Die Tiere und das Weib in der Offenbarung: Unterschied zwischen den Versionen

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(Zweites Kapitel)
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Das 12. und 13. Kapitel enthalten die Charakteristik der kämpfenden Mächte: sie beschreiben das Weib auf der einen Seite, den Drachen, das Tier und den falschen Propheten auf der andern. Alle diese Potenzen werden in neutestamentlich universellem Blick ihrem ganzen Dasein in der Welt- und Reichsgeschichte nach geschildert: das Gesicht geht nicht bloß in die Zukunft hinaus, sondern umfasst, zugleich um der Deutlichkeit und Charakteristik willen, je nach Umständen auch die Gegenwart und Vergangenheit (Vgl. Offb 17:10 <big> ἔπεσαν,  ἦλθεν ,οὔπω, ἦλθεν </big>). Zuerst schaut Johannes das Weib (Offb 12), und dieses haben wir daher vor allem ins Auge zu fassen. <br/><br/>
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=====<big>a. Das Weib und der Drache</big>=====
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Weib und Tier bilden offenbar den nämlichen Gegensatz, wie bei Daniel der Menschensohn und die Tiere. Darauf deutet schon die Örtlichkeit hin, wo die beiden Seher diese Gestalten schauen. Wie der Menschensohn Daniels vom Himmel kommt, so sieht Johannes das Weib (Offb 12:1) im Himmel; und wie die danielischen Tiere aus dem Meer aufsteigen, ebenso das Tier der Offenbarung (Offb 13:1). Beide Male tritt ferner das menschliche Wesen dem tierischen entgegen, nur bei Daniel in männlichere, bei Johannes in weiblicher Gestalt. Dass hiermit der Gegensatz des Gottes- und des Weltreiches bezeichnet ist, wissen wir. Daniel schaut aber den Messias, den Bräutigam oder Mann, weil er in jene Zeit hinausblickt, wo Christus sichtbar wiederkommen und sein Reich auf Erden errichten wird; Johannes, bei welchem hier jedenfalls, um vorläufig noch ganz allgemein zu sprechen, die Zeit vor der Parusie im Blickfeld steht, schaut das Weib, die Braut, die Gemeinde Gottes in der Welt. Wenn er diese in Gestalt eines W e i b e s schaut, so steht ja damit die Apokalypse nicht allein, sagt nichts Neues aus, sondern sie fasst nur den ganzen Sprachgebrauch des A. und N. T. zusammen. Derselbe beginnt schon im Pentateuch damit, dass der Abfall des Volkes Israel von Gott zu den Götzen als Hurerei bezeichnet wird und der heilige Ernst Gottes dagegen als Eifersucht, Ausdrücke, die zu ihrer Grundlage die Anschauung eines Ehebundes zwischen Gott und Israel haben, in welchem jener der Mann, dieses das Weib ist. (z. B. 2Mo 34:15.16; 3Mo 17:7: 3Mo 20:5.6: 4Mo 1433; 4Mo 15:39; 5Mo 31:16; 5Mo 32:16.21). Bei den Propheten findet sich diese Grundanschauung weiter ausgebildet und in manigfaltigster Anwendung durchgeführt: Brautwerbung,  Ehestand, Ehebruch, Scheidung, Witwenschaft usw. (Jes 1:21; Je 50:1; Jes 54:1ff.; Jer 2:2.20.23-25; Jer 3:1ff.; Hes 16 u. 23; Hos 1-3 u.ä.) Im N. T. nimmt sogleich der Täufer den Ausdruck wieder auf, indem er Jesus, den Messias, als den Bräutigam bezeichnet, der die Braut hat (Joh 3:29). Hier tritt also von vornherein Christus an Jehovas Stelle: in der Zeit der Erfüllung ist Jehova Jesus Christus geworden, wie sich das in seinem Namen <big> κύριος</big> (der Herr) ausprägt. Er selbst nennt  sich den Bräutigam (Mt 9:15) und hat in seinen Gleichnissen von den zehn Jungfrauen, von der königlichen Hochzeit und verwandten Aussprüchen dieselbe Anschauung weiter ausgeführt.
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In den apostolischen Schriften begegnet sie uns ebenso: Paulus hat sie Eph 5:23-32 aufs Tiefste begründet und entwickelt, wobei er nachweist, wie auch wirklich schon die ursprüngliche Stiftung der Ehe im Paradis (1Mo 2) ein Typus auf Christentum  und Gemeinde gewesen (Vgl. D e l i t z s c h , Hoheslied, S. 186 ff.) Allee das fasst die Apokalypse in das eine Wort Weib (Offb 12:1) zusammen. Das Wesen des Weibes gegenüber dem Mann ist das Untertansein (Eph 5:22-24), das sich Hingeben, das Empfangen. Eben dies ist auch das Wesen des Menschen gegenüber Gott: er kann sich, wenn er seinem eigenen Wesen entsprechen will, lediglich untertänig und empfangend Gott gegenüber verhalten. Alle Autonomie des Menschengeistes ist prinzipielle Verkehrung seines Verhältnisses zu Gott. Dieses weibliche Verhalten des Menschen gegen Gott und göttliche Dinge ist es, was die Schrift Glauben nennt, und wovon sie das Empfangen der göttlichen Lebenskräfte abhängig macht. Auch ein kindliches Verhalten ist der Glaube: wir sind durch ihn Kinder Gottes (Gal 3:26). Was der Herr vom Wieder-Kind-werden sagt, was das ganze N. T. von der Gotteskindschaft lehrt, gehört auch wesentlich hierher. Die einzelne Seele ist Kind Gottes; die Gesamtheit der Kinder ist im Weibe eingeschlossen (vgl. Jes 54:1.3; Hes 16:20). So schließt der Ausdruck Weib nicht nur den unmittelbar verwandten Sprachgebrauch, sondern überhaupt alles in sich zusammen, was die Schrift über die Grundbeziehungen des Menschen zu Gott lehrt. Das Weib ist die Menschheit, sofern und soweit sie Gott zugehört. Darum wird von Christo, dem Sohne des Weibes, Offb 12:5 hervorgehoben, dass er ein m ä n n l i c h e r Sohn sei. Er ist wohl vom Weibe geboren und unter das Gesetz getan (Gal 4:4), er ist das eigentliche Resultat und Erzeugnis der alttestamentlichen Gemeinde, daher auch unter ihre Lebensordnungen gestellt; aber er ist dabei Gottes Sohn und steht als solcher der Gemeinde gegenüber wie der Mann dem Weibe. Der Mann, sagt Paulus 1Kor 11:7, ist Gottes Ebenbild und Herrlichkeit, das Weib aber ist des Mannes Herrlichkeit. Darum ist das weitere Kennzeichen des männlichen Sohnes, dass er mit eisernem Zepter weidet: er ist Herrscher und Hirte gegenüber der Herde, ebenso wie er männlich ist gegenüber dem Weibe. Dies ist der einfache Sinn des scheinbar pleonastischen Zusatzes "männliche" zu "Sohn".
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Als Sohn des Weibes ist er, wie er sich selbst nennt, des Menschen Sohn; als männlich ist er der Sohn des lebendigen Gottes, der selbst im Namen Gottes Bräutigam und Mann der Gemeinde wird, weil er vom Vater das Leben in sich selber hat (Joh 5:26). Außer ihm darf kein Mensch sich männlich nennen. Wenn die Menschen das Leben ins sich selbst zu haben wähnen, wenn sie von Gott sich losreißen, ihm trotzen, in Eigenmacht wider ihn sich erheben: so werden sie zum unvernünftigen T i e r e. Die stolze Naturkraft des Menschen ist nicht männlicher, sonder tierischer Art; es ist nichts anderes als die brutale Gewalt der Bestie. Das haben wir schon oben bei den danielischen Tieren gesehen. So ist also in dem Gegensatz zum Tier und Weib nicht etwa dies oder jenes Einzeln und Zufällige ausgesagt, sondern es sin die beiden Grundrichtungen der Menschheit, die Kinder des Lichts und die Kinder dieser Welt. Es gibt ein drittes: jeder muss entweder zum  Weib oder zum Tier gehören. Derselbe Gegensatz, dem wir überall im Evangelium und in den Briefen des Johannes begegnen, Gott und Welt, Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge, Leben und Tod, findet sich also auch in der Apokalypse, nur symbolisch eingehüllt in den Gegensatz von Weib und Tier: jenes ist, wie wir sehen werden, mit Gottes Sonne bekleidet, dieses ein Abbild des Teufels; dadurch wird die Parallele noch deutlicher. Und auch die Wahl der Symbole hat nichts Zufälliges oder Willkürliches, sondern gründet sich auf das innerste Wesen der weiblichen und tierischen Natur.

Version vom 2. Juni 2020, 18:17 Uhr

Abschrift des Buches: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis
in ihrem gegenseitigen Verhältnis betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert.

Verfasser: Karl August Auberlen (1854)
Verlag: Bachmaier's Buchhandlung, Basel

Inhaltsverzeichnis des Buches
Kapitel vorher:
Die Tiere und der Mensch


In Bearbeitung

Die Tiere und das Weib in der Offenbarung

Indem wir an die Apokalypse heranzutreten wagen, verhehlen wir nicht, was es heißt, über ein Buch das Wort zu erheben, welches in besonderem Sinn, sich die Offenbarung Jesu Christi nennt, die ihm Gott gegeben hat (Offb 1:1), und welches so reich an Geheimnissen ist, dass die Jahrhunderte und die erleuchtetsten Gottesmänner sich daran zerarbeitet haben. Die folgenden Blätter wollen nicht weiter sein als ein Versuch, den gleich Daniel (Dan 9:2) in der Schrift Forschenden zu Prüfung vorgelegt. Es geht wohl denen, welche die Apokalypse mit Geistesblicken betrachten, fast mit jeder Erklärung derselben so, wie es der Königin von Arabien gegangen ist, mit dem, was sie über Salomo vernommen hatte. Sie müssen denken: Siehe, es ist mir nicht die Hälfte gesagt; du hast mehr Weisheit und gutes, denn das ist, was ich gehört haben; selig sind deine Leute und deine Knechte, die allezeit vor dir stehen und deine Weisheit hören (1Kön 10:7.8). Auch bei unserer Erklärung wird es nicht anders sein. Es liegt in der Natur der Sache, dass die große Aufgabe nicht von einem Menschen oder Menschenalter gelöst werden kann; denn das buch ist der ganzen Gemeinde der Gläubigen für alle Jahrhunderte bis zur Wiederkunft Christi gegeben; und da erst die Erfüllung die volle Auslegung der Weissagung bringt, so ist es natürlich und notwendig, dass wir immer nur m Begriff einer Annäherung an das volle Verständnis sind. Aber eben weil das Werk so schwierig ist, so dürfen und sollen zur Lösung der heiligen Rätsel immer wieder neue Versuche gemacht werden, welche auf der schon gewonnenen Erkenntnis weiterbauen und das Unrein und Unrichtige der vorhandenen Meinungen ausscheiden. Da es nun unter den jetzt über die Apokalypse herrschenden Ansichten des Auszuscheidenden so viel gibt, dass manchen dadurch der Blick für die göttliche Autorität und Bedeutung des Buches gänzlich geraubt worden ist; so wollen wir einen solchen Versuch wagen. Was uns hierzu den Mut gibt, das ist insbesondere der Umstand, dass wir uns bei unserer Auffassung in Einigkeit wissen mit der übrigen Weissagung der Hl. Schrift, nicht nur mit Daniel und den andern alttestamentlichen Propheten, sondern auch mit den Weissagungen und der gesamten Weltanschauung und Geschichtsbetrachten Christi und der Apostel. Die Schriftanalogie, dieser Hauptgrundsatz der evangelischen Exegese, ist von doppelter Wichtigkeit bei einem Buch, das, wie allgemein anerkannt wird, die abschließende Zusammenfassung alle biblischen Weissagung bildet. Wie wir daher auf den Nachweis derselben schon bei Daniel bedacht gewesen sind, so werden wir diesen Gesichtspunkt noch mehr bei der Apokalypse festhalten, in der Hoffnung, unsere Arbeit werde dadurch an Überzeugungskraft wie an Interesse gewinnen

Zweites Kapitel

Es handelt sich nun hier, wo es die Parallelen mit Daniel gilt, nicht um die ganze Apokalypse, wohl aber um den wichtigsten, für die Gesamtauffassung entscheidenden Teil derselben, um den Abschnitt der mit dem 12. Kapitel beginnt. Denn dass das Verständnis des Buches vorzugsweise von der Erklärung der hier vorkommenden Symbole, des Weibes, der Hure und der beiden Tiere, abhängt, ist wohl keine Frage. Einen solchen einzelnen Teil herauszugreifen ist jetzt auch umso eher möglich geworden, seit die richtige Erkenntnis über die formelle Anordnung des Buches so ziemlich allgemeinen Eingang gefunden hat. Wie wir nämlich bei Daniel gesehen haben, dass im 2. und 7. und dann wieder im 8. und 11. Kapitel derselbe Gegenstand von verschiedenen Seiten beleuchtet wird, so findet auch in der Apokalypse ähnliches statt. Es sind, abgesehen von den einleitenden und abschließenden Abschnitten, Kap 1-3 und 20-22, welche uns einerseits auf den Standpunkt des Apokalyptikers, andererseits auf den der endlichen Vollendung des ganzen Ratschlusses Gottes stellen, drei Hauptgruppen, welche alle die Zeit zwischen diesen beiden Endpunkten oder, können wir im allgemeinen auch sagen, zwischen der ersten und zweiten Ankunft Christi, nur von verschiedenen Seiten, beleuchten: die sieben Siegel (Offb 4-8:1), die sieben Posaunen (Offb 8-11) und die sieben Zornschalen (Offb 12-19). Jede dieser Gruppen hat ihre eigentümliche Zugabe, welche bei den beiden ersten jeweils zwischen das sechste und siebte Siegen(Kap 78), zwischen die sechste und siebte Posaune (Offb 10:1-11:14) eingeschoben ist, während sie dagegen bei der dritten Gruppe die sieben Zornschalen nicht unterbricht, sondern ihnen teils vorangeht (Offb 12-14), teils nachfolgt (Offb 17-19). Wir haben es hier unserer Aufgabe gemäß nur mit der letzten Gruppe und zwar vorzugsweise mit Offb 12-13; Offb 17-19 zu tun, woran sich noch ein weiterer Blick auf die mit dem Messiasreich Daniels in Parallele stehenden Offb 20ff schließen muss.

Es folge nun, wie oben im zweiten Abschnitt, zuerst unsere eigene Auslegung und dann eine Darstellung und Kritik der abweichenden Hauptauffassung der Apokalypse, welchen gegenwärtig in Betracht kommt.

A. Auslegung von Offb 12ff.

I. Der offenbarungsgeschichtliche Ausgangspunkt

Es ist hier nicht der Ort, die schwierige Frage über die Abfassungszeit der Apokalypse näher zu erörtern. Ohne gerade darüber entscheiden und abschließen zu wollen, schicken wir nur die kurze Bemerkung voran, dass, so schwer allerdings das Zeugnis des Irenäus für die Abfassung unter Domitian wiegt, das Buch selber doch derjenigen Ansicht günstiger zu sein scheint, in welcher G u e r i c k e , T h i e r s c h, L u t t e r b e c k (Die neutestamentl. Lehrbegriffen II, 256) L ü c k e , B a u r u. a. übereinstimmen, dass es nämlich kurz vor Jerusalems Zerstörung geschrieben sei. Es ist bei manchen Unklarheiten im einzelnen doch im ganzen sehr wohlgelungen, was T h i e r s c h über die historische Konstellation sagt, aus welcher dasselbe hervorging (Die Kirche im apostol. Zeitalter, S. 230-253). Indessen werden die folgenden Bemerkungen auch bei der andern Meinung, die in neuerer Zeit von J. Chr. K. H o f m a n n , H e n g s t e n b e r g und E b r a r d vertreten wird, im wesentlichen ihre Geltung behalten.

Die Lage des Reiches Gottes auf Erden, welcher die Offb Joh. ihre Entstehung verdankt, hat mit derjenigen die größte Ähnlichkeit, aus welcher das Buch Daniels hervorgegangen ist. Dort ist die alttestamentliche, hier die neutestamentliche Gemeinde unter die Heiden zerstreut, dort ist Jerusalem durch Nebukadnezar, hier wird es durch Titus zerstört; dort ist die große Frage, was Israel, hier, was die Gemeinde Jesu Christi von den Weltmächten zu erfahren haben wird, in deren Bereich sie nun ganz und gar hineingestellt ist. Beide Apokalyptiker schauen in die Zeiten der Heiden hinaus; aber Daniel sieht in den ersten Jahrhunderten derselben eine nochmalige, wenn auch kümmerliche Wiederaufrichtung Israels und Jerusalems, die freilich mit einer grauenvollen Zerstörung endigen wird (Dan 9:24-27). Eben diese Zerstörung hat nun Johannes unmittelbar vor sich, und so ist jetzt das Reich Gottes vollends ganz ohne äußeren Halt und ohne Heimat auf Erden; es ist durch Paulus schon mitten in die Heidenwelt hineingepflanzt, die Juden stehen ihm bereits mit entschiedener Feindseligkeit gegenüber (Offb 29; Offb 3:9); die sieben kleinasiatischen Gemeinden, an welche die Apokalypse gerichtet ists (Offb 2 u. 3) sind der Hauptsache nach heidenchristliche Gemeinden, und sie repräsentieren die ganze Kirche. Jeder äußere Unterschied zwischen dem Reich Gottes und den Reichen dieser Welt ist mithin gefallen. Hieraus erklärt sich ein charakteristischer Unterschied der apokalyptischen Symbolik von der danielischen. Während beide zusammenstimmen in der Herabkunft des Menschensohnes am Ende der Weltzeit zum Gericht über die antichristliche Macht und zur Aufrichtung seines herrlichen Reiches, finden sich vorher bei Daniel nur Tiere, bei Johannes erblicken wir neben den Tieren auch noch das W e i b, welches nach ziemlich einstimmiger Annahme der Ausleger die Gottesgemeinde darstellt. In den danielischen Gesichten brauchte dieselbe noch nicht besonders symbolisiert zu werden, weil Israel schon durch äußeres nationale Grenzlinien gehörig von der Heidenwelt geschieden ist; jetzt dagegen, wo sich die Gemeinde gleich den Weltmächten im heidnischen Völkergewühl bewegt, wo die äußeren Unterschiede gefallen sind, ist es notwendig, dass sie in der Weissagung deutlich vom Weltwesen geschieden, dass der innere Wesensgegensatz zwischen Gemeinde und Welt ausdrücklich hervorgehoben werde, und so tritt jetzt das Weib dem Tier gegenüber. Eben daher wird, wie wir sehen werden, von dem Weib sogleich seine Übersiedlung aus Israel in die Heidenwelt berichtet.

Bei dieser Lage der Dinge erhebt sich nun die Frage, nicht bloß: wie steht es jetzt mit den Herrlichkeitsverheißungen, welche dem Gottesreich gegeben sind? sondern zuvor noch: in welches Verhältnis werden Gottesreich und Weltreich treten, da jenes in dieses übergegangen ist? Auf diese Frage hat die Gegenwart schon eine doppelte Antwort gegeben, die wir überall in unserm Buch durchklingen hören. Für's Erste dauert die Zeit noch fort, wo auf Erden die Mächte dieser Welt herrschen und das Gottesreich von ihnen niedergehalten und gedrückt wird. (vgl. Offb 1:10.13; Offb 3:10). Wohl thront jetzt Christus in königlicher und richterlicher Herrlichkeit im Himmel als Haupt und Schirmherr seiner Gemeinden (Offb 1:11-20); aber man muss im Geiste sein, um ihn zu schauen (V. 10); denn sein Leben ist noch in Gott verborgen, seine Stunde ist noch nicht gekommen, wo er seine große Kraft annimmt und herrscht und den Lohn gibt seinen Heiligen und verdirbt, die die Erde verderben (Offb 1117.18); noch immer müssen die Märtyrer schreien: Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest du und rächest nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen! (Offb 6:9.10). Die Kirche ist noch eine leidende und streitende; das hat sie bereits erfahren müssen in der neronischen Verfolgung, wo die Weltmacht ihren ganzen bestialischen Grimm an ihr ausgelassen hat. Indem die Apokalypse auf diesem Hintergrund sich erhebt, wird sie zu einem Trostbuch für die Gemeinde der Gläubigen in allen ihr noch bevorstehenden Kämpfen mit den Mächten dieser Welt. Aber so wenig es Daniel nun mit Nebukadnezar oder auch mit Antiochus Epiphanes zu tun hat, so wenig Johannes nur mit Nero und den römischen Imperatoren: das wäre für die "Offenbarung Jesu Christi" ein viel zu beschränkter Horizont. Wie die Tiere Daniels von universeller Bedeutung sind, so noch mehr das T i e r der Apokalypse.

Doch auch auf eine andere Weise hat es die Kirche bereits erfahren müssen, dass sie noch in der ungöttlichen Welt ist. Nicht bloß von außen her, wird sie gedrückt von dem Reich dieser Welt, sondern auch in ihr eigenes Innere ist das Wesen derselben schon eingedrungen. Davon geben die Sendschreiben ein nur allzu reiches Bild. In dem Geistesleben der Gemeinden selbst ist bereit hin und wieder eine Erschlaffung eingetreten, so dass der Herr mehreren von ihnen das schwere Wort: Ich habe wider dich, zurufen und noch insbesondere bei den einzelnen rügen muss, Ephesus habe die erste Liebe verlassen, Sardes habe nur noch den Namen, dass es leben und sei tot, Laodizea sei weder kalt noch warm und halte sich selbst für eich und satt, statt sein Elend, seine Armut und Blindheit zu erkennen (Offb 2:4.5; Offb 3:1-3.15-19). Doch nicht bloß das: sondern es ist auch vom Heidentum und seiner falschen Gnosis aus Irrlehre und Verführung in die Kirche eingedrungen durch die Nikolaiten, die Anhänger der Lehre Bileams und der f a l s c h e n P r o p h e t i n Isebel, durch welche die Gläubigen zu heidnischer Weltförmigkeit und Zuchtlosigkeit, zur H u r e r e i, verführt werden (Offb 2:6.14.15.20-24).*)

*) Von judaistischer Irrlehre kommen in der Apokalypse keine unzweideutigen Spuren mehr vor. Nur die Lügenapostel (Offb 2:2) sind vielleicht dahin zu zählen. Die, welche sich Juden nennen sind Satans Synagoge (Offb 2:9; Offb 3:9), sind wirkliche, der Christengemeinde feindliche Juden. Vgl. d e W e t t e und H e n g s t e n b e r g zu diesen Stellen.

Diese inneren Zustände der Kirche zur Zeit des Johannes haben wir, wenn es sich um den historischen Hintergrund und Ausgangspunkt der Apokalypse handelt, so gut ins Auge zu fassen wie die Verfolgung von außen. Wie Paulus und Petrus (1Tim 4:1ff.; 2Tim 3:1ff; 2Petr 2:1ff.; 2Petr 3:3), so sieht auch Johannes die weitere Entwicklung dieses innerkirchlichen Verderbens voraus; daraus geht hervor, was er über die Hure und den falschen Propheten weissagt, und woran sich in seinem ersten Brief die Stellen Offb 2:18.22; Offb 4:3 in seinem zweiten V. 7 f. schließen. IN dieser Beziehung ist die Apokalypse ein Warnungsbuch für die Gläubigen wider weltförmiges Wesen in der Kirche und wider falsche Lehre. Auch bei Daniel findet sich in dieser Hinsicht eine Analogie, in dem Abfall mancher Israeliten vom Bunde Gottes, den er zur Zeit des Antiochus kommen sieht (Dan 11:30-32; Dan 12:10) und in dem noch stärkeren Abfall des ganzen Volkes bei der ersten Erscheinung des Messias (Dan 9:26.27). Doch tritt diese Stelle bei ihm natürlich weniger hervor: da er das Weib nicht ht, kann er auch die Hure nicht haben. Zu dem Pseudopropheten werden wir bei ihm in den klugen Augen des Antichrists die vorbereitende Analogie finden.

Das sind die drei Punkte in der Gegenwart des Johannes, an welche der Geist der Weissagung oder vielmehr Jesus Christus selbst, der zur Rechten Gottes erhöhte Heiland, seine Offenbarungen anknüpft: 1.) die Kirche ist in die Heidenwelt eingetreten und dringt immer weiter in sie ein. Aber indes sie dies tut, wird sie 2.) verfolgt und 3.) verführt, da das Heidentum in sie eindringt. Aus diesen Grundanschauungen hat sich uns schon ein vorläufiges, allgemeines Verständnis der Hauptgestalten unseres Buches, des Weibs, des Tiers, der Hure, des falschen Propheten angebahnt. Es ist nun zu zeigen, wie die Weissagung von hier aus die zukünftige Entwicklung der Welt und der Kirche schildert.

II. Die kirchen- und weltgeschichtliche Entwicklung

1. Kirche und Weltmacht

Das 12. und 13. Kapitel enthalten die Charakteristik der kämpfenden Mächte: sie beschreiben das Weib auf der einen Seite, den Drachen, das Tier und den falschen Propheten auf der andern. Alle diese Potenzen werden in neutestamentlich universellem Blick ihrem ganzen Dasein in der Welt- und Reichsgeschichte nach geschildert: das Gesicht geht nicht bloß in die Zukunft hinaus, sondern umfasst, zugleich um der Deutlichkeit und Charakteristik willen, je nach Umständen auch die Gegenwart und Vergangenheit (Vgl. Offb 17:10 ἔπεσαν, ἦλθεν ,οὔπω, ἦλθεν ). Zuerst schaut Johannes das Weib (Offb 12), und dieses haben wir daher vor allem ins Auge zu fassen.

a. Das Weib und der Drache

Weib und Tier bilden offenbar den nämlichen Gegensatz, wie bei Daniel der Menschensohn und die Tiere. Darauf deutet schon die Örtlichkeit hin, wo die beiden Seher diese Gestalten schauen. Wie der Menschensohn Daniels vom Himmel kommt, so sieht Johannes das Weib (Offb 12:1) im Himmel; und wie die danielischen Tiere aus dem Meer aufsteigen, ebenso das Tier der Offenbarung (Offb 13:1). Beide Male tritt ferner das menschliche Wesen dem tierischen entgegen, nur bei Daniel in männlichere, bei Johannes in weiblicher Gestalt. Dass hiermit der Gegensatz des Gottes- und des Weltreiches bezeichnet ist, wissen wir. Daniel schaut aber den Messias, den Bräutigam oder Mann, weil er in jene Zeit hinausblickt, wo Christus sichtbar wiederkommen und sein Reich auf Erden errichten wird; Johannes, bei welchem hier jedenfalls, um vorläufig noch ganz allgemein zu sprechen, die Zeit vor der Parusie im Blickfeld steht, schaut das Weib, die Braut, die Gemeinde Gottes in der Welt. Wenn er diese in Gestalt eines W e i b e s schaut, so steht ja damit die Apokalypse nicht allein, sagt nichts Neues aus, sondern sie fasst nur den ganzen Sprachgebrauch des A. und N. T. zusammen. Derselbe beginnt schon im Pentateuch damit, dass der Abfall des Volkes Israel von Gott zu den Götzen als Hurerei bezeichnet wird und der heilige Ernst Gottes dagegen als Eifersucht, Ausdrücke, die zu ihrer Grundlage die Anschauung eines Ehebundes zwischen Gott und Israel haben, in welchem jener der Mann, dieses das Weib ist. (z. B. 2Mo 34:15.16; 3Mo 17:7: 3Mo 20:5.6: 4Mo 1433; 4Mo 15:39; 5Mo 31:16; 5Mo 32:16.21). Bei den Propheten findet sich diese Grundanschauung weiter ausgebildet und in manigfaltigster Anwendung durchgeführt: Brautwerbung, Ehestand, Ehebruch, Scheidung, Witwenschaft usw. (Jes 1:21; Je 50:1; Jes 54:1ff.; Jer 2:2.20.23-25; Jer 3:1ff.; Hes 16 u. 23; Hos 1-3 u.ä.) Im N. T. nimmt sogleich der Täufer den Ausdruck wieder auf, indem er Jesus, den Messias, als den Bräutigam bezeichnet, der die Braut hat (Joh 3:29). Hier tritt also von vornherein Christus an Jehovas Stelle: in der Zeit der Erfüllung ist Jehova Jesus Christus geworden, wie sich das in seinem Namen κύριος (der Herr) ausprägt. Er selbst nennt sich den Bräutigam (Mt 9:15) und hat in seinen Gleichnissen von den zehn Jungfrauen, von der königlichen Hochzeit und verwandten Aussprüchen dieselbe Anschauung weiter ausgeführt.

In den apostolischen Schriften begegnet sie uns ebenso: Paulus hat sie Eph 5:23-32 aufs Tiefste begründet und entwickelt, wobei er nachweist, wie auch wirklich schon die ursprüngliche Stiftung der Ehe im Paradis (1Mo 2) ein Typus auf Christentum und Gemeinde gewesen (Vgl. D e l i t z s c h , Hoheslied, S. 186 ff.) Allee das fasst die Apokalypse in das eine Wort Weib (Offb 12:1) zusammen. Das Wesen des Weibes gegenüber dem Mann ist das Untertansein (Eph 5:22-24), das sich Hingeben, das Empfangen. Eben dies ist auch das Wesen des Menschen gegenüber Gott: er kann sich, wenn er seinem eigenen Wesen entsprechen will, lediglich untertänig und empfangend Gott gegenüber verhalten. Alle Autonomie des Menschengeistes ist prinzipielle Verkehrung seines Verhältnisses zu Gott. Dieses weibliche Verhalten des Menschen gegen Gott und göttliche Dinge ist es, was die Schrift Glauben nennt, und wovon sie das Empfangen der göttlichen Lebenskräfte abhängig macht. Auch ein kindliches Verhalten ist der Glaube: wir sind durch ihn Kinder Gottes (Gal 3:26). Was der Herr vom Wieder-Kind-werden sagt, was das ganze N. T. von der Gotteskindschaft lehrt, gehört auch wesentlich hierher. Die einzelne Seele ist Kind Gottes; die Gesamtheit der Kinder ist im Weibe eingeschlossen (vgl. Jes 54:1.3; Hes 16:20). So schließt der Ausdruck Weib nicht nur den unmittelbar verwandten Sprachgebrauch, sondern überhaupt alles in sich zusammen, was die Schrift über die Grundbeziehungen des Menschen zu Gott lehrt. Das Weib ist die Menschheit, sofern und soweit sie Gott zugehört. Darum wird von Christo, dem Sohne des Weibes, Offb 12:5 hervorgehoben, dass er ein m ä n n l i c h e r Sohn sei. Er ist wohl vom Weibe geboren und unter das Gesetz getan (Gal 4:4), er ist das eigentliche Resultat und Erzeugnis der alttestamentlichen Gemeinde, daher auch unter ihre Lebensordnungen gestellt; aber er ist dabei Gottes Sohn und steht als solcher der Gemeinde gegenüber wie der Mann dem Weibe. Der Mann, sagt Paulus 1Kor 11:7, ist Gottes Ebenbild und Herrlichkeit, das Weib aber ist des Mannes Herrlichkeit. Darum ist das weitere Kennzeichen des männlichen Sohnes, dass er mit eisernem Zepter weidet: er ist Herrscher und Hirte gegenüber der Herde, ebenso wie er männlich ist gegenüber dem Weibe. Dies ist der einfache Sinn des scheinbar pleonastischen Zusatzes "männliche" zu "Sohn".

Als Sohn des Weibes ist er, wie er sich selbst nennt, des Menschen Sohn; als männlich ist er der Sohn des lebendigen Gottes, der selbst im Namen Gottes Bräutigam und Mann der Gemeinde wird, weil er vom Vater das Leben in sich selber hat (Joh 5:26). Außer ihm darf kein Mensch sich männlich nennen. Wenn die Menschen das Leben ins sich selbst zu haben wähnen, wenn sie von Gott sich losreißen, ihm trotzen, in Eigenmacht wider ihn sich erheben: so werden sie zum unvernünftigen T i e r e. Die stolze Naturkraft des Menschen ist nicht männlicher, sonder tierischer Art; es ist nichts anderes als die brutale Gewalt der Bestie. Das haben wir schon oben bei den danielischen Tieren gesehen. So ist also in dem Gegensatz zum Tier und Weib nicht etwa dies oder jenes Einzeln und Zufällige ausgesagt, sondern es sin die beiden Grundrichtungen der Menschheit, die Kinder des Lichts und die Kinder dieser Welt. Es gibt ein drittes: jeder muss entweder zum Weib oder zum Tier gehören. Derselbe Gegensatz, dem wir überall im Evangelium und in den Briefen des Johannes begegnen, Gott und Welt, Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge, Leben und Tod, findet sich also auch in der Apokalypse, nur symbolisch eingehüllt in den Gegensatz von Weib und Tier: jenes ist, wie wir sehen werden, mit Gottes Sonne bekleidet, dieses ein Abbild des Teufels; dadurch wird die Parallele noch deutlicher. Und auch die Wahl der Symbole hat nichts Zufälliges oder Willkürliches, sondern gründet sich auf das innerste Wesen der weiblichen und tierischen Natur.