Das Rätsel der römischen Kirche: Unterschied zwischen den Versionen

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=='''5. Das Rätsel der römischen Kirche'''==
 
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Ist der hinter uns liegend Weltkrieg dem Gedanken günstig, dass um 1970, also in einem starken Menschenalter, das 6. Reich der Offenbarung zu Ende gehen könne? Wenn wie seither unter diesem 6. Reich Europa verstanden wird, zu welchem das alte römische Reich sich ausgestaltet hat, dann spricht der Weltkrieg mit seinen tiefgreifenden Folgen für Europa ehe für diesen Gedanken als gegen ihn. Der Krieg hat Europa zu einem großen Trümmerfeld gemacht. Europa schien trotz aller Spannungen zwischen den Staaten eine wohlgegliederte Völkerfamilie geworden zu sein, dessen hoher Kultur auch Russland sich immer mehr einfügte Noch von 20 Jahren schien ein Krieg, der fast alle europäischen Völker gegeneinander mobil machte, undenkbar  zu sein. Europa schien einem weiteren Aufstieg entgegen zu gehen. Nun liegt das Europa der Vorkriegszeit dahinten und lässt sich nie wieder zurückholen. Europa ist wund geworden,und die Wunden wollen nicht heilen. Nach Kriegsende wurde in einem Buch der Satz "Untergang des Abendlands" vertreten. Die Begründung des Satzes erfolgte durch den Hinweis auf rein innermenschliche Vorgänge. Man könne an verschiedenen Kulturen eine Jugend-, Reife- und Altersform wahrnehmen; und wenn eine Kultur diese Stufen durchlaufen habe, dann erfolge das Absterben. So sei die abendländische Kultur im Sterben begriffen. Im vorliegenden Buch wird der Gedanke vom Ausgang der Zeit des Abendlandes, ja der ganzen Menschheit ebenfalls vertreten. 
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Aber die Begründung ist ganz anderer Art. Sie sieht das, was den Geschichtslauf zur Entscheidung drängt, nicht innerhalb dieser Welt und Zeit, sondern in Gottes Plan und Willen, der dem jenseitigen Verderber der Menschheit Raum gibt für sein böses Wirken, um dann sein Reich in der Menschheit aufzurichten. Aber trotz der grundsätzlichen Verschiedenheit der Begründung ist doch jener Satz vom Untergang des Abendlands bemerkenswert, und ebenso der Eindruck, den er trotz manchen Widerspruchs gemacht hat. Der Traum vom fortschreitenden Sieg der Kultur hat durch das Kriegserlebnis einen Stoß bekommen, und die verantwortlichen Führer der europäischen Völker mag manchmal ein Bangen ergreifen, wie auf die Dauer die Zukunft Europas sich gestalten werde, nachdem der Krieg und die Nachkriegszeit aus diesem Erdteil in staatlicher, wirtschaftlicher, sozialer und sittlicher Hinsicht ein großes Trümmerfeld gemacht hat. Der Schwerpunkt der Weltgeschichte hat sich verschoben. Das durch den Krieg mit veranlasste Erwachen der großen Völker Asiens und der schwarzen Bevölkerung Afrikas ist ein ernstes Zeichen für Europa, das bisher obenan war und die Führerrolle innehatte.
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Wenige Jahre haben genügt, um die Weltlage von Grund auf zu ändern. Eine nüchterne Beobachtung der Lage zeigt, dass der Geschichtsverlauf dem Gedanken eines in absehbarer Zeit bevorstehenden Endes der europäischen Vormachtstellung nicht entgegensteht. Es ist nicht gesagt, dass ein solches Ende eine Art Sterben sein müsste. Aber mancherlei Zuckungen wirtschaftlicher, politischer, sozialer und revolutionärer Art können dem jetzigen und dem kommenden Geschlecht bevorstehen! Und solche Zuckungen werden verschärft durch den sittlichen Niedergang. Das Einzelne ist dem Auge entzogen. Es können auch Ereignisse kommen, die nicht vorm menschlichen Willen abhängen, sondern wie mit Naturnotwendigkeit und doch nach Gottes heiligem Plan eintreten, Zeiten großen Sterbens, wie sie Johannes bei der Öffnung des 4. Siegels wahrnahm; oder gewaltige, tief in das menschliche Leben eingreifende Naturereignisse, in der Art, wie sie aufgezählt werden bei den ersten vier der das nahende Ende ankündigenden Trompetenstöße (Offb 6:7.8; Offb 8:7-12). Es kann ja die Frage auftauchen, ob zumal die letztgenannten Ereignisse auf das Naturgebiet bezogen werden müssen. Aber der nächste Eindruck ist der, dass es sich um Naturereignisse handle. Und dieser Eindruck wird verstärkt durch die Wahrnehmung, dass die letzteren in der neueren Zeit sich häufen und zugleich an Umfang zunehmen. Es ist, als ob den Gärungen in der Völkerwelt das Toben der Elemente zur Seite stünde. Auch das weissagende Wort Jesu hat als Vorzeichen und Zeichen des Endes Erschütterungen auf dem Naturgebiet genannt.<br/><br/>
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===<big>'''Ausreifen des Erntefelds'''</big>===
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Wenn von einem Ende gesprochen wird, so denkt man an den Ausgang, an das Aufhören. Aber Ende bedeutet auch soviel wie Abschluss. So ist das Reifwerden auch ein Ende, nämlich  das Ende der wachstümlichen Entwicklung. Ein Reifen gibt es nicht nur auf dem Erntefeld, sondern auch in der Geschichte und zwar ein doppeltes Reifen im Sinn des 2. Ackergleichnisses Mt 13:24-30. Die Menschheit hätte in diesem Geschichtslauf reif werden sollen für das Reich Gottes. Nach dem Willen des Fürsten dieser Welt soll sie reif werden zum völligen Abfall von Gott. Das Reifwerden in beiderlei Sinn braucht Zeit.  Es gilt nun den Doppelsinn von Ende zusammen zu schauen, wonach es sowohl das Aufhören als das Reifwerden einschließt.  Dass beides in Eines gesehen werden kann, wird am Gleichnis von der Ernte deutlich; diese ist Reifsein und Aufhören in Einem. Denn das Reifwerden der Ernte ruft die Sichel, und das Erntefeld wird leer. In diesem Licht gewinnt der Weltkrieg noch einmal ein besonderes Aussehen: er hat den Fall Europas, aber auch sein Reifwerden beschleunigt. Was zuerst ins Auge fällt, ist das Trümmerfeld, das den Gedanken wachruft: Europa hat sich selbst das Grab gegraben! Diese Wirkung des Kriegs ist ja entsetzlich genug. Aber der Krieg hat auch Entwicklungen entbunden, von denen man beim Blick auf die Weissagung der Bibel sagen muss, dass ihr Eintreten unvermeidlich war. Rom reift erst durch den Krieg vollends aus. Und der Krieg war eine wichtige Stufe auch für das Reifwerden der ganzen Menschheit.
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Sieht man auf das Wachstum in der Natur, so macht die Wahrnehmung des Reifens Freude. Dass zur Blüte die Frucht kommt, und dass die Frucht reif wird, ist das Naturgemäße. Folgt der Blüte kein Fruchtansatz, fällt die Frucht vor der Zeit ab: das ist ein wehmütiger Anblick. Auf dem Gebiet der Geschichte löst der Blick auf das Reifwerden des Geschehens nicht immer freudige Gefühle aus. Ja, wenn es sich immer um normale Entwicklungen handelte!  Dann würde die Betrachtung des Werdegangs des Menschen und Völkern und von der Menschheit eine Freude nach der anderen auslösen. Ganz fehlt ja solche geschichtliche Erquickung nicht. Ungetrübte Freude mach der Gang des Einen, der Gottes- und Menschensohn zugleich ist. Am Kreuz kam dieses ganze wunderbare Leben zur Reife. Das Kreuz an sich ist ein ernster Missklang; trotzdem hat es in den Gang Christi keinen Missklang hineingebracht, sondern ihn zur vollen Reife gebracht, für ihn selbst und für die ganze Welt. Manche biblischen Lebensbilder tun deshalb so wohl, weil das Leben der Männer, von denen sie Kunde geben, ohne wesentlichen Missklang oder noch Überwindung von Missklängen harmonisch abschloss oder zur Reife gelangte. 
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Wesentlich anders wird ein Werdegang, wenn die Sünde ihren störenden, verunstaltenden und verkehrten Einfluss geltend macht, ohne dass ein Ausgleich erfolgt. Die Wahrnehmung eines solchen Werdegangs ist eine Pein, zumal wenn es sich um große geschichtliche Zusammenhänge handelt. So wagt nur die Bibel den klaren Blick auf den unheimlichen Ausgang der Menschheitsgeschichte, dass sie nämlich mit der völligen Verhaftung der Menschheit an die Macht der Finsternis schließen wird; und nur die Bibel wagt solchen Ausgang in greifbarer Nähe zu sehen, während die Welt es liebt, unangenehme Dinge in möglichst weit zeitliche Ferne hinauszurücken.<br/><br/>
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===<big>Die Geschichte der römische Kirche </big>===
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So ist ein großes Rätsel, dem man nicht gerne näherrückt, die römische Kirche. Sie wird gewöhnlich katholisch genannt, und sie selber legt auf diesen Namen, dass sie nämlich die allumfassende sei, großen Wert. Aber wegen der engen geschichtlichen  Beziehung zu Rom möge sie die römische genannt werden. Unseren Reformatoren war es völlig klar, dass in dieser Kirche, die doch ursprünglich für sie Mutter war, neben dem Evangelium, das ihr immer noch eigen war, eine widergöttliche Entwicklung die Oberhand gewonnen hatte. Die katholische Kirche besteht aber weiter. Sie hat zeitweise ihren Gegensatz gegen die evangelischen Kirchen zurückgestellt; aber im Grundsatz erkennt  sie dieselben nicht als Kirchen an. Sie hat sich im Gegensatz gegen das, was den evangelischen Kirchen das Teuerste ist, versteift. Aber wer wagt es, über den weiteren Werdegang der katholischen Kirche nachzudenken, und sie sich zu vorzustellen in der Zeit ihrer Reife? Wer wagt eine Verbindungslinie zu ziehen von der Gegenwart des geistlichen Roms zum Schlussbild der Offenbarung?
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Es sei ausdrücklich gesagt, dass jeder Versuch, diese Linie zu ziehen, auch für die evangelischen Kirchen amerikanischer Prägung, für die englische Hochkirche, auch für die deutsche Kirchen sehr ernst ausfällt. Jede einseitige Hervorhebung Roms, als sei es allein auf bedenklichen Wegen, ist ein Unrecht und ein Verkennen der ernsten Erscheinungen auf der eigenen Seite. Ebenso wäre es, wie schon früher hervorgehoben wurde, ein großes Unrecht, einzelne Personen, selbst wenn sie Führer sind, für die Gesamtentwicklung verantwortlich zu machen. Persönlicher Widerwille scheidet bei der Frage nach den letzten Triebkräften einer langen Entwicklung völlig aus. Denn ein langer Werdegang liebt bei der katholischen Kirche vor; sie selber erfasst sich als eine durch fast zwei Jahrtausende hindurch gehende Einheit. In einem derartigen ununterbrochenem Zusammenhang mit dem alten Römerreich sieht keins der heutigen europäischen Völker seine Geschichte, wie die römische Kirche der Gegenwart über die mittelalterliche Kirche zurück den Zusammenhang wertet mit der alten Reichskirche, ja ihre Organisation zurückführt bis auf Petrus.
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Die Kirche Roms ist noch nicht ausgereift. Aber Anhaltspunkte, in welcher Weise sie zur Reife gelangen werde, bietet ihre bisherige geschichtliche Entwicklung. An ihr lassen sich im Unterschied und Gegensatz zur Gemeinde Jesu drei ungöttliche Merkmale wahrnehmen. Einmal der Drang, sich selbst hervorzuheben und zu verherrlichen. Daher rührt das Verlangen nach Herrschaft. Der Herrschaftanspruch über ihre eigenen Glieder wie über die, die draußen sind, wird erhoben im Namen Christi. Auch das neuerdings eingeführte Fest von der Königsherrschaft Christi stellt die Kirche auf den Leuchter. Darum geht die römische Kirche nicht darauf aus, ihre Glieder mündig und wahrhaft frei zu machen; sie kann und will ihnen auch nicht zur Heilsgewissheit und zum unmittelbaren freien Hintreten zum Gnadenthron behilflich sein, bindet sie vielmehr bis über das Grab hinaus an sich. Dass mancher sich wohlfühlt, wenn hm bei gehorsamer Anhänglichkeit an die Kirche von der Kirche die großes Selbstverantwortung abgenommen wird, welche in der Gemeinde Jesu keinem erspart werden kann, ist ja verständlich.
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Wenn ein Mensch nicht durchdringt bis zu den letzten Gründen der Geborgenheit, der Gewissheit der Versöhnung mit Gott durch Christi Blut im Heiligen Geist, dann ist es begreifbar, wenn das Gefühl der Geborgenheit  im Schoß der Kirche gesucht wird. Die römische Kirche hat übrigens zu allen Zeiten auch solche gehabt und hat sie heute noch, die im unmittelbaren Besitz des Friedens Gottes waren und sind. Sie brauchen deshalb ihrer Kirche nicht den Rücken zu kehren und dürfen sie ehren in demütiger Untergebung unter ihrer Ordnungen, wenn sie nur im Glauben sich auf Christum als ihrem einzigen Versöhner stützen. Von Herzen gönnen wir der katholischen Kirche solche Glieder und begehren sie nicht auf die eigene Seite herüberzuziehen. Die Gemeinde Jesu in ihrer Mitte ist der größte Halt und Schutz aller Kirchen. Und solange eine Kirche diese schätzt oder auch nur duldet, ist sie noch nicht ganz widergöttlich geworden.  Aber das ernste Urteil, dass jede Kirche, die aus demütigem Dienst zum Herrschaftsanspruch übergegangen ist, in eine widergöttliche Bahn eingetreten ist, bleibt trotzdem bestehen. -
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Ein zweites Merkmal der römischen Kirche neben dem Drang zur Herrschaft, ist die Bereitschaft zu Zugeständnissen an das natürliche Menschenwesen, wenn nur der Hoheitsanspruch der Kirche anerkannt wird. Diese Zugeständnisse können zu Anpassungen  im Großen führen, ja zur Übernahme von Wesenszügen, die der Kirche eigentlich fremd sein müssten. So hat die katholische Kirche das Heidentum nicht nur nicht überwunden, sondern hat vielmehr einen nicht kleinen Teil heidnischen Wesens unter christlicher Ausprägung übernommen und ihm damit eine christliche Weihe gegeben. - Ein dritter Zug Roms ist die Bereitschaft zum erbitterten Kampf gegen alles, was sich aus Gewissensgründen nicht in sein Gefüge finden, nicht in sein System einfügen kann. Wo kein gewissenmäßiger Einspruch vorliegt, kann Rom sehr freundliche und entgegenkommend sein; ebenso wo Aussicht ist, dass es sich durchsetzen kann. Eine im Gewissen gebundene Freiheit dagegen erträgt es schwer. Zeugnis davon legen viele Scheiterhaufen in früherer Zeit ab. Der Kampf hat sich später nicht mehr in dieser Weise durchführen lassen; aber Roms inwendige Stellung zu denen, die es hartnäckige Ketzer nennt, hat sich nicht geändert.
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In allen drei Stücken ist die römische Kirche noch nicht ausgereift. Aber wie die Frucht zur Reife drängt, so geht's auch hier. Letzten Endes ist es freilich nicht die Kirche selber, die vorwärts will; sondern sie wird getrieben. Nochmals sei dieses Geschobenwerden betont. In dem seit fast zwei Jahrtausenden bestehenden Gefüge kommt weder den Geführten noch den Führern klar zum Bewusstsein, was an der Richtung des Ganzen ungöttlicher Art ist. Sie handeln weithin in guter Absicht. Wem dieser wunde Punkt zum Bewusstsein kommt, bei dem wird ein inneres Beben anheben von einer nicht geringen Schwere. Hinter jeder Strömung, welcher Art sie auch sei, die an irgendeiner Stelle aus der göttlichen Linie herausgetreten ist, stellt sich in aller Verborgenheit die Macht der Finsternis, um sie in der begonnenen Fehlrichtung weiter vorwärts zu drängen. Das gilt auf allen Gebieten. Diese Macht der Finsternis wird geleitet von einem persönlichen Willen, der durch die Zeiten hindurch eine wachsende Entschlossenheit, eine zunehmende Energie entfaltet, je mehr er weiß, dass seine Zeit dem Ende entgegengeht: es ist der Wille des alten, bösen Feindes.

Version vom 3. Mai 2020, 14:45 Uhr

Abschrift des Buches: Rom - Babel - Jerusalem
Der Weg der Menschheit im Licht der Schrift bis zur Vollendung des Gottesreiches

Verfasser: G. Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach) (1928)
Verlag: Gebrüder Schneider, Karlsruhe i. B.

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor: [4. Abschluss des 6. Reichs

in Bearbeitung

2. Teil
Vom apostolischen Zeitalter bis zur Gegenwart

5. Das Rätsel der römischen Kirche

Ist der hinter uns liegend Weltkrieg dem Gedanken günstig, dass um 1970, also in einem starken Menschenalter, das 6. Reich der Offenbarung zu Ende gehen könne? Wenn wie seither unter diesem 6. Reich Europa verstanden wird, zu welchem das alte römische Reich sich ausgestaltet hat, dann spricht der Weltkrieg mit seinen tiefgreifenden Folgen für Europa ehe für diesen Gedanken als gegen ihn. Der Krieg hat Europa zu einem großen Trümmerfeld gemacht. Europa schien trotz aller Spannungen zwischen den Staaten eine wohlgegliederte Völkerfamilie geworden zu sein, dessen hoher Kultur auch Russland sich immer mehr einfügte Noch von 20 Jahren schien ein Krieg, der fast alle europäischen Völker gegeneinander mobil machte, undenkbar zu sein. Europa schien einem weiteren Aufstieg entgegen zu gehen. Nun liegt das Europa der Vorkriegszeit dahinten und lässt sich nie wieder zurückholen. Europa ist wund geworden,und die Wunden wollen nicht heilen. Nach Kriegsende wurde in einem Buch der Satz "Untergang des Abendlands" vertreten. Die Begründung des Satzes erfolgte durch den Hinweis auf rein innermenschliche Vorgänge. Man könne an verschiedenen Kulturen eine Jugend-, Reife- und Altersform wahrnehmen; und wenn eine Kultur diese Stufen durchlaufen habe, dann erfolge das Absterben. So sei die abendländische Kultur im Sterben begriffen. Im vorliegenden Buch wird der Gedanke vom Ausgang der Zeit des Abendlandes, ja der ganzen Menschheit ebenfalls vertreten.

Aber die Begründung ist ganz anderer Art. Sie sieht das, was den Geschichtslauf zur Entscheidung drängt, nicht innerhalb dieser Welt und Zeit, sondern in Gottes Plan und Willen, der dem jenseitigen Verderber der Menschheit Raum gibt für sein böses Wirken, um dann sein Reich in der Menschheit aufzurichten. Aber trotz der grundsätzlichen Verschiedenheit der Begründung ist doch jener Satz vom Untergang des Abendlands bemerkenswert, und ebenso der Eindruck, den er trotz manchen Widerspruchs gemacht hat. Der Traum vom fortschreitenden Sieg der Kultur hat durch das Kriegserlebnis einen Stoß bekommen, und die verantwortlichen Führer der europäischen Völker mag manchmal ein Bangen ergreifen, wie auf die Dauer die Zukunft Europas sich gestalten werde, nachdem der Krieg und die Nachkriegszeit aus diesem Erdteil in staatlicher, wirtschaftlicher, sozialer und sittlicher Hinsicht ein großes Trümmerfeld gemacht hat. Der Schwerpunkt der Weltgeschichte hat sich verschoben. Das durch den Krieg mit veranlasste Erwachen der großen Völker Asiens und der schwarzen Bevölkerung Afrikas ist ein ernstes Zeichen für Europa, das bisher obenan war und die Führerrolle innehatte.

Wenige Jahre haben genügt, um die Weltlage von Grund auf zu ändern. Eine nüchterne Beobachtung der Lage zeigt, dass der Geschichtsverlauf dem Gedanken eines in absehbarer Zeit bevorstehenden Endes der europäischen Vormachtstellung nicht entgegensteht. Es ist nicht gesagt, dass ein solches Ende eine Art Sterben sein müsste. Aber mancherlei Zuckungen wirtschaftlicher, politischer, sozialer und revolutionärer Art können dem jetzigen und dem kommenden Geschlecht bevorstehen! Und solche Zuckungen werden verschärft durch den sittlichen Niedergang. Das Einzelne ist dem Auge entzogen. Es können auch Ereignisse kommen, die nicht vorm menschlichen Willen abhängen, sondern wie mit Naturnotwendigkeit und doch nach Gottes heiligem Plan eintreten, Zeiten großen Sterbens, wie sie Johannes bei der Öffnung des 4. Siegels wahrnahm; oder gewaltige, tief in das menschliche Leben eingreifende Naturereignisse, in der Art, wie sie aufgezählt werden bei den ersten vier der das nahende Ende ankündigenden Trompetenstöße (Offb 6:7.8; Offb 8:7-12). Es kann ja die Frage auftauchen, ob zumal die letztgenannten Ereignisse auf das Naturgebiet bezogen werden müssen. Aber der nächste Eindruck ist der, dass es sich um Naturereignisse handle. Und dieser Eindruck wird verstärkt durch die Wahrnehmung, dass die letzteren in der neueren Zeit sich häufen und zugleich an Umfang zunehmen. Es ist, als ob den Gärungen in der Völkerwelt das Toben der Elemente zur Seite stünde. Auch das weissagende Wort Jesu hat als Vorzeichen und Zeichen des Endes Erschütterungen auf dem Naturgebiet genannt.

Ausreifen des Erntefelds

Wenn von einem Ende gesprochen wird, so denkt man an den Ausgang, an das Aufhören. Aber Ende bedeutet auch soviel wie Abschluss. So ist das Reifwerden auch ein Ende, nämlich das Ende der wachstümlichen Entwicklung. Ein Reifen gibt es nicht nur auf dem Erntefeld, sondern auch in der Geschichte und zwar ein doppeltes Reifen im Sinn des 2. Ackergleichnisses Mt 13:24-30. Die Menschheit hätte in diesem Geschichtslauf reif werden sollen für das Reich Gottes. Nach dem Willen des Fürsten dieser Welt soll sie reif werden zum völligen Abfall von Gott. Das Reifwerden in beiderlei Sinn braucht Zeit. Es gilt nun den Doppelsinn von Ende zusammen zu schauen, wonach es sowohl das Aufhören als das Reifwerden einschließt. Dass beides in Eines gesehen werden kann, wird am Gleichnis von der Ernte deutlich; diese ist Reifsein und Aufhören in Einem. Denn das Reifwerden der Ernte ruft die Sichel, und das Erntefeld wird leer. In diesem Licht gewinnt der Weltkrieg noch einmal ein besonderes Aussehen: er hat den Fall Europas, aber auch sein Reifwerden beschleunigt. Was zuerst ins Auge fällt, ist das Trümmerfeld, das den Gedanken wachruft: Europa hat sich selbst das Grab gegraben! Diese Wirkung des Kriegs ist ja entsetzlich genug. Aber der Krieg hat auch Entwicklungen entbunden, von denen man beim Blick auf die Weissagung der Bibel sagen muss, dass ihr Eintreten unvermeidlich war. Rom reift erst durch den Krieg vollends aus. Und der Krieg war eine wichtige Stufe auch für das Reifwerden der ganzen Menschheit.

Sieht man auf das Wachstum in der Natur, so macht die Wahrnehmung des Reifens Freude. Dass zur Blüte die Frucht kommt, und dass die Frucht reif wird, ist das Naturgemäße. Folgt der Blüte kein Fruchtansatz, fällt die Frucht vor der Zeit ab: das ist ein wehmütiger Anblick. Auf dem Gebiet der Geschichte löst der Blick auf das Reifwerden des Geschehens nicht immer freudige Gefühle aus. Ja, wenn es sich immer um normale Entwicklungen handelte! Dann würde die Betrachtung des Werdegangs des Menschen und Völkern und von der Menschheit eine Freude nach der anderen auslösen. Ganz fehlt ja solche geschichtliche Erquickung nicht. Ungetrübte Freude mach der Gang des Einen, der Gottes- und Menschensohn zugleich ist. Am Kreuz kam dieses ganze wunderbare Leben zur Reife. Das Kreuz an sich ist ein ernster Missklang; trotzdem hat es in den Gang Christi keinen Missklang hineingebracht, sondern ihn zur vollen Reife gebracht, für ihn selbst und für die ganze Welt. Manche biblischen Lebensbilder tun deshalb so wohl, weil das Leben der Männer, von denen sie Kunde geben, ohne wesentlichen Missklang oder noch Überwindung von Missklängen harmonisch abschloss oder zur Reife gelangte.

Wesentlich anders wird ein Werdegang, wenn die Sünde ihren störenden, verunstaltenden und verkehrten Einfluss geltend macht, ohne dass ein Ausgleich erfolgt. Die Wahrnehmung eines solchen Werdegangs ist eine Pein, zumal wenn es sich um große geschichtliche Zusammenhänge handelt. So wagt nur die Bibel den klaren Blick auf den unheimlichen Ausgang der Menschheitsgeschichte, dass sie nämlich mit der völligen Verhaftung der Menschheit an die Macht der Finsternis schließen wird; und nur die Bibel wagt solchen Ausgang in greifbarer Nähe zu sehen, während die Welt es liebt, unangenehme Dinge in möglichst weit zeitliche Ferne hinauszurücken.

Die Geschichte der römische Kirche

So ist ein großes Rätsel, dem man nicht gerne näherrückt, die römische Kirche. Sie wird gewöhnlich katholisch genannt, und sie selber legt auf diesen Namen, dass sie nämlich die allumfassende sei, großen Wert. Aber wegen der engen geschichtlichen Beziehung zu Rom möge sie die römische genannt werden. Unseren Reformatoren war es völlig klar, dass in dieser Kirche, die doch ursprünglich für sie Mutter war, neben dem Evangelium, das ihr immer noch eigen war, eine widergöttliche Entwicklung die Oberhand gewonnen hatte. Die katholische Kirche besteht aber weiter. Sie hat zeitweise ihren Gegensatz gegen die evangelischen Kirchen zurückgestellt; aber im Grundsatz erkennt sie dieselben nicht als Kirchen an. Sie hat sich im Gegensatz gegen das, was den evangelischen Kirchen das Teuerste ist, versteift. Aber wer wagt es, über den weiteren Werdegang der katholischen Kirche nachzudenken, und sie sich zu vorzustellen in der Zeit ihrer Reife? Wer wagt eine Verbindungslinie zu ziehen von der Gegenwart des geistlichen Roms zum Schlussbild der Offenbarung?

Es sei ausdrücklich gesagt, dass jeder Versuch, diese Linie zu ziehen, auch für die evangelischen Kirchen amerikanischer Prägung, für die englische Hochkirche, auch für die deutsche Kirchen sehr ernst ausfällt. Jede einseitige Hervorhebung Roms, als sei es allein auf bedenklichen Wegen, ist ein Unrecht und ein Verkennen der ernsten Erscheinungen auf der eigenen Seite. Ebenso wäre es, wie schon früher hervorgehoben wurde, ein großes Unrecht, einzelne Personen, selbst wenn sie Führer sind, für die Gesamtentwicklung verantwortlich zu machen. Persönlicher Widerwille scheidet bei der Frage nach den letzten Triebkräften einer langen Entwicklung völlig aus. Denn ein langer Werdegang liebt bei der katholischen Kirche vor; sie selber erfasst sich als eine durch fast zwei Jahrtausende hindurch gehende Einheit. In einem derartigen ununterbrochenem Zusammenhang mit dem alten Römerreich sieht keins der heutigen europäischen Völker seine Geschichte, wie die römische Kirche der Gegenwart über die mittelalterliche Kirche zurück den Zusammenhang wertet mit der alten Reichskirche, ja ihre Organisation zurückführt bis auf Petrus.

Die Kirche Roms ist noch nicht ausgereift. Aber Anhaltspunkte, in welcher Weise sie zur Reife gelangen werde, bietet ihre bisherige geschichtliche Entwicklung. An ihr lassen sich im Unterschied und Gegensatz zur Gemeinde Jesu drei ungöttliche Merkmale wahrnehmen. Einmal der Drang, sich selbst hervorzuheben und zu verherrlichen. Daher rührt das Verlangen nach Herrschaft. Der Herrschaftanspruch über ihre eigenen Glieder wie über die, die draußen sind, wird erhoben im Namen Christi. Auch das neuerdings eingeführte Fest von der Königsherrschaft Christi stellt die Kirche auf den Leuchter. Darum geht die römische Kirche nicht darauf aus, ihre Glieder mündig und wahrhaft frei zu machen; sie kann und will ihnen auch nicht zur Heilsgewissheit und zum unmittelbaren freien Hintreten zum Gnadenthron behilflich sein, bindet sie vielmehr bis über das Grab hinaus an sich. Dass mancher sich wohlfühlt, wenn hm bei gehorsamer Anhänglichkeit an die Kirche von der Kirche die großes Selbstverantwortung abgenommen wird, welche in der Gemeinde Jesu keinem erspart werden kann, ist ja verständlich.

Wenn ein Mensch nicht durchdringt bis zu den letzten Gründen der Geborgenheit, der Gewissheit der Versöhnung mit Gott durch Christi Blut im Heiligen Geist, dann ist es begreifbar, wenn das Gefühl der Geborgenheit im Schoß der Kirche gesucht wird. Die römische Kirche hat übrigens zu allen Zeiten auch solche gehabt und hat sie heute noch, die im unmittelbaren Besitz des Friedens Gottes waren und sind. Sie brauchen deshalb ihrer Kirche nicht den Rücken zu kehren und dürfen sie ehren in demütiger Untergebung unter ihrer Ordnungen, wenn sie nur im Glauben sich auf Christum als ihrem einzigen Versöhner stützen. Von Herzen gönnen wir der katholischen Kirche solche Glieder und begehren sie nicht auf die eigene Seite herüberzuziehen. Die Gemeinde Jesu in ihrer Mitte ist der größte Halt und Schutz aller Kirchen. Und solange eine Kirche diese schätzt oder auch nur duldet, ist sie noch nicht ganz widergöttlich geworden. Aber das ernste Urteil, dass jede Kirche, die aus demütigem Dienst zum Herrschaftsanspruch übergegangen ist, in eine widergöttliche Bahn eingetreten ist, bleibt trotzdem bestehen. -

Ein zweites Merkmal der römischen Kirche neben dem Drang zur Herrschaft, ist die Bereitschaft zu Zugeständnissen an das natürliche Menschenwesen, wenn nur der Hoheitsanspruch der Kirche anerkannt wird. Diese Zugeständnisse können zu Anpassungen im Großen führen, ja zur Übernahme von Wesenszügen, die der Kirche eigentlich fremd sein müssten. So hat die katholische Kirche das Heidentum nicht nur nicht überwunden, sondern hat vielmehr einen nicht kleinen Teil heidnischen Wesens unter christlicher Ausprägung übernommen und ihm damit eine christliche Weihe gegeben. - Ein dritter Zug Roms ist die Bereitschaft zum erbitterten Kampf gegen alles, was sich aus Gewissensgründen nicht in sein Gefüge finden, nicht in sein System einfügen kann. Wo kein gewissenmäßiger Einspruch vorliegt, kann Rom sehr freundliche und entgegenkommend sein; ebenso wo Aussicht ist, dass es sich durchsetzen kann. Eine im Gewissen gebundene Freiheit dagegen erträgt es schwer. Zeugnis davon legen viele Scheiterhaufen in früherer Zeit ab. Der Kampf hat sich später nicht mehr in dieser Weise durchführen lassen; aber Roms inwendige Stellung zu denen, die es hartnäckige Ketzer nennt, hat sich nicht geändert.

In allen drei Stücken ist die römische Kirche noch nicht ausgereift. Aber wie die Frucht zur Reife drängt, so geht's auch hier. Letzten Endes ist es freilich nicht die Kirche selber, die vorwärts will; sondern sie wird getrieben. Nochmals sei dieses Geschobenwerden betont. In dem seit fast zwei Jahrtausenden bestehenden Gefüge kommt weder den Geführten noch den Führern klar zum Bewusstsein, was an der Richtung des Ganzen ungöttlicher Art ist. Sie handeln weithin in guter Absicht. Wem dieser wunde Punkt zum Bewusstsein kommt, bei dem wird ein inneres Beben anheben von einer nicht geringen Schwere. Hinter jeder Strömung, welcher Art sie auch sei, die an irgendeiner Stelle aus der göttlichen Linie herausgetreten ist, stellt sich in aller Verborgenheit die Macht der Finsternis, um sie in der begonnenen Fehlrichtung weiter vorwärts zu drängen. Das gilt auf allen Gebieten. Diese Macht der Finsternis wird geleitet von einem persönlichen Willen, der durch die Zeiten hindurch eine wachsende Entschlossenheit, eine zunehmende Energie entfaltet, je mehr er weiß, dass seine Zeit dem Ende entgegengeht: es ist der Wille des alten, bösen Feindes.