Die Tiere und der Mensch

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Abschrift des Buches: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis
in ihrem gegenseitigen Verhältnis betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert.

Verfasser: Karl August Auberlen (1854)
Verlag: Bachmaier's Buchhandlung, Basel

Inhaltsverzeichnis des Buches
Kapitel vorher:
Die siebzig Jahrwochen


In Bearbeitung

DRITTER ABSCHNITT:

Die vier Tiere und der Menschensohn bei Daniel

Die exegetische Streitfrage über die Weltmonarchien des zweiten und siebten Kapitels im Buch Daniels ist dem Wesen nach die gleiche wie die über die siebzig Jahrwochen. Die moderne Kritik lässt nach einigen älteren Vorgängen, namentlich von Ephräm dem Syrer und Grotius, auch diese Weissagung nur bis auf Antiochus Epiphanes herab reichen; wir dagegen haben uns schon vorläufig zu der kirchlichen Auffassung bekannt, welche in der vierten Monarchie das römische Reich sieht, und von welcher L u t h e r sagen kann, in dieser Deutung und Meinung sei alle Welt einig. (vgl. W i e s e l e r, die 70 Wochen, S. 146ff., der auf die älteste Geschichte der Auslegung eingeht. J o s e p h u s schon versteht das vierte Reich vom römischen). Da das zweite und namentlich das siebte Kapitel von uns im ersten Abschnit ausfürhlicher besprochen wurde, so ist nicht nötig hier auf eine genauere Entwicklung ihres Inhalts einzugehen, sondern wir verweisen für die Gesamtanschauung der Sache auf das dort Gesagte, für die Erklärung des Einzelnen neben H ä v e r n i c k s Kommentar besonders auf die Auslegung H o f m a n n s (Weiss. u. Erf. I, S 278-291), mit welchem wir hier nun zu unserer Freude in allen Hauptsachen Hand in Hand gehen können. Richtige Gesichtspunkte, besonders zur Beurteilung der modernen Auffassung, gibt auch H. L. R e i c h l in seiner kleinen Abhandlung "die vier Weltreiche des Propheten Daniel" (Studien und Kritiken, 1848, IV, S 843-962). Wir werden also diesmal mit der Kritik der gegnerischen Ansichten beginnen und erst, nachdem dieselben beseitigt sind, einige positive Andeutungen zum näheren Verständnis hinzufügen, welche uns dann den Übergang zu den Tieren der Offenbarung Johannis bahnen sollen, deren erstes eine Zusammensetzung der vier danielischen ist.

Erstes Kapitel

I. Der gegenwärtige Stand der Frage

Die Gegner sind nun auch hier unter sich selber nicht einig, sondern gehen in drei Gruppen auseinander, als deren Repräsentanten wird die drei Hauptkommentatoren Daniels, welche die moderne Ansicht vertreten; B e r t h o l d t, v. L e n g e r k e und H i t z i g betrachten können. Da nämlich nach Abzug der römischen Monarchie eigentlich nur drei Reiche übrig bleiben, das babylonische, medopersische und griechische, so handelt es sich für die Gegner darum, aus diesen dreien vier zu machen, und das tun sie auf verschiedene Weise. B e r t h o l d t erklärt die erste Monarchie für die babylonische, die zweite für die medopersische, die Dritte für das Reich Alexanders, die vierte für das seiner Nachfolger. Er hilft sich also dadurch, dass er die dritte in zwei auseinander legt. Er versteht also unter dem ersten Reich das babylonische, unter dem zweiten das medische, unter dem dritten das persische unter dem vierten das Alexanderes und seiner Nachfolger. Gleichsam um die Möglichkeiten zu erschöpfen, schlägt H i t z i g den nun allein noch übrigen Weg ein und teilt die erste Monarchie, so dass ihm das erste Reich dasjenige Nebukadnezars, das zweite das seines Nachfolgers Baltasar (Belsazar), das dritte das medopersische, das vierte das Alexanders und seiner Nachfolger ist. Dies indes nur im zweiten Kapitel; im siebten legt er anders aus. Weil Daniel dieses Gesicht nach Nebukadnezars Tod und unter Belsazars Regierung erhielt, so sei hier unter dem ersten Reich dasjenige Belsazars, unter dem zweiten das medische, unter dem dritten das persische, unter dem vierten das Alexanders und seiner Nachfolger zu verstehen.

Schon J a h n ist Hitzig darin vorangegangen, in den beiden Kapiteln verschieden auszulegen; konnte aber nirgends mit seiner Ansicht durchdringen. Es ist diese Auseinanderreißung der zwei Offenbarungen so ganz gegen den natürlichen Eindruck, den jeder Leser des Propheten empfängt, das wir unsere Leser mit einer Widerlegung der Hitzig'schen Ansicht nicht aufhalten zu dürfen glauben. Sein Auffassung von Kap. 2, schon 1832 in den Heidelberger Jahrbüchern vorgetragen, hat zwar die Zustimmung R e d e p e n n i n g s gefunden (Stud. und Krit. 1833, S 863) beseitigt sich aber durch die einfache schon von v. L e n g e r k e geltend gemachte und von Hitzig S. 33 nicht entkräftete Beobachtung, dass Dan 2. 7. 8 Königreich und König durchweg in der Weise zusammenfallen, dass nie und nirgends mehrere aufeinander folgende Könige desselben Reiches genannt sind, sondern wo ein Herrscher besonders hervortritt wie Dan 2:37.38 Nebukadnezar; Dan 8:5 Alexander, er immer als Repräsentant, als die Personifikaktion dieses gesamten Weltreiches erscheint. Wenn sodann Hitzig im 2. Kap die medopersische Monarchie zusammennimmt, im 7. aber die medische und persische trennt: so können wir hierin nur einen Beweis jener exegetischen Willkür sehen, die dem heiligen Buche von vorn herein keine in sich vernünftige und folgerichtige Anschauung zutraut (vgl. S. 98f.), und der daher keine Inkonsequenz und Unwahrscheinlichkeit der Auslegung zu groß ist, um nur das a priori feststehende Resultat zu gewinnen, dass die Weissagung nicht über Antiochus hinausreiche.

Nach dem allem erscheinen uns die Abweichungen H i t z i g s von v. L e n g e r k e zu unbegründet und unbedeutend, um beide gesondert zu behandeln; in der Hauptsache, dass Alexander und seine Nachfolger zusammen zu nehmen seien und die vierte Monarchie bilden, stimmen beide gegen Bertholdt zusammen. Eben daher darf wohl die Ansicht dieses letzteren Gelehrten jetzt als veraltert angesehen werden, da sie von den neueren Vertretern der modernen Gesamtauffassung, zu denen auch noch E w a l d *) gehört, einstimmig aufgegeben ist. Man fühlt jetzt allgemein, wie textwidrig und unpassende es ist, bei der vierten Monarchie, der schrecklichsten von allen, welche die ganze Erde verschlingt und zertritt und zermalmt (Dan 7:23), an die verhältnismäßig so schwachen und unbedeutenden Reiche der Diadochen zu denken. Eine ausführliche Widerlegung der Bertholdt'schen Meinung hat überdies schon Hengstenberg gegeben (Beitr. 203ff.) Als die herrschende Ansicht der Gegner dürfen wir daher die L e n g e r k e - E w a l d - H i t z i g 'sche bezeichnen,welcher auch D e W e t t e (a.a.D. S 381), L ü c k e (a.a.D S. 45) u. an. sich anschließen, und wonach unter dem ersten Reich das babylonische, unter dem zweiten das medische unter dem dritten das persische, unter dem vierten das Alexanders und seiner Nachfolger zu verstehen ist. Mit dieser Ansicht haben wir es im Folgenden zu tun.

*) Mit einigen geringen Modifikationen s. a.a.d S. 558ff. E w a l d s Hypothese enthält auch hier wieder ein unwillkürliches Zeugnis für die Wahrheit. Er nimmt an, der Verfasser des Buches denke sich unter den vier Reichen das chaldäische, medische, persische und griechische; nun gehöre aber das persische und medische zusammen, wie der Verf. selbst dadurch andeute, dass er Kap 8 beide unter dem Bild eines zweigehörnten Widders zusammen begreife; er müsse also wohl ein Buch benutzt haben, das unter den vier Reichen das a s s y r i s c h e, chaldäische, medopersische und griechische verstand. Damit ist eigentlich zugestanden, es sei im Text außer den drei zuletzt genannten Monarchien noch eine vierte enthalten. Aber um nur nicht über Antiochus herunter gehen zu müssen, greift man lieber rein willkürlich (gegen Dan 2:37.38) über Nebukadnezar zurück und setzt die vierte Monarchie vorn statt hinten an.

Die Bekämpfung derselben ist insofern schwierig, als gerade über die zweite und dritte Monarchie, um welche es sich hier zunächst handelt, der Text in beiden Kapiteln aus früher entwickelten Gründen ziemlich hinweggeht (Dan 2:32.39; Dan 7:5.6.17). Dagegen haben wir auch wieder einen großen Vorteil dadurch, dass der zweite Teil unseres Buches (Dan 8. und Dan 10-12) sich über eben diese Monarchien ausführlich verbreitet. Hier ist ein fester, über allen Streit erhabener Punkt, von welchem aus der Kampf geführt werden kann. Wir beginnen denselben daher mit einem allgemeinen Vergleich der auf die Weltmacht bezüglichen Gesichte des ersten und zweiten Teils.

II. Kritik der modernen Auffassung

Vergleich der Gesichte im Allgemeinen

Die moderne Auffassung des Buches Daniels erkennt den Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil desselben, wie wir ihn oben entwickelt haben, den Unterschied zwischen Weissagungen, welche nur die nähere Zukunft betreffen, nicht an. Nach ihr geht das 2. und 7. Kapitel, wie das 8. und 11. nur auf Antiochus Epiphanes; sie alle sind vaticania post eventum und wiederholen immer dasselbe, nur unter anderen Formen. Es wurde schon in der Einleitung darauf hingewiesen, welche ein geistlose Monotonie dadurch unserm Buch aufgebürdet wird. Und man darf hiergegen nicht etwas einwenden, das 7. Kapitel sei doch jedenfalls eine Wiederholung des 2. und das 11. eine Wiederholung des 8.; denn nicht nur ist immer noch ein großer Unterschied, ob ich etwas zweimal oder ob ich es vier- und fünfmal sage, sondern wir haben auch gesehen, dass das 7. Kap. gegenüber den 2 und das 11. gegenüber dem 8. nicht bloße Wiederholungen enthält, sondern teils andere Seiten, teils nähere Entwicklungen derselben Sache, was z. B. beim 8. Kapitel gegenüber dem 7.. nicht in entsprechender Weise der Fall wäre. Jetzt wird es nun unsere Aufgabe sein, zu zeigen, dass wirklich ein wesentlicher Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil besteht, und ass mithin die gegnerische Ansicht mit dem Text des ersten Teiles unvereinbar ist.