Rom als 6. Reich: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Bibelwissen
Wechseln zu: Navigation, Suche
(Die Gemeinde Jesu und die Kirchen)
Zeile 30: Zeile 30:
 
====<big>Die Gemeinde Jesu und die Kirchen</big>====
 
====<big>Die Gemeinde Jesu und die Kirchen</big>====
  
 +
Das Reich Gottes ist noch nicht da, weil der Christus, der König des Reichs, der Menschheit noch fehlt. Er ist vorhanden, unsichtbar gegenwärtig, alles erfüllend, gerade wie Gott mit seiner Gegenwart alles erfüllt. Aber offenbar geworfen ist er noch nicht. Denn die Stätte seiner unmittelbaren Gegenwart ist noch der Himmel, der Thron Gottes. Aber er hat bereits eine Schar, die ihm als ein Erstling, als Angebinde aus der Menschheit gehört, das ist seine Gemeinde. Ihr Kennzeichen ist der Glaube, d. h. die Verbindung mit ihm über alle Schranken des Orts und der Zeit hinüber. Die Glieder der Gemeinde wissen, dass sie sich den Glauben nicht selber gegeben haben, dass er ihnen vielmehr geschenkt ist; dass alles, was sie von der Welt unterscheidet, Gabe und Gnade ist. Die Gemeinde weiß, dass sie berufen ist zum Dienst an der armen christuslosen Welt, berufen auch zum Leiden. Sie weiß, dass ihr eigentliches Gut noch in der Zukunft liegt; aber das, was sie schon hat, möchte sie um keinen von der Welt gebotenen Preis fahren lassen. Im innern Leben ist eine Neuschöpfung schon da; aber im übrigen ist sie selber im Warten und mitten ins Harren der Kreatur hineingestellt.  Ihr größtes Gut ist, dass sie Gott nicht mehr gegen sich hat, wie auch bei ihr selbst die Feindschaft des natürlichen Menschen gegen Gott aufgehört hat. Die Versuchung ist damit noch nicht geschwunden, der Kampf ist vielmehr nun erst recht entbrannt; aber mitten darin ist sie vom Frieden Gottes umgeben. Sie bedarf täglicher Buße und täglicher Vergebung; aber sie bekommt sie auch täglich. Es ist eine weltweite Gemeinschaft, in der alle Unterschiede und Gegensätze, die sonst in der Welt Trennung stiften,m aufgehoben sind; und doch ist der Zugang zu ihr eng. Weder die Gemeinde selber kann die Tür zu sich aufmachen, noch kann der Zutretende sie öffnen; denn der Schlüssel liegt in Christi Hand. Er ist es, der zu seiner Gemeinde hinzutut, die sich helfen, heilen, retten lassen.
 +
 +
So ist die Gemeinde Jesu innerhalb der Welt ein Geheimnis. Die Welt kann es nicht begreifen. Sogar sich selber ist sie ein Geheimnis. Sie ist kein Volk im gewöhnlichen Sinn des Wortes; denn die natürliche Grundlage des Volkstums fehlt, sie greift über jedes Volkstum hinaus. Sie ist auch kein Verein, zu dem man Zutritt begehren und von dem man wieder weggehen kann. Das letztere ist besonders wichtig, weil es immer wieder nahe liegt, die Gemeinde mit einem vereinsartigen Gebilde zu verwechseln. Menschliche Zusammenschlüsse mögen allerlei Namen tragen; sie können sich Verein, Vereinigung, Körperschaft, Bund, Kreis, Gruppe, Richtung oder Gemeinschaft nennen. Aber die die Zugehörigkeit zu einem menschlichen Gebilde bedeutet noch nicht die Zugehörigkeit zur Gemeinde Jesu und kann diese Zugehörigkeit auch nicht verbürgen oder herbeiführen. Vielen wäre es lieber, wenn es anders wäre; viele meinen mit dem Zutritt zu einer derartigen Gemeinschaft und mit der Aufnahme in sie dem Reich Gottes eingefügt zu sein. Aber gerade die Freiheit von allem menschlichen Machen ist ein köstliches Kleinod der Gemeinde Jesu. Sie ist er Beginn der neuen Welt, für Gott geschaffen durch Christi Hand und Geist, noch während der alten Ordnung der Dinge.
 +
 +
Aber nun wird die Frage immer dringender: was ist denn die Christenheit? Was ist die Kirche? Ist Christenheit, ist Kirche nicht gleichbedeutend mit dieser Gemeinde? Dem Namen, der Bezeichnung nach fällt Christenheit und Kirche mit der Gemeinde Jesu zusammen. Denn das Wort "Christenheit" bezeichnet die Menschheit, soweit sie zu Christus Beziehung hat, und zwar als ein Ganzes. Und "Kirche" könnte mit "Herrnheit" übersetzt werden; diese Benennung fasst also ebenfalls die Beziehung zum Herrn Christus als das bezeichnende Merkmal dessen, was "Kirche" heißt. Nun werden ja beide Beziehungen auch in ihrem Vollsinn gebraucht, so bei Luther in seiner Erklärung des 3. Artikels, wo er die Christenheit auf Erden als die Schar bezeichnet, die von sich aus weder mit ihrer Vernunft noch mit ihrer Kraft den Weg zu Jesus Christus, ihrem Herrn gefunden hätte, die aber durch die berufende, sammelnde, erleuchtende und heiligende Arbeit des Heiligen Geistes zu ihm gebracht und im rechten einigen Glauben bei ihm erhalten wird. Aber die tatsächliche Erscheinung der Christenheit und die geschichtlichen Erscheinungsformen der Kirchen entsprechen dem eigentlichen Inhalt der Benennungen nicht. Bezeichnend ist schon die Verwendung des Wortes Kirche in der Mehrzahl. Zwar wird das griechische Urwort im Neuen Testament auch in der Mehrzahl gebraucht; aber in all diesen Stellen leuchtet die tatsächliche Einheit der Kirche in aller Deutlichkeit durch. Die Mehrzahl hat da nur geographischen Sinn, sofern die Gemeinde Gottes ihre Glieder an vielen Orten hat, wo sie sich dann normalerweise als zusammengehörig fühlen, so dass sie eine örtlich zusammengehörige, eine Lokalgemeinde innerhalb der einen Kirche der una sancta ecclesia, bilden. Der Ausdruck "Kirchen" ist aber längst über diejenige Bedeutung der Mehrzahl hinausgewachsen, welche die örtlichen Besonderheiten der einen Kirche im Auge hat; er bezeichnet jetzt Richtungs- und Wesensunterschiede, ja Gegensätze, im Großen wie im Kleinen.
 +
 +
Es gehört zum Jammer der Christenheit dass sie in ihrer Mitte so grundverschiedene große Kirchenkörper hat; aber zu diesem Jammer gehört auch die, dass es sogar an kleinen Orten Zersplitterungen gibt, die nicht durch das praktische Bedürfnis hervorgerufen sind, sondern durch tiefere Unterschiede. Es sind hier nicht Unterschiede gemeint, die naturgemäß und natürlich sind, wie der Unterschied zwischen Judenchristen und Heidenchristen oder bei den Kirchen die Besonderheit durch das Volkstum. Solche Unterschiede müssten die Einheit nicht aufheben, könnten vielmehr die Herrlichkeit der großen Gnadengabe in verschiedenartiger weise widerspiegeln. Gemeint sind solche Unterschiede, die, am Wesen der Gemeinde gemessen, eine Unnatur sind, wie z.B. Paulus solche Spaltungen in 1Kor 1-4 mit großem Weh und Ernst gerügt hat. Neben solcher kleinkirchlichen und großkirchlichen Zerrissenheit mutet das die Zertrennungen übersehende und die Zusammengehörigkeit betonende Wort "Christenheit" heimelig an. Nur entspricht eben der tatsächliche Stand der Christenheit dem durch das Wort vorgetäuschten Normalzustand nicht.
 +
 +
Aber mit der Feststellung, dass die Gemeinde Jesu mit der Christenheit und mit den Kirchen nicht zusammenfalle, weder mit den großen in langer Geschichte gewordenen, mit ihrer aus der Geschichte zu erklärenden Gebundenheit, noch mit den kleineren sog. freien Gemeinden und Gemeinschaften und Verbänden, die im Grude auch kleine Kirchen - mit dieser Feststellung ist immer noch nicht gesagt, an welcher Stelle der Schaden sitzt. Er liegt nicht an der Größe, als ob sich die Kirche von der Gemeinde Jesu damit entfernen würde, wenn sie an Umfang wächst. Dieses Wachstum hat ja ernste Gefahren gebracht, die aber die Christenheit nicht hätten verderben müssen. Auch Johannes sah in Offb 7:9-17 die Gemeinde Jesu aus der Völkerwelt als eine unzählbar große Schar. Der Schaden muss auch nicht von der Verfassung herrühren, als ob die Christenheit sich selber untreu würde, wenn sie sich bestimmte Formen und Regeln gibt. Gewiss haben sich die Kirchen verdorben durch selbstgewählte Ordnungen, wenn diese nämlich ihrem Wesen nicht entsprachen und noch mehr, wenn sie das Heil abhängig machten von menschlichen Satzungen und so aus ihnen ein Joch zimmerten für das Gewissen; solche Gefahren haften sogar an den Formen und Regeln, die sich kleine Kreise geben. Aber die Verfassung an sich verdirbt die Gemeinde Jesu Christi nicht, wenn sie dem Wesen des Glaubens entspricht und der Liebe dient, und wenn über der Verfassung nicht vergessen wird, dass die Gemeinde nicht von dieser Welt ist, dass also die Formen als etwas Irdisches und Zeitliches das Wesen nicht ersetzen können und dürfen.
 +
 +
Dass z. B. die erste Gemeinde die Versorgung der Armen regelte dass die Gemeinden des Paulus in ihre Gottesdienste und Verhältnisse Ordnung brachten, das entfremdete sie ihrer Berufung und ihrem Beruf nicht. Die Christenheit hat im Anfang gut gewusst, dass bei der Ausübung eines Amts in wahrhaft christlichem
 +
Sinn der Heilige Geist nicht entbehrlich, sondern höchst nötig sei. Darum wurde seiner Zeit ein Mann voll des Heiligen Geistes zum Armenpfleger bestellt. Nicht einmal die Mischung hätte die Gemeinde Jesu verderben müssen. Denn die Rückstände des alten Wesens können und sollen zur Buße und Wachsamkeit und zum Anziehen der Überwinderkraft  treiben. Und die zurückbleibenden und fehlenden Glieder können und sollen Gegenstand der Bruderliebe werden. Und die Erziehungsaufgabe am nachwachsenden Geschlecht und an den neu Hinzugefügten gibt der Liebe reichen Stoff und dem nach oben gerichteten Trieb neue Nahrung. Darum müsste auch die schon manchmal als der Krebsschaden für die Kirche sein, sondern Anlass zum Dank, dass auch die Kinder der Glaubenden von der Wurzel ihres Lebens an unter der entgegenkommenden, suchenden, leitenden und heiligenden Gnade stehen und unter sie gestellt werden dürfen. Nicht einmal die Sünde, so ernst ihr Vorkommen in der Gemeinde Jesu zu beurteilen ist, müsste sie verderben, wenn nur die eigene Einsicht in die Verfehlung und die Mahnung der Brüder zur Buße führt. Nicht die Sünde an sich ruiniert die Gemeinde Jesu, sondern der Leichtsinn ihr gegenüber und die Meinung in der Sünde beharren zu dürfen (Röm 6).
 
<br/><br/>
 
<br/><br/>

Version vom 27. April 2020, 23:47 Uhr

Abschrift des Buches: Rom - Babel - Jerusalem
Der Weg der Menschheit im Licht der Schrift bis zur Vollendung des Gottesreiches

Verfasser: G. Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach) (1928)
Verlag: Gebrüder Schneider, Karlsruhe i. B.

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor: Das weisssagende Wort als Wegweiser

in Bearbeitung

2. Teil
Vom apostolischen Zeitalter bis zur Gegenwart

2. Rom als 6. Reich

Das alte Rom

Wir treten nun ein in eine Darstellung der Geschichte seit 70 n. Chr. unter den dargelegten Gesichtspunkten. Die urchristlichen Gemeinden im römischen Reich hatten zuerst teil an der Duldung, die die jüdischen Gemeinden genossen. Aber als Israels ablehnende Haltung gegen die neue Gemeinde entschieden war, wurde der Unterschied der christlichen Gemeinden von den jüdischen bekannt. Das römische Reich ertrug das Christentum nicht. Zeuge davon sind die vielen Verfolgungen, deren erste noch vor das Jahr 70 fällt. Die Christen wurden trotz ihrer Treue gegen das Staatswesen als ein Fremdkörper empfunden, der den Bestand des Staates gefährde. An einem Punkt war der Staat besonders unerbittlich, und der Christenheit war an dieser Stelle ein Entgegenkommen unmöglich: am Kaiserkult, d. h. an der göttlichen Verehrung des Kaisers. Bei diesem Kult handelte es sich nicht eigentlich um Huldigung vor dem jeweiligen Kaiser. Im Kaisertum erwies das Reich sich selbst göttliche Ehre, es setzte sich selbst an Gottes Stelle. Das römische Reich trat an die Stelle des Reiches Gottes, und der Kaiser beanspruchte gewissermaßen die Stelle des Christus. Die göttliche Verehrung des Antichrists und seines Bildes, von der in Offb 13 im Blick auf die Endzeit die Rede ist, bahnte sich bereits im alten römischen Reich an.

Der Staat und die Gemeinde Jesu

Im Jahr 303 n. Chr. holte das Reich zum Vernichtungsschlag gegen die alte Christenheit aus. In dieses Jahr fällt der Beginn der furchtbaren diokletianischen Christenverfolgung, die sich die folgerichtige Ausrottung des Christentums im Reich zum Ziel setzte. Die Verfolgung währte jahrelang. Der Kaiser Konstantin gab dann den Übertritt zum Christentum frei, ja erhob es in seinen späteren Jahren zur bevorzugten Religion. Und seine Nachfolger suchten das Heidentum zu verdrängen. Die Versuche Julians nach der Mitte des 4. Jahrhunderts, dem Heidentum wieder neue Geltung zu verschaffen, misslangen. Fast über Nacht war die Gemeinde Jesu aus einer Schar von Geächteten zur hoch geehrten Kirche geworden. Und die Kirche entwickelte sich zur Reichskirche.

Reichskirche! In diesem einen Wort prägt sich der ganze Umschwung in der Stellung der Kirche aus, der durch die veränderte Haltung des Kaisertums herbeigeführt wurde. Es gab nun zweierlei Reiche: das römische Reich und das Reich Gottes. Die Benennung der damaligen Kirche als Reichskirche will nicht die Beziehung der damaligen Kirche zum Reich Gottes herausheben, sondern ihre Stellung im römischen Reich und zum römischen Reich. Nun war das römische Reich zur Kirche in Beziehung getreten und schätzte und schützte sie. Das Reich führte der Kirche die Bevölkerung zu, damit sie dieselbe in ihre Pflege nehme und ihr ihre Pforten öffne. Es begehrte an der Kirche einen Halt für das ganze Volksleben und einen Stütze des Staats. Und die Kirche war dankbar für die Entlassung aus der furchtbaren Verfolgungszeit und für die Aufschließung des neuen großen Arbeitsfelds. Sie schätzte ihrerseits das Reich. Und nun suchte sie die Bevölkerung des ganzen Reichs zu umspannen. Bereits in den Zeiten des Drucks hatte sie sich feste Ordnungen gegeben, nicht nur für den Gottesdienst, sondern auch für das Zusammenleben in der Einzelgemeinde und für den Zusammenschluss der Gemeinden zu größeren Verbänden. Nun kam die Kirchenverwaltung auf, deren Mittelpunkte die großen Städte waren. Dem Bischofsamt wurde immer größere Bedeutung zugemessen. Für den Westen des Reichs hatte der Bischof von Rom längst ausschlaggebende Bedeutung. Langsam meldete sich das Papsttum an, auch wenn der Name noch nicht da war.

Es war eine Änderung gegenüber der ersten Zeit eingetreten, angesichts deren es der Kirche bei aller Dankbarkeit bang werden musste. Sie freute sich der neuen Stellung im Reich und - das Reich Gottes wurde ihr darüber ferner. Das römische Reich war da, aber das Reich Gottes war noch nicht da - in der Dankbarkeit für den Frieden nach dem Kampf war die Reichskirche manchmal nah daran, sich mit dem Reich Gottes zu verwechseln; selbst Augustin lagen solche Gedanken nicht ganz fern. Es war für die Kirche verhängnisvoll, dass sie sich selbst nicht mehr recht verstand, nämlich dass sie Jesu Gemeinde sei, zwar in der Welt, aber nicht von der Welt. An dieser Stelle, wo von Kirche und Kirchen die Rede ist, ist es von Wert, sich über das Verhältnis der Gemeinde Jesu zu all den Organisationen klar zu werden, die wir heutzutage mit dem Namen "Kirchen" oder Kirchenkörper bezeichnen, ob sie nun großen oder kleinen Umfang haben.

Die Gemeinde Jesu und die Kirchen

Das Reich Gottes ist noch nicht da, weil der Christus, der König des Reichs, der Menschheit noch fehlt. Er ist vorhanden, unsichtbar gegenwärtig, alles erfüllend, gerade wie Gott mit seiner Gegenwart alles erfüllt. Aber offenbar geworfen ist er noch nicht. Denn die Stätte seiner unmittelbaren Gegenwart ist noch der Himmel, der Thron Gottes. Aber er hat bereits eine Schar, die ihm als ein Erstling, als Angebinde aus der Menschheit gehört, das ist seine Gemeinde. Ihr Kennzeichen ist der Glaube, d. h. die Verbindung mit ihm über alle Schranken des Orts und der Zeit hinüber. Die Glieder der Gemeinde wissen, dass sie sich den Glauben nicht selber gegeben haben, dass er ihnen vielmehr geschenkt ist; dass alles, was sie von der Welt unterscheidet, Gabe und Gnade ist. Die Gemeinde weiß, dass sie berufen ist zum Dienst an der armen christuslosen Welt, berufen auch zum Leiden. Sie weiß, dass ihr eigentliches Gut noch in der Zukunft liegt; aber das, was sie schon hat, möchte sie um keinen von der Welt gebotenen Preis fahren lassen. Im innern Leben ist eine Neuschöpfung schon da; aber im übrigen ist sie selber im Warten und mitten ins Harren der Kreatur hineingestellt. Ihr größtes Gut ist, dass sie Gott nicht mehr gegen sich hat, wie auch bei ihr selbst die Feindschaft des natürlichen Menschen gegen Gott aufgehört hat. Die Versuchung ist damit noch nicht geschwunden, der Kampf ist vielmehr nun erst recht entbrannt; aber mitten darin ist sie vom Frieden Gottes umgeben. Sie bedarf täglicher Buße und täglicher Vergebung; aber sie bekommt sie auch täglich. Es ist eine weltweite Gemeinschaft, in der alle Unterschiede und Gegensätze, die sonst in der Welt Trennung stiften,m aufgehoben sind; und doch ist der Zugang zu ihr eng. Weder die Gemeinde selber kann die Tür zu sich aufmachen, noch kann der Zutretende sie öffnen; denn der Schlüssel liegt in Christi Hand. Er ist es, der zu seiner Gemeinde hinzutut, die sich helfen, heilen, retten lassen.

So ist die Gemeinde Jesu innerhalb der Welt ein Geheimnis. Die Welt kann es nicht begreifen. Sogar sich selber ist sie ein Geheimnis. Sie ist kein Volk im gewöhnlichen Sinn des Wortes; denn die natürliche Grundlage des Volkstums fehlt, sie greift über jedes Volkstum hinaus. Sie ist auch kein Verein, zu dem man Zutritt begehren und von dem man wieder weggehen kann. Das letztere ist besonders wichtig, weil es immer wieder nahe liegt, die Gemeinde mit einem vereinsartigen Gebilde zu verwechseln. Menschliche Zusammenschlüsse mögen allerlei Namen tragen; sie können sich Verein, Vereinigung, Körperschaft, Bund, Kreis, Gruppe, Richtung oder Gemeinschaft nennen. Aber die die Zugehörigkeit zu einem menschlichen Gebilde bedeutet noch nicht die Zugehörigkeit zur Gemeinde Jesu und kann diese Zugehörigkeit auch nicht verbürgen oder herbeiführen. Vielen wäre es lieber, wenn es anders wäre; viele meinen mit dem Zutritt zu einer derartigen Gemeinschaft und mit der Aufnahme in sie dem Reich Gottes eingefügt zu sein. Aber gerade die Freiheit von allem menschlichen Machen ist ein köstliches Kleinod der Gemeinde Jesu. Sie ist er Beginn der neuen Welt, für Gott geschaffen durch Christi Hand und Geist, noch während der alten Ordnung der Dinge.

Aber nun wird die Frage immer dringender: was ist denn die Christenheit? Was ist die Kirche? Ist Christenheit, ist Kirche nicht gleichbedeutend mit dieser Gemeinde? Dem Namen, der Bezeichnung nach fällt Christenheit und Kirche mit der Gemeinde Jesu zusammen. Denn das Wort "Christenheit" bezeichnet die Menschheit, soweit sie zu Christus Beziehung hat, und zwar als ein Ganzes. Und "Kirche" könnte mit "Herrnheit" übersetzt werden; diese Benennung fasst also ebenfalls die Beziehung zum Herrn Christus als das bezeichnende Merkmal dessen, was "Kirche" heißt. Nun werden ja beide Beziehungen auch in ihrem Vollsinn gebraucht, so bei Luther in seiner Erklärung des 3. Artikels, wo er die Christenheit auf Erden als die Schar bezeichnet, die von sich aus weder mit ihrer Vernunft noch mit ihrer Kraft den Weg zu Jesus Christus, ihrem Herrn gefunden hätte, die aber durch die berufende, sammelnde, erleuchtende und heiligende Arbeit des Heiligen Geistes zu ihm gebracht und im rechten einigen Glauben bei ihm erhalten wird. Aber die tatsächliche Erscheinung der Christenheit und die geschichtlichen Erscheinungsformen der Kirchen entsprechen dem eigentlichen Inhalt der Benennungen nicht. Bezeichnend ist schon die Verwendung des Wortes Kirche in der Mehrzahl. Zwar wird das griechische Urwort im Neuen Testament auch in der Mehrzahl gebraucht; aber in all diesen Stellen leuchtet die tatsächliche Einheit der Kirche in aller Deutlichkeit durch. Die Mehrzahl hat da nur geographischen Sinn, sofern die Gemeinde Gottes ihre Glieder an vielen Orten hat, wo sie sich dann normalerweise als zusammengehörig fühlen, so dass sie eine örtlich zusammengehörige, eine Lokalgemeinde innerhalb der einen Kirche der una sancta ecclesia, bilden. Der Ausdruck "Kirchen" ist aber längst über diejenige Bedeutung der Mehrzahl hinausgewachsen, welche die örtlichen Besonderheiten der einen Kirche im Auge hat; er bezeichnet jetzt Richtungs- und Wesensunterschiede, ja Gegensätze, im Großen wie im Kleinen.

Es gehört zum Jammer der Christenheit dass sie in ihrer Mitte so grundverschiedene große Kirchenkörper hat; aber zu diesem Jammer gehört auch die, dass es sogar an kleinen Orten Zersplitterungen gibt, die nicht durch das praktische Bedürfnis hervorgerufen sind, sondern durch tiefere Unterschiede. Es sind hier nicht Unterschiede gemeint, die naturgemäß und natürlich sind, wie der Unterschied zwischen Judenchristen und Heidenchristen oder bei den Kirchen die Besonderheit durch das Volkstum. Solche Unterschiede müssten die Einheit nicht aufheben, könnten vielmehr die Herrlichkeit der großen Gnadengabe in verschiedenartiger weise widerspiegeln. Gemeint sind solche Unterschiede, die, am Wesen der Gemeinde gemessen, eine Unnatur sind, wie z.B. Paulus solche Spaltungen in 1Kor 1-4 mit großem Weh und Ernst gerügt hat. Neben solcher kleinkirchlichen und großkirchlichen Zerrissenheit mutet das die Zertrennungen übersehende und die Zusammengehörigkeit betonende Wort "Christenheit" heimelig an. Nur entspricht eben der tatsächliche Stand der Christenheit dem durch das Wort vorgetäuschten Normalzustand nicht.

Aber mit der Feststellung, dass die Gemeinde Jesu mit der Christenheit und mit den Kirchen nicht zusammenfalle, weder mit den großen in langer Geschichte gewordenen, mit ihrer aus der Geschichte zu erklärenden Gebundenheit, noch mit den kleineren sog. freien Gemeinden und Gemeinschaften und Verbänden, die im Grude auch kleine Kirchen - mit dieser Feststellung ist immer noch nicht gesagt, an welcher Stelle der Schaden sitzt. Er liegt nicht an der Größe, als ob sich die Kirche von der Gemeinde Jesu damit entfernen würde, wenn sie an Umfang wächst. Dieses Wachstum hat ja ernste Gefahren gebracht, die aber die Christenheit nicht hätten verderben müssen. Auch Johannes sah in Offb 7:9-17 die Gemeinde Jesu aus der Völkerwelt als eine unzählbar große Schar. Der Schaden muss auch nicht von der Verfassung herrühren, als ob die Christenheit sich selber untreu würde, wenn sie sich bestimmte Formen und Regeln gibt. Gewiss haben sich die Kirchen verdorben durch selbstgewählte Ordnungen, wenn diese nämlich ihrem Wesen nicht entsprachen und noch mehr, wenn sie das Heil abhängig machten von menschlichen Satzungen und so aus ihnen ein Joch zimmerten für das Gewissen; solche Gefahren haften sogar an den Formen und Regeln, die sich kleine Kreise geben. Aber die Verfassung an sich verdirbt die Gemeinde Jesu Christi nicht, wenn sie dem Wesen des Glaubens entspricht und der Liebe dient, und wenn über der Verfassung nicht vergessen wird, dass die Gemeinde nicht von dieser Welt ist, dass also die Formen als etwas Irdisches und Zeitliches das Wesen nicht ersetzen können und dürfen.

Dass z. B. die erste Gemeinde die Versorgung der Armen regelte dass die Gemeinden des Paulus in ihre Gottesdienste und Verhältnisse Ordnung brachten, das entfremdete sie ihrer Berufung und ihrem Beruf nicht. Die Christenheit hat im Anfang gut gewusst, dass bei der Ausübung eines Amts in wahrhaft christlichem Sinn der Heilige Geist nicht entbehrlich, sondern höchst nötig sei. Darum wurde seiner Zeit ein Mann voll des Heiligen Geistes zum Armenpfleger bestellt. Nicht einmal die Mischung hätte die Gemeinde Jesu verderben müssen. Denn die Rückstände des alten Wesens können und sollen zur Buße und Wachsamkeit und zum Anziehen der Überwinderkraft treiben. Und die zurückbleibenden und fehlenden Glieder können und sollen Gegenstand der Bruderliebe werden. Und die Erziehungsaufgabe am nachwachsenden Geschlecht und an den neu Hinzugefügten gibt der Liebe reichen Stoff und dem nach oben gerichteten Trieb neue Nahrung. Darum müsste auch die schon manchmal als der Krebsschaden für die Kirche sein, sondern Anlass zum Dank, dass auch die Kinder der Glaubenden von der Wurzel ihres Lebens an unter der entgegenkommenden, suchenden, leitenden und heiligenden Gnade stehen und unter sie gestellt werden dürfen. Nicht einmal die Sünde, so ernst ihr Vorkommen in der Gemeinde Jesu zu beurteilen ist, müsste sie verderben, wenn nur die eigene Einsicht in die Verfehlung und die Mahnung der Brüder zur Buße führt. Nicht die Sünde an sich ruiniert die Gemeinde Jesu, sondern der Leichtsinn ihr gegenüber und die Meinung in der Sünde beharren zu dürfen (Röm 6).