Stellung zur Kirche

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Michael Hahn

Einführung in seine Gedankenwelt
mit einer Auswahl aus seinen Werken

Von Gottlob Lang (1921)
Quellverlag der Ev. Gesellschaft, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis des Buches
Kapitel davor:
Das Gemeinschaftsideal

Stellung zur Kirche

Als Hahn in jüngeren Jahren bei der Visitation in Altdorf vor den Dekan zitiert wurde, wurde er zur Rede gestellt, warum er so selten die Kirche besuche. Im Lauf des Gesprächs sagte Hahn: ich lasse mich nicht hineinbannen, aber es wäre mir leid, wenn man mich hinausbannen würde (I, Lebenslauf 102; vgl. auch XIII, 356ff; 51. Brief). Dieses Wort ist über die augenblickliche Wortbedeutung hinaus für seine Stellung zur Kirche bezeichnend.

Er ließ sich nicht hineinbannen. Als Hineinbannen empfand er die Aufforderung, die Zeremonien und den Kultus regelmäßig mitzumachen; er setzte dagegen nicht etwa seine Zeremonien und den Kultus seiner Gemeinschaft, sondern er sagt überhaupt: „Es muss in der Gemeine die Freiheit existieren, dass sich jeder auf die Weise erbauen kann, wie er am meisten Erbauung hat. Darum muss eine Freiheit stattfinden unter denen, die sie recht zu benutzen wissen.“ (II, Apg 307; 16. Brief.) Weiter konnte und wollte er sich in seinem Geistesforschen durch nichts beschränken und begrenzen lassen, als durch die Schrift selbst. Und endlich konnte, und wollte er sich und andern die Freiheit der Rede nicht nehmen, und sich als Laie auf das Zuhören beschränken lassen. Das Monopol des kirchlichen Amtes auf die geistliche Rede empfand er als etwas unnatürliches, und hinter dem Misstrauen gegen das Auftreten und Reden von erleuchteten Laien sah er eine „Leugnung unmittelbarer Einwirkung des Geistes Gottes auf die Ungelehrten“ (Die heutige [1921] evangelische Kirche steht der aktiven Mitarbeit der Laien im Allgemeinen, und den im Gemeinschaftsleben enthaltenen Gaben im Besonderen wesentlich bejahend gegenüber).

Dass er sich hierin nicht fügte, begründet er nicht bloß aus dem Bedürfnis der Gemeinschaft, sondern aus dem Wesen der evangelischen Kirche selbst: sie verleugnet mit der Bekämpfung der Gemeinschaften den Ursprung, von dem sie ausging: den Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit. „Freiheit zu denken, zu glauben und zu reden ist protestantischer Vorteil allein. Heimlich nur etwas im Herzen getragen, heißt zwar Freiheit in dem, was man denkt, aber damit ist kein Voraus gegeben!“ (III, Eph 46; 15. Brief.) „Alles, was päpstelt, ist nicht protestantisch; und es lässt sich auch auf der Welt nichts weniger tun als über menschliche Gewissen [zu] herrschen.“ (III, Eph 32; 15. Brief). „Es wäre mir aber leid, wenn man mich hinausbannen würde.“ Von sich aus verließ er die Kirche nicht, und hielt auch die Seinen bei ihr fest.

Hahn stellt sich damit in Gegensatz zu den vielen Separatisten seiner Zeit. Der Rationalismus, dem Empfinden namentlich des württembergischen Landvolkes fremd, war damals von den Kanzeln, auf denen er übrigens nie die Alleinherrschaft hatte, in die Kirchenbücher, besonders ins Gesangbuch (1791) eingedrungen, und dies hatte viele, die mit Ernst Christen sein wollten, veranlasst, sich von der Kirche zu trennen. Dass Hahn diesen Schritt nicht tat, wurde ihm natürlich in diesen Kreisen sehr verübelt und als Halbheit ausgelegt. – Dass Hahn für den Rationalismus seiner Zeit nichts übrig hatte, braucht nach der ganzen Darstellung seines Systems nicht ausdrücklich gesagt zu werden, und er hatte seltene, aber sehr scharfe Worte gegen die „schriftwidrigen Neologen“.

Leid ist mir‘s, dass ich nicht eine [Kirche] kann loben,
Selbst auch die meine ist kränklich und kalt;
Man hört den Irrtum fast wüten und toben,
Niemand tut ihm mit Nachdruck Einhalt.

(V, 2.Abt, 202; 25. Brief. Nicht für das Auftreten schriftwidriger Lehren, aber für deren mangelhafte Bekämpfung gibt er der Kirche die Schuld: „Aber ein jeder darf lehren und sprechen, also das Gute verderben und schwächen.“ (V, 2.Abt.229; 26. Brief) – Gegenüber der uneingeschränkten Rede- und Erbauungsfreiheit aller, in den Zitaten des 1. Absatzes, ist dieser Gedanke freilich nicht ausgeglichen!)

Aber ganz allgemein, nicht bloß in der Lehre, fand er die Verderbnis des Geistlichen ins Fleischliche und Äußerliche in der Kirche. Es ist umso merkwürdiger, dass er sich nicht zur Separation drängen ließ, als er nach seinen Ansichten von dem nahen Herbeikommen der letzten Zeiten, bald eine scharfe Scheidung kommen sah zwischen der geistlosen entarteten Christenheit in allen Kirchen und dem kleinen Häuflein der wahren Jesusjünger, zwischen Babel und Zion. Und wenn wir uns aus dem ersten Abschnitt erinnern, wie die Kirche seiner Zeit ihn persönlich verfolgt hat, so wäre es mehr als verständlich, wenn er den Staub von den Füssen geschüttelt hätte!

Er blieb in der Kirche. Der Grund ist nicht das Gesetz der Trägheit. Sondern einmal hatte er eine Ehrfurcht vor den Lebenskräften, die in der Kirche auch seiner Zeit von ihrer Geschichte her lebendig sind. „Genug, sie ist noch Mutter und hat auch geistliche Glieder.“ „Lasst uns ihr Gutes, das sie hat, schätzen, solange sie es noch hat!“ (XII, 519; 71. Brief.) Auch hat sie noch erleuchtete Lehrer, und diesen gegenüber verhält sich Hahn so demütig, dass er sagt: Sie sind die werkzeuglichen Baumeister, wir nur die Handlanger (System 534f). (Damit ist freilich mehr ein Ideal als der Sachverhalt gezeichnet, denn für ein solches Zusammenwirken hatte die damalige Kirche keinen Raum, Hahns Persönlichkeit vielleicht auch nicht die Elastizität.) – Es fehlt ihm auch nicht der Blick dafür, dass die Kirche eine Bedeutung für das Volksleben hat:

Freilich ist alles fast gänzlich zerfallen,
Äußere Kirche muss darum doch sein,
Oder wer könnte auf Erden noch wallen!
Christliche Heiden* sind härter als Stein.
Also wir doch noch viel Ordnung erhalten
Auch durch erschrecklich zerfall‘ne Gestalten**.
*(Wie sie dann aufwachsen würden) **(V, 2.Abt, 230; 26.Brief)

Aber der Hauptgrund seines instinktiven Widerwillens gegen die Separatisten war ein anderer, tieferer. Er hatte einen klaren Blick dafür, dass, wie die Kirche der Reformation, jede Geistesbewegung sich auf ihrem Wege veräußerlicht, wenn an die Stelle der inneren Bewegung die Organisation und geprägte Form tritt. Und er wusste wohl, dass es ihm nicht anders gehen würde. Das hat er mit den klassischen Worten ausgedrückt: „So viel gestehe ich ein, dass, wenn ich heute anfinge eine Gemeinde zu bilden, und ich wüsste ihr die beste Verfassung und Einrichtung zu geben, und würde auch die edelsten Menschen meines Bedünkens [nach meiner Einschätzung] dazu auswählen, so würde es in kurzer Zeit auch ein kleines Babel sein, und ich würde nur ein kleines Gässlein in der größeren Babel bauen mit besonderen Formen und Zeremonien, und wozu soll ich das?“ (V, 2.Abt, 208; 26.Brief.)

In welch hohem Maß Hahn sich innerlich als Glied seiner Kirche fühlte, davon sind ein Beweis die Lieder, mit denen er auf seine Weise 1817 das Jubelgedächtnis der Reformation beging – geistvoll, frei von Selbstverherrlichung, mehr in die Zukunft als in die Vergangenheit gerichtet. Nachdem er dem geistlichen Wert der Tat Luthers gerecht geworden ist, stellt er den Grundsatz auf: man darf [soll] die Reformation beständig erneuern – und führt ihn an zwei Dingen durch: einmal ist der Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit in der evangelischen Kirche nicht voll durchgeführt, Gottes Geist wurde wieder an den Amtsträger gebunden, und der Lehrstand hat sich deshalb eine Herrschgewalt über die Lehre angemaßt; zweitens ist bei der Reformation vieles übertrieben und überzogen worden, d.h. man ist im Eifer zu weit gegangen und hat wertvolles Gut preisgegeben, z.B. alles, was die Verbindung der sichtbaren und [mit] der vollendeten Gemeinde betrifft; den Gedanken der Reinigung der noch unvollkommen abgeschiedenen Toten; vor allem ist die Heiligung als notwendige Frucht des Glaubens zu sehr zurückgetreten. War Luther z.T. anderer Meinung, so sind wir an ihn nicht gebunden; er würde in dreihundert Jahren auch nicht stehen geblieben sein und wollte ja kein neues Papsttum aufrichten. Diese staunenswert freie und klare Kritik hindert nicht, dass die Stimmung über das Los der Kirche hier nicht die düstere ist wie in der Erklärung der Offenbarung, sondern er zeichnet der Kirche einen Weg vor, in der Richtung von der Obrigkeitskirche zur Gemeindekirche, einen Weg, wie ihn in vielen Beziehungen die geschichtliche Entwicklung tatsächlich gegangen ist.

An einen Separatisten

(X, Lied 44 – aus dem Lied: Religion – sag mir die beste!)

Ja Freund, du hast fast gut geschlossen, Ich bin in vielem Sepratist, Und bin von ihnen nicht verstoßen, Ob ich auch schon bin Pietist, Ich will dir sagen, ich bin beides, Doch bin ich beiden Ursach‘ Leides, Weil ich mit keinem ganz es halt. Mein Herz ist weit, kann beides tragen, Obschon noch beide auf mich schlagen Bei meiner sonderen Gestalt...

Gott ist an keinen Ort gebunden, Auch nicht an ein geweihtes Haus; Nein, er wird überall gefunden, Das kann ich selber schreiben aus. Gott ist ein Geist, ist allerorten, Man find‘t ihn hier, man find‘t ihn dorten, Er ist und wirket ewig frei. So ist auch mir im kleinern Teile, Darum ich auch so selten eile, Wonach doch mancher eilt herbei.

Gott ist von keinem Ort verstoßen, Es hat ihn niemand ausgebannt. Im steinern Haus wir er genossen, Und öfters auch noch recht erkannt. Drum lass ich es mich nicht verdrießen Mit andern ihn dort zu genießen, Bis Gott nicht mehr wird kommen drein. Dann ist es Zeit erst wegzubleiben, Sein Christentum geheim zu treiben; Doch vorher soll es ja nicht sein.

Reformationslieder

I (XII, 501, im Zyklus das zweite; vor dem 71. Brief)

Man darf die Reformation beständiglich erneuern,
Ob wir derselben Anfang schon in voller Andacht feiern:
Es wird geschätzt und fortgesetzt nach reinen Lichts-Gedanken
Vom Geist des Herrn, er hat es gern, doch ohne Streit und Zanken.
Einst rufte man die Heil‘gen an, die von der Welt geschieden,
Da uns doch keiner helfen kann uns, die wir sind hienieden;
Doch sind sie ja unsichtbar nah, nicht ohne uns vollendet,
Und wirken fein auf die Gemein, die zu dem Haupt sich wendet.
Jetzt beten manche gar nicht mehr, verachten alles Bitten*,
Mithin sind sie zerfallen sehr, sind unter uns oft mitten;
Also ist schon etwas davon aufs Neu zu reformieren,
Weil, welcher glaubt, anruft das Haupt, das uns kann konfirmieren°.
  • (Der rationalistische Deismus verwarf das Bittgebet, da Gott nicht in den Weltlauf eingreife.)
°(= unsere Bitten bestätigen.)
Nein, wir verdammen niemand mehr, er glaube, was er wolle;
Wir finden nicht in Jesu Lehr, dass man verdammen solle.
Wer anders denkt, sei ungekränkt, doch soll er uns den Glauben
An Gottes Wort, an unsern Hort, auch gar nicht wollen rauben.
Auf Werken der Gesetzlerei will keiner von uns bauen,
Doch dabei sagen wir auch frei, dass wir beim Gottvertrauen
Auch Geistesfrucht bei dem gesucht, der uns den Glauben rühmte;
Denn lebet er, so bringt er mehr, und das nicht nur verblümte.
Also der Werke Heiligkeit wird nicht bei uns geachtet:
Lebendige Gerechtigkeit als Glaubensfrucht betrachtet,
Die fordern wir doch nicht von dir, es sei denn, dass du glaubest,
Und Gott die Ehr‘ mit Tun nicht mehr im eignen Geiste raubest.
Ist durch die Reformation uns Gottes Wort gegeben,
So machen wir Gebrauch davon, wenn wir im Glauben leben,
Denn Geistesfrucht und Gnadenzucht treibt, wie ich fühl und merke,
Selbstheiligkeit, Gerechtigkeit und wahre gute Werke.
Und weil das Licht noch immer steigt, die Wahrheit sich aufkläret,
So wird sie deutlicher gezeigt, da, wo man es begehret;
Ist’s nun nicht schon etwas davon und Frucht vom Reformieren?
Dass es fortgeht, nicht stille steht, lässt sich hieran probieren.
Wir protestieren gegen das, was man uns will aufdringen,
Wir sagen aber hier nicht was von den zu vielen Dingen;
Gewissenszwang hemmt Geistesdrang, kann also uns nicht gehen;
Nein, diese Qual soll allzumal bei Christus nicht bestehen.
Wenn also Reformation gewissenhaften Seelen
Mit päpstlicher Gewalt auch nun im Guten wollt‘ befehlen,
Was wäre dies, mehr als gewiss, ein neues Papsttum eben.
Dies soll nicht sein, das sehn wir ein, weshalb wir uns nicht geben.
Wie wäre das Gerechtigkeit, wenn wir Gewissen zwingen
Und uns in Gottes Heiligkeit und Herrschaft wollten dringen?
Was uns nicht geht, niemand zusteht, was Mensch sei hier auf Erden;
Denk jeder frei, dem Licht getreu, dann wird es besser werden.
Die Herrschsucht ist abscheulich Ding in diesen Geistessachen,
Sie setzt das Gute ins Gedräng, denn sie ist Frucht des Drachen,
Wir fliehen sie, so sehr allhie als Hölle, Tod und Teufel,
Wir glauben Gott und seinem Wort und kämpfen mit dem Zweifel.
Wir nehmen auch die Wahrheit an von Gottes Wahrheitszeugen,
Von denen man es spüren kann, dass sie zu Gott sich neigen.
Uns steht es frei, dem Licht getreu, denn wer uns wollte zwingen,
Der triebe schon uns gleich davon, ihm sollt es nicht gelingen...
Der, den ich überzeugen kann mit klaren Wahrheits-Strahlen,
Der nimmt alsdann freiwillig an und nicht mit innern Qualen;
Ist reformiert: zurechtgeführt, wenn ich das Licht recht habe,
So geht es an, wer’s also kann, gebrauche diese Gabe.
Wenn eine Seele irre geht, darf ich den Weg ihr weisen,
Doch, dass sie mir auch stille steht, muss ich mich ihr anpreisen*,
Nicht mit Gewalt in Papstgestalt, sonst werd ich sie vertreiben;
Sie sieht mich irr‘ kommt ins Gewirr, wird, wie sie ist, verbleiben.
*(Mit Beweis des Geistes und der Kraft. Wirkliche Seelenleitung, will er sagen, ist nur dort möglich, wo innere Geistesautorität ist, nicht bloß Amtsautorität.)
Gewissens-Herrschers Geist des Herrn! nur du wollst uns befehlen!
O, dein Gebieten hört man gern, es ist darin kein Quälen.
Denn es macht frei und willig treu, es nährt mit Geist und Leben;
Wer Licht verlangt, an die nur hangt, dem willst du dich ja geben.

II. (XII, 509, viertes des Zyklus)

Du fragst, was übertrieben sei, und was man überbogen?
Wir wollen dir bekennen frei, was wir recht wohl erwogen,
Nicht alles zwar, man gibt’s nicht gar, was man selbst hat empfangen;
Wer fleht und denkt, dem wird geschenkt, denn so kann man erlangen.
Eh‘mals war alles eingericht’t, viel Geld und Ehr zu bringen;
Dass dieses also tauge nicht, war gut hinweg zu dringen.
Freund, habe Acht, was wohlbedacht, als Greul erkannt ist worden.
Dann bist du froh, dass es nicht so noch ist in unsern Orten.
Einst plapperte man Messen her um Geld in großer Menge,
Als ob Gott wortbegierig wär, als ob’s ihm Nahrung bringe,
Durchmachte ganz den Rosenkranz mit lautem Mundgeschnatter,
Das sollte fein dort dringen ein und war doch kalt und mager.
Doch solch Geplauder gar nicht passt und Gottes Herz nicht rühret,
Wird leicht begriffen und gefasst, dass sich’s in Wind verlieret;
Es ist ein Greul, wie ein Geheul, denn man will Gott betrügen.
Nicht so mein Christ! Denk: wo Gott ist, du sollst vor ihm nicht lügen.
Für die Verstorb’nen hat man gar viel Messen hingesprochen;
Doch dies Gepappel hat fürwahr nicht Tod und Höll‘ durchbrochen.
Was war es dann? Wer’s fassen kann: es war ein Gelderwerben,
Dem Lehrerstand, der’s angewandt, oft gar noch zum Verderben.
Doch dass kein Beten nützen soll den abgeschied‘nen Seelen,
Das heißt zu weit getrieben wohl, auch damit kann man fehlen;
Die ernste Bitt, ringt jener* mit, kann doch zustattenkommen;
Also zu viel ist auch vom Ziel, Freund, hast du dies vernommen?
*(Der Verstorbene)
Du bittest freilich nicht um Geld für den verstorb‘nen Armen:
Du wirkest in die Geisterwelt aus herzlichem Erbarmen;
Herz, das geht an, heißt wohlgetan, ob’s gleich nicht just befohlen;
Folg deinem Drang und frag nicht lang, bring seinem Feuer Kohlen.
Das Plapperwerk sei abgetan, bei Leibe nicht: zu beten,
Dieweil man Gott bewegen kann, wird Jesus uns vertreten;
Wer’s unterlässt, verschmäht das Best, er kann nicht geistlich leben.
Was mancher lehrt, ist sehr verkehrt von dieser Sache eben.
Dass Gott vorher schon alles weiß, wird ja ein Christ nicht streiten;
Doch treibt zum Beten an sein Geist, und das zu manchen Zeiten
Den, der ihn hat, drum sei nicht matt, ermuntre dich beständig,
Bet‘ mit dem Mund von Herzensgrund und immerdar innwendig.
Jetzt glaubt man keine Reinigung nach diesem Erdenleben,
Ist gleich oft nur die Heiligung dem Anfang nach gegeben:
Das ist nicht klar noch bibelwahr, ist gleich kein Fegefeuer,
So geht doch dort das Rein‘gen fort, das glauben wir gar teuer.
Was hier nicht wird vollendet sein, das muss es dort erst werden;
Nichts passet in dem Lichtreich fein, was anhängt von der Erden.
Was bibelwahr, was hell und klar, muss man nicht disputieren;
Es heißt zu viel und übers Ziel etwas zu reformieren.
Was Gottes-Wort beweist und glaubt, das sollen Christen fassen,
Und glaubt es gleich kein Kirchenhaupt, weil es ihm nicht will passen.
Wir glauben‘s doch, als die wir noch tagtäglich reformieren;
Wir wachsen ja, solang wir da uns nicht vom Licht verlieren.
Wir glauben nicht, dass Geist des Herrn sich nur an Lehrer binde.
Von keinem Christen ist er fern, auch nicht von einem Kinde;
Wer ihn verlangt, dem Herrn anhangt, der kann ihn stets empfangen;
Er hat ihn schon, Beweis davon ist ja sein Gottverlangen.
In unsrer Kirch ging man zu weit und leugnete sein Wirken,
Als wäre er zu unsrer Zeit allhie nicht mehr zu merken;
Also merkt wohl, was man da soll, hier muss man reformieren;
Und Gottes-Wort als Leitstern fort nie aus dem Aug verlieren.
Dann einst wird Gott den Geist des Herrn auf alles Fleisch ausgießen,
Und diese Zeit ist nimmer fern, da wir* einleiten müssen;
Jetzt ist er ja in manchen da, noch freilich nicht in allen;
Doch wer ihn hat kann in der Tat mit ihm hinüber wallen.
*(Unter „wir“, die diese Zeit „einleiten“, sind wohl die ersten Christenzeugen aus dem Laienstand gemeint, die ihr Recht unter Verfolgung erkämpfen müssen.)
Wer eine Wiederbringung glaubt, ist manchen gar verdächtig,
Liest man die Bibel überhaupt, verteidigt man das heftig.
Wer tiefer geht und fester steht, find‘t jenes gut gegründet,
Weil man es klar als teu‘r und wahr auf allen Blättern findet.
Glaubt man ein tausendjährig‘ Reich, so glaubt man ja der Bibel;
Drum soll man dieses nicht sogleich betrachten als ein Übel.
Was hell und klar ist teu’r und wahr, wie soll man es verdecken?
Da unsre Zeit das nicht gebeut, ein solch Licht zu verstecken.
Hat der geliebte Gottesmann* das nicht so eingesehen,
Was liegt im Grunde uns daran, man bleibt bei ihm nicht stehen;
Denn wär er da, er würde ja selbst immer weiter blicken;
Er tat genug, seid aber klug und wachst in allen Stücken.
*(Luther)
Ist nicht Gewissens-Freiheit-Frucht vom edlen reformieren?
Und folgen wir der Gnaden-Zucht, was wird sich noch verlieren!
Wir fahren fort, nach Gottes Wort, Begriffe zu verlieren,
Die nicht ganz rein und biblisch sein, das heißt fort-reformieren.
Wir binden uns an niemand nicht, froh, dass wir losgebunden;
Wir nutzen eines jeden Licht, den wir erleuchtet funden;
Doch ist es nicht, dass, was er spricht, wir als bar Geld annehmen,
Wir prüfen gern nach Sinn des Herrn; sonst müssten wir uns schämen.
Es wolle also keiner mehr uns wie die Blinden führen,
Weil Gottes Geist und Bibellehr uns solle nur regieren;
Wer aber fein, wird niedrig klein uns wollen unterrichten,
Den hören wir, ach gerne, hier, als einen Papst mitnichten.
Wer uns das Forschen niederlegt und einen Kreis will schließen,
Ein kleines Papsttum in sich hegt, sitzt dem doch nicht zu Füßen!
Doch, wer mit Macht das Licht veracht’t, den lass getrost nur fahren,
Sein Eigensinn scheint ihm Gewinn, den sucht er zu bewahren.
In einer christlichen Gemein muss ohne Widersprechen
Auch eine schöne Ordnung sein, und die soll niemand brechen,
Doch braucht‘s nicht Macht; wenn jeder wacht, wer braucht da zu befehlen?
Wenn jedes glaubt ist jedes Haupt bei so verbund‘nen Seelen!
Herr! reformiere alle recht, die du hier willst verbinden,
Der Größeste sei aller Knecht, wie du es gern magst finden.
Mach arm und klein, wer groß will sein, führ alle tief hinunter!
So wird es geh‘n und wohl besteh‘n; der Anblick schon macht munter.

Schluss

Ein Überblick darüber, was uns Michael Hahn heute sein kann, ist vielleicht wertvoll.

1. Der Theosoph Hahn wäre noch vor wenigen Jahren [1921] vollständig abgelehnt worden. Die Zeiten haben sich aber geändert. Das aufrüttelnde Erlebnis des Kriegs [1914-18] hat ein Bedürfnis nach Metaphysik geweckt, das nicht so bald zur Ruhe kommen wird. Es ist uns nicht mehr so undenkbar, dass es Erkenntnis höherer Welten, tieferer Zusammenhänge gibt, dass sie aber nur von einer gewissen Höhe des Geisteslebens an aufleuchtet. Wenn viele einer Gestalt wie [Rudolf] Steiner gelauscht haben, die uns indische Geisteswissenschaft brachte, und an Gott schließlich vorbeiführt – so dürfen wir auf den schwäbischen Theosophen hören, der an der Hand der „oberen Mutter“ und aus der Verbindung mit Gott heraus in Seine Welt Blicke tut. Wenn er das Unsichtbare nur im Sichtbaren, den Geist nie ohne sein Haus sich denken kann, so steht uns dabei freilich noch der Schlagbaum „Kant“ im Weg; aber auch moderne Philosophien zeigen ähnliche Tendenzen. Auf alle Fälle aber hat die Theosophie Hahn nie die Gesundheit und Einfachheit seines Denkens verderbt, sondern nur den Blickpunkt emporgerückt: „Was ich spiegelhaft gesehen, suche ich wurzelhaft zu erlangen.“

2. Eindrücklicher noch als sein Denken, tritt uns der Ernst seines sittlichen Ringens entgegen. Einer wirklichen wesenhaften Verderbnis der menschlichen Natur, tief zurückzuverfolgen in der Geschichte der Menschheit, deren Glied der einzelne ist, gilt es zu steuern; und ein Gottesziel, bei dem die ganze Persönlichkeit in Gottes Bild neu geschaffen wird, gilt es zu erreichen. Dazu braucht es mehr als sittliche Anstrengung, es braucht Wiedergeburt. Aber auch diese Erneuerung wird nicht in einem momentanen Glaubensakt geschenkt, sondern in einer Entwicklung ausgeboren, bei der der Mensch selber mitzuwirken hat, täglich vor größere Aufgaben und gegen ernstere Feinde gestellt wird – und er hat Zeiten und Ewigkeiten vor sich, um dies Ziel zu erreichen.

Gewiss sehen wir heute Kulturaufgaben auf Lebensgebieten, für die Hahn keinen Sinn hatte und haben konnte – und das Fehlen des Blicks dafür, gibt seinem Ringen etwas Einförmiges. Auch die Christenheit hat Aufgaben am Volksganzen, an der Jugend, in der Kirche, die Hahn noch nicht erkennen konnte. Aber die Besten haben doch auch erkannt, dass in der Kompliziertheit gerade der modernen Kultur, nur die Persönlichkeit sich behaupten kann, die mit sich selbst ins Reine gekommen ist, in sich selbst eine Welt zu erobern und mit Gottesgeist zu durchdringen begonnen hat, so vielfältig und aufgabenreich, so schön und so gefahrenreich wie die Außenwelt – und dazu kann uns Hahn ein Führer sein.

3. Und nun die religiöse Persönlichkeit. Auf den ersten Blick bildet ja der kühne Zentralschauer einen gewissen Gegensatz zu dem schlichtgläubigen Christen und besonders begabten Seelsorger der Einfältigen (im geistlichen, nicht geistigen Sinn). Aber Hahn hat sich doch in den Spekulationen über den inneren Werde-Vorgang in Gott, über den Aufbau der Welten, über die Ureinheit des Menschen nicht verloren, sondern ist zu einer wirklichen Heilslehre durchgedrungen, und das dankt er dem beständigen Schöpfen aus der Welt der Bibel. Sie hat ihn auch, von einzelnen gesetzlichen Zügen abgesehen, davor bewahrt, das stark betonte sittliche Ringen ins Moralische umzubiegen. Jesus, der in den Geist Erhöhte, ist nicht bloß nach der Stellung im System, sondern in der Tat die „Lichtweltsonne“ seiner inneren Welt. Insofern hat er am Gesamtbesitz der Christenheit vollen Anteil.

Was aber seiner Frömmigkeit die besondere Note gibt, das ist der Zug der religiösen Innerlichkeit, der sich durch alles zieht, was er schrieb – je reifer, je mehr. Diese Innerlichkeit ließ ihn auf eine äußere Organisation der Gläubigen verzichten; sie stimmt ihn bedenklich gegen alles Wirken nach außen, um andere zu bekehren; sie zähmt den Strom des Gefühls, der mit dem religiösen Leben ja immer aufquillt. Auf das alles kommt es gar nicht an, gegenüber der Bedeutung des inneren Werdens „aus Ihm, durch Ihn und zu Ihm“. Alle Führungen des Lebens, die Kämpfe, bekommen erst einen Sinn, wenn sie auf das innerste des Seelengrundes bezogen werden; die religiösen Eindrücke haben erst einen Wert, wenn sie dort verwandelnd wirken; nur durch die ständig geübte und stufenweise fortschreitende Einkehr, wird das Vermögen des Schauens der göttlichen Dinge ausgelöst und festgehalten. Diese Innerlichkeit ist nicht sanfter Quietismus einer schönen Seele, sondern der errungene Kraftpunkt eines Feuergeistes. Die Lieder der Frühzeit reden eine ergreifende Sprache davon, wie er sich müde gesucht in der Vielfalt, und in allem einen Tod gefunden hatte. Darum will er sich aus diesem innersten, dem unsichtbaren Tempel der Gottesherrlichkeit, den er gefunden hatte, und der er geworden war, nimmer vertreiben lassen.

Und wenn Gott heute aus dem Gewoge der Zeiten sein Angesicht uns zeigen wollte, wäre es etwas anderes, was der suchenden Welt, wie der in Betrieb versunkenen Christenheit, zugerufen würde, als das:

Such ihn nicht in Zeit und Ort,
Such ihn immer und von innen.
Gehst du nicht von allem aus,
Find‘st du ewig nicht sein Haus.

Quellen

Johann Michael Hahns Schriften, herausgegeben von eine Gesellschaft wahrheitsliebender Freunde I-XIII; außerdem:
Sammlung von auserlesenen geistlichen Gesängen (sog. großer Liederband) und Briefe von der ersten Offenbarung (sog. System)
(Tübingen, gedruckt bei Ludwig Friedrich Fues 1819 ff).

Die Bände wurden mir durch die Hahnsche Gemeinschaft in Stuttgart freundlichst zur Verfügung gestellt.

  1. Haug, Die Sekte der Michelianer (1839).
  2. Stroh, Die Lehre des württembergischen Theosophen Michael Hahn, Stuttgart, Steinkopf, 1859
  3. Die Hahnsche Gemeinschaft, aus den Kreisen derselben, Verfasser ungenannt, 1877)
  4. Palmer, Gemeinschaften und Sekten Württembergs (Tübingen-Freiburg 1877)
  5. Baun, Michael Hahn, der Gründer der Hahnschen Gemeinschaft (Stuttgart, Quellverlag der Evangelischen Gesellschaft 1908).