Ein dreifacher Entscheid für den Passionsweg

Aus Bibelwissen
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Abschrift des Buches: Der da war, und der da ist und der da kommt!
Pfarrer Theodor Böhmerle (1870 - 1927)

Aus dem Gemeinschaftsblatt für innere Mission Augsb. Bek.: "Reich-Gottes-Bote“ (1918-26)
Selbstverlag des Bibelheims „Bethanien", Langensteinbach

weitere Abschriften hier:

Inhaltsverzeichnis:
Kapitel davor:
3. Die Aussonderung des Passahlammes Lk 2:41-52 (1918)

4. Ein dreifacher Entscheid für den Passionsweg

  • Mt 4:1-12 - Dann wurde Jesus von dem Geist in die Wüste hinaufgeführt, um von dem Teufel versucht zu werden; (2) und als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn schließlich. (3) Und der Versucher trat zu ihm hin und sprach: Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich, daß diese Steine Brote werden! (4) Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: «Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht.» (5) Darauf nimmt der Teufel ihn mit in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels (6) und spricht zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so wirf dich hinab! Denn es steht geschrieben: «Er wird seinen Engeln über dir befehlen, und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du nicht etwa deinen Fuß an einen Stein stößt.» (7) Jesus sprach zu ihm: Wiederum steht geschrieben: «Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.» (8) Wiederum nimmt der Teufel ihn mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit (9) und sprach zu ihm: Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfallen und mich anbeten willst. (10) Da spricht Jesus zu ihm: Geh hinweg, Satan! Denn es steht geschrieben: «Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.» (11) Dann verläßt ihn der Teufel, und siehe, Engel kamen herbei und dienten ihm. (12) Als er aber gehört hatte, daß Johannes überliefert worden war, entwich er nach Galiläa; ...

Das ist die Grundwahrheit der Versuchungsgeschichte unseres Herrn. Hier werden alle Möglichkeiten vom viel gewandten Geist der Finsternis, welcher anknüpft an des Herrn eigene innere Gedanken, ausgeschöpft, die Möglichkeiten, auf welchen etwa das große Ziel der Königsherrschaft des Sohnes o h n e K r e u z erreicht werden könnte. Hier werden aber auch alle diese Möglichkeiten als ungöttlich, weil nicht nach des Vaters Willen, abgewiesen, und frei im Heiligen Geiste des Gehorsams wird der Leidensweg erwählt. So ist die Versuchungsgeschichte des Herrn der grundmäßigsten eine, die wir haben; es handelt sich in ihr um den innersten Kern des Rates Gottes und um die keimmäßige, innerliche Besiegung Satans und aller Eigenwege, aus welcher erst die äußere Besiegung kommen konnte. Weil aber diese Geschichte so ins Innerste hineinführt, darum ist sie auch so ungemein reich und reichhaltig. Neben dem Haupt- und Grundgedanken treffen wir eine Fülle von Ewigkeitswahrheiten in ihr an, die mächtig Herz und Gewissen treffen. Wir möchten drum, ehe wir zum Hauptinhalt der Versuchungsgeschichte übergehen, nur kurz vorher eine Anzahl dieser Wahrheiten herausstellen.

Der Herr wird vom Geist in die Wüste geführt. Wahre Geisteserlebnisse, aus dem Urgrund Gottes heraus, führen alle zuerst nach innen und nach oben, in die Stille. Was gleich herausgführt wird ins laute und vielgestaltige Wesen der Welt, das ist nicht wahre Geisteswirkung. - Der Herr wurde in die Wüste geführt, dass Er v e r s u c h t würde. Jeder gottgegebene Geistesbesitz muss erprobt und bewährt werden. Darum geraten wir nach jedem wahrhaftigen Geisteswachstum in äußere oder innere Anfechtungen oder Versuchungen. Erst in der glaubens-überwundenen Versuchung wird die neuempfangene Segnung Gottes zum freien inneren Geistesbesitz und wird als w a h r h a f t i g e G a b e genommen. Wir könnten auch sagen, alle Segnungen Gottes müssen durchs Kreuz-Feuer. Und das sind die wahrhaftigen Segnungen von oben, welche da hineinführen.

Jesu Ewigkeitsmaßstab

Vierzig Tage und vierzig Nächte hat der Herr gebetet und gefastet. Der reinen Innerlichkeit hat Er diese Zeit gewidmet. Geistesmenschen brauchen Zeiten r e i n e r I n n e r l i c h k e i t, wo alles Äußere ganz zurücktritt, natürlich je nach dem Maße des inneren Geistesstandes. In solchen Zeiten reiner Innerlichkeit gewinnt der Glaubensmensch den r e c h t e n E w i g k e i t s m a ß s t a b für alle äußeren Dinge. Wer keine Innenzeiten hat, verliert den Ewigkeitsmaßstab und wird mit der Welt den Zeit-Maßstäben unterworfen. Er hat kein göttliches Urteil mehr. Beim Heiland war diese Zeit reiner Innerlichkeit eine ganz außerordentliche, weil Er den Geist nicht nach dem Maß empfangen hatte, und weil Er für die größte Aufgabe im Himmel und auf Erden den Ewigkeitsmaßstab brauchte.

Er war vierzig Tage und vierzig Nächte betend und fastend. Die Zahl v i e r z i g ist die Zahl des Übergangs und Durchgangs. Überall, wo sie auftritt, hat die Offenbarung ein gewisses Ziel erreicht, eine Z e h n, und ist im Begriff, einen neuen Schritt in die Welt hinein, in die V i e r, zu tun, daher 4 mal 10 oder 40. Hier in der Wüste war das Ziel der dreißigjährigen Zurückgezogenheit des Herrn erreicht, nun sollte es in den eigentlichen Heilandsberuf hineingehen - daher begegnet uns hier wieder die Vierzig. Zeiten der besonderen Innerlichkeit sind, solange wir hinieden wallen, immer nur D u r c h g a n g s z e i t e n - vierziger Zeiten - , welche uns zu neuen Aufgaben, ja Leiden, stärken und geschickt machen sollen.

Die Versuchung Jesu

Nach 40 Tagen trat der Teufel - persönlich - in Menschen- oder Engelsgestalt - zum Herrn. Je größer die Lichtesoffenbarung, umso gewaltiger die Finsternisoffenbarung. Wir können am Angehen der Finsternis gegen uns, in ihren verschiedenen Formen, geradezu die Kraft und Stärke unseres Glaubenslebens messen. Wird der Gottessohn Mensch und tritt persönlich auf, muss auch Satan sein Größtes tun und persönlich auftreten gegen den Fürsten der Fürst. Deswegen haben wir auch in den ganzen Lebzeiten des Herrn die viele und vielfältige Finsternisoffenbarung. Deswegen haben wir diese, und wieder in sonderlicher Weise vor der Wiederkunft des Herrn.

Dreimal lief Satan an, und nachdem er dreimal abgewiesen, sagt die Schrift, dass er Jesum e i n e Weile in Ruhe gelassen habe. Beachten wir das wohl. Ist auch e i n Kampf wohl ausgericht’t, das macht’s noch nicht. Auf Siege hin schlafen oder sicherwerden, heißt eine Niederlage vorbereiten.

Beachtenswert ist auch, wie Satan ins Heiligtum der Schrift langt, und den Herrn auf die Zinne des Tempels, also aufs Allerheiligste führt. Satan dringt überall ein. Will er Fromme fällen, muss er ins Heiligtum und in die Bibel. Wie wichtig ist da Geistesleitung! Achten wir aber wohl, w i e der Teufel die Schrift braucht. Er ist beim Schriftgebrauch der Konsequenzenzieher, der Vernunft-Schlüsse-Macher. Hüten wir uns, einzelne Schriftwahrheiten auf die Vernunftspitze zu treiben; S c h r i f t muss durch S c h r i f t erläutert werden, nicht durch Vernunft. So hat’s der Heiland gemacht. Und Satan lässt bei allen Stellen der Schrift das weg, was ihm nicht passt; so hier das: „Er wird dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Er ist immer ein Lügner.

Und wie wichtig ist der Durchblick durch die g a n z e Schriftwahrheit, damit wir die e i n z e l n e n Schriftwahrheiten an den rechten Platz stellen können und sie im richtigen Lichte sehen können! Ohne das kann niemand sagen: W i e d e r u m steht auch geschrieben:

Satan wird durchs Wort geschlagen, das sehen wir auch - durch nichts sonst. Dreimal wirft ihn der Herr mit dem Worte zurück. Dass wir doch recht im Worte zu Hause wären! Merkwürdig ist es, dass es nur ein ganz kleiner Wortkreis ist, durch welchen Jesus Satan schlägt. Alle drei Worte sind aus dem fünften Mosesbuch, und zwar eines aus dem achten, zwei aus dem sechsten Kapitel. Und just aus dem fünften Mosesbuch sind die Worte, also aus einem Buche, welchem die eigenvernünftige Bibelkritik hart zusetzt. Dass doch alle philosophischen Bibelkritiker es sich klar machten, dass mit den Worten aus dem sogenannten Pentateuch (dem fünf Büchern Moses) der Teufel geschlagen worden ist. Und wie steht der Heiland zur Schrift des Alten Bundes? „Es steht geschrieben“ - das ist der Felsgrund, auf dem Er kämpft. Und weil Er so felsenfest von der absoluten göttlichen Wahrheit des Schriftwortes durchdrungen ist, darum kann Er es dann auch so frei im Heiligen Geiste brauchen. Die Freiheit im Wortgebrauch ruht auf der glaubensgehorsamen Geistgebundenheit an dasselbe. -

Nach der Abweisung Satans kamen die Engel Gottes und dienten Jesu. Wir tun hier einen Blick in die unsichtbare Teilnehmerschar des Kampfes beider Fürsten. Das Lichtreich und das Finsternisreich waren in großer Bewegung in jenen Tagen und Wochen der Versuchung. Da wurde eines der großen Geheimnisse des Rates Gottes den Engel wieder offenbar. - Wo die Mächte der Finsternis weichen, treten Mächte des Lichts an die Stelle; wo Mächte des Lichtes weichen müssen, treten Mächte der Finsternis an die Stelle. Das wisse!

Der Heiland muss Seinen Jüngern von diesem großen Kampfe offenbar erzählt haben; sonst könnten sie selbst es uns nicht wiedererzählen. Das mag eine heilige Stunde gewesen sein, wo der Herr solche Enthüllungen vor ihnen machte.

Jesu Entscheidung für den Passionsweg

Dies sind einige Perlen, welche aus dieser Geschichte uns entgegenfunkeln. Möchte die eine oder die andere himmlisches Licht uns in Herz und Gewissen werfen! Nun aber zur großen Grundwahrheit der einzigartigen Stelle, zu der dreimaligen, klaren E n t s c h e i d u n g des H e r r n für den P a s s i o n s w e g. Das Leben unseres Herrn hat viele solche Stationen, an welchen Er Sich immer neu für die Passion, für das Kreuz, entscheiden musste und entschied. Als Er zur Taufe der Buße hinabstieg in den Jordan, da war auch eine solche Stunde; denn nicht unter Seiner, sondern unter unserer Sünde beugte Er sich. Als Er Judas erwählte, muss es doch auch so gewesen sein; denn i h n erwählen, hieß das Kreuz erwählen. Auf dem Verklärungsberg haben wir eine gleiche hochheilige Stunde. Die letzte und gewaltigste war in Gethsemane. Die große und grundlegende war hier in der Wüste. - Der Herr kam von der Jordantaufe her; Er hatte den Geist empfangen in der Fülle. Er war in das Vollbewusstsein Seiner Gottesohnschaft und Seines Lebensberufes eingetreten. Der Antritt Seines Berufes stand von der Tür. Die innere Sammlung, die Generalversammlung, brachten die vierzig Tage. Nun stand Er unmittelbar vor dem Hinaustreten. In welchem Sinn und Geist wollte Er nun Seinen Beruf ausführen? Er war der vollausgerüstete Sohn Gottes; das wusste Er und fühlte Er wohl. Ihm standen alle Kräfte und Mächte des lebendigen Gottes als eigene zur Verfügung. Er hatte sogar das Leben in Sich selber. Er hatte Macht, Sein Leben zu lassen, und es wieder zu nehmen. Er konnte ausführen, was Er wollte, einen Schranke der Unmöglichkeit zu irgendetwas lag nicht in Ihm. Und nun stand Er da in der Wüste einsam und allein, arm und unerkannt, und - h u n g e r t e.

War das gottessohnmäßig, war das gottessohnwürdig? Es lag in Seiner Hand jedem Mangelbedürfnis sofort durch eine Fülle abzuhelfen. Er brauchte nur die Kraft Seiner Gottesohnschaft für Sich in Bewegung zu setzen. Ja, Seine Gottessohnschaft einsetzen und brauchen, dann war Er überhaupt bald am Ziel. Das musste ja die Menschen rasch unter Ihn beugen. Da lag ein Weg und eine Möglichkeit, in glänzender Weise Haupt der Menschheit zu werden; und dazu war Er ja bestimmt. Vergessen wir nicht: wenn der Vater den Sohn in die Menschheit gibt, und Ihm den Geist nicht nach dem Maß gibt, sondern in der ganzen Fülle, so hätte der Vater auch S i c h selbst e n t ä u ß e r t - natürlich nicht w e s e n t l i c h, Er war und blieb Vater - aber w i l l e n t l i c h. Der Sohn konnte, wenn Er wollte, völlig selbstständig und für Sich handeln, und Seine ganze Sohnesherrlichkeit, die der väterlichen Herrlichkeit Abbild war, für Sich brauchen. Solche Gedanken bewegten den Heiland vor Seinem Hinaustritt. Und hier lag nun die Versuchungsmöglichkeit. Des Heilands Fleisch und Blut sträubte sich genauso gegen den Kreuzesweg, wie das unsrige. Er sagte es aus eigener Erfahrung in Gethsemane: „Das Fleisch ist schwach“. Und eben in dieser Wüste erfuhr Er es auch. Er hungerte bitterlich nach den vierzig Tagen. Offenbar war die Geisteserhebung, welche Ihn die 40 Tage aufrecht erhalten hatte, nun gewichen, und ein großer Schwächezustand trat ein. An den knüpft Satan an. Jede Versuchung hat ja einen inneren Anknüpfungspunkt in uns. „Ein jeglicher wird ja versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird.“ Und Jesus wurde versucht, g l e i c h wie w i r. So reizte und lockte den Herrn der Hunger, und dieser brachte auch geistige und seelische Bewegungen. Sie benutzt der Teufel und spricht: „Bist Du Gottes Sohn“ - darin liegt ein gewisser Hohn auf Jesu augensichtliche Schwachheit - „so sprich, dass diese Steine Brot werden!“ Seine Worte: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Worte, das durch den Mund Gottes geht."

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein

Wir müssen bedenken, das hätte der Heiland machen können; darin lag das Versuchliche. Dem Gottessohn war aber im Geiste die g a n z e L i n i e klar. E i n m a l die Gottessohnschaft - ohne des Vaters direkte Aufforderung gebraucht - dann war der Ungehorsamsweg, der S e l b s t w e g, beschritten, und dann begann die Zwangsläufigkeit, ihn zu gehen. So war’s doch bei dem ersten Adam auch. Das wusste Satan wohl. Wer Sünde tut - wer den Schritt ins Selbstleben tut - ist der Sünde Knecht.

Wie einfach war der Anlass! Was lag daran, sich gegen den Hunger Brot zu verschaffen! Aber da lag viel daran. Vom Vater hatte Er keine Aufforderung dazu, nur vom Teufel. Er aber wollte vom Vater leben. Seine Speise war, den Willen zu tun Seines Vaters im Himmel. Wohl braucht der Mensch Brot; aber davon allein lebt er nicht. Hätte er Brotes die Fülle und wäre auf dem Sündenweg, und hätte es durch Sünde und Selbstwesen erworben, so wäre der Tod unausbleiblich. Die Brotfülle, die gottwidrige, würde der Tod werden. Und würde einer nach G o t t e s Willen v e r h u n g e r n, so würde er das Leben ererben; denn das Leben geht aus Gott allein, und aus dem Bleiben an Ihm. Darum lieber tot nach Gottes Willen - das ist der Weg zum Leben - als leben in sündenerworbener Brotfülle - das ist der Tod. Und so erwählte der Heiland lieber das Verhungern, wenn e s sein s o l l t e, also den Sterbensweg nach Gottes Wort und Willen, als den Weg des Gespeistseins in eigenem Willen. Das ist der Sinn Seines Wortes: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Worte, das durch den Mund Gottes geht.“

Kennst du das: lieber arm, lieber hungernd, lieber im Kreuz, ja endlich lieber sterben nach Gottes Wort und Willen, d a s ist L e b e n, als reich, satt, glücklich, wohllebend, aber in Sünde und Eigenwesen, d a s ist der T o d? Für den Heiland wie für Satan war diese Versuchung, wiewohl an ein Einzelnes anknüpfend, doch grundlegend. Wollte Er von Seiner Gottessohnschaft nach eigener Wahl und eigenem Willen Gebrauch machen? Gewiss, Er konnte da einen angenehmen Weg erzielen; aber die Menschheit blieb dann im Tode, mit dem Hauptsein über Lebendige war’s dann aus. Oder wollte Er Seine Gottessohnschaft nur in völligem Gehorsam gegen den Vater brauchen? Dann ging’s durch Hungern, das sah Er jetzt schon; dann ging’s durch Kreuz - aber die Menschheit war gerettet. Er erwählte das Kreuz und ging den Passionsweg. Des Gottessohnes wollte Er Sich selbst entäußern. Der Teufel wich; zum Raub der Gottherrlichkeit, wie er selbst ihn begangen, brachte er den Sohn Gottes nicht; das sah er schon. Vom Kreuz wusste er natürlich noch nichts Klares, wohl aber der Heiland.

Jesu Auftrag am jüdischen Volk

Es gab nun eine Pause der Ruhe. Wohl mag der Herr schon nach der ersten Abweisung den Engeldienst erfahren haben. Aber Er musste hinaus, hinein ins Volk, ins Judenvolk, ins auserwählte Volk. Er musste Sich ihm kundtun als der verheißene Messias. Er musste es hinanführen zu seinem Beruf, ein Heilsträger für alle Nationen zu werden. Und das Volk wartete auf Ihn; es wartete gespannt mit angehaltenem Atem. Bis in die Tiefen hinein war Israel erregt. Die gläubigen Kreise waren dessen ganz gewiss im Geiste, dass die messianische Zeit, die große Heilszeit angebrochen war. Die Masse des Volkes war in der Bußtaufe des Johannes gewesen und hatte gehört, Er sei schon unter sie getreten, der Verheißene, der Ersehnte. Wo war Er, wie würde Er kommen? Vergebung der Sünden sollte Er dem Volke geben, und dann es herrlich machen vor aller Welt. Den Gottlosen sollte er vernichten, aber die Frommen um Sich scharen und herrlich machen, und zum Lichte aller Völker. Alle Bande sollten springen, besonders auch die äußeren der römischen Weltmacht. An einen armen, niedrigen, Sich selbst hingebenden, gar an einen gekreuzigten, und unter der Sünde zum Fluch gewordenen Messias dachte niemand. Der Herr aber in der Wüste gedachte Seines Volkes. Es war ganz klar, e i n großes Zeichen und Wunder, und das Volk stand an Seiner Seite und ließ sich führen, wohin Er wollte. Freilich war dann das Volk nicht erlöst, die ganze Herrlichkeit war Trug und fiel ins Gerichtsschrecken wieder zusammen.

Der Heiland wusste es wohl. Aber - tat Er das Zeichen n i c h t, dann war das ganze Volk enttäuscht, dann verwarf es Ihn; das sah Er kommen. Sollte man dem armen Volke nicht entgegenkommen? Das Heilandsherz war tief bewegt. Da knüpfte der Teufel wieder an. Er führte Ihn - w i e? das wissen wir nicht - aber er führte Ihn in die heilige Stadt und auf die Zinne des Tempels, jedenfalls auf die höchste Erhebung über dem Allerheiligsten, und sprach zu Ihm: „Bist Du Gottes Sohn, so lass Dich herab; denn es steht geschrieben: Er wird Seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ O, wenn das Jesus getan hätte um eines Augenblickserfolges willen, welche entsetzlichen Folgen hätte das gehabt! Der jüdische Krieg wäre jetzt schon ausgebrochen, Blutvergießen hätte das weite Römerreich erschüttert. Nein, lieber wollte Er selbst Sein Blut vergießen für alle zur Erlösung, als dass so viele um Seinetwillen i h r Blut vergossen und das Ende doch Verderben war.

Wiederum steht auch geschrieben

„Du sollst Gott, deinen Herrn nicht versuchen.“ So wies der Herr mit Gegenschrift den Versucher ab. Er sah wohl, welchen Dornen- und Kreuzesweg es für Ihn geben würde; aber sei es drum: Er sah auch das Heil danach. Aber allerdings, das bewegte den Heiland sehr: nahmen Ihn die Juden nicht an, so war auch für die Nationen die Stunde der großen Völkerrettung weit hinausgeschoben. Wohl würde eine Gemeine der Gläubigen gerettet; aber die Massen der Völker würden noch schwere Gerichtswege gehen müssen. Dieses Elend der Nationen legte sich Ihm schwer aufs Herz. Seine heilige Seele drang es, sie zu retten und selig zu machen. Da, als tiefe Erbarmungsgedanken mit der ganzen Nationenwelt Ihn bewegten, trat der Satan zum dritten Mal an Ihn heran. Die Nationen, sagt er dem Herrn, wenn die Dich bewegen, die sollst Du haben.

Er führte Ihn auf einen sehr hohen Berg und zeigte Ihm in einem Augenblick alle Reiche der Erde und ihre Herrlichkeit. Ein rechter Kino-Vater, ließ er, wie in einem Kinematographen, alle Erden- und Nationen-Reiche an Jesu vorüberziehen. Sieh, diese sind alle mein, sagt er nach Lukas, und ich will Dir alle geben, wenn Du niederfällst und mich anbetest. Es wird sich einmal ein Menschenkind finden, welches dem Weltgeist ganz ergeben, und in der Selbstanbetung und Selbstvergötterung - welche ist rechte Teufelsanbetung - vollendet, vom Teufel Weltreiche bekommen wird. Antichrist heißt dieser Fürst. Das Wesen aber des Antichristen wird darin bestehen, dass er der Welt alles Heil versprechen wird, wie es Christus bringen wird, aber ohne Gericht, ohne Buße, ohne Sündenaufhebung. Dieser Lügen-Taumel wird in die grausigtsten Gerichte führen. Dem Herzen des Gottesohnes war solches wohl offenbar. Es durchschütterte Sein ganzes Wesen, dass Er, der Unendlichkeiten lang selig gewesen war in der Vatergemeinschaft, jetzt den Teufel anbeten sollte. Das war Ihm tiefste Wesenswidrigkeit.

Hebe dich weg von Mir, Satan!

So quillt es auch Seinem heiligen Munde, „denn es steht geschrieben: du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und Ihm allein dienen.“ Lieber wollte Er mit dem Vater und in dem Vater durch Kreuz und Tod, lieber noch Jahrhunderte warten, und dann aber sicheres Heil, als nach kurzem Rausch dahinsinken mit der ganzen hohlen Herrlichkeit. Den Vaterweg, den Kreuzesweg zu gehen, war Er fest entschlossen. Dieser nur führte zum seligen Ziele; das wusste Er gewiss. Das Zeugnis bekam Er sofort im Dienste der Engel, welche Ihm dienten nach der Entfernung Satans. So ging der ganze Rat und Plan Gottes durchs heilige Herz des Gottessohnes in diesen Versuchungstagen, und ebenso die Möglichkeiten, ohne Kreuz ein Herrlichkeitsreich aufzurichten; aber Er verwarf sie alle und erwählte des Vaters ewig beschlossenen Kreuzes-, Auferstehungs-, Gedulds-, Glaubens- und Siegesweg. Ach, dass die Gnade auch uns durch den Geist befähigte, uns in allen Lagen für den Vaterweg zu entscheiden und für den Kreuzesweg, wo er verlangt wird. Das ist der Gang Seiner Erwählten. Sie kommen aus großer Trübsal, welche sie frei im Glauben auf sich genommen haben.

Es ist sehr bedeutsam, dass unser Heiland in dieser dreifachen Erwählung des Kreuzesweges auch die drei Hauptsünden überwunden hat, welche als Pfahlwurzeln im Menschenherzen stecken. Die erste ist: des F l e i s c h e s L u s t. Den Heiland hungerte: Sein Fleisch verlangte nach dieser Seite hin energisch Befriedigung. Die Möglichkeit, es zu befriedigen, lag in Seiner Hand. Satan versuchte Ihn. Aber der Geist siegte über das Fleisch. Vom Worte, vom Geiste des Wortes wollte Er leben. Nicht das Fleisch - der Geist! Die zweite Grundsünde ist: der A u g e n L u s t. Der natürliche Mensch hat ein unbändiges Verlangen nach Schauspielen. Das ist so stark, dass die schwersten Zeiten es nicht dämmen können, und dass die Gläubigen selbst da und dort meinen, für die Jugend Schauspiele zu brauchen. Der Heiland ging den Glaubensweg, der nicht sah - das ist der Gotteskinderweg. Alles Schauensmäßige ist von der Welt, alles Glaubensmäßige ist vom Vater.

Die dritte Grundsünde ist h o f f ä r t i g e s L e b e n, die eigene Höhe suchen. Selbstentäußerungsleben ist der Gläubigen Weg. Ihn ging der Herr. Alle drei Wege aber: der Geistesweg, der Glaubensweg, der Entäußerungsweg sind dem Fleisch Kreuz - dies erwählte der Herr. Paulus hat die dreifache Kreuzeserwählung des Heilandes in Phil 2 wunderbar beschrieben. Als der Heiland es abwies, Seine Gottessohnschaft in eigenen Dienst zu stellen, da: „hielt Er es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte Sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, und ward gleich wie ein anderer Mensch, und an Gebärden als ein Mensch erfunden.“ Und als Jesus das Herabspringen vom Tempel abwies: da „erniedrigte Er Sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“ Und als Er endlich die Herrlichkeit der Nationen nicht aus Satans Hand wollte, da wurde Ihm im Vorgeschmack schon zuteil das: „Darum hat Ihn auch Gott erhöht und hat Ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist.“

Wir aber gesellen uns zu den Engeln und beten Ihn an und dienen Ihm; denn uns zugut hat Er den Kreuzesweg erwählt; und wir bitten Ihn um den Heiligen Geist und den Schriftverstand, welche in Ihm die drei Siege errungen hat, damit wir in unsern Anfechtungen auch Überwinder werden, und mit Ihm erben dürfen in Seinem Reiche.

Lies weiter:
5. Er offenbarte Seine Herrlichkeit Joh 2:1-11