Die neueren Auffassungen der Offenbarung Johannis: Unterschied zwischen den Versionen

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(II. Die zeitgeschichtliche Auffassung)
(Die reichsgeschichtliche Auffassung)
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Man sieht aus dem Bisherigen, dass sich die kirchen- und die zeitgeschichtliche Auffassung zueinander verhalten, wie die ältere Orthodoxie und der Rationalismus. Die reichsgeschichtliche Auffassung dagegen entspricht dem Standpunkt, dessen Durchführung die Aufgabe unserer heutigen, evangelischen Theologie ist, dem gott-menschlichen oder pneumatischen oder organischen oder wie man ihn sonst nennen mag.
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Zur historischen Betrachtungsweise gehören zweierlei, für's erste, dass man einen Gegenstand in seiner spezifischen Eigentümlichkeit nach allen Seiten erkenne, und dann, dass man ihn mit verwandten, welche rückwärts und vorwärts mit ihm in kausalem Zusammenhang stehen, in Beziehung bringe, um ihn so als ein Glied in der ganzen Kette der geschichtlichen Entwicklung zu begreifen. Stattdessen galt es nun auf theologischem Gebiete ungefähr ein Jahrhundert lang für geschichtlich, jene beiden obersten Grundsätze der Geschichtsbetrachten zu beseitigen, den biblischen Objekten ihre spezifische Eigentümlichkeit , welche in der Offenbarung besteht, zu nehmen und sie daher mit heterogenen Dingen in Zusammenhang zu setzen, welche außerhalb des Offenbarungsgebietes liegen. Sofern die Entwicklung der sündigen Menschheit sich nicht bloß durch Gegensätze, sondern durch Widersprüche bewegen muss, kann man das einen notwendigen Durchgangspunkt nennen, im Sinne der Mt 18:7 gezeichneten Notwendigkeit. Bis dahin nämlich war die geschichtliche Entfaltung auf dem Offenbarungsgebiet selbst nicht gehörig anerkannt worden, sondern die Offenbarung wurde nur als gegebenes, fertiges Objekt, als die reine Lehre betrachtet. So war es nun, um zur geschichtlichen Auffassung derselben zu gelangen, eine gewisse Notwendigkeit , dass sie für einen Augenblick herabgesetzt wurde auf ein Gebiet, wo man die historische Bewegung und Entwicklung anerkannte und eben in immer tieferer Weise zu erfassen im Begriff stand, nämlich auf das Gebiet der profanen Geschichte. Hierdurch wurde der Theologie anschaulich vorgehalten, was sie früher versäumt hatte, obwohl z. B. die B e n g e l 'sche Schule zeigt, dass auch von innerbiblischem, der Offenbarung treu gebliebenem Standpunkt aus der Fortschritt möglich gewesen wäre. <br/><br/>
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=== <big>Schwachpunkte der Auslegungsweise</big>===
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Die Herabsetzung der Offenbarung auf den Boden der Weltgeschichte ist ebenso irrig wie die Herabsetzung der Geschichte auf den Boden der Natur oder die Herabwürdigung des Menschen zum Tier. Man kann daher immerhin sagen, der altorthodoxe, und der rationalistische Standpunkt stehen einander als zwei Extreme gegenüber, als das der abstrakt göttlichen und der abstrakt menschlichen Auffassung. Aber diese beiden Extreme sin Daher hat der Rationalismus wohl oft formell Recht und bahnt in Hinsicht auf die wissenschaftliche Fassung einen Fortschritt gegenüber der Orthodoxie; aber materiell ist er ungöttlich und widerbiblisch. In Nezug auf das was zu ??? gehört, Sprache, Archäologie usw. sind seine Verdienste dankenswert, obwohl es in dieser Hinsicht auch bei den Älteren schon keineswegs so dürftig bestellt war, wie man es oft darstellt; aber wenn der Rationalismus ein Grammatiker ist, so ist er dagegen keine Pneumatiker. Er hat das Geschichtliche hervorgehoben, aber noch nicht in seiner Einheit mit dem Idealen, dem göttlich Geistlichen; und weil er die biblische Geschichte entgeistet hat, so hat er sie auch als Geschichte aufheben und zum Mythos herabsetzen müssen. Ebenso hat er die Weissagung als Weissagung aufheben und zur bloßen Vorstellung oder Ahnung herabsetzen müssen, deren Wahrheit nur in einigen allgemeinen Ideen besteht. Weil er die Bibel nicht als Wort anerkennt, als Gotteswort, darin der Geist sich im Buchstaben seinen Leib geschaffen hat, so gerät er einerseits in falsche Geistigkeit. Solchem allem gegenüber hat die Orthodoxie dem Gehalt und Wesen nach recht, sie hat wahre Ehrfurcht vor der Schrift und steht in substantieller Einheit mit ihr, mag sie auch in der wissenschaftlichen Fassung oft sehr fehlgreifen.
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Die Offb Joh. samt Daniel ist eine der letzten Positionen, welche der offenbarungswidrige Standpunkt noch behauptet. Auch hier hat er zunächst seine Verdienste: er hat die Berge von Willkürlichkeiten abgetragen, welche die kirchengeschichtliche Auslegung zusammengehäuft hatte; er ist ein Hüter gegen Extravaganzen der exegetischen Phantasie, wie sie in der englischen Kirche und in der apokalyptischen Broschürenliteratur noch oft genug vorkommen. Er hat ferner in die äußere Anordnung der Apokalypse den richtigen Blick eröffnet, indem er das Gruppensystem siegreich nachwies, hat in manchen einzelnen Punkten, z. B. Kap 12 den Weg zur natürlichen Auffassung gezeigt und auch aus den apokryphischen Apokalypsen schätzbare Beiträge zur Auslegung geliefert. Aber das alles auf Kosten des Wesentlichen. Wie die kirchengeschichtliche Auffassung eine willkürliche Erfüllung der Apokalypse gibt, so die zeitgeschichtliche eine willkürliche Entleerung. Jene hat nur den göttlichen, geistlichen Gesichtspunkt festgehalten ohne das historische Maß und Gesetz und gerät daher aus der symbolischen Deutung in die allegorische, sie weiß das heilige Buch aus der Kirchengeschichte nicht auszulegen, sondern nur auszufüllen. Weissagung und Geschichte sind auf eine äußerliche Weise  zusammengebracht; die Auslegung ist nicht aus dem Text selbst herausgewachsen, sondern sie wird zu Hineinlegung, zur Ausfüllung des göttlichen Rahmens mit menschlicher Geschichte; aber das Buch selbst ist und bleibt doch in seiner Göttlichkeit anerkannt. Bei der rationalistischen  Auffassung dagegen fallen Weissagung und Geschichte ganz auseinander. Die Geschichte hat sich anders entwickelt, als die Weissagung annahm; sie ist keine Erfüllung derselben. Eben damit aber hat auch die Weissagung aufgehört, wirklich Weissagung  zu sein: sie ist bloße Vorstellung, Phantasie über die Zukunft geworden. Bei der kirchengeschichtlichen Auffassung ist nur die Auslegung phantastisch, mythisch; dort hört die Auslegung auf, Auslegung zu sein. Damit aber ist die göttliche, kanonische Würde des Buches preisgegeben. Was an dem älteren, orthodoxen Standpunkt mangelhaft und an dem neueren rationalistischen verkehrt ist, tritt nicht leicht irgendwo so klar zutage, wie bei der Offb. Joh.
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Die jetzige Aufgabe der evangelischen Theologie auf diesem Gebiet besteht in der Überwindung des rationalistischen, unhistorischen Historisimus, freilich nicht durch Zurücktreten auf den alten Standpunkt der Geschichtslosigkeit, sondern durch die Erkenntnis der heiligen Geschichte. Die Geschichte der Offenbarung, nämlich der Offenbarung Gottes an die Menschheit, das ist eine unserer Hauptaufgaben. Und von diesem offenbarungsgeschichtlichen Standpunkt aus wird auch dasjenige Buch, welches nicht umsonst die Offenbarung im besonderen Sinn heißt, erst ins rechte Licht treten könne. Ohne die Apokalypse wäre gar keine Geschichte der Offenbarung oder des Reiches Gottes möglich, weil  nur sie uns in helleren Zügen das Ziel der Wege des Ewigen zeigt, worauf es mit seinem ganzen Werk auf Erden von Anfang an abgesehen war. Und wie das buch so durch seinen Inhalt hinausweist auf das Ende aller Offenbarung, so steht es selber am Ende der bisherigen Offenbarung und fasst sie in sich zusammen. Es ist diejenige Schrift, in welche die ganze Bibel abschließt und zusammenschließt.
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Davon hat die offenbarungs- oder reichsgeschichtliche Betrachtung auszugehen. Sie weiß, dass Gott mit seiner Offenbarung, auch mit der apokalyptischen, sich immer anschließt an die Lage und das Bedürfnis  der Menschen, seiner Kinder auf Erden. Darum ist ihr dieselbe ebenso wohl ein unmittelbares Erzeugnis göttlicher Inspiration, als ein wohlvermitteltes Produkt der offenbarungsgeschichtlichen Vergangenheit und Gegenwart. So ist sie die Wahrheit der beiden vorangegangenen Standpunkte,nicht indem sie sie äußerlich verbindet, sondern indem sie sie von innen heraus überwindet. Dem Wesen nach mit der Orthodoxie auf demselben Offenbarungsbogen unverrückt stehend, hat sie doch in formeller Beziehung von den rationalistischen Gegnern manches gelernt. Die Apokalypse ist ihr nicht das literarische Erzeugnis eines Judenchristen, welcher, durch die Zeitereignisse angeregt oder aufgeregt, die ihm übrigen Mußestunden darauf verwendete, seine Phantasien über die nächste Zukunft in der beliebten, apokalyptischen Kunstform darzustellen. Aber ebenso wenig kann sie nach dem vorliegenden Textgehalt ein Diktat des allwissenden Gottes über einzelne kirchengeschichtliche Ereignisse sein. <br/><br/>
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==== <big>Johannes, der letzte Zeuge</big>====
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Sondern Johannes ist ein Schriftkenner durch und durch; er hat die ganze bisherige Offenbarung in lauterem, pneumatischen Verständnis in sich aufgenommen; er hat insbesondere die Propheten ihrem Geist, ihrer Sprache, ihrer Symbolik nach in sich versammelt.  Darum hat er auch von dem Stand der Kirche in seiner Gegenwart die lauterste Geistesempfindung und Geisteserkenntnis. Er ist der einzige noch übrige Säulenapostel, auf dem jetzt der ganze Bau der Kirche menschlicherweise ruht. Alle Nerven und Fäden des Leibes laufen in ihm zusammen. Die Gemeinde Gottes hat jetzt schon den himmlischen Lebensschatz, aber noch in irdischem Gefäß  Sie verzweigt sich immer weiter in die gottlose Welt hinein. Sie wird von derselben verfolgt, ohne vernichtet werden zu können; sie breitet sich dennoch aus. Aber sie wird auch von derselben in immer steigendem Maße verführt, und das Eindringen der Kirche in die Welt ist auch zugleich das Eindringen der Welt in die Kirche. Von dem allem sah Johannes die Anfänge, er betrachtete sie mit Geistesaugen , mit einem durch das prophetische Wort und besonders auch durch die Erinnerungen an die Weissagungen seines Meisters erleuchteten und geschärften Blicke. Jahrelang sind vielleicht diese Grundanschauungen durch seine Seele gegangen; und als sie nun zu einer gewissen rEife gelang waren, da empfing er in einer der bewegendsten, erschütterungsreichsten Zeiten seines Lebens, in einer Verfolgungszeit, welche alle prophetischen Geister in ihm wachrufen und ihn besonders an die danielischen Tiergestalten erinnern musste, die heilige Offenbarung. Es war eine große Ekstase, in welcher er dieselbe erhielt; aber wir sehen nun, wie viele Anknüpfungspunkte für seine Offenbarung der Herr schon zuvor sich in dem Jünger, den er liebte, geschaffen, und wie er ihn für alle jene Punkte, welche der Heidenkirche in ihrer Pilgerzeit zu wissen nötig sind, empfänglich gemacht hatte.
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Dies ist der Standpunkt, welchen wir in materieller Hinsicht als den der reichsgeschichtliche, in formaler als den der symbolischen Auslegung bezeichnen, zum Unterschied ebenso von der kirchengeschichtlich-allegorischen als von der zeitgeschichtliche-mythischen Auffassung. Dieser Standpunkt it zuerst von J. Chr. K. H o f m a n n in seiner Schrift "Weissagung und Erfüllung" wissenschaftlich durchgeführt worden. Es wird hier allenthalben, nur in viel zu weitgehender Art, die Weissagung aus der Geschichte und ihrem typischen Gehalt gegriffen, und die Apokalypse erscheint als der krönende Abschluss aller früheren Prophetie (II, S 300ff.). "Ihr Inhalt", sagt Hofmann S. 376, "beruht einerseits auf der alttestamentlichen, mit neutestamentlichem Geist aufgefassten Weissagung, andererseits auf der Einsicht in den Zustand der Dinge, wie er zur Zeit des Domitianus war."<br/><br/>
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=== <big>'''J. Chr. K. Hofmann'''</big>===
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Version vom 17. Juni 2020, 15:09 Uhr

Abschrift des Buches: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis
in ihrem gegenseitigen Verhältnis betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert.

Verfasser: Karl August Auberlen (1854)
Verlag: Bachmaier's Buchhandlung, Basel

Inhaltsverzeichnis des Buches
Kapitel vorher:
A. Die Tiere und das Weib in der Offenbarung


In Bearbeitung

B. Die neueren Auffassungen der Offenbarung Johannis

Unsere Aufgabe isst jetzt ihrem positiven Teil nach gelöst, indem durch die exegetische Betrachtung von Offb 12-20 auch das Verhältnis der beiden Apokalypsen zueinander vollends ins Licht gestellt wurde: Da indessen die in den voran stehenden Blättern gegebene Auffassung des zweiten und wichtigsten Hauptteiles der Offb. Joh. zum Teil neu ist, so bleibt uns noch übrig, dieselbe durch Vergleich und Beurteilung der übrigen Auffassungen zu rechtfertigen, die gegenwärtig vorzugsweise in Betracht kommen. Wir glauben hierdurch zugleich dem Leser einen nicht unwillkommenen Dienst zu leisten; denn es gibt ja wohl kein anderes Buch, wo die verschiedenen Auslegungen so labyrinthisch durcheinander gehen, und wo es so schwer ist, sich auch nur historisch über dieselben zurechtzufinden. Die neuere Zeit hat darin noch keine Besserung gebracht; denn die vermehrte Tätigkeit, welche der Apokalypse zugewendet wird, hat den Widerspruch und die Verwirrung der Meinungen eher vermehrt als vermindert, so dass ein klare, geschichtliche Orientierung um so notwendiger ist, wobei es sich natürlich vor allem um die Klassifikation der verschiedenen Auffassungsweisen handelt.

Es sind drei Hauptgruppen von Auslegern zu unterscheiden, die kirchengeschichtliche, die zeitgeschichtliche und die reichsgeschichtliche.

Die erste Ansicht betrachtet die Offenbarung als ein prophetisches Kompendium der Kirchengeschichte und nimmt an, der erhöhte Herr habe darin im Voraus die Hauptereignisse aller Jahrhunderte christlicher Zeitrechnung im einzelnen chronologisch genau geoffenbart. Diese Auffassung ist in Deutschland immer noch am bedeutendsten durch B e n g e l vertreten, dessen apokalyptisches System, wenn auch furch den Erfolg bereits in Hauptpunkten als irrig erwiesen, doch seinem Kern nach gerade unter den Gläubigen noch heutzutage viele Freunde hat. Außerdem sind es besonders die Engländer und Franzosen, welchemit Vorliebe dieser Erklärungsart huldigen. Wir werden ihr Behandlung der Apokalypse an zwei der hervorragendsten Werke aus neuester Zeit zu charakterieren suchen, an den Horae apocalypticae des Engländers E l l i o t t, welche 1851 in London in vierter Auflage in vier starken Bänden erschienen ist. (Horae apocalyticae, or a commentary on the Apocalypse critical and historical, including also an examination of the chief prophecies of Daniel), und an der schon wiederholt angeführten Schrift des Genfers G a u s s e n, Daniel le prophète, wovon bis jetzt drei Bände veröffentlicht wurden, seit 1850 in zweiter Auflage. Gaussen berücksichtig dabei die Parallelen der Offb. Joh. ausführlich. Engländer und Franzosen schenken der theologischen und namentlich der apokalyptischen Literatur Deutschlands eine stets wachsende Aufmerksamkeit, so dass wir ihnen gerne die Gegenseite vorhalten.

Die zeitgeschichtliche Auslegung gehört denjenigen Kreisen der neueren deutschen Theologie an, welche den Propheten Daniel für unecht halten. Man geht hier von einem Begriff der Prophetie aus, welcher ein wirkliches, gottgewirktes Schauen der Zukunft ausschließt. Daher schränkt man den Blick des Johannes, wie den des Daniel, auf seine geschichtlichen Umgebungen ein: Nero wird in dem einen Fall zu dem gemacht, was in dem andern Antiochus Epiphanes ist. Hand in Hand mit dieser exegetischen Ansicht pflegt die kritische zu gehen, dass die Offenbarung und das Evangelium des Johannes nicht denselben Verfasser haben können, wobei die einen, E w a l d, de W e t t e, L ü c k e u. a. das Evangelium, die anderen, B a u r und seine Schüler, die Apokalypse dem Apostel beilegen. Eine zweite Art der zeitgeschichtlichen Auffassung ist in neuerer Zeit noch dem Vorgang Herders u. a. von Z ü l l i g geltend gemacht worden. Er schließt die Beziehung auf Rom und da Heidentum aus und will alles auf Jerusalem und das Judentum bezogen wissen. Seine Ansicht hat jedoch so wenige Eingang finden können, dass wir einer näheren Berücksichtigung derselben überhoben sind. Als Hauptvertreter der zeitgeschichtlichen Auffassung haben wir daher neben E w a l d, der sie in seinem Commentarius in Apocal. criticus et exegeticus 1828 zuerst durchgeführt hat, vorzüglich d e W e t t e mit seiner kurzen Erklärung der Offb. Joh 1848 und L ü c k e mit seinem "Versuch einer vollständigen Einleitung in die Offb. Joh. zweite Aufl. 1852 zu betrachten. Die B a u r 'sche Schule hat kein selbstständiges Werk über die Apokalypse geliefert, sondern nur einzelne Abhandlungen und gelegentliche Erörterungen.

Die reichsgeschichtliche Auffassung ist diejenige, zu der wir uns bekennen. Sie steht, was das Prinzip betrifft, auf einem Boden mit der kirchengeschichtlichen gegenüber der zeitgeschichtlichen. Sie glaubt an wirkliche Weissagung. Sie leugnet auch die Möglichkeit so spezieller Weissagung nicht, wie die kirchengeschichtliche Ansicht sie in der Offb. Joh. findet: der zweite Teil Daniel liefert ja durch die Wirklichkeit den Beweis für die Möglichkeit. Aber wir leugnen, dass die neutestamentliche Apokalypse, wo wie sie faktisch vorliegt, einen detaillierte Zukunftsgeschichte sein wolle und solle. Wollte sie das, dann müsste sie in der Weise von Dan 11 geoffenbart sein, wo sich wirklich einen Spezialgeschichte der Zukunft findet. Faktisch aber ist vielmehr Dan 7 mit seiner Tier- und Menschensymbolik die Grundlage der Offb. Joh. und auch die Zahlen derselben gehen wesentlich auf die Dan 7:25 sich findende Grundzahl der 3 1/2 Zeiten zurück. darum will sie nicht Kirchengeschichte im einzelnen schreiben, sondern sie will die großen Epochen und die leitenden Potenzen der Entwicklung des Reiches Gottes in seinem Verhältnis zum Weltreich darstellen. "Die Apokalypse zeichnet Wesensbeschaffenheiten; dies sind zu ermitteln, unabhängig von der Frage: auf welche äußere, geschichtliche Erscheinung (Staat, Kirche, Begebenheit, Person) trifft dies zu?! (J. T. B e c k).

Wir haben auch oben bereits den Grund aufzuzeigen versucht, ,warum für das alttestamentliche Volk Gottes speziellere Weissagungen notwendig waren als für das neutestamentliche. Die reichsgeschichtliche Auffassung, die ursprüngliche und älteste, wurde zuerst wissenschaftlich wieder angebahnt durch J. Chr. H o f m a n n , welcher 1844 im zweiten Teil seiner "Weissagung und Erfüllung" (S. 300ff.) die Auslegung auf die danielische Grundstelle zurückführte und so für das Verständnis des Tiers neue Bahn brach, während er hinsichtlich des tausendjährigen Reiches die von Bengel so kraftvoll wieder bezeugte Wahrheit aufs Neue hervorhob. Die beiden neuesten Auslegungen der Offb. Joh. von H e n g s t e n b e r g (2 Bd. 1849-51) und E b r a r d (1853) haben auf dem von Hofmann gelegten Grund weiter gebaut, wobei jener zum Teil in die vorbengel'sche Auffassung zurückfiel, dieser französisch-englische Ideen aufnahm.

Die kirchengeschichtliche Auffassung

Das Wesen der kirchengeschichtlichen Auffassung hat L u t h e r treffend ausgesprochen, wenn er sagt: "Weil es soll eine Offenbarung sein künftiger Geschichten und sonderlich künftiger Trübsale und Unfall der Christenheit, achten wir, das sollte der nächste und gewisseste Griff sein, die Auslegung zu finden, so man die ergangene Geschichte und Unfälle, in der Christenheit ergangen, aus den Historien nähme und dieselbigen gegen die Bilder hielte und also auf die Worte vergliche. Wo sich's alsdann würde sein miteinander reimen und eintreffen, so könnte man darauf fußen als auf eine gewisse oder unverwerfliche Auslegung." Dieses Auslegungsprinzip hat auf den ersten Anblick etwas sehr Einleuchtendes und doch ist es nicht richtig. Es verstößt gegen den von der evangelischen Kirche sonst mit so großem Recht und Nachdruck geltend gemachten Grundsatz, dass die Hl. Schrift sich selber auslege. Dieser findet auch auf die Offb. Joh. Anwendung. Obwohl sie als prophetisches Buch in die Zukunft weist, so weist sie doch selbst für ihr Verständnis zunächst in die Vergangenheit. Das ist die hohe Bedeutung, welche der durchaus alttestamentlichen Färbung der Sprache und Darstellung zukommt. Dadurch wird der Leser an die frühere Schrift gewiesen und aufgefordert, die Deutung der an sich so dunklen Bilder bei den älteren Propheten Gottes zu suchen. Tut man das, so gewinnt alles auf einfache Weise Licht, Ordnung, Regen, Zusammenhang; man ist dann des willkürlichen Ratens überhoben, weil sich allenthalben von selber Plan- und Gesetzmäßigkeit herausstellt. Ganze Reichen von Auslegungen beseitigen sich so auf prinzipielle Weise.

So ist z. B. aus Daniel klar zu erweisen, dass das Tier keine geistliche Macht bedeuten kann, wie sich umgekehrt aus der ganzen Bedeutung der Hurerei in der Schrift ergibt, dass die babylonische Hure eine geistliche Macht sein muss und keine bloße Stadt sein kann. Versäumt man aber die biblische Feststellung der Grundbegriffe und Grundsymbole, so ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Und darum gibt es zahllose Systeme kirchengeschichtlicher Deutung, und können und werden deren je nach dem Gang der kirchlichen und weltlichen Ereignisse noch manche aufgestellt werden. Der Grundfehler ist, dass man hier Auslegung und Erfüllung miteinander vermischt und jene von dieser abhängig macht. Dadurch wird aber das Wort Gottes nur zu leicht von der menschlichen Geschichte abhängig, während es doch in sich selbst vollendet ist und durch das Licht, das es in sich selber trägt, denen, die göttlichen Verstand haben, eine Leuchte in der Finsternis der Weltzeiten sein will. Wir sollen aus aus der Offenbarung die Zeit, nicht aus der Zeit die Offenbarung verstehen lernen, obwohl es dann allerdings in der Natur der Sache liegt, dass bei den Verständigen eine Wechselwirkung zwischen beiderlei Verständnis eintritt. In dieser Weises aufgeschlossen, ist das heilige Buch noch weit eindringender nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit (2Tim 3:16), als wenn es nur einzelne Begebenheiten weissagen würde.

Die kirchengeschichtliche Auffassung der Apokalypse war schon vor der Reformation umso mehr vorherrschend geworden, je weiter man von dem ursprünglichen Verständnis derselben und, was damit Hand in Hand geht, von dem urchristlichen Chiliasmus abgekommen war. Je mehr die Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung anschwollen, desto mehr war man versucht, in der Offb. eine Weissagung der Kirichengeschichte zu suchen und namentlich die apokalyptischen Zahlen zu chronologischen Berechnungen zu verwenden; und als nun vollends ein Jahrtausend sich erfüllt hatte, so glaubte man auch dem tausendjährigen Reich in der Kirchengeschichte seinen Platz anweisen zu können. Christentum und Kirche waren eine solche Macht in der Welt und der biblisch-prophetische Geistesblick war eben damit so selten geworden, dass man sich dessen nicht wundern kann, hatte doch selbst A u g u s t i n das tausendjährige Reich schon in seiner Zeit für angebrochen erklärt. Man zählte die tausend Jahre teils von Christi Geburt an, weswegen im elften Jahrhundert ein allgemeines Warten des jüngsten Tages durch die Christenheit ging, teil von Constantin, später auch von Karl dem Großen an, wie heutzutage H e n g s t e n b e r g. auf die wunderlichste Weise wurden die Zeiten durcheinander gemischt, wie L u t h e r s eigene Ansicht beweist. (Vgl. darüber B e n g e l s erklärte Offb. Joh., neue Ausg. Stuttg. 1834, S. 669f.). Er rechnete die tausend Jahre von Anfang des N. T. bis auf Gregor VII, fand dann in dem siebenköpfigen Tier das hildebrandtische Papsttum und bezog die Zahl 666 auf die Dauer desselben. Diese Ansicht wurde für die evangelische Kirche in doppelter Hinsicht maßgebend. Einmal galt es, zumal wegen des bekannten 17. Artikels der augsburgischen Konfession, in welchem, wie B e n g e l (S. 672) sagt, gegen den wiedertäuferischen, frühzeitigen, rasenden Chiliasmus ein rechtmäßiges Zeugnis erhalten ist, für orthodox, das tausendjährige Reich nicht mehr zu erwarten, sondern der Vergangenheit zuzuweisen. Sodann "gehörte es zu dem kirchlichen Charakter der protestantischen Exegese, die Apokalypse als prophetischs Kompendium der Kirchengeschichte zu betrachten, wobei die Beziehung der Weissagung auf das Antichristentum des päpstlichen Roms als ausgemacht angesehen wurde." (Lücke S. 1015f.)

1. Bengel

In letzterer Beziehung ist B e n g e l in die Fußstapfen der protestantischen Auslegung getreten; in ersterer hat er gegen dieselbe den urkirchlichen Chiliasmus siegreich geltend gemacht, und dies ist das eigentlich Neue und Bedeutende an ihm. In historischer und chronologischer Hinsicht schließt er eigentlich nur die bisherige Auffassung ab, indem er sie auf die Spitze treibt. Kirchengeschichtliche Auslegungen und apokalyptische Chronologien, welche immer in irgendeinem Maße miteinander verbunden sind, gab es schon vor ihm viele. Und gerade zu den Chronologien lag in seiner Zeit überhaupt eine Tendenz, wie z. B. der ebenfalls 1752 gestorbene Engländer W h i s t o n zeigt, welche die Wiederkunft Christi zuerst auf das Jahr 1715, dann auf 1766 berechnete (Lücke S. 1036). Es hängt dies wohl mit dem damals erwachenden historischen Sinn zusammen, der sich auch auf diesem Gebiet in seiner Art wiederspiegelte, und von dem Bengel selber Notiz nimmt, wenn er einmal sagt: "Alte Leute machen gerne Personalien; so, weil die Welt anfängt alt zu werden, macht sie auch ihre Personalien; deswegen kommt das Studium der Geschichte so empor (B u r k, Bengels Leben und Wirken, S 297). Neu war in dieser Beziehung an ihm nur dies bestimmte chronologische System, wie er selbst sagt: "Nichts Neues habe ich, als die bestimmte Länge der prophetischen Zeiten." (S. 676).

Auf dieses chronologische System fällt nun aber auch bei seiner gesamten Anschauungsweise ein ungemein starkes Gewicht, und es ist ihm dasselbe eigentlich zum Schlüssel für die Apokalypse geworden. Wir müssen daher näher auf dasselbe eingehen. Es ist teils in dem Ordo temporum (1741), teils in der Einleitung zur erklärten Offenbarung entwickelt, und B u r k gibt a. a. D aus beiden Werken sowie aus den später Streitschriften gute Auszüge.

Bengels Irrtümer

Bengel nimmt die gesamte Weltdauer von der Schöpfung bis zum jüngsten Gericht, indem dieselbe nach einer in der Hl. Schrift sehr häufigen Analogie in die Siebenzahl gefasst sei zu 7777, näher 7777 7/9 Jahren an. auf den bekannten Termin 1836, als mit welchen das tausendjährige Reich beginne, kommt er von hier aus zunächst durch eine Rechnung rückwärts. Er setzt nämlich den Anfang unserer dionysischen Zeitrechnung ins Jahr der Welt 3943, wobei er annimmt, Christus sei 3 Jahre früher geboren. Zieht man jene Zahl oder vielmehr, da es nicht völlig 3943 Jahre sind, die Zahl 3942 von 7777 oder richtiger 7778 ab, so ergibt sich als Gesamtsumme der neutestamentlichen Zeit die Zahl von 3836 Jahren. Die beiden letzten Jahrtausende hiervon abgezogen, geben für den Beginn des tausendjährigen Reiches die Jahreszahl 1836. Bengel nimmt nämlich an, das Jahrtausend der Gebundenheit Satans (Offb 20:1-3) gehe dem der Herrschaft der Heiligen (V. 4-6) voran, so dass das tausendjährige Reich 2000 Jahre umfasse, und die kleine Frist der Lösung Satans (v. 3.7-10) in den Anfang des zweiten Jahrtausends falle. Hierfür beruft er sich hauptsächlich darauf, dass in eineigen wichtigen Zeugen V. 4 vor dem χίλια ἔτη der Artikel fehle, woraus folge, dass hier nicht das schon V. 2 und 3 genannte Jahrtausend gemeint sein könne.

Bleiben wir hier sogleich mit einem prüfenden Blick stehen: so vermissen wir schon an diesen Fundamenten des Systems die gehörige biblische Begründung. Bengel sagt selbst: "Sollte das Jahr 1836 ohne merkliche Veränderung vorbeigehen, so wäre ein Hauptfehler in meinem System." (Burk S 300). Der Fehler des Resultates, den wir erlebt haben, liegst schon im Prinzip. Man kann verstehen, warum die Schüler Bengels sein apokalyptisches System zum Teil für inspiriert hielten; denn in der Offenbarung und in der Schrift überhaupt hat es so wenig sichere Gründe, dass man, seine Richtigkeit vorausgesetzt, es nur aus einer neuen Offenbarung ableiten konnte. Vor allem ist die Annahme, auf welcher das Ganze ruht, dass die Welt 7777 Jahre lang stehen solle, mehr nicht als eine sinnreiche Vermutung. Die Ausdehnung des tausendjährigen Reiches auf zwei Jahrtausende sodann streitet offenbar gegen den einfachen und natürlichen Sinn des Textes. Das Fehlen des Artikels V. 4 ist nich so sicher beglaubigt, dass man so viel darauf bauen dürfte; überdies fehlt er auch V. 6. Gezwungen und unmöglich aber ist es, die tausend Jahre des V. 7 mit Ausschluss der V. 4-6 genannten auf die des V. 3 zurück zu beziehen. Vielmehr beweist wie der ganze Zusammenhang, so gerade die unverkennbare Beziehung von V. 7 auf V. 3, da doch auch V. 4-6 die χίλια ἔτη vorkommen, dass alle sechs Mal die nämlichen tausend Jahre gemeint sein müssen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Bengel nur um der Harmonie seines Systems willen diese Verdoppelung der tausend Jahre angenommen habe, weil es mit seinen sonstigen Ansichten unvereinbar gewesen wäre, das tausendjährige Reich erst im Jahr 2836 beginnen zu lassen.

Indessen kommt er auch von der andern Seite her auf das Jahr 1836. In dieser Beziehung geht er von der Zahl des Tieres 666 aus, welche er für gemeine Jahre hält, die die Dauer der Herrschaft des Tieres d. h. des hildebrandtischen Papsttums bezeichnen sollen. Er freut sich bei diesem Punkt seiner Übereinstimmung mit Luther. Da nun aber Offb 13:5 die Dauer der Macht des Tieres auf 42 Monate angegeben ist, so benützt er die Identität beider Zeitbestimmungen zur Berechnung eines prophetischen Monats, welcher denn gleich 15 6/7 gemeinen Jahren ist. Hiernach ist ein prophetischer Tag ungefähr ein halbes Jahr, und dem entsprechend lassen sich auch die prophetischen Stunden und Jahre berechnen. Ein zweite Reihe von Zeitbestimmungen,nämlich die drei Begriffe καιρὸν, χρόνον und αἰών Zeit, Periode, Ewigkeit, die er ebenfalls chronologisch fasst, gewinnt Bengel aus dem Vergleich der Zahl 666 mit der im 20 Kapitel vorkommenden Zahl 1000. Diese beiden Zahlen verhalten sich ungefähr zueinander wie 2 zu 3; durch eine geringe Nachhilfe erhalte man genauer folgende Gleichung: 3:2 = 999 999/999 : 666 666/999.

Hiernach könne man nun ein Jahrtausend, statt in 10, in 9 Jahrhunderte einteilen, deren jedes alsdann eine Dauer von 111 1/9 gemeinen Jahren umfasse. Das sei dann die halbe Zeit, eine Zeit (..) demgemäß 222 2/9 Jahre, eine Periode (chronus) aber sei 1111 1/9 Jahre, eine Ewigkeit (Aevum) 2222 2/9 Jahre. An die Zeit schließt sich noch die wenige Zeit an (ὀλίγον καιρὸν Offb 12:12), welche 888 3/9 Jahre dauern soll; an die Periode die Nichtperiode oder der Nonchronus (Offb 10:6), welche etwas weniger als 1111 1/9, nämlich 1036 Jahre dauern soll.

Es liegt auf der Hand, dass auch diese chronologischen Bestimmungen auf bloßen Vermutungen beruhen, welche im Text selber eine hinlängliche Begründung finden. Wir deuten nur einige Hauptpunkte an. Das Ganze geht von der Annahme aus, dass die Zahl des Tiers 666 eine chronologische Zahl sei und gemeine Jahre bedeute; allein die exegetische Berechtigung zu dieser Annahme ist nicht nachgewiesen und auch nicht nachweisbar. Damit fallen aber beide Reihen von Zeitbestimmungen, die aus Kombination mit den 42 Monaten, wie aus der mit den 1000 Jahren gewonnenen, als unbegründet dahin. Bei der letzteren Klasse ist außerdem noch dreierlei willkürlich, einmal, dass Bengel zu der Zahl 666 noch 2/3 hinzutun muss, sodann das er die ganz allgemeinen Begriffe Zeit, Periode und Ewigkeit überhaupt chronologisch zu bestimmen sucht, und endlich die Art, wie er sie bestimmt. Wer wird Offb 6:11, wo den Märtyrern, die um Rache rufen, gesagt wird, sie sollen noch eine Zeitlang (χρόνον) ruhen, daran denken, dass sie auf eine Periode von 1111 1/9 Jahren zur Ruhe verwiesen werden, nämlich vom Jahr 98- 1209 n. Chr. wo sie durch die Verfolgungen der Waldenser neuen Zuwachs erhielten? Wer wird Offb 10:6 wo der Engel schwört, es soll keine Zeit d. h. kein längerer Aufschub bis zur Vollendung des Geheimnisses Gottes mehr sein, an einen Non chronus von 1036 Jahren (800-1836 n. Chr.) denken? Wer wird Offb 12:12, wo es vom Teufel heißt, er wisse, dass er wenig Zeit (ὀλίγον καιρὸν ) habe, an einen Zeitraum von 888 3/9 Jahre (947-1836 n. Chr.) denken, wobei überdies die wenige Zeit viermal so lang ist wie die Zeit (καιρὸν ) selbst? Wer wird bei dem ewigen Evangelium Offb 4:6 an eine Ewigkeit von 2222 2/9 Jahren denken, welche von Arndt, den Bengel unter dem mitten durch den Himmel fliegenden Engel versteht, bis zum jüngsten Tag (1614-3836) währen soll? Bei solcher Exegese ließ sich freilich von den verschiedensten Punkten aus auf das Jahr 1836 oder 3836 kommen.

Bemerkenswert ist in dieser Beziehung noch insbesonderne die Verschiedenheit, mit welche Bengel die apokalyptische Grundzahl auffasst, nämlich jene so sichtbar identischen Bestimmungen: 3 1/2 Zeiten, 42 Monate, 1260 Tage, welche Offb 11-13 fünfmal vorkommen. Im 11. Kapitel nimmt er die 42 Monate (V. 2) und die 1260 Tage (V. 3) als Zeitbestimmungen im alltäglichen Sinn und verlegt sie in die letzte antichristliche Zeit, zwischen die Jahre 1830 und 1836. Die Bestimmungen über das Weib und das Tier dagegen (Offb 12:6.14; Offb 13:5) fasst er nun nach seiner prophetischen Zeitrechnung. Hiernach bedeuten also die 42 Monate des Tiers 666 Jahre, welche die hildebrandtische Papsttum währen sollen, nämlich von 1073-1809. Die 1260 Tage der Flucht des Weibes in die Wüste, obwohl nach dem Obigen aus dem Verhältnis der 42 Monat zur Zahl 666 bestimmt, sind doch nicht ganz damit identisch, sondern dauern 667 Jahre, von der Vollendung der Vorbereitungsanstalten für das Christentum in Böhmen bis zu seiner Bedrückung daselbst, 940-1617. Davon wird nun der Flug des Weibes in die Wüste unterschieden, wie denn auch die Währung desselben, 3 1/2 Zeiten, nach einem ganz anderen Prinzip, aus der Kombination von 666 und 1000, berechnet ist. Hiernach sind die 3 1/2 Zeiten 777 7/9 Jahre, in welchen die Kirche sich selbst in den nördlichen Gegenden von Europa ernährt, 1058-1836. Auffallend ist auf den ersten Blick, wie hierbei die Reformation neben unbedeutenderen Ereignissen zurücktritt.

Wir haben schon im Bisherigen bei den chronologischen Annahmen auch einige Hauptpunkte der geschichtlichen Auffassung berühren müssen und können uns nun in dieser Beziehung kürzer fassen. Bengel hat noch nicht die richtige Einsicht in die Ökonomie der Apokalypse, indem er sie nicht als eine Reihe paralleler Gruppen, sondern als ein historisch fortschreitendes Geschichtsgemälde fasst, wobei er nur Kap. 11 herausschneidet und ans Ende verlegt. Im 12. Kapitel, von welchem an uns die Sache näher angeht, ist die Entwicklung bis ins neunte Jahrhundert gelangt.

Das Weib ist die Gemeinde Gottes und Christi. Die Schwangerschaft deutet darauf hin, dass es sich unter Karl dem Großen zu äußern anfing, dass alle Völker ihr Erbe werden sollten. Der männliche Sohn ist Christus bildlicherweise, eben in dieser seinen königlichen Herrschaft über die Völker gedacht, welche aber jetzt noch unsichtbar ist, daher der Sohn zu Gott entrückt wird. Die Flucht in die Wüste geht auf die Wanderung des Christentums von Asien nach Europa, besonders dessen nördlichen Teil, wo ihm durch Ansgarius, Chrillus, Methodius im neunten und zehnten Jahrhundert Bahn gemacht wurde, bis 940 Boleslaus von Böhmen auf Verlangen Otto des Großen seine Prinzen christlich erziehen ließ. Bald darauf erfolgt 947 der Sturz des Teufels aus dem Himmel, wo er bis dahin die Christen verklagt hatte, weil sie seit den Verfolgungen unter den heidnischen Kaisern und arianischen Königen, besonders aber seit dem Hingang des zweiten sarazenischen Weh, welches 847 aufhört, Ruhe gehabt hatten. Der Satan beginnt jetzt (V. 13) Der Satan beginnt jetzt (V. 13) Verfolgungen zunächst in Preußen, Ungarn usw. Der Wasserstrom, den er dem Weibe nachschickt, ist die türkische Macht, welche in Asien (Erde) ihre Begrenzung durch die Kreuzzüge fand.

Das Tier ist also das Papsttum auf der Höhe seiner weltlichen Macht, die es durch Gregor VII erlangt hat. Seine sieben Köpfe sind eine lange Reihe von Päpsten nacheinander. Die Todeswunde ist der Kampf des Papsttums mit dem Kaisertum und ihre Heilung die neue Macht des Papsttums, die sich in den Kreuzzügen, Konzilien usw. erwies. Der falsche Prophet oder das zweite Tier tritt am Ende der 666 Jahre auf: es könnten die Jesuiten sein oder auch die Freimaurer, da in der letzten Zeit Papismus und Sozianiansmus zusammenfließen werden. Der siebte Kopf des ersten Tieres ist der Antichrist und als solcher zugleich der achte. Das wird ein einzelner Mensch sein, durch den zu der vorigen lästerlichen und Christo befeindenden Macht des Papsttums nach vorangegangenerZeit der Geringschätzung noch eine neue abgrundsmäßige Bosheit kommt. Die Hure ist die Stadt Rom, welche samt ihren Patriziern der weltlichen Gewalt des Papsttums Einhalt tun will, aber dafür vom Antichrist mit seinen zehn weltlichen Königen (den zehn Hörnern) zerstört wird. Darauf folgt das Gericht über den Antichrist mit seinem falschen Propheten, der zuletzt auch einen einzelne Person sein wird, und sodann das tausendjährige Reich.

Anhaltspunkte für die Beurteilung dieser Auslegung ergeben sich nach allem Bisherigen von selbst. Am meisten muss man über die Erklärung des 12. Kapitels staunen: wie ist es doch möglich, die Geburt Christi und den Sturz des Teufels auf so unbedeutende Dinge zu beziehen? Was das Tier betrifft, so haben wir bereits gesehen, dass es nach der ganzen Symbolik der Propheten und insbesondere der Apokalypsen nur die politische Weltmacht bedeuten kann. Aber wenn es auch das Papsttum wäre, so müsst auffallen, dass die Existenz desselben vor Gregor VII, wo ihm doch auch schon viel widergöttliches Wesen anhängt, ganz mit Stillschweigen übergangen ist; abgesehen davon, dass diese ganze Deutung mit der Chronologie zugleich fällt. Auch die Zahl der sieben Köpfe und was damit zusammenhängt, vermag Bengel nicht genügend zu erklären. Wäre ferner die babylonische Hure nur die Stadt Rom, so würde auf ihre Vernichtung Offb 18 und 19 wohl schwerlich ein so ungemeiner Nachtdruck gelegt, andere Gründe hier zu verschweigen. Schon R o o s hat in dieser Beziehung eine leise Verbesserung der Bengel'schen Systeme angebracht, indem er unter der Hure die römische Kirche verstand.*)

*) Für unsere Grundauffassung der beiden Tiere und der Hure erfreuen wir uns im Wesentlichen der Zustimmung eines ergrauten Knechtes Christi aus neuerer Zeit, Z e l l e r s in Beuggen. Man Viele liebe Grüße!. besonders Monatsblatt 1839, Nr. 12: Das Geheimnis Babylons, und 1841, Nr. 5: Das Antichristentum in seiner Ausbildung vor dem großen Tage Christi. Auch sonst enthält das Monatsblatt von Beuggen noch manche treffliche eschatologische Aufsätze.

Bengels Verdienste

Es leuchtet nach allem Bisherigen ein, dass die Bengel'schen Auslegung mit ihren chronologischen und historischen Details unhaltbar ist. Gleichwohl sehen wir an diesem gesalbten Schriftforscher, dass, wo der Grund eines Mannes lauter und aus Gott ist, auch dieser oder jener Irrtum nicht wesentlich schadet, während umgekehrt, wo der Grund nicht aus Gott ist, auch manche erkannte Wahrheit nicht nützt, sondern in's Eitle gezogen, den Irrtum nur kräftiger und verführerischer macht. Selbst Bengels Irrtum musste in der Hand Gottes denen, die Ihn liebten, zum Besten dienen. Die Chronologie trug ungemein viel dazu bei, die Aufmerksamkeit der Gläubigen wieder auf das Wort der Weissagung zu lenken und sie zu veranlassen, auch die Zeitereignisse im Lichte desselben zu betrachten. Und im großen Ganzen hat doch Bengel viel Wahres geschaut. Es ist bekannt, wie sein Seherauge die folgenden Zeiten durchdrang und B u r k hat (S. 295ff.) eine merkwürdige Zusammenstellung "apokalyptischer Ahnungen und Folgerungen" von ihm gegeben. Wie reich ist die Periode, von der er große Entscheidungen erwartete, auch wirklich an geistigen, wie an äußeren Entwicklungen, welche es der Gemeinde Gottes zu heiligen Pflicht machen, auf die Zeichen der Zeit zu achten!

Die Hauptbedeutung des Bengel'schen Systems aber besteht wohl darin, dass es eine seit fast anderthalb Jahrtausenden verkannte Schriftwahrheit wieder auf den Leuchter gestellt hat, die Lehre vom tausendjährigen Reich. Bengel selbst setzt in der "Historie der Auslegungen", welche er seiner erkl. Offb. beigegeben hat, die vorzügliche Bedeutung seines apokalyptischen Systems darin, dass er an Vitringa weiterbauend, "die alte wahre Ordnung: Antichrist, tausend Jahr, Weltende" wiederhergestellt habe. (S. 661.775). Ein anderes Mal äußert er sich, es werde eine Zeit kommen, da der reine Chiliasmus zur Rechtgläubigkeit werden; und Ö t i n g e r betrachtet es als ein Hauptaufgabe Bengels, Chiliasmmum orthodox zu machen, denn erst dadurch bekommen die Religion ihre völlig schöne Gestalt. Hierdurch hat Bengel nicht nur für die so hochnötige, dogmatische Ausbildung der Eschatologie den Grund gelegt, sondern er hat auch für die historische Totalanschauung des göttlichen Reichsplanes und damit für die Auslegung der Propheten neue Bahn gebrochen. Und dies ist der Geistessegen seiner großartig angelegten Weltchronologie, wenn dieselbe auch im Einzelnen noch so verfehlt war.: es gilt nur, die Schale zu sprengen, der Kern ist eine gute Frucht. Die Bengel'sche Weltchronologie ist die Mutter einer Grundidee der neuen Theologie, der der organisch geschichtlichen Entwicklung des Reiches Gottes, an deren Durchführung, besonders durch das A. T. wir noch lange aus allen Kräften zu arbeiten haben "Wenn wir, sagt D e l i z s c h (Die biblisch-prophetische Theologie, S. 6f.) im A. T. jetzt klarer sehen, so ist dies vermöge des Lichtes der Fall, welches Bengel von der Apokalypsis aus über das A. T. verbreitet hat. Wem verdanken wir es, dass rechtgläubige Kirche der Gegenwart die chiliastische Anschauung der Endzeit nicht mehr, wie in sämtlichen Lehrbüchern der Dogmatik geschieht, als eine Heterodoxie brandmarkt, sondern dieselbe so in ihr innerstes Leben aufgenommen hat, dass jetzt wohl kaum ein gläubiger Christ sich findet, der sie nicht teilte?

Wem verdanken wir es, dass die Kirche jetzt an eine herrliche Zukunft des Volkes Israel glaubt und eben deshalb in seiner alttestamentlichen Vorgeschichte eine Prognose auf seine Endgeschichte, in der alttestamentlichen Prophetie eine Fernsicht nicht bloß auf die Herrlichkeit der Heidenkirche, sondern Israels im eigentlichen Sinne erkennt? Wem, dass die Kirche in Anerkennung der sinnlichen Wirklichkeit, in welcher das übersinnliche Heil zuletzt darstellen soll, die sinnliche Wirklichkeit der alttestamentlichen Geschichte wieder in ihr Recht einzusetzen und Geistliches und Leibliches in seiner organischen Verschränkung aufzufassen befähigt ist? Wir verdanken es Bengel. Er war es, der den letzten Bodensatz einer unter dem Schein der Orthodoxie bis zur Ketzermacherei antichiliastisch gesinnten Theologie ausleeren musste und sowohl die Epigonen dieser niederkämpfte, als auch die Brüdergemeinde, welche in sich selbst die herrliche Zukunft der Kirche, die sogenannte philadelphische Periode derselben, verwirklicht wähnte, zu besserer Einsicht brachte. Er sprengte die Fesseln einer bis dahin fast bis zur Unantastbarkeit gültigen exegetischen Überlieferung, vindizierte der Schriftauslegung ihr Mutterrecht im Verhältnis zur Dogmatik und wies der Kirche in der Schrift den kastalischen Quell, aus dem sie sich immer neu verjüngen müsse. Bengels Schriften sind von der Kirche noch lange nicht ausgelernt."

Sie sind dies namentlich in einem Punkt noch nicht. Bengel ist in seinem Chiliasmus der Nachfolger S p e n e r s, dessen Andeutungen er nur wissenschaftlich durchgeführt hat; wie man denn überhaupt die Bengel'sche Schule als die theologische Frucht und Ergänzung der von Spener ausgegangenen praktischen Anregungen betrachten kann. Bengel selbst hält diesen seinen Vorgänger für den zweiten der drei Offenbarungen Offb 14:6ff genannten Engel und sagt von ihm in der Historie der Auslegungen: "Eine große Türe ward durch den teuren Spener aufgetan, als welcher die von ihm und anderen so genannte Hoffnung besserer Zeiten wieder hervorgebracht, alle Partikularien zwar auf das Behutsamste, wie sich's bei einem solchen neuen Anfang geziemte, beiseite gesetzt, die Hauptsache aber mit großem Ernst, Standhaftigkeit und Gewissheit bis in den Tod verteidigt hat. Von da an dringt die Wahrheit in diesem Stück immer mächtiger, wiewohl zwischen vielen Irrungen hindurch." Bei Spener hing aber die chiliastische Hoffnung mit seiner ganzen Anschauung von Kirche und Christentum aufs Innigste zusammen, und diese nicht bloß theoretische, sondern auch praktische Verbindung des locus de ecclesia mit dem locus de novissimis ist vorzüglich bedeutend und lehrreich. Man sieht bei ihm sehr anschaulich, wie ein wahrhaft geistlicher Blick einerseits in das Wesen und andererseits in das erfahrungsmäßige Unwesen und Verderben der Kirche das Verständnis der Weissagung öffnet. Spener hat in dieser Beziehung selbst wieder nur das Prinzip der Reformation weiter entwickelt.

Der Chiliasmus trat in der Kirche zurück, je mehr sich der papitistische Katholizismus ausbildete. Denn dieser mit seiner Grundtendenz zur Herrschaft und sichtbaren Herrlichkeit der Kirche ist, wie schon früher bemerkt, seinem innersten Wesen nach eine falsche Antizipation des tausendjährigen Reiches. "Als das Christentum durch Konstantin die Oberhand in der Welt bekommen hat, sagt B e n g e l (S. 664), ist die Hoffnung auf das Zukünftige durch die Vergnügungen über dem Gegenwärtigen sehr geschwächt worden." (Vgl. B a u m g a r t e n, die Nachtgesichte Sacharjas I, S. 100ff. Indessen können wir Baumgartens Theorie über die Trennung von Kirche und Staat, seine Überschätzung Schleiermachers und anderes nicht teilen) Der Katholizismus ist nichts anderes als die kirchliche Systematisierung dieser Richtung: man riss die Herrlichkeit als Raub an sich, die man zu hoffen, der man auf dem Wege der Kreuzesniedrigkeit entgegen zu gehen hatte. Indem die Kirche zur Hure wurde, hört sie auf, die Braut zu sein, die dem Bräutigam entgegengeht, und so musste der Chiliasmus wegfallen. Das ist die tiefere Wahrheit, welcher der protestantischen, antipapistischen Auslegung der Apokalypse zugrunde liegt.

Die Bedeutung der Reformation

Die Reformation hat das Hurenwesen durchbrochen, indem sie demselben das urchristliche Glaubensprinzip entgegenstellte, welches ja nicht nur den Gesetzeswerken, sondern auch dem Schauen, der falschen Versichtbarung der Kirche entgegengesetzt ist. Das haben die Reformatoren ausgesprochen durch ihre ebenso wahre und schriftgemäße als folgenreiche Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche. Was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig, ist zu einer ewigen, über alle Maßen wichtigen Herrlichkeit bestimmt. Nur können wir diese Herrlichkeit nicht selber nehmen, sondern der Herr wird sie uns geben, wenn er kommt. Jetzt ist unser Leben noch verborgen, unsichtbar mit Christo in Gott; wenn aber Christus, unser Leben sich offenbaren wird, dann werden wir auch offenbar werden mit ihm in der Herrlichkeit (2Kor 4:17.18; Kol 3:3.4). So hängt der Glaube notwendig mit der Hoffnung zusammen (vgl. Hebr 11:1; Röm 4:18), das urchristliche Glaubensprinzip ist vom urchristlichen Chiliasmus unzertrennlich. Der Römerbrief selbst, dieses Grundbuch der Reformation, weist mehrfach auf diesen Zusammenhang des Glaubens mit der künftigen Herrlichkeit hin (Röm 5:2.17; Röm 8:17-25.30; Röm 11.), und wir finden denselben, wie im ganzen N. T. so auch noch in den beiden ersten Jahrhunderten der Kirche lebendig festgehalten.

Auf die nächsten Bedürfnisse angewiesen, haben die Reformatoren ihr Prinzip noch nicht bis zu der chiliastischen Konsequenz durchgeführt. Wie die Durchführung derselben nach ihrem Tod gehemmt wurde, wie viel altes Unwesen in die neue Kirche eingedrungen ist, wissen wir. Mit der Scholastik, mit der Priesterherrschaft, mit der Cäsaropapie, welche B e n g e l den Apap neben dem Papa nennt, war auch der Antichiliasmus da. Die orthodoxe Staatskirche sah sich für ebenso vollendet an wie der päpstliche Kirchenstaat; auch jetzt wieder bedurfte die Hure keines tausendjährigen Reiches Gegen dies neue Kirchenverderben ist in S p e n e r das Gewissen der Reformation wie aufgewacht. Er führte das reformatorische Prinzip in doppelter Beziehung weiter. Einmal hat er mit dem Unterschied zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche auch praktisch Ernst gemacht. Dieser treue Zeuge Christi verstand es, einerseits die Pietät gegen die bestehende Kirche als die Trägerin des lauteren Worts und Sakramentes zu bewahren und andererseits die Schäden mit heiligem Eifer um das Haus Gottes aufzudecken. Mit großer Nüchternheit und Weisheit vermied er den separatistischen Abweg*) und wusste doch dem tieferen religiösen Bedürfnis eine Befriedigung zu verschaffen, indem er die Gemeinschaft der Heiligen innerhalb der bestehenden Kirche als eine Gemeinschaft des Wortes pflegte und so in ganz freier, brüderlicher Weise Kirchlein in der Kirche gründete.

*) S. seine Schrift: Rechter Gebrauch und Missbrauch der Klagen über den Verfall der Kirche, welche neuerlich von Superindendent T h u m wieder herausgegeben worden ist unter dem Titel: Ist die evangel. Kirche Babel und der Austritt aus ihr daher unerlässliche Pflicht? Greifsw. 1853. Viele liebe Grüße!. auch das treffliche Schriftchen von F a b r i : Über Kirchenzucht, Stuttg. 1854)

Dass im großen Ganzen in der jetzigen Weltzeit sich keine vollkommene Kirche herstellen lasse, das einzusehen, war er demütig und verständig genug, während er andererseits Glauben genug hatte, um auf die Hoffnung einer vollkommenen Kirchenzeit nicht zu verzichten. Und daher hing denn eben mit seiner Tätigkeit genau der andere Punkt zusammen, in welchem er das reformatorische Prinzip weiter bildete, die Hoffnung besserer Zeiten,welche nicht wir mit unserer Tätigkeit herbeiführen können, sondern welche der Herr bringen wird, wenn er das Antichristentum zerstört und Israel bekehrt. So hatte nun das protestantische Prinzip sich auch in der Aneignung des Chiliasmus dem urchristlichen zu nähern begonnen, und B e n g e l ist es, der dies Spener'schen Anfänge weitergeführt hat. Auch in dem ersten der beiden genannten Punkte trat er in Speners Fußstapfen, insofern er zu den Vätern des würtembergischen Pietismus gehört. Vorzüglich aber wird es nun hieraus einleuchtend, welche hohe Bedeutung dem apokalyptischen und chilialistischen System Bengels bei allen seinen Fehlern für die Gesamtentwicklung der evangelischen und also überhaupt der christlichen Kirche zukommt. Man muss hierbei freilich nicht auf das blicken, was auf dem Markt der Kirchengeschichte gilt, sondern auf das was reelen Wert in ihr hat und Frucht des ewigen Lebens bei den wahren Gliedern der Kirche schafft.

Es ergeben sich hieraus zugleich einige wichtige Gesichtspunkte für die welthistorische Stellung und Aufgabe des Protestantismus. B e n g e l spricht das merkwürdige Wort aus: "Die gegenwärtige protestantische Kirche ist nur eine Interimskirche zwischen der unter dem Papsttum verborgen gewesenen Kirche und der herrlichen Kirche des tausendjährigen Reiches." (Burk S. 296). Das stimmt gut zu dem oben gegebenen Vergleich der protestantischen mit der nachexilischen Zeit. Der Protestantismus hat nicht die Aufgabe, der katholischen Kirche eine andere in entsprechender, äußerer Vollendung gegenüber zu stellen; die äußere Form ist ihm das Sekundäre und relativ Gleichgültige; seine Aufgabe ist, unter was immer für einer Form das Evangelium zu predigen, Seelen zu retten und im Übrigen auf den Herrn zu warten. Nur in dieser Betrachtung liegt wohl das rechte Licht für unsere Zeiten, der voll, göttliche Trost über die Siege der Hure und des Tieres, die wir nicht aufhalten könne, die rechte Nüchternheit gegenüber jeder Art von protestantischer Kirchenmacherei und zugleich die rechte Kraft und Freudigkeit zum Wirken für das Wesentliche ohne Vergeudung der Kräfte für das Unwesentliche. Die Reformation scheint nicht die Bestimmung gehabt zu haben, einen neuen weltgeschichtlichen Tag heraufzuführen, sondern sie hat wohl eher eine eschatologische Bedeutung .

Bald nachdem die Sonne des Evangeliums aufgegangen war, lagerten sich immer dunklere Wolkenschichten vor dieselbe, und sie blieb ein düsteres Millenium lang mehr oder weniger verhüllt; aber am Abend musste das Licht noch einmal siegreich durch die Wolkenschleier hervorbrechen. Denn der Herr kann nicht zum Gericht kommen, ohne dass zuvor der Christenheit noch einmal die Heilswahrheit lauter und rein dargeboten worden ist. So traten noch kurz vor der babylonischen Zerstörung Jerusalems die Propheten, vor der römischen Jesus und die Apostel in Israel auf. Die drei protestantischen Jahrhunderte haben uns dem Ende noch näher gebracht: die Wunde des Tieres heilt, die Verhältnisse werden den urchristlichen immer ähnlicher, die apokalyptische Weissagung und Erfüllung reichen sich die Hand. Darum fügt der Herr zum Licht des Glaubens jetzt auch noch das der Hoffnung hinzu, er schließt uns die Apokalypse immer völliger auf: für die urchristlichen Verhältnisse schenkt er auch die urchristliche Erkenntnis. Und in dieser Beziehung Bahn gebrochen zu haben, bleibt B e n g e l s unbestrittener Verdienst.

2. Die Engländer und Franzosen

Elliott

Elliott, dessen schon genannte Schrift, wie von englischer Seite versichert wird, gegenwärtig ein, wenn nicht das Hauptwerk über die Apokalypse in England ist, gibt (III, S. 5ff.; IV, S. 18ff.) im Wesentlichen folgende Auslegung über Offb 12ff.

Das Weib ist die wahre Kirche, zunächst in dem Stadium, wo das Christentum im römischen Reich zur Staatsreligion erhoben werden soll. Sonne und Mond sind die Staatregenten, die Sterne nach Offb 1:20 die geistlichen Vorsteher. Die Schwangerschaft des Weibes, welche 280 Tage dauert, ist die Zeit der ersten 280 Jahre nach Christi Himmelfahrt bis zum Jahr 313. Der Drache ist das alte römische Heidentum, das seine Macht zum letzten Mal im Marxismus konzentriert, welcher den dritten Teil der Sterne, die christlichen Lehre im dritten Teil des römischen Reiches, dem asiatischen,der ihm untertan war, verfolgend niederwarf. Der männliche Sohn ist der erste christliche Kaiser samt seinen Nachfolgern, welche die Heiden mit eiserner Rute weiden. Seine Entrückung zu Gott bedeutet den völligen Sieg des Christentums über das Heidentum. Zugleich kann man darin die Erhöhung Christi auf den Thron Gottes d. h. die siegreiche Durchführung der Lehre von seiner Gottheit durch Konstantin und die nizzäische Synode gegenüber der arianischen Ketzerei finden. Die Wüste, wohin das Weib flieht, bedeutet die Verborgenheit, in welche jetzt die wahre Kirche mit ihren wenigen Gliedern zurücktritt. Der Sturz des Drachen ist die vollständige Besiegung des Heidentums, das sich unter Julian noch einmal erhoben hatte. Der Flug in die Wüste ist der Schluss der Flucht. Die 1260 Tage sind mit den 3 1/2 Zeiten und 42 Monaten identisch; sie bedeuten Jahre und reichen ungefähr vom 6.-19. Jahrhundert: die zeit der päpstlichen Macht. Der Wasserstrom ist die Völkerwanderung, der gegenüber die Kirche bei dem christlichen Staat Schutz findet.

Das Tier aus dem Meer ist mit dem aus dem Abgrund identisch; ebenso das letzte (achte) Haupt des Tieres mit dem kleinen Horn von Daniels viertem Tier, sowie mit dem Menschen der Sünde (2Thes 2) und dem Antichrist (1Jo 2). Das Tier bedeutet das römische Reich und die sieben Häupter seine Regierungsformen: Könige, Konsulate, Diktatoren, Decemvirn, Kriegstribunen, Kaiser. Das siebte Haupt ist die neue, mehr orientalische Regierungsform, die das Kaisertum unter Diokletian annahm. An diesem siebten Haupt ist die tödliche Wunde, welche die förmliche Abschaffung des römischen Heidentums durch Theodosius bedeutet. Ihre Heilung ist das Aufkommen der päpstlichen Macht, welche der Achte, der Antichrist ist. Die Zahl 666 bedeutet nach der Buchstabenrechnung ??? (Lateiner). Die zehn Hörner sind die Stämme der Völkerwanderung: Angelsachsen, Franken, Alemanen, Burgunder, Westgoten, Sueven, Bandalen, Herluner, Avaren, Ostgothen. Die 42 Monate des Tiers sind also 1260 Jahre und beginnen einerseits mit der Verbreitung des justinianaischen Codex, andererseits mit dem Edikt des Phocas (606 n.Chr.), welches der römischen Kirche den ersten Rang zuerkannte. Der falsch Prophet ist die päpstliche Geistlichkeit, welche dem Statthalter Christi göttliche Ehre erwies und verschaffte.

Die Hure Babylon ist Rom, das alte und neue. In dem Fall Roms ist nicht nur die Stadt begriffen, sondern zum wenigsten der Kirchenstaat und ein Drittel der Christenheit. Die Katastrophe geschieht durch ein plötzliches furchtbares Erdbeben und vulkanisches Feuer, für welches der Boden Italiens sich vorbereitet (Offb 16:18f.). Die (hiervon zu unterscheidende) Verwüstung und Verbrennung Babylons durch die zehn Könige (Offb 17:16f.) hatte Elliott früher auf den Ruin des päpstlichen Roms durch die französische Revolution gedeutet; jetzt will er sie lieber auf den früheren Ruin des heidnischen Roms durch die Nationen der Völkerwanderung beziehen (III, S. 366, IV, S. 28). Kurz vor dem uns noch bevorstehenden Fall Babylons wird ein großes religiöses Licht aufgehen (Offb 18:4), und wer sehen will in Kirche und Welt, wird gewarnt werden. Gerade bei oder nach der Katastrophe werden die Juden samt einer großen Menge Heiden bekehrt werden. És sind jetzt nicht mehr zwei Jahrzehnte, bis die sechs Jahrtausende der Welt vollendet sind und das Millenium anbricht.

Gaussen

G a u s s e n hat sich bei seiner Auslegung vorzugsweise an die Engländer angeschlossen. Er zählt (II, S. XXVI) "die glücklichsten Ausleger" folgendermaßen auf: "die Irenäus, Hippolytus und Hieronymus, dann die Waldenser und Wiklesiten, dann die Mede, Newton, Eressener bis herab auf die moderne Reihe der Faber, Cunningham, Irving, Bickersteth, Birks und bis auf den ausgezeichneten Elliott." Mit dem letzteren stimmt er in vielen Punkten zusammen, doch nicht ohne selbstständige und bedeutende Ideen. Der wesentliche Inhalt dessen, was er im dritten Band über die Apokalypse sagt, ist folgender:

Gaussens Auslegung

Das Weib ist die Kirche der Auserwählten. Sie ist mit der Sonne bekleidet, weil die Herrlichkeit Gottes und Christi sie erleuchtet, die Apostel des Lammes sind ihr Diadem, den Mond d.h. das alttestamentliche Licht, hat sie unter ihren Füßen. Schwangerschaft und Geburtswehen sind fast beständig der Zustand der Kirche auf Erden. In der Zeit, um die es sich hier handelt, sonnte sie einen männlichen Sohn gebären, d. h. ein politisch einiges, mächtiges, über die Feine siegreiches Volk. Die 280 Jahr der Schwangerschaft begannen mit dem Tode Christi im Jahr 33; die Geburtswehen Sonntag den 19. April 303, als man im ganzen römischen Reich anfing, die Kirchen zu zerstören, Bibeln zu verbrennen und die Gläubigen zu töten, die Geburt erfolgte 313, als Lizinius und Konstantin ihr Toleranzsedikt erließen, während der Drache ebenfalls in Maximin personifiziert gedacht wird. Der Sturz desselben aus dem politischen Himmel auf die Erde ist der Sturz der Heidentums, welcher in dem des Maximin sich vollzieht. Aber nun machte der Drache (V. 13) einen zweiten Angriff auf das Weib durch die Arianer, welche Herren der Zeit wurden und sie 40 Jahre verfolgten. "Da floh sie in die Wüste; aber göttlich gestärkt unter dem bewundernswerten Regiment des großen Theodosius, wiederhergestellt und genährt durch heilige Lehrer und besonders durch die unvergleichlichen Werke Augustins, bekam sie von Gott die Adlerflügel, um imstande zu sein, in die Wüste zu fliegen." (S. 257). Nun aber macht der Drache einen dritten Angriff, indem er den Wasserstrom d. h. die Stämme der Völkerwanderung gegen die Kirche sendet; allein die Erde hilft dem Weibe, indem die barbarischen Völker zivilisiert und christianisiert werden. So verlassen wir hier das Weib Christie, die wahre Kirche Gottes, unsichtbar und fremd in dieser argen Welt, auf Adlersflügeln vor Pharao in die Wüste geflüchtet, wo ihr Gott sie mit verborgenem Manna speist, während ihre Kinder, zerstreut inmitten der Heiden, den schwersten Versuchungen ausgesetzt sind (V. 17). Die Menschen dieser Zeit wissen nicht, wo sie ist, bis an dem Hochzeitstag des Lammes" (S. 262).

Elliott und Gaussen gehen nach dem Bisherigen in der Erklärung des 12. Kap. Hand in Hand; auch in Bezug auf die Zeitrechnung schließt sich dieser an jenen an. Beide nehmen wie wir gesehen haben, den Drachen nicht unmittelbar für den Teufel, sondern für die von ihm inspirierte heidnisch-römische Weltmacht. Darauf gründet sich nun Gaussens weitere Anschauung von den Tieren, welche zum Teil von Elliott abweicht. Der Drache, das Tier aus dem Meer und das Tier aus dem Abgrund sind das römische Reich in den drei großen Epochen seiner Geschichte: autocrate, polycrate (decemroyale). democrate; in die erste fällt noch die Christianisierung des Römerreichs, die zweite beginnt mit der Völkerwanderung, die dritte 1789. Der Drache hat die Kronen auf den Köpfen, zum Zeichen, dass Rom, die Siebenhügelstadt, noch gekrönt ist; bei Tier aus dem Meer sind die Hörner gekrönt: das sind die zehn absoluten Könige der Stämme der Völkerwanderung; das Tier aus dem Abgrund endlich hat gar keine Kronen mehr: das ist die Demokratie mit ihren Bürgerkönigen, Louis Philipp, Leopold von Belgien, Carl Albert von Piemont usw. Was die sieben Häupter betrifft, so stimmt Gaussen in Bezug auf die sechs ersten mit Elliott zusammen, es sind die älteren römischen Regierungsformen. Die tödliche Wunde teilt er aber dem sechsten Haut zu und findet sie darin, dass Odoaker 476 das römische Kaisertum stürzte; ihre Heilung geschah entweder 537 unter Justinian oder 800 unter Carl dem Großen durch Wiederherstellung des Kaisertums, so dass das sechste Haupt noch fortbestand bis 1806, wo Franz II. seinen Titel: Kaiser des römischen Reiches ablegen musste. Das siebte Haupt ist Napoleon, der Achte ist die Volkssouveränität.

Der falsche Prophet und die Hure gehören zusammen und machen miteinander das kleine Horn (Dan 7.) oder das Papsttum aus, dessen zwei Epochen sie darstellen in der Weise, dass der falsche Prophet der polykratischen (Kap 13, die Hure der demokratischen (Offb 17), Periode des römischen Reiches als geistliche Macht zur Seite steht. Der falsche Prophet ist ein kirchliches Reich, wie es der Herrschaft der absoluten Könige auf geistlicher Seite entspricht; die Hure Babylon ist nur noch "der römische Hof", der sich der demokratischen Massen bemächtigt und sich diese neue Wendung der Dinge zunutze macht, um die Heiligen zu verfolgen. Übrigens sind Pseudoprophet und Hure auch noch gleichzeitig nebeneinander, und diese wird sogar von jenem durch die radikalisierten italienischen Völker vernichtet.

Das Weib des Lammes und die Hure

Dies ist der Grundriss der Auslegung von Gaussen. Seine Gegenüberstellung der drei Perioden der weltlichen und geistlichen Macht Drache und Weib, Offb 12); Tier aus dem Meer und Pseudoprophet (Offb 13), Tier aus dem Abgrund und Hure (Offb 17), hat etwas ebenso Einfaches wie Großartiges. Und wenn dieselbe auch nicht ganz richtig, so ist doch das Buch an seinen und sinnigen Bemerkungen im Einzelnen so reich, dass eine deutsche Bearbeitung verdiene. Wir rechnen dahin, z. B. den hellen blick in das Verhältnis der beiden Weiber des 12. und 17. Kapitels. Schon die Überschrift les deux femmes (S. 417) zeigt, dass Gaussen den Hauptpunkt gesehen hat, welcher von der deutschen Auslegung bis jetzt übersehen wurde. "Das Gegenteil vom Weib des Lammes, dem verfolgten, verkannten, in die Wüste geflüchteten, das aber so schön, so rein, so voll Herrlichkeit inwendig ist (Ps 45:14), - das ist das Weib in Purpur und Scharlach gekleidet, aber buhlerisch und bluttrunken, das man auf dem Tiere sitzen sieht. Jene war verborgen vor den Augen der Mächtigen der Welt, diese sitzt hoch zu Ross auf dem Reich der Lateiner; jene ist gedrückt und oft im Leid, diese bläht sich auf über ihr Wohlergehen: ich sitze als eine Königin ruft sie, und bin keine Witwe und Leid werde ich nicht sehen (Offb 18:7); jene ist das Weib des Lammes, diese ist eine Hure; jene wird verfolgt von den lateinischen Königen, diese buhlt mit ihnen; jene ist die Freundin der Märtyrer Jesu Christi, diese vergießt ihr Blut; jene wir von Gott in der Wüsste genährt, diese ist trunken, aber von Blut und dies Blut ist das der Christen; jene ist die Mutter derer, die da Gottes Gebote halten und haben das Zeugnis Jesu Christi, diese ist die Mutter der Huren und aller Gräuel auf Erden (Offb 12:17; Offb 17:5). Diese beiden Weiber stellen Jerusalem und Rom dar, die beiden prophetischen Pole der geistlichen Welt, wie Dr. C a p p a d o s e sie nennt. Die erste ist die heilige Stadt, Jerusalem, das vom Himmel herabkommt von Gott und die Herrlichkeit Gottes hat (Offb 21:2ff.); die andere ist Rom, die große Stadt, welche zu Johannis Zeiten das Reich hatte über die Könige auf Erden (Offb 17:18), dies Babylon der letzten Zeit, durch dessen Zauberei alle Nationen verführt wurden, und in welchem das Blut der Propheten und Heiligen erfunden worden ist." (S. 263ff.)

Stellungnahme zur Auslegung

Vergleichen wir nun die Gestalt, welche die kirchengeschichtliche Auffassung in diesen beiden Werken gewonnen hat, mit der B e n g e l 'schen, so ist der Fortschritt unverkennbar. Man sieht wie sich dieselbe der reichsgeschichtlichen nähert. Es ist schon weit weniger Willkürlichkeit, weit mehr prinzipmäßiges Verfahren bei E l l i o t t und G a u s s e n. Vor allem ist die Chronologie, von welcher freilich die kirchengeschichtliche Auffassung nicht lassen kann, viel einfacher geworden; ja indem sie die Identität der 1260 Tage, 42 Monate und 3 1/2 Zeiten in allen fünf Stellen anerkennt und darin die lange Periode der römisch-deutschen Kirche sieht, ist sie wohl der Wahrheit sehr nahe gekommen. Auch sonst sind dieser kirchengeschichtlichen und unserer reichsgeschichtlichen Auffassung bereits mehrere Hauptgesichtspunkte gemeinsam, so die Unterscheidung und Verbindung des römischen und germanischen Wesens, der heidnischen und christianisierten Weltmacht, der unsichtbaren und verweltlichten Kirche.

Was das Einzelne betrifft, so ist die Auslegung, welche hier das 12. Kapitel gefunden hat, jedenfalls einfacher und zutreffender als die Bengel'sche. Aber freilich bleibt dieses Kapitel für die kirchengeschichtliche Auffassung immer der Hauptstein des Anstoßes, und wir können auch die Deutung Elliotts und Gassens, die beste, die es wohl auf diesem Standpunkt gibt, nicht für natürlich und textgemäß halten. Die Geburt des männlichen Sohnes muss mehr sein als die Entstehung des christlichen Staates, welche keine reines, göttliches Kind des keuschen Weibes war, sondern bekanntlich viel Unlauteres und Weltliches an sich hatte. Dass sich Elliott selbst hier nicht sicher fühlt, sieht man aus seinem Schwanken zwischen der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion und der siegreichen Durchführung der Lehre von der Gottheit Christi, was doch zwei sehr verschiedenartige Dinge sind. Ebenso unhaltbar ist die Deutung des Sturzes des Drachen. Elliott und Gaussen sind genötigt, unter diesem nicht den Teufel zu verstehen, was gegen die ausdrückliche Erklärung des Textes (V. 9.) ist. Sie übersehen ferner, dass der Drache vorzüglich insofern gestürzt erscheint, als er der Verkläger der Brüder vor Gott war (V. 10), nicht insofern, als er sie verfolgte; seine Verfolgungen gehen ja auch nachher noch fort. Immerhin aber enthält sonst die Gaussen'sche Auslegung dieses Kapitels viel Beachtenswertes , und in der Auffassung des Wasserstroms und seiner Verschlingung durch die Erde, sowie des ferneren Drachenzorns (V. 15-17) sind wir mit beiden Erklärern einverstanden.

Hinsichtlich des Tiers aus dem Meer und Abgrund hat schon E l l i o t t den doppelten Fortschritt gegen B e n g e l gemacht, dass er zunächst den weltlich-politischen Charakter desselben anerkennt und eben daher auch das Zurückreichen der fünf ersten Köpfe in die Zeit vor Johannes. Freilich deutet er es dann in letzter Instanz doch auf das Papsttum (Diese Deutung wird III, S. 558-570 ausführlich gegen L ü c k e und H e n g s t e n b e r g verteidigt), und in dieser antipapistischen Deutung gehen der falsche Prophet und die Hure auf. So würden alle Hauptgestalten der Offenbarung fast nur auf das Papsttum gehen. Es ist da an sich schon unwahrscheinlich, und Elliott selbst fühlt sich gedrungen, auch den Abfall des Unglaubens noch zu berücksichtigen, indem er in einem Anhang (III., S. 575ff) "vom Parallelismus zwischen dem tun und Reden des modern ungläubigen Geistes und dem des Drachen des römischen Heidentums in seinen letzten Kämpfen mit dem Christentum" spricht. Die Beziehungen der drei symbolischen Gestalten auf die päpstliche Kirche ist ferner unverträglich mit dem Text, schon weil dabei die Unterscheidung zwischen den tierischen und menschlichen Symbolen nicht genügend berücksichtigt ist. Und endlich wird auch die praktische Bedeutung und Fruchtbarkeit der Apokalypse beeinträchtigt, wenn sie immer nur auf die Dinge draußen beziehen und nicht auch uns selbst von ihr strafen lassen: in dieser Beziehung ist an 1Kor 5:12.13 zu erinnern. G a u s s e n hat hier einen wesentlichen Fortschritt gegenüber Elliott gemacht, indem er das siebenköpfige Tier in seinen verschiedenen Gestalten und Phasen ganz auf die politische Weltmacht bezieht. Nur in Hinsicht auf den falschen Propheten irrt er, indem er denselben, hier ebenfalls den Unterschied zwischen Tier- und Menschengestalt übersehend, zu eng mit der Hure verbindet und auch auf die römische Kirche deutet. Im Wesentlichen richtig bestimmt ist von Gaussen das Weib, die Hure und das siebenköpfige Tier, nur dass er bei dem letzteren, statt auf die früheren Weltmonarchien, mit Elliott nach dem Vorgang Vitringas u. a. auf die früheren römischen Verfassungsformen zurückgeht und im Zusammenhang damit auch die tödliche Wunde und ihre Heilung unrichtig auffasst.

Die Grund Übereinstimmung zwischen Gaussens und unserer Erklärung ist aber so immerhin schon groß und erfreulich genug. Man wird die Hoffnung hegen dürfen, dass sich zwischen den Gläubigen der verschiedenen Nationen nach und nach ein Einverständnis über den wesentlichen Inhalt der Offb. Joh. bildet. Und dafür danken wir dem Herrn angesichts der schweren Kämpfe, denen seine Gemeinde entgegengeht.

Die zeitgeschichtliche Auffassung

Ewald, deWette, Lücke

In der Auffassung des 12. Kapitels stimmt diese Gruppe von Exegeten im Wesentlichen mit uns zusammen. Umso größer ist die Differenz in Bezug auf die beiden Tiere und die Hure. Zwar das erste Tier wird auch von ihnen für die politische Weltmacht gehalten, aber nur für das römische Kaisertum, welches seinen Verfolgungsgeist wider die Kirche in Nero konzentriert. Die fünf ersten, gefallenen Tierköpfe sind die fünf ersten Kaiser, Augustus, Tiberius, Caligula, Claudius, Nero. Unter dem sechsten ist die Apokalypse abgefasst, noch im frischen Eindruck der neronischen Verfolgung. Nero ist das Haupt mit der Todeswunde, ,weil er sich selbst ums Leben brachte; aber die Wunde wird heil, und er wird, nachdem zuvor noch der siebte Kaiser kurz regiert hat, lebendig wiederkehren, als der achte, der Antichrist. Bei dem zweiten Tier, dem falschen Propheten, "mag der Apokalyptiker teils an die römischen Augurn und Haruspices, teils an die Gaukler wie Simon Magus gedacht haben." (de Wette, Offb. Joh. S. 142). Die Hure ist die Stadt Rom, welche der wiederkehrende Nero mit Hilfe der zehn Hörner, d. h. seiner parthischen Bundesgenossen oder auch der römischen Statthalter gewaltsam einnehmen wird. Von da aus scheint er dann nach Palästina zu ziehen,um von dem wieder erscheinenden Christus besiegt und vernichtet zu werden. (deWette S. 160.165.171).

Diese Ansicht ist zunächst exegetisch unhaltbar. Sie hat mit der kirchengeschichtlichen den Fehler gemein, dass sie die alttestamentliche Grundlage der Symbole nicht vollständig berücksichtigt und daher an historischen Einzelheiten hängenbleibt. Nur schaut sie zur Erklärung nicht, wie jene, in die Zukunft, sondern in die Gegenwart des Verfassers, weil sie nicht an eigentliche Weissagung glaubt. Wir haben schon oben nachgewiesen, dass das Tier, weil es einerseits ein Abbild des Fürsten der Welt, andererseits eine Zusammensetzung sämtlicher danielischen ist, nichts anderes sein kann, als die Weltmacht in ihrer gesamten, universalhistorischen Entfaltung. Bei ihrer irrtümlichen Anschauung vom Tier vermag die zeitgeschichtliche Auffassung auch die Siebenzahl seiner Häupter nicht genügend zu erklären: man sieht nicht, warum Johannes nach dem Kaiser, unter welchem er lebte, noch einen und gerade noch einen erwartete. Was die Hure betrifft, so ist ebenfalls bereits gezeigt, d,ass einerseits ihr unverkennbarer Zusammenhang mit dem Weib des 12. Kapitels, andererseits der gesamte biblische Sprachgebrauch es unmöglich macht, bloß an die Stadt Rom zu denken. Eine weitere große Schwierigkeit, welche dieser ganzen Ansicht entgegensteht, drückt E b r a r d (S. 462f.) in seiner Weise so aus: "Hiernach hat Johannes seine Apokalypse unter Galba fabriziert, hat richtig prophezeit, dass Ortho kurz regieren werde, fälschlich aber erwähnt, dass nach Othos Tode Nero wiederkommen werde. Ehe noch das buch irgendwie verbreitet sein konnte, strafte die Geschichte ihn Lügen; aber als ein ehrlicher Mann aufgeklärten Schnittes hütete er sich fein, sein Machwerk zurückzunehmen, und als gescheute Leute bemerkten die Gemeinden den Irrtum garnicht! Mehr zur Widerlegung dieser Hypothese zu sagen, wäre Papierverschwendung." Es isst dies derselbe Grund, von welchem wir oben sahen, dass er die Annahme einer makkabäischen Abfassung Daniel unmöglich macht.

Der Schwerpunkt der Apokalypse beruht nach der zeitgeschichtlichen Auffassung, um mit d e W e t t e selbst (S. 168) zu reden, "auf einem unter den Römern verbreiteten Gerüchte und W a h n e." Der heidnische Wahn von der Wiederkunft Neros ist auch in christlichen Sibyllinen und in die Himmelfahrt des Jesajas übergegangen,und diese Apokryphen werden zum Maßstab der Erklärung für die Offb. Joh. gemacht (S. 167f). Da muss dann freilich auch L ü c k e (S. 943) gestehen, "die Weissagung sei in ihrem ursprünglichen Sinne nicht erfüllt worden, werde auch in diesem Sinne nie erfüllt werden." Es ist natürlich, dass man hierbei die Apokalypse nicht für das halten kann, als was sie selbst sich bezeugt (Offb 1:1), für eine Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gegeben hat. Wir haben, so fasst L ü c k e (S. 400) seine Ansicht in dieser Beziehung zusammen, "Zwar kein Recht, allen wirklich ekstatischen und visionären Entstehungsgrund der Apokalypse schlechthin zu leugnen, wohl aber die dargestellten einzelnen Visionen darin für prophetische Dichtung zu halten." Vergl. S. 220: "Auf die reine praktische Notliteratur der ersten Evangelien und der apostolischen Briefe folgte allmählich eine Art von Muße- und Lustliteratur, indem immer mehrere, auch Juden, mit schon bestimmter literarischer Neigung und Geschäftigkeit in die Kirche eintraten und im Christentum keinen Grund fanden, ihre literarischen Beschäftigungen aufzugeben." Wir sehen, diese Ansicht ist in ihren Resultaten mystisch." (Lücke S 4 38), weil sie in ihren Prinzipien rationalistisch, offenbarungsleugnerisch ist. ES ist dem Wesen nach dasselbe Verfahren, wenn S t r a u ß die kanonischen Evangelien auf das Niveau der apokryphischen herabzieht, wenn B a u r die apostolischen Briefe unter die pseudopigraphischen Schriften des zweiten Jahrhunderts einreiht, und wenn man die Apokalypse so behandelt, wie wir sie hier behandelt sehen. Das ist "der Schutz und das Maß der heutigen Wissenschaft und Kritik, unter welche (nach Lücke S. 1) das Buch längst gestellt ist."

Von den apokryphischen Apokalypsen war schon oben beim Begriff der Apokalyptik die Rede. Sie stehen zu den kanonischen in keinem anderen Verhältnis als in jenem, in welches wir nach einem überall wahrnehmenden historischen Gesetz zu weltgeschichtlichen Erscheinungen, je größer und heiliger sie sind, ihr zerrbildlichen Nachahmungen treten sehen. So schließen sich an Mose die ägyptischen Zauberer, an den Messias die Pseudomessiasse, an die kanonischen Evangelien die apokryphischen, an die Reformation die Wiedertäufer usw. an. Dass man nun aber die niedriger stehenden Erscheinungen zum Maßstab für die höher stehenden macht, das ist ein Grundzug, der durch die ganze "heutige Wissenschaft" hindurchgeht und etwas sehr Charakteristisches an sich hat. Das Wort Gottes wird auf das Niveau profaner Bücher herabgezogen, der Sohn Gottes auf das gewöhnlicher Menschen, endlich Gott auf das der Welt. Die Konsequenz ist, dass man noch ein Stufe weiter herabsteigt und den Menschen nur als eine höhere Tierart betrachtet, wie die neueste, unterblichkeits- und geistleugnerische Philosophie tut. So muss es kommen, wenn man den heiligen Unterschied des von unten und des von oben her verwischt. Die Entwicklung kommt am Ende beim Tierwesen wieder an. Es ist genau das, was die Apokalypse selbst vorausgesagt hat.

Wenn nun L ü c k e gleichwohl mit Liebe von der kanonischen Dignität der Apokalypse spricht und die zeitgeschichtliche Auffassung sogar wiederholt als die pneumatische hinzustellen sucht (S. 916.853.1060): so zeigt die zwar, dass das Herz dieses Theologen einen andere Stellung zu dem heiligen Buch fordert, als sein Verstand sie zu bieten vermag; aber auf die Sache gesehen, können wir in diesem Verfahren doch nichts anderes finden als einen Versucht, dem Wolf ein Schafskleid umzuhängen. Wir bezweifeln keinen Augenblick, dass Lücke in seiner Weise es treu mit der Offb. Joh. meint; aber wir bezweifeln, dass sein Standpunkt objektiv ein irgendwie haltbarer ist. Es gibt eine Anzahl ehrenwerter Theologen, welche, einer Übergangszeit entstammend, in ihrer Person christliche Gläubigkeit und eine rationalistisch kritische Stellung zur Hl. Schrift zu vereinigen suchen. Wir Jüngere wollen den Dank nicht vergessen, den wir ihnen in mancher Beziehung schuldig sind. Aber ihr Standpunkt ist ein individueller und subjektiver; ihn in der Kirche zu verallgemeinern oder zu verewigen, ist logisch und moralisch unmöglich. Während man auf der einen Seite von der Milch zur stärkeren Speise vorwärts schreitet, haben auf der andern Seite diejenigen, welche bei der mythischen Auffassung beider Apokalypsen nichts mehr von einer "Andacht zur Apokalypse" wissen wollen, die einfache Konsequenz für sich. Ist diese Auffassung beider Apokalypsen richtig, so wird eines klar: sie hören auf, kanonisch zu sein. Oder soll ich mit einem solchen Buch vor meine Gemeinde hintreten? Und wenn mich dann ein schlichter Bauersmann mit hellen Augen fragt: Also diese Engelserscheinungen haben Johannes und Daniel eigentlich nicht gehabt? Man weiß also nicht einmal, ob es überhaupt einen Daniel gegeben hat? Der Herr soll uns also von seinem Throne herab den Wahn von Nero geoffenbart haben? O, wehe dem, der als Geistlicher vor einer solchen Frage nicht in seinem Innersten erbebt und sich in seiner Stellung total geschlagen fühlt! Wehe dem, der es dann wagt, sich in seinen Gelehrtenmantel einzuhüllen! So berechtigt man das Misstrauen der Gemeinde gegen die Wissenschaft und verlängert den Zwiespalt zwischen dem Glauben und - nicht dem Wissen, sondern der Schulmeinung.

Man erlaube, an das Ärgernis jener Geringsten zu erinnern, die an den Herrn Jesum glauben! Das einfache, kernhafte, volksmäßige Christentum, das Christentum der Fischer und Zöllner, der Armen und Kinder wird uns Kathedermännern so leicht fremd; wie es eine Stubengelehrsamkeit gibt, so gibt es auch ein Stubenchristentum, welches die Sonne nur durch die Fensterscheiben scheinen lässt. L ü c k e hat vor kurzem treffend vor der Künstelei und Unnatur gewarnt, welche in die orthodoxe Schriftbehandlung durch Arbeit, wie die von D e l i t s c h über das Matthäusevangelium, zu kommen droht. Das war dankenswert; wir bedürfen solcher Warnungen. Aber was ist künstlicher und unnatürlicher, was geht mehr gegen den Verstand und Gewissen, als wenn ich ein Buch für fingiert und für kanonisch zugleich halten soll? Das ist so, wie wenn ein Mann seine Frau schlägt und dabei die Kinder ermahnt, die Mutter doch ja mit aller Ehrerbietung zu behandeln.

Die reichsgeschichtliche Auffassung

Man sieht aus dem Bisherigen, dass sich die kirchen- und die zeitgeschichtliche Auffassung zueinander verhalten, wie die ältere Orthodoxie und der Rationalismus. Die reichsgeschichtliche Auffassung dagegen entspricht dem Standpunkt, dessen Durchführung die Aufgabe unserer heutigen, evangelischen Theologie ist, dem gott-menschlichen oder pneumatischen oder organischen oder wie man ihn sonst nennen mag.

Zur historischen Betrachtungsweise gehören zweierlei, für's erste, dass man einen Gegenstand in seiner spezifischen Eigentümlichkeit nach allen Seiten erkenne, und dann, dass man ihn mit verwandten, welche rückwärts und vorwärts mit ihm in kausalem Zusammenhang stehen, in Beziehung bringe, um ihn so als ein Glied in der ganzen Kette der geschichtlichen Entwicklung zu begreifen. Stattdessen galt es nun auf theologischem Gebiete ungefähr ein Jahrhundert lang für geschichtlich, jene beiden obersten Grundsätze der Geschichtsbetrachten zu beseitigen, den biblischen Objekten ihre spezifische Eigentümlichkeit , welche in der Offenbarung besteht, zu nehmen und sie daher mit heterogenen Dingen in Zusammenhang zu setzen, welche außerhalb des Offenbarungsgebietes liegen. Sofern die Entwicklung der sündigen Menschheit sich nicht bloß durch Gegensätze, sondern durch Widersprüche bewegen muss, kann man das einen notwendigen Durchgangspunkt nennen, im Sinne der Mt 18:7 gezeichneten Notwendigkeit. Bis dahin nämlich war die geschichtliche Entfaltung auf dem Offenbarungsgebiet selbst nicht gehörig anerkannt worden, sondern die Offenbarung wurde nur als gegebenes, fertiges Objekt, als die reine Lehre betrachtet. So war es nun, um zur geschichtlichen Auffassung derselben zu gelangen, eine gewisse Notwendigkeit , dass sie für einen Augenblick herabgesetzt wurde auf ein Gebiet, wo man die historische Bewegung und Entwicklung anerkannte und eben in immer tieferer Weise zu erfassen im Begriff stand, nämlich auf das Gebiet der profanen Geschichte. Hierdurch wurde der Theologie anschaulich vorgehalten, was sie früher versäumt hatte, obwohl z. B. die B e n g e l 'sche Schule zeigt, dass auch von innerbiblischem, der Offenbarung treu gebliebenem Standpunkt aus der Fortschritt möglich gewesen wäre.

Schwachpunkte der Auslegungsweise

Die Herabsetzung der Offenbarung auf den Boden der Weltgeschichte ist ebenso irrig wie die Herabsetzung der Geschichte auf den Boden der Natur oder die Herabwürdigung des Menschen zum Tier. Man kann daher immerhin sagen, der altorthodoxe, und der rationalistische Standpunkt stehen einander als zwei Extreme gegenüber, als das der abstrakt göttlichen und der abstrakt menschlichen Auffassung. Aber diese beiden Extreme sin Daher hat der Rationalismus wohl oft formell Recht und bahnt in Hinsicht auf die wissenschaftliche Fassung einen Fortschritt gegenüber der Orthodoxie; aber materiell ist er ungöttlich und widerbiblisch. In Nezug auf das was zu ??? gehört, Sprache, Archäologie usw. sind seine Verdienste dankenswert, obwohl es in dieser Hinsicht auch bei den Älteren schon keineswegs so dürftig bestellt war, wie man es oft darstellt; aber wenn der Rationalismus ein Grammatiker ist, so ist er dagegen keine Pneumatiker. Er hat das Geschichtliche hervorgehoben, aber noch nicht in seiner Einheit mit dem Idealen, dem göttlich Geistlichen; und weil er die biblische Geschichte entgeistet hat, so hat er sie auch als Geschichte aufheben und zum Mythos herabsetzen müssen. Ebenso hat er die Weissagung als Weissagung aufheben und zur bloßen Vorstellung oder Ahnung herabsetzen müssen, deren Wahrheit nur in einigen allgemeinen Ideen besteht. Weil er die Bibel nicht als Wort anerkennt, als Gotteswort, darin der Geist sich im Buchstaben seinen Leib geschaffen hat, so gerät er einerseits in falsche Geistigkeit. Solchem allem gegenüber hat die Orthodoxie dem Gehalt und Wesen nach recht, sie hat wahre Ehrfurcht vor der Schrift und steht in substantieller Einheit mit ihr, mag sie auch in der wissenschaftlichen Fassung oft sehr fehlgreifen.

Die Offb Joh. samt Daniel ist eine der letzten Positionen, welche der offenbarungswidrige Standpunkt noch behauptet. Auch hier hat er zunächst seine Verdienste: er hat die Berge von Willkürlichkeiten abgetragen, welche die kirchengeschichtliche Auslegung zusammengehäuft hatte; er ist ein Hüter gegen Extravaganzen der exegetischen Phantasie, wie sie in der englischen Kirche und in der apokalyptischen Broschürenliteratur noch oft genug vorkommen. Er hat ferner in die äußere Anordnung der Apokalypse den richtigen Blick eröffnet, indem er das Gruppensystem siegreich nachwies, hat in manchen einzelnen Punkten, z. B. Kap 12 den Weg zur natürlichen Auffassung gezeigt und auch aus den apokryphischen Apokalypsen schätzbare Beiträge zur Auslegung geliefert. Aber das alles auf Kosten des Wesentlichen. Wie die kirchengeschichtliche Auffassung eine willkürliche Erfüllung der Apokalypse gibt, so die zeitgeschichtliche eine willkürliche Entleerung. Jene hat nur den göttlichen, geistlichen Gesichtspunkt festgehalten ohne das historische Maß und Gesetz und gerät daher aus der symbolischen Deutung in die allegorische, sie weiß das heilige Buch aus der Kirchengeschichte nicht auszulegen, sondern nur auszufüllen. Weissagung und Geschichte sind auf eine äußerliche Weise zusammengebracht; die Auslegung ist nicht aus dem Text selbst herausgewachsen, sondern sie wird zu Hineinlegung, zur Ausfüllung des göttlichen Rahmens mit menschlicher Geschichte; aber das Buch selbst ist und bleibt doch in seiner Göttlichkeit anerkannt. Bei der rationalistischen Auffassung dagegen fallen Weissagung und Geschichte ganz auseinander. Die Geschichte hat sich anders entwickelt, als die Weissagung annahm; sie ist keine Erfüllung derselben. Eben damit aber hat auch die Weissagung aufgehört, wirklich Weissagung zu sein: sie ist bloße Vorstellung, Phantasie über die Zukunft geworden. Bei der kirchengeschichtlichen Auffassung ist nur die Auslegung phantastisch, mythisch; dort hört die Auslegung auf, Auslegung zu sein. Damit aber ist die göttliche, kanonische Würde des Buches preisgegeben. Was an dem älteren, orthodoxen Standpunkt mangelhaft und an dem neueren rationalistischen verkehrt ist, tritt nicht leicht irgendwo so klar zutage, wie bei der Offb. Joh.

Die jetzige Aufgabe der evangelischen Theologie auf diesem Gebiet besteht in der Überwindung des rationalistischen, unhistorischen Historisimus, freilich nicht durch Zurücktreten auf den alten Standpunkt der Geschichtslosigkeit, sondern durch die Erkenntnis der heiligen Geschichte. Die Geschichte der Offenbarung, nämlich der Offenbarung Gottes an die Menschheit, das ist eine unserer Hauptaufgaben. Und von diesem offenbarungsgeschichtlichen Standpunkt aus wird auch dasjenige Buch, welches nicht umsonst die Offenbarung im besonderen Sinn heißt, erst ins rechte Licht treten könne. Ohne die Apokalypse wäre gar keine Geschichte der Offenbarung oder des Reiches Gottes möglich, weil nur sie uns in helleren Zügen das Ziel der Wege des Ewigen zeigt, worauf es mit seinem ganzen Werk auf Erden von Anfang an abgesehen war. Und wie das buch so durch seinen Inhalt hinausweist auf das Ende aller Offenbarung, so steht es selber am Ende der bisherigen Offenbarung und fasst sie in sich zusammen. Es ist diejenige Schrift, in welche die ganze Bibel abschließt und zusammenschließt.

Davon hat die offenbarungs- oder reichsgeschichtliche Betrachtung auszugehen. Sie weiß, dass Gott mit seiner Offenbarung, auch mit der apokalyptischen, sich immer anschließt an die Lage und das Bedürfnis der Menschen, seiner Kinder auf Erden. Darum ist ihr dieselbe ebenso wohl ein unmittelbares Erzeugnis göttlicher Inspiration, als ein wohlvermitteltes Produkt der offenbarungsgeschichtlichen Vergangenheit und Gegenwart. So ist sie die Wahrheit der beiden vorangegangenen Standpunkte,nicht indem sie sie äußerlich verbindet, sondern indem sie sie von innen heraus überwindet. Dem Wesen nach mit der Orthodoxie auf demselben Offenbarungsbogen unverrückt stehend, hat sie doch in formeller Beziehung von den rationalistischen Gegnern manches gelernt. Die Apokalypse ist ihr nicht das literarische Erzeugnis eines Judenchristen, welcher, durch die Zeitereignisse angeregt oder aufgeregt, die ihm übrigen Mußestunden darauf verwendete, seine Phantasien über die nächste Zukunft in der beliebten, apokalyptischen Kunstform darzustellen. Aber ebenso wenig kann sie nach dem vorliegenden Textgehalt ein Diktat des allwissenden Gottes über einzelne kirchengeschichtliche Ereignisse sein.

Johannes, der letzte Zeuge

Sondern Johannes ist ein Schriftkenner durch und durch; er hat die ganze bisherige Offenbarung in lauterem, pneumatischen Verständnis in sich aufgenommen; er hat insbesondere die Propheten ihrem Geist, ihrer Sprache, ihrer Symbolik nach in sich versammelt. Darum hat er auch von dem Stand der Kirche in seiner Gegenwart die lauterste Geistesempfindung und Geisteserkenntnis. Er ist der einzige noch übrige Säulenapostel, auf dem jetzt der ganze Bau der Kirche menschlicherweise ruht. Alle Nerven und Fäden des Leibes laufen in ihm zusammen. Die Gemeinde Gottes hat jetzt schon den himmlischen Lebensschatz, aber noch in irdischem Gefäß Sie verzweigt sich immer weiter in die gottlose Welt hinein. Sie wird von derselben verfolgt, ohne vernichtet werden zu können; sie breitet sich dennoch aus. Aber sie wird auch von derselben in immer steigendem Maße verführt, und das Eindringen der Kirche in die Welt ist auch zugleich das Eindringen der Welt in die Kirche. Von dem allem sah Johannes die Anfänge, er betrachtete sie mit Geistesaugen , mit einem durch das prophetische Wort und besonders auch durch die Erinnerungen an die Weissagungen seines Meisters erleuchteten und geschärften Blicke. Jahrelang sind vielleicht diese Grundanschauungen durch seine Seele gegangen; und als sie nun zu einer gewissen rEife gelang waren, da empfing er in einer der bewegendsten, erschütterungsreichsten Zeiten seines Lebens, in einer Verfolgungszeit, welche alle prophetischen Geister in ihm wachrufen und ihn besonders an die danielischen Tiergestalten erinnern musste, die heilige Offenbarung. Es war eine große Ekstase, in welcher er dieselbe erhielt; aber wir sehen nun, wie viele Anknüpfungspunkte für seine Offenbarung der Herr schon zuvor sich in dem Jünger, den er liebte, geschaffen, und wie er ihn für alle jene Punkte, welche der Heidenkirche in ihrer Pilgerzeit zu wissen nötig sind, empfänglich gemacht hatte.

Dies ist der Standpunkt, welchen wir in materieller Hinsicht als den der reichsgeschichtliche, in formaler als den der symbolischen Auslegung bezeichnen, zum Unterschied ebenso von der kirchengeschichtlich-allegorischen als von der zeitgeschichtliche-mythischen Auffassung. Dieser Standpunkt it zuerst von J. Chr. K. H o f m a n n in seiner Schrift "Weissagung und Erfüllung" wissenschaftlich durchgeführt worden. Es wird hier allenthalben, nur in viel zu weitgehender Art, die Weissagung aus der Geschichte und ihrem typischen Gehalt gegriffen, und die Apokalypse erscheint als der krönende Abschluss aller früheren Prophetie (II, S 300ff.). "Ihr Inhalt", sagt Hofmann S. 376, "beruht einerseits auf der alttestamentlichen, mit neutestamentlichem Geist aufgefassten Weissagung, andererseits auf der Einsicht in den Zustand der Dinge, wie er zur Zeit des Domitianus war."


J. Chr. K. Hofmann