Die Gerechtigkeit des ebenbildlichen Menschen

Aus Bibelwissen
Wechseln zu: Navigation, Suche

Abschrift des Heftes: Der erste Mensch und seine göttliche Würde
Julius Beck (1887-1962)

Aus der Reihe: Vätererbe Bd. I (1962)
Verlag Ernst Franz Metzingen, Württ.

Siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

Der erste Mensch und seine göttliche Würde

6. Die Gerechtigkeit des ebenbildlichen Menschen

Auch sie gehörte zu seiner göttlichen Herrlichkeit und Würde. Dabei handelte es sich aber weniger um eine juristische, als um eine funktionelle Angelegenheit. Keinesfalls aber hieß es: „Gerecht aus seiner Gnade!“ Der Mensch war noch kein Sünder – und hätte es aus Notwendigkeit seiner Natur auch nicht werden müssen. Er besaß eine anerschaffene Gerechtigkeit, die in einer rechten, d. h. richtigen Funktion seiner inwendigen Kräfte bestand. Also weder eine scheinbare noch eine selbsterdachte Gerechtigkeit!

Die ursprüngliche Gerechtigkeit des Menschen hing mit seiner Natur, seiner Bestimmung und mit seinem geschöpflichen Charakter zusammen.

Seine Natur war vielseitig und reich, eine geschöpfliche Fülle aus Gott. Bei normaler Funktion seiner Seelenkräfte gebar er Leben in sich, nicht den Tod. Gebären aber konnte er, besaß er doch – wie die himmlische Menschheit, sein Original – die beiden Tinkturen des Männlichen und des Weiblichen. Er war, wie Gott selbst, eine Geburtsquelle. Daher seine Bestimmung, Offenbarungsthron Gottes zu sein, d. h. nicht sich selbst, auch nicht eine andere Macht, sondern Gott in sich und durch sich zu offenbaren.

Darin eben bestand sein geschöpflicher Charakter, dass der erste Mensch nicht tun durfte, was er wollte oder was ein anderer als Gott ihm zu tun empfahl. Das Geschöpf ist Organ seines Schöpfers und soll es bleiben. Genau so lange, als es in seinen geschöpflichen Linien läuft, sind ihm seine Natur und seine Bestimmung gewährleistet. Dieses geschöpfliche Verhalten wird als Gehorsam bezeichnet, welchen Jesus, als der vollkommene Mensch, nie verlassen hat. Im Gegenteil: Er war Gott gehorsam auch in die größten Katastrophen seines Lebens hinein. Gehorsam gegen den Vater stand Ihm höher als das Leben. Darum blieb Er auch „gerecht“.

In einem gehorsamen Geschöpf kann und will sich der Schöpfer in Licht und Liebe offenbaren, wie Er dies im Sohn seines Wohlgefallens tat. Lucifer war nicht Gottes lieber Sohn, sondern erweckte Gottes Missfallen. Er ist durch seinen Ungehorsam ein Offenbarer des göttlichen „Zornes“ geworden. Im Augenblick seines Ungehorsams entstand in ihm das Böse, die Sünde. Jesus konnte im Blick auf sein gehorsames Verhalten an die gesamte Menschheit und Schöpfung die Frage stellen: „Wer kann mich einer Sünde zeihen?“

Der Anfang des Bösen

Die Möglichkeit einer Abweichung von der Linie des Gehorsams bestand für Jesus genauso wie für Lucifer. Sie bestand auch für den Menschen. Er konnte, vollends wenn ihm dies suggeriert wurde, auf den Gedanken kommen, zu „sein wie Gott“, d. h. sich selbst zu offenbaren, seinen eigenen Willen zu tun. Um dieser Möglichkeit vorzubeugen, gab Gott dem Menschen die Weisheit zur Beraterin und Gespielin. Sie sollte Adam alles göttlich Große innerlich vorstellen; aber ebenso auch das satanisch Verwerfliche. Mit ihr, der Mittlerin zwischen Schöpfer und Geschöpf, sollte er sich offenbaren; die Weisheit sollte ihn darin beraten. Sie stellte dem Menschen Weg und Ziel seines Tuns und Lassens vor und vermochte es auch, die Kräfte der vielgestaltigen Seele Adams in Bewegung zu setzen.

Die Seele des Menschen aber machte eine Geburtsquelle nach Art der Kräfteordnung Gottes aus. Behält der Mensch seine Lust am Herrn bzw. an der Ihn vertretenden Weisheit, so bewegen sich die wirkenden und leidenden Kräfte in ihm nach Gottes Wohlgefallen, und es wird Licht und Leben in der Seele geboren. Ist er doch so unmittelbar mit der Lebensquelle verbunden, dass sie durch ihn ausströmt!

Vor einem anderen Weg ist der Mensch gewarnt durch das in seiner Seele stehende Gebot: „Lass dich nicht gelüsten“ – irgendeiner Sache außer Gott! Alle Lust und Liebe, der ganze Wille des Menschen sollten sich auf seinen herrlichen Schöpfer konzentrieren.

Es galt also schon beim ersten Menschen, über der Lust zu wachen. Der Wächter war der Wille. Wollte dieser, was Gott wollte, dann ereignete sich im Menschen eine Gottgeburt; Licht und Leben fließen aus – und die menschliche Seele ist ein Offenbarungsthron Gottes. Und eben darin bestand seine „Gerechtigkeit“.

Lässt sich der Mensch durch die Torheit beraten, die ihm die Finsternis als Braut empfahl, dann gebiert er Böses aus. „Aus eurem Herzen kommen arge Gedanken!“ Solche Geburten kommen aus Ungehorsam und erwecken im höchsten Grad das göttliche Missfallen. Das ist Sünde, d. h. Ungerechtigkeit. Der menschliche Seelenquell steht dann nicht mehr in seiner gottbestimmten Funktion. Aus der Sünde aber, wenn sie vollendet ist, kommt der Tod, eine wörtliche Erfüllung der göttlichen Drohung: „Welches Tages ihr davon esset, werdet ihr des Todes sterben!“ Gerechtigkeit bei Adam ist also eine richtige Betätigung seiner Seelenkräfte, nicht etwas Zugerechnetes; derselbe Sinn liegt auch in dem Wort: Rechtfertigung, d. h. Recht-Machung. Diese Gerechtigkeit besaßen die selbstgerechten Juden nicht.

Das Bleiben an Gott also war der Weg, auf welchem der Mensch seine anerschaffene Gerechtigkeit bewahrte. Darum galt ihm als erstes – noch nicht geschriebenes – Gebot: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte und aus allen deinen Kräften!“ Eben darum rät auch Jesus, der Wiederbringer unserer verlorengegangenen Gerechtigkeit, seinen Nachfolgern so dringlich an: „Bleibet in mir!“, d. h.: Liebet mich! Und der Mystiker Tersteegen sagt:

„Liebe Gott von ganzem Herzen!
Hast du dies Gebot erfüllt, Mensch,
ich sag` dir ohne Scherzen,
tu dann immer, was du willst.“

Wer Gott „liebt“, konzentriert alle seine Seelenkräfte auf das eine Notwendige; so bleibt er bzw. wird er gerecht.

Vom Gesetz Gottes im ersten Menschen

Bei diesem angeborenen Gesetz handelt es sich nicht um allerlei Vorschriften und Paragraphen, nicht um etwas Juristisches, sondern Lebensmäßiges.

Die himmlische Menschheit war das Urbild für die Anlage Adams. Das Verhältnis der himmlischen Menschheit, d. h. des eingeborenen Sohnes zum Vater, war die Urform auch des Verhältnisses zwischen Schöpfer und Geschöpf. Dieselbe Ordnung, die zwischen Vater und Sohn bestand, war auch „gesetzt“ für das Verhältnis Adams zu Gott. Das ist das „Urgesetz“.

Der Inhalt dieses Urgesetzes war der Gehorsam des Sohnes gegen den Vater. Gerade dieser Gehorsam wird von dem menschgewordenen Wort immer wieder besonders betont; wegen seines Gehorsams heißt Ihn der Vater seinen „lieben“ Sohn.

Alles andere, was nicht dieser vom Vater gesetzten Ordnung entspricht, erweckt Gottes Missfallen. So war es insbesondere bei dem Ungehorsam Lucifers und später auch Adams. Sie sind Übertreter der von Gott gesetzten Ordnung geworden, indem sie einer anderen „Ordnung“, nämlich dem eigenen Willen lebten. Das war und ist ein falsches Gesetz, das Unheil und Verderben über sämtliche Übertreter bringt. Es war das Todesgesetz, in welches sich – bei seiner Verkehrung – das Lebensgesetz verwandelte. Dies war die Schranke, die Gott aufgerichtet hatte, und an der alle Übertreter scheitern sollten. Solange das Geschöpf im Gehorsam gegen den Schöpfer verharrt, kann und will sich der Schöpfer in allen seinen 7 Grundkräften in ihm offenbaren. Diese vollkommene Offenbarung aber ist eine solche in Licht, Liebe und Leben. Das Geschöpf befindet sich dabei in seinem wahren Element. Zieht sich aber das Geschöpf mit seinem Willen eigenmächtig ab vom Schöpfer und tut den eigenen oder einen fremden, d. h. einen anderen Willen als den Willen Gottes, dann ist die Urordnung gestört und in Unordnung verkehrt. Bei den Verkehrten aber ist Gott auch verkehrt. Er offenbart sich nicht mehr in vollkommener Weise im ungehorsamen Geschöpf, weil Ihm das seine Heiligkeit und Gerechtigkeit nicht mehr erlauben; sondern nur noch unvollkommen, d. h. im Zorn. Dadurch entsteht der Tod im Geschöpf, eine Strafe für die eigenwillige Verkehrung und Missachtung des göttlichen Gesetzes. In solcher „Zornesoffenbarung“ Gottes stehen alle ungehorsamen Menschen und Geister. Statt einem liebenden Vater stehen diese Geschöpfe ihrem Richter gegenüber, der jede Übertretung seines Willens zu ahnden weiß. Doch ist das im Grund nicht Gottes wohlgefälliger Wille, sondern Gottes Unwille und Missfallen.

Das von Gott vorgesehene Gesetz des Gehorsams, aus dessen Einhaltung alle großen Wunder und Taten Jesu während seines Hierseins zu verstehen sind, wurde durch den geschöpflichen Ungehorsam aus einem Lebens- zu einem Todesgesetz; aus einem Lichtsgesetz ein Finsternis- und Sündengesetz.

Jesus konnte zu seinen Lebzeiten fragen: „Wer kann mich einer Sünde zeihen?“ Er ist nie über die Sohnesgrenze des Gehorsams hinausgetreten, weder bei der Versuchung durch den Satan noch in Gethsemane oder am Kreuz. Er blieb dem Ihm eingeborenen Gesetz treu – und war darum gerecht. Auch Lucifer und Adam waren in den Augen Gottes so lange gerecht, als sie im Gesetz ihres Lebens stehen blieben. Die Übertretung war ihre Ungerechtigkeit.

Doch ist dem Menschen die Rückkehr in die wahre Gerechtigkeit nicht verwehrt. „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig!“ Diese Rückkehr ist geradezu eine Forderung Gottes an sein Geschöpf, das Er nicht will „verloren“ sein lassen. Der eigenmächtige Versuch der Pharisäer und Schriftgelehrten – damals und heute -, diese ursprüngliche Gerechtigkeit Gottes durch ein scheinbares „Hatten des Gesetzes“ wieder zu erlangen, ging völlig fehl. Vom Menschen her kann die Katastrophe des Abweichens vom göttlichen Willen nicht behoben werden. Den Beweis für alle Zeiten und Ewigkeiten lieferten die „Frommen“ zur Zeit Jesu, die in ihrer vermeintlichen Gerechtigkeit Jesus, den einzig wahren Gerechten, zum Sünder stempelten – und mordeten!

Nur durch eine neue „Geburt von oben“ kann diese Frage wieder geregelt werden. Gott schafft in Christo neue Menschen, gezeugt und geboren aus dem Worte Gottes. Diesem neuen Menschengeschlecht aber ist die ursprüngliche Lebensordnung, der Gehorsam gegen Gott, als Lebensgesetz wieder ins Herz gegeben. Nur auf dem Weg einer Neuschöpfung also ist es für uns möglich, wieder in den ursprünglichen Stand wahrer Gerechtigkeit zurückzukehren, in welchem uns das Lebensgesetz – aus Gnaden – wieder angeboren wird. Unvergleichlich groß aber ist in diesem Zusammenhang das Zeugnis des Paulus: „Das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu, hat mich freigemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes.“ Es werden nicht viele Worte, die größer wären als diese, in den Briefen des Apostels zu finden sein.

Wir stimmen ihm zu mit dem Vers:

„Nun ist also wieder Rat!
Und ich fühle in der Tat
Wieder neue Lebenslust Tief
in meiner Menschenbrust.“
(M. Hahn)

Lies weiter:
Verlust der Herrlichkeit des ersten Menschen (Vätererbe Bd. II)