"Wenn die Lust empfangen hat ...!"

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Abschrift des Heftes: Der Mensch unter dem Fluch
Julius Beck (1887-1962)

Aus der Reihe: Vätererbe Bd. III (1962)
Verlag Ernst Franz Metzingen, Württ.

Siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

Der Mensch unter dem Fluch

6. "Wenn die Lust empfangen hat ...!"

Nach dem Gesetz in Jak 1 beginnt jede Offenbarung in der Seele mit einer Erregung der Lust, namentlich auch bei der Entstehung der Sünde. Nach der Empfängnis der Lust beginnt ein Geburtsprozess, durch welchen die Sünde hervorkommt; in der Ausreifung der Sünde erscheint der Tod, dieses furchtbare Übel der Menschheit.

Wie kommt es aber zur Empfängnis der Sünde? Dies zu wissen ist wichtig, weil hier die Entstehungsquelle alles Bösen liegt. Um ein näheres Verständnis dafür zu gewinnen, muss man sich über die Fundamentalkräfte der Seele klar sein.

Schöpfungsmäßig stellt die Seele eine Geburtsquelle dar. Eine solche setzt Aktions- (A) und Reaktionskräfte (O) voraus. Die Aktionskräfte heißen auch wirkende oder männliche Kräfte; die Reaktionskräfte leidende oder weibliche Kräfte. Die Begriffe aus der irdischen Welt dienen zum besseren Verständnis der seelischen Vorgänge; auch das Wort Gottes bedient sich ihrer. Um die wirkenden und leidenden Seelenkräfte in Bewegung zu setzen, bedarf es einer weiteren Kraft, der Lust (U). Diese drei Grundkräfte machen die Grundstruktur der menschlichen Seele aus; durch sie hindurch offenbaren sich unsichtbare Kräfte des Lichtes oder der Finsternis.

Sie können in der Seele das Leben oder den Tod ausgebären. Das Leben wird ausgeboren, wenn die Seele von Gott, der Quelle des Lebens, bewirkt wird; der Tod aber, wenn die Seelenlust durch die Finsternis geschwängert wird.

Wir vergegenwärtigen uns kurz die Vorgänge bei einer Lebens- oder Lichtsgeburt in der Seele. Sie erfolgt nach dem Wort: „Habe deine Lust an dem Herrn; Er wird dir geben, was dein Herz wünschet“, nämlich den Lebenssamen in dein Wesen hinein. Der Werdeprozess beginnt bei der Lust. Diese ist an sich neutral, d. h. sie will weder Gutes noch Böses. Es kommt auf die reizende Ursache an, welche die Lust zum Aufsteigen oder zum Aufblühen bringt. Ist eine Neigung für das Göttliche vorhanden, dann wird die Lust vom Guten, vom Wort Gottes her angesprochen, und sie steigt auf in den Grundkräften. Dabei handelt es sich aber nicht nur um einen physikalischen Vorgang; vielmehr eröffnet sich die Lust ähnlich einer Blüte, die auf Besamung wartet. Diese Besamung geschieht durch den „Einfluss“ des Lichtes in die Lust. Der Vorgang gleicht der Befruchtung einer Blume. Dabei hat die Seele Empfindungen der Freude; denn sie fühlt das liebliche Kraftwesen (die Tinktur) aus dem Reich des Lichtes. M. Hahn sagt: „Es ist ein Same, von Gott ausgegangen.“ So ist also unsere Seele einer unmittelbaren Besamung von Gott her fähig – ähnlich wie bei Maria; nur geschah die Besamung bei ihr zunächst auf körperlichem Gebiet.

Der Prozess, welcher durch solche Besamung eingeleitet wird, ruft in der Seele ein Wachstum hervor; es geschieht eine „Geburt“ in ihr wie nach einer körperlichen Empfängnis. Das „Kind“, das ausgeboren wird, ist Wesen des Lichtes und des Lebens, welches unsere Seele bereichert und belebt. Auf diese Weise ergießt sich nach und nach ein ganzer Reichtum von göttlichen Kräften in eine empfängliche Seele; sie wird gesalbt mit den Kräften des Heiligen Geistes. So wird auch schließlich Christus in ihr ausgeboren. Denn das Kind der Seele gleicht seinem Vater; dieser aber ist – in unserem Fall – Gott selbst. Darum heißt Er nicht nur formell ein „Vater“; Er ist es auch.

Die Ausgeburt der Sünde

Ganz parallel läuft der Prozess, wenn die Lust sündlich empfangen hat. Denn auch die finstere Tinkturkraft vermag die Seele zu schwängern und sie zu einer Geburt zu veranlassen. Der Reiz der Lust geht dieses Mal von der finsteren Welt aus, ja vom Satan selbst. Auch er ist ein „Vater“, aber nicht der rechte Vater. Die der Finsternis sich öffnende und in der Seele aufsteigende Lust reizt die Finsternis, sich alsbald mit der Seele – wie mit einer Jungfrau – einzulassen, d. h. sie geistig zu „erkennen“. Es kommt zu einem Zusammenfluss zwischen Lust und Finsternis, zwischen der Menschenseele und dem Satan. Sind im ersten Fall durch göttliche Einwirkung die Lichtsanlagen der Seele befruchtet und zur Entwicklung gebracht worden; so jetzt die Finsternisanlagen. Es geht also jeweils Gleiches mit Gleichem um: Licht mit Licht und Finsternis mit Finsternis; es könnte ja sonst zu keiner Geburt kommen. So kann ein Tier eine Pflanze nicht besamen.

Nachdem die gegenseitige Verschmelzung geschehen ist, läuft alsbald der Geburtsprozess „wie von selbst“ an. Dieser ist eine Art Naturvorgang und verläuft jeweils gesetzmäßig, d. h. in der Ordnung, die „gesetzt“ ist. Liegt eine Schwängerung der Lust durch die Finsternis vor, so verläuft der Vorgang nach dem Sündengesetz. Er kann vom Menschen nicht mehr aufgehalten werden, nachdem die Lust empfangen hat. Das „Kind“, das aus solcher Ehe mit der Finsternis hervorgeht, gleicht seinem Vater und ist ein Satanskind. Darauf spielte Jesus an, als Er zu den Pharisäern sagte: „Euer Vater ist der Teufel.“ In ihren Seelen geschahen also vornehmlich Finsternisgeburten. Am Ende wird die Seele selbst ein Satansbild, und der Satan wohnt und herrscht in ihr. Das ist die Ausgeburt, d. h. die Ausreifung der Finsternisanlagen im Menschen. Ein Mensch, der sich auf diesem Weg sozusagen zu einem Satan entwickelt hat, kann – nach Teufelsart – nur noch den Tod in sich ausgebären; abermals eine grausige Tatsache, die nur wenige Menschen erkennen. –

Der Mensch hat die Wahl

Doch ist der Mensch nicht dazu verurteilt, es geschehen zu lassen, dass entweder Gutes oder Böses in ihm erzeugt wird; dies liegt vielmehr in seiner Wahl. Darf doch die Schwängerung der Lust sowohl vom Licht als von der Finsternis her erst dann eintreten, wenn der menschliche Wille sich zur Lust gesellt und ihr Tun bejaht hat. Hier zeigt sich die Freiheit des Menschen, die 85 freilich durch Übung und durch Gewohnheit im Guten oder im Bösen erweitert oder beschränkt werden kann. Die Finsternis schränkt die menschliche Willensentscheidung mehr und mehr ein. Sie macht den Menschen zum Sklaven. Der Sohn aber macht frei, d. h. das Licht, das gewählt wird, befreit unseren Willen mehr und mehr von finsterer Beeinflussung und entbindet alle unsere Kräfte. So entsteht allmählich im Menschen jener Wille, von dem es heißt: „Wer will, der kann wollen, das, was er wird sollen.“ –

Dadurch, dass sich der Mensch für die Finsternis entscheidet, macht er sich vor Gott schuldig. Denn es ist ihm gesagt, was gut ist, und was der Herr von ihm fordert. Der Mensch frevelt, wenn er einen anderen als den göttlichen Willen tut. Das macht ihn strafbar. Es macht ihn auch unglücklich; denn aus der finsteren Anlage, dem sogenannten physischen Übel, entsteht auf solchem Weg das moralische Übel, d. h. die Tatsünde, für die er verantwortlich ist. Vollbrachte Sünde aber lastet wie ein Alpdruck auf der Seele; Sünde befreit nicht. Sehr wichtig ist noch eine doppelte Erkenntnis! Ein Geburtsprozess in der Menschenseele kann nicht vom Menschen her eingeleitet werden. Er kann ohne einen Zusammenschluss mit der Finsternis keinen Tod in sich hervorbringen. Es bedarf dazu jeweils zweier Partner. Wiederum kann auch Gott nicht ohne den Menschen und sein Ja das Licht des Lebens im Menschen erzeugen, so wenig als die Finsternis ihr satanisches Wesen. Hier sind vom Schöpfer im menschlichen Wesen Sicherungen eingebaut, so dass der Mensch einige Selbständigkeit und Freiheit bewahren kann und nicht einfach von seinen Trieben fortgerissen wird. Diese werden von der Finsternis her bewirkt; aber absoluter Zwang liegt nicht vor, weder von Gott her noch vom Satan her. – Groß ist auch die Erkenntnis, dass Gott dem finsteren Werde- und Geburtsprozess in der Menschenseele wehren und die Seele zu einer göttlichen Geburtsquelle umzuschaffen vermag. Er kann erlösen von der Beeinflussung durch die Macht der Finsternis, und kann die Seele, die ganz will, wie Er will, zu einer Quelle von lauter Lichts- und Geistesgeburten umgestalten. Dazu gehören freilich göttliche Allmachtskräfte, welche im Blute Christi beschlossen liegen. „Dieses Blut tut Wunderkuren, bildet neue Kreaturen.“

Jeweils gleichen also die Endgeburten, die die menschliche Seele mit Hilfe von unsichtbaren Mächten hervorbringt, dem Vater, der sie erzeugt. Kinder Gottes gleichen ihrem Wesen nach Gott; „das Heilige, das von dir geboren wird, wird Gottes Sohn genannt werden“. An solchen Kindern und Söhnen hat Gott ein Wohlgefallen – und lässt sie Erben des ewigen Lebens werden. Aber auch die Finsternisgeburt gleicht ihrem Vater, dem Teufel! Sie wächst mehr und mehr in ein finsteres, gottwidriges Wesen hinein und gleicht dem Satan, der ein Lügner und ein Mörder ist. Sie muss einst auch sein Los teilen; statt ein Freude- und Wonneleben in der Gemeinschaft Gottes zu genießen, muss sie Qualen der Hölle schmecken und mit ihrem Vater die Finsternis teilen.

Darum ist es hochwichtig, dass jeder Mensch am Entstehungspunkt des Lebens in sich wache; denn hier scheiden sich zwei völlig verschiedene Entwicklungen. Die eine geht zum Leben, die andere zum Tod; beide dauern „in Ewigkeiten hinein“. Er rufe seine falsche Lust, falls sie aufgestiegen ist, alsbald zurück; jedenfalls bevor eine Besamung von der Finsternis her geschehen kann. Dies ist dann der Fall, wenn der Mensch seinen Willen nicht hergibt zur bösen Tat. So tat einst Joseph, der sagte: „Wie sollte ich ein solch großes Übel tun – und wider Gott sündigen!“ Er gebe der Lichteslust in seiner Seele Raum – und lasse Gott sein Werk in seiner Seele haben, so entgeht er dem furchtbaren Verhängnis der Sünde – und wird allmählich frei von Sünde und Tod. Er kann hoffen, sündenfrei zu werden durch das allmächtige Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes.

Polare Möglichkeiten für die menschliche Entwicklung

Drei Möglichkeiten stehen dem Menschen offen: er kann zum Vollmenschen, d. h. zu einem göttlichen Menschen werden. ; er kann auch das menschliche Wesen verzerren und auf entgegengesetztem Weg zum Teufel werden; wer sich etwas harmloser in der Mitte bewegt, kann zu einer Art vernünftigem Tier werden, dessen Ebene der Mensch von Geburt aus am nächsten steht.

Es handelt sich bei diesen Typen nicht nur um kleine Unterschiede, sondern um schroffe Gegensätze, so wie Gott und Satan oder Mensch und Tier Gegensätze sind. Der Weg zum Gottesmenschen ist möglich, weil sich der Mensch nach dem göttlichen Geistesgesetz entwickeln kann. Diese Entwicklung wieder hat zur Voraussetzung eine göttliche Anlage, die einer Entfaltung fähig ist. Werden die menschlichen Grundkräfte, die zusammen eine Geburtsquelle ausmachen, durch die vom Licht angesprochene Lust in Aktion gesetzt, und bleibt der Mensch an diesem Gesetz zum Lichte hin, so „gebiert“ er schließlich Leben und Licht in sich aus – wie Gott selbst!

Der Weg zum teuflischen Menschen läuft in Richtung auf die Finsternis. Diese lockt die Lust heraus und bringt die menschlichen Grundkräfte, denen ein finsterer Same eingeführt wird, in Bewegung; geht der Mensch in dieser Entwicklungsrichtung weiter, so geschieht es, dass auf einer gewissen Konzentrationsstufe die Finsternis als persönlicher Teufel in ihm geboren undschließlich ausgeboren wird. Die Ausgeburt ist ein Mensch in finsterer Herrlichkeit.

Geht die Entwicklung ins Licht, dann wird der Mensch in seiner Ausgeburt ein in göttliche Herrlichkeit verklärtes Wesen: sein Leib ist – in der Auferstehung – zum Geistleib geworden; seine Seele mit all ihren Kräften bewegt sich nur noch nach dem Gesetz des Geistes, welches sie freigemacht hat vom Sündengesetz; der Geist aber ist zum Throngestell Gottes und Jesu geworden. So ist der Mensch wieder ein Gottesmensch, ein Bild Gottes.

Entwickelt sich der Mensch zur Finsternis hin, dann zieht er in Kraft seiner seelischen Magie einen Leib aus der Finsternis an – ähnlich wie unser jetziger Leib aus der Erde angezogen wird; er bekommt bei der Auferstehung einen missgestalteten Finsternisleib. Die Seele aber wird der Möglichkeit, Lichtsgeburten hervorzubringen, völlig beraubt und kann schließlich nur noch nach dem Gesetz der Finsternis, das zum Gesetz des Todes geworden ist, absoluten Tod aus sich gebären; diese „Verklärung“ in die Finsternis hinein hat ihren Grund darin, dass die – für Gott bestimmte – Menschenseele ein Thron Satans geworden ist. Dieser Zustand ist von Schrecken und Grauen begleitet.

Der Mensch entscheidet selbst

Beide Entwicklungen, zum Licht oder zur Finsternis hin, sind jedoch keine Notwendigkeiten; sondern der Mensch entscheidet selbst, was er werden will. Er mag sich der Tragweite dieser Entscheidung nicht immer bewusst sein; tatsächlich aber entscheidet er sich jeweils für Leben oder Tod, für Himmel oder Hölle. In beiden Fällen mag er über die Auswirkung seiner Entscheidung nicht wenig erstaunt sein, legte er doch seiner Entscheidung jeweils keine so große Bedeutung bei. Es ist also von großer Wichtigkeit, sich von Fall zu Fall der Bedeutung seiner Entscheidung für das Licht oder für die Finsternis klar zu sein.

In der Situation der Entscheidung zeigt sich etwas von dem Geheimnis, das der Mensch in sich trägt. Er ist ein Werdender, der Schritt für Schritt selbst darüber wachen muss, was er werden will. Die Frage: „Herr, was ist der Mensch?“ wandelt sich in die Form: „Herr, was wird der Mensch?“ Er wird schließlich das, was er gewählt hat. Und zwar wird sein ganzes Wesen nach Leib, Seele und Geist in die jeweilige Entwicklung hineingezogen.

Die Entwicklung zur Finsternis hin nimmt ihren Anfang damit, dass der Mensch die Stimme seines Gewissens missachtet und schließlich bewusst überhört, ja verachtet. Damit nähert er sich dem vernunftlosen Tier. Vom Tier ist der Weg zum Teufel nicht mehr weit. Macht der Weltgeist zum Tier, so macht der Geist der Finsternis zum Teufel. Der Tiersstand ist sozusagen noch einmal eine letzte Mahnung für den Menschen, in seiner Abwärtsentwicklung stillzustehen. Hört er die Mahnung nicht, so fällt er dem Einfluss der Finsternis vollends anheim.

Diese kann ungehindert ihr Werk in ihm treiben, sich in ihm ausgebären und den Menschen schließlich zum eingefleischten Teufel machen. Schon auf dem Weg dahin erfährt der Mensch etwas von der Unheimlichkeit seines Werdens, so wie der zum Licht hin sich entwickelnde Mensch mehr und mehr Freude erfährt. Beide schmecken zum Voraus die Kräfte der Welt, zu welcher sie hinstreben.

Beim Tod – und im jüngsten Gericht – bedarf es keiner schweren Entscheidungen darüber, welcher Welt der Mensch zugesprochen werden soll. Es bedarf lediglich der Feststellung von Tatsachen. Ist doch der Mensch allmählich ein Lichts- oder ein Finsternischarakter geworden – aus eigener Wahl, so dass es jetzt keiner Wahl mehr bedarf. Eine Wahl besteht für den Menschen, wenn ihn die Lust nach oben oder nach unten lockt. Hat er gewählt, indem er mit dem Willen bejaht, dann entzieht sich die Weiterentwicklung seinem Einfluss. Jetzt „wird“ er das, was er wählte, in Kraft des Gesetzes, das er durch sein Wählen in Bewegung gebracht hat. Das Endgericht aber braucht nur noch die Tatsache zu statuieren, dass der Mensch so oder anders gewählt habe – und darum Licht oder Finsternis geworden sei.

So groß ist die Verantwortung des im Fleisch lebenden Menschen! Und niemand kann sie ihm abnehmen; er selbst ist in die Entscheidung gestellt – und hat als Mensch die Aufgabe zu wählen. Ein Tier hat solche Pflichten nicht.

Lies weiter:
7. Die Sünde gibt den Tod zum Lohn