Das Rätsel der römischen Kirche

Aus Bibelwissen
Version vom 4. Mai 2020, 16:15 Uhr von MI (Diskussion | Beiträge) (Der Weg zum 7. Weltreich)

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Abschrift des Buches: Rom - Babel - Jerusalem
Der Weg der Menschheit im Licht der Schrift bis zur Vollendung des Gottesreiches

Verfasser: G. Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach) (1928)
Verlag: Gebrüder Schneider, Karlsruhe i. B.

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor: [4. Abschluss des 6. Reichs

in Bearbeitung

2. Teil
Vom apostolischen Zeitalter bis zur Gegenwart

5. Das Rätsel der römischen Kirche

Ist der hinter uns liegend Weltkrieg dem Gedanken günstig, dass um 1970, also in einem starken Menschenalter, das 6. Reich der Offenbarung zu Ende gehen könne? Wenn wie seither unter diesem 6. Reich Europa verstanden wird, zu welchem das alte römische Reich sich ausgestaltet hat, dann spricht der Weltkrieg mit seinen tiefgreifenden Folgen für Europa ehe für diesen Gedanken als gegen ihn. Der Krieg hat Europa zu einem großen Trümmerfeld gemacht. Europa schien trotz aller Spannungen zwischen den Staaten eine wohlgegliederte Völkerfamilie geworden zu sein, dessen hoher Kultur auch Russland sich immer mehr einfügte Noch von 20 Jahren schien ein Krieg, der fast alle europäischen Völker gegeneinander mobil machte, undenkbar zu sein. Europa schien einem weiteren Aufstieg entgegen zu gehen. Nun liegt das Europa der Vorkriegszeit dahinten und lässt sich nie wieder zurückholen. Europa ist wund geworden,und die Wunden wollen nicht heilen. Nach Kriegsende wurde in einem Buch der Satz "Untergang des Abendlands" vertreten. Die Begründung des Satzes erfolgte durch den Hinweis auf rein innermenschliche Vorgänge. Man könne an verschiedenen Kulturen eine Jugend-, Reife- und Altersform wahrnehmen; und wenn eine Kultur diese Stufen durchlaufen habe, dann erfolge das Absterben. So sei die abendländische Kultur im Sterben begriffen. Im vorliegenden Buch wird der Gedanke vom Ausgang der Zeit des Abendlandes, ja der ganzen Menschheit ebenfalls vertreten.

Aber die Begründung ist ganz anderer Art. Sie sieht das, was den Geschichtslauf zur Entscheidung drängt, nicht innerhalb dieser Welt und Zeit, sondern in Gottes Plan und Willen, der dem jenseitigen Verderber der Menschheit Raum gibt für sein böses Wirken, um dann sein Reich in der Menschheit aufzurichten. Aber trotz der grundsätzlichen Verschiedenheit der Begründung ist doch jener Satz vom Untergang des Abendlands bemerkenswert, und ebenso der Eindruck, den er trotz manchen Widerspruchs gemacht hat. Der Traum vom fortschreitenden Sieg der Kultur hat durch das Kriegserlebnis einen Stoß bekommen, und die verantwortlichen Führer der europäischen Völker mag manchmal ein Bangen ergreifen, wie auf die Dauer die Zukunft Europas sich gestalten werde, nachdem der Krieg und die Nachkriegszeit aus diesem Erdteil in staatlicher, wirtschaftlicher, sozialer und sittlicher Hinsicht ein großes Trümmerfeld gemacht hat. Der Schwerpunkt der Weltgeschichte hat sich verschoben. Das durch den Krieg mit veranlasste Erwachen der großen Völker Asiens und der schwarzen Bevölkerung Afrikas ist ein ernstes Zeichen für Europa, das bisher obenan war und die Führerrolle innehatte.

Wenige Jahre haben genügt, um die Weltlage von Grund auf zu ändern. Eine nüchterne Beobachtung der Lage zeigt, dass der Geschichtsverlauf dem Gedanken eines in absehbarer Zeit bevorstehenden Endes der europäischen Vormachtstellung nicht entgegensteht. Es ist nicht gesagt, dass ein solches Ende eine Art Sterben sein müsste. Aber mancherlei Zuckungen wirtschaftlicher, politischer, sozialer und revolutionärer Art können dem jetzigen und dem kommenden Geschlecht bevorstehen! Und solche Zuckungen werden verschärft durch den sittlichen Niedergang. Das Einzelne ist dem Auge entzogen. Es können auch Ereignisse kommen, die nicht vorm menschlichen Willen abhängen, sondern wie mit Naturnotwendigkeit und doch nach Gottes heiligem Plan eintreten, Zeiten großen Sterbens, wie sie Johannes bei der Öffnung des 4. Siegels wahrnahm; oder gewaltige, tief in das menschliche Leben eingreifende Naturereignisse, in der Art, wie sie aufgezählt werden bei den ersten vier der das nahende Ende ankündigenden Trompetenstöße (Offb 6:7.8; Offb 8:7-12). Es kann ja die Frage auftauchen, ob zumal die letztgenannten Ereignisse auf das Naturgebiet bezogen werden müssen. Aber der nächste Eindruck ist der, dass es sich um Naturereignisse handle. Und dieser Eindruck wird verstärkt durch die Wahrnehmung, dass die letzteren in der neueren Zeit sich häufen und zugleich an Umfang zunehmen. Es ist, als ob den Gärungen in der Völkerwelt das Toben der Elemente zur Seite stünde. Auch das weissagende Wort Jesu hat als Vorzeichen und Zeichen des Endes Erschütterungen auf dem Naturgebiet genannt.

Ausreifen des Erntefelds

Wenn von einem Ende gesprochen wird, so denkt man an den Ausgang, an das Aufhören. Aber Ende bedeutet auch soviel wie Abschluss. So ist das Reifwerden auch ein Ende, nämlich das Ende der wachstümlichen Entwicklung. Ein Reifen gibt es nicht nur auf dem Erntefeld, sondern auch in der Geschichte und zwar ein doppeltes Reifen im Sinn des 2. Ackergleichnisses Mt 13:24-30. Die Menschheit hätte in diesem Geschichtslauf reif werden sollen für das Reich Gottes. Nach dem Willen des Fürsten dieser Welt soll sie reif werden zum völligen Abfall von Gott. Das Reifwerden in beiderlei Sinn braucht Zeit. Es gilt nun den Doppelsinn von Ende zusammen zu schauen, wonach es sowohl das Aufhören als das Reifwerden einschließt. Dass beides in Eines gesehen werden kann, wird am Gleichnis von der Ernte deutlich; diese ist Reifsein und Aufhören in Einem. Denn das Reifwerden der Ernte ruft die Sichel, und das Erntefeld wird leer. In diesem Licht gewinnt der Weltkrieg noch einmal ein besonderes Aussehen: er hat den Fall Europas, aber auch sein Reifwerden beschleunigt. Was zuerst ins Auge fällt, ist das Trümmerfeld, das den Gedanken wachruft: Europa hat sich selbst das Grab gegraben! Diese Wirkung des Kriegs ist ja entsetzlich genug. Aber der Krieg hat auch Entwicklungen entbunden, von denen man beim Blick auf die Weissagung der Bibel sagen muss, dass ihr Eintreten unvermeidlich war. Rom reift erst durch den Krieg vollends aus. Und der Krieg war eine wichtige Stufe auch für das Reifwerden der ganzen Menschheit.

Sieht man auf das Wachstum in der Natur, so macht die Wahrnehmung des Reifens Freude. Dass zur Blüte die Frucht kommt, und dass die Frucht reif wird, ist das Naturgemäße. Folgt der Blüte kein Fruchtansatz, fällt die Frucht vor der Zeit ab: das ist ein wehmütiger Anblick. Auf dem Gebiet der Geschichte löst der Blick auf das Reifwerden des Geschehens nicht immer freudige Gefühle aus. Ja, wenn es sich immer um normale Entwicklungen handelte! Dann würde die Betrachtung des Werdegangs des Menschen und Völkern und von der Menschheit eine Freude nach der anderen auslösen. Ganz fehlt ja solche geschichtliche Erquickung nicht. Ungetrübte Freude mach der Gang des Einen, der Gottes- und Menschensohn zugleich ist. Am Kreuz kam dieses ganze wunderbare Leben zur Reife. Das Kreuz an sich ist ein ernster Missklang; trotzdem hat es in den Gang Christi keinen Missklang hineingebracht, sondern ihn zur vollen Reife gebracht, für ihn selbst und für die ganze Welt. Manche biblischen Lebensbilder tun deshalb so wohl, weil das Leben der Männer, von denen sie Kunde geben, ohne wesentlichen Missklang oder noch Überwindung von Missklängen harmonisch abschloss oder zur Reife gelangte.

Wesentlich anders wird ein Werdegang, wenn die Sünde ihren störenden, verunstaltenden und verkehrten Einfluss geltend macht, ohne dass ein Ausgleich erfolgt. Die Wahrnehmung eines solchen Werdegangs ist eine Pein, zumal wenn es sich um große geschichtliche Zusammenhänge handelt. So wagt nur die Bibel den klaren Blick auf den unheimlichen Ausgang der Menschheitsgeschichte, dass sie nämlich mit der völligen Verhaftung der Menschheit an die Macht der Finsternis schließen wird; und nur die Bibel wagt solchen Ausgang in greifbarer Nähe zu sehen, während die Welt es liebt, unangenehme Dinge in möglichst weit zeitliche Ferne hinauszurücken.

Die Geschichte der römische Kirche

So ist ein großes Rätsel, dem man nicht gerne näherrückt, die römische Kirche. Sie wird gewöhnlich katholisch genannt, und sie selber legt auf diesen Namen, dass sie nämlich die allumfassende sei, großen Wert. Aber wegen der engen geschichtlichen Beziehung zu Rom möge sie die römische genannt werden. Unseren Reformatoren war es völlig klar, dass in dieser Kirche, die doch ursprünglich für sie Mutter war, neben dem Evangelium, das ihr immer noch eigen war, eine widergöttliche Entwicklung die Oberhand gewonnen hatte. Die katholische Kirche besteht aber weiter. Sie hat zeitweise ihren Gegensatz gegen die evangelischen Kirchen zurückgestellt; aber im Grundsatz erkennt sie dieselben nicht als Kirchen an. Sie hat sich im Gegensatz gegen das, was den evangelischen Kirchen das Teuerste ist, versteift. Aber wer wagt es, über den weiteren Werdegang der katholischen Kirche nachzudenken, und sie sich zu vorzustellen in der Zeit ihrer Reife? Wer wagt eine Verbindungslinie zu ziehen von der Gegenwart des geistlichen Roms zum Schlussbild der Offenbarung?

Es sei ausdrücklich gesagt, dass jeder Versuch, diese Linie zu ziehen, auch für die evangelischen Kirchen amerikanischer Prägung, für die englische Hochkirche, auch für die deutsche Kirchen sehr ernst ausfällt. Jede einseitige Hervorhebung Roms, als sei es allein auf bedenklichen Wegen, ist ein Unrecht und ein Verkennen der ernsten Erscheinungen auf der eigenen Seite. Ebenso wäre es, wie schon früher hervorgehoben wurde, ein großes Unrecht, einzelne Personen, selbst wenn sie Führer sind, für die Gesamtentwicklung verantwortlich zu machen. Persönlicher Widerwille scheidet bei der Frage nach den letzten Triebkräften einer langen Entwicklung völlig aus. Denn ein langer Werdegang liebt bei der katholischen Kirche vor; sie selber erfasst sich als eine durch fast zwei Jahrtausende hindurch gehende Einheit. In einem derartigen ununterbrochenem Zusammenhang mit dem alten Römerreich sieht keins der heutigen europäischen Völker seine Geschichte, wie die römische Kirche der Gegenwart über die mittelalterliche Kirche zurück den Zusammenhang wertet mit der alten Reichskirche, ja ihre Organisation zurückführt bis auf Petrus.

Die Kirche Roms ist noch nicht ausgereift. Aber Anhaltspunkte, in welcher Weise sie zur Reife gelangen werde, bietet ihre bisherige geschichtliche Entwicklung. An ihr lassen sich im Unterschied und Gegensatz zur Gemeinde Jesu drei ungöttliche Merkmale wahrnehmen. Einmal der Drang, sich selbst hervorzuheben und zu verherrlichen. Daher rührt das Verlangen nach Herrschaft. Der Herrschaftanspruch über ihre eigenen Glieder wie über die, die draußen sind, wird erhoben im Namen Christi. Auch das neuerdings eingeführte Fest von der Königsherrschaft Christi stellt die Kirche auf den Leuchter. Darum geht die römische Kirche nicht darauf aus, ihre Glieder mündig und wahrhaft frei zu machen; sie kann und will ihnen auch nicht zur Heilsgewissheit und zum unmittelbaren freien Hintreten zum Gnadenthron behilflich sein, bindet sie vielmehr bis über das Grab hinaus an sich. Dass mancher sich wohlfühlt, wenn hm bei gehorsamer Anhänglichkeit an die Kirche von der Kirche die großes Selbstverantwortung abgenommen wird, welche in der Gemeinde Jesu keinem erspart werden kann, ist ja verständlich.

Wenn ein Mensch nicht durchdringt bis zu den letzten Gründen der Geborgenheit, der Gewissheit der Versöhnung mit Gott durch Christi Blut im Heiligen Geist, dann ist es begreifbar, wenn das Gefühl der Geborgenheit im Schoß der Kirche gesucht wird. Die römische Kirche hat übrigens zu allen Zeiten auch solche gehabt und hat sie heute noch, die im unmittelbaren Besitz des Friedens Gottes waren und sind. Sie brauchen deshalb ihrer Kirche nicht den Rücken zu kehren und dürfen sie ehren in demütiger Untergebung unter ihrer Ordnungen, wenn sie nur im Glauben sich auf Christum als ihrem einzigen Versöhner stützen. Von Herzen gönnen wir der katholischen Kirche solche Glieder und begehren sie nicht auf die eigene Seite herüberzuziehen. Die Gemeinde Jesu in ihrer Mitte ist der größte Halt und Schutz aller Kirchen. Und solange eine Kirche diese schätzt oder auch nur duldet, ist sie noch nicht ganz widergöttlich geworden. Aber das ernste Urteil, dass jede Kirche, die aus demütigem Dienst zum Herrschaftsanspruch übergegangen ist, in eine widergöttliche Bahn eingetreten ist, bleibt trotzdem bestehen. -

Ein zweites Merkmal der römischen Kirche neben dem Drang zur Herrschaft, ist die Bereitschaft zu Zugeständnissen an das natürliche Menschenwesen, wenn nur der Hoheitsanspruch der Kirche anerkannt wird. Diese Zugeständnisse können zu Anpassungen im Großen führen, ja zur Übernahme von Wesenszügen, die der Kirche eigentlich fremd sein müssten. So hat die katholische Kirche das Heidentum nicht nur nicht überwunden, sondern hat vielmehr einen nicht kleinen Teil heidnischen Wesens unter christlicher Ausprägung übernommen und ihm damit eine christliche Weihe gegeben. - Ein dritter Zug Roms ist die Bereitschaft zum erbitterten Kampf gegen alles, was sich aus Gewissensgründen nicht in sein Gefüge finden, nicht in sein System einfügen kann. Wo kein gewissenmäßiger Einspruch vorliegt, kann Rom sehr freundliche und entgegenkommend sein; ebenso wo Aussicht ist, dass es sich durchsetzen kann. Eine im Gewissen gebundene Freiheit dagegen erträgt es schwer. Zeugnis davon legen viele Scheiterhaufen in früherer Zeit ab. Der Kampf hat sich später nicht mehr in dieser Weise durchführen lassen; aber Roms inwendige Stellung zu denen, die es hartnäckige Ketzer nennt, hat sich nicht geändert.

In allen drei Stücken ist die römische Kirche noch nicht ausgereift. Aber wie die Frucht zur Reife drängt, so geht's auch hier. Letzten Endes ist es freilich nicht die Kirche selber, die vorwärts will; sondern sie wird getrieben. Nochmals sei dieses Geschobenwerden betont. In dem seit fast zwei Jahrtausenden bestehenden Gefüge kommt weder den Geführten noch den Führern klar zum Bewusstsein, was an der Richtung des Ganzen ungöttlicher Art ist. Sie handeln weithin in guter Absicht. Wem dieser wunde Punkt zum Bewusstsein kommt, bei dem wird ein inneres Beben anheben von einer nicht geringen Schwere. Hinter jeder Strömung, welcher Art sie auch sei, die an irgendeiner Stelle aus der göttlichen Linie herausgetreten ist, stellt sich in aller Verborgenheit die Macht der Finsternis, um sie in der begonnenen Fehlrichtung weiter vorwärts zu drängen. Das gilt auf allen Gebieten. Diese Macht der Finsternis wird geleitet von einem persönlichen Willen, der durch die Zeiten hindurch eine wachsende Entschlossenheit, eine zunehmende Energie entfaltet, je mehr er weiß, dass seine Zeit dem Ende entgegengeht: es ist der Wille des alten, bösen Feindes.

Auf dem Weg zur Einheitskirche

Es sei hier zum Verständnis der Schlussgerichte wichtige Bemerkung beigefügt: dieser, die Personen und die Zeiten überragende Wille geht darauf aus, die vielen Strömungen in der Welt zu einer einzigen großen Bewegung zusammenzufassen, nämlich zu der gegen Gott und gegen Christus. Seiner Kunst wird es schließlich gelingen, auch solche Bewegungen, die zuerst einander widerstrebten, einander näher zu bringen, bis sie schließlich zusammenfließen. Er wird alle Strömungen auf einen Punkt hin zu sammeln wissen. Aber auf dem Weg zu diesem seinem Ziel bevorzugt er diejenigen Bewegungen, welche die größte Durchschlagskraft haben. Diesen macht er andere von geringerer Durchschlagskraft dienstbar.

Eine der gewaltigsten Kräfte dieser Art, mit einer mehr als tausendjährigen Tradition (Überlieferung), noch gesättigt mit altem christlichen Gut, aber von der Bahn der Gemeinde Jesu schon weit abgekommen, ist die römische Kirche. Wird der Fürst dieser Welt diese Macht auf der Seite lassen, wenn er seinen Menschheitsplan zum Abschluss bringen will? Das ist nicht wahrscheinlich. Nur muss er zu diesem Zweck das in ihr noch vorhandene christliche Erbgut schwächen und die ungöttlichen Ziele stärken. Das Jahr 1870 mit der Unfehlbarkeitserklärung war ein wichtiger Meilenstein in dieser Entwicklung. Der Weltkrieg hat äußere Widerstände gebrochen. Im Herzen Europas ist diejenige Macht die der Finsternis als Bollwerk des Evangeliums galt, ausgeschaltet. Und durch das deutsch Volk gehen die schweren Erschütterungen, die nach Gottes Willen wohl zum Evangelium hindrängen, aber nach des Satans Willen von ihm wegtreiben sollen. Durch die Völker des europäischen Festlands geht ein Zittern. Sie fühlen, wie der Boden wankt. Zum Teil rührt die Erschütterung her von den Nachwehen des Kriegs, zum Teil von den die ganze Gesellschaft zersetzenden Gärungen.

Werden die Völker vielleicht reif für die römische Kirche als dem Felsen im Toben der Wellen? Wer weiß, ob nicht auch die Staatsmänner noch Roms Mithilfe anrufen, wenn sie merken, dass ihnen die Zügel entgleiten wollen? Das Starkmachen ist sonst Gottes Sache, wenn nämlich die Schwachen ihn um Verstärkung anrufen; aber es gibt auch ein Stärkung von der entgegen gesetzten Seite. Es wäre wohl möglich, dass die Macht der Finsternis im erschütterten Europa zwei Entwicklungen fördert: zuerst ein Wachsen der Nöte undder sozialen Erschütterungen; und dann ein Hochkommen Roms als des Retters in den stärksten Wirren. Es wäre nicht undenkbar, dass Rom sich stärker erweist als sozialistische Bestrebungen, ja als revolutionäre Umtriebe. Ihm stehen eine längere Erfahrung und große Menschenkenntnis zur Seite. Auf die Lage und Aufgabe der evangelischen Kirchen Deutschlands kommen wir in diesem Zusammenhang nicht mehr zu sprechen. Was sie wissen und beachten müssen, was sie zu tun haben und wessen sie sich trösten dürfen, das ist in dem Reformationslied ausgesprochen: Ein feste Burg ist unser Gott! Nur ist es nötig, nicht nur des 1. Verse sich zu freuen, sondern auch die übrigen zu beherzigen.

Das politische Erbe Europas

Überblickt man die Mächte, die seit dem Weltkrieg auf dem europäischen Festland um Geltung ringen und lässt man die von außen einwirkenden Bestrebungen einstweilen auf der Seite, dann kann man drei nennen: den Imperialismus, den Sozialismus und die römische Kirche. Der erstere, d. h. das Streben nach politischer Vormachtstellung, ist vor allem in Frankreich vorhanden und hat dort eine lange Geschichte hinter sich. Der Ausgang des Weltkriegs hat dieses politische Machtstreben noch gesteigert. So steht es zur Zeit unter den europäischen Staaten des Festlands an erster Stelle. Russlands alte politische Macht ist zur Zeit ausgeschaltet; Deutschland ist wehrlos. Es kann sein, dass Frankreich der politische Erbe Roms in der Gegenwart wird, dass das vorher zerklüftete festländische Europa unter seiner Führung noch einmal eine Art Zusammenfassung erlebt. Aber das Machtstreben regt sich ebenso in Italien, das gerne die eigentlichen Mittelmeerländer zusammenfassen möchte, in später, aber nicht weniger kräftiger Nachbildung des älteren Roms. Und sehr stark ist das Machtstreben in Russland, obwohl dem Bolschewismus die äußeren Machtmittel nur in geringerem Maße zur Verfügung stehen. Die Glieder des Leibs sind uneins geworden. Welchen Jammer das gegenseitige Ringen dieses Imperialismus noch über Europa bringen kann, das vermag niemand zu sagen; aber manchmal mag denen, die darüber nachdenken, eine bange Ahnung aufsteigen. -

Der Sozialismus ist vorhanden von maßvoller bis zur ausgeprägtesten Form; bald will er nur im eigenen Volksganzen zur Auswirkung gelangen, bald will er über das eigene Volk hinübergreifen und europäische Wirkung, ja Weltwirkung erzielen. Wer will sagen, wie sich das Leben gestalten würde, wenn sozialistische Bestrebungen, besonders solche umstürzender Art, zum Ziele gelangten? Was in Russland vorgefallen ist im Hass gegen alles Göttliche, darf wohl zu denken geben, zumal die Zuckungen sehr ernster Art in den Nachkriegsjahren auch in Deutschland zu verspüren waren. - Es kann wohl sein, dass die römische Kirche, die die ruhigste, am meisten ihres Ziels bewusste unter den 3 Mächten ist, mit denen beide anderen zusammengehen. Sie wäre geeignet, sich zwischen streitende Gruppen zu stellen und ein Bindeglied zu bilden zwischen Imperialismus und Sozialismus.

Wenn der weitere Geschichtslauf diesen Gedanken über den Gang der römischen Kirche recht geben würde, dann würde es sich ergeben, dass sie die Abschattung des römischen Reichs darstellt. Es entspricht der in der alten Zeit: römisches Reich und Reichskirche; im Mittelalter die abendländische Völkerfamilie unter dem neuerstandenen Kaisertum und die mittelalterliche Kirche unter dem Papsttum; und nach einer Zeit des Niedergangs der mittelalterlichen Kirche und der Trennung Europas in zwei kirchliche Lager, könnte es für die kommende Zeit heißen: Rettung Europas aus den Erschütterungen des Weltkriegs durch die römische Kirche unter Ausschaltung der Selbstständigkeit der evangelischen Kirchen und unter Wiederanschluss der griechischen Kirche! Wir wissen nicht, ob die Geschichte diesen im Großen angedeuteten Weg gehen wird. Anzeichen, die nach dieser Richtung weisen, sind vorhanden. Würden die obigen Mutmaßungen sich als richtig erweisen, dann wäre die römische Kirche zur Reife gelangt als die eigentliche Erbin Roms. Was Eisen und Ton zusammenhielt, was beim Auseinandergehen in die Zehen die Einheit darstellte und wieder zur ihr zurückführte, das wäre dann das geistliche Nachbild des alten römischen Reiches. Die römische Kirche wäre über das Mittelalter hinüber das Bindeglied zwischen der ersten und der dritten Erscheinungsform des 6. Reiches. Das wäre ein Triumph des alten, bösen Feindes, wenn es ihm gelingen würde, in solch umfassender Weise die Gemeinde Jesu ihrem eigentlichen Zweck zu entfremden und seinem Ziele dienstbar zu machen.

Auf dem Weg zur Weltherrschaft

Bisher war der Blick mit bewusster Einseitigkeit auf das festländische Europa gerichtet worden. Aber die Geschichte desFestlands ist schon seit langer Zeit nicht mehr denkbar ohne England, den vorgeschobenen Posten an Europas Westseite, und ohne Amerika, den überseeischen Ableger Europas im Westen. Und schon längst hat Europa einschließlich Englands nach den anderen Erdteilen gegriffen und sie seine Überlegenheit fühlen lassen. Aber in zunehmendem Maße wirken nun Asien und Afrika auf Europa zurück. Der Weltkrieg hat nicht nur für innereuropäische Geschichte ausschlaggebende Bedeutung gehabt; seitdem ist vielmehr die vorher so zersplitterte Geschichte der Völker und Völkergruppen zur gemeinsamen Geschichte, zur Weltgeschichte geworden. Das im Weltkrieg sich selbst zerfleischende Europa hat die ganze Welt zum Krieg herbeigerufen und in den Krieg hineingezwungen; nun wird es die Welt nicht mehr los.

Der Griff nach der Welt

Es war früher die Rede davon, dass dem 6.Reich durch die arabische und türkische Welt des Islam der Weg nach Asien und Afrika versperrt wurde und dass deshalb sein Ausdehnungsdrang sich nur nach dem Norden Europas betätigen konnte. Um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert wurde die Umgehung des Sperrwalls versucht auf dem Seeweg. Sie gelang. Um Afrika herum wurde der Weg nach Ostindien gefunden. Beim Versuch, Indien auf anderem Weg zu erreichen, war Kolumbus einige Jahre vorher nach Amerika gelangt. Später kam die Kenntnis Australiens dazu. Die alte Welt hatte wieder einen Ausgang, und eine neue Welt tat sich vor den Völkern Europas auf. Sie haben sich darauf gestürzt. Im Lauf der Zeit haben sich nahezu alle europäischen Völker ein Stück der Welt zu sichern gewusst, die Portugiesen, die Spanier, die Russen, die Franzosen, die Italiener, die Deutschen. Wie soll das verstanden werden? Hier kam zur Bestätigung, was Daniel im 4. Tier sah: nämlich das Umsichgreifen mit den Krallen, das Zermalmen mit den Zähnen, das Zertreten mit den Füßen (Dan 7:19). Das alte römische Kaiserreich war noch nicht die Ausgeburt dieses Tieres, sondern erst dessen Erstlingsgestalt; im Mittelalter hatte es bereits nach dem Norden Europas weitergegriffen, und nun griff es nach der Welt.

Die also nach der Welt griffen, das waren christliche Völker! Ihre Schuld gegenüber diesen außereuropäischen Völkern, die mit Ausnahme der Inder alle der hamitischen Völkergruppe angehören, ist riesengroß, wiewohl nicht alle Völker in gleichem Maße mit Schuld belastet sind; verhältnismäßig am wenigsten das deutsche. Die amerikanische Geschichte der Neuzeit ist mit dem Blut der Ermordeten und mit den Tränen der Verdrängten geschrieben worden. Ein ganzer Erdteil, AMERIKA, ist der einheimischen Bevölkerung abgenommen worden; sein Süden wurden von Romanen, der Norden von Germanen in Beschlag genommen. Und wie groß ist die Schuld der Christenheit am SCHWARZEN ERDTEIL! Mögen die Araber mit den Sklaven begonnen haben: christliche Völker fuhren fort. In dem Buch "Die Mission in der Schule" (15. Auflage 1913) berechnet Warneck die Entvölkerung Afrikas infolge des Sklavenraubs einschließlich der Menschenverluste bei der Jagd auf Sklaven und bei der grausamen Überführung zur Küste auf etwa 100 Millionen!

Den Anfang machten Portugiesen; Spanier führen fort, um den durch die Ermordung der Urbevölkerung auf den westindischen Inseln entstandenen Arbeitermangel zu decken; aber die anderen seefahrenden Nationen beteiligten sich auch, Engländer, Franzosen, Holländer, Dänen; zeitweise taten sogar Brandenburger mit. Diese Sünden christlicher Völker erklären manche Merkwürdigkeiten ihrer Geschichte. Der tiefe Fall Portugals und Spaniens hängt wohl auch mit diesen Sünden zusammen, wozu noch die grausame Unterdrückung des Evangeliums in spanischen Landen gekommen ist. Die immer dringender werdende Frage der schwarzen Menschen der Union ist die unmittelbare Folge jener Sünden: die Schwarzen kamen ja nicht freiwillig nach Amerika, sondern sind die Nachkommen der Verschleppten.

Afrika selber ist seiner übrig gebliebenen Bevölkerung nicht in gleicher Weise weg genommen worden wie Amerika den Indianern. Für die neue Art der Besiedlung und Ausbeutung ist das Wort Kolonisation geprägt worden. Mit diesem Wort wird manchmal der Gedanke verbunden, es sei den fremden Völkern mit dem Einzug ihrer Herren eine Wohltat erwiesen worden. Nun soll nicht bestritten werden, dass die Kolonisation, besonders wo sie menschenfreundlich gehandhabt wurde, der einheimischen Bevölkerung auch Erleichterung und Annehmlichkeiten gebracht hat. Aber der Wahrheit würde es mehr entsprechen, wenn statt Kolonisation "Eroberung" gesagt würde. Denn der eigentliche Beweggrund zur Erweckung von Kolonien war nicht das Verlangen, die Bevölkerung zu beglücken, sondern das selbstsüchtige Begehren.

Die Geschichte des Verkehrs der christlichen Völker mit ASIEN ist ebenfalls kein Ruhmesblatt für sie. Es sei hingewiesen auf die Geschichte der Unterwerfung Indiens zuerst unter portugiesische, dann unter die englische Herrschaft, und auf den unseligen Krieg, durch den England im Jahre 1842 den Chinesen das indische Opium aufgezwungen hat, das man in China garnicht wollte, und das den Chinesen schon in so hohem Grad verderblich geworden ist. - Die Geschichte der Besiedlung AUSTRALIENS ist ebenfalls eine Kette von Gräueltaten, welche die einheimische Bevölkerung fast zum Aussterben brachten.

"Die Weltgeschichte ist das Weltgericht'": Ganz stimmt dieser Satz nicht, aber Wahres ist dran. Wenn Europa, nachdem es im selbstmörderischen Krieg sich selbst an den Rand des Verderbens gebracht hat, von seiner Herrscherstellung heruntersinkt, die es seit Beginn der Neuzeit über die Welt aufgerichtet hat, so rächen sich hier alte Sünden. Vieles am Christentum der europäischen Völker ist übertünchte Ungerechtigkeit und Barbarei. Und die Missionstätigkeit, soweit sie wirklich das Evangelium bringen und nicht mit dem Evangelium "christliche" "Kultur" verbreiten will, ist nur eine kleine Abtragung vom Schuldenkonto der europäischen Christenheit, das durch die Jahrhunderte nicht verjährt ist. Zugute rechnen kann sich die Christenheit auf diesen Liebesdienst nichts. Zudem ist er ihr auch befohlen. Übrigens ist er von einzelnen christlichen Kreisen ausgegangen, nicht von der Christenheit als ganzer. Es ist eine Freundlichkeit Gottes, dass er diesen Dienst angenommen hat und ihn in seinen Reichsplan einfügt.

Was einst Noah weissagend ausgesprochen hat, als sein Sohn Ham sich an ihm versündigt hatte, ist an der hamitischen Völkergruppe in Erfüllung gegangen. Die neuere Weltgeschichte ist eine wesentliche Auswirkung dieses Fluchs. Sowie die Hamiten in den Gesichtskreis und in die Reichweite der japhetitischen Völkerwelt Europas kamen, begann ihre Unterwerfung unter die letztere. Aber diese haben das ihnen durch die göttliche Regierung eingeräumte Herrscherrecht über die hamitischen Völker überschritten und missbraucht. Deren Knechtschaft währt nicht für immer. Wie mächtig steht schon seit geraumer Zeit Japan da, als Bundesgenosse begehrt, weil es als Nebenbuhler gefürchtet ist! Wie regt sich das chinesische Riesenreich und zieht in seinen gegenwärtigen inneren Wirren die Blicke der Welt auf sich! Wenn es sich aus seinem Durcheinander herausgearbeitet hat und sich seiner Kraft bewusst geworden ist, können die europäischen Völker die Behandlung nicht mehr fortsetzen, die sie sich ihm gegenüber früher erlaubten. Und die schwarze Welt Afrikas ist im Krieg auch erwacht und hat Europas Schwäche gesehen und die Waffen gebrauchen gelernt. Ob nicht die Staatsmänner manchmal besorgt sind ob der Zeiten, die für das eins ans Herrschen gewöhnte Europa und Amerika anbrechen können, wenn die fremden Völker erstarkt sind! Europa verdankt seine Herrscherstellung letzten Endes nicht der eigenen Tüchtigkeit seiner Völker, sondern der Güte und Gnade Gottes. Wie aber die Hamiten unter dem Fluch der Sünde seufzen, so steht auch die Sünde der Japhetiten unter dem Fluch; und der Fluch beginnt sich zu erfüllen.

England und Amerika - politisch

Es ist bereits gesagt worden, dass ziemlich alle Völker Europas an dessen Herrscherstellung innerhalb der Welt Anteil gesucht und gefunden haben. Unter den festländischen sind aus der Gegenwart zu nennen die Erben West- und Ostroms, nämlich Frankreich und Russland. Das letztere hat den ganzen Norden Asiens sich einverleibt. Das erstere hat sich ein gewaltiges Kolonialreich in Nordafrika geschaffen; auch in diesem Stück geht es in den Bahnen Roms, das seinerzeit auf die Besitzergreifung Nordafrikas einen Hauptteil seiner Kraft verwandte. Zu nennen ist auch der große Kolonialbesitz der Niederlande auf der hinterindischen Inselwelt. Aber der eigentliche Vertreter der europäischen Herrscherstellung in der Welt ist England, dessen Reich man mit gutem Grund ein Weltreich nennen kann, auch wenn man es nicht als eines der 7 in der Offenbarung genannten Reiche betrachtet, wiewohl die Eigenart dieses Reiches einen solchen Gedanken nahelegen würde. Ohne die Teilnahme Englands am Weltkrieg, die auch den Eintritt der Union nach sich zog, wäre derselbe, menschlich gesprochen, für Deutschland kaum so ernst geworden. Das englische Reich unterscheidet sich von allen anderen Staatsgebilden. Die letzteren sind geschlossene Herrschaftsgebiete von kleinerem oder größerem Umfang. Das Mutterland des Reichs, England, hat keinen sehr großen Umfang. Aber sein Herrschaftsgebiet, das ihm in engerer oder loserer, in selbstständigerer oder gebundenerer Form angegliedert ist, erstreckt sich über sämtliche Erdteile. Bald sind es Gebiete von gewaltigem Umfang, bald ganz kleine Flächen, die wie Inseln innerhalb der Völkerwelt sich ausnehmen. Aber jedes Gebiet liegt am Meer und ist so angelegt, dass die wichtigsten Wasserstraßen von diesen Stellungen beherrscht werden können. Das Werden dieses Reichs hat eine lange Geschichte. Zwar sind die Engländer im allgemeinen geneigt, ihr Reich in naher Beziehung zum Reich Gottes zu sehen, aber die Art, wie es zustande gekommen ist, ist ein Zeichen, dass es ebenfalls an der Tierart teilhat.

Ein Ableger Englands sind die Vereinigten Staaten Nordamerikas, die Union. Zwar haben alle europäischen Völker ihre überschüssige Bevölkerung an die Union abgegeben und haben so Amerika zu einem Ableger Europas gemacht. Aber die eigentliche Brücke nach Amerika hinüber war und ist England. Übrigens ist Amerika längst nicht mehr nur eine europäische Kolonie, sondern ein zweites Europa, ein weiter entwickeltes Europa. Europa ist das altgewordene 6. Reich; Amerika ist seine verjüngte Gestalt. Dort ist ein neues Volk entstanden und immer noch im Entstehen begriffen. Jäger hat in seiner bereits genannten Abhandlung über die Kulturen im Licht der Bibel recht, wenn er Amerika den Schmelztiegel der Völker nennt. In diesen Tiegel kommen die Auswanderer; sie werden in kurzer Zeit umgeschmolzen. So geht es aber nicht nur mit den Einzelnen, sondern auch mit den Volksarten. Das Ergebnis des Umschmelzungsprozesses ist der Amerikaner. Dessen Gepräge ist zwar nicht in ganz Amerika gleich. In Südamerika wiegt die romanische Art vor. Aber merkwürdig einheitlich in der Art sind die zur Union gehörenden Amerikaner trotz der Herkunft aus ganz verschiedenem Blut, aus germanischem, romanischem, keltischem und slawischen. Die Grundart der Vereinigten Staaten ist englisch, die Sprache ist englisch. Bis vor 150 Jahren gehörten sie auch zum englischen Reich. Beispiellos ist die rasche Entwicklung der Union zu einer Weltmacht ersten Ranges, die vor allem mit ihrer unerhörten wirtschaftlichen Blüte zusammenhängt. Die Union und England haben vieles Gemeinsame, namentlich das angelsächsische Wesen. Die Interessen sind freilich nicht die gleichen.Aber ob nicht, zumal in gemeinsamen Notzeiten, die noch kommen mögen, das Gefühl für das Gemeinsame die Gegensätze ausgleichen würden?

Der Übergang zum 7. Weltreich

Wie soll England-Amerika im Rahmen der in der Offenbarung genannten 7 Weltreichbildungen verstanden werden? Den Verfasser hat früher der Gedanke viel bewegt, ob die beiden durch den Bindestrich zusammengehörig bezeichneten Mächte nicht nach dem römisch-europäischen Reich als dem 6. Tierkopf die Überleitung darstellen zum antichristlichen Reich, so dass sie durch den 7. Tierkopf bezeichnet wären, der dem 8. Kopf vorausgeht. Veranlasst war dieser Gedanke durch die Beobachtung der Eigenart und der Kraftentfaltung der englisch-amerikanischen Macht, sowie durch die Wahrnehmung, dass England nicht nur geographisch abseits von Europa liegt, sondern dass auch seine Geschichte nicht ganz in den Bahnen der europäischen Völker verläuft. Zwar hat England in zunehmenden Maß in die europäische Geschichte eingegriffen, so mit der Niederwerfung seiner seefahrenden Konkurrenten auf dem Festland, der Spanier, der Niederländer, der Dänen. Weiter mit dem erfolgreich durchgeführten Grundsatz, keine festländische Macht zu stark werden zu lassen - so hat es seiner Zeit Napoleon I. in Schach gehalten; so hat es im letzten Krieg Deutschland getroffen, und gleichzeitig Russlands Kräfte, die für England gefährlich wurden, festgelegt.

Die europäischen Völker und Staaten waren und sind ihm mehr Figuren auf dem Schachbrett, von denen es je nach seinen Bedürfnissen und nach der jeweiligen Lage eine gegen die andere ausspielt. Aber nähere Beziehungen zu ihnen hat England nicht und begehrt sie nicht; seine Freundschaft bleibt kühl und sogar seine Abneigung und sein Hass ist kalt. Auch die innere Geschichte Englands ist mit der Entwicklung der europäischen Staaten nicht gleichartig gewesen und ihr vorausgeeilt. Wäre aber England, zusammen mit Amerika, als das 7. Weltreich anzusehen, dann dürfte - die Richtigkeit der Annahme vorausgesetzt, dass das 6. Reich in 3 Zeiträumen von je 666 Jahren verlaufe - ihr Eintritt in die eigentliche Weltmachtstellung erst in einem starken Menschenalter beginnen. Nun war es zwar auch bei den früheren Weltreichbildungen so, dass ihre Vormachtstellung eine kürzere oder längere Geschichte vorausging mit manchmal kräftiger Machtentfaltung - man denke an das römische Reich vor dem Jahre 30 v. Chr. Aber der Eindruck ist doch stark, dass zwar die Union sich noch in aufsteigender Bewegung befinde, England aber nahezu den Höhepunkt seiner Machtstellung erreicht habe. Es wäre zwar verfehlt ein baldiges Sinken Englands von seiner höhe zu erwarten; es ist wohl möglich, dass nach der Niederwerfung Deutschlands seine Macht noch steigt. Aber die Zeit des ruhigen, sicheren Genusses seiner Weltherrschaft scheint doch bereits abgelaufen zu sein; es muss die Mittel der Staatskunst fleißig anwenden, um sich auf der Höhe seiner Stellung zu halten und gegen die vom Erwachen der Völker Asiens und Afrikas drohenden Gefahren zu sichern.

Auch für die Union sind schon ernste Fragen entstanden auf äußerem und innerem Gebiet. Im großen Ozean trifft es mit den Interessen Japans zusammen und muss sich fragen, wie die Lage werde, wenn China zu einem guten Schluss seiner Wirren käme. Ob es z. B. die Absperrung der Völker Ostasiens von seinem Gebiet auf Dauer durchführen könnte; die gleiche Frage kann für England brennend werden im Blick auf Australien. Eine der brennendsten inneren Fragen für die Union ist die, ob sie auf Dauer die Übersättigung mit Zivilisation ertragen kann, ohne Schaden zu nehmen an der Seele. Die Entwicklung aller Verhältnisse geht in immer rascherem Tempo voran. Ein Menschenalter ist in der Gegenwart als einen lange Zeit zu werden, in der grundlegende Änderungen vor sich gehen könne, in der auch Hochstellung und Kraftentfaltung sich wandeln können in Niedergang und Schwächung. Diese Erwägungen sind der Vermutung nicht günstig, dass der Höhepunkt der englisch-amerikanischen Machtentfaltung erst etwa 1970 erreicht sein werde. Und ein anderer Gedanke wäre nicht denkbar, wenn es das 7. Reich wäre, und wenn die bisher an der Geschichte geprüfte Auffassung von der Dauer des 6. Reichs zu Recht besteht. Denn ein neues Reich tritt in seinen eigentliche Zeit erst ein, wenn die vorhergehenden abgeschlossen sind. Das neue hebt das alte auf.

An diesem Punkt entsteht eine neue Schwierigkeit für die Vermutung, dass England-Amerika das 7. Reich sein könnte. Wenn England auch ein vorgeschobener Posten ist und Amerika eine von Europa zu unterscheidende Welt, so ist der Zusammenhang beider mit der europäischen Geschichte, sowohl der blutmäßige als auch der geschichtliche, nicht zu verkennen. England und Amerika Vorposten und Ableger Europas: damit ist die notwendige Unterscheidung der beiden Größen von Europa ausgesprochen, aber ebenso ihre Zusammengehörigkeit anerkannt. Es sei auch darauf hingewiesen, dass schon das alte römische Reich sich England einverleibt hat. Würden nun Europa und England-Amerika als Reich aufeinanderfolgen, dann wäre innerhalb eines zusammengehörigen Ganzen der Zwiespalt ausgebrochen; mit einem Bild zu reden: der Sohn hätte sich gegen den eigenen Vater erhoben. Das ist richtig, dass die Vorherrschaft in der Welt in deutlich wahrnehmbarer Weise vom europäischen Festland nach England und Amerika hinüber gerückt ist. Das muss aber nicht den Fall des einen Reichs durch das andere bedeuten, sondern nur eine Verschiebung des Schwerpunktes, wenigstens in dem Punkt des Welteinflusses. Auf anderen, ebenso wichtigen Gebieten kann die Führung bei Europa bleiben. So wird es wahrscheinlich auf geistlichem Gebiet sein. Doch können die Ausführungen zu diesem Punkt er an einer späteren Stelle gemacht werden.

Aus diesen Gründen muss England-Amerika mit dem 6. Reich zusammen genommen werden. Das früher über dieses Reich Gesagte bedarf deshalb noch einer Ergänzung. Das 6. Reich hat drei Erscheinungsweisen, nicht nur nach seiner Art, sondern auch nach seinem Umfang. Das alte Reich umfasste die Länder um das Mittelländische Meer. Viel ging davon an den Islam verloren. Aber ein großer Teil des Gebiets ist in der neueren Zeit wieder zurückgeholt worden; man denke an die Angliederung Nordafrikas an Frankreich und an den beherrschenden Einfluss, den England in Ägypten und in Vorderasien errungen hat. Im Mittelalter hat sich das Reich erweitert durch Eingliederung der germanischen und slawischen Welt, wodurch die Schicksalsgemeinschaft der europäischen Völker entstanden ist. In der Neuzeit hat das Reich sich noch weiter ausgedehnt, indem es Amerika zu einem Ableger Europas machte unter weitgehender Umschmelzung der alten Volksarten, und indem es auf dem Weg der sog. Kolonisation über einen großen Teil der Welt die Herrschaft errang und den Rest unter seinen Einfluss zu bringen suchte. Die wichtigste Brücke zwischen Europa und Amerika und zugleich der eigentliche Träger der WELTherrschaft des 6. Reiches ist England. Das letzter ist neben Russland und Frankreich zur dritten Ausprägung römischen Wesens auf politischen Gebiet geworden.

So ist das 6. Reich im Lauf seiner langen Geschichte mehr und mehr zu einer Zusammenfassung der japhetitischen Völkergruppe geworden. Von dieser steht nur der östliche Zweig abseits, der das persische Volk und die Inder umfasst. Sie stehen abseits, sofern die Perser und Inder von den europäischen Völkern nicht als Brüder bewertet werden, obwohl sie blutmäßig Brüder wären. Das rührt her nicht bloß von ihrer frühen Trennung vom europäischen Zweig der Japhetiten, sondern vom seitherigen Verlauf der Geschichte. Die Araber und später auch die Türken haben sich als Wall zwischen die europäischen und asiatischen Japhetiten geschoben und haben den Übergang der letzteren zum Christentum verhindert. In Indien sind schon frühe christliche Einflüsse wirksam gewesen und in Persien hatte das Christentum Fuß gefasst. Durch die vom Islam herbeigeführte Absperrung kamen die christlichen Einflüsse in Persien nicht zur Reife und Indien blieb auf seiner heidnischen Stufe stehen. Und die Perser nahmen den Islam an, der auch in Indien starken Eingang gefunden hat. Das Fehlen des Christentums bei den Persern und Indern hat die Wirkung gehabt, dass zwischen den weltlichen und östlichen Japhetiten kein Gemeinschaftsgefühl aufkam, auch nicht in der Zeit, seit England sich in Indien festgesetzt hat und es als sein Kleinod unter seinen auswärtigen Besitzungen wertet.

Die Beziehung England - Indien

Eigentlich wären Engländer und Inder dem Blut nach Brüder. Die beiden Völker sind freilich nicht unmittelbar miteinander verwandt. Aber sie gehören beide der gleichen Völkergruppe an, und die indische Wesensart hat trotz aller Unterschiede Annäherung an die europäische Art. Der bekannte Inder Sundar Singh z. B ist nach Gestalt und Aussehen viel mehr Europäer als Asiate. Trotzdem behandelt England die Inder nicht viel anders als die Schwarzen. Das Fehlen des Christentums sorgt für diese Trennung, obwohl es nicht christlich ist, um dieses Mangels willen ein stammverwandtes Volk wie ein fremdes zu werden und zu behandeln. In diesem Zusammenhang wird es von neuem deutlich, dass erst das Christentum dem 6. Reich seinen Gehalt und sein Gewicht gegeben hat. Erst das Christentum hat die Völker des 6. Reichs einander näher gebracht.

Der Segen Noahs hat sich übrigens auch am indischen Volk ausgewirkt. Den Japhetiten wurde das Wohnen in den Hütten Sems verheißen. Das ging dadurch in Erfüllung, dass gerade der japhetitschen Völkergruppe das Evangelium früher nahegebracht wurde als den Hamiten. Nun hat sich zwar die Christenheit, als sie sich, freilich spät, ihrer Missionspflicht gegenüber der nichtchristlichen Völkerwelt bewusst wurde, mit der Verkündigung des Evangeliums allen Erdteilen zugewandt; aber Indien war das erste fremde Land, dem in der Neuzeit das Evangelium dargeboten wurde. Das war schon vor mehr als 200 Jahren, zu einer Zeit, als China und Afrika die beiden nach Indien wichtigsten Missionsgebiete, noch lange außerhalb des Missionsinteresses lagen. Man kann Indien als den Erstling der Mission ansehen; aber die andere Betrachtung ist ebenso möglich und wohl richtiger, dass es unter den japhetitischen Völkern der christliche Nachkömmling ist. Unter den Missionsgebieten ist Indien dasjenige, wo das Volksleben am durchgreifendsten mit christlichen Einflüssen durchsetzt ist, auch wenn angesichts der Schwierigkeit des Übertritts die Zahl der Getauften im Verhältnis zum Volksganzen verhältnismäßig gering ist. Bei den Indern reift die Entscheidung heran, ob sie sich volksmäßig dem Evangelium aufschließen wollen, oder ob auch weiterhin nur Einzelpersonen und einzelne Kreise und kleinere Volksteile den Weg zum christlichen Glauben finden. Im Grunde genommen ist es auch bei den christlichen Völkern Europas und Amerikas nicht anders: trotz ihrer Christlichkeit sind es doch nur einzelne und kleinere Kreise, die ein inneres Verhältnis zum Evangelium gewinnen. Je länger desto mehr gleicht sich die Lage der Gemeinde Jesu innerhalb der Christenheit derjenigen auf den Missionsgebieten an.

Es wäre vielleicht nicht ausgeschlossen, dass England, zwar nicht aus dem Drang christlicher Liebe heraus, aber in staatsmännischer Klugheit Indien aus der Rolle einer Kolonie mehr in die eines Freundes versetzte. Denn Indien ist zusammen mit Ägypten die Schlüsselstellung des englischen Reichs. Und England ist imstande, viel zuzugestehen und viel zu opfern, wenn es sich darum handelt, den Bestand seines Reiches zu erhalten, und noch mehr, wenn es in ernsten Zeiten um die Rettung des Reiches ginge. Um Indiens willen ist es schon seit längerer Zeit bestrebt, von seinem großen afrikanischen Besitz über Ägypten und das Zweistromland hinüber eine Brücke zu schlagen zu diesem seinem Kleinod in Südasien. Der Weltkrieg hat ihm mächtig dazu geholfen, indem es sich beim Kriegsende die Verwaltung des heiligen Landes und des Zweistromlands (Irak genannt) sichern konnte. Über die dazwischen liegende Welt des Islam hinüber sucht es die Verbindung zu Indien. Es wäre nicht ausgeschlossen, dass Indien noch der vorgeschobene Posten des 6. Reichs würde. Dann wäre Amerika der vorgeschobene Posten im Westen und Indien der östliche Schlusspunkt. Und das Bindeglied dazwischen die europäische Völkerwelt. Der Sperrwall des Islam, der mehr als 1200 Jahre lang dem Weg nach Asien vorgelagert war, soll durchbrochen werden. Ob der Plan gelingt? Es muss an anderer Stelle auf diesen Punkt noch eingegangen werden.

Europas Herrschernaturen

Innerhalb des 6. Reichs ist England die Aufgabe zuteil geworden, in der Welt führend und herrschend vorzugehen. Es vertritt die diesem Reich zugedachte Führerstellung der Welt gegenüber. In diesem Maß hat keine frühere Macht Weltstellung erreicht. Am weitesten hatte das griechische Reich gegriffen, bis nach Indien; aber es zerfiel rasch. Durch England als durch seinen vorgestreckten Arm hat das 6. Reich ebenso weit gegriffen; aber sein Zugriff war fester. Denn das griechische Reich glich dem weichen Metall; aber das römische dem Eisen. England vereinigt die ungestüme Kraft des Ungetüms mit der geschmeidigen Art des Panthers. Und die Union ist, ohne es zu wissen und zu wollen, Englands Rückendeckung bei seinen Raubzügen und bei Festhalten seiner Beute. Die englische Art ist eine großzügige Verkörperung des Römertums. England ist die selbstbewusste und selbstverständliche Art eigen, mit der einst die Römer sich fühlten innerhalb der ihnen bekannten Welt. Wo einst des alten Roms Gesandte hinkamen, da fühlten sie sich als Herrn. Genau so selbstverständlich ist es für den Engländer, dass England in der Welt herrscht. Die römische Art ist zwar auch im heutigen Frankreich und Italien verkörpert. Aber hier ist sie kleiner. Sie wollen innerhalb des eigentlichen Gebiets des römischen Reichs, also innerhalb Europas, die erste Rolle spielen.

England greift ungleich weiter. England ist eine Herrschernatur. Das Herrschen schafft ihm Befriedigung. Frankreich und Italien gehen aus auf Befriedung ihres Ehrgeizes. Diesem Bedürfnis dient das Trachten nach der ersten Stelle innerhalb des Reichs; auch alle auswärtigen Eroberungen werden von diesem Gesichtspunkt aus gewertet. England dagegen bringt es fertig, sich im Hintergrund zu halten; es lässt gern den von ihm beherrschten Völkern einen Schein von Selbstständigkeit, wenn es dieselben nur am Gängelband hat. Darum ist Frankreichs Art heißblütig und grausam, die Englands berechnend und kalt. Deutschland kann diese zwei Arten der Herrschsucht fortwährend an seinem eigenen Leib wahrnehmen. Römisch sind beide Arten. Das alte Rom hat sie in sich vereint, bei seinen neueren Vertretern treten sie auseinander, indem einen die eine Abart, dem anderen die andere eigen ist. An der römischen Kirche ist der Herrscherwille bereits aufgezeigt worden; in ihr sind beide Arten desselben, die heiße und die kühle, vereinigt. Je nach den Zeitumständen tritt bei ihr nur die eine Art zutage. Es kann aber die Zeit kommen, da sie in grausigem Verein miteinander sich auszuwirken suchen.

England und Amerika - geistlich