Die neueren Auffassungen der Offenbarung Johannis

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Abschrift des Buches: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis
in ihrem gegenseitigen Verhältnis betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert.

Verfasser: Karl August Auberlen (1854)
Verlag: Bachmaier's Buchhandlung, Basel

Inhaltsverzeichnis des Buches
Kapitel vorher:
A. Die Tiere und das Weib in der Offenbarung


In Bearbeitung

B. Die neueren Auffassungen der Offenbarung Johannis

Unsere Aufgabe ist jetzt ihrem positiven Teil nach gelöst, indem durch die exegetische Betrachtung von Offb 12-20 auch das Verhältnis der beiden Apokalypsen zueinander vollends ins Licht gestellt wurde: Da indessen die in den voran stehenden Blättern gegebene Auffassung des zweiten und wichtigsten Hauptteiles der Offb. Joh. zum Teil neu ist, so bleibt uns noch übrig, dieselbe durch Vergleich und Beurteilung der übrigen Auffassungen zu rechtfertigen, die gegenwärtig vorzugsweise in Betracht kommen. Wir glauben hierdurch zugleich dem Leser einen nicht unwillkommenen Dienst zu leisten; denn es gibt ja wohl kein anderes Buch, wo die verschiedenen Auslegungen so labyrinthisch durcheinander gehen, und wo es schwer ist, sich nur historisch über dieselben zurechtzufinden. Die neuere Zeit hat darin noch keine Besserung gebracht; denn die vermehrte Tätigkeit, welche der Apokalypse zugewendet wird, hat den Widerspruch und die Verwirrung der Meinungen eher vermehrt als vermindert, so dass ein klare, geschichtliche Orientierung um so notwendiger ist, wobei es sich natürlich vor allem um die Klassifikation der verschiedenen Auffassungsweisen handelt.

Es sind drei Hauptgruppen von Auslegern zu unterscheiden, die kirchengeschichtliche, die zeitgeschichtliche und die reichsgeschichtliche.

Die erste Ansicht betrachtet die Offenbarung als ein prophetisches Kompendium der Kirchengeschichte und nimmt an, der erhöhte Herr habe darin im Voraus die Hauptereignisse aller Jahrhunderte christlicher Zeitrechnung im einzelnen chronologisch genau offenbart. Diese Auffassung ist in Deutschland immer noch am bedeutendsten durch B e n g e l vertreten, dessen apokalyptisches System, wenn auch durch den Erfolg bereits in Hauptpunkten als irrig erwiesen, doch seinem Kern nach gerade unter den Gläubigen noch heutzutage viele Freunde hat. Außerdem sind es besonders die Engländer und Franzosen, welche mit Vorliebe dieser Erklärungsart huldigen. Wir werden ihre Behandlung der Apokalypse an zwei der hervorragendsten Werke aus neuester Zeit zu charakterieren suchen, an den Horae apocalypticae des Engländers E l l i o t t, welche 1851 in London in vierter Auflage in vier starken Bänden erschienen ist. (Horae apocalyticae, or a commentary on the Apocalypse critical and historical, including also an examination of the chief prophecies of Daniel), und an der schon wiederholt angeführten Schrift des Genfers G a u s s e n, Daniel le prophète, wovon bis jetzt drei Bände veröffentlicht wurden, seit 1850 in zweiter Auflage. Gaussen berücksichtig dabei die Parallelen der Offb. Joh. ausführlich. Engländer und Franzosen schenken der theologischen und namentlich der apokalyptischen Literatur Deutschlands eine stets wachsende Aufmerksamkeit, so dass wir ihnen gerne die Gegenseite vorhalten.

Die zeitgeschichtliche Auslegung gehört denjenigen Kreisen der neueren deutschen Theologie an, welche den Propheten Daniel für unecht halten. Man geht hier von einem Begriff der Prophetie aus, welcher ein wirkliches, gottgewirktes Schauen der Zukunft ausschließt. Daher schränkt man den Blick des Johannes, wie den des Daniel, auf seine geschichtlichen Umgebungen ein: Nero wird in dem einen Fall zu dem gemacht, was in dem andern Antiochus Epiphanes ist. Hand in Hand mit dieser exegetischen Ansicht pflegt die kritische zu gehen, dass die Offenbarung und das Evangelium des Johannes nicht denselben Verfasser haben können, wobei die einen, E w a l d, de W e t t e, L ü c k e u. a. das Evangelium, die anderen, B a u r und seine Schüler, die Apokalypse dem Apostel beilegen. Eine zweite Art der zeitgeschichtlichen Auffassung ist in neuerer Zeit noch dem Vorgang Herders u. a. von Z ü l l i g geltend gemacht worden. Er schließt die Beziehung auf Rom und da Heidentum aus, und will alles auf Jerusalem und das Judentum bezogen wissen. Seine Ansicht hat jedoch so wenig Eingang finden können, dass wir einer näheren Berücksichtigung derselben überhoben sind. Als Hauptvertreter der zeitgeschichtlichen Auffassung haben wir daher neben E w a l d, der sie in seinem Commentarius in Apocal. criticus et exegeticus 1828 zuerst durchgeführt hat, vorzüglich d e W e t t e mit seiner kurzen Erklärung der Offb. Joh. 1848 und L ü c k e mit seinem "Versuch einer vollständigen Einleitung in die Offb. Joh. zweite Aufl. 1852 zu betrachten. Die B a u r 'sche Schule hat kein selbstständiges Werk über die Apokalypse geliefert, sondern nur einzelne Abhandlungen und gelegentliche Erörterungen.

Die reichsgeschichtliche Auffassung ist diejenige, zu der wir uns bekennen. Sie steht, was das Prinzip betrifft, auf einem Boden mit der kirchengeschichtlichen, gegenüber der zeitgeschichtlichen. Sie glaubt an wirkliche Weissagung. Sie leugnet auch die Möglichkeit so spezieller Weissagung nicht, wie die kirchengeschichtliche Ansicht sie in der Offb. Joh. findet: der zweite Teil Daniel liefert ja durch die Wirklichkeit den Beweis für die Möglichkeit. Aber wir leugnen, dass die neutestamentliche Apokalypse, so wie sie faktisch vorliegt, einen detaillierte Zukunftsgeschichte sein wolle und solle. Wollte sie das, dann müsste sie in der Weise von Dan 11 geoffenbart sein, wo sich wirklich einen Spezialgeschichte der Zukunft findet. Faktisch aber ist vielmehr Dan 7. mit seiner Tier- und Menschensymbolik die Grundlage der Offb. Joh. und auch die Zahlen derselben gehen wesentlich auf die Dan 7:25 sich findende Grundzahl der 3 1/2 Zeiten zurück. Darum will sie nicht Kirchengeschichte im einzelnen schreiben, sondern sie will die großen Epochen und die leitenden Potenzen der Entwicklung des Reiches Gottes in seinem Verhältnis zum Weltreich darstellen. "Die Apokalypse zeichnet Wesensbeschaffenheiten; dies sind zu ermitteln, unabhängig von der Frage: auf welche äußere, geschichtliche Erscheinung (Staat, Kirche, Begebenheit, Person) trifft dies zu? (J. T. B e c k)

Wir haben auch oben bereits den Grund aufzuzeigen versucht, warum für das alttestamentliche Volk Gottes speziellere Weissagungen notwendig waren als für das neutestamentliche. Die reichsgeschichtliche Auffassung, die ursprüngliche und älteste, wurde zuerst wissenschaftlich wieder angebahnt durch J. Chr. H o f m a n n , welcher 1844 im zweiten Teil seiner "Weissagung und Erfüllung (S. 300ff.)" die Auslegung auf die danielische Grundstelle zurückführte, und so für das Verständnis des Tiers neue Bahn brach, während er hinsichtlich des tausendjährigen Reiches die von Bengel so kraftvoll wieder bezeugte Wahrheit aufs Neue hervorhob. Die beiden neuesten Auslegungen der Offb. Joh. von H e n g s t e n b e r g (2 Bd. 1849-51) und E b r a r d (1853) haben auf dem von Hofmann gelegten Grund weiter gebaut, wobei jener zum Teil in die vorbengel'sche Auffassung zurückfiel, während dieser französisch-englische Ideen aufnahm.

Die kirchengeschichtliche Auffassung

Das Wesen der kirchengeschichtlichen Auffassung hat L u t h e r treffend ausgesprochen, wenn er sagt: "Weil es soll eine Offenbarung sein künftiger Geschichten und sonderlich künftiger Trübsale und Unfälle der Christenheit, achten wir, das sollte der nächste und gewisseste Griff sein, die Auslegung zu finden, so man die ergangene Geschichte und Unfälle, in der Christenheit ergangen, aus den Historien nähme, dieselben gegen die Bilder hielte und also die Worte vergliche. Wo sich's alsdann miteinander reimen und eintreffen würde, so könnte man darauf fußen als auf eine gewisse oder unverwerfliche Auslegung." Dieses Auslegungsprinzip hat auf den ersten Anblick etwas sehr Einleuchtendes und doch ist es nicht richtig. Es verstößt gegen den von der evangelischen Kirche sonst mit so großem Recht und Nachdruck geltend gemachten Grundsatz, dass die Hl. Schrift sich selber auslege. Dieser findet auch auf die Offb. Joh. Anwendung. Obwohl sie als prophetisches Buch in die Zukunft weist, so weist sie doch selbst für ihr Verständnis zunächst in die Vergangenheit. Das ist die hohe Bedeutung, welche der durchaus alttestamentlichen Färbung der Sprache und Darstellung zukommt. Dadurch wird der Leser an die frühere Schrift gewiesen und aufgefordert, die Deutung der an sich so dunklen Bilder bei den älteren Propheten Gottes zu suchen. Tut man das, so gewinnt alles auf einfache Weise Licht, Ordnung, Regen, Zusammenhang; man ist dann des willkürlichen Ratens überhoben, weil sich allenthalben von selber Plan- und Gesetzmäßigkeit herausstellt. Ganze Reihen von Auslegungen beseitigen sich so auf prinzipielle Weise.

So ist z. B. aus Daniel klar zu erweisen, dass das Tier keine geistliche Macht bedeuten kann, wie sich umgekehrt aus der ganzen Bedeutung der Hurerei in der Schrift ergibt, dass die babylonische Hure eine geistliche Macht sein muss, und keine bloße Stadt sein kann. Versäumt man aber die biblische Feststellung der Grundbegriffe und Grundsymbole, so ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Und darum gibt es zahllose Systeme kirchengeschichtlicher Deutung, und können und werden deren je nach dem Gang der kirchlichen und weltlichen Ereignisse noch manche aufgestellt werden. Der Grundfehler ist, dass man hier Auslegung und Erfüllung miteinander vermischt, und jene von dieser abhängig macht. Dadurch wird aber das Wort Gottes nur zu leicht von der menschlichen Geschichte abhängig, während es doch in sich selbst vollendet ist und durch das Licht, das es in sich selber trägt, denen, die göttlichen Verstand haben, eine Leuchte in der Finsternis der Weltzeiten sein will. Wir sollen aus aus der Offenbarung die Zeit, nicht aus der Zeit die Offenbarung verstehen lernen, obwohl es dann allerdings in der Natur der Sache liegt, dass bei den Verständigen eine Wechselwirkung zwischen beiderlei Verständnis eintritt. In dieser Weises aufgeschlossen, ist das heilige Buch noch weit eindringender nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit (2Tim 3:16), als wenn es nur einzelne Begebenheiten weissagen würde.

Die kirchengeschichtliche Auffassung der Apokalypse war schon vor der Reformation umso mehr vorherrschend geworden, je weiter man von dem ursprünglichen Verständnis derselben und, was damit Hand in Hand geht, von dem urchristlichen Chiliasmus abgekommen war. Je mehr die Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung anschwollen, desto mehr war man versucht, in der Offb. eine Weissagung der Kirchengeschichte zu suchen, und namentlich die apokalyptischen Zahlen zu chronologischen Berechnungen zu verwenden; und als nun vollends ein Jahrtausend sich erfüllt hatte, so glaubte man auch dem tausendjährigen Reich in der Kirchengeschichte seinen Platz anweisen zu können. Christentum und Kirche waren eine solche Macht in der Welt, und der biblisch-prophetische Geistesblick war eben damit so selten geworden, dass man sich dessen nicht wundern kann, hatte doch selbst A u g u s t i n das tausendjährige Reich schon in seiner Zeit für angebrochen erklärt. Man zählte die tausend Jahre teils von Christi Geburt an, weswegen im elften Jahrhundert ein allgemeines Warten des jüngsten Tages durch die Christenheit ging, teils von Konstantin, später auch von Karl dem Großen an, wie heutzutage H e n g s t e n b e r g. Auf die wunderlichste Weise wurden die Zeiten durcheinander gemischt, wie L u t h e r s eigene Ansicht beweist. (Vgl. darüber B e n g e l s erklärte Offb. Joh., neue Ausg. Stuttg. 1834, S. 669f.) Er rechnete die tausend Jahre von Anfang des N. T. bis auf Gregor VII., fand dann in dem siebenköpfigen Tier das hildebrandtische Papsttum, und bezog die Zahl 666 auf die Dauer desselben. Diese Ansicht wurde für die evangelische Kirche in doppelter Hinsicht maßgebend. Einmal galt es, zumal wegen des bekannten 17. Artikels der augsburgischen Konfession, in welchem, wie B e n g e l (S. 672) sagt, gegen den wiedertäuferischen, frühzeitigen, rasenden Chiliasmus ein rechtmäßiges Zeugnis erhalten ist, für orthodox, das tausendjährige Reich nicht mehr zu erwarten, sondern der Vergangenheit zuzuweisen. Sodann "gehörte es zu dem kirchlichen Charakter der protestantischen Exegese, die Apokalypse als prophetischs Kompendium der Kirchengeschichte zu betrachten, wobei die Beziehung der Weissagung auf das Antichristentum des päpstlichen Roms als ausgemacht angesehen wurde." (Lücke S. 1015f.)

1. Bengel

In letzterer Beziehung ist B e n g e l in die Fußstapfen der protestantischen Auslegung getreten; in ersterer hat er gegen dieselbe den urkirchlichen Chiliasmus siegreich geltend gemacht, und dies ist das eigentlich Neue und Bedeutende an ihm. In historischer und chronologischer Hinsicht schließt er eigentlich nur die bisherige Auffassung ab, indem er sie auf die Spitze treibt. Kirchengeschichtliche Auslegungen und apokalyptische Chronologien, welche immer in irgendeinem Maße miteinander verbunden sind, gab es schon vor ihm viele. Und gerade zu den Chronologien lag in seiner Zeit überhaupt eine Tendenz, wie z. B. der ebenfalls 1752 gestorbene Engländer W h i s t o n zeigt, welche die Wiederkunft Christi zuerst auf das Jahr 1715, dann auf 1766 berechnete (Lücke S. 1036). Es hängt dies wohl mit dem damals erwachenden historischen Sinn zusammen, der sich auch auf diesem Gebiet in seiner Art wiederspiegelte, und von dem Bengel selber Notiz nimmt, wenn er einmal sagt: "Alte Leute machen gerne Personalien; so, weil die Welt anfängt alt zu werden, macht sie auch ihre Personalien; deswegen kommt das Studium der Geschichte so empor (B u r k, Bengels Leben und Wirken, S 297). Neu war in dieser Beziehung an ihm nur dies bestimmte chronologische System, wie er selbst sagt: "Nichts Neues habe ich, als die bestimmte Länge der prophetischen Zeiten." (S. 676).

Auf dieses chronologische System fällt nun aber auch bei seiner gesamten Anschauungsweise ein ungemein starkes Gewicht, und es ist ihm dasselbe eigentlich zum Schlüssel für die Apokalypse geworden. Wir müssen daher näher auf dasselbe eingehen. Es ist teils in dem Ordo temporum (1741), teils in der Einleitung zur erklärten Offenbarung entwickelt, und B u r k gibt a. a. D aus beiden Werken sowie aus den später Streitschriften gute Auszüge.

Bengels Irrtümer

Bengel nimmt die gesamte Weltdauer von der Schöpfung bis zum jüngsten Gericht, indem dieselbe nach einer in der Hl. Schrift sehr häufigen Analogie in die Siebenzahl gefasst sei, zu 7777, näher 7777 7/9 Jahren an. Auf den bekannten Termin 1836, mit welchen das tausendjährige Reich beginne, kommt er von hier aus zunächst durch eine Rechnung rückwärts. Er setzt nämlich den Anfang unserer dionysischen Zeitrechnung ins Jahr der Welt 3943, wobei er annimmt, Christus sei 3 Jahre früher geboren. Zieht man jene Zahl oder vielmehr, da es nicht völlig 3943 Jahre sind, die Zahl 3942 von 7777 oder richtiger 7778 ab, so ergibt sich als Gesamtsumme der neutestamentlichen Zeit die Zahl von 3836 Jahren. Die beiden letzten Jahrtausende hiervon abgezogen, geben für den Beginn des tausendjährigen Reiches die Jahreszahl 1836. Bengel nimmt nämlich an, das Jahrtausend der Gebundenheit Satans (Offb 20:1-3) gehe dem der Herrschaft der Heiligen (Offb 20:4-6) voran, so dass das tausendjährige Reich 2000 Jahre umfasse, und die kleine Frist der Lösung Satans (Offb 20:3.7-10) in den Anfang des zweiten Jahrtausends falle. Hierfür beruft er sich hauptsächlich darauf, dass bei einigen wichtigen Zeugen V. 4 vor dem χίλια ἔτη der Artikel fehle, woraus folge, dass hier nicht das schon in V. 2 und 3 genannte Jahrtausend gemeint sein könne.

Bleiben wir hier sogleich mit einem prüfenden Blick stehen: so vermissen wir schon an diesen Fundamenten des Systems die gehörige biblische Begründung. Bengel sagt selbst: "Sollte das Jahr 1836 ohne merkliche Veränderung vorbeigehen, so wäre ein Hauptfehler in meinem System." (Burk S. 300) Der Fehler des Resultates, den wir erlebt haben, liegt schon im Prinzip. Man kann verstehen, warum die Schüler Bengels sein apokalyptisches System zum Teil für inspiriert hielten; denn in der Offenbarung und in der Schrift überhaupt, hat es so wenig sichere Gründe, dass man, seine Richtigkeit vorausgesetzt, es nur aus einer neuen Offenbarung ableiten konnte. Vor allem ist die Annahme, auf welcher das Ganze ruht, dass die Welt 7777 Jahre lang stehen solle, mehr nicht als eine sinnreiche Vermutung. Die Ausdehnung des tausendjährigen Reiches auf zwei Jahrtausende sodann streitet offenbar gegen den einfachen und natürlichen Sinn des Textes. Das Fehlen des Artikels in V. 4 ist nicht so sicher beglaubigt, dass man so viel darauf bauen dürfte; überdies fehlt er auch in V. 6. Gezwungen und unmöglich aber ist es, die tausend Jahre des in V. 7 mit Ausschluss der in V. 4-6 genannten auf die des V. 3 zurück zu beziehen. Vielmehr beweist, wie der ganze Zusammenhang, so gerade die unverkennbare Beziehung von V. 7 auf V. 3, da doch auch V. 4-6 die χίλια ἔτη vorkommen, dass alle sechs Mal die nämlichen tausend Jahre gemeint sein müssen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Bengel nur um der Harmonie seines Systems willen diese Verdoppelung der tausend Jahre angenommen habe, weil es mit seinen sonstigen Ansichten unvereinbar gewesen wäre, das tausendjährige Reich erst im Jahr 2836 beginnen zu lassen.

Indessen kommt er auch von der andern Seite her auf das Jahr 1836. In dieser Beziehung geht er von der Zahl des Tieres 666 aus, welche er für gemeine Jahre hält, die die Dauer der Herrschaft des Tieres d. h. des hildebrandtischen Papsttums bezeichnen sollen. Er freut sich bei diesem Punkt seiner Übereinstimmung mit Luther. Da nun aber Offb 13:5 die Dauer der Macht des Tieres auf 42 Monate angegeben ist, so benützt er die Identität beider Zeitbestimmungen zur Berechnung eines prophetischen Monats, welcher denn gleich 15 6/7 gemeinen Jahren ist. Hiernach ist ein prophetischer Tag ungefähr ein halbes Jahr, und dem entsprechend lassen sich auch die prophetischen Stunden und Jahre berechnen. Ein zweite Reihe von Zeitbestimmungen, nämlich die drei Begriffe καιρὸν, χρόνον und αἰών Zeit, Periode, Ewigkeit, die er ebenfalls chronologisch fasst, gewinnt Bengel aus dem Vergleich der Zahl 666 mit der im 20. Kapitel vorkommenden Zahl 1000. Diese beiden Zahlen verhalten sich ungefähr zueinander wie 2 zu 3; durch eine geringe Nachhilfe erhalte man genauer folgende Gleichung: 3:2 = 999 999/999 : 666 666/999.

Hiernach könne man nun ein Jahrtausend, statt in 10, in 9 Jahrhunderte einteilen, deren jedes alsdann eine Dauer von 111 1/9 gemeinen Jahren umfasse. Das sei dann die halbe Zeit, eine Zeit demgemäß 222 2/9 Jahre, eine Periode (chronus) aber sei 1111 1/9 Jahre, eine Ewigkeit (Aevum) 2222 2/9 Jahre. An die Zeit schließt sich noch die wenige Zeit an (ὀλίγον καιρὸν Offb 12:12), welche 888 3/9 Jahre dauern soll; an die Periode die Nichtperiode oder der Nonchronus (Offb 10:6), welche etwas weniger als 1111 1/9, nämlich 1036 Jahre dauern soll.

Es liegt auf der Hand, dass auch diese chronologischen Bestimmungen auf bloßen Vermutungen beruhen, welche im Text selber eine hinlängliche Begründung finden. Wir deuten nur einige Hauptpunkte an. Das Ganze geht von der Annahme aus, dass die Zahl des Tiers 666 eine chronologische Zahl sei und gemeine Jahre bedeute; allein die exegetische Berechtigung zu dieser Annahme ist nicht nachgewiesen und auch nicht nachweisbar. Damit fallen aber beide Reihen von Zeitbestimmungen, die aus Kombination mit den 42 Monaten, wie aus der mit den 1000 Jahren gewonnenen, als unbegründet dahin. Bei der letzteren Klasse ist außerdem noch dreierlei willkürlich, einmal, dass Bengel zu der Zahl 666 noch 2/3 hinzutun muss, sodann das er die ganz allgemeinen Begriffe Zeit, Periode und Ewigkeit überhaupt chronologisch zu bestimmen sucht, und endlich die Art, wie er sie bestimmt. Wer wird Offb 6:11, wo den Märtyrern, die um Rache rufen, gesagt wird, sie sollen noch eine Zeitlang (χρόνον) ruhen, daran denken, dass sie auf eine Periode von 1111 1/9 Jahren zur Ruhe verwiesen werden, nämlich vom Jahr 98- 1209 n. Chr., wo sie durch die Verfolgungen der Waldenser neuen Zuwachs erhielten? Wer wird Offb 10:6 wo der Engel schwört, es soll keine Zeit d. h. kein längerer Aufschub bis zur Vollendung des Geheimnisses Gottes mehr sein, an einen Non chronus von 1036 Jahren (800-1836 n. Chr.) denken? Wer wird Offb 12:12, wo es vom Teufel heißt, er wisse, dass er wenig Zeit (ὀλίγον καιρὸν ) habe, an einen Zeitraum von 888 3/9 Jahre (947-1836 n. Chr.) denken, wobei überdies die wenige Zeit viermal so lang ist wie die Zeit (καιρὸν) selbst? Wer wird bei dem ewigen Evangelium Offb 4:6 an eine Ewigkeit von 2222 2/9 Jahren denken, welche von Arndt, den Bengel unter dem mitten durch den Himmel fliegenden Engel versteht, bis zum jüngsten Tag (1614-3836) währen soll? Bei solcher Exegese ließ sich freilich von den verschiedensten Punkten aus auf das Jahr 1836 oder 3836 kommen.

Bemerkenswert ist in dieser Beziehung noch insbesonderne die Verschiedenheit, mit welche Bengel die apokalyptische Grundzahl auffasst, nämlich jene so sichtbar identischen Bestimmungen: 3 1/2 Zeiten, 42 Monate, 1260 Tage, welche Offb 11.-13 fünfmal vorkommen. Im 11. Kapitel nimmt er die 42 Monate (V. 2) und die 1260 Tage (V. 3) als Zeitbestimmungen im alltäglichen Sinn und verlegt sie in die letzte antichristliche Zeit, zwischen die Jahre 1830 und 1836. Die Bestimmungen über das Weib und das Tier dagegen (Offb 12:6.14; Offb 13:5) fasst er nun nach seiner prophetischen Zeitrechnung. Hiernach bedeuten also die 42 Monate des Tiers 666 Jahre, welche das hildebrandtische Papsttum währen sollen, nämlich von 1073-1809. Die 1260 Tage der Flucht des Weibes in die Wüste, obwohl nach dem Obigen aus dem Verhältnis der 42 Monat zur Zahl 666 bestimmt, sind doch nicht ganz damit identisch, sondern dauern 667 Jahre, von der Vollendung der Vorbereitungsanstalten für das Christentum in Böhmen bis zu seiner Bedrückung daselbst, 940-1617. Davon wird nun der Flug des Weibes in die Wüste unterschieden, wie denn auch die Währung desselben, 3 1/2 Zeiten, nach einem ganz anderen Prinzip, aus der Kombination von 666 und 1000, berechnet ist. Hiernach sind die 3 1/2 Zeiten 777 7/9 Jahre, in welchen die Kirche sich selbst in den nördlichen Gegenden von Europa ernährt, 1058-1836. Auffallend ist auf den ersten Blick, wie hierbei die Reformation neben unbedeutenderen Ereignissen zurücktritt.

Wir haben schon im Bisherigen bei den chronologischen Annahmen auch einige Hauptpunkte der geschichtlichen Auffassung berühren müssen, und können uns nun in dieser Beziehung kürzer fassen. Bengel hat noch nicht die richtige Einsicht in die Ökonomie der Apokalypse, indem er sie nicht als eine Reihe paralleler Gruppen, sondern als ein historisch fortschreitendes Geschichtsgemälde fasst, wobei er nur Kap. 11 herausschneidet und ans Ende verlegt. Im 12. Kapitel, von welchem an uns die Sache näher angeht, ist die Entwicklung bis ins neunte Jahrhundert gelangt.

Das Weib ist die Gemeinde Gottes und Christi. Die Schwangerschaft deutet darauf hin, dass es sich unter Karl dem Großen zu äußern anfing, dass alle Völker ihr Erbe werden sollten. Der männliche Sohn ist Christus bildlicherweise, eben in dieser seiner königlichen Herrschaft über die Völker gedacht, welche aber jetzt noch unsichtbar ist, daher der Sohn zu Gott entrückt wird. Die Flucht in die Wüste geht auf die Wanderung des Christentums von Asien nach Europa, besonders dessen nördlichen Teil, wo ihm durch Ansgarius, Chrillus, Methodius im neunten und zehnten Jahrhundert Bahn gemacht wurde, bis 940 Boleslaus von Böhmen auf Verlangen Otto des Großen, seine Prinzen christlich erziehen ließ. Bald darauf erfolgte 947 der Sturz des Teufels aus dem Himmel, wo er bis dahin die Christen verklagt hatte, weil sie seit den Verfolgungen unter den heidnischen Kaisern und arianischen Königen, besonders aber seit dem Hingang des zweiten sarazenischen Wehes, welches 847 aufhört, Ruhe gehabt hatten. Der Satan beginnt jetzt (V. 13) Der Satan beginnt jetzt (V. 13) Verfolgungen zunächst in Preußen, Ungarn usw. Der Wasserstrom, den er dem Weibe nachschickt, ist die türkische Macht, welche in Asien (Erde) ihre Begrenzung durch die Kreuzzüge fand.

Das Tier ist also das Papsttum auf der Höhe seiner weltlichen Macht, die es durch Gregor VII. erlangt hat. Seine sieben Köpfe sind eine lange Reihe von Päpsten nacheinander. Die Todeswunde ist der Kampf des Papsttums mit dem Kaisertum und ihre Heilung die neue Macht des Papsttums, die sich in den Kreuzzügen, Konzilien usw. erwies. Der falsche Prophet oder das zweite Tier tritt am Ende der 666 Jahre auf: es könnten die Jesuiten sein oder auch die Freimaurer, da in der letzten Zeit Papismus und Sozianiansmus zusammenfließen werden. Der siebte Kopf des ersten Tieres ist der Antichrist und als solcher zugleich der achte. Das wird ein einzelner Mensch sein, durch den zu der vorigen lästerlichen, und Christo befeindenden Macht des Papsttums nach vorangegangener Zeit der Geringschätzung noch eine neue abgrundsmäßige Bosheit kommt. Die Hure ist die Stadt Rom, welche samt ihren Patriziern der weltlichen Gewalt des Papsttums Einhalt tun will, aber dafür vom Antichrist mit seinen zehn weltlichen Königen (den zehn Hörnern) zerstört wird. Darauf folgt das Gericht über den Antichrist mit seinem falschen Propheten, der zuletzt auch einen einzelne Person sein wird, und sodann das tausendjährige Reich.

Anhaltspunkte für die Beurteilung dieser Auslegung ergeben sich nach allem Bisherigen von selbst. Am meisten muss man über die Erklärung des 12. Kapitels staunen: wie ist es doch möglich, die Geburt Christi und den Sturz des Teufels auf so unbedeutende Dinge zu beziehen? Was das Tier betrifft, so haben wir bereits gesehen, dass es nach der ganzen Symbolik der Propheten und insbesondere der Apokalypsen nur die politische Weltmacht bedeuten kann. Aber wenn es auch das Papsttum wäre, so müsst auffallen, dass die Existenz desselben vor Gregor VII, wo ihm doch auch schon viel widergöttliches Wesen anhängt, ganz mit Stillschweigen übergangen ist; abgesehen davon, dass diese ganze Deutung mit der Chronologie zugleich fällt. Auch die Zahl der sieben Köpfe und was damit zusammenhängt, vermag Bengel nicht genügend zu erklären. Wäre ferner die babylonische Hure nur die Stadt Rom, so würde auf ihre Vernichtung Offb 18 und 19 wohl schwerlich ein so ungemeiner Nachtdruck gelegt, andere Gründe hier zu verschweigen. Schon R o o s hat in dieser Beziehung eine leise Verbesserung der Bengel'schen Systeme angebracht, indem er unter der Hure die römische Kirche verstand.*)

*) Für unsere Grundauffassung der beiden Tiere und der Hure erfreuen wir uns im Wesentlichen der Zustimmung eines ergrauten Knechtes Christi aus neuerer Zeit, Z e l l e r s in Beuggen. Man vgl. besonders Monatsblatt 1839, Nr. 12: Das Geheimnis Babylons, und 1841, Nr. 5: Das Antichristentum in seiner Ausbildung vor dem großen Tage Christi. Auch sonst enthält das Monatsblatt von Beuggen noch manche treffliche eschatologische Aufsätze.

Bengels Verdienste

Es leuchtet nach allem Bisherigen ein, dass die Bengel'schen Auslegung mit ihren chronologischen und historischen Details unhaltbar ist. Gleichwohl sehen wir an diesem gesalbten Schriftforscher, dass, wo der Grund eines Mannes lauter und aus Gott ist, auch dieser oder jener Irrtum nicht wesentlich schadet, während umgekehrt, wo der Grund nicht aus Gott ist, auch manche erkannte Wahrheit nicht nützt, sondern in's Eitle gezogen, den Irrtum nur kräftiger und verführerischer macht. Selbst Bengels Irrtum musste in der Hand Gottes denen, die Ihn liebten, zum Besten dienen. Die Chronologie trug ungemein viel dazu bei, die Aufmerksamkeit der Gläubigen wieder auf das Wort der Weissagung zu lenken und sie zu veranlassen, auch die Zeitereignisse im Lichte desselben zu betrachten. Und im großen Ganzen hat doch Bengel viel Wahres geschaut. Es ist bekannt, wie sein Seherauge die folgenden Zeiten durchdrang und B u r k hat (S. 295ff.) eine merkwürdige Zusammenstellung "apokalyptischer Ahnungen und Folgerungen" von ihm gegeben. Wie reich ist die Periode, von der er große Entscheidungen erwartete, auch wirklich an geistigen wie an äußeren Entwicklungen, welche es der Gemeinde Gottes zur heiligen Pflicht machen, auf die Zeichen der Zeit zu achten!

Die Hauptbedeutung des Bengel'schen Systems aber besteht wohl darin, dass es eine seit fast anderthalb Jahrtausenden verkannte Schriftwahrheit wieder auf den Leuchter gestellt hat, die Lehre vom tausendjährigen Reich. Bengel selbst setzt in der "Historie der Auslegungen", welche er seiner erkl. Offb. beigegeben hat, die vorzügliche Bedeutung seines apokalyptischen Systems darin, dass er an Vitringa weiterbauend, "die alte wahre Ordnung: Antichrist, tausend Jahre, Weltende" wiederhergestellt habe. (S. 661.775). Ein anderes Mal äußert er sich, es werde eine Zeit kommen, da der reine Chiliasmus zur Rechtgläubigkeit werden; und Ö t i n g e r betrachtet es als ein Hauptaufgabe Bengels, Chiliasmus� orthodox zu machen, denn erst dadurch bekommen die Religionen ihre völlig schöne Gestalt. Hierdurch hat Bengel nicht nur für die so hochnötige, dogmatische Ausbildung der Eschatologie den Grund gelegt, sondern er hat auch für die historische Totalanschauung des göttlichen Reichsplanes, und damit für die Auslegung der Propheten neue Bahn gebrochen. Und dies ist der Geistessegen seiner großartig angelegten Weltchronologie, wenn dieselbe auch im Einzelnen noch so verfehlt war. Es gilt nur, die Schale zu sprengen, der Kern ist eine gute Frucht. Die Bengel'sche Weltchronologie ist die Mutter einer Grundidee der neuen Theologie, der der organisch geschichtlichen Entwicklung des Reiches Gottes, an deren Durchführung, besonders durch das A. T. wir noch lange aus allen Kräften zu arbeiten haben "Wenn wir, sagt D e l i z s c h (Die biblisch-prophetische Theologie, S. 6f.) im A. T. jetzt klarer sehen, so ist dies vermöge des Lichtes der Fall, welches Bengel von der Apokalypsis aus über das A. T. verbreitet hat. Wem verdanken wir es, dass die rechtgläubige Kirche der Gegenwart die chiliastische Anschauung der Endzeit nicht mehr, wie in sämtlichen Lehrbüchern der Dogmatik geschieht, als eine Heterodoxie brandmarkt, sondern dieselbe so in ihr innerstes Leben aufgenommen hat, dass jetzt wohl kaum ein gläubiger Christ sich findet, der sie nicht teilte?

Wem verdanken wir es, dass die Kirche jetzt an eine herrliche Zukunft des Volkes Israel glaubt, und eben deshalb in seiner alttestamentlichen Vorgeschichte eine Prognose auf seine Endgeschichte, in der alttestamentlichen Prophetie eine Fernsicht, nicht bloß auf die Herrlichkeit der Heidenkirche, sondern Israels im eigentlichen Sinne erkennt? Wem, dass die Kirche in Anerkennung der sinnlichen Wirklichkeit, in welcher sie das übersinnliche Heil zuletzt darstellen soll, die sinnliche Wirklichkeit der alttestamentlichen Geschichte wieder in ihr Recht einzusetzen, und Geistliches und Leibliches in seiner organischen Verschränkung aufzufassen befähigt ist? Wir verdanken es Bengel. Er war es, der den letzten Bodensatz einer unter dem Schein der Orthodoxie bis zur Ketzerei antichiliastisch gesinnten Theologie ausleeren musste, und sowohl die Epigonen dieser niederkämpfte, als auch die Brüdergemeinde, welche in sich selbst die herrliche Zukunft der Kirche, die sogenannte philadelphische Periode derselben, verwirklicht wähnte, zu besserer Einsicht brachte. Er sprengte die Fesseln einer bis dahin fast bis zur Unantastbarkeit gültigen exegetischen Überlieferung, vindizierte der Schriftauslegung ihr Mutterrecht im Verhältnis zur Dogmatik und wies der Kirche in der Schrift den kastalischen Quell, aus dem sie sich immer neu verjüngen müsse. Bengels Schriften sind von der Kirche noch lange nicht ausgelernt."

Sie sind dies namentlich in einem Punkt noch nicht. Bengel ist in seinem Chiliasmus der Nachfolger S p e n e r s, dessen Andeutungen er nur wissenschaftlich durchgeführt hat; wie man denn überhaupt die Bengel'sche Schule als die theologische Frucht und Ergänzung der von Spener ausgegangenen praktischen Anregungen betrachten kann. Bengel selbst hält diesen seinen Vorgänger für den zweiten der drei Offenbarungen Offb 14:6ff. genannten Engel und sagt von ihm in der Historie der Auslegungen: "Eine große Türe ward durch den teuren Spener aufgetan, als welcher die von ihm und anderen so genannte Hoffnung besserer Zeiten wieder hervorgebracht, alle Partikularien zwar auf das Behutsamste, wie sich's bei einem solchen neuen Anfang geziemte, beiseite gesetzt, die Hauptsache aber mit großem Ernst, Standhaftigkeit und Gewissheit bis in den Tod verteidigt hat. Von da an dringt die Wahrheit in diesem Stück immer mächtiger, wiewohl zwischen vielen Irrungen hindurch." Bei Spener hing aber die chiliastische Hoffnung mit seiner ganzen Anschauung von Kirche und Christentum aufs Innigste zusammen, und diese nicht bloß theoretische, sondern auch praktische Verbindung des locus de ecclesia mit dem locus de novissimis ist vorzüglich bedeutend und lehrreich. Man sieht bei ihm sehr anschaulich, wie ein wahrhaft geistlicher Blick einerseits in das Wesen, und andererseits in das erfahrungsmäßige Unwesen und Verderben, der Kirche das Verständnis der Weissagung öffnet. Spener hat in dieser Beziehung selbst wieder nur das Prinzip der Reformation weiter entwickelt.

Der Chiliasmus trat in der Kirche zurück, je mehr sich der papitistische Katholizismus ausbildete. Denn dieser mit seiner Grundtendenz zur Herrschaft und sichtbaren Herrlichkeit der Kirche ist, wie schon früher bemerkt, seinem innersten Wesen nach eine falsche Antizipation des tausendjährigen Reiches. "Als das Christentum durch Konstantin die Oberhand in der Welt bekommen hat, sagt B e n g e l (S. 664), ist die Hoffnung auf das Zukünftige durch die Vergnügungen über dem Gegenwärtigen sehr geschwächt worden." (Vgl. B a u m g a r t e n, die Nachtgesichte Sacharjas I, S. 100ff. Indessen können wir Baumgartens Theorie über die Trennung von Kirche und Staat, seine Überschätzung Schleiermachers und anderes nicht teilen) Der Katholizismus ist nichts anderes als die kirchliche Systematisierung dieser Richtung: man riss die Herrlichkeit als Raub an sich, die man zu hoffen, der man auf dem Wege der Kreuzesniedrigkeit entgegen zu gehen hatte. Indem die Kirche zur Hure wurde, hört sie auf, die Braut zu sein die dem Bräutigam entgegengeht, und so musste der Chiliasmus wegfallen. Das ist die tiefere Wahrheit, welcher der protestantischen, antipapistischen Auslegung der Apokalypse zugrunde liegt.

Die Bedeutung der Reformation

Die Reformation hat das Hurenwesen durchbrochen, indem sie demselben das urchristliche Glaubensprinzip entgegenstellte, welches ja nicht nur den Gesetzeswerken, sondern auch dem Schauen, der falschen Versichtbarung der Kirche entgegengesetzt ist. Das haben die Reformatoren ausgesprochen durch ihre ebenso wahre und schriftgemäße als folgenreiche Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche. Was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig, ist zu einer ewigen, über alle Maßen wichtigen Herrlichkeit bestimmt. Nur können wir diese Herrlichkeit nicht selber nehmen, sondern der Herr wird sie uns geben, wenn er kommt. Jetzt ist unser Leben noch verborgen, unsichtbar mit Christo in Gott; wenn aber Christus, unser Leben sich offenbaren wird, dann werden wir auch offenbar werden mit ihm in der Herrlichkeit (2Kor 4:17.18; Kol 3:3.4). So hängt der Glaube notwendig mit der Hoffnung zusammen (vgl. Hebr 11:1; Röm 4:18), das urchristliche Glaubensprinzip ist vom urchristlichen Chiliasmus unzertrennlich. Der Römerbrief selbst, dieses Grundbuch der Reformation, weist mehrfach auf diesen Zusammenhang des Glaubens mit der künftigen Herrlichkeit hin (Röm 5:2.17; Röm 8:17-25.30; Röm 11.), und wir finden denselben, wie im ganzen N. T. so auch noch in den beiden ersten Jahrhunderten der Kirche lebendig festgehalten.

Auf die nächsten Bedürfnisse angewiesen, haben die Reformatoren ihr Prinzip noch nicht bis zu der chiliastischen Konsequenz durchgeführt. Wie die Durchführung derselben nach ihrem Tod gehemmt wurde, wie viel altes Unwesen in die neue Kirche eingedrungen ist, wissen wir. Mit der Scholastik, mit der Priesterherrschaft, mit der Cäsaropapie, welche B e n g e l den Apap neben dem Papa nennt, war auch der Antichiliasmus da. Die orthodoxe Staatskirche sah sich für ebenso vollendet an wie der päpstliche Kirchenstaat; auch jetzt wieder bedurfte die Hure keines tausendjährigen Reiches Gegen dies neue Kirchenverderben ist in S p e n e r das Gewissen der Reformation wie aufgewacht. Er führte das reformatorische Prinzip in doppelter Beziehung weiter. Einmal hat er mit dem Unterschied zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche auch praktisch Ernst gemacht. Dieser treue Zeuge Christi verstand es, einerseits die Pietät gegen die bestehende Kirche als die Trägerin des lauteren Worts und Sakramentes zu bewahren und andererseits die Schäden mit heiligem Eifer um das Haus Gottes aufzudecken. Mit großer Nüchternheit und Weisheit vermied er den separatistischen Abweg*) und wusste doch dem tieferen religiösen Bedürfnis eine Befriedigung zu verschaffen, indem er die Gemeinschaft der Heiligen innerhalb der bestehenden Kirche als eine Gemeinschaft des Wortes pflegte und so in ganz freier, brüderlicher Weise Kirchlein in der Kirche gründete.

*) S. seine Schrift: Rechter Gebrauch und Missbrauch der Klagen über den Verfall der Kirche, welche neuerlich von Superindendent T h u m wieder herausgegeben worden ist unter dem Titel: Ist die evangel. Kirche Babel und der Austritt aus ihr daher unerlässliche Pflicht? Greifsw. 1853. Viele liebe Grüße!. auch das treffliche Schriftchen von F a b r i : Über Kirchenzucht, Stuttg. 1854)

Dass im großen Ganzen in der jetzigen Weltzeit sich keine vollkommene Kirche herstellen lasse, das einzusehen, war er demütig und verständig genug, während er andererseits Glauben genug hatte, um auf die Hoffnung einer vollkommenen Kirchenzeit nicht zu verzichten. Und daher hing denn eben mit seiner Tätigkeit genau der andere Punkt zusammen, in welchem er das reformatorische Prinzip weiter bildete, die Hoffnung besserer Zeiten,welche nicht wir mit unserer Tätigkeit herbeiführen können, sondern welche der Herr bringen wird, wenn er das Antichristentum zerstört und Israel bekehrt. So hatte nun das protestantische Prinzip sich auch in der Aneignung des Chiliasmus dem urchristlichen zu nähern begonnen, und B e n g e l ist es, der dies Spener'schen Anfänge weitergeführt hat. Auch in dem ersten der beiden genannten Punkte trat er in Speners Fußstapfen, insofern er zu den Vätern des würtembergischen Pietismus gehört. Vorzüglich aber wird es nun hieraus einleuchtend, welche hohe Bedeutung dem apokalyptischen und chilialistischen System Bengels bei allen seinen Fehlern für die Gesamtentwicklung der evangelischen und also überhaupt der christlichen Kirche zukommt. Man muss hierbei freilich nicht auf das blicken, was auf dem Markt der Kirchengeschichte gilt, sondern auf das was reelen Wert in ihr hat und Frucht des ewigen Lebens bei den wahren Gliedern der Kirche schafft.

Es ergeben sich hieraus zugleich einige wichtige Gesichtspunkte für die welthistorische Stellung und Aufgabe des Protestantismus. B e n g e l spricht das merkwürdige Wort aus: "Die gegenwärtige protestantische Kirche ist nur eine Interimskirche zwischen der unter dem Papsttum verborgen gewesenen Kirche und der herrlichen Kirche des tausendjährigen Reiches." (Burk S. 296). Das stimmt gut zu dem oben gegebenen Vergleich der protestantischen mit der nachexilischen Zeit. Der Protestantismus hat nicht die Aufgabe, der katholischen Kirche eine andere in entsprechender, äußerer Vollendung gegenüber zu stellen; die äußere Form ist ihm das Sekundäre und relativ Gleichgültige; seine Aufgabe ist, unter was immer für einer Form das Evangelium zu predigen, Seelen zu retten und im Übrigen auf den Herrn zu warten. Nur in dieser Betrachtung liegt wohl das rechte Licht für unsere Zeiten, der voll, göttliche Trost über die Siege der Hure und des Tieres, die wir nicht aufhalten könne, die rechte Nüchternheit gegenüber jeder Art von protestantischer Kirchenmacherei und zugleich die rechte Kraft und Freudigkeit zum Wirken für das Wesentliche ohne Vergeudung der Kräfte für das Unwesentliche. Die Reformation scheint nicht die Bestimmung gehabt zu haben, einen neuen weltgeschichtlichen Tag heraufzuführen, sondern sie hat wohl eher eine eschatologische Bedeutung .

Bald nachdem die Sonne des Evangeliums aufgegangen war, lagerten sich immer dunklere Wolkenschichten vor dieselbe, und sie blieb ein düsteres Millenium lang mehr oder weniger verhüllt; aber am Abend musste das Licht noch einmal siegreich durch die Wolkenschleier hervorbrechen. Denn der Herr kann nicht zum Gericht kommen, ohne dass zuvor der Christenheit noch einmal die Heilswahrheit lauter und rein dargeboten worden ist. So traten noch kurz vor der babylonischen Zerstörung Jerusalems die Propheten, vor der römischen Jesus und die Apostel in Israel auf. Die drei protestantischen Jahrhunderte haben uns dem Ende noch näher gebracht: die Wunde des Tieres heilt, die Verhältnisse werden den urchristlichen immer ähnlicher, die apokalyptische Weissagung und Erfüllung reichen sich die Hand. Darum fügt der Herr zum Licht des Glaubens jetzt auch noch das der Hoffnung hinzu, er schließt uns die Apokalypse immer völliger auf: für die urchristlichen Verhältnisse schenkt er auch die urchristliche Erkenntnis. Und in dieser Beziehung Bahn gebrochen zu haben, bleibt B e n g e l s unbestrittener Verdienst.

2. Die Engländer und Franzosen

Elliott

Elliott, dessen schon genannte Schrift, wie von englischer Seite versichert wird, gegenwärtig ein, wenn nicht das Hauptwerk über die Apokalypse in England ist, gibt (III, S. 5ff.; IV, S. 18ff.) im Wesentlichen folgende Auslegung über Offb 12ff.

Das Weib ist die wahre Kirche, zunächst in dem Stadium, wo das Christentum im römischen Reich zur Staatsreligion erhoben werden soll. Sonne und Mond sind die Staatregenten, die Sterne nach Offb 1:20 die geistlichen Vorsteher. Die Schwangerschaft des Weibes, welche 280 Tage dauert, ist die Zeit der ersten 280 Jahre nach Christi Himmelfahrt bis zum Jahr 313. Der Drache ist das alte römische Heidentum, das seine Macht zum letzten Mal im Marxismus konzentriert, welcher den dritten Teil der Sterne, die christlichen Lehre im dritten Teil des römischen Reiches, dem asiatischen,der ihm untertan war, verfolgend niederwarf. Der männliche Sohn ist der erste christliche Kaiser samt seinen Nachfolgern, welche die Heiden mit eiserner Rute weiden. Seine Entrückung zu Gott bedeutet den völligen Sieg des Christentums über das Heidentum. Zugleich kann man darin die Erhöhung Christi auf den Thron Gottes d. h. die siegreiche Durchführung der Lehre von seiner Gottheit durch Konstantin und die nizzäische Synode gegenüber der arianischen Ketzerei finden. Die Wüste, wohin das Weib flieht, bedeutet die Verborgenheit, in welche jetzt die wahre Kirche mit ihren wenigen Gliedern zurücktritt. Der Sturz des Drachen ist die vollständige Besiegung des Heidentums, das sich unter Julian noch einmal erhoben hatte. Der Flug in die Wüste ist der Schluss der Flucht. Die 1260 Tage sind mit den 3 1/2 Zeiten und 42 Monaten identisch; sie bedeuten Jahre und reichen ungefähr vom 6.-19. Jahrhundert: die zeit der päpstlichen Macht. Der Wasserstrom ist die Völkerwanderung, der gegenüber die Kirche bei dem christlichen Staat Schutz findet.

Das Tier aus dem Meer ist mit dem aus dem Abgrund identisch; ebenso das letzte (achte) Haupt des Tieres mit dem kleinen Horn von Daniels viertem Tier, sowie mit dem Menschen der Sünde (2Thes 2) und dem Antichrist (1Jo 2). Das Tier bedeutet das römische Reich und die sieben Häupter seine Regierungsformen: Könige, Konsulate, Diktatoren, Decemvirn, Kriegstribunen, Kaiser. Das siebte Haupt ist die neue, mehr orientalische Regierungsform, die das Kaisertum unter Diokletian annahm. An diesem siebten Haupt ist die tödliche Wunde, welche die förmliche Abschaffung des römischen Heidentums durch Theodosius bedeutet. Ihre Heilung ist das Aufkommen der päpstlichen Macht, welche der Achte, der Antichrist ist. Die Zahl 666 bedeutet nach der Buchstabenrechnung ??? (Lateiner). Die zehn Hörner sind die Stämme der Völkerwanderung: Angelsachsen, Franken, Alemanen, Burgunder, Westgoten, Sueven, Bandalen, Herluner, Avaren, Ostgothen. Die 42 Monate des Tiers sind also 1260 Jahre und beginnen einerseits mit der Verbreitung des justinianaischen Codex, andererseits mit dem Edikt des Phocas (606 n.Chr.), welches der römischen Kirche den ersten Rang zuerkannte. Der falsch Prophet ist die päpstliche Geistlichkeit, welche dem Statthalter Christi göttliche Ehre erwies und verschaffte.

Die Hure Babylon ist Rom, das alte und neue. In dem Fall Roms ist nicht nur die Stadt begriffen, sondern zum wenigsten der Kirchenstaat und ein Drittel der Christenheit. Die Katastrophe geschieht durch ein plötzliches furchtbares Erdbeben und vulkanisches Feuer, für welches der Boden Italiens sich vorbereitet (Offb 16:18f.). Die (hiervon zu unterscheidende) Verwüstung und Verbrennung Babylons durch die zehn Könige (Offb 17:16f.) hatte Elliott früher auf den Ruin des päpstlichen Roms durch die französische Revolution gedeutet; jetzt will er sie lieber auf den früheren Ruin des heidnischen Roms durch die Nationen der Völkerwanderung beziehen (III, S. 366, IV, S. 28). Kurz vor dem uns noch bevorstehenden Fall Babylons wird ein großes religiöses Licht aufgehen (Offb 18:4), und wer sehen will in Kirche und Welt, wird gewarnt werden. Gerade bei oder nach der Katastrophe werden die Juden samt einer großen Menge Heiden bekehrt werden. És sind jetzt nicht mehr zwei Jahrzehnte, bis die sechs Jahrtausende der Welt vollendet sind und das Millenium anbricht.

Gaussen

G a u s s e n hat sich bei seiner Auslegung vorzugsweise an die Engländer angeschlossen. Er zählt (II, S. XXVI) "die glücklichsten Ausleger" folgendermaßen auf: "die Irenäus, Hippolytus und Hieronymus, dann die Waldenser und Wiklesiten, dann die Mede, Newton, Eressener bis herab auf die moderne Reihe der Faber, Cunningham, Irving, Bickersteth, Birks und bis auf den ausgezeichneten Elliott." Mit dem letzteren stimmt er in vielen Punkten zusammen, doch nicht ohne selbstständige und bedeutende Ideen. Der wesentliche Inhalt dessen, was er im dritten Band über die Apokalypse sagt, ist folgender:

Gaussens Auslegung

Das Weib ist die Kirche der Auserwählten. Sie ist mit der Sonne bekleidet, weil die Herrlichkeit Gottes und Christi sie erleuchtet, die Apostel des Lammes sind ihr Diadem, den Mond d.h. das alttestamentliche Licht, hat sie unter ihren Füßen. Schwangerschaft und Geburtswehen sind fast beständig der Zustand der Kirche auf Erden. In der Zeit, um die es sich hier handelt, sonnte sie einen männlichen Sohn gebären, d. h. ein politisch einiges, mächtiges, über die Feine siegreiches Volk. Die 280 Jahr der Schwangerschaft begannen mit dem Tode Christi im Jahr 33; die Geburtswehen Sonntag den 19. April 303, als man im ganzen römischen Reich anfing, die Kirchen zu zerstören, Bibeln zu verbrennen und die Gläubigen zu töten, die Geburt erfolgte 313, als Lizinius und Konstantin ihr Toleranzsedikt erließen, während der Drache ebenfalls in Maximin personifiziert gedacht wird. Der Sturz desselben aus dem politischen Himmel auf die Erde ist der Sturz der Heidentums, welcher in dem des Maximin sich vollzieht. Aber nun machte der Drache (V. 13) einen zweiten Angriff auf das Weib durch die Arianer, welche Herren der Zeit wurden und sie 40 Jahre verfolgten. "Da floh sie in die Wüste; aber göttlich gestärkt unter dem bewundernswerten Regiment des großen Theodosius, wiederhergestellt und genährt durch heilige Lehrer und besonders durch die unvergleichlichen Werke Augustins, bekam sie von Gott die Adlerflügel, um imstande zu sein, in die Wüste zu fliegen." (S. 257). Nun aber macht der Drache einen dritten Angriff, indem er den Wasserstrom d. h. die Stämme der Völkerwanderung gegen die Kirche sendet; allein die Erde hilft dem Weibe, indem die barbarischen Völker zivilisiert und christianisiert werden. So verlassen wir hier das Weib Christie, die wahre Kirche Gottes, unsichtbar und fremd in dieser argen Welt, auf Adlersflügeln vor Pharao in die Wüste geflüchtet, wo ihr Gott sie mit verborgenem Manna speist, während ihre Kinder, zerstreut inmitten der Heiden, den schwersten Versuchungen ausgesetzt sind (V. 17). Die Menschen dieser Zeit wissen nicht, wo sie ist, bis an dem Hochzeitstag des Lammes" (S. 262).

Elliott und Gaussen gehen nach dem Bisherigen in der Erklärung des 12. Kap. Hand in Hand; auch in Bezug auf die Zeitrechnung schließt sich dieser an jenen an. Beide nehmen wie wir gesehen haben, den Drachen nicht unmittelbar für den Teufel, sondern für die von ihm inspirierte heidnisch-römische Weltmacht. Darauf gründet sich nun Gaussens weitere Anschauung von den Tieren, welche zum Teil von Elliott abweicht. Der Drache, das Tier aus dem Meer und das Tier aus dem Abgrund sind das römische Reich in den drei großen Epochen seiner Geschichte: autocrate, polycrate (decemroyale). democrate; in die erste fällt noch die Christianisierung des Römerreichs, die zweite beginnt mit der Völkerwanderung, die dritte 1789. Der Drache hat die Kronen auf den Köpfen, zum Zeichen, dass Rom, die Siebenhügelstadt, noch gekrönt ist; bei Tier aus dem Meer sind die Hörner gekrönt: das sind die zehn absoluten Könige der Stämme der Völkerwanderung; das Tier aus dem Abgrund endlich hat gar keine Kronen mehr: das ist die Demokratie mit ihren Bürgerkönigen, Louis Philipp, Leopold von Belgien, Carl Albert von Piemont usw. Was die sieben Häupter betrifft, so stimmt Gaussen in Bezug auf die sechs ersten mit Elliott zusammen, es sind die älteren römischen Regierungsformen. Die tödliche Wunde teilt er aber dem sechsten Haut zu und findet sie darin, dass Odoaker 476 das römische Kaisertum stürzte; ihre Heilung geschah entweder 537 unter Justinian oder 800 unter Carl dem Großen durch Wiederherstellung des Kaisertums, so dass das sechste Haupt noch fortbestand bis 1806, wo Franz II. seinen Titel: Kaiser des römischen Reiches ablegen musste. Das siebte Haupt ist Napoleon, der Achte ist die Volkssouveränität.

Der falsche Prophet und die Hure gehören zusammen und machen miteinander das kleine Horn (Dan 7.) oder das Papsttum aus, dessen zwei Epochen sie darstellen in der Weise, dass der falsche Prophet der polykratischen (Kap 13, die Hure der demokratischen (Offb 17), Periode des römischen Reiches als geistliche Macht zur Seite steht. Der falsche Prophet ist ein kirchliches Reich, wie es der Herrschaft der absoluten Könige auf geistlicher Seite entspricht; die Hure Babylon ist nur noch "der römische Hof", der sich der demokratischen Massen bemächtigt und sich diese neue Wendung der Dinge zunutze macht, um die Heiligen zu verfolgen. Übrigens sind Pseudoprophet und Hure auch noch gleichzeitig nebeneinander, und diese wird sogar von jenem durch die radikalisierten italienischen Völker vernichtet.

Das Weib des Lammes und die Hure

Dies ist der Grundriss der Auslegung von Gaussen. Seine Gegenüberstellung der drei Perioden der weltlichen und geistlichen Macht Drache und Weib, Offb 12); Tier aus dem Meer und Pseudoprophet (Offb 13), Tier aus dem Abgrund und Hure (Offb 17), hat etwas ebenso Einfaches wie Großartiges. Und wenn dieselbe auch nicht ganz richtig, so ist doch das Buch an seinen und sinnigen Bemerkungen im Einzelnen so reich, dass eine deutsche Bearbeitung verdiene. Wir rechnen dahin, z. B. den hellen blick in das Verhältnis der beiden Weiber des 12. und 17. Kapitels. Schon die Überschrift les deux femmes (S. 417) zeigt, dass Gaussen den Hauptpunkt gesehen hat, welcher von der deutschen Auslegung bis jetzt übersehen wurde. "Das Gegenteil vom Weib des Lammes, dem verfolgten, verkannten, in die Wüste geflüchteten, das aber so schön, so rein, so voll Herrlichkeit inwendig ist (Ps 45:14), - das ist das Weib in Purpur und Scharlach gekleidet, aber buhlerisch und bluttrunken, das man auf dem Tiere sitzen sieht. Jene war verborgen vor den Augen der Mächtigen der Welt, diese sitzt hoch zu Ross auf dem Reich der Lateiner; jene ist gedrückt und oft im Leid, diese bläht sich auf über ihr Wohlergehen: ich sitze als eine Königin ruft sie, und bin keine Witwe und Leid werde ich nicht sehen (Offb 18:7); jene ist das Weib des Lammes, diese ist eine Hure; jene wird verfolgt von den lateinischen Königen, diese buhlt mit ihnen; jene ist die Freundin der Märtyrer Jesu Christi, diese vergießt ihr Blut; jene wir von Gott in der Wüsste genährt, diese ist trunken, aber von Blut und dies Blut ist das der Christen; jene ist die Mutter derer, die da Gottes Gebote halten und haben das Zeugnis Jesu Christi, diese ist die Mutter der Huren und aller Gräuel auf Erden (Offb 12:17; Offb 17:5). Diese beiden Weiber stellen Jerusalem und Rom dar, die beiden prophetischen Pole der geistlichen Welt, wie Dr. C a p p a d o s e sie nennt. Die erste ist die heilige Stadt, Jerusalem, das vom Himmel herabkommt von Gott und die Herrlichkeit Gottes hat (Offb 21:2ff.); die andere ist Rom, die große Stadt, welche zu Johannis Zeiten das Reich hatte über die Könige auf Erden (Offb 17:18), dies Babylon der letzten Zeit, durch dessen Zauberei alle Nationen verführt wurden, und in welchem das Blut der Propheten und Heiligen erfunden worden ist." (S. 263ff.)

Stellungnahme zur Auslegung

Vergleichen wir nun die Gestalt, welche die kirchengeschichtliche Auffassung in diesen beiden Werken gewonnen hat, mit der B e n g e l 'schen, so ist der Fortschritt unverkennbar. Man sieht wie sich dieselbe der reichsgeschichtlichen nähert. Es ist schon weit weniger Willkürlichkeit, weit mehr prinzipmäßiges Verfahren bei E l l i o t t und G a u s s e n. Vor allem ist die Chronologie, von welcher freilich die kirchengeschichtliche Auffassung nicht lassen kann, viel einfacher geworden; ja indem sie die Identität der 1260 Tage, 42 Monate und 3 1/2 Zeiten in allen fünf Stellen anerkennt und darin die lange Periode der römisch-deutschen Kirche sieht, ist sie wohl der Wahrheit sehr nahe gekommen. Auch sonst sind dieser kirchengeschichtlichen und unserer reichsgeschichtlichen Auffassung bereits mehrere Hauptgesichtspunkte gemeinsam, so die Unterscheidung und Verbindung des römischen und germanischen Wesens, der heidnischen und christianisierten Weltmacht, der unsichtbaren und verweltlichten Kirche.

Was das Einzelne betrifft, so ist die Auslegung, welche hier das 12. Kapitel gefunden hat, jedenfalls einfacher und zutreffender als die Bengel'sche. Aber freilich bleibt dieses Kapitel für die kirchengeschichtliche Auffassung immer der Hauptstein des Anstoßes, und wir können auch die Deutung Elliotts und Gassens, die beste, die es wohl auf diesem Standpunkt gibt, nicht für natürlich und textgemäß halten. Die Geburt des männlichen Sohnes muss mehr sein als die Entstehung des christlichen Staates, welche keine reines, göttliches Kind des keuschen Weibes war, sondern bekanntlich viel Unlauteres und Weltliches an sich hatte. Dass sich Elliott selbst hier nicht sicher fühlt, sieht man aus seinem Schwanken zwischen der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion und der siegreichen Durchführung der Lehre von der Gottheit Christi, was doch zwei sehr verschiedenartige Dinge sind. Ebenso unhaltbar ist die Deutung des Sturzes des Drachen. Elliott und Gaussen sind genötigt, unter diesem nicht den Teufel zu verstehen, was gegen die ausdrückliche Erklärung des Textes (V. 9.) ist. Sie übersehen ferner, dass der Drache vorzüglich insofern gestürzt erscheint, als er der Verkläger der Brüder vor Gott war (V. 10), nicht insofern, als er sie verfolgte; seine Verfolgungen gehen ja auch nachher noch fort. Immerhin aber enthält sonst die Gaussen'sche Auslegung dieses Kapitels viel Beachtenswertes , und in der Auffassung des Wasserstroms und seiner Verschlingung durch die Erde, sowie des ferneren Drachenzorns (V. 15-17) sind wir mit beiden Erklärern einverstanden.

Hinsichtlich des Tiers aus dem Meer und Abgrund hat schon E l l i o t t den doppelten Fortschritt gegen B e n g e l gemacht, dass er zunächst den weltlich-politischen Charakter desselben anerkennt und eben daher auch das Zurückreichen der fünf ersten Köpfe in die Zeit vor Johannes. Freilich deutet er es dann in letzter Instanz doch auf das Papsttum (Diese Deutung wird III, S. 558-570 ausführlich gegen L ü c k e und H e n g s t e n b e r g verteidigt), und in dieser antipapistischen Deutung gehen der falsche Prophet und die Hure auf. So würden alle Hauptgestalten der Offenbarung fast nur auf das Papsttum gehen. Es ist da an sich schon unwahrscheinlich, und Elliott selbst fühlt sich gedrungen, auch den Abfall des Unglaubens noch zu berücksichtigen, indem er in einem Anhang (III., S. 575ff) "vom Parallelismus zwischen dem tun und Reden des modern ungläubigen Geistes und dem des Drachen des römischen Heidentums in seinen letzten Kämpfen mit dem Christentum" spricht. Die Beziehungen der drei symbolischen Gestalten auf die päpstliche Kirche ist ferner unverträglich mit dem Text, schon weil dabei die Unterscheidung zwischen den tierischen und menschlichen Symbolen nicht genügend berücksichtigt ist. Und endlich wird auch die praktische Bedeutung und Fruchtbarkeit der Apokalypse beeinträchtigt, wenn sie immer nur auf die Dinge draußen beziehen und nicht auch uns selbst von ihr strafen lassen: in dieser Beziehung ist an 1Kor 5:12.13 zu erinnern. G a u s s e n hat hier einen wesentlichen Fortschritt gegenüber Elliott gemacht, indem er das siebenköpfige Tier in seinen verschiedenen Gestalten und Phasen ganz auf die politische Weltmacht bezieht. Nur in Hinsicht auf den falschen Propheten irrt er, indem er denselben, hier ebenfalls den Unterschied zwischen Tier- und Menschengestalt übersehend, zu eng mit der Hure verbindet und auch auf die römische Kirche deutet. Im Wesentlichen richtig bestimmt ist von Gaussen das Weib, die Hure und das siebenköpfige Tier, nur dass er bei dem letzteren, statt auf die früheren Weltmonarchien, mit Elliott nach dem Vorgang Vitringas u. a. auf die früheren römischen Verfassungsformen zurückgeht und im Zusammenhang damit auch die tödliche Wunde und ihre Heilung unrichtig auffasst.

Die Grund Übereinstimmung zwischen Gaussens und unserer Erklärung ist aber so immerhin schon groß und erfreulich genug. Man wird die Hoffnung hegen dürfen, dass sich zwischen den Gläubigen der verschiedenen Nationen nach und nach ein Einverständnis über den wesentlichen Inhalt der Offb. Joh. bildet. Und dafür danken wir dem Herrn angesichts der schweren Kämpfe, denen seine Gemeinde entgegengeht.

Die zeitgeschichtliche Auffassung

Ewald, deWette, Lücke

In der Auffassung des 12. Kapitels stimmt diese Gruppe von Exegeten im Wesentlichen mit uns zusammen. Umso größer ist die Differenz in Bezug auf die beiden Tiere und die Hure. Zwar das erste Tier wird auch von ihnen für die politische Weltmacht gehalten, aber nur für das römische Kaisertum, welches seinen Verfolgungsgeist wider die Kirche in Nero konzentriert. Die fünf ersten, gefallenen Tierköpfe sind die fünf ersten Kaiser, Augustus, Tiberius, Caligula, Claudius, Nero. Unter dem sechsten ist die Apokalypse abgefasst, noch im frischen Eindruck der neronischen Verfolgung. Nero ist das Haupt mit der Todeswunde, ,weil er sich selbst ums Leben brachte; aber die Wunde wird heil, und er wird, nachdem zuvor noch der siebte Kaiser kurz regiert hat, lebendig wiederkehren, als der achte, der Antichrist. Bei dem zweiten Tier, dem falschen Propheten, "mag der Apokalyptiker teils an die römischen Augurn und Haruspices, teils an die Gaukler wie Simon Magus gedacht haben." (de Wette, Offb. Joh. S. 142). Die Hure ist die Stadt Rom, welche der wiederkehrende Nero mit Hilfe der zehn Hörner, d. h. seiner parthischen Bundesgenossen oder auch der römischen Statthalter gewaltsam einnehmen wird. Von da aus scheint er dann nach Palästina zu ziehen,um von dem wieder erscheinenden Christus besiegt und vernichtet zu werden. (deWette S. 160.165.171).

Diese Ansicht ist zunächst exegetisch unhaltbar. Sie hat mit der kirchengeschichtlichen den Fehler gemein, dass sie die alttestamentliche Grundlage der Symbole nicht vollständig berücksichtigt und daher an historischen Einzelheiten hängenbleibt. Nur schaut sie zur Erklärung nicht, wie jene, in die Zukunft, sondern in die Gegenwart des Verfassers, weil sie nicht an eigentliche Weissagung glaubt. Wir haben schon oben nachgewiesen, dass das Tier, weil es einerseits ein Abbild des Fürsten der Welt, andererseits eine Zusammensetzung sämtlicher danielischen ist, nichts anderes sein kann, als die Weltmacht in ihrer gesamten, universalhistorischen Entfaltung. Bei ihrer irrtümlichen Anschauung vom Tier vermag die zeitgeschichtliche Auffassung auch die Siebenzahl seiner Häupter nicht genügend zu erklären: man sieht nicht, warum Johannes nach dem Kaiser, unter welchem er lebte, noch einen und gerade noch einen erwartete. Was die Hure betrifft, so ist ebenfalls bereits gezeigt, d,ass einerseits ihr unverkennbarer Zusammenhang mit dem Weib des 12. Kapitels, andererseits der gesamte biblische Sprachgebrauch es unmöglich macht, bloß an die Stadt Rom zu denken. Eine weitere große Schwierigkeit, welche dieser ganzen Ansicht entgegensteht, drückt E b r a r d (S. 462f.) in seiner Weise so aus: "Hiernach hat Johannes seine Apokalypse unter Galba fabriziert, hat richtig prophezeit, dass Ortho kurz regieren werde, fälschlich aber erwähnt, dass nach Othos Tode Nero wiederkommen werde. Ehe noch das buch irgendwie verbreitet sein konnte, strafte die Geschichte ihn Lügen; aber als ein ehrlicher Mann aufgeklärten Schnittes hütete er sich fein, sein Machwerk zurückzunehmen, und als gescheute Leute bemerkten die Gemeinden den Irrtum garnicht! Mehr zur Widerlegung dieser Hypothese zu sagen, wäre Papierverschwendung." Es isst dies derselbe Grund, von welchem wir oben sahen, dass er die Annahme einer makkabäischen Abfassung Daniel unmöglich macht.

Der Schwerpunkt der Apokalypse beruht nach der zeitgeschichtlichen Auffassung, um mit d e W e t t e selbst (S. 168) zu reden, "auf einem unter den Römern verbreiteten Gerüchte und W a h n e." Der heidnische Wahn von der Wiederkunft Neros ist auch in christlichen Sibyllinen und in die Himmelfahrt des Jesajas übergegangen,und diese Apokryphen werden zum Maßstab der Erklärung für die Offb. Joh. gemacht (S. 167f). Da muss dann freilich auch L ü c k e (S. 943) gestehen, "die Weissagung sei in ihrem ursprünglichen Sinne nicht erfüllt worden, werde auch in diesem Sinne nie erfüllt werden." Es ist natürlich, dass man hierbei die Apokalypse nicht für das halten kann, als was sie selbst sich bezeugt (Offb 1:1), für eine Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gegeben hat. Wir haben, so fasst L ü c k e (S. 400) seine Ansicht in dieser Beziehung zusammen, "Zwar kein Recht, allen wirklich ekstatischen und visionären Entstehungsgrund der Apokalypse schlechthin zu leugnen, wohl aber die dargestellten einzelnen Visionen darin für prophetische Dichtung zu halten." Vergl. S. 220: "Auf die reine praktische Notliteratur der ersten Evangelien und der apostolischen Briefe folgte allmählich eine Art von Muße- und Lustliteratur, indem immer mehrere, auch Juden, mit schon bestimmter literarischer Neigung und Geschäftigkeit in die Kirche eintraten und im Christentum keinen Grund fanden, ihre literarischen Beschäftigungen aufzugeben." Wir sehen, diese Ansicht ist in ihren Resultaten mystisch." (Lücke S 4 38), weil sie in ihren Prinzipien rationalistisch, offenbarungsleugnerisch ist. ES ist dem Wesen nach dasselbe Verfahren, wenn S t r a u ß die kanonischen Evangelien auf das Niveau der apokryphischen herabzieht, wenn B a u r die apostolischen Briefe unter die pseudopigraphischen Schriften des zweiten Jahrhunderts einreiht, und wenn man die Apokalypse so behandelt, wie wir sie hier behandelt sehen. Das ist "der Schutz und das Maß der heutigen Wissenschaft und Kritik, unter welche (nach Lücke S. 1) das Buch längst gestellt ist."

Von den apokryphischen Apokalypsen war schon oben beim Begriff der Apokalyptik die Rede. Sie stehen zu den kanonischen in keinem anderen Verhältnis als in jenem, in welches wir nach einem überall wahrnehmenden historischen Gesetz zu weltgeschichtlichen Erscheinungen, je größer und heiliger sie sind, ihr zerrbildlichen Nachahmungen treten sehen. So schließen sich an Mose die ägyptischen Zauberer, an den Messias die Pseudomessiasse, an die kanonischen Evangelien die apokryphischen, an die Reformation die Wiedertäufer usw. an. Dass man nun aber die niedriger stehenden Erscheinungen zum Maßstab für die höher stehenden macht, das ist ein Grundzug, der durch die ganze "heutige Wissenschaft" hindurchgeht und etwas sehr Charakteristisches an sich hat. Das Wort Gottes wird auf das Niveau profaner Bücher herabgezogen, der Sohn Gottes auf das gewöhnlicher Menschen, endlich Gott auf das der Welt. Die Konsequenz ist, dass man noch ein Stufe weiter herabsteigt und den Menschen nur als eine höhere Tierart betrachtet, wie die neueste, unterblichkeits- und geistleugnerische Philosophie tut. So muss es kommen, wenn man den heiligen Unterschied des von unten und des von oben her verwischt. Die Entwicklung kommt am Ende beim Tierwesen wieder an. Es ist genau das, was die Apokalypse selbst vorausgesagt hat.

Wenn nun L ü c k e gleichwohl mit Liebe von der kanonischen Dignität der Apokalypse spricht und die zeitgeschichtliche Auffassung sogar wiederholt als die pneumatische hinzustellen sucht (S. 916.853.1060): so zeigt die zwar, dass das Herz dieses Theologen einen andere Stellung zu dem heiligen Buch fordert, als sein Verstand sie zu bieten vermag; aber auf die Sache gesehen, können wir in diesem Verfahren doch nichts anderes finden als einen Versucht, dem Wolf ein Schafskleid umzuhängen. Wir bezweifeln keinen Augenblick, dass Lücke in seiner Weise es treu mit der Offb. Joh. meint; aber wir bezweifeln, dass sein Standpunkt objektiv ein irgendwie haltbarer ist. Es gibt eine Anzahl ehrenwerter Theologen, welche, einer Übergangszeit entstammend, in ihrer Person christliche Gläubigkeit und eine rationalistisch kritische Stellung zur Hl. Schrift zu vereinigen suchen. Wir Jüngere wollen den Dank nicht vergessen, den wir ihnen in mancher Beziehung schuldig sind. Aber ihr Standpunkt ist ein individueller und subjektiver; ihn in der Kirche zu verallgemeinern oder zu verewigen, ist logisch und moralisch unmöglich. Während man auf der einen Seite von der Milch zur stärkeren Speise vorwärts schreitet, haben auf der andern Seite diejenigen, welche bei der mythischen Auffassung beider Apokalypsen nichts mehr von einer "Andacht zur Apokalypse" wissen wollen, die einfache Konsequenz für sich. Ist diese Auffassung beider Apokalypsen richtig, so wird eines klar: sie hören auf, kanonisch zu sein. Oder soll ich mit einem solchen Buch vor meine Gemeinde hintreten? Und wenn mich dann ein schlichter Bauersmann mit hellen Augen fragt: Also diese Engelserscheinungen haben Johannes und Daniel eigentlich nicht gehabt? Man weiß also nicht einmal, ob es überhaupt einen Daniel gegeben hat? Der Herr soll uns also von seinem Throne herab den Wahn von Nero geoffenbart haben? O, wehe dem, der als Geistlicher vor einer solchen Frage nicht in seinem Innersten erbebt und sich in seiner Stellung total geschlagen fühlt! Wehe dem, der es dann wagt, sich in seinen Gelehrtenmantel einzuhüllen! So berechtigt man das Misstrauen der Gemeinde gegen die Wissenschaft und verlängert den Zwiespalt zwischen dem Glauben und - nicht dem Wissen, sondern der Schulmeinung.

Man erlaube, an das Ärgernis jener Geringsten zu erinnern, die an den Herrn Jesum glauben! Das einfache, kernhafte, volksmäßige Christentum, das Christentum der Fischer und Zöllner, der Armen und Kinder wird uns Kathedermännern so leicht fremd; wie es eine Stubengelehrsamkeit gibt, so gibt es auch ein Stubenchristentum, welches die Sonne nur durch die Fensterscheiben scheinen lässt. L ü c k e hat vor kurzem treffend vor der Künstelei und Unnatur gewarnt, welche in die orthodoxe Schriftbehandlung durch Arbeit, wie die von D e l i t s c h über das Matthäusevangelium, zu kommen droht. Das war dankenswert; wir bedürfen solcher Warnungen. Aber was ist künstlicher und unnatürlicher, was geht mehr gegen den Verstand und Gewissen, als wenn ich ein Buch für fingiert und für kanonisch zugleich halten soll? Das ist so, wie wenn ein Mann seine Frau schlägt und dabei die Kinder ermahnt, die Mutter doch ja mit aller Ehrerbietung zu behandeln.

Die reichsgeschichtliche Auffassung

Man sieht aus dem Bisherigen, dass sich die kirchen- und die zeitgeschichtliche Auffassung zueinander verhalten, wie die ältere Orthodoxie und der Rationalismus. Die reichsgeschichtliche Auffassung dagegen entspricht dem Standpunkt, dessen Durchführung die Aufgabe unserer heutigen, evangelischen Theologie ist, dem gott-menschlichen oder pneumatischen oder organischen oder wie man ihn sonst nennen mag.

Zur historischen Betrachtungsweise gehören zweierlei, für's erste, dass man einen Gegenstand in seiner spezifischen Eigentümlichkeit nach allen Seiten erkenne, und dann, dass man ihn mit verwandten, welche rückwärts und vorwärts mit ihm in kausalem Zusammenhang stehen, in Beziehung bringe, um ihn so als ein Glied in der ganzen Kette der geschichtlichen Entwicklung zu begreifen. Stattdessen galt es nun auf theologischem Gebiete ungefähr ein Jahrhundert lang für geschichtlich, jene beiden obersten Grundsätze der Geschichtsbetrachten zu beseitigen, den biblischen Objekten ihre spezifische Eigentümlichkeit , welche in der Offenbarung besteht, zu nehmen und sie daher mit heterogenen Dingen in Zusammenhang zu setzen, welche außerhalb des Offenbarungsgebietes liegen. Sofern die Entwicklung der sündigen Menschheit sich nicht bloß durch Gegensätze, sondern durch Widersprüche bewegen muss, kann man das einen notwendigen Durchgangspunkt nennen, im Sinne der Mt 18:7 gezeichneten Notwendigkeit. Bis dahin nämlich war die geschichtliche Entfaltung auf dem Offenbarungsgebiet selbst nicht gehörig anerkannt worden, sondern die Offenbarung wurde nur als gegebenes, fertiges Objekt, als die reine Lehre betrachtet. So war es nun, um zur geschichtlichen Auffassung derselben zu gelangen, eine gewisse Notwendigkeit , dass sie für einen Augenblick herabgesetzt wurde auf ein Gebiet, wo man die historische Bewegung und Entwicklung anerkannte und eben in immer tieferer Weise zu erfassen im Begriff stand, nämlich auf das Gebiet der profanen Geschichte. Hierdurch wurde der Theologie anschaulich vorgehalten, was sie früher versäumt hatte, obwohl z. B. die B e n g e l 'sche Schule zeigt, dass auch von innerbiblischem, der Offenbarung treu gebliebenem Standpunkt aus der Fortschritt möglich gewesen wäre.

Schwachpunkte der Auslegungsweise

Die Herabsetzung der Offenbarung auf den Boden der Weltgeschichte ist ebenso irrig wie die Herabsetzung der Geschichte auf den Boden der Natur oder die Herabwürdigung des Menschen zum Tier. Man kann daher immerhin sagen, der altorthodoxe, und der rationalistische Standpunkt stehen einander als zwei Extreme gegenüber, als das der abstrakt göttlichen und der abstrakt menschlichen Auffassung. Aber diese beiden Extreme sin Daher hat der Rationalismus wohl oft formell Recht und bahnt in Hinsicht auf die wissenschaftliche Fassung einen Fortschritt gegenüber der Orthodoxie; aber materiell ist er ungöttlich und widerbiblisch. In Nezug auf das was zu ??? gehört, Sprache, Archäologie usw. sind seine Verdienste dankenswert, obwohl es in dieser Hinsicht auch bei den Älteren schon keineswegs so dürftig bestellt war, wie man es oft darstellt; aber wenn der Rationalismus ein Grammatiker ist, so ist er dagegen keine Pneumatiker. Er hat das Geschichtliche hervorgehoben, aber noch nicht in seiner Einheit mit dem Idealen, dem göttlich Geistlichen; und weil er die biblische Geschichte entgeistet hat, so hat er sie auch als Geschichte aufheben und zum Mythos herabsetzen müssen. Ebenso hat er die Weissagung als Weissagung aufheben und zur bloßen Vorstellung oder Ahnung herabsetzen müssen, deren Wahrheit nur in einigen allgemeinen Ideen besteht. Weil er die Bibel nicht als Wort anerkennt, als Gotteswort, darin der Geist sich im Buchstaben seinen Leib geschaffen hat, so gerät er einerseits in falsche Geistigkeit. Solchem allem gegenüber hat die Orthodoxie dem Gehalt und Wesen nach recht, sie hat wahre Ehrfurcht vor der Schrift und steht in substantieller Einheit mit ihr, mag sie auch in der wissenschaftlichen Fassung oft sehr fehlgreifen.

Die Offb Joh. samt Daniel ist eine der letzten Positionen, welche der offenbarungswidrige Standpunkt noch behauptet. Auch hier hat er zunächst seine Verdienste: er hat die Berge von Willkürlichkeiten abgetragen, welche die kirchengeschichtliche Auslegung zusammengehäuft hatte; er ist ein Hüter gegen Extravaganzen der exegetischen Phantasie, wie sie in der englischen Kirche und in der apokalyptischen Broschürenliteratur noch oft genug vorkommen. Er hat ferner in die äußere Anordnung der Apokalypse den richtigen Blick eröffnet, indem er das Gruppensystem siegreich nachwies, hat in manchen einzelnen Punkten, z. B. Kap 12 den Weg zur natürlichen Auffassung gezeigt und auch aus den apokryphischen Apokalypsen schätzbare Beiträge zur Auslegung geliefert. Aber das alles auf Kosten des Wesentlichen. Wie die kirchengeschichtliche Auffassung eine willkürliche Erfüllung der Apokalypse gibt, so die zeitgeschichtliche eine willkürliche Entleerung. Jene hat nur den göttlichen, geistlichen Gesichtspunkt festgehalten ohne das historische Maß und Gesetz und gerät daher aus der symbolischen Deutung in die allegorische, sie weiß das heilige Buch aus der Kirchengeschichte nicht auszulegen, sondern nur auszufüllen. Weissagung und Geschichte sind auf eine äußerliche Weise zusammengebracht; die Auslegung ist nicht aus dem Text selbst herausgewachsen, sondern sie wird zu Hineinlegung, zur Ausfüllung des göttlichen Rahmens mit menschlicher Geschichte; aber das Buch selbst ist und bleibt doch in seiner Göttlichkeit anerkannt. Bei der rationalistischen Auffassung dagegen fallen Weissagung und Geschichte ganz auseinander. Die Geschichte hat sich anders entwickelt, als die Weissagung annahm; sie ist keine Erfüllung derselben. Eben damit aber hat auch die Weissagung aufgehört, wirklich Weissagung zu sein: sie ist bloße Vorstellung, Phantasie über die Zukunft geworden. Bei der kirchengeschichtlichen Auffassung ist nur die Auslegung phantastisch, mythisch; dort hört die Auslegung auf, Auslegung zu sein. Damit aber ist die göttliche, kanonische Würde des Buches preisgegeben. Was an dem älteren, orthodoxen Standpunkt mangelhaft und an dem neueren rationalistischen verkehrt ist, tritt nicht leicht irgendwo so klar zutage, wie bei der Offb. Joh.

Die jetzige Aufgabe der evangelischen Theologie auf diesem Gebiet besteht in der Überwindung des rationalistischen, unhistorischen Historisimus, freilich nicht durch Zurücktreten auf den alten Standpunkt der Geschichtslosigkeit, sondern durch die Erkenntnis der heiligen Geschichte. Die Geschichte der Offenbarung, nämlich der Offenbarung Gottes an die Menschheit, das ist eine unserer Hauptaufgaben. Und von diesem offenbarungsgeschichtlichen Standpunkt aus wird auch dasjenige Buch, welches nicht umsonst die Offenbarung im besonderen Sinn heißt, erst ins rechte Licht treten könne. Ohne die Apokalypse wäre gar keine Geschichte der Offenbarung oder des Reiches Gottes möglich, weil nur sie uns in helleren Zügen das Ziel der Wege des Ewigen zeigt, worauf es mit seinem ganzen Werk auf Erden von Anfang an abgesehen war. Und wie das buch so durch seinen Inhalt hinausweist auf das Ende aller Offenbarung, so steht es selber am Ende der bisherigen Offenbarung und fasst sie in sich zusammen. Es ist diejenige Schrift, in welche die ganze Bibel abschließt und zusammenschließt.

Davon hat die offenbarungs- oder reichsgeschichtliche Betrachtung auszugehen. Sie weiß, dass Gott mit seiner Offenbarung, auch mit der apokalyptischen, sich immer anschließt an die Lage und das Bedürfnis der Menschen, seiner Kinder auf Erden. Darum ist ihr dieselbe ebenso wohl ein unmittelbares Erzeugnis göttlicher Inspiration, als ein wohlvermitteltes Produkt der offenbarungsgeschichtlichen Vergangenheit und Gegenwart. So ist sie die Wahrheit der beiden vorangegangenen Standpunkte,nicht indem sie sie äußerlich verbindet, sondern indem sie sie von innen heraus überwindet. Dem Wesen nach mit der Orthodoxie auf demselben Offenbarungsbogen unverrückt stehend, hat sie doch in formeller Beziehung von den rationalistischen Gegnern manches gelernt. Die Apokalypse ist ihr nicht das literarische Erzeugnis eines Judenchristen, welcher, durch die Zeitereignisse angeregt oder aufgeregt, die ihm übrigen Mußestunden darauf verwendete, seine Phantasien über die nächste Zukunft in der beliebten, apokalyptischen Kunstform darzustellen. Aber ebenso wenig kann sie nach dem vorliegenden Textgehalt ein Diktat des allwissenden Gottes über einzelne kirchengeschichtliche Ereignisse sein.

Johannes, der letzte Zeuge

Sondern Johannes ist ein Schriftkenner durch und durch; er hat die ganze bisherige Offenbarung in lauterem, pneumatischen Verständnis in sich aufgenommen; er hat insbesondere die Propheten ihrem Geist, ihrer Sprache, ihrer Symbolik nach in sich versammelt. Darum hat er auch von dem Stand der Kirche in seiner Gegenwart die lauterste Geistesempfindung und Geisteserkenntnis. Er ist der einzige noch übrige Säulenapostel, auf dem jetzt der ganze Bau der Kirche menschlicherweise ruht. Alle Nerven und Fäden des Leibes laufen in ihm zusammen. Die Gemeinde Gottes hat jetzt schon den himmlischen Lebensschatz, aber noch in irdischem Gefäß Sie verzweigt sich immer weiter in die gottlose Welt hinein. Sie wird von derselben verfolgt, ohne vernichtet werden zu können; sie breitet sich dennoch aus. Aber sie wird auch von derselben in immer steigendem Maße verführt, und das Eindringen der Kirche in die Welt ist auch zugleich das Eindringen der Welt in die Kirche. Von dem allem sah Johannes die Anfänge, er betrachtete sie mit Geistesaugen , mit einem durch das prophetische Wort und besonders auch durch die Erinnerungen an die Weissagungen seines Meisters erleuchteten und geschärften Blicke. Jahrelang sind vielleicht diese Grundanschauungen durch seine Seele gegangen; und als sie nun zu einer gewissen rEife gelang waren, da empfing er in einer der bewegendsten, erschütterungsreichsten Zeiten seines Lebens, in einer Verfolgungszeit, welche alle prophetischen Geister in ihm wachrufen und ihn besonders an die danielischen Tiergestalten erinnern musste, die heilige Offenbarung. Es war eine große Ekstase, in welcher er dieselbe erhielt; aber wir sehen nun, wie viele Anknüpfungspunkte für seine Offenbarung der Herr schon zuvor sich in dem Jünger, den er liebte, geschaffen, und wie er ihn für alle jene Punkte, welche der Heidenkirche in ihrer Pilgerzeit zu wissen nötig sind, empfänglich gemacht hatte.

Dies ist der Standpunkt, welchen wir in materieller Hinsicht als den der reichsgeschichtliche, in formaler als den der symbolischen Auslegung bezeichnen, zum Unterschied ebenso von der kirchengeschichtlich-allegorischen als von der zeitgeschichtliche-mythischen Auffassung. Dieser Standpunkt it zuerst von J. Chr. K. H o f m a n n in seiner Schrift "Weissagung und Erfüllung" wissenschaftlich durchgeführt worden. Es wird hier allenthalben, nur in viel zu weitgehender Art, die Weissagung aus der Geschichte und ihrem typischen Gehalt gegriffen, und die Apokalypse erscheint als der krönende Abschluss aller früheren Prophetie (II, S 300ff.). "Ihr Inhalt", sagt Hofmann S. 376, "beruht einerseits auf der alttestamentlichen, mit neutestamentlichem Geist aufgefassten Weissagung, andererseits auf der Einsicht in den Zustand der Dinge, wie er zur Zeit des Domitianus war."

J. Chr. K. Hofmann

Das ganze Buch besteht, Einleitung und Schluss abgerechnet, aus fünf Reihen von Weissagungen, von welchen sich die erste, Offb 2-3, auf Zustände der Gegenwart, die zweite Offb 4:1-8:1, auf die gesamte Zukunft, die drei übrigen, Offb 8:2-11:19; Offb 12-14 und Offb 15:1-22:5, auf das Ende beziehen. Diese letzten drei unterscheiden sich dann so, dass die dritte die letzten Bußermahnungen Gottes vor dem Gericht, die vierte den letzten Kampf wider die Gemeinde im Fleisch, die fünfte das Zorngericht über die Welt und die Erlösung der Gemeinde zum Inhalt hat." (S 375).

Hiernach versetzt Hofmann auch schon das 12. Kap. seinem wesentlichen Inhalt nach in die letzte Zeit. Unter dem Weib versteht er nicht die Gemeinde überhaupt, sondern nur die israelitische Gemeinde, welche den Heiland, der also der männliche Sohn ist, gebiert. Von der Geburt des Heilandes an bis zur Zeit des Antichrists ist die israelitische Gemeinde auf der Flucht. Das Ziel dieser Flucht ist das zur Wüste und Einöde gewordene heilige Land, wohin die israelitische Gottesgemeinde zurückkehren wird, um daselbst in der letzten halben Jahrwoche, wo der Antichrist herrscht, vor dem Verfolger gesichert und von Gott wunderbar versorgt zu werden. Die Flucht des Weibes ist dasselbe, was die Versiegelung der 144000 betrifft. Der Sturz des Teufels aus dem Himmel gehört ebenfalls in die Zukunft, an den Beginn der antichristlichen Zeit, "indem hier der Stand des Reiches Gottes auf Erden geschildert sein will, wie derselbe sein wird, wenn der Teufel nicht mehr hoffen kann, die israelitische Gottesgemeinde bei Gott (durch seine Anklage) zu verderben, und sie daher mit gesteigertem Grimm durch seine Machtmittel auf Erden zu verderben sucht (S.351). Der Wasserstrom und seine Verschlingung durch die Erde sind nur eine bildliche Darstellung. Die Übrigen von des Weibes Samen sind "der Same Abrahams in der Vorhaut, die gläubigen Heidenchristen, wider die der Arge streiten wird, wenn ihm die Gemeinde Israel durch ihre wunderschnelle Flucht entgangen ist." (S. 353).

Das siebenköpfige Tier ist die römische Herrschaft in der Gestalt, welche sie am Ende der Völkergeschichte haben soll. Der Assyrer, Chaldäer, der Perser, der Grieche und Antiochus sind die fünf Könige, welche gefallen sind, und Roms Cäsar ist der sechste; der siebte, der für Johannes noch zu erwarten bleibt, ist der Deutsche*) Der Achte oder der Antichristus ist der aus dem Abgrund, dem Totenreich wiederkehrende Antiochus, so dass wir uns also die geheilte Todeswunde am fünften Kopf zu denken haben (S. 355. 305. 371.377.345) Stellt sich in diesem ersten Tier die von außen die Gemeinde bestreitende Weltmacht dar, so ist dagegen das zweite Tier, der Lügenprophet, die von innen sie anfechtende falsche Lehre, welche dem Herrscher der Lästerung behilflich ist (S. 375.356). Die Hure Babylon ist die Welthauptstadt, der einigende Mittelpunkt der Völker, was zu den Zeiten des Seher Rom war. Sie wird der letzte Weltherrscher durch den Dienst der zehn Hörner zerstören, welche nicht Inhaber von Königreichen, sondern nur in ihrer Gemeinschaft mit dem Tier zusammen Inhaber königlicher Machtvollkommenheit sind (S. 371f).

*) Es wird nicht recht klar, wie sich H o f m a n n das Verhältnis des Tiers im 13. Kap. zu dem im 17. denkt. Dort scheint er nach S. 355 nur an das vierte, römische Tier Daniels zu denken; erst auf S. 371 bei Kap. 17 spricht er dann von den Weltmonarchien überhaupt, wie ähnlich schon S. 305 von sieben Gestaltungen der Weltmacht, welche zusammen das Bild derselben im Ganzen geben.

Dann offenbart sich Christus als der Herrscher, welcher das Tier und seine Fürsten und sein Heer verderbt. "Es muss zunächst der Kampf des Weltreichs und der im Fleische lebenden Gemeinde Christi mit dem Untergang des einen, der Verklärung der anderen zu Ende gehen, ohne dass doch damit die Geschichte überhaupt zum Schluss kommt, indem ja Weltreich und Menschengeschlecht nicht ein und dasselbe ist und letzteres noch einen Geschichte haben kann, nachdem ersteres zugrunde gegangen, wie es eine gehabt hat, ehe es Völker und Reiche gegeben." (S. 376f.) Dies ist die Idee des tausendjährigen Reiches, welche H o f m a n n S 286f näher so ausführt: "Der Kampf zwischen Christus und dem Argen wird sich steigern, bis nichts mehr übrig ist, dessen sich der Arge nicht bedient hätte, um die Gemeinde anzufechten, also bis er sie nur noch insofern mit dem Untergang bedrohen kann, als sie aus Menschen besteht, welche in sterblichem Leib wohnen. Dann kann aber auch nur so die Überlegenheit dessen, welchem sie angehört, bewiesen werden, dass er durch seine Machtwirkung die sterblichen Leiber zu unsterblichen umwandelt und alle Verstorbenen, welche auf Erden in seines Geistes Gemeinschaft gestanden haben, in verklärter Leiblichkeit den Augen der Welt darstellt; denn nur so kann das unsichtbare Wesen der Gemeinde gegen den Unglauben und Unverstand schließlich gerechtfertigt werden. Vorangegangen ist alsdann die höchste Steigerung des Gewaltmissbrauchs und des Lügenzeugnisses, sowie andererseits der göttlichen Züchtigungen und des Wahrheitszeugnisses; und nachfolgen wird eine Zeit, wo die Gemeinde Weltherrscherin ist mittelst des Beweises ihrer selbst in ihrer verklärten Leiblichkeit. Zunächst aber steht ja die Kirche Christi in einer Welt der Völker und Reiche, und wird demnach der so geordneten Welt gegenüber erwiesen werden müssen, ohne dass damit die Geschichte an ihr letztes Ende gelangt wäre.

Nur der Gegensatz zwischen der durch Christi Heilstat gestifteten und jeder auf menschlichem Recht und irdischer Gewalt beruhenden Gemeinschaft kann so zu Ende gebracht werden. Ist dies geschehen, so kann einen neue Erziehungsweise Gottes in Anwendung kommen, indem an die Stelle der Gewalten, welche vordem zur Bildung menschlicher Gemeinschaften wirksam gewesen sind, Christus getreten ist mit seiner durch die verklärte Gemeinde zu übenden Macht. Die offenbare Herrlichkeit der Kirche lässt nicht bloß keinem Zweifel mehr Raum über die Göttlichkeit ihres Wesens, sondern wehrt auch der sonst freigelassenen Einwirkung des Argen auf die außerhalb der Gemeinde befindlichen Menschennaturen. Nur die angeborene Sündhaftigkeit wird der Machtwirkung, welche von Christi verklärter Gemeinde ausgeht, entgegenstehen und verhindern, dass sie nicht überall einen Wirkung zum Heil der Seelen wird. Endlich muss sich jedoch auch diese Zeit und Weise göttlicher Langmut abschließen, auf welche keine andere mehr folgt. Denn wen die geoffenbarte Herrlichkeit der Gemeinde bei gehemmter Einwirkung des argen nicht zum Verlangen nach der Gemeinschaft ihres Königs bringt, was sollt dessen Herz noch bewegen? Die Geschichte der Völkerwelt endigte mit der Offenbarung der Gemeinde in sichtbarer Herrlichkeit: jetzt wird die Geschichte der Menschheit überhaupt mit der großen Scheidung der Guten und Bösen zu Ende gehen. -

Dies alles liegt in den gegenwärtigen Erlebnissen der Gemeine Christi als Weissagung auf den Schluss ihrer Geschichte. Kommt nun hinzu, was die alttestamentliche Schrift über das Ende der Wege Gottes bezeugt, so gewinnen wir vornehmlich noch die Einsicht, dass der Beruf Israels und die Bestimmung Kanaans in jenen letzten Zeiten sich bewähren werden. Israel wird im Gegensatz zur übrigen Welt der Völker und Reiche, weil es als Ganzes, als Volk an der Hoffnung auf Vollendung des göttlichen Heilswerks festhält, dann wieder das Volk Gottes sein, und darum wird sich auch die Feindschaft der Weltmacht gegen dieses Volk in Sonderheit richten. Daraus folgt, dass Kanaan und Zion wieder die erwählten Stätten der Taten Gottes sein werden, so dass man mit der Offenbarung der Gemeinde Christi in der Herrlichkeit auch eine Verherrlichung des Landes der Verheißung im Gegensatz zur übrigen Erde zu erwarten hat. Für die Feindschaft aber, mit welcher die Weltmacht Israel um seiner Hoffnung willen bedrohen wird, hat man ein Vorbild an den Anfechtungen des jüdischen Volkes durch Antiochus Epiphanes, welche man durch die Offenbarungen Daniels gelehrt war, zu den letzten Geschicken Israels in solche Beziehung zu setzen." vgl. hiermit Schriftbeweis I, S. 53-55.

Die Verdienste Hofmanns

Wir sehen es zunächst als ein Hauptverdienst Hofmanns an, dass er die von B e n g e l wieder auf den Leuchter gestellte Lehre vom tausendjährigen Reich nicht nur aufs Neue in ihrer biblischen Füller kräftig bezeugt, sondern auch innerlich zu begründen und als organisches Glied in dem ganzen Entwicklungsprozess des Reiches Gottes zu begreifen versucht hat. Wenn wir hier in einigen untergeordneten Punkten abweichen, welche bei der verhältnismäßigen Neuheit dieser Wahrheiten noch genauerer Erforschung bedürfen und erst nach und nach ins Klare gebracht werden können: so hindert uns das nicht an freudiger Zustimmung im Ganzen. Hat Hofmann so die Wahrheit Bengels für die neuere Theologie angeeignet und weiter entwickelt, so ist er zugleich der Erste, der den Irrtum derselben und der kirchengeschichtlichen Auffassung überhaupt schriftgemäß zu verbessern begann, indem er auf die richtige Auffassung des Tieres aus dem Meer und Abgrund zurücklenkte und in den sieben Köpfen desselben nach danielischem Vorbild die Weltmonarchien erkennen lehrte. An diese Anerkennung hindert uns wieder nicht die untergeordnete Differenz in der Aufzählung der Monarchien, indem wir mit H e n g s t e n b e r g Antiochus weglassen und dagegen aus schon entwickelten Gründen Ägypten vorn anfügen. Daniel berechtigt nicht dazu, Antiochus als besonderes Weltreich zu zählen; denn nicht nur erscheint derselbe in den Grundstellen Kap 7. und 2 gar nicht, sondern auch Kap 8 und 11 erscheint er nur als Teil der griechischen Monarchie. Damit fällt dann von selbst auch die abenteuerliche Idee hinweg, im Antichrist den von den Toten wiederkehrenden Antiochus zu erwarten, wozu im johanneischen Text nicht die geringste Veranlassung und auch im danielischen durchaus keine Nötigung liegt, und worin wir nur eine unglückliche Wiederkehr Neros sehen können. Es findet auch bei dieser Hofmann'schen Auffassung die Todeswunde nicht ihre genügende Erklärung, denn Antiochus ist nicht anders gestorben als Kyrus oder Alexander; und dass man sie nicht am fünften sondern am siebten Kopf sich zu denken habe, ist oben gezeigt.

Mit den beiden wichtigsten Wahrheiten vom tausendjährigen Reich und von der Weltmacht ist H o f m a n n nur zur ursprünglichen Auffassung der Apokalypse zurückgekehrt. Der Chiliasmus der ältesten Kirche ist eine bekannte Tatsache, welche wir nicht erst zu erweisen brauche. "In allen Schriften dieser Zeit (der 2-3 ersten Jahrhundert) sagt G i e s e l e r (Kirchengeschichte I, 1, S 166), tritt der Chiliasmus so deutliche hervor, dass man nicht anstehen kann, ihn für den allgemeinen Glauben des Zeitalters zu halten." Was das Tier betrifft, so findet sich die Deutung seiner Köpfe von den Weltreichen oder auch Weltaltern schon bei I r e n ä u s und H i p p o l y t u s, bestimmter bei A n d r e a s von Cäsarea in Kappadokien am Ende des 5. Jahrhunderts, von dessen Kommentar L ü c k e (S. 990) sagt, er sei als der erste zusammenhängende Kommentar über die Apokalypse der Stamm aller folgenden. I r e n ä u s (V, 25ff.) wendet auch auf den Antichrist seine Grundidee der Apokalypse ?? oder recapitulatio an, welche sich gerade hier als sehr richtig und fruchtbar erweist: derselbe fasst alle den Abfall und die Ungerechtigkeit und Bosheit und Lügenprophetie und Arglist abschließend in sich zusammen, welche in den sechst Weltjahrtausenden vorhanden waren (V, 28,2. 29,2). Man kann das Verhältnis des achten zu den sieben Köpfen nicht treffender bezeichnen. Dabei schließ sich Irenäus in seiner Gesamtauffassung so eng an Daniel an, dass L ü c k e (S. 86) selbst bemerkt, er lege die sieben Könige von den Weltmonarchien nach Daniel aus. Wenn sich nun gleich meines Wissens keine Stelle findet, wo er sich näher über die Köpfe und Reiche erklärt, so geht doch die Wahrheit dieser Bemerkung Lückes auch daraus hervor, dass Irenäus (30.3) zugunsten der Deutung der Zahl des Tiers auf den Namen ?? anführt, das letzte Reich habe diese Bezeichnung, denn die Lateiner seien es, die jetzt regieren. Hieraus erhellt, dass er in den gefallen Köpfen frühere Reiche sah.

Von H y p p o l y t u s sagt Andreas, er habe unter den sieben Köpfen oder Königen Weltzeiten (secula) verstanden, von welchen fünf vergangen und die sechste gegenwärtig war, als der Apostel seine Gesichte hatte. A n d r e a s selbst (Andreas, Caes Cappad. epsic., in Joh. Apoals. commentarii antehac quiedem nunquam in lucem editi, nunc vero Theod. Peltani stueio luce simul et latinaitate donati, Ingelstadii 1584, p. 142 sqq.) ist bereits auf den Zusammenhang der beiden Begriffe Berge und Könige (Offb 17:9) aufmerksam. Die Berge sind ihm sieben Orte, welche durch weltliche Macht vor anderen hervorragen, Hauptstädte; die Könige sind jene, welche zuerst an der Spitze dieser Stätten der Weltmacht standen, doch so, das synchronisch das ganze Reich mit ihrem Namen bezeichnet wird. Hiernach zählt er die sieben Köpfe folgendermaßen: das assyrische Reich mit Ninus als Gründer und Ninive als Hauptstadt, das (alt-)medische mit Arbaras und Ekbatana, das chaldäische mit Nebukadnezar und Babylon, das persische mit Kyrus und Susa, das griechische mit Alexander, das römische mit Romulus oder Augustus und Rom, endlich das orientalische, christlich-römische Reich mit Konstantin und Neurom. Das letztere lässt er jedoch zweifelhaft, indem er (S. 143) sagt: das siebte Reich war zur Zeit Johannes noch nicht gekommen, mag nun darunter das neurömische oder irgend ein anderes angedeutet sein. In dieser Auffassung des Tieres schließen sich Andreas die hauptsächlichen der anderen alten Kommentatoren an. So P r i m a s i u s im sechsten, B e d a und A n b e r t u s im achten Jahrhundert, noch später der Bischof H a y m o n von Halberstadt.

Hofmanns Fehldeutungen

Für verfehlt dagegen müssen wir bei H o f m a n n seine Deutung des Weibes und der Hure halten. Er verkennt nich nur den Zusammenhang beider, sondern er deutet auch beide für sich unrichtig, wenn er unter dem Weib nur die israelitische Gemeinde, unter der Hure nur die weltliche Hauptstadt versteht. Die Hure kann mit dem Tier nicht gleichzeitig sein; schon an sich nicht wegen des Unterschieds von Tier und Mensch, und was sollte es doch ferner heißen,d ass der Antichrist seine eigene Hauptstadt vernichtet, warum sollte diesem Ereignis Kap 17-19 eine so große Bedeutung beigelegt sein, da es doch nur ein unbedeutendes Vorspiel wäre von dem Gottesgericht, welches bald darauf über die ganze antichristliche Macht hereinbricht? Wie ganz anders ist die Wahrheit, dass die Weltmacht das Gericht über die abtrünnige Kirche zu vollziehen berufen sei, sowohl durch Schriftanalogie gestützt als dem Text selber ein Genüge zu tun geeignet!

Besonders gezwungen erscheint die Hofmann'sche Erklärung von Kap 12. Zwar hat dieselbe auf den ersten Anblick der unsrigen gegenüber die Konsequenz für sich. Auch wir verstehen ja zunächst die israelitische Gottesgemeinde unter dem Weib, lassen dasselbe aber nachher in die gläubige Christengemeinde übergehen, welche auf dem Grund der israelitischen und als ihr Fortsetzung sich erhebt, indem an die Stelle der ausgebrochenen Zweige des edlen Ölbaums andere vom wilden eingepfropft werden (Röm 11:17ff.) Ist es nun nicht konsequenter, bei den israelitischen Gläubigen stehen zu bleiben? Dies ist nich möglich. Durch die ganze kirchengeschichtliche Zeit hindurch gibt es ja keine gläubige Israelgemeinde, und nur die gläubige Gemeinde kann Weib heißen: es müsste dann mindestens beim Weib, wie beim Tier, von einem Nichtsein und einer Wiederkehr geweissagt werden. Und wie unnatürlich ist es doch ferner, von der Geburt Christi V. 6 auf einmal einen so gewaltigen, durch nichts im Text angedeuteten oder vermittelten Sprung in die antichristliche Zeit hinein zu machen! Wie unnatürlich, unter der Wüste das heilige Land zu verstehen, und so das Weib aus Kanaan, wo sie den Heiland gebiert, nach Kanaan fliehen zu lassen ohne die leiseste Andeutung eine (mehrtausendjährigen) Zwischenaufenthalts! Auch der Sturz des Satans wird hier viel zu kümmerlich und der Wasserstrom und die Hilfe der Erde gar nicht erklärt. Endlich sieht man nicht ein, wie sich die 1260 Tage oder 3 1/2 Zeiten, wo das gläubige Israel vor den Verfolgungen des Antichrist im heiligen Lande geborgen sein soll, zu den 1260 Tagen oder 42 Monaten verhalten, wo Jerusalem von den Heiden zertreten wird, und die gläubigen Israeliten den Verfolgungen des Antichrists preisgegeben sind (Offb 11:2.3; Dan 7:25). (Vgl. E b r a r d, Offb. Joh., S. 363) Identisch können diese beiden Zeiträume bei Hofmann nicht wohl sein; denn die israelitische Gottesgemeinde kann doch nicht zugleich verfolgt und vor der Verfolgung geschützt, das heilige Land kann nicht zugleich verwüstet und ein Bergungsort werden. Vorangehen können die Unglückszeiten Jerusalems nicht; denn wie könnte sonst die israelitische Gottesgemeinde, gerade um dieser Verfolgung zu entgehen, nach dem heiligen Lande fliehen? Nachfolgen könne sie auch nicht; denn sonst wäre ja die Gottesgemeinde nicht wirklich geborgen vor dem Verderben.

Es zeigt sich hier recht deutlich der mehrfach hervortretende Hauptmangel von Hofmanns Auslegung. Dieselbe ist noch zu alttestamentlich und eben darum zu einseitig eschatologisch. Die Propheten des A. B., welche zu ihrer Nation und für dieselbe sprachen, haben allerdings über die kirchengeschichtliche Zeit meist hinweggesehen, weil in ihr Israel beiseite gestellt ist. Aber Johannes, der für die Heidenkirche schreibt, hat gerade die Aufgabe, diesen Zeitraum apokalyptisch zu beleuchten. Wie seltsam wäre es doch, wenn da von der Heidengemeinde nur so beiläufig noch am Schluss des 12. Kap. in dem angehängten V. 17 die Rede wäre! Eben aber darf nicht fast alles in unserem Buche nur auf die letzte antichristliche Zeit bezogen werden. Das gilt denn insbesondere auch von den Zahlen. Die Periode 3 1/2 Zeiten oder 42 Monate oder 1260 Tage umfasst nich bloß die Herrschaft des Antichrist, sondern sie ist in der Apokalypse offenbar neutestamentlich ausgedehnt auf die Zeiten der Heiden überhaupt. Allerdings findet erst in der letzten Zeit die recapitulatio, die abschließende Zusammenfassung der kirchengeschichtlichen Entwicklung statt; allerdings beginnt er hier eine wesentlich neue Reichsperiode, und um solche ist es der Weissagung zu tun, darum führt sie jede ihrer Gruppen wieder auf diesen Punkt hin; sie ist das großartigste respice finem. Aber sie lässt uns doch mehr, als Hofmann die anerkennt, an den Früchten auch den Baum erkennen. Indem Hofmann der kirchengeschichtlichen Auffassung gegenüber mit Recht die reichsgeschichtliche geltend macht, ,tut er dies auf zu einseitige Weise, er lässt der kirchengeschichtlichen Periode zu wenig Berücksichtigung in der Weissagung widerfahren. Dagegen bezeichnet nun das H e n g s t e n b e r g 'sche Werke eine Reaktion, die aber wieder auf der anderen Seite viel zu weit geht. Ist Hofmann zu einseitig futuristisch, so isst Hengstenberg noch viel einseitiger präkeristisch um mich der Ausdrücke des Engländers Davidson (s. Lücke S. 1067f.) zu bedienen.

Hengstenberg

Hengstenberg erklärt Kap 12 und 13 im Wesentlichen auf dieselbe Weise wie wir oben gesehen haben. Nur im einzelnen finden sich einige Abweichungen, und außerdem zeit sich bei ihm überall eine Hinneigung zu bildlicher, unbestimmter verallgemeinernder Auffassung.

Das Weib ist auch ihm "die eine unzertrennliche Gemeinde des A. und N. Bundes" (I, 595), die Geburt und Entrückung des männlichenSohnes die Geburt und Himmelfahrt Jesu, der Sturz des Drachen im Himmel, den er nur bildlich fasst, die unmittelbare Frucht der von Christo gestifteten Versöhnung im Sinne von Joh 12:31. Die Flucht in die Wüste (Offb 12:6.14) wird verallgemeinert und darin nur "die Erhaltung der Kirche unter dem Kreuze und trotz aller Verfolgungen und Entbehrungen" (S. 609) gefunden. Ebenso hat die Zahl der 1260 Tage oder 3 1/2 Jahre "gar keine geschichtliche Bedeutung, sondern kommt nur nach ihrem Verhältnis zur Siebenzahl in Betracht, als die Signatur des scheinbaren Sieges der Welt über die Kirche (S 610). Unter dem Wasserstrom versteht Hengstenberg die römischen Verfolgungen und unter der helfenden Erde die Germanen, was gerade die Umkehrung unserer Auffassung ist, aber mit seiner Deutung des Tiers in notwendigem Zusammenhang steht.

Das Tier aus dem Meer und Abgrund deutet er, wie wir, nur dass er die tödliche Wunde dem sechsten Kopf zuteilt und von "dem tödlichen Schlag versteht, welcher der gottfeindlichen römischen Macht durch Christi Versöhnung beigebracht wurde" (II, 1., S. 2.24ff.); dass die Wunde wieder heile, wenn auch nur "scheinbar und temporär", zeigt sich in den römischen Christenverfolgungen. Das Tier aus der Erde ist "die Weisheit dieser Welt, welche von jeher als Begleiter und Helfer der gottfeindlichen Weltmacht gewesen ist." (S. 43). So hatten schon Pharao und Nebukadnezar ihre Weisen; so verbanden sich bei den römischen Christenverfolgungen "die Waffen des Geistes mit den Waffen der Gewalt gegen das neue Prinzip, und auch die Bemühungen der weltlichen Philosophie zur Aufrechterhaltung des Götzendienstes gehören mit hierher" (S 48f.) "Die große Hure ist von dem sechsten Haupte nur insofern verschieden, als dies Haupt die römische Weltmacht bezeichnet, die Hure dagegen die Stadt Rom, in der diese Weltmacht sich konzentriert. Die Hurerei bezeichnet die arglistige Politik." (S 241.240).

Auf eigentümliche Weise erklärt nun Hengstenberg Offb 17-20; er findet hier den Sturz der römischen Weltmacht durch die germanische und die Christianisierung der letzteren. Die zehn Hörner nämlich, die wir uns am siebten Haupt zu denken haben, sind in runder Zahl die germanischen Stämme und Könige, welche das römische Reich überfluten. Auch diese sind zunächst widerchristlich, wie die zahlreichen Märtyrer bis auf Bonifazius herab zeigen; aber doch bleiben sie als widerchristliche nur eine kleine Zeit (Offb 17:10-14): "das erste welthistorische Auftreten der germanischen Völker fällt mit dem Anfang ihrer Christianisierung fast unmittelbar zusammen"; und diese wird nun Offb 19 unter dem Bild ihrer Besiegung durch Christum in einer großen Feldschlacht dargestellt." Allerdings führt und alles darauf, dass die Mission Christi hier zunächst eine solche des Zornes und des Gerichts ist; aber schwere Bedrängung wurde den germanischen Völkern Veranlassung der Zukehr zum Christentum. Was geschah nicht alles, um ihre Härte zu zermalmen und ihren Sinn mürbe zu machen! 162000 Tote bedeckten allein das Schlachtfeld in der Ebene von Chalons; im Pincentergau verhungerten 50000 Menschen" usw. (S. 266f.263.375.332f.) So muss nun "der Anbruch des tausendjährigen Reiches mit der Christianisierung der germanischen Völker und dieses selbst im Großen und Ganzen mit dem tausendjährigen deutschen Reich zusammenfallen." (S. 375). Gegenwärtig leben wir, zumal sein dem Jahr 1848, in der Periode Gogs und Magogs, in jener letzten kleinen Zeit, wo der Teufel wieder losgelassen ist. -

Kritische Stellungnahme zur Auslegung

Wir freuen uns, in der Deutung des Weibes, des Drachens und der beiden Tiere der Hauptsache nach mit Hengstenberg übereinzustimmen, ebenso in der ernsten Betrachtung der gegenwärtigen Zeit. Umso energischer müssen wir gegen seine ungeheure Überschätzung der Vergangenheit und gegen die damit zusammenhängenden exegetischen Willkürlichkeiten und Gewaltstreiche protestieren. Es werden zunächst die hauptsächlichsten unter diesen hervorzuheben sein. Bei jeder der symbolischen Hauptgestalten finden wir solche.

Zu dem Gesicht vom Weib und Drachen müssen wir die Deutung des Wasserstroms und der Erde in Anspruch nehmen. Wasser und erde bilden nach der Symbolik der Offenbarung, wie wir sie früher begründet haben, einen Gegensatz: das Wasser und noch mehr der Wasserstrom bezeichnet die Völkerwelt als eine wild daher flutende, die eErde als ein schon befestigte und geordnete. Hiernach kann der Wasserstrom nur die germanische, und die Erde die römische Weltmacht bezeichnen, nicht aber umgekehrt.

Bei dem siebenköpfigen Tier ist die Hengstenberg'sche Deutung der tödlichen Wunde und des Achten (Offb 17:11) unhaltbar (vgl. B a u r, Kritik der neuesten [Hengstenberg'schen] Erklärung der Apokalypse in seinen und Zellers theol. Jahrbb. 1852,III, S 343.346ff.). Darin zwar, dass er die erstere mit dem Werke Christi in Zusammenahng bringt, stimmen wir bei Wenn er sie aber dem sechsten Haupt zuteilt und von einer mit dem Tode Christi gleichzeitigen Vernichtung der römischen Weltmacht versteht, so muss man billig fragen, wo denn in der Geschichte eine Spur hiervon zu finden sei? Versteht man aber den tödlichen Schlag, wie Hengstenberg tut, vor dem Gericht, das auf Golgatha über die Welt ergangen ist (Joh 12:31): so hat die Heilung der Wunde keinen Sinn, und so müsste auch das siebte, germanische Haupt gleichermaßen zum Tode verwundet erscheinen. Denn dieses Gericht isst ja ein für alle Mal geschehen.

Den Achten, sowie überhaupt die Veränderung, die Offb 17 an dem Tier wahrzunehmen ist, vermag Hengstenberg garnicht zu erklären. Er will zu dem, das Tier ist auch selbst ein achter, ergänzen: im Verderben; ,während nämlich früher das Tier seine einzelnen Häupter überlegt habe, werde es jetzt selbst in den Feuersee geworfen (S. 257f.) Aber für's erste ist diese Ergänzung rein willkürlich, und für's andere hilft sie erst für nichts. Denn freilich wird jetzt das ganze Tier vernichtet, aber gerade deswegen kann es ja keine neue Gestalt mehr annehmen, im Verderben, im Feuersee am allerwenigsten. Mit gleichem Recht könnte man erwarten, dass an Nebukadnezars Bildsäule, indem sie vom Stein zermalmt wird, noch eine fünfte Königsgestalt zum Vorschein komme; und was hätte das für einen Sinn? Hengstenberg kann bei seiner Auslegung die Lehre von einem persönlichen Antichrist nicht anerkennen, er muss sie auch aus 2Thes 2 mit Gewalt entfernen. Darum weis er die so naheliegende, und von ihm selbst als die gangbare Auslegung bezeichnete Kombination des Achten mit dem kleinen Horn Daniels zurück und stellt von diesem letzteren die abenteuerliche Meinung auf, dass es dem Gog und Magog der Apokalypse entspreche. Er vergisst dabei ganz, dass er selbst anerkennt, "die zehn Hörner bei Daniel entsprechen genau den zehn Hörnern bei Johannes. (II,1,S. 15)Können denn nun Gog und Magog zurückgreifen und drei von den zehn Hörnern demütigen (Dan 7:8.24), welche tausend Jahre vor ihnen schon in den Feuersee gestürzt worden sind? Aber freilich, der Sturz in den Feuersee bedeutet ja die Christianisierung auf Erden (S 263). Da wäre also zu hoffen, dass demnächst auch der Teufel christianisiert wird, weil er ja zu dem Tier in den Feuersee gestürzt werden soll (Offb 20:10).

Was den Pseudopropheten betrifft, so ist schön, wie ihn Hengstenberg als den beständigen Begleiter und Helfershelfer der politischen Weltmacht nachweist. Aber doch erkennt er selbst textgemäß an, dass "die Wirksamkeit dieses Feindes nur von dem Moment an geschildert werde, da der Kampf des ersten Tieres gegen das Reich Gottes nach Heilung seiner tödlichen Wunde von Neuem entbrannte. (S. 43f.) Dieser Kampf wird aber nicht bloß von dem sechsten, sondern, wie wir gesehen haben, auch von dem siebten Haupt, von den Germanen in ihrer vorchristlichen Zeit, geführt. Wo bleibt nun da der Pseudoprophet, der doch das erste Tier bis zu seinem Sturz in den Feuersee begleitet? (Offb 19:20). Haben etwa die Horden der Völkerwanderung auch eine falsche Philosophie gegen das Christentum ins Feld gestellt?

Dass die Hurerei arglistige Politik bedeute, möchte Hengstenberg schwerlich biblisch begründen können. Übrigens teilt er in Bezug auf die Hure nur den allgemeinen Irrtum der deutschen Auslegung, welche dieselbe bloß von der Stadt Rom versteht. Dies ist umso mehr zu verwundern, da er selbst mit B e n g e l auf den Parallelismus der Weiber des 12., 17. und 21. Kapitels hinweist (I, 55. II,1,2, 298). Der Irrtum straft sich aber bei Hengstenberg besonders empfindlich, weil er die Zerstörung Babylons vom Sturz der römischen Weltmacht durch die Germanen deuten muss. Wir hörten ihn oben sagen, die Hure unterscheide sich von dem sechsten Haupt des Tieres nur wie die Stadt Rom von der römischen Weltmacht. Nun ist aber durch die Germanen wohl die letztere, doch nicht die erstere zerstört worden. Hier muss er daher die frühere Deutung geradezu umkehren und sagen, unter Babylon sei nicht eigentlich die Stadt Rom, sondern die römische Weltmacht zu verstehen (II,1.S.272f 315f.)

Was endlich die Erscheinung Christi im 19. Kapitel zum Gericht über die beiden Tiere betrifft, so möchte es etwa noch angehen, dieselbe als eine unsichtbare zu fassen, weil sich dafür die Analogie der Zerstörung Jerusalems anführen lässt, welche der Herr selbst auch als seinen Akt seiner messianischen Zukunft bezeichnet. Aber was gleicht der Willkür, das Gericht in Bekehrung, den Sturz in den Feuerpfuhl in Christianisierung umzuwandeln? Dagegen zeugt gerade die Analogie der Zerstörung Jerusalems, dagegen die schon angeführte Analogie des Teufels, dagegen jedes Wort des Textes selbst.

Von der ersten Auferstehung leugnet Hengstenberg, dass sie eine wirkliche Auferstehung sei, weil dieselbe sonst nirgends in der Schrift vorkomme. Hier darf einfach selbst auf d e W e t t e s Auslegung von 1Kor 15:23; 1Thes 4:16 verwiesen werden. Nach Hengstenberg "kann es keinem Zweifel unterworfen sein, dass es zunächst liegt, unter der ersten Auferstehung die Seligkeit zu verstehen, welche für die Gläubigen gleich mit dem Ausgang aus diesem Leben beginnt." Dass von derselben gerade hier die Rede ist, "hat seinen Grund einig und allein in der dem Johannes entgegentretenden Frage, die sich auf das Los der Heimgegangenen eben während dieses Jahrtausends bezieht." Zur wirklichen Auferstehung gelangen die Seligen erst bei der allgemeinen Auferstehung. (II,1,S. 357ff.) Diese Künste richten sich selbst. Aber wir möchten Hengstenberg bitten, zu bedenken, was er hier tut. Ein solches Verfahren heißt doch eigentlich Gottes Wort brechen um seiner eigenen Aufsätze willen. An einem anderen Ort sagt er selber: "Mir kommt es darauf an, angesichts aller Aussprüche der Hl. Schrift ein gutes Gewissen zu haben, keinen im Herzen wegzuwünschen, einem Gewalt anzutun, zu allen nur die Stellung zu haben gleich des Naturforschers, der die Gegenstände wieder und wieder betrachtet, sie unter das Mikroskop nimmt und dann treulich berichtet, was er gesehen." (Über den Tag des Herrn S. 4f.)

Und nun diese Lehre vom tausendjährigen Reich! Man weiß nicht, worüber man mehr staunen soll, über die ungeheure Abschwächung und Verflüchtigung des Wortes der Weissagung, oder über die ungeheure Überschätzung der kirchengeschichtlichen Zeit überhaupt, oder über die Unterschiedslosigkeit, womit die finsteren Zeiten des Mittelalters und des Papsttums der Reformationsperiode gleichgesetzt und als goldene Zeiten betrachtet werden. In diesen tausend Jahren, wo gerade im Namen Christi von Katholiken, Rationalisten und Orthodoxen, o wie viel! gesündigt wurde, da soll der Teufel gebunden gewesen sein? In diesen Zeiten der Waldenserverfolgungen, der Inquisition, der Hugenottenkriege und Bartholomäusnächte sollen die Märtyrer die Welt regiert haben? In diesen Zeiten, wo die Fürsten zwar apostolische Majestäten, allerchristlichste Könige u. dgl. sich nannten, aber dabei in himmelschreienden Sünden lebten, sollen Priester Gottes und Christi Könige gewesen sein? In diesen Zeiten "konnten die verklärten Glieder Christi mit heiligem Stolz auf die Erde herabsehen, auf der die Kirche, der sie in den Zeiten der Trübsal und des Ungemaches ihre Dienste und ihr Leben weihten, nunmehr die herrschende Macht war, so dass es auf der Erde nur nach ihrem in Christo ruhenden Willen herging?" (S.361). Es ist sehr beklagenswert, dass auch ein Mann wie Hengstenberg auf diese Weise zur Verwirrung der geistlichen Beurteilung des Welt- und Kirchenwesens beitragen und selbst aus den Propheten keinen reineren, tieferen Blick gewonnen haben soll.

Er verwechselt das, was eine falsche Antizipation des tausendjährigen Reiches war, mit dem Reich selbst, die äußere, politische Christenheit mit der wesentlichen, das Namen- und Lippen- mit dem wirklichen und wirklich siegreichen Christentum. Wenn man, so die Herrlichkeit des tausendjährigen Reiches, ,die uns ja freilich leuchtend und lockend vor Augen steht, in der Vergangenheit sucht, so tritt an die Stelle der christlichen Hoffnung unwillkürlich ein bedenkliches Rückwärtsblicken und Rückwärtsstreben in die Zeiten, wo das Christentum noch mehr äußere, politische Macht besaß, und damit geht in praxi eine Verstaatlichen der Kirche und Verkirchlichung des Staates Hand in Hand., welche das Kreuzgeheimnis des Reiches Christi tief missversteht, und Fleisch zu ihrem Arm zu machen wenigsten in beständiger Gefahr ist. Und wie in kirchlich politischer, so ist diese Auslegung auch in theologischer Beziehung eine rückwärts gewendete. Sie gibt mit ihrem Zusammenwerfen von Kirche und Reich die große Errungenschaft S p e u e r s und B e n g e l s wieder auf und sinkt auf den Standpunkt der altorthodoxen Exegese zurück, welcher man den Irrtum weit eher verzeihen kann, weil die Wahrheit damals noch nicht wieder gefunden war. Jener ganze Fortschritt, den nach D e l i t z s c h s oben angeführten Worten die prophetische Theologie seit Bengel gemacht hat und ferner zu machen im Begriff steht, wäre hiermit vernichtet, wie die aufsprossenden Keime und Blüten im Frühling durch eine kalte Nacht. Welch ein breiter Schatten fällt von hier aus auch auf die ganze Hengstenberg'sche Auffassung des A. T. zurück!

Was übrigens dies Auslegung der Apokalypse Wahres enthält, das biete die unsrige auch dar. Wir sehen nur in der Todeswunde des Tieres, was Hengstenberg das tausendjährige Reich nennt. Und er selbst muss unwillkürlich unserer Auffassung recht geben, wenn er, sachlich treffend, aber exegetisch unbegründet bemerkt (II; 1, S. 44): "Das erste Tier lebt in Gog und Magog wieder auf, und so werden wir auch seinen unzertrennlichen Begleiter, das zweite Tier, nicht als für immer begraben betrachten dürfen, jedes Wort, das von demselben gesagt wird, wird auch für uns praktische Bedeutung gewinnen. Wo der gottfeindliche Staat wieder aufkeimt, da ist auch sofort die gottfeindliche Weisheit bei der Hand."

Ebrard

Wenn H o f m a n n den Inhalt des Hauptabschnitts der Apokalypse, um welches es sich hier für uns handelt, zu einseitig in die Zukunft setzt und H e n g s t e n b e r g noch weit einseitiger in die Vergangenheit: so hat dagegen E b r a r d den richtigen Mittelweg einzuschlagen angefangen. Die Grundanschauung, von welcher er ausgeht, ist die wahre. "Das Buch der Offenbarung enthält nicht Präsagien zufälliger Einzelheiten; es enthält aber warnende und tröstende Weissagungen über die großen Hauptmächte, die im Kampfe Christi und des Feindes auftreten; es enthält so viel, dass jede Zeit mehr und mehr daraus lernen kann, vor welchen Verkleidungen der Schlange man sich zu hüten habe, dass auch allezeit die geängstigte Gemeinde ihr Maß des Trostes und Mutes empfängt." (S 634). Ebrard erkennt von hier aus richtig, dass die beiden Hauptformen der Schlangenverkleidung Aberglaube und Unglaube, Pharisäismus und Sadduzäismus sind Aber die Art, wie er dies nun näher durchführt, die Deutung und Erklärung des Einzelnen ist vielfach willkürlich unerwogen, am Äußeren haftend.

Die Anordnung des Buches im Ganzen ist folgende: "Die Weissagungen teilen sich in vier, dem Inhalt wie der Form nach unterschiedenen Gesichte. Das erste (Offb 1:9-3) stellt Christum dar in seinem Hirtenverhältnis zu den sieben Gestaltungen der Gemeinde; das zweite, das der sieben Siegel und der sieben Posaunen (Offb 4-11), Christum im Verhältnis als Weltregent zu den Mächten der Welt und Natur, die der Mehrung seines Reiches dienen müssen; das dritte, das Gesicht vom Drachen und vom Tier aus dem Meer (Offb 12-14), stellt das Verhältnis der unter dem Fürsten dieser Welt stehenden Gottlosen zu der Gemeinde des Herrn dar; das vierte (ab Offb 15) die letzte Schlussentwicklung." (S. 500). Hiernach fasst nun Ebrard die Gesichte des 12. und 13. Kap. ebenso bestimmt kirchengeschichtlich, als er die des 17-19. Kap. eschatologisch, von der letzteren, antichristlichen Zeit deutet. Auch in der Auffassung der Zeiten sind wir dem Wesen nach mit ihm einverstanden. Die 42 Monate oder 1260 Tage sind die kirchengeschichtliche Zeit von Christi Himmelfahrt und Jerusalems Zerstörung an bis zum Auftreten des Antichrist,; die 3 1/2 Tage (Offb 11:9) sind, identisch mit den 3 1/2 Zeiten Dan 7:25, die Periode des Antichrist, durch welche die Kirchengeschichte ins tausendjährige Reich übergeht. Dagegen müssen wir die Deutung der einzelnen symbolischen Gestalten bei Ebrard in vielen Punkten bestreiten.

Das Weib des 12. Kap. deutet er, ähnlich wie H o f m a n n (welchem übrigens S. 359.372 seltsamerweise unsere Deutung beigelegt wird), auf das leibliche Israel, sofern es Gegenstand der Verheißungen ist. Der männliche Sohn ist Jesus, dessen Geburt und Himmelfahrt hier geschildert wird. Die Flucht in die Wüste (V. 6) bedeutet die Verbannung und Zerstreuung, in welche das Volk Israel während der kirchengeschichtlichen Zeit aufs Neue geschickt ist. Der Sturz des Drachen fällt, da der Fortschritt ein einfach chronologischer ist, an das Ende der kirchengeschichtlichen und den Anfang der antichristlichen Zeit und bedeutet, dass der Satan jetzt Israel nicht mehr verklagen kann, weil es sich bekehrt. Daher verfolgt er das bekehrte Israel, in welches alsdann die christliche Kirche aufgenommen wird, so dass beide identisch sind (S. 370). Aber das Weib, welches jetzt also die ganze Gemeinde des Messias ist, wird vor den Verfolgungen an einen Verbergungsort gerettet, der wahrscheinlich Jerusalem und Kanaan ist (S. 593). Dies ist der Adlerflug in die Wüste V. 14., welcher also von der Flucht des V. 6 wohl zu unterscheiden ist. Die 3 1/2 Zeiten (V. 14) sind nicht mit den 1260 Tagen der Kirchengeschichte, sondern mit den 3 1/2 Tagen des Antichrist vor welchem also die Gemeinde geboren wird (V. 1 5f). Die Übrigen vom Samen des Weibes (V. 17) sind die Heidenchristen; doch gehört dieser Vers eigentlich nicht mehr zum Vorhergehenden, sondern dient, in der Geschichte rückwärts greifend, als Thema des folgenden, dreizehnten Kapitels, wo der Krieg des Satans gegen die heidenchristliche Kirche beschrieben wird (S 372f.)

Das Tier aus dem Meer ist die gesamte Weltmacht. Die sieben Köpfe sind, wie bei Hofmann: Assur, Babel, Persien, Griechenland, Syrien mit Antiochus, Rom, die Germanen. Im 13. Kap. kommt aber das Tier nur in seiner sechsten, römischen Gestalt in Betracht. Die tödliche Wunde ist am sechsten Kopf und bedeutet den Sturz des altrömischen Reiches durch die germanischen und slawischen Stämme der Völkerwanderung; die Heilung derselben ist die neue, christlich-römische Weltmacht, welche ihren Hauptausdruck im Papsttum gefunden hat. Die zehn Hörner, welche eben die germanischen Völker bedeuteten, sind daher im 13. Kapitel als am sechsten Kopf befindlich zu denken, der im Grunde jetzt noch fortbesteht. Anders dagegen erscheint das Tier im 17. Kapitel, wo die Periode des siebten Kopfes und des achten geschildert wird, die antichristliche Zeit. Hier sind die zehn Hörner am siebten Kopf zu denken, welcher die germanischen Reiche erst in ihrer letzten, ganz kurz dauernden, antichristlichen Phase darstellt. Der achte "ist aus den sieben": damit will Ebrard, wie Hofmann auf Antiochus zurückgedeutet wissen, dessen Todsein unter dem Nichtsein des Tiers zu verstehen sei; nur soll derselbe nicht persönlich wiederkehren, sondern es soll damit gesagt sein, dass der achte gleichsam ein wiedererstandener Antiochus Epiphanes, nämlich der persönliche Antichrist ist (S. 465f. 626). Die Todeswunde und ihre Heilung ist also von demNichtsein und der Wiederkehr des Tiers streng zu unterscheiden (S. 377f 460). Das Wesen des Antichristentums ist namentlich aus einer Kombination mit der gleichzeitigen sechsten Posaune und Zornschale zu entnehmen. Das Reiterheer, das bei jener erscheint (Offb 9:12.16ff.), ist ein Revolutionsheer, und die drei unreinen Geister, welche bei dieser aus demMunde des Tiers und des Pseudopropheten und des Drachen ausgehen (Offb 16:13), sind ein Geist,welcher den Massen Anteil an der weltlichen Herrschaft verheißt, ein Geist, welcher den Massen die Kirchengewalt in die Hände legt und ihnen den Pantheismus predigt, und ein Geist, der in frechem Unglauben den Gott im Himmel lästert und leugnet und seinen Geboten offen Hohn spricht, z. B. die Ehe für sinnlos, den Besitz für Diebstahl, Mord für Tugend erklärt 8S. 622). Vorspiele der Schlusserfüllung haben wir daher bereits erlebt.

Der Pseudoprophet, welchen Ebrard wegen seiner Lammes-Hörner das Pseudolamm nennt, ist eine geistige Macht, welche den Schein und dir Form nach der Herrschaft Christi über seine Gemeinden gleicht, dem Wesen nach aber die Völker verführt, statt Gott vielmehr dem Reich und dem Fürsten dieser Welt zu dienen. Es deutet das auf den Missbrauch des göttlichen Wortes und überhaupt geistlicher Dinge, wie Ablass, Sündenvergebung, Seelenheil, Kirchenzucht, Bann, zu reich weltlichen Zwecken, einzig im Interesse der Vergrößerung der politischen Gewalt. Der Papismus qua geistige Macht bewirkt,dass die römische Weltmacht sich anschaubar verkörpert (Offb 13:14f.) in dem römischen Stuhl, dem Papst, dem Bild des Tiers aus dem Meer (S. 386. 602f. 609).

Mit diesem macht Ebrard wieder schriftgemäßen Ernst, wie besonders folgende, jedenfalls beachtenswerte Bemerkung zeigt (S. 511f.): "Die 1000 Jahr werden als eine mystische Zahl gefasst werden müssen. Wenn die ganze große Zeit von Christi Himmelfahrt bis zu seiner Wiederkunft sich sinnbildlich als eine halbe Jahrwoche von 3 1/2 Jahren darstellt, die Zeit des sichtbaren Bestehens seines Reiches auf Erden aber als tausend Jahre, so wird damit gesagt sein sollen, dass die Zeitdauer des erreichten Resultates unendlich vielmal länger sein wird, als die Zeitdauer der Kämpfe. Die Periode, in welcher Christi Reich in sichtbarer Herrlichkeit auf Erden bestehen wird, wird gleichsam erst die wahre neutestamentliche Zeit sein; die gegenwärtige Periode der unterdrückten und streitenden Kirche erscheint ihr gegenüber fast als verschwindende Größe. Das ist denn auch innerlich der Würde Christi angemessen, der nicht durch große Kämpfe kurze Resultate, sondern durch kurze Kämpfe äonische Resultate erreicht." -


Am merkwürdigsten ist die Ebrard'sche Deutung der Hure. Diese ist ihm als Roma identisch mit dem Tier des 13. Kap. der römische (päpstlichen) Weltmacht, wo sie aufgehört hat, Weltmacht zu sein, und nur noch ein schwaches Weib, pseudokirchliche Macht, geblieben ist (S. 409.450ff.472.623f). Diese wird nun vom Antichrist und seinen Königen, der Aberglauben vom Unglauben, vernichtet. Darauf erscheint der Herr zum Gericht über das antichristliche Wesen und zur Gründung des tausendjährigen Reiches.

Kommentar zur Auslegung

Zunächst erscheint bei Ebrard die Deutung des 12. Kap. verfehlt. Gegen dieselbe spricht, wie gegen die Hofmann'sche, schon der Begriff des Weibes an sich, ,welche die Gemeinde Gottes als wirkliche, gläubige Gemeinde bezeichnet: Israel ist während der kirchengeschichtlichen Zeit, obwohl es Verheißungen hat, nicht das Weib nicht mit der Sonne bekleidet, vielmehr lebt es in der Finsternis und ist noch dieselbe ehebrecherische, hurerische, verkehrte Art, wie zu Christi Zeiten. Ferner kann der Sturz des Satans aus dem Himmel nicht so spät sein, unmittelbar vor seinem Verschluss in den Abgrund, und muss eine universelle Bedeutung haben als bloß die Bekehrung Israels. Der Satan ist der Fürst der ganzen Welt, und die Bekehrung Israels ist noch lange keinSturz des Weltfürsten aus dem Himmel; Um sie darzustellen, wäre das ein viel zu großer Aufwand von Mitteln, eine den Leser irreleitende Übertreibung. Auch an dem Weibe ferner müsste doch durch die Bekehrung irgend eine merkliche Veränderung vorgegangen sein. Eine besondere Schwäche der Ebrard'schen Erklärung liegt weiter in seiner Auffassung des 14. Verses in seinem Verhältnis zum 6. Die Zeitbestimmung verschieden zu deuten, das wäre etwa an sich noch möglich, aber dass die Wüste das eine Mal Verbannungs-, das andere Mal Bergungsort sei, dass sie das eine Mal das Heidenland des Exils, das andere Mal Jerusalem und Kanaan bedeuten, und dass mithin der 14. Vers gerade das Gegenteil vom 6. besagen soll, mit welchem er fast wörtlich gleich lautet, das ist doch etwas stark. Was die Erde V. 16 bedeutet, die in so sichtbarem Gegensatz zu dem Wasserstrom V. 15 steht, vermag Ebrard nicht zu sagen, er ist geneigt, sie eigentlich zu nehmen und an die Spaltung des Ölbergs (Sach 14:4) zu denken, welche die Gemeinde durchlassen, die Verfolger verschlingen würde (S. 370). Das geht aber deswegen nicht an, weil man sonst auch den Wasserstrom eigentlich nehmen muss. am willkürlichsten endlich verfährt Ebrard mit V. 17. Er deutet die übrigen von des Weibes Samen mit Hofmann auf die Heidenchristen. Wie das bei ihm möglich ist, sieht man nicht ein, da das Weib seit ihrer Bekehrung die Heidenchristen in sich schließt. Diese sind also schon V. 15f. mitverfolgt. Die Schwierigkeit fühlend, will Ebrard den 17. Vers zum folgenden ziehen; aber wie ist dies möglich, da der Drache noch Subjekt desselben ist und auch das Weib noch darin vorkommt.

In der Auffassung des siebenköpfigen Tieres stimmt Ebrard der Hauptsache nach mit uns überein, darin nämlich dass er auch drei Perioden der Weltmacht unterscheidet, die heidnische, die der äußerlichen Christianisierung und die der Entchristlichung, des Antichristentums. Nur betont der hierbei das Papsttum zu stark, und seine Durchführung im einzelnen, namentlich in Bezug auf die zehn Hörner und ihr Verhältnis zum sechsten und siebten Kopf, ist verwickelt und künstlich. Da sollen die zehn Hörner zunächst dem sechsten Kopf seine Todeswunde beibringen, sind also seine Feinde; dann erscheinen sie aber sogleich wieder an ihm als seine Freunde und Vasallen. Später wandern sie dann auf den siebten Kopf herüber und erheben sich noch einmal feindselig gegen den sechsten, der unterdessen zur babylonischen Hure geworfen ist. Das alles ist in der Text nur hineingelegt. Und wir dürfen getrost fragen, ob nicht unsere Auffassung hier viel einfacher und natürlicher ist, ob es nicht namentlich der ganzen Anschauung des Textes besser entspricht, die Todeswunde selbst und nicht ihre Heilung als den Ausdruck für die Christianisierung der Weltmacht anzusehen, denn durch ihre Christianisierung hat sie ja in ihrem tierischen, feindlichen Wesen zu existieren relativ aufgehört. Hiermit sind wir zugleich der Unterscheidung zwischen der Todeswunde und dem Nichtsei, der Heilung und der Wiederkehr des Tiers überhoben, einer Unterscheidung, mit der Ebrard unseres Wissens allein steht, und die ihm nicht eben gelungen ist. Denn wenn der Antichrist nur ein g l e i c h s a m wiederkehrender Antiochus ist, so ist er ja nicht wirklich aus den sieben; und was dann das Nichtsein des Tieres noch für eine Bedeutung haben soll, sieht man vollends nicht ein.

Noch deutlicher tritt das Irrige dieser Unterscheidung beim Pseudopropheten zutage. Dieser ist der Begleiter des siebenköpfigen Tieres von der Heilung seiner Todeswunde an bis zu seinem Sturz in den Feuersee, also nach Ebrard in seiner doppelten Gestalt, der des 13. und des 17. Kapitels, der pseudochristlichen des sechsten Kopfs und der antichristlichen des siebten und des achten. Wenn aber das erste Tier nach seiner Heilung noch zwei so wesentlich verschiedene Phasen durchmacht, warum bliebt das zweite sich so unausgesetzt gleich? Kann das Pseudo-Lamm, also die pseudochristliche Geistesmacht nur so unverändert der Helfershelfer der antichristlichen sein? ja ihr Helfershelfer gerade gegen die pseudochristliche, welche ja auch im 17. Kap. in der Hure immer noch vorhanden ist? Offenbar müsste nach Ebrards Auslegung der Pseudoprophet im 17. -19. Kap nicht auf Seite des Tiers, sondern der Hure stehen. Er selbst hat auch diese Schwierigkeit gefühlt (S. 507), nur nicht gelöst.

Aber diese Auffassung der Hure selbst ist freilich gar sehr in Anspruch zu nehmen. Ebrard hat hier zwar vor den übrigen deutschen Auslegern dies voraus, dass er Babylon als pseudokirchliche Macht, als falsche Kirche erkennt. Allein das tut er weder aus dem rechten Grund, noch auf die rechte Weises. Er kommt zu dieser Anschauung nicht vom Begriff des Weibes, der Kirche, sondern vom Begriff der Stadt, der Roma aus. Dass die babylonische Hure die falsche Kirche ist, sagt ihm nicht die Auslegung, sondern die Erfüllung. Er hat die Wahrheit im Prinzip noch nicht gefunden, wenn er sich ihr auch faktisch nähert. Daher kommt er auf die Seltsamkeit, die Hure mit dem Tier des 13. Kap. zu identifizieren, woraus wir sehen, dass ihm das Grundprinzip der Erklärung, ,die Unterscheidung der Tier- und Menschensymbolik, noch nicht zum Bewusstsein gekommen ist. Es muss hier einfach gefragt werden: was ist natürlicher, das Weib des 17. Kap zu betrachten, welches letztere ohnedies schon im Tier des 17. anerkanntermaßen seiner Fortsetzung hat? Von hier aus zeigt sich aufs Neue, wie Unrecht Ebrards getan hat, das Weib des 12. Kap mit Hofmann auf Israel zu beschränken. Eben daher aber fasst er auch die Hure noch nicht auf die rechte Weise als die abgefallene Kirche. Vom Begriff Roms ausgehend, bleibt er bei der römischen Kirche stehen und fußt so den Begriff zu äußerlich und zu eng. Die Hure ist die untreue Kirche schlechthin, und den Namen der Weltstadt Babylon trägt sie zunächst nicht um ihres geographischen Mittelpunkts, sondern um ihrer inneren Verweltlichung willen, welche sich in der letzten Zeit, wo alle die apokalyptischen Potenzen ein plastische Ausprägung gewinnen, allerdings wieder in Rom konzentrieren mag. Wie wollen doch, indem wir die päpstliche Kirche des Pharisäertums beschuldigen, nicht selbst in den Fehler des Pharisäers fallen, sondern bei unserm evangelischen Zöllnergefühl mit gebeugtem Sinne bleiben.

Dies ist es denn, was wir schließlich gegen Ebrard zu erinnern haben. Es ist offenbar verfehlt, dass er, wie Elliott, die drei Hauptgestalten, das Tier, den Pseudopropheten und die Hure auf das Papsttum bezieht. Man sieht, dass ein französisch-englisches Element in ihm ist; seine Auslegung kann als eine Verbindung der Hofmann'sche mit der Elliott'schen und Gaussen'schen bezeichnet werden. Er selbst fühlt, dass das Papsttum nicht allein in der Apokalypse vorkommen kann, und darum hat er bei dem Tier des 17. Kap. und den parallelen Stellen abgelenkt vom Aberglauben an den Unglauben und Radikalismus. Er hält sich zwar hierbei von dem Fehler Gaussens u. a. nicht frei, die Weissagung zu unmittelbar auf Ereignisse der eben vorliegenden Gegenwart zu beziehen; aber doch hat er, wie gesagt, eine richtige Grundanschauungen sichtbar gemacht, und man kann das Element des Fortschritts nicht verkennen, welches sowohl Hofmann als Hengstenberg gegenüber in seiner Auffassung liegt.

Schluss

Wir haben oben eine englische und eine französische Stimme vernommen. Hören wir noch ein Wort aus Holland! Dr I s a a k da C o s t a in Amsterdam, ein reich begabter Israelit, der den Messias gefunden hat, sagt:*) "Höchst merkwürdig unter den vielen und mancherlei Zeichen ist gewiss auch diese Erscheinung unserer Zeit ist gewiss auch diese Erscheinung unserer Zeit, dass in unsern Tagen viel mehr als je vorher die Herzen zu den prophetischen Büchern des A. und N. T. hingezogen werden. Nie richtet sich so allgemein die Aufmerksamkeit der Christen aller Orten auf das Studium der noch unerfüllten Weissagungen. Dieses Interesse, dieses Forschen macht in der Geschichte der Kirche das Charakteristische einer ganz neuen Epoche aus, deren Anfang man ans Ende des 18. Jahrunderts setzten kann, und deren stets zunehmende Entwicklung man in unserm 19. besonders bemerkt. Sie fällt also mit derjenigen zusammen, welche in der Weltgeschichte die Periode der Revolutionen genannt wird. Aber nicht weniger merkwürdi ist das Verhältnis derselben zur christlichen Kirche. Während der Unglaube die Grundpfeiler des Papsttums erschüttert, während er in den verfeinerten Formen des Philosophie, Rationalismus und Mythizmus die protestantischen Kirchen untergräbt, erhebt sich auf einmal ein neues Panier, um dem Glauben, dem Eifer und dem Interesse der Christen einen Vereinigungspunkt zu bieten. Von allen Seiten lassen sich Stimmen hören, welche zu einer neuen Würdigung, einer neuen und tieferen Untersuchung der Offb. Joh. aufrufen. Nicht länger genügen bloß vergeistigte Auslegungen der alten Propheten Israels, welche in Christus teils bereits erfüllt, teil noch zu erfüllen sind. Diese Stimmen fordern auf zu einer zugleich wesentlicheren und einfältigeren Auffassung der unfehlbaren Gottesworte, die nicht allein von einer individuellen Bekehrung und himmlischen Glückseligkeit, sondern von einer wirklich Herrlichkeit und Herrschaft Christi als König über Israel und über alle Völker zeugen und große Ereignisse beschreiben, welche dieses Königreich vorbereiten, darstellen und bezeichnen werden."

  • ) In seiner Schrift: Israel und die Völker, eine Übersicht der Geschichte der Juden bis auf unsere Zeit, aus dem Holländischen von einer Freundin des göttl. Wortes ins Deutsche übertragen und zum Druck befördert von K. Mann. Ersten und zweiten Buch. Frankf. Brönner, 1854 S. 8f.

Einen Beitrag zur Lösung der hier richtig bezeichneten Aufgabe möchte auch unsere vorliegende Schrift geben, sowohl durch den historischen Überblick über die neuere Arbeit an der Apokalypse als durch die eigene Auslegung. Was die letzter betrifft, so ist das Eigentümliche derselben, wovon sie ausging, die Deutung der babylonischen Hure in ihrem Zusammenhang mit dem Weib des 12., wie des 19. und 21. Kapitels. Diese Erkenntnis fehlte bisher bei allen drei Etaffen der deutschen Auslegung. Was die letztere betrifft, so ist das Eigentümliche derselben, wovon sie ausging, die Deutung der babylonischen Hure in ihrem Zusammenhang mit dem Weib des 12., wie des 19. und 21. Kapitels. Diese Erkenntnis fehlte bisher bei allen drei Etaffen der deutschen Auslegung,nicht nur bei E w a l d und d e W e t t e, sondern auch bei B e n g e l, H o f m a n n, H e n g s t e n b e r g und im Grunde noch bei E b r a r d. Dagegen fanden wir sie bei G a u s s e n, bei Z e l l e r von Beuggen und in manchen andern populären Schriften bestätigt. Man wüsste auch in der Tat nicht, worüber man sich mehr wundern sollte, darüber, dass alle die Geistesmenschen sich geirrt hätte, welche in der Apokalypse irgendwie die Verweltlichung der Kirche geweissagt fanden, oder darüber, dass die Apokalypse wirklich eine solche Weissagung nicht enthielte, während doch die prophetischen Aussprüche Jesu und der Apostel voll davon sind (Mt 24; 2Tim 3; 2Petr 2 u. 3; 1Jo 2). Möchte nun die geistliche Deutung der Hure eine bleibende Errungenschaft für die deutsche Auslegung der Apokalypse werden!

Weiter galt es, diese Entdeckung mit der H o f m a n n - H e n g s t e n b e r g 'schen Auffassung des siebenköpfigen Tieres zu kombinieren, und so ergab sich von selbst unsere Fassung der Todeswunde und ihrer Heilung, welche zugleich die Antwort auf die bei Daniel offen gebliebene Frage brachte, ob denn die Weissagung wirklich die christliche Weltmacht von der heidnischen gar nicht unterscheide.? Wie einfach sich von hier aus alles ordnete und erklärte, wird die oben gegebene Auslegung gezeigt haben, deren Hauptzweck war, die apokalyptische Symbolik in ihrem Zusammenhang mit der danielischen endlich auf feste Prinzipien zu stellen. Im einzelnen haben wir noch dies und jenes unbestimmt gelassen, weil wir selbst noch nicht überall sicher sind, und weil es uns zunächst eben nur auf die Durchführung des Prinzips ankam.

Es handelt sich aber nicht bloß darum, die Exegese weiter zu führen und dem Worte Gottes in einem bisher vernachlässigten Punkt die Ehre zu geben; noch auch bloß darum, einen Lokus der Dogmatik vollständiger durchzuarbeiten. Auch nicht darum nur handelt es sich, schriftgemäße Grundgedanken von der Welt- und Kirchengeschichte zu gewinnen und danach die Zeit, in der wir selber leben, um Licht des WortesGottes betrachten zu lernen. Gewiss sind diese Punkte an sich schon wichtig genug, und wenn sie auch mehr nur die theoretische Seite der Sache betreffen, so wissen wir ja, dass jede biblische Erkenntnis auch Leben und Frieden, Kraft und Trost mit sich führt. Um was es sich aber vorzüglich handelt, das ist die praktische Wichtigkeit dieser Erkenntnisse. Sie sind für unser ganzes christliches und kirchliches Tun von durchgreifender und entscheidender Bedeutung; sie sind ein ernstes Gericht über so vieles, was in unseren Tagen nicht bloß von den Feinden in ihrem Grimm, sondern auch von vielen Freunden des Reiches Gottes geschieht, in wohlmeinender Absicht, aber ohne die gehörige Erkenntnis der Wege Gottes, die wir haben könnten, und für deren Nichtbeachtung wir auch verantwortlich sind.

Die Offb Joh die ja der Kirche zu einem Licht auf ihrem dunklen Wege bis zur Zukunft des Herrn gegeben ist (2Petr 1:19), verdient und erheischt auch in praktischer Hinsicht weit mehr Beachtung und Befolgung, als sie bisher gefunden hat. Freilich steht hier die Verschiedenheit der Auslegungen immer im Wege, und dieses Hindernis wird sich jedenfalls nur sehr allmählich heben lassen. Allein so viel ist wohl wenigstens aus der bisherigen Entwicklung klargeworfen: was in dem heiligen Buch uns vorgehalten wird, das istkeine vereinzelte und aparte Lehre, welche sonst der Bibel fremde wäre, sondern es ist nur die bestimmte Ausbildung und Durchführung der eigentlichen Grundwahrheiten, die im A. und N. T. stets wiederkehren; es sind die altbekannten Gestalten des Heidentums, des untreuen Israels und des Restes der Gläubigen, es sind Pharisäismus und Sadduzäismus, Jünger, Hohepriester und Landpfleger, Kreuz und Auferstehung, die uns hier wieder begegnen; es sind so einfache Sätze, wie die von der engen Pforte und dem schmalen Weg, von der Erwählung dessen, was nichts ist vor der Welt, von der Vergänglichkeit des Sichtbaren und der Ewigkeit des Unsichtbaren, von der größeren Verantwortlichkeit dessen, dem viel anvertraut ist, vom Glauben und Dulden im Gegensatz zum Schauen und Herrschen usw. Das Wort der Weissagung ist nichts anderes als die praktische Anwendung und die geschichtliche Ausbreitung solcher Grundwahrheiten. Mag man also auch immerhin über diesen oder jenen Punkt der Auslegung streiten, den wesentlichen Wahrheiten wird man sich darum nicht zu entziehen vermögen. Und wenn wir nur vollen Ernst mit ihnen machen, dann werden wir auch ihre volle Kraft erfahren.

Alles konzentriert sich in dieser Beziehung auf die gehörige Unterscheidung von Kirche und Reich, welche mit der von Dulden und Herrschen, von Kreuz und Auferstehung zusammenfällt, oder mit andern Worten um die Anerkennung der Lehre vom tausendjährigen Reich. Wer nicht glaubt, dass der Herr selbst durch seine Zukunft seinem Reich noch auf Erden zu Sieg und Herrschaft helfen wird, der meint dies hohe Ziel durch eigene Tätigkeit erreichen zu müssen und vergisst das "ohne Menschenhand". Darauf beruhen gegenwärtig die subtilsten, die kräftigsten Irrtümer, welche gerade den Auserwählten gefährlich werden. Es sind das nicht die widerchristlichen Verführungen, welche die Offenbarung als tierische schildert, Pantheismus, Materialismus, Revolutionsgeist, Sozialismus u. dgl. obwohl diese noch viel gefährlicher werden, wenn sie einmal die Macht in ihre Hände bekommen. Sondern unter christlichem Gepräge, ja im Namen des Christentums und, wie man meint, um des christlichen Gewissens willen geschieht jetzt vieles, was demjenigen, der in Gottes Wort die unwandelbare Richtschnur für die Kirche erkennt, bedenklich erscheinen muss. Die unsichtbare Kirche sichtbar zu machen und das Weltreich jetzt schon ins Gottesreich zu verwandeln, das ist unter uns ein weit verbreitetes Bestreben. Es zieht sich ein Zu römischer Hurerei tief in den Protestantismus herein, auf eine immer feinere Weise, nicht nur bei denen, die mit Rom liebäugeln, sondern oft ach bei denen, die wider dasselbe zu Felde liegen.

Ob man das Reich Gottes mit Maßstäben der Weltgeschichte misst statt umgekehrt, ob man die Kirche an die weltliche Gewalt verkuppelt oder sonst weltlich triumphieren sehen will, ob man die Torheit und Schmach des Kreuzes vom Evangelium hinweg nehmen und durch Konzessionen das Christentum aller Welt mundgerecht machen, ob man durch Bekenntnis, Liturgie u. dgl. oder gar durch apostolische Ämter und Wundergaben eine äußerlich fertige Kirche herstellen will: das alles sind nur verschiedene Formen eines Geistes, die einander oft gerade um ihrer inneren Verwandtschaft willen gleich Grenznachbarn aufs Bitterste befehden. Man zuckt von diesen Seiten her über den Chiliasmus als phantastisch und schwärmerisch die Achseln, und er kann ja freilich auch so getrieben werden und ist schon so getrieben worden. Aber es fragt sich, was phantastischer ist, auf dem gewöhnlichen Geschichtsweg und von menschlicher Tätigkeit die allgemeine Herrschaft des Christentums zu erwarten oder auf den kommenden Herrn zu hoffen (Jes 25:9). So vieles, was man für Siege des Christentums hält, und umgekehrt wird es immer mehr Niederlagen desselben geben, welche vielmehr Siege sind, weil Erfüllungen seiner Weissagungen. Da werden dann Proben von uns gefordert werden, was wir am Christentum lieben, das was sichtbar davon ist und vor den Menschen gilt, oder das Unsichtbare und Ewige.

Aber allerdings gibt es bereits auch noch subtilere Irrtümer, welche vom prophetischen Gesichtspunkt aus doch wieder auf eine Veräußerlichung fallen und auf überprotestantischem separatistischem Wege zu dem katholisierenden Prinzip der Sichtbarkeit zurückkehren. Es gibt Brüder, welche den Schaden Josephs mit hellem Geistesblick durchschauen, und welche des Volkes Lammer in seinem Elend; aber sie wollen nun, die biblische Nüchternheit und Zucht verlierend, dem Herrn dadurch entgegen gehn, dass sie ohne göttlichen Befehl aus Babel aus- und wohl gar nach Jerusalem ziehen, als wäre es unsere und nicht der Engel Sache, die Auserwählten zu sammeln (Mt 13:28ff. 39ff. Mt 14:30f.).

Wir alle, die wir das prophetische Wort lieben wollen's uns doch immer wieder gesagt sein lassen, über dem, was wir noch hoffen, dessen nicht zu vergessen, was wir schon haben, damit uns nicht die Weissagung zur Liebhaberei und zum Kitzel werde. Sie soll im Verhältnis zu den übrigen Wahrheiten, den Grundwahrheiten des Christentums unsern Herzen keinen größeren Raum einnehmen als die Hl. Schrift. Unser Wahlspruch sei das apostolische Wort: Es i s t e r s c h i e n e n die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und züchtigt uns, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und Züchtig, gerecht und gottselig leben in der jetzigen Weltzeit, w a r t e n d auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christi. Tit 2:11-13.

Es wird jetzt fast allen Christen so schwer, dem Herrn stille zu halten; aber es gilt, anzuerkennen: wir stehen in einer Zeit hereinbrechender Gerichte, und unseres Aufgabe ist nur die, wachende und betende Zeugen des kommenden Herrn zu sein. Es gilt für unsere, wie für Jesajas (Jes 30:15) Tage: Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Müßig bleiben wir darum nicht, wir legen nicht die Hände in den Schoß, wir machen uns nur keine Illusionen. Wir wollen im Kleinen treu sein und das Große uns nicht selbst nehmen, sondern warten, bis der Herr es uns anvertraut. Aber es gibt noch allenthalben wahrheitsliebende Seelen genug, die sich retten lassen. Je weniger wir ins Hohe und Weite streben und unsere Kraft ins Äußere vergeuden, desto mehr wesentliche Frucht für die Ewigkeit werden wir schaffen, und alles andere ist ja nichts, es verweht wie Spreu von der Sommertenne. Zeugen bedarf unser Geschlecht, die in Geist und Kraft der Propheten zu reden wissen, Männer, welche in dem Riss stehen in der Stunde der Versuchung, die kommen wird über der ganzen Welt Kreis. O, dann müssen wir stark sein in dem Herrn und in der Macht Seiner Stärke, dass wir überwinden; dann müssen wir unsere Häupter aufheben können in seliger Hoffnung und Freude, weil wir wissen, dass unsere Erlösung naht. Dazu mache der barmherzige Gott uns tüchtig in lauterem Verständnis und treuer Übung des apokalyptischen Grundworts: Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen!

Beilage von Magnus Friedrich Roos

1.) Die Weltzeiten lassen sich nach verschiedenen Ansichten entweder in die Zeiten vor und nach Christi Geburt, oder vor und nach der Sündflut, oder in die Zeiten vor der Gebung des Gesetzes, unter dem Gesetz und des Neuen Testaments, oder auch anders einteilen; wenn man aber das Reich Gottes in Verbindung mit den häuslichen und politischen Anstalten betrachtet, so kann man es auch als ein fügliche Einteilung gelten lassen, und gehörigen Ortes gebrauche, wenn man die W e l t z e i t e n in vier T ei l e einteilt, wovon der erste von Adam bis auf den Ausgang der Kinder Israels aus Ägypten, der andere von da an bis auf den Anfang der babylonischen Dienstbarkeit, der dritte von da an bis an den Anfang der glückseligen tausend Jahre (Offb 20.) reicht, der vierte aber diese tausend Jahre selber in sich begreift, und bis an das Ende der Welt hin währet.

Die Zeit der Hausväter

2.) In dem ersten Teil der Weltzeiten hat Gott zuerst alle Menschen, und danach wenigstens den besten Teil derselben, nämlich die Geschlechter der Patriarchen allein durch die H a u s v ä t e r regiert; denn vor Nimrod weiß man von keinem Königreich, und nach ihm waren die Weltreiche lange Zeit noch rar auf Erden. Hiob, Abraham, Isaak und Jakob hatten keinen Oberherrn in der Welt, sondern waren freie Leute.

3.) Auch in Ägypten wohnten die Kinder Israels vorerst als Fremdlinge oder Gäste (Ps 105:23; Apg 7:29; 1Mo 15:14) und nicht als Untertanen, weswegen die Tyrannei, welche die Könige in Ägypten über sie ausübten, und der Zwang, womit sie desselben von dem Ausgang aus Ägypten abhalten wollten, höchst ungerecht war. Bis zu diesem Ausgang war also die Regierung der Hausväter das hauptsächlichste, was unter den Menschen eingeführt war, obwohl unter den Heiden, früher oder später, auch Königreiche, die der Größe oder der Dauer nach verschieden waren, aufgerichtet wurden, wozu der Turm in Babel die erste Veranlassung gegeben hat.

Die alttestamentliche Theokratie

4.) Der zweite Teil der Weltzeiten war die Zeit der f r e i e n und alltestamentlichen T h e o k r a t i e, oder der freien königlichen Regierung Gottes über sein Volk Israel nach dem Recht des Alten Testaments. Gott fasste damals die Kinder Israel, die nun sehr zahlreich geworden waren, zusammen, dass sie ein Volk, und zwar sein Volk und priesterliches Königreich sein sollten. Er ließ nicht mehr jeden Hausvater sein Haus mit der höchsten Gewalt regieren, sondern er gab allen Kindern Israels Gesetze und Rechte, welche Moses, die Ältesten, die Priester, die Richter und die Könige handhaben und zur Erfüllung bringen sollten, ohne etwas dazu oder davon zu tun. Er selbst aber wollte Israels König heißen. Hier hatte man also ein schichtbares Reich Gottes auf Erden, welches vor der ganzen Welt mit seinen heiligen Gesetzen und Rechten leuchten, und alle Menschen zum Glauben an Jehova, der aller Welt Gott ist, herbeilocken sollte.

5.) Diese Zeit nenne ich die Zeit der alttestamentlichen Theokratie, weil auch noch auf eine neutestamentliche zu hoffen ist s. 7.). Ich nenne sie eine freie Theokratie, weil das Volk Israel in dieser Zeit keine rechtmäßige Oberherrschaft eines fremden Volkes oder Königs über sich anerkennen durfte. Zwar gab es zu den Zeiten der Richter ab und zu eine Dienstbarkeit, und also eine Unterwürfigkeit Israels unter ein fremdes Volk: allein solche Zeiten der Dienstbarkeit waren kurz gegen die übrigen Zeiten der Freiheit. Sie waren wie eine Ausnahme von einer Regel, welche die Regel nicht aufhebt, sondern einschränkt. Die fremden Könige, welche Israel bezwangen, waren als Räuber anzusehen, die dem Volk Israel aus göttlichem Verhängnis eine Zeitlang Gewalt antaten und nicht als ordentliche Regenten Israels; deswegen wurden, sobald Israel Buße tat, Richter von Gott erweckt, die diese Räuber verjagten oder gar töteten. Zur Zeit der Könige Israels ist nie ein fremdes Volk zur Herrschaft über ganz Israel gelangt, bis zur Zeit der babylonischen Monarchie, oder bis zum vierten Jahr Jojakims. Von da an hörte zwar die Theokratie nicht ganz auf, wie dann die Juden nach der Wiederkunft aus Babel die göttlichen Polizeigesetze, so viel es sich tun ließe, unter der Aufsicht ihrer Ältesten und Priester beobachteten; doch blieben sie dabei den Persern, Griechen und Römern untertan, und keine Buße, kein Eifer im Gottesdienst, kein Glaube an des Wort der Propheten, oder Christi selbst und der Apostel machte sie mehr von dieser Untertänigkeit frei: bis endlich die Theokratie völlig durch die römische Zerstörung Jerusalems aufgehoben wurde.

Die Zeit der Dienstbarkeit

6.) Die freie Theokratie hörte im ersten Jahr Nebukadnezars und im vierten Jahr Jojakims, des Königs von Juda, auf, denn damals fiel das jüdische Volk nach Gottes heiligem Willen unter die Herrschaft der Babylonier. In diesem Jahr, welches das 3328. Jahr der Welt war, fingen die 70 Jahre der babylonischen Dienstbarkeit an, wie der selige D. Bengel in seinem Ordine Temporum bewiesen hat. Die drei letzten Könige der Juden, Jojakim, Jechonia und Zedekia waren mit ihren Untertanen den Babyloniern unterworfen, und wenn sie ihnen abtrünnig wurden, so ging es ihnen nicht mehr, wie vormals dem König Hiskia (2Kö 18:7), sondern weil es der Wille Gottes war, dass sie den Babyloniern dienen sollten (s. Jer 27:9-11), so kam ihnen ihr Widerstreben und Abfall teuer zu stehen, und gelang ihnen nicht, wie es allen denen geht, die sich nicht in die Wege Gottes schicken, und die Zeichen ihrer Zeit nicht in achtnehmen wollen. Von da an ist also das jüdische Volk den Heiden unterworfen und zerstreut geblieben. Nach der babylonischen Gefangenschaft, welche die 70 Jahre der babylonischen Dienstbarkeit zu einer besonders harten Zeit machte, kam zwar ein Teil des jüdischen Volks wieder in sein Land: es wurde aber das ganze Volk nicht mehr versammelt, und was die Makkabäer eine Zeitlang zur Befreiung Israels vor der griechischen Herrschaft wagten und taten, war als eine kleine Hilfe (Dan 11:34) und als eine Ausnahme von der Regel anzusehen. Also ist dann der dritte Teil der Weltzeiten die Z e i t der D i e n s t b a r k e i t und Z e r s t ö r u n g des heiligen V o l k s.

Die neutestamentliche Theokratie

7.) In dem vierten Teil der Weltzeiten wird das Volk Israel wieder bekehrt, versammelt, von aller fremden Herrschaft befreit, mit vielen geistlichen und leiblichen Gaben Gottes begnadigt, und zu einer neutestamentlichen T h e o k r a t i e, welche die größte Herrlichkeit auf Erden ist, eingerichtet werden.

8.) Als die Hausväter allein regierten, wurde der E r l ö s e r durch Aussprüche Gottes, die von einem Samen handelten, verheißen. So war es zu der selben Zeit üblich. Denn was liegt Menschen, die in keiner bürgerlichen Einrichtung stehen, mehr am Herzen als ihr Same? Ein Stammvater und sein Same waren damals die zwei wichtigsten Namen auf Erden. Darum sprach Gott zur Freude der Menschen: Eva werde einen Samen haben, der der Schlange den Kopf zertreten werde, und Abraham werde einen Samen haben, durch den alle Geschlechter der Erde gesegnet werden. Doch weissagt Henoch, als die Bosheit auf der Erde gestiegen war, auch von der Zukunft des Herrn als eines Richters Judith 14:15 [1] und Jakob, da er von der künftigen Herrschaft seiner Nachkommen im Lande Kanaan weissagte, nannte in dieser Aussicht den Erlöser einen Schilo oder Friedefürsten, dem die Völker anhangen werden. Als aber Moses, der Prophet, Israels Heerführer war, so weissagte er von dem Messias als einem Propheten, [5Mo 18:18], und als das davidische Königreich im Schwange ging, wurde Christus im Ps 2. und sonst häufig als ein König verheißen, gleichwie auch damals von seinem ewigen Priestertum geweissagt wurde (Ps 110:4), weil das levitische Priestertum unter Israel aufs Beste im Gange war. Die folgenden Propheten, die unter den Königen Juda und Israel lebten, erläuterten diese Weissagung noch mehr, und zwar so, dass sie den zukünftigen Heiland fast überall als einen König anpriesen. Die letzten Propheten Hesekiel, Daniel, Haggai, Zacharias und Maleachi, welche das Ende des jüdischen Reichs erlebt hatten, nannten den Erlöser einen Hirten, Gesalbten, Engel, Zämach. Sie verschwiegen sein Königreich nicht, doch redeten sie sparsamer davon, und unterschieden die Zeiten, worin sein Reich stufenweise auf Erden kommen werde, deutlicher als die vorigen Propheten, so, dass man ihre Weissagungen zum Verständnis der vorherigen sehr nötig hatte.

Endlich kam der längst erwartete Erlöser, der Anfang und das Ziel aller Weltzeiten, das Heil der Welt und der Erstatter des Falles, Jesus Christus der Sohn Gottes, in die Welt, und führte das Werk der Erlösung aus. Diese Erscheinung des Lebens bei den Toten, des Lichts bei den Blinden, des Heilandes bei den Sündern, macht den dritten Teil der Weltzeiten, ob er schon sonst seinen Namen von der Dienstbarkeit und Zerstreuung hat, für alle, die erkennen, was zu ihrem Frieden dienet, zu einer gnadenreichen Zeit. Aber in dem vierten Teil der Weltzeiten wird der Heiland unter Israel, und dann auch unter den Nationen noch herrlicher offenbart werden. Die Fülle oder volle Menge der Heiden wird in das Reich Gottes eingehen, und ganz Israel selig werden Röm 11:25. Israel wird sich aufmachen und Licht werden, denn sein Licht wird kommen, und die Herrlichkeit des Herrn wird über ihm aufgehen. Die Heiden aber werden in seinem Lichte wandeln, und die Könige im Glanze, der über ihnen aufgeht Jes 60:1.

9.) Unter der Regierung der Hausväter gab es wenige Berichte, wodurch dem B ö s e n ein gewaltsamer Einhalt getan, oder dasselbe g e s t r a f t werden konnte. Denn obschon aus 1Mo 38:24 erhellet, dass Juda allein aus hausväterlicher Gewalt, seine Schnur, Tamar um der Hurerei willen am Leben habe strafen wollen, so ist doch nicht wahrscheinlich, dass dergleichen Lebensstrafen und andere scharfe Zwangsmittel damals häufig gebraucht worden seien, wie wir denn von diesem Gebrauch kein Exempel in der Hl. Schrift finden. In den zuletzt aufgekommenen Königreichen der Heiden gab es zwar bürgerliche Strafen, wie die Geschichte Josephs anzeigt, auch fing man an, einige, wiewohl kurze Kriege zu führen, sonst aber lebten die Menschen in großer Freiheit. Zu dieser Verfassung nun, worin das obrigkeitliche und das Kriegsschwert teils garnicht, teils wenig gebraucht wurde, schickten sich wohl außerordentliche Strafen Gottes. Die erste Welt wurde so mit der Sündflut gestraft, Sodom und Gomorra mit Feuer, Pharao und Abimelechs Haus mit Plagen, 1Mo 12:7. Ägypten und Pharao vor und beim Abzug der Kinder Israel mit sehr großen Plagen und dem Tode selbst, und da die Theokratie in der Wüste noch nicht recht befestigt war, und die von Gott gesetzte Obrigkeit das Schwert noch nicht recht führen durfte, so griff Gott noch immer mit außerordentlichen Strafen darein. Unter der freien Theokratie aber, und zur Zeit der Dienstbarkeit des heiligen Volks, haben die Gerichte Gottes in diesem Stück meistenteils eine andere Gestalt bekommen.

Das Schwert, welches jetzt die Obrigkeit in der Scheide führt, und auf gerechte Art brauchen kann und soll, Tyrannen, welche ein sündiges Volk plagen, und auswärtige Feinde, welche ein solches mit Krieg anfallen, sind jetzt neben den ordentlichen Plagen der Teuerung und Krankheiten die gewöhnlichen Mittel, wodurch Gott seine Straf-Gerechtigkeit an ganzen Völkern zeigt, und wodurch er eben das ausrichtet, was das wunderbare Feuer bei Sodom, das Wasser bei Pharao und seinem Heer, und die Erde bei Korach und seiner Rotte auf seinen Befehl ausrichten mussten. Zur Zeit der freien Theokratie des Alten Testaments wurden die Strafgerichte Gottes durch die göttlichen Gesetze, durch das Licht und Recht, und durch das Wort der Propheten, die Gott erweckte, ins Licht gesetzt, gedroht, oder auch auszuführen befohlen: seitdem aber das Volk Gottes zerstreut ist, und von vielerlei Regenten nach mancherlei meistens heidnischen Gesetzen, oder nach Willkür mächtiger Menschen, die Gott zu Werkzeugen seiner Hand macht, regiert wird, offenbart sich die Strafgerechtigkeit, die immer dieselbe bleibt, auf eine mehr verborgene Art. Meistens fällt ein Grausamer in die Hand eines anderen, der auch grausam ist: ein Ungerechter wird durch die Ungerechtigkeit anderer bezahlt: ein Stolzer unterdrückt den anderen, ein Geiziger beraubt den andern, wo er dazu kommen kann.

Die Welt fragt meistens nicht nach dem Wort Gottes, und doch erfüllet sie dasselbe in seinen Drohungen, ohne dass sie es weiß und begehrt. Doch sei auch dem Herrn gedankt, dass er auch noch gute Gesetze und Rechte in allen Ländern erhält, nach welchem viel Böses, sonderlich an dem gemeinen Volk gerechterweise gestraft wird. Von den Gerichten Gottes, die in den letzten tausend Jahren der Welt ausgeführt werden, sind Jes 60:12; Jes 65:20; Sach 14:17, Hes 38:19-23; Offb 20:7-10 Spuren anzutreffen. Sonst aber heißt es von dieser Zeit Jes 60:18: Man soll keinen Frevel mehr hören in deinem Lande, noch Schaden oder Verderben in deinen Grenzen; sondern deine Mauern sollen Heil, und deine Tore Lob heißen; und Jes 2:4: Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen, und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben, und werden fort nicht mehr kriegen lernen. Du wirst ferne sein von Gewalt und Unrecht, dass du dich dafür nicht dürfest fürchten: und von Schrecken, denn es soll dir nicht nahen.

Offenbarungen Gottes

10.) Gleichwie also die Gerichte Gottes, wodurch das Böse auf Erden gestraft und gedämpft wird, in den verschiedenen Zeitläufen auf verschiedene Art ausgeübt worden sind. also sind auch die W e g e , worauf Gott seine Kinder führt, verschieden gewesen. Dazu gehören dann erstlich die O f f e n b a r u n g e n Gottes nach ihren verschiedenen Arten und Stufen. Unter der Regierung der Hausväter hatte man kein geschriebenes Wort Gottes, denn die Schrift fing mit der Theokratie an. In dem ganzen ersten Buch Mose wird der Liebe gegen Gott nicht gedacht, obschon die Herzen der Patriarchen nicht ohne dieselbe waren. Weil aber noch kein geschriebenes Gesetz vorhanden war, aus welchem der Eifer Gottes wider die Sünde zu erkennen gewesen wäre, und die meisten Menschen noch keinen Oberherrn auf Erden hatten, der das Böse an Gottes statt rächen konnte: so wird es den Patriarchen zum besondern Lob nachgerühmt, dass sie dennoch Gott gefürchtet haben. Darum sagte der Engel zu Abraham, da dieser seinen Sohn Isaak schlachten wollte: Nun weiß ich, dass du Gott fürchtest, 1Mo 22:12. Und Jakob schwor dem Laban bei der Furcht seines Vaters Isaak, d. i. bei dem Gott, den Isaak fürchtete, 1Mo 31:54 conf. v. 42 und 1Mo 20:11; 1Mo 42:18.

Nachdem aber Gott sich bei der Gesetzgebung auf dem Berge Sinai als ein eifernder und schrecklicher Gott geoffenbart, und die Menschen in große Furcht gesetzt hatte, so wurde das Gebot von der Liebe Gottes ausdrücklich dazu getan, damit die Menschen in der Furcht nicht zu weit gehen, und bei dem knechtischen Schrecken vor Gott stehenbleiben möchten; gleichwie hernach im Neuen Testament, da der Glaube kam, wie Paulus Gal 3:23 redet, das ist, da das verheißene und erwartete Heil in Jesu Christo nun da war, auch der Glauben, wiefern er in der Seele ist, mehr ins Licht gesetzt, getrieben und geübt wurde. Als die Hausväter regierten, erschien Gott, wenn er sich sehen ließ, so wie es sich in der hausväterlichen Einrichtung schickte. Er kam als Gast mit zwei Engeln zu Abraham, wie sonst Väter ihren Kindern zu tun pflegten. Er redete mit ihnen von ihrem Samen. Er erschien dem Jakob auf der Spitze einer Leiter oder Treppe, die von der Erde bis gen Himmel ging, und worauf die Engel auf und nieder stiegen, wie in einem Hause zu geschehen pflegt. Er erschien endlich eben diesem Jakob als ein Mann, rang mit ihm, und gab ihm den Namen Israel. Aus diesem allen leuchtete eine große Leutseligkeit Gottes hervor, bei welcher es umso schöner war, dass die Patriarchen Gott herzlich gefürchtet, und also seine Leutseligkeit nicht missbraucht haben.

Als nun aber Gott vorhatte, eine neue Einrichtung unter den Menschen zumachen, und sie zu der Erkenntnis seines Sohnes als ihres Erlösers näher zuzubereiten, so offenbarte er sich auf dem Berge Sinai ohne Bild und Gleichnis, unter Donnern und Blitzen als ein heiliger und schrecklicher Gott. Damals wurde offenbar, wie weit der Sünder nicht nur als Staub und Asche, wie Abraham sagte, sondern als Sünder von Gott entfernt sei, und wie viel es koste, wenn ihm der Zugang zu dem heiligen Gott geöffnet und geschenkt werden sollte. Es wurden also die mühsamen Anstalten des levitischen Gottesdienstes als Vorbilder auf Christum eingerichtet, damit man aus denselben die Heiligkeit Gottes, den Gräuel und die Mannigfaltigkeit der Sünden, und die Notwendigkeit und Beschaffenheit einer Versöhnung erkennen, und also zur Erkenntnis Christi und seiner blutigen Erlösung geleitet werden möchte. Weil aber Gott zu gleicher Zeit das Volk Israel zu seinem Königreich erwählte: so machte er auch königliche Anstalten, gab königliche Gebote und Rechte, ließ sich die Bundeslade mit dem Gnadenstuhl und den Cherubim als einen Thron, die Stiftshütte und hernach den Tempel als seine königliche Wohnung zurichten, und erwählte hernach die Stadt Jerusalem zu seiner Residenz. Das erste mal wird er 2Mo 15:18 König genannt, gleichwie er hernach, als das Volk Israel viel zu streiten hatte und ein kriegerisches Volk wurde, der Herr Zebaoth, das ist der Herr der Kriegsheere genannt worden ist, welcher Name das erste mal 1Sam 17:45 vorkommt.

Sehr oft hat der Herr hernach durch den Mund Davids von seinem Königreich geredet. Im Jahr, da der König Usia starb, sah Jesajah den Herrn als einen unsterblichen König seines verwaisten Volkes auf einem hohen und erhabenen Thron über dem Tempel in Jerusalem sitzen, und als es an dem war, dass dieser Tempel sollte zerstört werden, so sah Hesekiel den Herrn über den Cherubim auf einem Thron sitzen, und von dem Tempel wegweichen, Hes 1:26; Hes 10:19; Hes 11:22.23. Alle diese und noch andere Erscheinungen waren der Zeit, worin sie geschahen, gemäß, und von denjenigen Erscheinungen, die den Patriarchen als Hausvätern widerfuhren, gar sehr unterschieden. Der königliche Thron Gottes wurde immer mit dem Tempel verbunden, wie es auch im Gegenbild Offb 7:15 geschieht, weil Christus auf seinem Throne sowohl herrschen, als Priester sein (Sach 6:13) und das Volk, dessen König der Herr ist, man nicht anders als durch eine priesterliche Versöhnung sich zu ihm nahen darf. Allemal ging eine sonderliche Not vorher, wenn eine neue Erscheinung und Offenbarung Gottes geschehen, oder ein neuer Name desselben kundwerden sollte; weil es dabei nicht auf die Stillung eines Vorwitzes, sondern auf einen Trost, den nur die gedemütigten Seelen empfangen können, und also auf Glauben, Geduld und Hoffnung angesehen war. Als hernach die freie Theokratie unter den Menschen aufgehoben, und das Volk Gottes der Oberherrschaft der Babylonier, Perser, Griechen und Römer übergeben wurde, hörte Gott nicht auf, König seines Volkes zu heißen, s. Sach 9:9, wie denn auch der Heiland in seiner Erniedrigung vor Pilatus ein gutes Bekenntnis von seinem Königreich ablegte; auch hörte der Name Herr Zebaoth nicht auf, welcher nirgends so häufig vorkommt, wie in den Büchern der Propheten Haggai, Sacharja und Malejachi, die durch diesen Namen ohne Zweifel der Furcht begegnen wollten, welche die Juden als ein armes und verachtetes Volk vor der Macht der Heiden hatten, und ihnen bezeugen, dass ihr Gott, an den sie glaubten, noch Heere genug habe, sie zu schützen, ob sie gleich selbst keine weltliche Macht mehr haben, womit sie den Feinden die Spitze bieten könnten.

Überdies hat sich bald darauf der Sohn Gottes selber unter den Menschen in der angenommenen Menschheit geoffenbart, ist vor ihren Augen herum gewandelt, hat gearbeitet, gelehrt und Wunder getan, mit ihnen gegessen und getrunken, ist als der Engel des Bundes in den Tempel gegangen, hat darin gelehrt, und ihn gereinigt, und endlich vor den Augen der Menschen seinen Lauf durch Leiden und Sterben, durch das Begräbnis, Auferstehung und Himmelfahrt vollbracht. Diese Herablassung des Sohnes Gottes zu den Menschen ist viel größer gewesen als alles, was die Patriarchen davon erfahren haben. Haben diese einen Besuch von dem Sohn Gottes in einer menschlichen Gestalt bekommen: so währte derselbe nicht lang; sie bekamen dabei zwar tröstliche Verheißungen, das Werk der Erlösung aber wurde nicht ausgeführt, gleichwie auch die von dem Herrn angenommene menschliche Gestalt noch nicht diejenige menschliche Natur war, die er mit seiner Gottheit persönlich vereinigen, und auf seinen Thron erheben wollte, sondern nur ein Vorbild derselben war. Als aber der Sohn Gottes in der Fülle der Zeit Fleisch wurde, so wohnte er 33 Jahre lang unter uns, verband die Menschheit mit seiner Gottheit auf eine unauflösliche Art, und führte das allerwichtigste Werk der Erlösung aus. Gleichwie er aber auf Erden Vieles sowohl in Gleichnissen, als auch ohne Gleichnisse von dem Himmelreich, oder von seinem Königreich geredet hatte: also sah auch Johannes Offb 4. den Thron Gottes, sowohl den Vater als das Lämmlein und den heiligen Geist auf demselben, und hörte zugleich vieles von der zukünftigen Regierung Gottes. Also ist denn in dem dritten Zeitlauf, ungeachtet er von außen der trübseligste ist, all das Gute enthalten, das in den zwei vorigen zu finden war.

Die Leutseligkeit Gottes gegen die Patriarchen, und die priesterlich königliche Einrichtung bei dem Volke Israel, und mit einem Wort alles, was zuvor stückweise geoffenbart worden war, floss in Christo in eines zusammen; hingegen wurde auch alles mehr unsichtbar, geistlich und himmlisch, dass mehr Glaube erfordert wird, es zu fassen, als vorher. Je mehr sich die Liebe Gottes den Menschen offenbart, desto mehr verbirgt sie sich vor den Augen der Vernunft. Das Ansehnliche und Prächtige, das an den Vorbildern Christi, nämlich Melchisedek, Aaron, David und anderen, zu sehen war, wurde, als Christus selbst kam, vor den Augen der Sterblichen weggetan. Seine unvergleichliche Vortrefflichkeit, Schönheit und Hoheit waren unsichtbar. Hingegen war seine äußerliche Gestalt so beschaffen, dass sie der lüsternen Welt nicht gefiel, Jes 53.. Die Predigt vom Kreuz Jesu, welche die Apostel predigten, fiel nach dem Urteil der natürlichen Vernunft törichter aus als die Predigten Moses und Abrahams, und doch wurde mehr ausgerichtet, als durch Moses und Abrahams Predigten. Weil nun also Christus in einer unansehnlichen Knechtsgestalt auf Erden erscheinen wollte, so erwählte er dazu den dritten Teil der Weltzeiten, der unter allen, in Ansehung seines Volks, der trübseligste ist; und eben diese Zeit brachte es mit sich, dass seine Apostel und Jünger bis auf diese Stunde, für Narren, ja für einen Fluch geachtet werden, und sein Reich unter dem Hass und Druck der Welt auf eine wundersame und meistens verborgene Art stehen und wachsen muss.

Indessen haben die Gläubigen (auch diejenigen, die von der Heiden stammen) in Jesus die Fülle aller Gnade und Wahrheit. Sie sind nicht mehr Gäste und Fremdlinge im Reich Gottes, sondern Bürger mit den heiligen Israeliten, die ehemals durch die Theokratie die Gnade erlangten, Bürger im Königreich Gottes zu sein, und Gottes Hausgenossen, wie die Patriarchen, die als solche in gläubiger Ehrfurcht mit Gott wandelten. Von diesem allen aber wird in den letzten tausend Jahren der Welt die Erkenntnis und der Genuss noch größer und allgemeiner sein. Israel oder Zion wird die Hauptkirche auf Erden sein, über derselben wird die Herrlichkeit des Herrn vorzüglich erscheinen, die Heiden aber werden in seinem Lichte wandeln, und die Könige in seinem Glanz. In dem Tempel Hesekiels wird das Priestertum Christi aus den Vorbildern und aus den Schriften des Neuen Testaments tiefer erkannt und gründlicher erklärt werden, als jemals zuvor. Große Gaben und Wirkungen des Geistes werden gespürt werden. Das Hohelied Salomos, welches unter allen Büchern der Bibel noch am meisten verdeckt ist, wird da aufgedeckt sein, und nach der Erfahrung im Schwange gehen, denn so wohl im Himmel wird zu solcher Zeit die Hochzeit des Lammes gehalten werden (nach Offb 19.) als auch auf Erden wird's salomonisch, das ist friedlich, ruhig, prächtig, hochzeitlich, doch nicht nach dem Sinn des Fleisches, sondern des Geistes zugehen, wie die Schriften aller Propheten zeugen. Israel wird wieder eine Theokratie haben, es wird nämlich nicht nach weltlichen, sondern allein nach göttlichen Rechten, nicht von fremden, sondern von Israeliten, regiert werden: doch wird es keinen König, sondern einen Fürsten haben, folglich wird die glückselige Ruhezeit der Richter wiederkommen, aber nicht mit der Herrlichkeit des alten, sondern des neuen Testaments, s. Hes 45ff.; Jes 1:26; also wird das Königreich des Herrn sein, Ob 1:21; Offb 11:15.

11.) Zu den Wegen Gottes gehören auch die R e c h t e , die Gott den Gläubigen vorschreibt, oder Regeln, nach welchen ihr Verhalten gegen andere eingerichtet sein solle. Nun ist und bleibt das Gebot der Liebe durch alle Zeiten das heilige Gesetz, nach welchem sich alle Menschen richten müssen, weil es aus der Beschaffenheit des Wesens Gottes, der die Liebe selbst ist, geflossen ist; aber in der Ausübung dieser Liebe mussten sich die Gläubigen immer nach ihrer Zeit richten. Da die Hausväter regierten mussten die heiligen Patriarchen viel Böses dulden und geschehen lassen, ohne demselben Einhalt zu tun, weil sie keine Gewalt dazu hatten, und Gott die Ämter, welche die Gewalt mit sich führen, noch nicht verordnet hatte. Melchisedek war ein König zu Salem, und zugleich auch ein Priester. Abraham aber, und die Patriarchen vor ihm und nach ihm hatten kein solches Amt, und durften also in Ausübung der Liebespflichten und im Eifer wider das Böse nicht weiter gehen, als der Stand eines Hausvaters erlaubte. Geschah ihnen Unrecht, so war Leiden und Nachgeben, Ausweichen und Fliehen der beste Rat für sie, weil sie ohnehin keinen Regenten zum Schutzherrn hatten, und selbst keine Regenten waren. (1Mo 26:22; 1Kor 6:7). Der Kriegszug Abrahams wider die vier morgenländischen Könige war etwas Außerordentliches; doch machte Abraham keine Eroberung, ja auch keine Beute für sich, sondern Gott errettete nur durch ihn den Lot, und andere Gefangene mit ihrer Habe aus den Händen der Feinde, damit alle Heiden sehen möchten, dass der Glaube eines Mannes mehr vermag, als die vereinigte Macht vieler gottlosen Völker.

Als die Theokratie aufgerichtet war, hatten die Ältesten, die Richter, die Könige, ja in außerordentlichen Fällen auch die Propheten, die Macht, nach dem göttlichen Gesetz am Leben zu strafen, und zwar nicht nur bei Verbrechen, welche das bürgerliche Leben, sondern auch bei solchen, welche die Religion angingen. Denn sollte Gott ein unsichtbares Königreich auf Erden angerichtet haben, und nicht auch diejenigen, die wider ihn, als König unmittelbar aus Frevel sündigen, mit einer sichtbaren Todesstrafe belegen lassen, da ohnehin kein Israelit aus Irrtum von seinem Gott und König abfallen konnte, sondern hierin allemal einen großen Frevel beging? Überdies hatte das ganze Volk Israel das Recht, das ihm verheißene Land mit dem Schwert einzunehmen, die durch besonderen Befehl Gottes zur Ausrottung bestimmten Kanaaniter zu vertilgen, sich hernach mit dem Schwert wider alle Heiden, die es im ruhigen Besitz seines Landes und seiner Freiheit stören wollten, zu wehren, keinem auswärtigen König untertan zu sein, und wenn es auch von einem solchen eine Zeitlang überwältigt, und zum Dienst gezwungen worden wäre, dieses Joch wider, als ein unrechtes Joch, das seinen Privilegien entgegen war, bei der nächsten Gelegenheit abzuschütteln, und darüber auch Blut zu vergießen.

Aber wie gar anders ging es, nachdem einmal das jüdische Volk von dem vierten Jahr Jojakims an den Babyloniern unterworfen war. Jojakim musste dem König zu Babel untertan sein, und als er sein Joch abschütteln wollte, ging es ihm übel. Jechonia musste sich den Babyloniern ergeben; dem Zedekias riet es Jeremia auch, und als jener es nicht tat, kam er elendiglich um. Nach dem babylonischen Gefängnis haben weder Serubabel, noch Mordechai, noch Nehemias einen Versuch gemacht, das jüdische Volk in Freiheit zu setzen. Kein Prophet hat sie dazu aufgerufen, wie Debora den Barak, kein Engel, wie den Gideon. Das jüdische Volk sollte den Heiden dienen, weswegen Daniel, Haggai und Sacharja die Regierungsjahre der persischen Könige, als das Datum ihrer Weissagungen angezeigt, und sich dadurch als Untertanen derselben angegeben haben. Durch die Makkabäer erzeigte Gott dem Judenvolk eine kleine Hilfe wider die Tyrannei der syrischen Könige, und setzte sie eine kurze Zeit in einige Freiheit; es währte aber nicht lange damit, sondern das jüdische Volk kam bald darauf unter die Herrschaft der Römer und des herodischen Geschlechts, von welcher Zeit an alle seine Versuche, sich von der Herrschaft der Nationen loszumachen, zu seinem großen Unheil ausgeschlagen sind. Der Heiland hat deswegen die Juden ermahnt, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und seinen Jüngern befohlen, bei dem Anfang des jüdischen Kriegs, worin Jerusalem zerstört worden ist, die Flucht zu ergreifen, und also an der Empörung der Juden keinen Anteil zu nehmen.

Die Apostel und ersten Christen haben auch den heidnischen Obrigkeiten den treusten Gehorsam geleistet, ob sie auch von ihnen gehasst und verfolgt worden sind; und noch jetzt gilt das Wort: jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Röm 13:1 und was [Offb 13:10] steht: so jemand (die Religion mit Gewalt verteidigen und ausbreiten will, und also andere) ins Gefängnis führt, der wird in das Gefängnis gehen, so jemand mit dem Schwert tötet, der muss mit dem Schwert getötet werden. Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen. Siehe, so haben sich die Rechte der Heiligen mit den Zeiten geändert, und derjenige handelt töricht, und tut sich selbst Schaden, der nicht bedenkt, in was für einer Zeit er lebt. In den letzten tausend Jahren der Welt wird das Volk Israel, nachdem es von dem Herrn selbst durch die große Niederlage des Antichrists und seines Anhangs ohne menschliche Waffen, von der Gewalt seiner Feinde erlöst sein wird, ein freies Volk sein. Übrigens aber noch viel weniger mehr einen Krieg führen, als die Nationen, bei denen das Kriegshandwerk nach [[Jes 2].] auch aufhören wird. Was also Jes 11:14 von einer Herrschaft Israels über die Philister, Edomiter, Moabiter und Amoniter, und von der Beraubung derer, die gegen Morgen wohnen, steht, ist von keiner kriegerischen Gewalt, oder ungerechten Beraubung zu verstehen, sondern die angeführten Völker werden Israel freiwillig aus Erkenntnis seines Vorzugs in allen Stücken untertan sein, und sich von demselben nach dem königlichen Gesetz der Liebe regieren lassen, nach der Ordnung, die Gott in seiner Kirche gemacht hat, da immer das Schwächere dem Stärkeren, der Schüler seinem Lehrer folgen solle. Die gegen Morgen wohnen aber, wird etwa Israel so berauben, wie man ein Kind eines spitzigen Messers beraubt, das man ihm zu seinem Besten aus väterlicher Gewalt nimmt, oder wie man einen gutherzigen Menschen desjenigen beraubt, was er einem freiwillig schenkt.

Was die l e i b l i c h e W o h l f a h r t der Gläubigen anbelangt, welches auch bei den Wegen Gottes zu betrachten ist, so scheinen sie die Patriarchen in reichem Maße genossen zu haben. Sie lebten lange, standen in großem Ansehen, hatten Raum genug auf Erden zu wohnen, und ihre Herden zu weiden. Keine Obrigkeit drückte sie, kein Krieg beunruhigte sie. Doch fehlte es nie an Leiden, und an Erfüllung des Worts: welchen der Herr lieb hat, den züchtigt er. Wie unbekannt aber die tieferen Kreuzeswege auf Erden lange Zeit gewesen sind, zeigt die Geschichte Hiobs, dessen sonderbaren und gehäuften Trübsale, die doch den Leiden der Apostel nicht gleichkamen, sowohl ihm selbst, als seinen sonst weisen Freunden zum Ärgernis wurden. Je näher aber die Regierung der Hausväter zu ihrem Ende kam, desto schwerer und gemeiner wurden die Trübsale, und desto kürzer das Leben, wie dann von Jakob mehr Leiden in der Schrift aufgezeichnet sind, als von Isaak, und von Isaak mehrere als von Abraham. Unter der Theokratie wurde man häufig inne, was Landplagen sind, wobei es dem Gerechten wie dem Gottlosen geht: denn wenn der größte Teil des Volks von Gott abtrünnig wurde, so wurde Krieg, Hunger, Pestillenz, harte Regierung u. dgl. um der wenigen Gerechten willen, nicht zurückgehalten, sondern diese mussten, weil sie mit den Gottlosen in einer Verbindung des Königsreichs standen, auch mit ihnen leiden, wiewohl das Leiden ihnen zum Heil, und den Gottlosen zum Schaden gereichte. Deshalb, und besonders zu Sauls und Ahabs Zeit erfuhr man, was es für Leiden gebe, wenn Gott einem Gottlosen große Gewalt in die Hand gibt, die derselbe hernach zur Verfolgung der Frommen und Unterdrückung des wahren Gottesdienstes missbraucht.

Aus dem Exempel Davids und aller Propheten lernte man, was heilsame Seelenängste und Kämpfe sind. Übrigens mag es doch um diese Zeit, wenn nämlich das Volk nach den göttlichen Gesetzen, die die aller gerechtesten und billigsten waren, recht regiert wurde, den Frommen im Zeitlichen oft wohl gegangen sein, und sie vorzüglich erfahren haben, wie man unter dem Schutz einer göttlichen Regierungsform ein stilles und ruhiges Leben führen könne, in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit; wozu noch dieses kam, dass der alte Bund viele und sonderliche Verheißungen des zeitlichen Segens in sich fasste, welcher dann den Frommen durch den Glauben zuteil wurden, ob sie schon eine Zeitlang auch in einem schmerzlichen Warten geübt, oder dazwischen hinein empfindlich gezüchtigt, oder gar als Märtyrer getötet wurden. Im dritten Teil der Weltzeiten, nachdem die Theokratie aufgehoben war, wurden die allgemeinen und besonderen Leiden gewöhnlicher und schwerer. Die zweimalige Zerstörung Jerusalems, das babylonische Gefängnis, die persische, griechische und römische Dienstbarkeit der Juden, die Bedrängnisse derselben unter den Kriegen der Syrer und Ägypter, zwischen welchen sie mitten drin wohnten, die grausame Religionsverfolgung des Antiochus Epiphanes, und anderes dergleichen, waren schärfere Plagen, als man vorher auf Erden erlebt hatte.

Christus der Herr selbst, öffnete durch seine Lehre, und durch seinen gesegneten Vorgang die Kreuzesbahn erst recht, und wenn seine Apostel am fröhlichsten waren, so rühmten sie sich der Trübsale, und freuten sich, dass sie mit Christo litten, wie denn ihre Leiden schwerer und langwieriger waren, als die Leiden aller Propheten und Patriarchen; wobei aber auch der Geist der Herrlichkeit und Gottes reichlicher Segen auf ihnen ruhte. Zweihundert Jahre verflossen nach Christi Geburt, in welchen die Kirche Christi wenig leibliche Ruhe genoss, und viele tausend Christen um des Glaubens willen beraubt, verjagt und getötet wurden. Nachfolgend entstand der arianische, mohammedanische und päpstliche Jammer, und mit einem Wort, alle Not, die in der Offenbarung Johannis durch die sieben Trompeten angedeutet wird, und so lange währt, bis der Zorn Gottes durch Ausgießung der sieben Schalen vollendet wird. Dieser ganze dritte Teil der Weltzeiten ist also überhaupt trübseliger als alle anderen, und wer sich darein schicken will, muss die Kreuzwege wohl verstehen. Seit dem dritten Jahr Jojakims hat es auf Erden, dem Zeitlichen nach, keinen so allgemeinen Wohlstand mehr gegeben, wie man zur Zeit der Patriarchen, der Richter, oder David, Salomo, Asah, Josaphats usw. genoss. Der zeitliche Segen und die geistliche Wohlfahrt werden in den letzten tausend Jahren der Welt einander die Hand geben. Langes Leben (Jes 65:20.21.22), Friede (Jes 2:4), Ehre (Jes 60:14.15.16), gutes Regiment (Jes 54:14; Jes 60:18), ausreichende und leichte Nahrung (Jes 65:5-8) werden beisammen sein, und also werden alle Segensbächlein, die zur Zeit der Patriarchen und der Theokratie geflossen waren, zusammenkommen: dabei aber wird die Klarheit des Neuen Testaments, der reichlich ausgegossene Geist der Gnade und des Gebets, und die überschwängliche Erkenntnis Christi aus dem Evangelium, die Herzen mit Friede und Freude erfüllen, und den Genuss des zeitlichen Segens heiligen. Wer wird leben, wenn der Her solches auf Erden tun wird? Wie wohl wird es aber auch demjenigen sein, der zu selbigen Zeit das Abendmahl der Hochzeit des Lämmleins im Himmel genießen wird!

Übergang in den nächsten Zeitabschnitt

12.) Der Ü b e r g a n g von einem Z e i t l a u f in den a n d e r n war jedes mal besonders merkwürdig. Das Gericht fing allemal am Haus Gottes an, hernach aber brache es noch schärfer über die Feinde aus. So wurde Israel in Ägypten sehr bedrängt, hernach aber Ägypten mit zehn Plagen gestraft, und Pharao mit seinem Heer vertilgt, Israel aber in Freiheit gesetzt. In der Wüste wurden die ungläubigen Israeliten niedergeschlagen, bald darauf wandte sich das Blatt, der Zorn Gottes kam über Babel, und die Juden bekamen die Freiheit wieder in ihr Land zurückzukehren. Weil aber die Zeit ihrer Dienstbarkeit noch lange fortwähren sollte, so gab es immer wieder neue Feinde und Verfolger Israels und der christlichen Kirche, die allemal, wenn sie es eine Zeitlang getrieben hatten, zugrunde gingen. Endlich aber wird die Kirche, wenn sie durch den Antichrist noch eine große Bedrängnis erlitten haben wird, durch den Fall desselben in die völlige Freiheit gesetzt werden. Gleichwie zuletzt der liebe jüngste Tag alles Böse vollends aufräumen, und die ganze Kirche in die Freiheit der Herrlichkeit (Röm 8:22) setzten wird. Diese vier großen Hauptveränderungen in der Welt sind durch das prophetische Wort sattsam beleuchtet worden, damit die Gläubigen sich da hinein schicken könnten. Den Auszug aus Ägypten offenbarte Gott dem Abraham vierhundert Jahre vorher, 1Mo 15:13.14. Innerhalb desselben weissagte Jakob davon, und von dem Zustand seiner Nachkommen unter der Theokratie, 1Mo 48:21 und 1Mo 49. gleichwie auch Joseph von dem Ausgang redete, 1Mo 50:25. Von dem babylonischen Gefängnis, und von der Wiederkunft aus Babel haben Jesaja, Jeremia und andere Propheten viel geweissagt, gleichwie auch diese Propheten, die unter, und nach dem babylonischen Gefängnis lebten, noch mehr aber spricht die Offenbarung Johannis über den Fall des neutestamentlichen Babels, den Untergang des Tieres, und die damit verbundene Befreiung der Kirche. Von dem jüngsten Tag redet die Hl. Schrift bekanntlich an vielen Orten. Also deutete denn der heilige Geist durch die Propheten auf dieses und andere Hauptveränderungen, die es bei dem auserwählten Samen gibt, und wer diese recht bedenkt, der weiß die Weissagungen richtig zu deuten, da hingegen viele Deutungen fehlschlagen, die auf diesen oder jenen Krieg, oder Fall, der in der Nähe wichtig ist, aber keine Hauptveränderung auf Erden verursacht, gemacht werden. Wir bemerken noch dieses, dass bei einer jeden, der oben gemeldeten vier Hauptveränderungen, oder bei einem jeden Übergang von einem Zeitlauf in den anderen, zum Heil der Kirche, große Männer erweckt und unmittelbar gesandt wurden. Bei dem Auszug aus Ägypten war Moses, bei der babylonischen Dienstbarkeit und Gefängnis waren Jeremia, Hesekiel und Daniel, und zwar jeder auf einem besonderen Posten, der erste im Land Israel, der andere in Babylonien, der dritte am babylonischen und persischen Hof. Kurz vor dem Untergang des Antichrists werden die zwei Zeugen, die (Offb 11.) beschrieben sind, auftreten. Ob es aber zunächst vor dem jüngsten Tag auch einen oder etliche solcher Männer geben werde, weiß ich nicht, wiewohl es wahrscheinlich ist.

13.) Die Regierung der Hausväter hat Moses in seinem ersten Buch vom vierten Kapitel an b e s c h r i e b e n, darum darf man sich nicht wundern, dass so viele gering scheinende Umstände von ihm erzählt werden, und bald Geschlechtsregister, bald Heiraten, Ehesachen, Zwistigkeiten zwischen Brüdern, Verträge oder Händel zwischen Nachbarn, Käufe, Teilungen, Vermögensumstände, Geburten der Kinder, Schicksale der Knechte und Mägde u. dgl. vorkommen. Zu jener Zeit waren dies die wichtigsten Geschichten, in denen sich Gottes Macht und Gnade, Güte und Ernst deutlich geoffenbart hat. Das erste Buch Mose ist die rechte Haustafel, woraus alles, was zum Wohlstand der Familie gehört, deutlich zu lernen ist. Aus Familien sind Königreiche entsprungen, darum fängt die Bibel mit der Geschichte der Familien an, und schreitet danach zur Beschreibung der Königreiche fort. Aber auch unter den Königreichen währten die Haushaltungen und Familien fort; deswegen ist das erste Buch Mose von einem beständigen Nutzen. Das Buch Hiob gehört auch zu diesem Zeitlauf, denn sein langes Leben beweist, dass er vor Mose, oder doch zu Moses Zeit gelebt habe. Es wird in seinem Buch beschrieben, wie er als ein frommer Mann an Leib und Seele, Hab und Gut, Ehre und Kinder aufs empfindlichste angegriffen worden, und wie der Satan wie auswärtige Feinde, unerfahrene Freunde, ja der eigene Ehegatte wider ihn zusammen getreten sind. Hiob war kein König, und keines Königs oder Fürsten Untertan, weswegen er auch wider die Chaldäer und Araber, die ihn beraubt hatten, niemand um Schutz und Hilfe ansprechen konnte, noch klagte, dass das Recht ihm versagt worden sei. Er war also das freie Oberhaupt seines Hauses und zahlreichen Gesindes wie Abraham; doch hatte er auch im Tor Macht zu helfen Hi 31:21 und muss also mit den Häuptern anderer Stämme in einer Verbindung gestanden sein, und mit ihnen gemeinschaftlich unter den Toren Gericht gehalten haben.

14.) Die Aufrichtung der Theokratie oder der königlichen Regierung unter dem Volk Gottes ist in dem zweiten, dritten, vierten und fünften Buch Moses, die Dauer derselben aber in allen übrigen Büchern des Alten Testaments, in den Bücher Daniel, Haggai, Sacharja und Maleachi, Esra, Nehemia und Ester ausgenommen, beschrieben. Der beste Teil dieses Zeitlaufs war derjenige, da kein sichtbarer König in Israel war, und ein jeglicher tat, was ihm recht deuchte, folglich das Volk Israel bei dem Dienst Gottes, und der Beobachtung seines Gesetzes die größte Freiheit genoss. Damals genoss Israel in seinem Lande eine Ruhe, welche ein irdischer Vorgeschmack des Himmels war, weswegen der Ausdruck: das Land war stille, oder ruhte, in dem Buch der Richter oft vorkommt, da er hingegen von der Zeit der Könige nur einmal, und zwar nur in Absicht auf zehn Jahre vorkommt 2Chr 14:1. Die Richter, welcher der Herr abermals, wenn es die Not erforderte, durch einen unmittelbaren Beruf erweckte, waren dem Volk mit ihrer Amtsführung nicht so schwer wie danach die Könige, wie ihnen Samuel (1Sam 8.) vorher bezeugte. Auch wurde das Volk Israel, wenn es von dem rechten Wege abgewichen war, zur Zeit der Richter durch eine mäßige Züchtigung, und das Ansehen der Richter selbst, bald wieder zurechtgebracht, da hingegen zur letzten Zeit der Könige, weder die härtesten Drangsale noch die häufig gesandten Propheten, noch die Könige selbst (z. E. 2Chr 15:17) das Volk zu dem wahren Gottesdienst zurückbringen konnten, nachdem es einmal in die Abgötterei und alle Arten der Gottlosigkeit verfallen war. Darum als Gott durch Jesaja die besseren Zeiten, die jetzt noch zukünftig sind, dem Volk Israel verheißen ließ, so sprach er (Jes 1:24.25.26): O wehe, ich werde mich trösten durch meine Feinde und rächen durch meine Feinde. Und muss meine Hand wider dich kehren, und deinen Schaum aufs Lauterste fegen, und all dein Zinn wegtun, und dir wieder Richter geben, wie zuvor waren; und Ratsherren, wie im Anfang, alsdann wirst du eine Stadt der Gerechtigkeit, und eine fromme Stadt heißen.

15.) Den ganzen dritten Zeitlauf, oder die ganze Zeit der Dienstbarkeit und Zerstreuung des heiligen Volkes umfasst d a s Buch D a n i e l s in sich. Hieraus erhellt die Wichtigkeit dieses Buches, und wie nützlich es zu unserer Zeit sei. Es müssen gewisslich zu unserer Zeit, da der dritte Zeitlauf bald zu Ende geht, viele darüber kommen, und großen Verstand darin finden, denn in dem vierten Teil der Weltzeit wird man es nicht mehr so nötig haben. Doch ist es Daniel nicht allein, der von diesem Zeitlauf geschrieben und geweissagt hat, denn Haggai, Sacharja und Maleachi, und alle Evangelisten und Apostel lebten in diesem Zeitlauf, und hatten denselben teils als Propheten, teils als Lehrer in ihrem Augenmerk. Ja es ist kein Buch im Alten Testament, worin nicht von diesem Zeitlauf Meldung geschähe, denn alle Weissagung von Christi Menschwerdung, Leiden Sterben, Auferstehung und Himmelfahrt, wie auch die Weissagungen von den Zerstreuungen Israels, und den Verfolgungen der Kirche gehören da hinein. Doch hat Daniel dies Vorzügliche, dass er zum Anfang dieses Zeitlaufs gelebt und denselben ganz beschrieben hat; wobei er aber auch schöne und kurze Blicke in den letzten Zeitlauf bekommen hat.

16.) Die O f f e n b a r u n g Johannis, oder vielmehr Jesu Christi, hat viel Ähnlichkeit mit den Weissagungen Daniels, wie sie denn auch einen großen Teil desjenigen Zeitlaufs in sich einschließt, den Daniel beschrieben hat. Hingegen sind auch beide heilige Bücher in manchen Stücken unterschieden. Daniel fängt der Zeit nach weiter oben an als die Offenbarung Johannis, denn diese meldet nichts mehr von dem babylonischen, persischen und griechischen Reich, die zu Johannis Zeit schon vergangen waren, hingegen reicht die Offb. Joh. der Zeit nach weiter hinaus als Daniel, und beschreibt auch die letzten tausend Jahre der Welt, bei deren Anfang und Anblick Daniel stehen bleiben musste, wie auch das jüngste Gericht, das neue Jerusalem usw. Die Weissagungen Daniels gehen in erster Linie bis auf Christum und die römische Zerstörung Jerusalems (Dan 9.). Hernach beschreiben sie den letzten Antichrist (Dan 11:36ff.). Den großen Raum zwischen jener Zerstörung und dem Antichrist füllt die Offb. Joh. aus, und reicht über den Antichrist weiter hinaus. Ferner, da Daniel als ein heiliger Hof-Mann die Begebenheiten des Volkes Gottes auf derjenigen Seite beschrieben hatte, wie sie mit den vier Weltreichen verbunden sind, so hat sie dagegen Johannes als Apostel und Kirchenlehrer mehr auf der christlichen und kirchlichen Seite beschreiben müssen, wie wohl er auch der weltlichen Könige und Reiche beiläufig Meldung getan hat. Es sind nämlich in den Weissagungen Daniels die vier Weltreiche, die er durch gewisse Bilder vorgestellt sah, der Leitfaden, der durch alles durchgeht, so dass bei jedem Weltreich angezeigt wird, was das Volk Gottes unter demselben zu leiden haben werde.

Johannes aber hat diesen Leitfaden nicht. Er sah und beschrieb die Schicksale der Kirche unter, und nach dem vierten Weltreich, er sah aber das vierte Weltreich unter keinem Bild, gleich wie er hingegen die Kirche, die dem Daniel neben den Weltreichen nicht besonders gezeigt wurde (Offb 12.), als ein mit der Sonne bekleidetes Weib sah. So hat auch Daniel den letzten Antichrist als Horn, das aus dem vierten Tier oder Weltreich hervorwächst, Johannes aber als ein besonderes Tier, das für sich selbst besteht, beschrieben. Daniel hat ihn einen König genannt und seine weltlichen Kriegszüge und Eroberungen am ausführlichsten beschrieben. Johannes aber hat mehr auf seine geistliche Tyrannei und Verführung gesehen, weswegen er ihm auch einen falschen Propheten zugesellt, dessen Amt einen geistlichen Schein haben muss. Gleichwie nun die zwei Propheten Daniel und Johannes den Antichrist als das Oberhaupt samt seinem Anhang beschrieben haben, also haben Jesaja Jes 29. und Joe 3. und Sach 12.13.und 14 den Anhang des Antichrists oder die wider Jerusalem und Israel streitenden Heiden ohne den Antichrist oder das Oberhaupt gesehen und beschrieben, und wiederum besondere Dinge davon gemeldet. So ergänzt nun ein Prophet den andern, denn ihr Weissagen ist Stückwerk. Was dem einen verborgen blieb, wurde dem andern offenbart; was der eine kurz beschrieb, hat der andere weitläufig beschreiben müssen.

17.) Was nun den vierten Zeitlauf oder die tausend letzten Jahre der Welt anbelangt, so ist kein Buch in der Bibel, welches davon allein handelt, sondern die Verheißungen von dieser glückseligen Zeit werden hin und wieder häufig als Trost und Grund der Hoffnung angebracht, wenn vorher von den Nöten und Gefahren der Kirche Meldung geschehen ist. Und dies ist auch genug. In dieser Ordnung soll man davon reden und schreiben. Es ist nicht um den Vorwitz, sondern um die Stärkung des Glaubens und der Hoffnung zu tun. Die Menschen können sich in etwas Gutes und Fröhliches, wenn es kommt leicht schicken, wenn es nicht so umständlich geweissagt wäre, hingegen tut es einem Christen, der durch das Elend seiner Zeit oft bedrängt und bekümmert wird, und um der Ehre Jesu Christi und seines Reiches Eifer hat, wohl, wenn er die besseren Zeiten, die alle pia desideria werden erfüllt werden, im Spiegel des göttlichen Wortes voraussieht.