Von der Gegenwart zur Endzeit

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Abschrift des Buches: Rom - Babel - Jerusalem
Der Weg der Menschheit im Licht der Schrift bis zur Vollendung des Gottesreiches

Verfasser: G. Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach) (1928)
Verlag: Gebrüder Schneider, Karlsruhe i. B.

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor: wird ergänzt

in Bearbeitung

3. Teil

Von der Gegenwart zur Endzeit

Schön öfter hat die vorliegende Darstellung die Grenze der Gegenwart erreicht und über dieselbe hinüber zu schauen versucht in die kommende Zeit. Die Zukunft ist ein unbekanntes Land. Und doch nicht ganz unbekannt. Denn die Weissagung der Schrift zeigt den Ausgang des gegenwärtigen Zeitlaufs. Was ins Dunkel gehüllt ist, ist also für den, der dieses Schlussbild der Schrift nach innerem Trieb als Wirklichkeit nehmen kann und muss, nicht die ganze Zukunft, sondern nur die Zeitspanne zwischen der Gegenwart und dem Schlussstück dieses Zeitlaufs. Und auch in diese Zwischenzeit sind Blicke möglich in gewissen Grenzen, wenn nämlich einige Gesichtspunkte genau und gewissenhaft beachtet werden. Von diesen möge zunächst die Rede sein, ehe ein Blick in die Zukunft gewagt wird.

Grundsätze für den Blick in die Zukunft

Der Ausgangspunkt ist der bisherige Geschichtsverlauf, der in der Gegenwart gipfelt. Denn auch die Gegenwart kann nur dann richtig bewertet werden, wenn sie als Ergebnis der Vergangenheit verstanden wird. Die sorgfältige Beachtung der geschichtlichen Linien ist nötig, damit die Bedeutung der Gegenwart erfasst wird; damit nicht ein Ereignis überschätzt und umgekehrt ein äußerlich unscheinbares Geschehen übersehen wird, das eine wichtige Stufe in der geschichtlichen Entwicklung darstellt. So stellt schon die richtige Erfassung und Einschätzung der Gegenwart eine große Aufgabe. Die Lösung bereits dieser Aufgabe ist in dem Fall noch besonders erschwert, wenn man in einer Zeitenwende steht. Um ein wichtiges Beispiel zu nennen: der Sinn und die Bedeutung des letzten großen Krieges war während seiner Dauer und inmitten der wogenden Eindrücke schwerer zu erfassen als jetzt, da ein gewisser zeitlicher Abstand die Besinnung erleichtert.

So ist die sorgfältige Erfassung der geschichtlich gewordenen Gegenwart eine große Voraussetzung für den Versuch, Blicke zu tun in den weiteren Gang der Geschichte. Eine zweite Voraussetzung ist die Erfassung des Schlussbildes, das die Bibel an das Ende der geschichtlichen Entwicklung de gegenwärtigen Zeitlaufs setzt. Auch das Verständnis der Weissagung ist nicht leicht zu erringen. Die Hauptfrage ist die: wie weit sind ihre Aussagen bildhaft, so dass sie der Deutung bedürfen, und wie weit dürfen und müssen sie buchstäblich verstanden werden? Die Möglichkeit liegt vor, dass manches als buchstäbliche Wirklichkeit verstanden wird, was bildlich gemeint isst; aber der andere Weg ist ebenso leicht, ja noch leichter beschritten, dass bildliche Redeweise angenommen wird, wo eine Aussage buchstäblich gemeint ist. In denjenigen Teilen der Weissagung, welche die neue Welt darstellen, kann das Bildartige stärker vertreten sein, da unser Geist nur vom Boden unserer gegenwärtigen leiblich-seelichen Verfassung aus die Verhältnisse der neuen Welt erfassen kann. Doch ist auch da vor einer zu raschen Bereitschaft, die biblischen Aussagen bildlich zu deuten, zu warnen. Denn die neue Schöpfung hat die alte zur Grundlage und ist trotz des über die alte Schöpfung ergehenden Gerichts deren Verklärung, wie der Auferstehungsleib die Verklärung des jetzigen ist, nachdem das Gericht des Todes und der Verwesung über ihn ergangen ist. Wenn nun schon bei den letzten zwei Kapiteln der Offenbarung Zurückhaltung am Platze ist gegenüber zu rascher Verflüchtigung der dortigen Aussagen, dann gilt solche Vorsicht noch mehr bei den vorhergehenden Kapiteln die von den letzten Taten Gottes auf der jetzigen Erde und im Rahmen dieses Zeitlaufs sprechen. Bildartiges ist zweifellos auch da vorhanden; deshalb ist manchem Weissagungswort eine auslegende Deutung beigegeben. Wo aber die Weissagung von Geschehnissen und Verhältnissen spricht, die auf dem Boden der jetzigen Welt vorstellbar oder die im Lauf der Geschichte bereits in ähnlicher Weise vorgefallen sind, da liegt kein Grund vor, diese Aussagen aufzulösen, als ob sie nur Bilder seien. Wo deren bildliche Bedeutung nicht auf der Hand liegt, wird unseres Erachtens die sog. "massive" Auffassung der Weissagung dem Schriftsinn und der bevorstehenden Wirklichkeit eher gerecht als deren Umdeutung.

Bereits bei der Erfassung der bisher geschehenen Geschichte wirkt der Standort mit, den der Beobachter einnimmt. Wer in der Bibel steht und stehen will, sieht die Verhältnisse und namentlich die Linie, auf der das Geschehen sich bewegt, und die Richtung, die es nimmt, anders, als er den Standort seines Denkens, Empfindens und Wollens außerhalb der Bibel hat. Aber ebenso wie die Bibel bei dem, der die Geschichte sehen will, das Sehvermögen, das Blickfeld und die Blickrichtung beeinflusst, so wirkt ihrerseits die klare Beobachtung der geschichtlichen Wirklichkeit ein auf die Auffassung des von der Weissagung entworfenen Geschichtsbilds der Zukunft.

Ein Beispiel möge das deutlich machen. An der Bibel geschulte Männer sahen Ereignisse wie den Weltkrieg kommen, als noch nicht in Sicht war. Bezzel hat sich schon 1907 in diesem Sinn ausgesprochen. Ihre biblische Schulung gab ihnen einen solchen Blick in die Triebkräfte der Zeit, dass sie das Schreckliche herannahen sahen in einer Klarheit, die über die nur von der denkenden Vernunft gezogenen Schlüsse hinausragt. Auf der anderen Seite hat die Tatsache des Krieges manche Teile der Offenbarung, die trotz aller Großartigkeit als phantastisch galten, aufgehellt, und hat gezeigt, dass solche Gräuel nicht BILDER sein müssen, die der Umdeutung bedürfen, sondern dass sie nach Maßgabe der geschichtlich gewordenen Schrecknisse Darstellung einer kommenden Wirklichkeit sein können.

Aber die Erwägung, welche Gesichtspunkte der Versucht, die Linien der Zukunft zu erfassen beachten muss, ist noch zu Ende zu führen. Zwei Punkte stehen dem Beobachter fest, der sich auf den Boden der Wirklichkeit stellt und der zugleich von der Wahrheit des biblischen Wortes überzeugt ist: einmal die bereits biblisch verstandene Gegenwart, andernfalls die vom Boden der Geschichte begriffene biblische Weissagung vom Schlussergebnis der gegenwärtigen menschlichen Geschichte. Im Dunkel liegt zunächst der Zeitraum zwischen der Gegenwart und dem Ende. Nun kann man ja beide unvermittelt nebeneinander stellen. Der Glaube kann sich tatsächlich bescheiden, auch wenn ihm dieses Mittelstück seinem Inhalt nach unbekannt bleibt. Aber je nachhaltiger der Eindruck wird, dass dieses Ende herbei rücke, um so lebhafter wird das Bedürfnis, wenigstens die Hauptverbindungslinien zwischen der Gegenwart und dem Ende zu sehen. Die Erkenntnis der auf das Ende zugehenden Linien befriedigt nicht nur den denkenden Verstand, sondern hat auch praktische Bedeutung. Die Endzeit, ja bereits die ihr vorausgehende Zeit verlangt ein festes Herz und klare Wegweisung. Licht ins Dunkel darf wohl ein Anliegen der Christenheit sein. Eine richtige Erfassung dieser ernsten Zwischenzeit ist dann am ehesten möglich, wenn sie einesteils als Weiterentwicklung des bisherigen Geschichtsverlaufs über die Gegenwart hinüber, andernteils als Vorausabschattung des biblischen Schlussbildes verstanden wird. Die Linien von der Gegenwart nach vorwärts und vom biblischen Schlussbild nach rückwärts müssen in der Mitte zusammentreffen.

Auf solche Weise werden zwar beim versuch, in die Zukunft zu blicken, viele Fehlerquellen ausgeschaltet und die Gedanken, die gewonnen werden, sind mehr als bloße Vermutungen. Aber Weissagung, Prophetie sind solche Aussagen trotzdem nicht. Sie können nicht eingestuft werden wie die Propheten Israels ihre Weissagungen einleiten durften und mussten: "So spricht der HERR!" Ihr Wort war keine erarbeitete Überzeugung. Es wäre nicht einmal dann genügend gewertet, wenn gesagt würde: es entsprang unmittelbarer Gewissheit. Denn außer der Gewissheit war ihnen auch der Inhalt des Wortes gottgegeben, wahrscheinlich wurde ihnen bis zu einem gewissen Grad sogar die sprachliche Form ihres Wortes, deren Ausdruck, dargereicht, wenn auch in der besonderen Prägung ihres Geisteslebens. Und Überzeugung und Wort wurden umfasst vom göttlichen Auftrag: du MUSST mein Wort sagen! Bis zu einem gewissen Grad sind solche Vorgänge auch uns Späteren nicht fremd, namentlich wenn es sich um herbewegende Gegenstände handeln: da kann sich Überzeugung und Gedankeninhalt als gegeben aufdrängen; sogar der sprachliche Ausdruck kann wie als Geschenk empfunden werden.

Es sei in diesem Zusammenhang bemerkt, dass es nicht nur gottgegebene Überzeugungen und Gedanken gibt, sondern auch satanisch zugeleitete, die sich zuerst einzelnen aufdrängen und dann durch die Vermittlung des mündlichen geschriebenen oder gedruckten Wortes auch weiteren Kreisen. So gab es neben dem echten Prophetentum in Israel auch ein falsches. Man würde solchen Männern Unrecht tun, wenn man sie als bewusste Betrüger beurteilen würde; ein solcher war auch Mohammed schwerlich. Wie eine derartige satanische Eingebung oder Inspiration zustande kommen kann, das hat ein rechter Prophet in 1Kön 22 enthüllt; er hat aber diese Enthüllung, obwohl sie ihm abgenötigt wurde, büßen müssen, weil das falsche Prophetenwort dem damaligen Machthaber mehr zusagte als die göttliche Warnung. Das Auftauchen neuer Geistesströmungen wurde an anderer Stelle schon mehrfach zurückgeführt auf Einwirkungen aus der unsichtbaren Geisterwelt. Die letzteren erfolgen in zweifacher Weise: einmal, indem der Boden für die Aufnahme der neuen Bewegungen bereitet wird; sodann aber, indem irgend einer Persönlichkeit das zündende Wort verliehen wird, so dass sie zum Propheten der neuen Strömung wird. So entsteht für die Gemeinde Jesu die fortwährende Pflicht der Prüfung der Geister (1Jo 4:1), die schwer und leicht ist miteinander: schwer, weil es der gefährlichen Strömungen so viele gibt, und weil auch Irrtümer auftauchen die Kraft aufweisen; leicht, wenn die Gemeinde Jesu sich vom Heiligen Geist das Unterscheidungsvermögen geben und stärken lässt. Die geistigen Strömungen werden immer wirrer werden, und die Gefahr, irregeführt zu werden, besteht auch für die Auserwählten, wenn sie aus der Wachsamkeit entfallen. So ist ein waches Auge nötig, um seiner selbst und um der anderen willen.

Nach dieser durch den Gegenstand veranlassten Abschweifung sind die Ausführungen über die richtige Art christlicher Zukunftsgedanken zusammen zu fassen. Wir haben das feste prophetische Wort vom Kommen des Reiches und von der großen Trübsal zuvor. Dieses Wort vom Reich leuchtet über die Trübsal herüber in die Dunkelheiten der Zeit, die noch in Nacht übergehen werden. Aber unmittelbaren Blick in die Nachtzeiten haben wir nicht. Die Gabe der Weissagung in dem besonderen Sinn, durch den Geist Gottes die Zukunft zu erhellen, ist selten. Unser Suchen nach Klarheit gleicht eher dem angespannten Spähen der Augen, die in dunkler Nacht im Freien ich zurechtzufinden suchen. Hinter uns leuchtet noch der Lichtschimmer der Stadt nach: das sind die seitherigen Führungen Gottes. Vor uns in der Ferne ist auch ein Licht sichtbar: das ist das kommende Reich. Zwischen dem Schimmer von hinten und zwischen dem Schein von vorne, der aber den Zwischenweg selber nicht beleuchtet, gehen wir suchend dahin. Das Licht in der Ferne gibt die Richtung des Weges an; aber es wäre doch gut, wenigstens einiges auf dem dunklen Weg wahrzunehmen.

Es ist ein Gleichnis, aber immerhin wird die Lage dadurch angedeutet. Bloße Vermutungen und Meinungen helfen nicht. Mit dem Hören auf solche wird nur die Neugier befriedigt. Es ist gut, wenn sich Christen von der Neugier verabschieden. Aber etwas anderes als Neugier ist aber nur zu erlangen auf dem Weg des ernstlichen Forschens im prophetischen Wort der Schrift und der Zusammenschau dieses Wortes mit dem gesamten Geschichtslauf. Auch dann wird des Fragens noch viel übrig bleiben. Und Fehlgriffe sind trotzdem möglich. Darum darf die Bereitschaft zum Umlernen nicht verloren gehen. Der Verzicht auf Lieblingsmeinungen ist ja schwer. Aber wenn sie sich als nicht der Wirklichkeit entsprechend erweisen, dann muss die Wahrheit höher stehen als eigene Gedanken. Unter Beachtung der genannten Wegweiser und Schranken sei im folgenden ein Blick in die Zukunft gewagt.

Die Vorbereitung der Endzeit