Die Aussonderung des Passahlammes

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Abschrift des Buches: Der da war, und der da ist und der da kommt!
Pfarrer Theodor Böhmerle (1870 - 1927)

Aus dem Gemeinschaftsblatt für innere Mission Augsb. Bek.: "Reich-Gottes-Bote“ (1918-26)
Selbstverlag des Bibelheims „Bethanien", Langensteinbach

weitere Abschriften hier:

Inhaltsverzeichnis:
Kapitel davor:
2. Wir sehen Seine Herrlichkeit Lk 2:1-14 (1925)

3. Die Aussonderung des Passahlammes

  • Lk 2:41-52 Und seine Eltern gingen alljährlich am Passafest nach Jerusalem. (42) Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach der Gewohnheit des Festes; (43) und als sie die Tage vollendet hatten, blieb bei ihrer Rückkehr der Knabe Jesus in Jerusalem zurück; und seine Eltern wußten es nicht. (44) Da sie aber meinten, er sei unter der Reisegesellschaft, kamen sie eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten; (45) und als sie ihn nicht fanden, kehrten sie nach Jerusalem zurück und suchten ihn. (46) Und es geschah, daß sie ihn nach drei Tagen im Tempel fanden, wie er inmitten der Lehrer saß und ihnen zuhörte und sie befragte. (47) Alle aber, die ihn hörten, gerieten außer sich über sein Verständnis und seine Antworten. (48) Und als sie ihn sahen, wurden sie bestürzt; und seine Mutter sprach zu ihm: Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. (49) Und er sprach zu ihnen: Was ist der Grund dafür, daß ihr mich gesucht habt? Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines Vaters ist ? (50) Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen redete. (51) Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth, und er war ihnen untertan. Und seine Mutter bewahrte alle diese Worte in ihrem Herzen. (52) Und Jesus nahm zu an Weisheit und Alter und Gunst bei Gott und Menschen.

Die vorliegende Geschichte vom zwölfjährigen Jesus müssen wir nach ihrem innersten Grundinhalt die Geschichte von der A u s s o n d e r u n g des P a s s a h l a m m e s nennen. Wir wissen ja aus dem Alten Testament, dass das Passahlamm vier Tage bevor es geopfert wurde, ausgesondert wurde - heilig dem Herrn. Jesus ist das wahre Passahlamm - darum wurde auch Er ausgesondert. Diese Aussonderung tritt uns in dieser Geschichte vom Zwölfjährigen zum ersten Male klar, und mit den verschiedensten deutlichen Beziehungen auf das vorbildliche Passahlamm, entgegen. Die ganze Geschichte Jesu von der Geburt an ist Passionsgeschichte. In alles ist das Kreuz eingezeichnet, welches dann in Gethsemane und Golgatha zur Vollendung kam. So ist auch die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus ihrem inneren Wesen nach eine Passionsgeschichte und zwar eben: die Geschichte von der Aussonderung des Passahlammes.

Und es ist hoch bedeutsam, dass der junge Jesusknabe zum P a s s a h f e s t das erste Mal die heilige Stadt und den Tempel betrat. „Seine Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem auf das Osterfest - das Passahfest. Und da Er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf gen Jerusalem nach Gewohnheit des Festes.“ Dabei nahmen sie den Jesusknaben zum ersten Male mit, das erhellt aus der ganzen Geschichte. Und nun sah der Knabe zum ersten Male in Seinem Leben die dem Herrn auserwählte Lämmerschar, aus welcher auch der weitere Familienkreis der Maria ein Lamm sich erstand. Dann erlebte Er das feierliche Schlachten des Lammes, das Besprengen mit dem Blute, das Essen des Lammes, dem kein Bein zerbrochen wurde, das ganze feierliche Mahl mit den bittern Kräutern, den ungesäuerten Broten, dem gesegneten Kelch und den Lobgesängen aus den Psalmen.

Der zwölfjährige Jesus im Tempel

Nach der Schrift (2Mo 12) durfte, ja musste der Zwölfjährige fragen: Was bedeutet das Lamm? was die Schlachtung? was die Besprengung, was all das Essen und Trinken und Singen? Und der Hausvater musste Ihm Antwort geben. Und der Zwölfjährige fragte; aber Er fragte so wunderbar, so tief, so alles je Gefragte übersteigend, dass Josef außerstande war, diese Fragen zu beantworten. Da trieb’s den Knaben zurück zum Tempel, es trieb Ihn hin zu den Schriftgelehrten und Weisen des Volkes, die in den Tempelhallen über Gesetz und Propheten sich besprachen. Dort hoffte Er eher Aufschluss zu finden über das, was Sein Herz bewegte über dem Erleben des Passahfestes. Und so stand Er unter diesen gesetzesfrommen Gottesknechten und hörte ihrem Reden zu und fragte auch, wie es recht und billig war für den Zwölfjährigen am Passahfeste, und antwortete auch auf die Antworten und Gegenfragen. Aber siehe, da ging es von Tiefe zu Tiefe. Er vergaß alles und bewegte nur die tiefen Fragen des Passahfestes; die Fragen von Gericht und Gnade; von Sünde und Versöhnung durchs Passahblut; von Knechtschaft und Errettung; vom Vorbild und von der Erfüllung des Passahlammes.

Er ging nicht mehr aus dem Tempel. Er legte sich schlafen in irgendeiner der Hallen und am neuen Tage ging das neue Fragen und Antworten an. Und das ist eine Frage, sowohl nach Veranlassung des Festes, als auch nach dem im Gesetz festgelegten Kindesrecht (2Mo 12), waren es Fragen vom Passahlamm, welche besprochen wurden. So hat der Heiland in Seinem Fragen und Antworten selbst nichts Sonderliches getan, sondern nur das Gesetz erfüllt, aber Art und Inhalt der Fragen und Antworten waren allerdings deraratig, dass noch nie etwas Ähnliches dagewesen war. Selbst die tiefforschenden Gelehrten wunderten sich Seines Verstandes und Seiner Antworten. Ohne Zweifel ist da auch Jes 53 mit seinem Knecht Gottes und seinem Lamm, das verstummt, mit hineingezogen worden. Es leuchtete schon etwas auf vom zerschlagenen Gotteslamm, das der Welt Sünde trägt. Da standen die gesetzesgerechten Männer geblendet wie von starkem Licht, über solche Sündenerkenntnis und Versöhnungsklarheit, wie sie aus den Fragen und Antworten des Zwölfjährigen herausleuchtete.

Aber auch Ihm selbst ging unter all dem Besprechen e i n e innere Erleuchtung nach der andern auf. Blitzartig, noch nicht zum vollen, klaren Erfassen gereift, aber ahnungsmäßig ging es durch Seine Seele: Wer bin Ich? Bin Ich am Ende das ersehene Passahlamm? Ich bin ja ganz offenbar ein Besonderer. Alles, was das Verwundern Seiner Mutter und des Josef über Seine Art, dieses Entsetzsein der Weisesten von Israel über Seine Fragen, das alles ließ es auf einmal in Ihm aufklaren: Ich bin von oben; Mein Vater ist in der Herrlichkeit. Und damit vollzog sich die e r s t e s c h a r f e äußere und innere Aussonderung des Gottessohnes und Passahlammes. Die Menge Seiner inneren Passahfragen, die mächtige Bewegung Seines ganzen Wesens über dieser Feier, hatten Ihn schon ausgesondert von der ganzen übrigen Knabenschar. Weg von ihnen allen hat es Ihn gezogen, hin zu den ergrauten Schriftgelehrten.

Ausgesondert von den Seinen

Und ausgesondert hatte Ihn Sein inneres Erleben zum ersten Male voll und ganz von den Seinen. Dort hatte Er nicht, was Er brauchte, in der ganzen Freundschaft und im ganzen Bekanntenkreise nicht. Allein stand Er unter ihnen. Und ausgesondert vom ganzen Volke wurde Er. - Die Vertreter Israels hatten noch keinen Knaben gesehen, der also die Schrift erfasste; aber noch mehr, sie hatten auch in ihrer Mitte keinen, welcher der Glaubenseinfalt und der Tiefe dieses Kindes gewachsen gewesen wäre. So hatte noch keiner das Passahlamm gefasst, so noch keiner es in seiner Erfüllung geschaut. Das war ein besonderer Israelit, der da vor ihnen stand. Das Lamm stand schon im Zwölfjährigen da in Seiner Aussonderung. Und Er selbst, der junge Jesusknabe, fühlte und erkannte das zum ersten Male klar und hell. Ich bin besonders, Ich bin von oben. Hier im Tempel bin Ich im Vaterhause. So war das junge „jährige“ Lamm, wie das Gesetz es vorschrieb, auch innerlich ausgesondert und stand abseits von der Herde, heilig dem Herrn, zugehörig dem Vater im Himmel. Und das ja alles stimmt mit dem ausgesonderten Passahlamm, so müssen Seine Eltern Ihn am vierten Tage finden, just an dem vierten Tage, an welchem nach dem Gesetze das Passahlamm nach seiner Aussonderung geschlachtet wurde.

„Nach d r e i T a g en fanden sie Ihn sitzen.“ Und das Passahlamm ließ sich, wenn man so sagen darf, zum ersten Male schlachten. Ohne Zweifel ging ein Weh durch Seine Seele, als Er den oberflächlichen, diesseitigen, ja bösen und unartigen Sinn der andern Knaben schwer lastend fühlte und besonders von ihnen ging. Wer weiß, ob sie Ihm nicht mit Hohn und Spott oder gar mit Püffen und Stößen auch wirkliche Passion bereiteten. Das Alte Testament lässt’s uns im Josefknaben, welchen die Brüder misshandelten, wohl ahnen: „Seht, da kommt der Träumer her.“ Es mag auch eine tiefe Passion durch Seine Seele gegangen sein, als selbst der fromme Josef Ihm Seine Fragen nicht beantworten konnte, ja sogar die geheiligte Mutter Ihn nicht verstand. Und die äußere Passion fehlte nicht: „Mein Sohn, warum hast Du uns das getan? Dein Vater und ich haben Dich mit Schmerzen gesucht.“ Da kommt die Passion in den „Schmerzen“ gar deutlich heraus, und wir können uns denken, dass die Schmerzen nicht bloß auf Seiten der Maria und des Josef waren, sondern noch viel mehr auf Jesu Seite. Tiefschmerzlich ringt sich ein Schrei aus des Knaben Brust: „Was ist es, dass ihr Mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, dass Ich sein muss in dem, das Meines Vaters ist?“ Sie wussten es nicht und verstanden es nicht - das war Schmerz, tiefer Schmerz.

Selbst die Lehrer Israels hatten Ihn ja nicht begriffen - ein ganz Einsamer, so stand Er da. Und sehen wir nicht in all dem Nichtverstehen schon die letzte und tiefste Wurzel des späteren Kreuzestodes? Sehen wir nicht in den Knaben von Nazareth, welche den Träumer in ihrer Mitte nicht haben konnten, schon die zukünftigen Männer, welche Ihn 18 Jahre später von den Felsen Nazareths hinabstürzen wollten? Sehen wir nicht in den vom Knaben schon überwundenen Schriftgelehrten die Männer, die später den Mann Jesus aus Neid zum Tod verurteilen? Sehen wir nicht in Maria selbst hier schon das Weib, mit dem Er nichts zu schaffen haben kann? Ja, das Passahlamm, einstweilen mal anfänglich ausgesondert, steht hier vor uns.

Jesus nahm zu an Alter und Weisheit

Weil aber das Passahlamm ohne Fehler und vollkommen sein muss, sonst kann es nicht seinen Zweck erfüllen, darum ging auch der Jesusknabe in den völligen Gehorsam ein. Er sonderte Sich mit seiner neugewonnenen Selbsterkenntnis nicht S e l b e r aus in e i g e n e m Sinn, sondern „Er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan“ - 18 lange Jahre noch mit zunehmender Erkenntnis und Erfahrung. Er nahm ja zu „an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen“, da war untertan sein immer schwerer - aber Er war ihnen untertan. Er hat keine Sünde getan - siehe hier das ausgesonderte fehlerlose Lamm. Und wunderbar, als Er nach 18 Jahren heraustrat am Jordan in die Öffentlichkeit, da rief Ihm Sein Vorläufer Johannes als erster zu: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“

Ausgesondert zur Passion

Ihr alle aber, die ihr dies nun leset, sehet, so sondert der Heiland nun auch Sich Seine Passionslämmer aus. Er ruftet allen - die Vielen sind berufen - aber wenige sind ausgesondert, sind auserwählt. Was ein Gotteskind sein, und ein Gotteserbe werden will, das muss sich durch Wort und Geist und Führung innerlich und äußerlich immer mehr aussondern lassen. Der Weg des Heilands ist ein Aussonderungsweg von Sünde, Ich und Welt. Bist du den schon geführt und lässest du dich führen? Hat es bei dir auch in früher Kindheit schon angefangen oder später, oder hast du dich bis heute eben gegen die Ausgesondert-Werden gesträubt? Es ist ja freilich Leiden, Passion mannigfacher Art. Aber ohne diese Passion kann niemand in der Welt der Sünde ein Gottesknecht sein. Alle Gläubigen sind je länger, je mehr ausgesonderte Passionslämmer. Seid ihr’s draußen in den Schützengräben, in euren Regimentern, Bataillonen und Kompanien, seid ihr’s daheim in Werkstatt, Fabrik und Kollegenschaft, vielleicht gar im eigenen Familienkreise? O lass dich sondern, wann, wo und wie das Wort und der Geist dich ziehen!

Weigere dich nicht, du wirst des ewig Schaden leiden! Hätte Jesus Sich nicht sondern lassen, so wäre Er nie unser Heiland geworden. Du weißt ja Weg und Ziel der Vielen! Aber allerdings: A u s s o n d e r u n g durch Wort und Geist und Führung; keine willkürliche S e l b s t a b s o n d e r u n g! Diese stammt von unten. Der wahrhaft Ausgesonderte ist überall untertan, wie Jesus den Seinen. Und kostet das Untertan-Sein Leiden, so leidet er eben; das gehört zum Passahlamm. So ist die gläubige Frau dem ungläubigen Mann nur umso mehr untertan; so ist der gläubige Untergebene dem ungläubigen Vorgesetzten nur umso mehr zu Diensten; so hat das Gotteskind die vielfach ungläubige Kirche nur demütiger und fürbittend lieb, nur dass eben in all dem das Gewissen unverletzt bleibt. Aber das muss fest bleiben: wir sind zur P a s s i o n ausgesondert und zum P a s s i o n s g e h o r s a m - das ist’s, was die Ausgesonderten vor Hochmut und Selbstwesen bewahrt und sie leidendlich vollendet.

So sieh dir recht genau in Lk 2 das ausgesonderte Passahlamm an - aber nach allen Seiten. Frage dich, ob die Predigt des Evangeliums ihr Aussonderungswerk an dir hat tun dürfen in Bekehrung und Wiedergeburt, ob sie es weiter tun darauf in Heiligung und innerem Wachstum; frage aber auch, ob du bei inneren und äußeren Abgesondert-Werden den demütigen Passions-Gehorsam hast; nur so kannst du, Jesus gleich, zunehmen an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Lies weiter:
4. Ein dreifacher Entscheid für den Passionsweg Mt 4:1-12