wenn wir diese wirklich erkannt haben, ergibt sich die Anwendung für uns: was für Gegner trifft Paulus heute?

Paulus bekämpfte damals weder den groben Materialismus, der überhaupt die Existenz einer Seele leugnet, noch auch die Gegner der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Im allgemeinen glaubte ja die ganze antike Welt an ein Fortleben der Seele, und seit Plato haben die führenden Philosophenschulen sich, mit geringen Ausnahmen, an seine Schlüsse gehalten. Nichtsdestoweniger kann man sagen, dass sich die Aussichten einer Weisheit, die auf göttliche Offenbarung verzichtet, aus logischen oder psychologischen, ganz, ganz einwandfreien Gründen die Unsterblichkeit der Seele als einen natürlichen Besitz des Menschen herauszuarbeiten, nicht sehr gebessert werden kann. Die unbiblische Unsterblichkeit der Seele lässt sich nicht eigentlich wissenschaftlich, logisch beweisen; höchstens könnte man von Hypothesen sprechen. Die einen leiten aus der Einfachheit und Geistigkeit der Seele ihre Unsterblichkeit ab; die andern schließen, von der in diesem Leben nie vollendeten Entwicklung der Anlagen und Kräfte unseres Geistes, auf eine Ausreifung derselben in einem andern Leben. Kant hat im Gegensatz dazu den sogenannten moralischen Beweis empfohlen: Das höchste Gut sei die Tugend, und eine ihr entsprechende Glückseligkeit nicht gerade zu zerstören. Nun steht aber häufig in diesem Leben das äußere Ergehen des Menschen in schreiendem Missverhältnis zu seinem sittlichen Wert. Darum müsse ein künftiges Leben Gelegenheit zur Ausgleichung dieses Missverhältnisses geben. Die Arbeit und der Kampf für das Gute dürfe nicht ausschließlich resultatlos verlaufen, weil sonst die Freudigkeit dafür erlahmen würde. -

Einwandfrei ist auch dieser Beweis nicht, weil man schon über seinem Ausgangspunkt - die Anerkennung des Guten als Lebenszweck - verschiedener Meinung sein kann. -

Paulus nennt 1Kor 15:12 seine eigentliche Aufgabe: „So aber Christus gepredigt wird, dass er sei von den Toten auferstanden, wie sagen etliche unter euch, die Auferstehung der Toten sei nichts?“ Diese „etliche“ unter den korinthischen Christen, welche meinen, ganz gute Christen sein und bleiben zu können, auch wenn sie die Auferstehung der Toten leugnen, haben die ganze wertvolle Darlegung des Apostels hervorgerufen. Er merkt, dass darin eine ungeheure Gefahr für den Fortbestand seiner geliebten Gemeinde in Korinth auftritt, wenn diese Anschauung um sich greift: man kann sehr wohl den Anspruch erheben, als wirklicher Christ zu gelten, wenn man in solch einem Punkt auch von der Lehre des Apostels abweicht.

Es kommt nun gar nicht darauf an, dass man etwa herausbringt, welchen Philosophenschulen jene „etliche“ ihren Einspruch gegen die christliche Auferstehungshoffnung verdanken, sondern es genügt uns vollauf, daran zu erinnern, dass die Lehre der Apostel über die Auferstehung Christi damals, wie heute dem natürlichen Menschenverstand ins Gesicht schlägt. Die Apostel meinten eine leibliche Auferstehung, denn eine andere hat keinen Sinn: der Geist war nie tot gewesen, und wenn sie nur das Fortleben des Geistes verkündigt hätten, wäre das damals niemand auffallend gewesen. Selbst wenn sie erzählt hätten, dass sie von dem abgeschiedenen Geist Christi Mitteilungen erlangt hätten, würde sie das in den Augen der Griechen zu Korinth sie nicht sonderlich herabgesetzt haben. Denn spiritistische Medien gab es damals auch, und die Vorstellung von einer Welt der Schatten, mit denen man unter gewissen zauberhaften Bedingungen noch irgendeinen Verkehr haben könne, war durch Poesie und religiösen Mythos, sowie durch Geheimkulte sehr verbreitet.

Nein, der Stein des Anstoßes war, dass der wirklich und wahrhaftig gestorbene, entseelte Leichnam Jesu in einer ganz besonderen und wunderbaren Weise wieder lebendig geworden sei. Das widersprach der Erfahrung und dem Naturerkennen damals, und tut es auch heute! Das schien als eine so unmögliche Belastung und Entstellung des sonst sympathischen Evangeliums von der Gnade Gottes in Christo, dass sich in manchen Herzen der Widerspruch dagegen regte. Gerade so etwas forderte den Spott der Heiden, mit denen man in Korinth, der Stadt, wo Handel und Geschäftssinn blühte, durch viele gemeinsame Interessen noch verbunden war, besonders heraus, und man wusste diese schwächste Position weder zu verteidigen, noch sah man den Grund ein, warum der neue Glaube mit solcher Sonderlehre belastet werden sollte. Es mag ja noch gerade damals hinzugekommen sein, dass man, in platonischer Luft großgeworden, das Materielle, Körperliche überhaupt falsch beurteilte. In der manichäischen und neuplatonischen Weiterausbildung dieses Gedankens galt später die „Hyle“, die Materie, als der Sitz des Bösen, und die Seele war eine reine, edle Gefangene im schmutzigen Kerker des Leibes; eine Vorstellung, von der fast die ganze Christenheit bis auf die Neuzeit sich nicht ganz frei hat machen können*).

*) Im Zusammenhang damit steht der Zölibat der der Priester und die katholische Überschätzung des ehelosen Standes der Mönche und Nonnen, sowie die Geringschätzung der sozialen Fragen im Pietismus und die Vorstellung eines Seelenhimmels bei vielen Orthodoxen bis heute! -‚'

Außerdem wäre es ein Wunder gewesen, wenn eine so gewaltige religiöse Spannung und Erschütterung, wie die Bekehrung vom Heidentum zum Christentum sie erzeugt, damals nicht eben solche Folgen gehabt hätte, wie heute. Der Zusammenstoß des lebendigen Christentums mit der widerspruchsvollen Wandelbarkeit der Herzen erzeugt umso eher Sondermeinungen und Übertreibungen nach irgendeiner Seite hin, je stärker er ist, und je reicher begabt und impulsiver jene Menschen sind. Wo wirkliche Lebenskräfte des Evangeliums die Herzen durchfurcht haben, liegt die Sektenbildung sofort in der Luft. „Nicht einzelnen Erscheinungsformen des Heidentums oder des Judentums, sondern die Falten des menschlichen Herzens, aus welchen jederzeit das heidnische und jüdische Wesen entstanden ist, können uns auf furchtbare Weise über den Ursprung der Auferstehungsleugnung belehren.“ (Kraus Kommentar, S. 13)

War also damals die Situation, dass Paulus solchen, die bei der Auferstehungsleugnung meinten, im Vollbesitz des apostolischen Christentums bleiben zu können, entgegentrat, so wird das seine ganze Beweisführung beeinflussen; er steht mit seinen Gegnern auf dem gemeinsamen Boden der christlichen Glaubenserfahrung.

Das aber ist gerade auch heutzutage wieder ganz ähnlich der Fall. Auch unsere Modernen bleiben trotz ihrer Leugnung der leiblichen Auferstehung innerhalb der christlichen Kirche, und denken nicht daran, zuzugeben, dass sie damit außerhalb des biblischen, apostolischen Christentums stehen. Dann geht sie der Nachweis des Paulus heute wieder an, dass zwischen der Auferstehung Christi und dem ganzen übrigen Evangelium ein unauslöslicher Zusammenhang bestehe. Vielleicht ist die Gegnerschaft heute weniger primitiv, naiv, sondern entschiedener, bewusster, weil vielen Modernen noch andere Hauptpunkte des apostolischen Christentums abhanden gekommen sind.*)

*) Wenn Prof. Heyn, Glaubenslehre, S. 113-118, die Hauptsache der modernen Anschauungen über die letzten Dinge wiedergibt, kann der Tiefstand religiöser Armut und Anspruchslosigkeit kaum mehr überboten werden. Unter anderem frappierte mich die Behauptung S. 115, wo von dem Glauben an die Wiederkunft Christi behauptet wird, dass er nur noch von den Adventisten gepflegt werde!’'

Aber auch abgesehen von solchen, die Christi Auferstehung leugnen, dürfte die eingehende Beschäftigung mit Pauli Darlegung auch manchen inkonsequent denkenden Christen heilsam sein, die sich nie klargemacht haben, was wir an dem biblischen Auferstehungsglauben für einen reichen Trost, und mächtigen Antrieb zu christlichem Handeln haben. Nicht dass der einzelne Gläubige für sich eine separate selbstsüchtige Seligmachung seiner Seele erfährt, ist das apostolische Zuletzt unsere Hoffnung, sondern eine große Gnadentat Gottes, welche die ganze Menschheitsgeschichte zum Abschluss bringt. Wer die Darlegung Pauli ruhig und unbefangen auf sich wirken lässt, muss zugestehen, dass er die Auferstehungsleugnung als eine Irrlehre hinstellt, die im letzten Grunde das ganze Christentum aufhebt und vernichtet! -

Lies weiter:
7. Bezeugung der Auferstehung Christi