Die antichristliche Zeit: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Bibelwissen
Wechseln zu: Navigation, Suche
(II. Die antichristliche Zeit)
Zeile 16: Zeile 16:
  
 
<big> '''Kapitel 2''' </big><br/>
 
<big> '''Kapitel 2''' </big><br/>
 +
 +
Hat der Apostel im ersten Kapitel die Leiden der Thessalonicher ins Licht des  Tages des Herrn gestellt, so muss er ihnen nun diesen Tag des Herrn selbst ins  Licht stellen. Unter den Leiden haben sie denselben ernst  und tief heraufgesehnt. Wenn wir die lebendige Hoffnung der ersten Gläubigen auf das Kommen des Herrn noch in ihren Tagen recht verstehen wollen, dann müssen wir auch die schweren Leiden in Christus wohl in Anschlag bringen. Bei uns geht es viel zu gemächlich zu, um eine solche gesteigerte Liebe und Hoffnung ganz zu verstehen. Bei den Thessalonichern, welche unter besonders giftigen Juden wohnten, war, wie wir gesehen haben, die Trübsal groß, darum aber der Wunsch nach dem Kommen des Herrn brennend. Und so stark waren sie von diesem einen bewegt, dass auch falsche Ausbrüche erfolgten. Da stellt ihnen der Apostel nun im zweiten Kapitel unseres Briefes den Tag des Herrn ins rechte Licht,  und zwar ins Licht des z u v o r kommenden A n t i c h r i s t e n. '''Der Herr sammelt Seine Gläubigen nicht vor dem Anbruch des antichristlichen Reiches.Diesen erleben sie noch.'''  Darum müssen sich die Gläubigen mit ihrer Hoffnung auf den zu ihnen kommenden Herrn am antichristlichen Reiche und seinem Eintreten und am Antichristen selbst orientieren. Der A n t i c h r i s t im Lichte des Tages des Herrn ist darum der zweite Teil unseres Briefes.<br/> <br/>
 +
 +
=== '''Die Parusie Jesu Christi'''===
 +
<big>''''''2Thes 2:1''''''</big><br/>
 +
'''Wir bitten euch aber liebe Brüder, in Betreff der Parusie unseres Herrn Jesus Christus'''<br/>
 +
beginnt der Apostel. Hier haben wir wieder das Wort „P a r u s i e". Das ist dasjenige Wort, welches so recht eigentlich das Kommen des Herrn zu Seiner Gemeine bezeichnet.<br/>
 +
 +
„Parusie“ heißt eigentlich „G e g e n w ä r t i g m a c h u n g“. Wir leben jetzt im Glauben und fern von dem Herrn. Wohl haben wir den Stellvertreter, den Heiligen Geist. Wohl ist dieser das Siegel für Glauben und Hoffnung. Wohl verklärt Er uns Christus. Wir haben Ihn wahrhaftig und gewiss im Glauben, und wir wachsen, geistgenährt, in Seinem Leben. Aber Seine persönliche, sichtbare Gegenwart haben wir noch nie genossen. Es heißt bei  uns, „den ihr nicht gesehen und doch lieb habt und nun an Ihn glaubet“. Darum aber ist der Tag des Sehens und Schauens ein begehrter und der Fülletag dieses Sehens und Schauens, seine Gegenwärtigmachung bei der vollendeten Gemeine, etwas im Innersten bei den Gläubigen Ersehntes. Wann kommt und wie kommt der Tag dieser Gegenwärtigmachung, der Parusie? Das ist nicht nur für alle Gläubigen persönlich von großer Bedeutung, das ist für die ganze Hinausführung des Rates Gottes ein hochwichtiger Tag. Ist am Tag der Himmelfahrt das Haupt vollendet gewesen, so ist am Tag der Parusie der Leib vollendet, und nun erst kann der Rettungsrat weiter durchgeführt werden. Diesen Tag der Parusie nennt der Apostel in  unserem ersten Vers den <br/> <br/>
 +
 +
====<big>Tag unserer Versammlung zu Ihm</big>====
 +
Das heißt wörtlich: Tag unserer E n t g e g e n - Z u s a m m e n f ü h r u n g. Da kommt ja der Herr vom Himmlischen her '''mit denen, die schon vollendet sind''', und fährt herab vom Himmlischen in die Lufträume dieser Erde, in denen bis dahin Satan geherrscht hatte. Diese nimmt Er in Besitz mit den Seinen,  und dahin entrückt er dann alle die, welche an Seinem
 +
Tage noch auf Erden leben. In einem Augenblick werden diese verklärt, hingerückt und zusammengefügt mit den aus den himmlischen Gegenden Kommenden. Das gibt die Entgegen-Zusammenführung. Wenn Paulus von u n s e r e r Versammlung zu Ihm (eigentlich „Ihm entgegen“) redet, so denkt er auch noch daran, vielleicht mit den Thessalonichern nicht erst sterben  zu müssen, sondern überkleidet zu werden. Paulus, der große Leidensmann,  hat auch ein starkes Sehnen nach Verklärung. '''Noch sind auch die langen Zwischenräume nicht geoffenbart.''' Hier hat erst Johannes in der Offenbarung klaren Bescheid bekommen. Aber bei allem gesteigerten Hoffen hat Paulus doch eine völlige Nüchternheit.  Er weiß, was noch vorher erscheinen muss, ehe des Herrn Tag eintreten kann, und darum wartet er in Glauben und Hoffnung, wiewohl er gern eilte. Zu diesem geduldigen Warten will er auch seine Thessalonicher erziehen. Sie hatten in der Erwartung jenes Tages nicht die rechte G e i s t e s z u c h t der G e d u l d. Diese ist, gerade im Blick auf den Tag des Herrn, der Gemeine schon oft und viel abhanden gekommen. Umso mehr muss sie dieselbe sich schenken lassen, und unser heutiges Wort ist so recht geeignet dazu, in solche Geisteszucht der Geduld uns hineinzustellen. Gerade der Tag des Herrn erfordert ja nicht nur Glauben, sondern auch Geduld der Heiligen. Daher hat nun in diesem Stück der Apostel eine Bitte an die Thessalonicher auf dem Herzen. „W i r bitten e u c h , l i e b e  B r ü d e r“, sagt er.
 +
 +
Es ist eine dringende Sache, dass herz und Sinn für die Parusie des Herrn klar sei, drum muss sich hier Paulus ernstlich aufs Bitten verlegen, dass die Thessalonicher ihn hören. In Hoffnungssachen Abgeirrte sind auch gewöhnlich sehr zäh. Auch die Thesssalonicher hatten etwas davon. Darum dringt der Apostel auf sie ein und sagt: „Wir bitten euch“. Geschwister in Christo müssen auch je und je gegeneinander andringen mit Bitten und Flehen, wenn es sich um Fehlgänge handelt. Und nun bittet der Apostel die Thessalonicher  in Betreff der Parusie des Herrn:<br/><br/>
 +
 +
====<big>Das richtige Urteilsvermögen</big>====
 +
<big>'''[[2Thes 2:2]]'''</big><br/>
 +
'''Dass ihr euch nicht schnell bewegen lasset von dem Sinn'''<br/>
 +
Hier begegnet uns ein wichtiges biblisches Wort „S i n n“ Luther kann das Wort an anderen Orten auch mit „Vernunft, Gemüt, Verstand“ übersetzen. Gemeint ist der innerlich urteilende Sinn d a s innere  U r t e i l s v e r m ö g e n. Auf verschiedenen Stufungen hat jedes Geschöpf ein Urteilsvermögen - einen Sinn. Die Pflanzen, z. B. für’s Licht, die Tiere schon für mehr Dinge, ,der Mensch hat das höchste und tiefste Urteilsvermögen. Wenn dieses Urteilsvermögen vom eigen „Ich“ geleitet und regiert ist, irrt es und ist verfinstert. Wenn es durch den Heiligen Geist im Glauben regiert wird, dann wird es je länger je mehr lichtmäßig.  Ein geistregierter, innerer Sinn ist vor allem nüchtern. Er sieht die Dinge, wie sie sind, im göttlichen Urteil. So gibt nun der Heilige Geist auch über den Tag des Herrn dem Gläubigen ein inneres, göttliches Urteil, das ebenso von Liebe und Hoffnung als von Geduld  und Warten bestimmt ist. In diesem göttlichen, geistlichen Urteilen kann man aber erschüttert werfen. Es können auf allerlei Weise seelische und fleischliche Geistesregungen mit sprechen, und dann wird das Geistesurteil getrübt. Da ermahnt  und bittet nun Paulus die Thessalonicher, dass sie nicht so schnell sich sollten erschüttern lassen vom richtigen, geistgeleiteten, inneren Urteilen. Das geht immer schnell, dass man in ein schiefes, von anderem Geist mitbewirktes Urteil komme. Paulus nennt verschiedene Einflüsse, welche hier hereinsprechen können.<br/> <br/>
 +
 +
==='''Lasst euch nicht erschrecken'''===
 +
'''Lasst euch nicht erschrecken, weder durch Geist, noch durch Wort, noch durch Brief, als von uns, als ob der Tag des Herrn gegenwärtig sei''' (Vers 2)<br/>
 +
Das ist freilich für ein gläubiges Herz  ein großer Schrecken, wenn man ihm sagt, der Tag des Herrn ist gegenwärtig, steht vor der Tür, ist da. Wir warten ja freilich dieses Tages; aber alles Erwartete und sonderlich heiß Ersehnte bringt ein tiefes Erschrecken mit sich, wenn es plötzlich da ist. Wenn wir eines unserer Lieben angespannt erwarten, und es tritt plötzlich zur Tür herein, so gibt es eben für den Augenblick einen jähen Schrecken. So sind auch die Thesssalonicher mit der Botschaft erschreckt worden, der Tag des Herrn sei eingetreten oder sei doch direkt vor der Türe. Oft und viel sind die Gläubigen schon durch solche Übereilungen tief erschreckt worden.
 +
 +
Paulus sagt nun: Lasst euch nicht erschrecken, „n i c h t durch G e i s t“. In dem lebendigen Geistesleben der ersten Gemeine, welche des geschriebenen Wortes noch entbehrte, gab es viel Weissagung und Prophetie. Sie sollten uns beide nicht fehlen! Da kam es nun vor, dass Brüder auftraten, welche im Geiste auch vom Kommen des Herrn zu Seiner Gemeine zeugten. Und bei diesen Zeugnissen geschah es, dass sie im Geiste das Kommen des Herrn ganz nahe und unmittelbar bevorstehend hinstellten. Da hätte nun der innere, geistgeleitete Sinn der Gemeine prüfen müssen, ob nach dem apostolischen Zeugnis solches möglich und wirklich sei. Aber statt dessen ließen sich offenbar die meisten einen Schrecken einjagen und ergriffen in diesem Schrecken falsche Maßnahmen. Die einen gingen herum, trugen’s weiter und arbeiteten nicht mehr; andere kamen in Disputationen darüber, und das nüchtern Glaubens- und Heiligungsleben kam zu kurz oder  zu Schaden. Darum ist es dem Apostel ein Anliegen, dass sie sich nicht erschrecken lassen durch Geist. Wiewohl wir den Geist nicht dämpfen und auslöschen dürfen, so muss er doch ernstlich geprüft und gerichtet werden. Wie wir nichts essen, ohne dass es in Mund und Gaumen die Prüfungsstellen durchlaufen hat, so wollen wir auch Geistesäußerungen immer erst prüfen, ehe wir uns durch dieselben bewegen lassen. Geistesmenschen, auch solche, die wir sonst hochachten, können im einzelnen irren. Und die Gläubigen in Christus müssen hier wachsen, einander sagen  und mahnen.
 +
 +
Außer durch Geist
 +
 +
<br/> <br/>

Version vom 20. Februar 2021, 11:08 Uhr

Abschrift des Buches: Der zweite Thessalonicher Brief
Pfarrer Theodor Böhmerle (1870 - 1927)

Neu durchgesehene Auflage
St.-Johannis-Druckerei, Lahr-Dinglingen (Baden) 1957

weitere Abschriften:

Inhaltsverzeichnis des Buches

I. Die Trübsal in Christus

In Bearbeitung:

II. Die antichristliche Zeit

Im Lichte des Tages des Herrn

Kapitel 2

Hat der Apostel im ersten Kapitel die Leiden der Thessalonicher ins Licht des Tages des Herrn gestellt, so muss er ihnen nun diesen Tag des Herrn selbst ins Licht stellen. Unter den Leiden haben sie denselben ernst und tief heraufgesehnt. Wenn wir die lebendige Hoffnung der ersten Gläubigen auf das Kommen des Herrn noch in ihren Tagen recht verstehen wollen, dann müssen wir auch die schweren Leiden in Christus wohl in Anschlag bringen. Bei uns geht es viel zu gemächlich zu, um eine solche gesteigerte Liebe und Hoffnung ganz zu verstehen. Bei den Thessalonichern, welche unter besonders giftigen Juden wohnten, war, wie wir gesehen haben, die Trübsal groß, darum aber der Wunsch nach dem Kommen des Herrn brennend. Und so stark waren sie von diesem einen bewegt, dass auch falsche Ausbrüche erfolgten. Da stellt ihnen der Apostel nun im zweiten Kapitel unseres Briefes den Tag des Herrn ins rechte Licht, und zwar ins Licht des z u v o r kommenden A n t i c h r i s t e n. Der Herr sammelt Seine Gläubigen nicht vor dem Anbruch des antichristlichen Reiches.Diesen erleben sie noch. Darum müssen sich die Gläubigen mit ihrer Hoffnung auf den zu ihnen kommenden Herrn am antichristlichen Reiche und seinem Eintreten und am Antichristen selbst orientieren. Der A n t i c h r i s t im Lichte des Tages des Herrn ist darum der zweite Teil unseres Briefes.

Die Parusie Jesu Christi

'2Thes 2:1'
Wir bitten euch aber liebe Brüder, in Betreff der Parusie unseres Herrn Jesus Christus
beginnt der Apostel. Hier haben wir wieder das Wort „P a r u s i e". Das ist dasjenige Wort, welches so recht eigentlich das Kommen des Herrn zu Seiner Gemeine bezeichnet.

„Parusie“ heißt eigentlich „G e g e n w ä r t i g m a c h u n g“. Wir leben jetzt im Glauben und fern von dem Herrn. Wohl haben wir den Stellvertreter, den Heiligen Geist. Wohl ist dieser das Siegel für Glauben und Hoffnung. Wohl verklärt Er uns Christus. Wir haben Ihn wahrhaftig und gewiss im Glauben, und wir wachsen, geistgenährt, in Seinem Leben. Aber Seine persönliche, sichtbare Gegenwart haben wir noch nie genossen. Es heißt bei uns, „den ihr nicht gesehen und doch lieb habt und nun an Ihn glaubet“. Darum aber ist der Tag des Sehens und Schauens ein begehrter und der Fülletag dieses Sehens und Schauens, seine Gegenwärtigmachung bei der vollendeten Gemeine, etwas im Innersten bei den Gläubigen Ersehntes. Wann kommt und wie kommt der Tag dieser Gegenwärtigmachung, der Parusie? Das ist nicht nur für alle Gläubigen persönlich von großer Bedeutung, das ist für die ganze Hinausführung des Rates Gottes ein hochwichtiger Tag. Ist am Tag der Himmelfahrt das Haupt vollendet gewesen, so ist am Tag der Parusie der Leib vollendet, und nun erst kann der Rettungsrat weiter durchgeführt werden. Diesen Tag der Parusie nennt der Apostel in unserem ersten Vers den

Tag unserer Versammlung zu Ihm

Das heißt wörtlich: Tag unserer E n t g e g e n - Z u s a m m e n f ü h r u n g. Da kommt ja der Herr vom Himmlischen her mit denen, die schon vollendet sind, und fährt herab vom Himmlischen in die Lufträume dieser Erde, in denen bis dahin Satan geherrscht hatte. Diese nimmt Er in Besitz mit den Seinen, und dahin entrückt er dann alle die, welche an Seinem Tage noch auf Erden leben. In einem Augenblick werden diese verklärt, hingerückt und zusammengefügt mit den aus den himmlischen Gegenden Kommenden. Das gibt die Entgegen-Zusammenführung. Wenn Paulus von u n s e r e r Versammlung zu Ihm (eigentlich „Ihm entgegen“) redet, so denkt er auch noch daran, vielleicht mit den Thessalonichern nicht erst sterben zu müssen, sondern überkleidet zu werden. Paulus, der große Leidensmann, hat auch ein starkes Sehnen nach Verklärung. Noch sind auch die langen Zwischenräume nicht geoffenbart. Hier hat erst Johannes in der Offenbarung klaren Bescheid bekommen. Aber bei allem gesteigerten Hoffen hat Paulus doch eine völlige Nüchternheit. Er weiß, was noch vorher erscheinen muss, ehe des Herrn Tag eintreten kann, und darum wartet er in Glauben und Hoffnung, wiewohl er gern eilte. Zu diesem geduldigen Warten will er auch seine Thessalonicher erziehen. Sie hatten in der Erwartung jenes Tages nicht die rechte G e i s t e s z u c h t der G e d u l d. Diese ist, gerade im Blick auf den Tag des Herrn, der Gemeine schon oft und viel abhanden gekommen. Umso mehr muss sie dieselbe sich schenken lassen, und unser heutiges Wort ist so recht geeignet dazu, in solche Geisteszucht der Geduld uns hineinzustellen. Gerade der Tag des Herrn erfordert ja nicht nur Glauben, sondern auch Geduld der Heiligen. Daher hat nun in diesem Stück der Apostel eine Bitte an die Thessalonicher auf dem Herzen. „W i r bitten e u c h , l i e b e B r ü d e r“, sagt er.

Es ist eine dringende Sache, dass herz und Sinn für die Parusie des Herrn klar sei, drum muss sich hier Paulus ernstlich aufs Bitten verlegen, dass die Thessalonicher ihn hören. In Hoffnungssachen Abgeirrte sind auch gewöhnlich sehr zäh. Auch die Thesssalonicher hatten etwas davon. Darum dringt der Apostel auf sie ein und sagt: „Wir bitten euch“. Geschwister in Christo müssen auch je und je gegeneinander andringen mit Bitten und Flehen, wenn es sich um Fehlgänge handelt. Und nun bittet der Apostel die Thessalonicher in Betreff der Parusie des Herrn:

Das richtige Urteilsvermögen

2Thes 2:2
Dass ihr euch nicht schnell bewegen lasset von dem Sinn
Hier begegnet uns ein wichtiges biblisches Wort „S i n n“ Luther kann das Wort an anderen Orten auch mit „Vernunft, Gemüt, Verstand“ übersetzen. Gemeint ist der innerlich urteilende Sinn d a s innere U r t e i l s v e r m ö g e n. Auf verschiedenen Stufungen hat jedes Geschöpf ein Urteilsvermögen - einen Sinn. Die Pflanzen, z. B. für’s Licht, die Tiere schon für mehr Dinge, ,der Mensch hat das höchste und tiefste Urteilsvermögen. Wenn dieses Urteilsvermögen vom eigen „Ich“ geleitet und regiert ist, irrt es und ist verfinstert. Wenn es durch den Heiligen Geist im Glauben regiert wird, dann wird es je länger je mehr lichtmäßig. Ein geistregierter, innerer Sinn ist vor allem nüchtern. Er sieht die Dinge, wie sie sind, im göttlichen Urteil. So gibt nun der Heilige Geist auch über den Tag des Herrn dem Gläubigen ein inneres, göttliches Urteil, das ebenso von Liebe und Hoffnung als von Geduld und Warten bestimmt ist. In diesem göttlichen, geistlichen Urteilen kann man aber erschüttert werfen. Es können auf allerlei Weise seelische und fleischliche Geistesregungen mit sprechen, und dann wird das Geistesurteil getrübt. Da ermahnt und bittet nun Paulus die Thessalonicher, dass sie nicht so schnell sich sollten erschüttern lassen vom richtigen, geistgeleiteten, inneren Urteilen. Das geht immer schnell, dass man in ein schiefes, von anderem Geist mitbewirktes Urteil komme. Paulus nennt verschiedene Einflüsse, welche hier hereinsprechen können.

Lasst euch nicht erschrecken

Lasst euch nicht erschrecken, weder durch Geist, noch durch Wort, noch durch Brief, als von uns, als ob der Tag des Herrn gegenwärtig sei (Vers 2)
Das ist freilich für ein gläubiges Herz ein großer Schrecken, wenn man ihm sagt, der Tag des Herrn ist gegenwärtig, steht vor der Tür, ist da. Wir warten ja freilich dieses Tages; aber alles Erwartete und sonderlich heiß Ersehnte bringt ein tiefes Erschrecken mit sich, wenn es plötzlich da ist. Wenn wir eines unserer Lieben angespannt erwarten, und es tritt plötzlich zur Tür herein, so gibt es eben für den Augenblick einen jähen Schrecken. So sind auch die Thesssalonicher mit der Botschaft erschreckt worden, der Tag des Herrn sei eingetreten oder sei doch direkt vor der Türe. Oft und viel sind die Gläubigen schon durch solche Übereilungen tief erschreckt worden.

Paulus sagt nun: Lasst euch nicht erschrecken, „n i c h t durch G e i s t“. In dem lebendigen Geistesleben der ersten Gemeine, welche des geschriebenen Wortes noch entbehrte, gab es viel Weissagung und Prophetie. Sie sollten uns beide nicht fehlen! Da kam es nun vor, dass Brüder auftraten, welche im Geiste auch vom Kommen des Herrn zu Seiner Gemeine zeugten. Und bei diesen Zeugnissen geschah es, dass sie im Geiste das Kommen des Herrn ganz nahe und unmittelbar bevorstehend hinstellten. Da hätte nun der innere, geistgeleitete Sinn der Gemeine prüfen müssen, ob nach dem apostolischen Zeugnis solches möglich und wirklich sei. Aber statt dessen ließen sich offenbar die meisten einen Schrecken einjagen und ergriffen in diesem Schrecken falsche Maßnahmen. Die einen gingen herum, trugen’s weiter und arbeiteten nicht mehr; andere kamen in Disputationen darüber, und das nüchtern Glaubens- und Heiligungsleben kam zu kurz oder zu Schaden. Darum ist es dem Apostel ein Anliegen, dass sie sich nicht erschrecken lassen durch Geist. Wiewohl wir den Geist nicht dämpfen und auslöschen dürfen, so muss er doch ernstlich geprüft und gerichtet werden. Wie wir nichts essen, ohne dass es in Mund und Gaumen die Prüfungsstellen durchlaufen hat, so wollen wir auch Geistesäußerungen immer erst prüfen, ehe wir uns durch dieselben bewegen lassen. Geistesmenschen, auch solche, die wir sonst hochachten, können im einzelnen irren. Und die Gläubigen in Christus müssen hier wachsen, einander sagen und mahnen.

Außer durch Geist