Die Tiere und der Mensch: Unterschied zwischen den Versionen

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(Vergleich der Gesichte des 1. und 2. Teils)
(Die zweite und dritte Monarchie)
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Die Gegner berufen sich besonders gerne auf die Verwandtschaft des 7. Kapitels mit dem 8.; in beiden laufe die gesamte Entwicklung der heidnischen Weltmacht auf den feindseligen König hinaus, der als einkleines, aus anderen Hörner hervorwachsendes Horn dargestellt werden; es sei evident, dass das kleine Horn in dem einen Fall dasselbe bedeuten müsse, wie im anderen; mithin könne auch im 7. Kap. nur Antiochus Epiphanes gemeint sein. Diese Argumentation hat auf den ersten Blick, aber freilich auch nur auf den ersten viel Scheinbares. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass vielmehr gerade aus dem Vergleich dieser beiden Kapitel die stärksten gründe gegen die moderne Auffassung und für die unsrige erwachsen. Wir suchen jetzt dies Doppelte nachzuweisen, zuerst das Negative, was gegen die neuere, dann das Positive, was für die altkirchliche Deutung der vier Tiere aus jenem Vergleich folgt.
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1) Schon der Umstand selbst, dass beide Kapitel die Entwicklung der Weltmach in einem kleinen Horn gipfeln lassen, scheint uns mehr gegen als für die moderne Ansicht zu sprechen. Denn wer unserm Buch nur einigermaßen höhere Ideen und tiefere Planmäßigkeit zutraut, dem wird eine so simple Wiederholung in demselben von vorn herein nicht wahrscheinlich sein. Doch hierüber mag man etwa streiten. Aber schon ein zweiter Blick zeigt, dass alles, was dem kleinen Horn vorangeht und nachfolgt, im 7. Kap. anders geartet ist als im 8., dass mithin die beiden Hörner nicht identisch sein können. Von dem Nachfolgenden war schon die Rede: es folgt auf den Sturz des kleinen Horns im 7. Kapitel das Messiasreich, im 8. nichts. Das Vorangehende haben wir jetzt näher ins Auge zu fassen, fürs Erste die andern Hörner und sodann die Tiere, aus denen je das kleine Horn aufsteigt.
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Im 7. Kapitel sind es zehn Hörner, zwischen denen  das kleine Horn hervorkommt, im 8. sind es vier Hörner, aus deren einem das kleine Horn aufwächst. Also nicht nur die Zahl der früheren Hörner ist eine andere, sondern auch das Verhältnis, in welchem das kleine Horn bei ihnen steht: im 7. Kapitel ist es ein selbstständiges, elftes Horn, im 8. ein nicht selbstständiges , fünftes, sondern nur ein neues Ende, welches geweihartig aus einem der vier vorkommenden sich erhebt und also zu diesem gehört. Wir begnügen uns hier, diesen in die Augen fallenden Unterschied hervorzuheben und sehen von der Deutung der Hörner vorläufig noch ab, indem im nächsten Abschnitt derselbe ausführlicher  behandelt werden muss.
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Version vom 31. Mai 2020, 14:24 Uhr

Abschrift des Buches: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis
in ihrem gegenseitigen Verhältnis betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert.

Verfasser: Karl August Auberlen (1854)
Verlag: Bachmaier's Buchhandlung, Basel

Inhaltsverzeichnis des Buches
Kapitel vorher:
Die siebzig Jahrwochen


In Bearbeitung

DRITTER ABSCHNITT:

Die vier Tiere und der Menschensohn bei Daniel

Die exegetische Streitfrage über die Weltmonarchien des zweiten und siebten Kapitels im Buch Daniels ist dem Wesen nach die gleiche wie die über die siebzig Jahrwochen. Die moderne Kritik lässt nach einigen älteren Vorgängen, namentlich von Ephräm dem Syrer und Grotius, auch diese Weissagung nur bis auf Antiochus Epiphanes herab reichen; wir dagegen haben uns schon vorläufig zu der kirchlichen Auffassung bekannt, welche in der vierten Monarchie das römische Reich sieht, und von welcher L u t h e r sagen kann, in dieser Deutung und Meinung sei alle Welt einig. (vgl. W i e s e l e r, die 70 Wochen, S. 146ff., der auf die älteste Geschichte der Auslegung eingeht. J o s e p h u s schon versteht das vierte Reich vom römischen). Da das zweite und namentlich das siebte Kapitel von uns im ersten Abschnit ausfürhlicher besprochen wurde, so ist nicht nötig hier auf eine genauere Entwicklung ihres Inhalts einzugehen, sondern wir verweisen für die Gesamtanschauung der Sache auf das dort Gesagte, für die Erklärung des Einzelnen neben H ä v e r n i c k s Kommentar besonders auf die Auslegung H o f m a n n s (Weiss. u. Erf. I, S 278-291), mit welchem wir hier nun zu unserer Freude in allen Hauptsachen Hand in Hand gehen können. Richtige Gesichtspunkte, besonders zur Beurteilung der modernen Auffassung, gibt auch H. L. R e i c h l in seiner kleinen Abhandlung "die vier Weltreiche des Propheten Daniel" (Studien und Kritiken, 1848, IV, S 843-962). Wir werden also diesmal mit der Kritik der gegnerischen Ansichten beginnen und erst, nachdem dieselben beseitigt sind, einige positive Andeutungen zum näheren Verständnis hinzufügen, welche uns dann den Übergang zu den Tieren der Offenbarung Johannis bahnen sollen, deren erstes eine Zusammensetzung der vier danielischen ist.

Erstes Kapitel

I. Der gegenwärtige Stand der Frage

Die Gegner sind nun auch hier unter sich selber nicht einig, sondern gehen in drei Gruppen auseinander, als deren Repräsentanten wird die drei Hauptkommentatoren Daniels, welche die moderne Ansicht vertreten; B e r t h o l d t, v. L e n g e r k e und H i t z i g betrachten können. Da nämlich nach Abzug der römischen Monarchie eigentlich nur drei Reiche übrig bleiben, das babylonische, medopersische und griechische, so handelt es sich für die Gegner darum, aus diesen dreien vier zu machen, und das tun sie auf verschiedene Weise. B e r t h o l d t erklärt die erste Monarchie für die babylonische, die zweite für die medopersische, die Dritte für das Reich Alexanders, die vierte für das seiner Nachfolger. Er hilft sich also dadurch, dass er die dritte in zwei auseinander legt. Er versteht also unter dem ersten Reich das babylonische, unter dem zweiten das medische, unter dem dritten das persische unter dem vierten das Alexanderes und seiner Nachfolger. Gleichsam um die Möglichkeiten zu erschöpfen, schlägt H i t z i g den nun allein noch übrigen Weg ein und teilt die erste Monarchie, so dass ihm das erste Reich dasjenige Nebukadnezars, das zweite das seines Nachfolgers Baltasar (Belsazar), das dritte das medopersische, das vierte das Alexanders und seiner Nachfolger ist. Dies indes nur im zweiten Kapitel; im siebten legt er anders aus. Weil Daniel dieses Gesicht nach Nebukadnezars Tod und unter Belsazars Regierung erhielt, so sei hier unter dem ersten Reich dasjenige Belsazars, unter dem zweiten das medische, unter dem dritten das persische, unter dem vierten das Alexanders und seiner Nachfolger zu verstehen.

Schon J a h n ist Hitzig darin vorangegangen, in den beiden Kapiteln verschieden auszulegen; konnte aber nirgends mit seiner Ansicht durchdringen. Es ist diese Auseinanderreißung der zwei Offenbarungen so ganz gegen den natürlichen Eindruck, den jeder Leser des Propheten empfängt, das wir unsere Leser mit einer Widerlegung der Hitzig'schen Ansicht nicht aufhalten zu dürfen glauben. Sein Auffassung von Kap. 2, schon 1832 in den Heidelberger Jahrbüchern vorgetragen, hat zwar die Zustimmung R e d e p e n n i n g s gefunden (Stud. und Krit. 1833, S 863) beseitigt sich aber durch die einfache schon von v. L e n g e r k e geltend gemachte und von Hitzig S. 33 nicht entkräftete Beobachtung, dass Dan 2. 7. 8 Königreich und König durchweg in der Weise zusammenfallen, dass nie und nirgends mehrere aufeinander folgende Könige desselben Reiches genannt sind, sondern wo ein Herrscher besonders hervortritt wie Dan 2:37.38 Nebukadnezar; Dan 8:5 Alexander, er immer als Repräsentant, als die Personifikaktion dieses gesamten Weltreiches erscheint. Wenn sodann Hitzig im 2. Kap die medopersische Monarchie zusammennimmt, im 7. aber die medische und persische trennt: so können wir hierin nur einen Beweis jener exegetischen Willkür sehen, die dem heiligen Buche von vorn herein keine in sich vernünftige und folgerichtige Anschauung zutraut (vgl. S. 98f.), und der daher keine Inkonsequenz und Unwahrscheinlichkeit der Auslegung zu groß ist, um nur das a priori feststehende Resultat zu gewinnen, dass die Weissagung nicht über Antiochus hinausreiche.

Nach dem allem erscheinen uns die Abweichungen H i t z i g s von v. L e n g e r k e zu unbegründet und unbedeutend, um beide gesondert zu behandeln; in der Hauptsache, dass Alexander und seine Nachfolger zusammen zu nehmen seien und die vierte Monarchie bilden, stimmen beide gegen Bertholdt zusammen. Eben daher darf wohl die Ansicht dieses letzteren Gelehrten jetzt als veraltert angesehen werden, da sie von den neueren Vertretern der modernen Gesamtauffassung, zu denen auch noch E w a l d *) gehört, einstimmig aufgegeben ist. Man fühlt jetzt allgemein, wie textwidrig und unpassende es ist, bei der vierten Monarchie, der schrecklichsten von allen, welche die ganze Erde verschlingt und zertritt und zermalmt (Dan 7:23), an die verhältnismäßig so schwachen und unbedeutenden Reiche der Diadochen zu denken. Eine ausführliche Widerlegung der Bertholdt'schen Meinung hat überdies schon Hengstenberg gegeben (Beitr. 203ff.) Als die herrschende Ansicht der Gegner dürfen wir daher die L e n g e r k e - E w a l d - H i t z i g 'sche bezeichnen,welcher auch D e W e t t e (a.a.D. S 381), L ü c k e (a.a.D S. 45) u. an. sich anschließen, und wonach unter dem ersten Reich das babylonische, unter dem zweiten das medische unter dem dritten das persische, unter dem vierten das Alexanders und seiner Nachfolger zu verstehen ist. Mit dieser Ansicht haben wir es im Folgenden zu tun.

*) Mit einigen geringen Modifikationen s. a.a.d S. 558ff. E w a l d s Hypothese enthält auch hier wieder ein unwillkürliches Zeugnis für die Wahrheit. Er nimmt an, der Verfasser des Buches denke sich unter den vier Reichen das chaldäische, medische, persische und griechische; nun gehöre aber das persische und medische zusammen, wie der Verf. selbst dadurch andeute, dass er Kap 8 beide unter dem Bild eines zweigehörnten Widders zusammen begreife; er müsse also wohl ein Buch benutzt haben, das unter den vier Reichen das a s s y r i s c h e, chaldäische, medopersische und griechische verstand. Damit ist eigentlich zugestanden, es sei im Text außer den drei zuletzt genannten Monarchien noch eine vierte enthalten. Aber um nur nicht über Antiochus herunter gehen zu müssen, greift man lieber rein willkürlich (gegen Dan 2:37.38) über Nebukadnezar zurück und setzt die vierte Monarchie vorn statt hinten an.

Die Bekämpfung derselben ist insofern schwierig, als gerade über die zweite und dritte Monarchie, um welche es sich hier zunächst handelt, der Text in beiden Kapiteln aus früher entwickelten Gründen ziemlich hinweggeht (Dan 2:32.39; Dan 7:5.6.17). Dagegen haben wir auch wieder einen großen Vorteil dadurch, dass der zweite Teil unseres Buches (Dan 8. und Dan 10-12) sich über eben diese Monarchien ausführlich verbreitet. Hier ist ein fester, über allen Streit erhabener Punkt, von welchem aus der Kampf geführt werden kann. Wir beginnen denselben daher mit einem allgemeinen Vergleich der auf die Weltmacht bezüglichen Gesichte des ersten und zweiten Teils.

II. Kritik der modernen Auffassung

Vergleich der Gesichte des 1. und 2. Teils

Die moderne Auffassung des Buches Daniels erkennt den Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil desselben, wie wir ihn oben entwickelt haben, den Unterschied zwischen Weissagungen, welche nur die nähere Zukunft betreffen, nicht an. Nach ihr geht das 2. und 7. Kapitel, wie das 8. und 11. nur auf Antiochus Epiphanes; sie alle sind vaticania post eventum und wiederholen immer dasselbe, nur unter anderen Formen. Es wurde schon in der Einleitung darauf hingewiesen, welche ein geistlose Monotonie dadurch unserm Buch aufgebürdet wird. Und man darf hiergegen nicht etwas einwenden, das 7. Kapitel sei doch jedenfalls eine Wiederholung des 2. und das 11. eine Wiederholung des 8.; denn nicht nur ist immer noch ein großer Unterschied, ob ich etwas zweimal oder ob ich es vier- und fünfmal sage, sondern wir haben auch gesehen, dass das 7. Kap. gegenüber den 2 und das 11. gegenüber dem 8. nicht bloße Wiederholungen enthält, sondern teils andere Seiten, teils nähere Entwicklungen derselben Sache, was z. B. beim 8. Kapitel gegenüber dem 7.. nicht in entsprechender Weise der Fall wäre. Jetzt wird es nun unsere Aufgabe sein, zu zeigen, dass wirklich ein wesentlicher Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil besteht, und ass mithin die gegnerische Ansicht mit dem Text des ersten Teiles unvereinbar ist.

1) Wir wollen mit dem einleuchtendstem Punkt beginnen, mit dem Schluss der Gesichte. Mit 2. und 7. Kapitel erscheint beide Male nach den vier Weltmonarchien und zum Gericht über dieselben das messianische Reich, dort unter dem Bild des Steines, welcher das Metallbild zertrümmert, hier in der Gestalt des Menschensohnes, welchem die Herrschaft über alle Welt gegeben wird. Im 8. und im 11-12. Kapitel findet sich davon nichts. Jenes schließt einfach mit dem Tod des Antiochus (Dan 8:25), und dieser Unterschied des Gesichts von den beiden früheren musste sicher dem Propheten selbst gewaltig auffallen: nach dem Gericht über den Kap. 7 geschilderten Feind des Reiches Gottes erscheint der Messias, um für immer die Weltherrschaft einzunehmen; nach dem Tode des im 8. Kapitel geschilderten Feindes, in welchem alle den Antiochus erkennen, erscheint er noch nicht. Wie können nun die beiden Feinde identisch sein?

Allein man beruft sich auf Dan 12:2.3: da sei ja deutlich nach dem Tode Antiochus und nach der durch diesen König über Israel hereinbrechenden Drangsalszeit (Dan 11.45; Dan 12:1) die Auferstehung und somit der Beginn des messianischen Reiches verheißen. Das ist aber eben das Charakteristische, dass hier nur von der Auferstehung die Rede ist, also von dem, was an den Einzelnen geschehen soll , während das 2. und das 7. Kapitel von dem Sturz der Weltreiche durch das Messiasreich reden. Dort ist etwas Individuelles herausgehoben, und die individuelle Bedeutung der Sache wird ausdrücklich noch durch das רַבִּים betont, womit die Ankündigung der Auferstehung Dan 12:2 beginnt; hier ist ein durchaus universelles Ereignis geweissagt, und zwar Kap. 2 und 7. gleichmäßig, während die Auferstehung nur im 12. nicht aber im 8. Kapitel erwähnt wird. Wenn also auch allerdings, wie wir übrigens erst aus dem N. T. sicher wissen, beide Begebenheiten, die Offenbarung des messianischen Reiches und die Auferstehung, gleichzeitig miteinander sind: so ist es doch einleuchtend, dass der Erwähnung der ersteren Tatsache im 2. und 7. Kapitel eine ganz andere Bedeutung zukommt, als der der letzteren im 12. Kapitel.

Dies wird noch deutlicher, wenn wir das Verhältnis, in welchem die Ankündigung der Auferstehung zu der ihr vorangehenden Gesamtweissagung des 11. Kapitels steht, genauer ins Auge fassen und mit dem Verhältnis vergleichen, welches im 2. und 7. Kapitel zwischen dem Anbruch des messianischen Reiches und den demselben vorangehenden Entwicklungen stattfindet. Die מַּשְׂכִּלִים Dan 12:3 erinnern an die מַשְׂכִּילֵים Dan 11:33.35, die מַצְדִּיקֵי הָֽרַבִּים an יִכָּֽשְׁלוּ לִצְרֹוף Dan 11:33. Daraus ersieht man, warum hier überhaupt die Auferstehung erwähnt wird, und zwar mit ausdrücklicher Unterscheidung der Auferstehung zum ewigen Leben und derjenigen zu ewiger Schmach und Schande. Es soll nicht etwa ein Fortschritt in der Geschichtsentwicklung angegeben, sondern es soll auf die ewige Vergeltung hingewiesen werden, die das Verhalten der Israeliten in der großen Versuchungszeit unter Antiochus nach sich ziehen wird: die Bundesbrüchigen sind ewig verloren, die Getreuen aber und besonders diejenigen, welche auch noch andern zur Stärkung dienen und den Weg des Lebens zeigen, werden ewig selig und herrlich. Wir haben hier also das Nämliche vor uns, wie in den Sendschreiben der Offenbarung, Verheißungen für die Überwinder, Drohungen für die Abfallenden. Es soll lediglich der Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Einzelnen in der Prüfungszeit und ihrem ewigen Los hervorgehoben werden; über das Temporalverhältnis zwischen dieser Prüfungszeit und der Auferstehung ist nicht das Mindeste ausgesagt*)

*) Es ist also im Grunde nicht einmal notwendig, sich mit H e n g s t e n b e r g (Beitr. I, S 197f) und H o f m a n n (W. u. E. I ; S. 314) auf die prophetische Perspektive zu berufen oder mit H ä v e r n i c k und E b r a r d (Offb. Joh. S. 85f) die Dan 12:1 genannte Zeit bis zur Parusie sich ausweiten zu lassen (nach Analogie von Mt 24:21-29).

Man beachte in dieser Beziehung, dass Dan 12:1 zweimal steht "zu dieser Zeit", während V. 2 und 3. jede Zeitbestimmung fehlt. Nachdem der Engel im Bisherigen bloß den Verlauf der Geschichte geweissagt hat ohne irgend eine Paränese, schließt er nun seine Rede mit dem kräftigsten Motiv zum treuen Ausharren, das sich denken lässt. Dieses Motiv musste umso mächtiger wirken, da die Auferstehung, obwohl schon bei früheren Propheten Spuren davon sich finden (Jes 26:19.21; Hes 37), doch noch nie so klar und gewaltig wie hier verkündigt und namentlich noch nicht so mit der Vergeltung verbunden worden war. Wie sehr dieses Wort auch wirklich gefruchtet hat, zeigt jene makkabäische Mutter mit ihren Söhnen, welche mit dem Bekenntnis der Auferstehung auf den Lippen sich hinrichten ließen, und deren Worte an die unseres Verses erinnern (2Makk 14:23). Anders stellt sich die Sache im 2. und 7. Kapitel. Da handelt es sich wirklich um objektiven Geschichtsfortschritt. Da ist nach dem vierten Reich von einem fünften, dem messianischen, die Rede, welches ebenso dem vierten folgt und ein Ende macht, wie dieses dem dritten usw. Man frage sich nur: macht etwa nach Dan 12:2.3 die Auferstehung Antiochus ein Ende, wie die Erscheinung des Steines oder des Menschensohnes den Weltreichen ein Ende macht? so hat man den gewaltigen Unterschied anschaulich vor sich, der sich auch hier zwischen den Offenbarungen des ersten und zweiten Teils findet. Es ist also klar: die Erwähnung der Auferstehung Dan 12:2.3 ist etwas anderes und hat einen andere Bedeutung als das Kommen des messianischen Reiches im 2. und 7. Kapitel; dies darf beides in keinem Sinn auf eine Linie gestellt werden. Die Weissagung des 11.-12. Kapitels ist daher von derselben Art, wie die des 8.

Und somit haben wir das wichtige Resultat: die (hierher gehörigen) Weissagungen des zweiten Teils schließen mit dem Tod des Antiochus, die des ersten mit dem Sturz der Weltmacht durch das Messiasreich. Es findet mithin, was wenigstens den Endpunkt betrifft, ein bedeutender Unterschied zwischen beiden statt. Und zwar reicht der zweite Teil nicht so weit in die Zukunft hinaus wie der erst. Den da der im 7. Kap, geschilderte Feind der letzte ist, nach dessen Sturz das ewige Messiasreich anbricht, so muss der im 8. und 11. Kap. geschilderte notwendig früher sein. Die griechische Monarchie, die in Antiochus gipfelt, muss also der vierten und letzten, den Daniel 7. geschaut hat vorangehen.

2) Aber nicht bloß in Bezug auf den Endpunkt der Gesichte, sondern auch in Bezug auf den Anfangspunkt und die vorgeführten Weltmächte findet ein beträchtlicher Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil unseres Buches statt. Es ist Tatsache, d,ass im 2. und 7. Kapitel je von vier, im 8. und 11. dagegen nur von zwei Weltreichen die Rede ist, nämlich von dem medopersischen und griechischen (Dan 8:20.21; Dan 11:2). Dass der erste Teil auch noch das babylonische Reich hinzunimmt, darüber ist n ach Dan 2:37.38 ebenfalls kein Streit.

Nun ist bei der Ansicht der Gegner überhaupt schon kein vernünftiger Grund einzusehen, warum der makkabäische Verfasser sich so viel Mühe mit den alten, längst untergegangenen Weltreichen gemacht hat. Wenn derselbe mit seiner Schrift eine Aufrichtung seiner duldenden und kämpfenden Volksgenossen beabsichtigte (D e W e t t e, Einl. ins A. T. S. 390), so war es doch ein recht unnützer Aufwand von historischer Gelehrsamkeit, den er seinem Buch niederlegte. Man denke namentlich an das 11. Kap., welches bei der Annahme eines vaticinium post ebentum in Wahrheit noch unerklärlicher wird, als wenn man es nimmt, wie es sich ergibt. Gerade da, wo es auf eine zündende begeisternde Wirkung im Moment ankam, konnte der angebliche Verfasser doch kaum eine unglücklichere Form wählen, als die einer solchen ausführlichen, historischen Entwicklung, die für alle nach der Erfüllung Lebenden so mancherlei Kenntnisse voraussetzt und ein langsames, mühseliges Studium erfordert. Würde er da nicht weit eher die begeisterte Rede der alten Propheten gewählt haben, die ihm doch, wie wir aus dem Gebet des 9. Kap. sehen, auch zu Gebote stand? Wie konnte er überhaupt seinen Landsleuten in einer solchen Zeit den Glauben an eine ganz neue, bisher noch nie dagewesene Art der Weissagung zumuten? Da waren alte, vaterländische Akkorde anzuschlagen! Wie konnte er hoffen, mit solchen Menschensündlein gelehrter Dichtung das Volk Gottes zu begeistern? Wahrlich, wenn die Israeliten damals erst in der Hitze der Verfolgung unser Buch kennenlernen und studieren mussten, wenn es bei ihnen nicht längst in Fleisch und Blut übergegangen war, so hat es ihnen nichts genützt.

Diese ganze Ansicht trägt, wie die entsprechenden Hypothesen neutestamentlicher Kritik, gar zu sehr das Gepräge des Ortes an sich, wo sie entstanden ist. Es fehlt ihr so ganz an natürlicher Frische, an gesunder Farbe und Lebendigkeit der historischen Anschauung. Weil der Kritiker auf der Studierstufe sitzt, so muss auch der Verfasser auf der Studierstufe gesessen haben, unnd das in einer so gewaltig ernsten Zeit, wo es Frevel war, sich nicht an dem heiligen Kampf zu beteiligen. Einem jüdischen Vaterlandsfreund wenigstens, wie man den Verfasser nennt, ist es da gewiss nicht eingefallen, am Schreibpult alte Weissagungen auszusinnen, statt mit dem Schwert oder mit dem Wort des Mundes dreinzuschlagen, gewiss nicht eingefallen, statt bei dem lebendigen Gott bei solchen Künsteleien des eigenen Herzens Heil zu suchen. Wann werden wir doch einmal aufhören, auch den früheren, großen Zeiten des Gedankens Blässe anzukränkeln, an der wir Epigonen selbst zugrunde gehen? Es bestehen solche Ansichten nur durch ihre Negativität; sobald man sie positiv zu fassen, sobald man sie a n s c h a u l i c h zu machen sucht, zerrinnen sie. Auch das lässt sich nicht historisch veranschaulichen, wenn der Verfasser geschrieben haben soll. Schrieb er doch vor dem Tod des Antiochus, woher wusste er denn diesen mit den ihm vorangehenden Umständen so genau, selbst bis auf den Tag hinaus zu weissagen? Schrieb er aber nachher, wie konnte er noch seine messianischen Träume an diesen Tod anknüpfen? Im einen wie im andern Fall aber wurde das buch mit seinen messianischen Weissagungen bald nach seinem Erscheinen Lügen gestraft. Wie hätte es sich nun kanonische Geltung erringen können!

Und wie ungeschickt hätte es nun der Verfasser angegriffen, auch zugegeben, dass er einmal durchaus schriftstellern wollte! Wollte er seinen Landsleuten zu ihrem Trost in der schweren Zeit zeigen, dass die früheren Weltmächte, die das Gottesvolk bedrückten, immer wieder gestraft und gestürzt worden seien, so musste er doch vorzugsweise den Fall derselben hervorheben, um dadurch den nahen Untergang des Antiochus wahrscheinlich zu machen. Dies tut er aber so wenig, dass man es vielmehr auffallend finden konnte (vgl. H i t z i g S. 16), dass nach der Darstellung des 2. und 7.. Kap. die früheren Reiche erst mit dem letzten zerstört zu werden scheinen. (Dan 2:34.35; Dan 7:11.12). Also gerade der Hauptpunkt, auf dessen Hervorhebung es ankam, wäre übergangen. Statt von dem Untergang der früheren Reiche auf den des Antiochus zu schließen, wäre umgekehrt jener in dieser verschlungen, wobei man dann vollends nicht einsieht, was überhaupt die Erwähnung der früheren Reiche für einen Sinn und Zweck haben soll.

Alles soll sich ferner nur auf Antiochus Epiphanes beziehen. warum aber hat dann der Verfasser davon in den sechs ersten Kapiteln gar nichts erwähnt? Warum hat er insbesondere in dem Traum des 2. Kap., der doch anerkanntermaßen der Grundriss sämtlicher Visionen des Buches ist, von Antiochus auch nicht eine Silbe angedeutet?. Das Monarchienbild läuft in zehn Zehen aus; aber von einem letzten König, der hier emporkäme, wie im 7. Kapitel das kleine Horn zwischen den zehn Hörnern herauswächst, findet sich keine Spur. Wie zweckwidrig wäre es nun gewesen, an die spitze der ganzen Reihe von Gesichten ein solches zu stellen, dem gerade die Pointe fehlt,, um derentwillen alles da ist! Das hätte ja auch für die folgenden Gesichte nur irreleiten und die Aufmerksamkeit der Leser von der Hauptsache ablenken können. Hat sich der Vaterlandsfreund überhaupt viel überflüssige Mühe gemacht, indem er sich in einer Zeit, wo das Vaterland in der äußersten Gefahr war, mit so vielen außer vaterländischen, längst zu Grabe gegangenen Reichen beschäftigte: so isst es schlechthin unverzeihlich, an der Hauptstelle, die allem Übrigen zur Einleitung und Grundlage dient, n u r Überflüssiges zu sagen, nur Beiwerk zu geben und darüber die Sache selbst ganz zu vergessen. Da hätte also schon damals der Gelehrte den Vaterlandsfreund und den Menschen, das Wissen hätte nicht nur das Herz, sondern auch den einfachen Verstand völlig überwuchert.

Die Gegner können fürs erste nicht erklären, warum überhaupt ein Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil stattfindet, warum der Verfasser von seinem makkabäischen Standpunkt aus das eine Mal weiter zurückgreift als das andre Mal, im 2. und 7. Kap. bis auf das babylonische, im 8. nur bis auf das medoperische, im 11. gar nur bis auf das persische Reich. Sie können nicht erklären, warum in den beiden erstgenannten Kapiteln vier, in den beiden andern nur zwei Monarchien aufgezählt werden; und damit hängt für sie die weiter unten noch näher zu besprechende Schwierigkeit zusammen, einen vernünftigen Grund dafür aufzubringen, dass im 8. Kap die medopersische Monarchie zusammengenommen, im 2. und 7. nach ihrer Meinung in zwei Reiche auseinander gelegt wird. Nehmen wir das Buch, wie es sich gibt, so erklärt sich das alles ganz einfach teils schon aus der verschiedenen Zeit, in welcher die einzelnen Offenbarungen gegeben wurde, teils aus dem verschiedenen Zweck des ersten und zweiten Teils. Die Offenbarung des 8. Kap. fällt in das dritte Jahr Belsazars, also in eine Zeit, wo es mit dem babylonischen Reich schon so sehr auf die Neige ging, dass dasselbe keine weitere Berücksichtigung mehr erforderte oder verdiente; die Offenbarung des 10.-12. Kapitels aber empfing Daniel im dritten Jahr des Kyrus, wo also nicht nur die Babylonier, sondern auch schon die Meder nicht mehr erwähnt zu werden brauchten: hier ist daher nur noch von Persien und Griechenland die Rede (Dan 10:13.20; Dan 11:2). Von der Verschiedenheit des Zweckes der beiden Teile und der dadurch bedingten Verschiedenheit in der Weite des prophetischen Sehfeldes ist schon früher die Rede gewesen.

Zugegeben aber auch, dass der Verfasser, etwa um eine gewisse Vollständigkeit in Aufzählung der Weltmächte zu erreichen, in den früheren Kapiteln weiter zurückgreifen mochte, als in den späteren, so muss man es dann allerdings, wie E w a l d andeutet, befremdlich finden, dass nicht auch noch das assyrische, vielleicht selbst das ägyptische Reich genannt ist. Blickte man vom makkabäischen Standpunkt aus zurück auf die früheren Leiden, die Israel durch die Weltmächte zu erdulden hatte, so war es ebenso willkürlich, gerade mit dem babylonischen Reich zu beginnen, als es willkürlich war, in den späteren Kapiteln auch noch dieses wegzulassen. Wer sieht aber nicht, dass gerade in dem Umstand, dass das babylonische Reich als das erste genannt ist, wieder ein Hauptbeweis für die Abfassung unseres Buches im babylonischen Exil liegt, und dass so bei der Annahme der Echtheit Daniel eine Menge tatsächlich vorliegender Erscheinungen ihre rationelle Begründung erhalten, welche für die Gegner irrational und unbegreiflich bleiben? In der johanneischen Apokalypse, welche wirklich von einem späteren Standpunkt aus zurückblickt, werden wir Ägypten und Assyrien mit angedeutet finden; schon oben im ersten Abschnitt aber haben wir gesehen, dass es nicht nur einen äußeren, persönlich geschichtlichen, sondern auch einen inneren offenbarungsgeschichtlichen Grund hat, wenn Daniel mit dem babylonischen Reich beginnt. Denn erst mit dem Anfang des babylonischen Exils hört die Existenz einer selbstständigen Theokratie auf Erden auf, und dieselbe ist bis zu dieser Stunde noch nicht wieder hergestellt; die Herrschaft der Weltmächte dauert noch fort.

Dass es dem Verfasser im 2. und 7. Kapitel und eine gewisse Vollständigkeit in Aufzählung der Weltmonarchien zu tun war, müssen auch die Gegner zugeben; aber sie können diesen Gesichtspunkt weit nicht in dem großartigen Umfang und der tief gehenden Bedeutung durchführen, wie der heilige Text es verlangt. Und hier erst tritt die Differenz zwischen unserer und der modernen Auffassung in ihrer ganzen, prinzipiellen Wichtigkeit zutage. Nach der letzteren gibt das Buch Daniels nur ein Stück politischer Geschichte, von Nebudadnezar bis Antiochus Epiphanes; nach der ersteren, d. h. nach seinen eigenen Aussagen will es etwas unendlich Tieferes und Erhabeneres, es will das Verhältnis der zwei Grundpotenzen der Universalgeschichte, des Gottesreiches und der Weltreiche, darstellen, von da na, wo das Gottesreich als selbstständiger Staat zu existieren aufhörte, bis dahin, wo es als ein solcher in Herrlichkeit wieder aufgerichtet werden soll. Dadurch erst wird unser Buch ein wahrhaft prophetisches und somit ein kanonisches, dass es alles Einzelnen in das Licht der Gesamtentwicklung des göttlichen Welt- und Reichsplanes hineinstellt und bis ans Ende der Tage reicht.*) Geht es nur auf Antiochus, so fehlt ihm dieser Stempel des göttlichen Universal- und Fundamentalblickes, und darum fehlt ihm dann auch die kanonische Würde und Autorität. Man sage nicht: die messianischen Stellen des 2. und 7. Kapitels bleiben ja auch bei der modernen Auffassung stehen; denn es wird dadurch alles noch viel schlimmer, weil diese messianischen Erwartungen nicht eingetroffen wären und sich als eitle Träume erwiesen hätten. Man berufe sich auch nicht darauf, dass ja die früheren Propheten das messianische Rech ebenso z. B. nach Babels Fall erwartet haben, wie unser Verfasser nach dem Fall den Antiochus; denn etwas anderes ist die prophetisch perspektivische Anschauung eines wirklich gottbegeisterten Sehers, etwas anderes die historisch chronologische Behauptung eines "jüdischen Vaterlandsfreundes", eines reflektierenden Schriftstellers.

*) Historiae philosophiam vere divinam extremis lineamentis lieber Danielis depingit - heißt eine der von B r u n o B a u e r bei seiner Lizentiatendiffertation in Berlin 1834 aufgestellten Thesen. Vgl. L ü c k e S. 39. Schon R i c h a r d A m m e r (Versuche über die sämtlichen Weissagungen Daniels; aus dem Engl.; Halle 1779) hebt den bezeichneten Gegensatz S. 5 f. treffend hervor: "Nach dem großen I s a a k N e w t o n u. a. sind die Weissagungen Daniels der heilige Kalender und der große Almanach der Weissagung oder mit anderen Worten eine prophetische Zeitrechnung, abgemessen nach der Regierungsfolge von vier Hauptkönigreichen von dem Anfang der israelitischen Gefangenschaft an, bis das Geheimnis Gottes wird vollendigt sein Dagegen sind G r o t i u s und seine Nachfolger nicht imstande, mehr als eine alte Verfolgung der Juden in denselben zu entdecken." Gleichwohl pflichtet A m m e r selbst der letzteren Meinung bei. Freilich erklärt er dann auch (S. 66) die Stelle Dan 12:2.3 von dem Hervorkommen der Juden aus den unterirdischen Höhlen und Löchern, wohin sie sich während der Verfolgung versteckt hatten; und unter dem fünften reich, welches jetzt jedermann vom messianischen deutet, versteht er (S. 93) mit G r o t i u s das römische, das, weil später christlich geworden, ewigen Bestand habe. Der Menschensohn im Gegensatz zu den Tieren bezeichne die römische Republik im Gegensatz zu den Tieren.

Hier gewinnt nun auch die Vollständigkeit in Aufzählung der Weltmonarchien eine ganz andere Bedeutung und der Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil, dass dort je vier, hier nur je zwei Reiche genannt sind, eine ganz andere Begründung. Im zweiten Teil soll dem Daniel, der schon vorher über den Verlauf der Weltmächte im Allgemeinen unterrichtet ist, Aufschluss gegeben werden über die Entwicklung derselben von seiner Gegenwart an bis auf Antiochus: hier kommt es nun auf die Zahl der Reich gar nicht an, wie denn dieselbe auch nirgends hervorgehoben wird, ja wie überhaupt die Zweizahl keine besondere Bedeutung in der Hl. Schrift hat; die Betrachtung ist hier eine rein spezialgeschichtliche. Der erste Teil dagegen hat zu seinem Thema die Gesamtheit der Alleinherrschaft der Weltmächte. Hier handelt es sich also nicht etwa um eine gewisse, sondern um absolute Vollständigkeit in Aufzählung derselben, um einen Vollständigkeit, die bis dahin reicht, wo die Weltmacht überhaupt zu sein aufhört. Hier ist daher die Zahl von Bedeutung, die V i e r z a h l, die denn auch in beiden Kapiteln ausdrücklich und nachdrücklich hervorgehoben wird (Dan 2:39.40; Dan 7:7.17.19.23). Wir haben oben über die Bedeutung der Sieben- und Zehnzahl reden müssen und jene als die Zahl der Offenbarung des Göttlichen, diese als die der Entfaltung des Weltlichen erkannt. Ein ähnliches Verhältnis besteht nun zwischen der Drei- und Vierzahl: Vier und Zehn sind Welt-, Drei und Sieben sind Gotteszahlen; die Vier verhält sich zur Zahn in Bezug auf die Welt, wie sich die Drei zur Sieben in Bezug auf Gott verhält. "Drei ist die Zahl Gottes, sie bedeutet Gott in der einheitlichen Geschlossenheit ihres Bestandes" (H o f m a n n bei Delitzsch, Genesis, S 412) Darum schließt die Weltmacht in einer Vierzahl von Weltreichen ab. Der Grund dieser Bedeutung der Vierzahl liegt, wie wir aus Dan 7:2.3 vgl. Dan 8:8 sehen, in der Vierzahl der winde und Weltgegenden, welche gleichsam den Bestand der Welt nach allen Seiten erschöpfend darstellen. Dass Vier und Zehn eng verwandte Weltzahlen sind, sehen wir auch daraus, dass die dritte Monarchie in vier, die vierte in zehn Königreiche auseinandergeht: sobald das Prinzip der Zerteilung eintritt in den okzidentalischen Reichen, bestimmt sich dieselbe nach diesen beiden Zahlen. In dem vierten Reich ferner fasst sich das gesamte Weltwesen zusammen, und dieses vierte Reich selbst wieder legt sich in zehn Reiche auseinander.

Die vier danielischen Tiere sind so zugleich ein Gegenbild und Zerrbild der vier hesekielischen. Die אַרְבַּע חַיֹּות des Hes (Hes 1:5) nehmen bei Daniel (Dan 7:3) nur die chaldäische, heidnische Form אַרְבַּע חֵיוָן an. Hesekiel hatte sein Gesicht im fünften Jahr der Wegführung des Königs Jojachin (ÖHes 1:2) also 593 v. Chr., Daniel das seinige im ersten Jahr Belsazars (Dan 7:1), also jedenfalls nach dem 563 v. Chr. erfolgten Tod Nebukadnezars, mithin mehr als 30 Jahre nach Hesekiel. In dieser Zeit konnte unser Prophet gar wohl das hesekielische Gesicht gelesen und in sich aufgenommen haben, so wie wir früher umgekehrt sahen, dass Hesekiel von Daniel wusste. Wir blicken also hier in einen schönen Wechselverkehr der Gefangenen und ihrer Propheten hinein. Die vier Tiere oder Cherube Hesekiels nun stellen das Leben der Welt in seiner höchsten, Gott zugekehrten Potenz dar, wo es Offenbarungsorgan Gottes wird; die vier Tiere Daniels sind das Gegenteil, die Karikatur hiervon: sie stellen das von Gott abgekehrte, immer tiefer zerfallende Leben der Welt dar, welches am Ende Offenbarungsorgan des Teufels wird. Die hesekielischen Lebewesen sind zusammengesetzt aus Mensch, Löwe, Stier und Adler; die danielischen sind Löwe mit Adlersflügeln, Bär, Pardel und ein viertes, ungenanntes Tier. In dem ersten der danielischen Tiere, dem edelsten von allen, lässt sich die Anspielung auf Hesekiel kaum verkennen; die übrigen sind der Natur der Sache nach unedlerer Art als die hesekielischen. Wie wir also bei den siebzig Jahrwochen Daniel auf Jeremia fußen sahen, so finden wir hier zwar nicht so ausdrücklich, aber doch kaum weniger deutlich eine Beziehung auf Hesekiel bei ihm; und zwar sind es in beiden Fällen bedeutungsvolle Zahlen, welche diese Beziehungen vermitteln.

Aus dem allem wird nun, um zu unserm eigentlichen Gegenstand zurückzukehren, erst recht klar, wie die vier Weltreiche bei Daniel von vorne herein mit dem Bewusstsein und der Absicht dargestellt werden, dass in ihnen die Totalität der Weltmacht sich abschließt. Und auch hiervon hat die moderne Auffassung kein Verständnis, da sie die Gesichte nach hinten nur bis Antiochus gehen lassen und nach vorne nicht gehörig erklären kann, warum sie gerade mit diesen bestimmten Reichen beginnen. So erweist sich die Nicht-Unterscheidung des ersten und zweiten Teils nach allen Seiten hin, hinsichtlich des Gottesreiches, wie hinsichtlich der Weltreiche im Ganzen und im Einzelnen, als oberflächlich und unstatthaft, als eine Hypothese, die den Text in seiner vorliegenden Gestalt nicht zu erklären versteht noch ihn daher in den wesentlichsten Punkten gegen sich hat. Noch schlagendere Proben hiervon wird uns der spezielle Vergleich des 7. und 8. Kapitels liefern.

Vergleich der Tiere des 7. und 8. Kapitels

Die zweite und dritte Monarchie

Die Gegner berufen sich besonders gerne auf die Verwandtschaft des 7. Kapitels mit dem 8.; in beiden laufe die gesamte Entwicklung der heidnischen Weltmacht auf den feindseligen König hinaus, der als einkleines, aus anderen Hörner hervorwachsendes Horn dargestellt werden; es sei evident, dass das kleine Horn in dem einen Fall dasselbe bedeuten müsse, wie im anderen; mithin könne auch im 7. Kap. nur Antiochus Epiphanes gemeint sein. Diese Argumentation hat auf den ersten Blick, aber freilich auch nur auf den ersten viel Scheinbares. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass vielmehr gerade aus dem Vergleich dieser beiden Kapitel die stärksten gründe gegen die moderne Auffassung und für die unsrige erwachsen. Wir suchen jetzt dies Doppelte nachzuweisen, zuerst das Negative, was gegen die neuere, dann das Positive, was für die altkirchliche Deutung der vier Tiere aus jenem Vergleich folgt.

1) Schon der Umstand selbst, dass beide Kapitel die Entwicklung der Weltmach in einem kleinen Horn gipfeln lassen, scheint uns mehr gegen als für die moderne Ansicht zu sprechen. Denn wer unserm Buch nur einigermaßen höhere Ideen und tiefere Planmäßigkeit zutraut, dem wird eine so simple Wiederholung in demselben von vorn herein nicht wahrscheinlich sein. Doch hierüber mag man etwa streiten. Aber schon ein zweiter Blick zeigt, dass alles, was dem kleinen Horn vorangeht und nachfolgt, im 7. Kap. anders geartet ist als im 8., dass mithin die beiden Hörner nicht identisch sein können. Von dem Nachfolgenden war schon die Rede: es folgt auf den Sturz des kleinen Horns im 7. Kapitel das Messiasreich, im 8. nichts. Das Vorangehende haben wir jetzt näher ins Auge zu fassen, fürs Erste die andern Hörner und sodann die Tiere, aus denen je das kleine Horn aufsteigt.

Im 7. Kapitel sind es zehn Hörner, zwischen denen das kleine Horn hervorkommt, im 8. sind es vier Hörner, aus deren einem das kleine Horn aufwächst. Also nicht nur die Zahl der früheren Hörner ist eine andere, sondern auch das Verhältnis, in welchem das kleine Horn bei ihnen steht: im 7. Kapitel ist es ein selbstständiges, elftes Horn, im 8. ein nicht selbstständiges , fünftes, sondern nur ein neues Ende, welches geweihartig aus einem der vier vorkommenden sich erhebt und also zu diesem gehört. Wir begnügen uns hier, diesen in die Augen fallenden Unterschied hervorzuheben und sehen von der Deutung der Hörner vorläufig noch ab, indem im nächsten Abschnitt derselbe ausführlicher behandelt werden muss.