Die Welt

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Michael Hahn

Einführung in seine Gedankenwelt
mit einer Auswahl aus seinen Werken

Von Gottlob Lang (1921)
Quellverlag der Ev. Gesellschaft, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis des Buches
Kapitel davor:
Geistesblicke

Die Welt

Das Verhältnis von Geist und Materie ist bei Hahn ein ganz anderes, als wir es gewohnt sind. Wir sind gewohnt, zwischen beiden scharf zu trennen; für Hahn ist dem Prinzip nach beides unzertrennlich verbunden. Das Ziel der Schöpfung ist Geistleiblichkeit, Durchdringung und schöpferische Beseelung der Natur durch den Geist. Selbst die reinen Gebilde der unsichtbaren Welt, die Engel, müssen dazu erst gelangen. Oft, wenn wir vor einem Begriff ratlos stehen, ob er „eigentlich“ oder „geistig“ zu nehmen sei, haben wir uns an das eigenartige Ineinander zu erinnern.

Geist und Leib gehören zusammen – zuerst in Gott selbst. Ist der Gott im Ungrund leib-los, so schafft sich der geoffenbarte Gott einen Leib, ein allerheiligstes Wirkungsgefäß, genannt: seine Herrlichkeit. Gelegentlich knüpft Hahn hierbei an das gläserne Meer an, das in der Offenbarungsvision sich um den himmlischen Thron breitet. Die Herrlichkeit

„ist der Kraftleib des Gottes, der schafft,
Gebieret und formet und wirkt und macht (I, Nr. 278, V11).
In ihr hat Gott geruht, gewirkt (I, Nr. 269, V19).

Auf die Art, wie diese Herrlichkeit aus einer Art himmlischer Materie gewonnen wird („lichtfeurige Geistwasser“), wollen wir nicht näher eingehen (z.B. System; 2.Brief).

Der Aufbau der Welt erfolgt durch sieben göttliche Grundkräfte; durch sie hat die ewige und zeitliche Natur ihren Bestand und ihre Eigenschaften. Immer weist eine über die andere hinaus, drängt sozusagen weiter: der erste Naturgeist erteilt dem Schöpfungsstoff die herbe anziehende, der zweite die bittere ausdehnende, zurückstoßende Grundkraft. Beide zusammen lösen in ihrer Gegeneinander-Bewegung das ringende Rad der Natur, die Angst aus. Feuer, die vierte, bringt eine blitzende Durchkreuzung des Naturrades hervor; die vierte Natureigenschaft ist somit das Scheideziel [Entscheidungspunkt] zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis; von hier an beginnt die göttliche Wirkungssphäre im engeren Sinn. Licht, süßes Öl sänftigt und sättigt als fünfte; Merkur, Hall und Schall, belebt und beseelt als sechste Eigenschaft das begehrende Feuerleben, sodass es in der siebten als Paradiesleib fähig wird, ein Ruhetempel der göttlichen Herrlichkeit zu sein (zum Ganzen vgl. System S. 522-529. Der schöne Aufbau wird freilich an andern Stellen ohne sichtbaren Ausgleich überboten, indem noch drei Zahlen angefügt werden: acht, als Zahl des astralisch elektrischen Feuers, im Blitz sichtbar, neun als Zahl des Paradieses, zehn als Kronenzahl göttlicher Majestät).

Aus Gott fließt nun die erste gottnächste Welt, eine unsichtbare (d.h. nur für Geistesaugen sichtbare) Geisterwelt. „Aus edlen lichtfeurigen Geist- und Kraftstoffen schuf Gott die Licht-, Feuer- und Geistwelten.“ (System 50). Diese Engel und Geister, Throne und Herrschaften haben ihre ganz bestimmten Ordnung, damit eine Wirkung des Edleren auf das Unedlere stattfinden könne (System 324, 327).

Um die Struktur dieser Welt kennenzulernen, müssen wir mit zwei fremdartigen Begriffen bekannt werden. Es gibt ein Mittelding zwischen Geist und Materie: Tinktur (vom Lateinischen tingere, berühren). (Vgl. bes. System 530). Tinktur ist einerseits das formende Prinzip, das jedes Wesen schaffend gestaltet und ihm eine Eigenart aufprägt; andererseits der allerfeinste Ausfluss, der von jedem mit Eigenart gesättigten, „Tinktur-reichen“ Wesen ausgeht und leuchtet. Der in der Tinktur wirksame Geist bedarf, wenn es göttliche Tinktur sein soll, einer Materie, die seiner Gestaltungskraft keinen Widerstand, sondern Empfänglichkeit entgegenbringt; dieser (mit einem andern oft gebrauchten Bild) den Samen aufnehmende Boden heißt: jungfräuliche Erde.

„Jungfrau-Erde ist die Wohnung
Für den Geist und die Tinktur“ (L Nr.240, V.20),

heißt’s in einem geheimnisschweren Lied.

So leuchtet also hinter der Welt des Vergänglichen eine Welt des Bleibenden. „Alles tritt vom Schauplatz dieser Welt ab, die Menschen, die Tiere, die Bäume und alles Zeitliche, aber die Kraft, die alles schafft und erhält, bleibt immer und bringt immer Neues in den nämlichen Gestalten hervor; die Tinktur-Leiber des Vorgewesenen sind nicht mehr in der Zeit, aber in der Ewigkeit (System 182).

Die erste unsichtbare Welt ist nicht bloß ein Werk Gottes, sondern ein Offenbarung, eine Auseinanderwicklung seines reichen Wesens: „Gott offenbart sich in seinen eigenen Kräften des Thron-Quells in allen Originalien von Lebenseigenschaften und Weisheitsarten“ (System 324, 327).

„Es haben ja allerlei Leibesnaturen
Die Arten und Formen der vielen Tinkturen
Zusammengenommen der Urvater-Spuren“ (I, Nr.278, V 11).

„Die Kräfte und Eigenschaften seines göttlichen Geburtsrades und Lebensquells wirken in allen Welten und Kreaturen und schaffen sich allem mit ein... Darum ist auch Gott aller Dinge Grund und Leben“ (System 51). Aber es gibt neben der göttlichen eine zweite unsichtbare Finsternis-Welt (zum folgenden vgl. besonders: VIII, 1.Abt, 5.Betrachtung). Sie hat ihren Anfang: Der Thronengel Gottes, der die Sonne bedeutet, Luzifer, der Engel des Lichts, ist abgefallen. Großes war ihm anvertraut, aber er wollte nicht von Gott abhängen, sondern hat die ihm von Gott eingegeisteten göttlichen Kräfte in Eigenheit gezogen, gebraucht und beherrscht. Da entzündete sich sein Lebensrad mit dem Zorn Gottes, und das Licht duldete ihn nicht mehr, und er hält es nicht mehr aus. So entsteht die Finsternis, und die Kräfte des Planetensystems werden verwirrt, ein finsteres Zentrum entsteht mit höllischen Kräften und Tinkturen, die sich in allen Kreaturen Eingang suchen. Denn ein großer Anhang ist Satan nachgefolgt. (Offb 12:4)

Auch dieser finstere Fürst und seine Welt sind von Gott nicht unabhängig. Er hängt am Bande Gottes; der Geist der Herrlichkeit ist ihm abgeschnitten, aber der Geist der Ewigkeit ist in ihm wirksam, sonst könnte er nicht leben. Eine gewaltige Ironie: Gottes Gegner, und doch von ihm abhängig. Es gibt überhaupt kein selbständiges Böses; „böse heißt das aus den ersten drei Natureigenschaften bestehende Leben aller freien Geschöpfe, insofern solches bloß in seinem Eigenen betrachtet wird, und von dem Leben aus Gott entfremdet ist“ (System S. 525). Aber es ist ein verkürzter Gott, der in der Hölle und den Bösen sich offenbart, „und was die Lichten jauchzend Liebelicht nennen, heißt man in der Hölle mit Zähneknirschen: Zornquell“.

Damit bereichert sich das Gottesbild nochmals um einen wichtigen Zug. Gott ist für Hahn nicht einfach „der liebe Gott“, wie die durchschnittliche Frömmigkeit es annimmt. Auch das Böse ist in Gott. Es ist sozusagen der Docht für das Licht, eine dämonisch-feurige Grundlage aller Entfaltung des Lebens und der Liebe. „Das Böse ist (an sich) nicht böse; wenn es zum Ganzen gehört und in seinem Grad geordnet bleibt, ist es nur Ursache der Offenbarung des Guten (VI, S.1412, Ps 136.), auch die Hölle gehört zu Gottes Haus“ (System, S.596, Schlusslied, V. 15). Aber furchtbar, in dieser dämonischen Grundlage steckenzubleiben und als Mittelsubstanz der Offenbarung des Zorns Gottes dienen zu müssen.

Nun können wir uns kurz fassen über die sichtbare Welt. Sie ist aus beiden Welten, der unsichtbaren lichten und der unsichtbaren finsteren geschaffen. Darum die Mischung des Bösen und Guten, des Harmonischen und Verzerrten in ihr. Jedes Ding hat seine Signatur und Zeichen an sich:

Jedes Ding hat den Charakter
Wie sein verborg‘ner Geist und Vater,
denn aller Geist baut sich sein Haus.
Dies lehrt den Innewohner kennen,
(obgleich nicht all‘ und jeden Sinnen),
denn was verborgen kommt heraus (I, Nr. 273, V.27).

Der Grad des Teilhabens an der einen oder anderen Welt ist ein verschiedener. So ist z.B. die Sonne ein offener Punkt der Lichtwelt, durch die sie Leben schaffend einwirken kann. Die wahren Gotteskinder bekommen Augen dafür, wieviel in allen Geschöpfen Paradiesisches und Reines sich ausprägt, ob der Segen des Paradieses oder der Fluch der Hölle in ihnen primieren (den Vorrang haben):

Kennst du nur der Buchstaben Geister,
So liesest du auch mit Verstand,
Und bist im Schöpfungsbuch ein Meister,
Gehst wie ein Kind an Mutters Hand (I, 273, V.28).

Zum Verständnis des Worts Tinktur

Immanuel!
In demselben liebwerter Bruder!

Wie eine schöne Blume sich in ihrer Tinktur-Kraft, in ihrer jungfräulich-blühenden Gestalt öffnet, um die Tinktur-Kraft der Sonnen und des Universums zu fassen, dass sie ausgebildet werden möge in Licht und Wärme; so auch mein Geist, vom Geist der Weisheit erzeugt, welche seine Ausgeburt und Vollendung will. Er öffnet in Tinktur-Kraft jungfräulicher Art sein reines Wahrheitsverlangen Jesu, der Sonne der Lichtwelt, der Herrlichkeit Gottes, und seine einstrahlende Wahrheit dehnt mit ihrer wärmenden Liebeskraft das Herz aus, wie eine göttliche Ewigkeit im Lichte.

So ist es denn nun so, wenn Wahrheit und Liebe in meine Seele strahlt und auf meine Tinktur in den Zentralkräften, in Herz und Hirn, wirkt, nicht anders, als dass Geist mit Geist umgehen will in Wahrheit und Liebe, indem das, was in mir geboren ist, nichts anderes ist, als das, was geboren hat, also Geist vom Geist. Wenn demnach das Geborene Geist vom mütterlich gebärenden Geist empfangen kann, wird es sich freilich, gleich einer Blume, in blühender Tinktur-Gestalt öffnen, und durch das, was es empfängt, gleich einer Ewigkeit ausdehnen.

Eine Naturandacht

(zu Ps 19.) (VI, 1.Abt, S.323)

Unlängst saß ich im Wald neben einer Staude, die ein wenig grünte, und als sie mir ein wenig Ungelegenheit machen wollte, hatte ich im Sinn, sie auszureißen, ich hatte aber Warnung von innen. Ei, dachte ich, hat sie etwa auch Empfindung vom Verderben? Bald war ich vom Ja überzeugt. Schnell drangen, ohne Zwang, meine Gedanken weiter. Hat etwa der Erdkörper auch eine Empfindung, wenn ihm eine Pflanze entrissen wird? Ja, hieß es in mir, die Erde hat General- und die Pflanze Spezial-Empfindungen. Weiter dachte ich, ohne Zwang, ist im weiteren Betracht die Erde ein mit dem ganzen Sonnensystem verbundenes und zusammengeordnetes Ding, so ist sie auch ein Spezialteil des größeren Generalismus, so hat auch jener Größere Mitempfindung von dem Teil des Kleineren. Sind – dachte ich weiter – die Sonnensysteme zusammengenommen ein zusammenhängendes All, ein Universal-Generalismus, so hat eins mit dem andern Empfindungen; und dieses Universum hat seine Empfindungen von dem ewigen Wort, das noch alles hält, das alles organisiert hat; demnach kann es selber Mitempfindungen im Kleineren und Größeren haben; jetzt war ich an der Leiter vor dem Thron des Herrn und höre hier auf zu schreiben, was ich weiter betrachtete. Allein du siehst nur hieraus, dass du durch alles veranlasst werden kannst, aufzusteigen zum Thron des Höchsten; und wenn du durch das planetische Rad und durch das Feuer der Natur bist, so hast du Paradies und rein Element*, hast Tinktur und Majestät oder Herrlichkeit. Es gibt auch Offenbarungen Gottes (in der Natur), wodurch du schon viele Stufen höher bist, als von der Staude bis zum Universum.

  • (die höhere unsichtbare Welt ist nach Hahn in einem Element geschaffen, im Gegensatz zur vierelementischen sichtbaren Welt)

Satan

(IV, Hebr 510; 42.Brief)

Je mehr ich will, wie und was Gott will, je mehr liebe ich Licht und habe also desto mehr Licht und Glaubensverlangen; eben darin hat es Satan versehen, er hat anders wollen als Gott, und so konnte er nicht Licht wollen, er hätte ja sonst gewollt, was Gott will. Da er nun anders will, so muss er sich selbst bereden (anstrengen), mit eigener Kraft eigenes Licht zu erzeugen, muss also die Urkraft des Schöpfers, die seine Geschöpfs-Kräfte im Sein erhält, vergessen und verleugnen und widerrechtlich etwas erzeugen, das ihm anstatt des Lichts dienen muss; an dies also muss er glauben und sich selbst zutrauen, was er nur mit missbrauchten Schöpfers-Kräften vermag; auch der Mensch ließ ich betrügen und wurde verführt, kam durch Lügen von der Wahrheit ab und glaubt der Urlügnerin. Soll er also wieder zurechtkommen, muss er die Wahrheit glauben; und was ist Wahrheit? Alles, was wahres Gotteslicht ist.

Lies weiter:
Des Menschen Würde und Fall