Der offenbarungsgeschichtliche Ausgangspunkt: Unterschied zwischen den Versionen

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siehe: [http://www.bibelwissen.ch/wiki/Charakteristik_der_Buches_Daniels '''Charakteristik des Buches Daniels''']
''in ihrem gegenseitigen Verhältnis betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert.''<br/>
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''Verfasser: [https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_August_Auberlen '''Karl August Auberlen''']  (1854)''<br/>
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''Verlag: Bachmaier's Buchhandlung, Basel''<br/><br/>
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[http://www.bibelwissen.ch/index.php?title=Der_Prophet_Daniel_und_die_Offenbarung_Johannis&action=edit&section=1 <big>'''Inhaltsverzeichnis des Buches'''</big>]<br/>
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Kapitel davor: [http://www.bibelwissen.ch/wiki/Der_Prophet_Daniel:_Einleitung<big>'''Einleitung'''</big>]<br/>
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<big><big>[[In Bearbeitung]]</big></big>
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==<big>'''Erstes Kapitel:'''</big><br/>==
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====<big>Charakteristik des Buches Daniels</big>====
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===<big>'''I. Die Bedeutung der babylonischen Gefangenschaft'''</big>===
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====<big>Der offenbarungsgeschichtliche Ausgangspunkt</big>====
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Wollen wir zum Verständnis unseres Buches gelangen, so haben wir von dem Standpunkt auszugehen, auf welchen es uns selbst gleich in seinen beiden ersten Versen stellt. Es ist der Gegensatz Israels und der heidnischen Weltmacht, in den wir uns hier hineinversetzt sehen, und zwar in demjenigen Stadium seines Verlaufs, welches mit dem babylonischen Exil eintritt. Das letztere bildet die historische Grundlage der danielischen Weissagungen, wie der Prophet selbst in dem Einleitungskapitel sehr geflissentlich hervorhebt, indem er es mit der Erwähnung des Beginns der Gefangenschaft eröffnet und mit der Erwähnung des Endes derselben schließt. (Dan 1:1-21, vergl. Dan 1:1.2). Ein kurzer Rückblick auf die frühere Entwicklung der Theokratie wird dienlich sein; um die offenbarungsgeschichtliche Bedeutung dieser Epoche anschaulich zu machen.
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Gott hatte durch Abrahams Berufung aus dem großen Völkergewoge, wie eine Insel aus dem Meer (Dan 7:2), ein Geschlecht abgesondert und zu seinem Eigentum erwählt, um dasselbe zum priesterlichen Vermittler seiner Offenbarungen an die Menschheit zu machen und so die Verbindung zwischen Himmel und Erde aufs Neue anzuknüpfen, auf welcher die ganze Zukunft der Menschheit beruht (1Mo 12:1-3; 2Mo 19:4-6). In Ägypten war die Familie Abrahams zum Volk erwachsen, durch Mose hatte das Volk das Gesetz von Gott empfangen, unter David und Salomo den Höhepunkt seiner alttestamentlichen Entwicklung in einem wohlgeordneten Staatsleben erreicht. Das eigentliche Wesen der Theokratie im Gegensatz zu heidnischer Religion und heidnischer Macht kam durch diese beiden Könige so völlig zur äußeren Darstellung, dass Israel nicht nur von den Heiden unabhängig war, sondern auch die umliegenden Völker sich unterworfen hatte. Die davidisch-salomonische Epoche, wo völlig und wesentlich erscheinen soll, was im A. T. nur äußerlich abgeschattet war.
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Schon mit Salomo aber beginnt der Verfall. Derselbe fing damit an, dass sich das israelitische Gottesreich in zwei Reiche spaltete und danach die innere Kraft und den Halt nach außen verlor. Das nördliche Reich der zehn Stämme, welche von dem Heiligtum Jehovas zu Jerusalem und von der Dynastie der Verheißung abgefallen war, suchte zuerst seine Stärke in der Hingabe an heidnisches Wesen; es schloss sich Juda gegenüber an Phönizien und Syrien an und hing sich buhlerisch an Götzendienst und weltliche Macht. Aber wenn Gottes Volk seinem Herrn untreu wird, und mit der Weltmacht sich einlässt, so erweckt Gott eben diese Weltmacht zur Strafe über sein Volk. Wer auf das Fleisch sät, der wird von dem Fleisch Verderben ernten (Gal 6:8). Da musste das Reich Ephraim erfahren, indem ihm im Jahr 722 v. Chr. durch die Assyrer ein Ende gemacht wurde. Dieselbe Entwicklung finden wir auch im Reich Juda, nur dass sie sich hier langsamer vollzog, weil verhältnismäßig noch länger die Treue gegen Jehovah herrschte, indem das davidische Haus von Zeit zu Zeit wieder gottesfürchtige Könige hervorbrachte. Allein auch Juda ließ sich verführen und hurte Ephraim nach. Ungefähr vom Jahr 740 an, wo Ahas sich um Hilfe gegen Ephraim und Syrien trotz Jesajas Warnung nach Assyrien wandte (Jes 7.).
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Denn so herrlich hatte die Propheten von der Erlösung geredet, dass die Juden hofften, es werde ein Zustand vollkommenen Glücks und Heils für sie eintreten, sobald sie aus der babylonischen Gefangenschaft errettet seien. Da sie aber von so vielen Drangsalen heimgesucht wurden, und nicht bloß auf kurze Zeit, sondern über vierhundert Jahre lang, während sie doch nur siebzig Jahre im Exil gewesen waren, so konnte es den Anschein gewinnen, als sei die Erlösung ein Spott geworden. So ist es unzweifelhaft, dass Satan viele Seelen zum Abfall reizte, als hätte Gott seinen Spott mit ihnen getrieben, da er sie aus Chaldäa geführt und ins Vaterland zurück gebracht hatte. Aus diesen Gründen zeigte Gott seinem Knecht im Gesicht, welch zahlreiche und schwere Drangsale das auserwählte Volk erwarteten. Der Knecht Gottes, welcher zum Empfang dieser neuen Offenbarungen ausersehen war ist D a n i e l.
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Den Wendepunkt, welchen die ganze göttliche Reichsgeschichte mit dem Exil nimmt, hat in seiner prinzipiellen Bedeutung für das Verständnis der danielischen Weissagungen, so viel ich sehe, am tiefsten und schärfsten unter allen bisherigen Auslegern M a g n u s  Friedrich R o o s erkannt, der große Schriftforscher voll stiller Tiefe, wie ihn Delitzsch nennt. Er gab 1771 als Pfarrer zu Lustnau bei Tübingen eine treffliche Schrift heraus unter dem Titel: Auslegung der Weissagungen Daniels, die in die Zeit des N. T. hineinreichen, nebst ihrem Vergleich mit der Offenbarung Johannis nach der Bengelischen Erklärung derselben. Hier teilt er gleich im ersten Paragraphen der Einleitung, "das Reich Gottes in der Verbindung mit den häuslichen und politischen Anstalten" betrachtend, die Weltzeiten in vier Hauptperioden ein: 1.) von Adam bis zum Auszug aus Ägypten, 2.) bis zum Anfang der babylonischen Gefangenschaft, 3.) bis auf den Anfang der glückseligen tausend, oder, wie Roos irrtümlich mit Bengel annimmt, zweitausend Jahre (Offb 20:1-6), 4.) diese zweitausend Jahre selber bis ans Ende der Welt. Wir sehen, wie der dritte Zeitraum mit Anschluss des vierten genau der von der danielischen Weissagung umfasste ist. Die nähere Begründung und Ausführung, welche Roos dieser beim ersten Anblick seltsam scheinenden Periodenteilung gibt, ist so reich an lichtvollen Blicken in die Hl. Schrift, dass wir es uns nicht versagen können, diesen ganzen Abschnitt als Beilage unten anzufügen. Über Stellung und Bedeutung der mit dem Exil beginnenden Periode des ReichesGottes vgl. außerdem Mich. B a u m g a r t e n, die Nachtgesichte Sacharjas, I. S. 24 ff.<br/><br/>
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===<big>'''II. Die Stellung Daniels'''</big>===
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====<big>Seine Stellung am babylonischen Hof</big>====
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Der neue Aufschluss, welcher dem Volke Gottes für die mit der babylonischen Gefangenschaft beginnende Zeit not tat, musste so beschaffen sein, dass dasselbe zunächst inne wurde, was es um die Weltmächte sei, denen es nun gehorchen sollte, was ihr Wesen und ihr Ende sei, und sodann, wie sich hierzu das in Israel begonnene göttliche Heilswerk verhalten werde. Es war also  jetzt der Prophetie ein neuer Gegenstand gegeben, welcher der Natur der Sache nach erst mit dem Exil hervortreten konnte, hier aber auch mit innerer Notwendigkeit gleichsam der Weissagung sich aufdrängte.
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Sollte nun aber nach Gottes Absicht eine Offenbarung über die Weltmächte und ihre Entwicklung gegeben werden, so musste der Prophet einen anderen Standort einnehmen als die bisherigen Propheten. Denn das göttliche Wort hat immer einen geschichtlichen Anknüpfungspunkt, welcher den, dem es zuteil wird, zur Aufnahme desselben tauglich macht. Die Offenbarung fällt nicht als ein geschriebenes Buch vom Himmel, das man nur mit den Händen nehmen und lesen dürfte; sondern damit sie dem Bedürfnis und Gesichtskreis der Menschen angemessen wird, muss ein Mensch lebendig im Geiste empfangen und aufschreiben. Damit er aber dies könne, muss er selbst geschichtlich so gestellt sein, dass im das Wort von oben nicht ein völlig fremdes ist, sondern dass seine ganze Situation gleichsam zur menschlichen Frage wird, auf welche die Offenbarung die göttliche Antwort bringt. Handelte es sich nun jetzt nicht mehr, wie bei den früheren Propheten, um Israel in seinem Verhältnis zu den Weltmächten, sondern um die Weltmacht in ihrem Verhältnis zu Israel: so konnte der Gottesmann, der hierüber weissagen sollte, nicht unter seinem Volke, er musste am Sitze der heidnischen Weltmacht leben. Denn von da aus allein gewann er für diese in ihrer ganzen Art und Entwicklung den rechten Blick, ,an welchen die Offenbarung von oben sich anzuknüpfen vermochte. So finden wir denn die prophetische Warte Daniels neben dem Throne zu Babel aufgeschlagen: er steht in und über der ersten Weltmonarchie und überschaut von hier aus mit göttlich geöffnetem Seherauge die wechselnden Gestalten und Geschicke der kommenden Reiche in ihren Beziehungen zum Volke Gottes bis in die fernsten Zeiten hinaus.
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Von seiner frühen Jugend bis ins höchste Alter, mehr als siebzig Jahre lang lebte der Prophet am babylonischen und medopersischen Hofe (Dan 1:1.6.21; Dan 10:1). Doch nicht bloß das; sondern er war selbst auch Staatsmann und bekleidete die einflussreichsten Ämter (Dan 2:48 f. Dan 5:29; Dan 6:29; Dan 8:27). Dadurch bekam er eine Anschauung und ein Verständnis von dem Gang der politischen Dinge in den Weltreichen, welche ihn vorzüglich befähigten, der Empfänger dieser, dass ich so sage, politischen Offenbarungen zu werden.  Mitten in der Politik fehlte aber der geistliche Gesichtspunkt nicht. Die Erfahrungen, welche Belsazars Sturz, von dem raschen Aufblühen, Zerfallen, Verschwinden der babylonischen Monarchie, von seiner eigenen und seiner Freunde wunderbarer Errettung (Dan 3-6), alle diese Ereignisse gaben ihm tiefe Eindrücke über die Nichtigkeit der Weltmacht und die unüberwindliche Herrlichkeit des Gottesreiches.
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Auch den Unterricht in der Weisheit der chaldäischen Magier dürfen wir hier in Betracht ziehen. Denn dass die geheimen Kenntnisse und Künste der Heiden nicht Nichts waren, das zeigt uns die Hl. Schrift z. B. an den ägyptischen Zauberern, die Mose gegenübertraten. Sind es ja doch solche chaldäische Magier gewesen, welche, von dem Stern geleitet, den neugeborenen König der Juden aufsuchten, was deutlich zeigt, dass sie nicht von aller Wahrheit entfernt waren (vgl. L u t t e r b e c k, die neutestamentl. Lehrbegriffe I, S. 357 ff.) und wobei freilich gefragt werden darf, ob nicht von ihrem Obervorsteher Daniel her, der so merkwürdige Aufschlüsse über diesen König der Juden, selbst bis auf die Z e i t seiner Erscheinung hinaus, empfangen hatte (Dan 9:24 ff.), noch eine Tradition unter ihnen sich fortgepflanzt haben mag? Für den Propheten selbst aber hatte der Umstand, dass er in seiner Jugend drei Jahre in dieser chaldäischen Weisheit unterrichtet wurde, jedenfalls die Bedeutung, die hohe prophetische Anlage, welche er von Natur besaß, auszubilden und seinen Geist auf diesen geheimnisvollen Gebieten heimisch zu machen (Dan 1:4.5.17). Es muss für ihn eine ähnliche Schule gewesen sein, wie für Mose die Erziehung am ägyptischen Hof oder wie jetzt für den Theologen das Studium der Philosophie. Materiell freilich hat er von den Chaldäern nichts gelernt, sondern sie bald alle zehnfach an Weisheit übertroffen (Dan 1:19.20; 1Kor 2:6 ff.).
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Und es ist aller Nachdruck darauf zu legen, mit welcher Treue und Gewissenhaftigkeit sich dieser rechte Israelit ohne Falsch von Jugend auf rein gehalten hat von allem heidnischen Wesen,mit welcher Lauterkeit er seinem Gott unter den schwierigsten Verhältnissen und versuchungsvollsten Umgebungen gedient hat, auch wo es ihm ans Leben ging (Dan 1:8ff; Dan 6:1ff.). Man darf sich nicht von den Leckerbissen und dem Wein der Welt nähren, wenn man göttliche empfangen oder auslegen will. Daniel steht in dieser Beziehung mit seinen drei Freunden da, wie eine Oase in der Wüste, aber auch wie ein Licht in der Nacht. Dieses Licht hat zu dem im Exil befindlichen Gottesvolk trostvoll hinüber geleuchtet, so dass der Prophet, zu welchem Israel als zu seiner inneren und äußeren Stütze in dieser Zeit der Trübsal emporschaute, seinen Landsleuten bald ebenso heilig wurde wie Noah und Hiob, welche gleichfalls mit ihrer Gottseligkeit allein dastanden untere einem verkehrten Geschlecht und unter göttlichen Gerichten (Hes 14:14 ff. vgl. Hes 28:3) Aber nicht nur das, sondern jenes Licht hat auch die heidnische Finsternis bestraft. Daniel sagte dem Nebukadnezar mit allem Freimut und Ernst die Wahrheit und dieser mächtige Herrscher hat sich vor dem allmächtigen, wahrhaftigen Gott gebeugt und ihm die Ehre gegeben (Dan 4.) Wie sehr aber der Prophet selbst trotz der hohen Ehre und Auszeichnung, die er an dem heidnischen Hof genoss, mit dem innersten Herzen an seinem Volk hin, wie innig und völlig er bis in sein Alter in dessen Leiden und Hoffnungen lebte, wie ihm die ganze Welt nichts war gegen das Reich Gottes; davon gibt Dan 9 mit seinem Gebet eine ergreifende Probe.
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Ein solcher Mann nun war, sie keiner, geeignet, ein reines Organ für die jetzt notwenigen Offenbarungen Gottes zu werden. Seine staatsmäßige Stellung bildete gleichsam den Leib, die Magierschule, die er durchgemacht, die Seele, sein glaubensstarker, dazu noch an den Schriften der früheren Propheten (Dan 9:2) gebildeter Sinn aber den Geist seiner Prophetie welche nun nur durch den Offenbarungsgeist von oben angefacht zu werden brauchte. So bereitet die göttliche Vorsehung der göttlichen Offenbarung ihre Gefäße zu.
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Man hat Daniel mit J o s e p h verglichen, und mit allem Recht. Der eine steht am Anfang, der andere am Ende der israelitischen Offenbarungsgeschichte, beide an heidnischen Höfen als Repräsentanten des wahren Gottes und seines Volkes, beide durch Reinheit des Wandels vor dem Herrn musterhaft, beide mit der Gabe ausgestattet, den Wahrheitsahnungen des Heidentums, die sich hier in gottgewirkten Träumen aussprechen, zum Licht zu helfen, beide überhaupt mit wunderbarer Weisheit und Erleuchtung begabt und darum auch von der Weltmacht mit Ehren bedeckt. So stellen sie Israels Beruf dar, mitten in der Völkerwelt ein heiliges Volk und ein Königreich von Priestern zu sein; der universelle Zweck der alttestamentlichen Theokratie tritt in ihnen klar  zutage. Darum sind sie Vorbilder auf Christum, dem rechten Israel, und auf die noch künftige Bestimmung des Volks, ein Licht den Heiden zu sein, wenn Röm 11:12.15 sich erfüllt. H e g e l hat bekanntlich in seiner Philosophie der Geschichte schön und geistreich darauf hingewiesen, wie die beiden Jünglinge Achil und Alexander bedeutungsvoll, einer am Beginn, der andere am Schluss der griechischen Geschichte stehen, und wie in diesem zwei Gestalten sich das ganze Wesen und Leben des hellenischen Volkes abspiegelte. Ein Ähnliches ist es auf dem Boden der heiligen Geschichte Israels mit Joseph und Daniel. Dieser insbesondere, in jeder Hinsicht noch reicher gesegnet als jener, ein Alexander gegenüber von Achilles, ist die leuchtende Gestalt und der größte Charakter aus den letzten Jahrhunderten des alten Bundes, die vorzügliche Ausprägung eines rechten Israeliten. Ein solcher Mann wurde zum alttestamentlichen Apokalyptiker berufen. Und wenn wir nun weiter wissen, dass der neutestamentliche der Jünger war, welchen Jesus lieb hatte: so muss uns schon der Umstand mit Ehrfurcht vor den beiden Apokalypsen erfüllen, dass Gott zwei der besten Männer aus dem alten und aus dem neuen Bund zu ihrem Empfängern und Verfassern auserkoren hat.<br/><br/>
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====<big>Die Stellung des Buches im hebräischen Kanon</big>====
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Wir haben gesehen, es ist um die Weissagung Daniels etwas anderes und muss seiner Aufgabe und Stellung nach etwas anderes sein, als um die der übrigen Propheten. "Im Daniel öffnet sich eine ganze neue Welt, Wer mit den übrigen Propheten des A. T. eine noch so vertraute Bekanntschaft erreicht und sich in ihren Geist, ihre Sprache, ihre Vorstellungs- und Dichtungsarten noch so tief hineinstudiert hat, wird hier im ganzen alles fremd und Früchte finden, die nicht Palästina, sondern ein ganz anderer Boden getrieben haben muss (E i c h h o r n, Einl. ins A. T., IV, S. 472). Daraus begreifen wir nun auch, warum die Sammler des alttestamentlichen Kanons unseren Propheten nicht mit den übrigen zusammenstellten. Seine besondere Stellung an dem heidnischen Hof spiegelt sich in seiner besonderen Stellung im Kanon wieder.
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Daniel unterscheidet sich von den anderen Propheten in vieler Beziehung so wesentlich wie die johanneische Apokalypse von den apostolischen Sendschreiben. Die prophetischen Bücher des A. T. wie die Briefe des N. T. sind unmittelbar aus den jeweiligen Bedürfnissen der Gemeinde Gottes hervorgewachsen und daher zunächst ganz für ihre Gegenwart bestimmt. Propheten und Apostel stehen in lebendigster Beziehung zu Israel und der Kirche: davon sind ihre Schriften der Aus- und Abdruck. Anders ist es bei Daniel und dem Apokalyptiker des N. B. Diese finden wir nicht in unmittelbarer Berührung mit der Gemeinde; sie stehen isoliert da, der eine an einem heidnischen Hof, der andere auf seiner öden Felseninsel (Offb 1:9); sie sind allein mit ihrem Gott. Sie schauen und schreiben nicht bloß, nicht einmal hauptsächlich für die gegenwärtige Gemeinde, sondern weit mehr für die kommenden Geschlechter. Das drückt sich auch in ihren Schriften aus. Dieselben haben, wie wir unten noch genauer sehen werden, eine andere Bestimmung, einen anderen Charakter, als die übrigen prophetischen oder apostolischen Bücher. Dieser Unterschied, den schon die Rabbinen andeuten, und den W i t s i u s  näher bestimmt hat, indem er Daniel die prophetische Gabe, aber nicht das prophetische Amt beilegte, fand denn naturgemäß auch seinen Ausdruck in der Stellung der beiden Apokalypsen im Kanon. Im N. T. stehen die johanneischen Schriften nicht, wie die paulinischen, beisammen; im A. T. ist Daniel von den Propheten getrennt. Unter den Heiden lebend, war er kein eigentlicher NaBhI (Prophet), und wenigstens später unterschied die jüdische Theologie die RUaCh NeBhuAH von der RUaCH HaPhRäSch, welche man den KeTUBhiM zuschrieb, d. h. den Geist der Prophetie von dem der göttlichen Eingebung im weiteren Sinne, wie sie dem Psalmen zukommt. (H e n g s t e n b e r g, Beitr. i. S. 28. O e h l e r, Prolegomena zur Theol. des A. T. S. 93).
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Wenn nun aber Daniel näher zwischen die Geschichtsbücher der nachexilischen Zeit zwischen Ester einerseits, Esra und Nehemia andererseits hineingestellt wurde, so sehen wir hierin, auch abgesehen von einem speziellen Grund, der sich uns unten gerade für diese Stellung vermutungsweise ergeben wird, eine Andeutung, dass ihn die Sammler als den prophetischen Geschichtsschreiber der mit dem Exil beginnenden Periode des Gottesreichs betrachteten. Es ist das ganz dieselbe Ansicht, die n och in neuerer Zeit B e n g e l über ihn ausgesprochen hat, wenn er ihn den Politiker, Chronologen und Historiker unter den Propheten nennt; eine Ansicht, die sich uns von selbst aus der Betrachtung der geschichtlichen Konstellation, unter welcher Daniel auftrat, als die richtige und notwendige ergeben hat. Wenn irgendwo, so ist bei ihm das Wort des großen B a c o von Verulam anwendbar: Die Weissagung ist eine Art von Geschichtsschreibung, sofern die göttliche Geschichtsschreibung das Vorrecht vor dem menschlichen hat, dass die Erzählung der Tatsache ebenso vorangehen als auch folgen kann.
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Wir haben nun weiter aufzuzeigen, wie genau das Buch nach Inhalt und Form dieser historischen Situation und der in ihr liegenden Aufgabe entspricht. Überblicken wir daher zunächst den Inhalt derselben.
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==<big>'''Zweites Kapitel:'''</big>==
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===<big>'''I. Einleitung''' </big>===
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====<big>Der Inhalt der Weissagung</big>====
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Der Prophet schickt im 1. Kapitel eine historisch-biographische Einleitung voran, welche seine Wegführung nach Babel, sein Leben am dortigen Hofe, seinen dreijährigen Unterricht in der chaldäischen Weisheit und Literatur erzählt.m Das Letztere sogleich mit bestimmter Hindeutung darauf, dass der wahrhaftige Gott, welchem er treulich diente, ihm, zumal in Bezug auf Träume und Gesichte, eine Erleuchtung schenkte, welche alle Wissenschaft der heidnischen Magier weit überragte (Dan 1:17.20). Daniel erscheint hier ganz als der Repräsentant seines Volkes*).  In seinem Los als Weggeführter und Gefangener spiegelt sich die politische Unterdrückung, das Exil Daniels wieder; aber seine hohe und einzige Erleuchtung stellt dar, wie das Bundesvolk in göttlichen Dingen, in Bezug auf Religion und Offenbarung, den heidnischen Gewalthabern unendlich überlegen ist und bleibt. Daher berichtet der Prophet mit Absicht mehrere solche Ereignisse, wo er den im gesamten Altertum so berühmten chaldäischen Weisen, welche ihm hier Repräsentanten der heidnischen Religion und Weisheit überhaupt sind, gegenübersteht, und sie völlig vor ihm zuschanden werden. So im 2. 4. und 5. Kapitel.
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:''*) Hierdurch erledigt sich der Einwurf gegen die Echtheit unseres Buches, den man vom sogenannten Selbstlob Daniels (z. B. Dan 1:17-20; Dan 9:23) hergenommen hat. Hinsichtlich der Person des Propheten hat auf denselben H e n g s t e n b e r g (Beitr. 221 f.) in beherzigenswerter Weise geantwortet.)''
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Und dass er nun eben durch seine göttliche Weisheit bald zu den höchsten Ehren und Würden auch in weltlicher, politischer Beziehung gelangt, ist ein Vorbild davon, dass dereinst doch noch das Reich, Gewalt und Macht dem heiligen Volk des Höchsten gegeben werden wird. (Dan 7:27). So bildet Daniels eigenes Geschick nicht nur die historische Voraussetzung, sondern auch die typische Grundlage seiner Weissagung. Und hierin liegt die Ursache, warum auch in den folgenden Kapiteln, namentlich Dan 3-6, zwischen die Weissagungen noch mehreres Biographische von ihm und seinen Freunden hineingestellt wird. "Die Propheten mussten immer etwas von denjenigen, was sie auf entfernte Zeit weissagten, an sich selbst und zu ihrer Zeit erfahren, gleichwie David von dem Leiden Christi vieles an sich empfunden hat. Siehe auch Hos 1-3; Joe 1; Jon 1 usw. Da wurden dann die Propheten zugleich Vorbilder. Ihre Weissagungen wurden recht pathetisch und nicht nur so kaltsinning hingesprochen oder hingeschrieben, und die Anfechtung lehrte aufs Wort merken, das ihnen von zukünftigen Dingen gesagt wurde." (R o o s, S. 44 f.)
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Die 11 übrigen Kapitel bilden nun zusammen die beiden Teile des Buches, deren erster (Dan 2-7) die Gesamtentfaltung der Weltmächte in universalhistorischem Überblick darstellt und zeigt, wie das Gottesreich am Ende über sie triumphiert, während der zweite Teil (Dan 8-12) die Entwicklung der Weltmächte in ihrem Verhältnis zu Israel  in der näheren Zukunft vor der in Dan 9 geweissagten Erscheinung Christi im Fleisch uns vor Augen führt. Diese Einteilung des Buches ist für das Verständnis desselben von großer Wichtigkeit. Es könnte, wenn wir von dem gegenwärtigen Standpunkt der teilweisen Erfüllung aus reden wollen, ein näherer Aufschluss nur für die Zeit vor Christus erforderlich gewesen zu sein scheinen, weil mit diesem die göttliche Offenbarung in neuer Fülle hervortrat. Allein einmal gehört es zu Wesen der Prophetien überhaupt, dass sie auf die Endzeit der völligen Erfüllung hinausschaut; denn es kann in dem Organismus der Heilsgeschichte das Einzelne nur aus dem Ganzen, der Verlauf nur aus dem Ende begriffen werden. Sodann erwartete ja Israel von der messianischen Zeit gemäß dem Wort des Propheten nicht bloß das, was bei der ersten Erscheinung Christi verwirklicht worden ist, sondern die sichtbare Aufrichtung des Reichs, der auch wir noch zu harren haben.
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Es war also zunächst und zuerst ein Aufschluss über diese und über die bis dahin noch verfließende Weltgeschichte nötig. Die ganze Periode, in welche Israel mit dem Beginn des Exils eingetreten war, und welche noch heute nicht abgelaufen ist, die Periode der Herrschaft der Weltmächte von dem Sturz bis zur Wiederaufrichtung des Gottesstaates bedurfte der prophetischen Beleuchtung. In dieser Periode der Weltverhältnisse hat die erste Erscheinung des Messias keine wesentliche Änderung hervorgebracht, weil da sein Reich noch kein Weltreich war, wie es einst werden soll (Joh 18:36; Mt 4:8; und dagegen Offb 11:15). So musste denn den Enthüllungen über die nähere Zukunft ein Gesamtüberblick über Wesen, Entwicklung und Ende der Weltmächte vorausgehen.  Jeder von beiden Teilen hat also seine charakteristische Aufgabe, und wir begreifen schon hier, warum die Weissagung im zweiten Teil noch viel spezieller werden musste als im ersten.
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Daniel selbst unterscheidet diese beiden Teile sehr deutlich, indem er den ersten chaldäisch, den zweiten gleich derEinleitung (Dan 1) hebräisch geschrieben hat. Er bediente sich im ersten Teil der Sprache der Weltmacht, unter der er lebte, im zweiten der des Gottesvolkes, um anzudeuten, dass es sich dort vorzugsweise um das Schicksal der Weltmächte, hier um das von ihnen dem Volke Gottes bereitete Schicksal handle. So erklärt sich nicht nur der Wechsel der Sprachen auf eine höchst einfache und natürliche Weise, sondern derselbe wird auch zu einem starken Grund für unsere Einteilung und damit für unsere Gesamtauffassung des Buches.
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Die Gegner der Echtheit vermögen zunächst nicht zu erklären, warum Daniel überhaupt sich zweier Dialekte bedient, und warum gerade bei diesen bestimmten Kapiteln. Vom Exil an bürgerte sich das Chaldäisch-aramäische mehr und mehr bei den Juden ein und war im makkabäischen Zeitalter der herrschende Dialekt unter ihnen. (Vgl. H e n g s t e n b e r g , Beitr. 299 f.f) Ein Interpolator hätte nun aber sicher sein ganzes Buch in der heiligen Sprache der alten Propheten, der hebräischen geschrieben. Wollte er jedoch, um seinen Zeitgenossen etwa verständlicher zu sein, je aramäisch schreiben, so würde er dies weit eher bei dem zweiten Teil des Buches getan haben, der ja viel unmittelbarer und deutlicher auf seine Zeit ging und  zur Einwirkung auf die damalige Generation bestimmt war, als der erste.
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Noch wichtiger aber ist, dass der Wechsel der beiden Sprachen zugleich den Unterschiede der beiden Teile so scharf markiert. Man teilt das Buch gewöhnlich dem Inhalt nach anderes ein als wir, nämlich in zwei Hälften von je sechs Kapiteln, wobei sich als Einteilungsgrund geltend machen lässt, das so der erste Teil lauter Geschichte, der zweite lauter Gesichte enthält. Denn auch der Traum Nebukadnezars im 2. Kapitel hat doch eine ganz geschichtliche Einkleidung und findet an dem zweiten Traum desselben Königs im 4. Kapitel seine Analogie. Zieht man dann das 7. Kapitel, welches das erste unter Daniels eigenen Gesichten enthält, zum zweiten Teil, s o  sch e i n t wenigstens damit schon  eine gewisse Berechtigung gegeben, auch diese Offenbarung, wie die übrigen Gesichte des Propheten, auf Antiochus Epiphanes zu beziehen, und das muss natürlichen auch auf das 2. Kapitel zurückwirken, so dass man die Weltmonarchien überhaupt nur bis auf Antiochus reichen lässt. Dem allem nun ist der Verfasser selbst dadurch entgegengetreten, dass er das 7. Kapitel noch chaldäisch geschrieben und somit deutlich dem ersten Teil zugewiesen hat. Er zeigt hiermit auf eine sehr augenfällige Weise, dass und wie er sein Buch in zwei verschiedene und von Verschiedenem handelnde Teile wissen will.<br/><br/>
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===<big>'''II. Der erste Teil''' </big>===
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====<big>Die Weltreiche und das Gottesreich</big>====
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====<big>Die vier Monarchien und das Messiasreich</big>====
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Das Hauptthema des ersten Teils sind also die vier Weltmonarchien, die einander ablösen, um am Ende dem Gottesreich Platz zu machen. Dieses Thema stellt sich in zwei Gesichten dar, deren eines den ersten Teil eröffnet (Dan 2.), das andere denselben schließt (Dan 7.)
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Es ist charakteristisch und bedeutungsvoll, dass nicht der Prophet Daniel, sondern der Weltherrscher Nebukadnezar es ist, der zuerst in einemTraum, welchen ihm dann aber Daniel auslegt, die ganze künftige Entwicklung der Weltreiche überschaut. Die Weltmacht muss in dem ersten ihrer Träger, der dem Gottesstaat ein Ende gemacht hat, selbst erfahren, was ihr endliches Los sei, dass sie einst umgekehrt für immer dem Gottesreich unterliegen werde. Zwar kann es auffallend erscheinen, dass der Weltherrscher selbst zum Offenbarungsorgan wird. Allein obwohl, vom Standpunkt der Ewigkeit aus betrachtet, die Weltmacht ein Nichts ist, obwohl sie daher am Ende der Tage spurlos verschwindet, so ist doch andererseits für die diesseits des Endes liegende Geschichte, für die welthistorische Ausführung des göttlichen Ratschlusses ein weltbeherrschender König eine so bedeutende Person, dass ihn Gott mit denselben Namen nennt, wie den Anfänger und Vollender des theokratischen Königtums, David und den Messias: mein Knecht, mein Hirte, mein Gesalbter, der all mein Werk vollbringt, den ich bei seiner Rechten halte (Jer 25:9; Hes 28:12-15; Jes 44:28; Jes 45:1). 
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Daraus wird begreiflich, warum gerade einem König, welcher überdies schon als solcher den Abglanz göttlicher Majestät an sich trägt (Ps 82:1.6; Röm 13:1 ff.) eine Offenbarung von oben zuteil wird. Für einen außerhalb des Reiches Gottes stehenden Herrscher nun ist der Traum, der ja auch schon bei Abimelech, Pharao u. a. vorkommt (1Mo 20 und 1Mo 41), die allein angemessene und mögliche Form der Offenbarung, wobei wir uns an den hohen Respekt erinnern müssen, den das Heidentum überhaupt vor Träumen hatte. Dabei ist indessen wohl zu beachten, dass der heidnische Fürst den Traum nur empfängt, aber weder aus sich selbst noch auch mit Hilfe seiner Weisen versteht. Vielmehr wird er durch denselben nur beunruhigt und gequält und kann nicht eher zur Ruhe und Klarheit darüber gelangen, als bis ihm ein erleuchteter Israelite den Schlüssel zum Verständnis darreicht. Auf Seite des Heidentums ist lediglich die Passivität, während die Aktivität in göttlichen Dingen bei Israel bleibt, so dass dem "Gott des Himmels" und seiner besonderen Offenbarungsökonomie auch hier die Ehre am Ende allein zukommt. Vielleicht sollte durch den mächtigen Eindruck, welchen diese Enthüllung mit allen sie begleitenden Umständen auf Nebukadnezar machen musste, auch dem gefangenen Gottesvolk ein milderes Los bereitet werden. Dem Daniel aber muss der Traum des Königs und seine Auslegung zur Eröffnung des Blicks in die Zukunft der Weltmächte dienen, er muss ihm diesen ganzen Kreis von Anschauungen aufschließen und ihn dadurch zum Empfang weiterer, speziellerer Offenbarung vorbereiten: für ihn hat das Ereignis zugleich eine propädeutische Bedeutung.
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Näher lässt nun Gott dem Nebukadnezar die Weltmacht in ihrer Gesamtheit unter einem kolossalen Menschenbild erscheinen, woe der Kopf von Gold das babylonische, Brust und Arme von Silber das medopersische, Bauch und Lenden von Kupfer das griechisch-mazedonische, die Schenkel von Eisen samt den Füßen und Zehen von Eisen und Ton das römische Reich samt seinen germanisch-slavischen Ausläufern darstellen*).  Es liegt im Zweck der ganzen Weissagung, dass nur diejenigen Reiche genannt sind, welche mit dem Reich Gottes irgendwie in Beziehung stehen, sie aber auch alle. '''"Das Königreich Gottes ist der Zweck der göttlichen Welterschaffung und das Ziel der göttlichen Regierung'''. Das Königreich Gottes ist die unsichtbare Wurzel, welche die Weltreiche hält und trägt, und die unsichtbare Kraft, welche Weltreiche schlägt und zermalmt. Die nähere oder fernere Verbindung mit dem Königreich Gottes bestimmt die Dauer, die Wichtigkeit, das Bemerkenswerte der Weltreiche. Das Schicksal und die Geschichte aller der Reiche der Erde, die mit dem Königreich Gottes in keine bedeutende oder in gar keine Verbindung kommen, vorher zu wissen, wäre von keinem Wert. Denn ihre Geschichte mag sein, welche sie will, so ist sie immer unbedeutend, weil sie auf die Verzögerung oder Herbeiführung der letzten endlichen Entwicklung der Dinge, der Verdrängung der Weltreiche durch das Königreich Gottes, gar nicht oder nur sehr entfernt einwirken." ''(M e n k e n, das Monarchenienbild, Bremen und Aurich 1809, S. 82).'' Das ganze Bild, welches Nebukadnezar schaut, wird hierauf von einem Stein zerschlagen, der, ohne Menschenhand von einem Bergabhang sich losreißend und hierauf zu einem die ganze Erde erfüllenden Berge sich ausdehnend, das Reich Gottes abbildet. <br/>
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:''*) Schon L  u t h e r denkt bei dem Ton an die Versetzung des römischen Reichs unter die Deutschen und bei den Zehen an "Spanien, Frankreich, England und anderer Stücke", in die das Reich auseinandergeht, wie der Fuß in die Zehen. Während C a l v i n unter dem zermalmenden Stein irrig die erste Erscheinung Christi versteht, bemerkt Luther, das vierte Reich müsse bleiben bis am jüngsten Tag. Ebenso versteht R o o s unter dem Ton die Nationen der Völkerwanderung und reiht daran richtig den Schluss, dass das vierte Reich noch jetzt stehen müsse. Dergleichen P r e i s w e r k, Morgenland 1838, S. 33 ff. H o f m a n n, Weiss. u. Erf. I S. 278 ff. Gaussen, Daniel le prophete, 2 edition 1850, I, S. 150. Die nähere Begründung folgt unten.''
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Die Beschreibung des letzteren Vorgangs ist in ihrer Einfachheit so göttlich großartig und heilig erhaben, dass man fühlt: das kann nicht etwas von Menschen Ersonnenes, sondern muss aus dem oberen Heiligtum geoffenbart sein. "Zermalmt wurden auf einmal Eisen,Ton, Erz, Silber und Gold und waren wir Spreu von Sommertennen, und der Wind nahm sie fort und keine Stätte wurde für sie gefunden; aber der Stein, der an das Bild geschlagen, wurde zum großen Berg und füllte die ganze Erde." (Dan 2:34 f.). Wenn wir alle Dichter und Geschichtsschreiber des Altertums und der neueren Zeit zusammentragen, wo findet sich eine Stelle, die an Majestät und Einfalt mit diesen Worten sich vergleichen ließe? Und auch die Prophetie selbst hat in ihren blühendsten Zeit und erhabensten Anschauungen, z. B. Jes 2:11 ff. Jes 40:15.17, nicht majestätischer  geredet. Das Weltwesen ist in seinem ganzen Glanz geschildert; aber der metallene Koloss steht auf schwachen tönernen Füßen, ja die ganze Menschenherrlichkeit, die vorher so kostbar und so fest geschienen, ist in Wahrheit wertlos und so hinfällig wie Spreu. Das Reich Gottes aber, dem prächtigen Koloss gegenüber und gleichwohl in sich kompakt und einig gegenüber der Weltmacht, die schon in ihrer wechselvollen Vielgestaltung das Zeichen der Hinfälligkeit an sich trägt, wird am Ende, in einer auch für uns noch zukünftigen Zukunft all den gewaltigen Treiben mühelos ein Ziel setzen und selbst a u f  E r d e n Platz nehmen, alles mit seiner Herrlichkeit erfüllend (vgl. 2Thes 2:8; Mt 5:5; Offb 11:15.; Offb 20:4). Stein und Berg verhalten sich hierbei wie das Kreuzreich und das Herrlichkeitsreich: in dem Moment, wo das Reich Gotte die Reiche dieser Welt zerschlägt, hört es auf regnum crucis zu sein und wird regnum glorie. Nicht leicht tritt irgendwo so scharf wie hier der Gegensatz der göttlichen und menschlichen Weltanschauung (Mt 16:23), der biblischen und profanen Geschichtsbetrachtung hervor. Wie Jesus seine Selbstbezeichnung Menschensohn aus Dan 7 genommen hat, so lassen sich seine Grundgedanken über das Verhältnis des Himmelreichs zur Welt auf unsere Stelle zurückführen, auf die er auch Mt 21:44 ausdrücklich anspielt: Auf wen der Stein fällt, den wird er zermalmen.<br/><br/>
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====<big>Die Weltreiche symbolisiert als Tiere</big>====
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Über den gleichen Gegenstand erhält Daniel im 7. Kapitel eine Offenbarung. Dem Weltherrscher war die äußere, politische Geschichte der Weltmacht in allgemeinen Zügen gezeigt worden; ,denn dafür war er seiner ganzen Stellung nach vorzüglich und allein empfänglich. Dem Propheten werden nun noch genauere Aufschlüsse zuteil, zumal über den inneren religiösen Charakter der Weltmächte, wie es wiederum s e i n e r Stellung und s e i n e m Verständnis am angemessensten ist.
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Aus diesem Unterschied erklärt sich nun zunächst die Verschiedenheit der Bilder. IM 2. Kapitel sind dieselben der Region des Leblosen entnommen, das nur eine Außenseite hat, im 7 aber der des Lebendigen. Indem ferner Nebukadnezar die Dinge  nur von außen ansieht, schaut er die Weltmacht in ihrer Herrlichkeit als ein glänzendes Menschenbild und das Gottesreich in seiner Niedrigkeit als einen Stein; ihm erscheint also die Weltmacht zuerst herrlicher als das Gottesreich. Daniel umgekehrt, welche mehr ins Innere blicken darf, erkennt, dass die Weltreiche bei all ihrer trotzigen Macht doch in Wahrheit um ihres von Gott losgerissenen, ja widergöttlichen Sinnes willen nur untermenschliche, tierische Art an sich haben,  und dass die wahre Menschenwürde bloß im Gottesreich zur Erscheinung kommt; ihm stellt sich also das Gottesreich schon durch die Wahl der Bilder in seiner wesentlichen Erhabenheit über die Reiche dieser Welt dar.  Denn an physischer, brutaler Gewalt sind wohl die Tiere dem Menschen überlegen, da erscheint er als schwaches Menschenkind; aber die wesentliche, die geistige Macht ist doch sein. Das kolossale Menschenbild Nebukadnezars stellt die Menschheit in ihrer eigenen Kraft und Größe dar; aber so glanzvoll es ist, so sieht es doch nur äußerlich aus wie ein Mensch.  Ihrem inneren Wesen nach aber ist nach Daniels Gesicht die von Gott losgerissene Menschheit zum wilden, vernunftlosen Tierwesen herabgesunken, der dumpfen Naturmacht verfallen; nur im Reich Gottes erreicht der Mensch wirklich sein Wesen und seine Bestimmung, nur von oben her kann der lebendige, vollkommene Menschensohn kommen.
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Wie stark in dem Israeliten das Bewusstsein der Herrscherwürde des mit Gott im Gnadenbund stehenden Menschen  gegenüber von der Natur und insbesondere von der Tierwelt war, zeigen aufgrund der Schöpfungsgeschichte (1Mo 1:26-28) Stellen wie Ps 8. Und umgekehrt werden. Und umgekehrt werden Menschen zu unvernünftigen Tieren, wenn sie nicht zu Gott nahen und auf seine Wege merken (Ps 73:22; Ps 32:9; Ps 49:21). Ohne Divinität ist auch keine Humanität möglich, sondern sie sinkt zur Bestialität herab. Darum finden wir die widerspenstigen Heidenvölker auch vor Daniel schon als Tiere bezeichnet. (Ps 68:31); der ägyptische Weltherrscher heißt Hes 29:3; Hes 32:2 der große Drache, der zwischen seinen Strömen liegt, der Löwe unter den Heiden; vgl. auch Jes 27:1; Jes 51:9. "Ein Tier kann mächtig sein, Schrecken erregend und stärker als irgend ein Mensch, es kann in seinem Betragen den Beweis von großem Schafsinn geben, allein es blickt stets nieder zur Erde, es hört in seinem Benehmen nicht auf die Stimmen des Gewissens und kenn keine Beziehung zu Gott. Was den Menschen wahrhaft  erhebt, das ist seine Demut und die Fähigkeit, GottesWillen zu erkennen, der ihn zu höheren als bloß irdischen Dingen empor trägt. Aber in dem Augenblick, wo er, wie Nebukadnezar Dan 4:27, sagt: Ich habe gebaut, verliert er sittlicherweise die Beziehung zu Gott; er überhebt sich, und alles wahrhaft Hohe geht in ihm zugrunde, er wird ein Tier. Er mag sehr stark sein, äußerlich sehr mächtig; allein was ihn rechtmäßig erhebt, was in ihm überhaupt das Höchste ist, das besteht unstreitig in der Fähigkeit, Beziehung mit Gott zu haben.  Hierbei aber muss Gott  unverändert Gott bleiben, d. h. wenn der Mensch seine echte Würde behalten soll, muss er sich stets Gott unterworfen zeigen. Gibt er diese Unterwerfung auf, so wendet er Gegenständen, die niederer sind als er selbst, seine Neigungen zu, und damit entwürdigt er sich."*)
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:''*) (Vorlesungen über den Proph. Daniell, in neun Abenden. Aus dem Franzöischen; Düsseldorf 1849, S. 32)''
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Dass sich in dieser Bildersprache auch in religionsphilosophischer Beziehung die tiefsten Gedanken über den Unterschied des Heidentums und der Offenbarungsreligion ausdrücken, sei hier nur angedeutet. Wie sehr aber die danielische Tiersymbolik einen babylonischen Charakter an sich trägt, darauf haben schon H e r d e r, M ü n t e r u. a. hingewiesen, und die neueren Ausgrabungen auf den Trümmern von Ninive und Babylon sind fast ebenso viele Beweise für den exilischen Ursprung unseres Buches, indem sich Tiergestalten finden, durch welche man unwillkürlich an die hier vorkommenden erinnert und auf den Gedanken gebracht wird, dass die Anschauung solcher Bildwerke bei Daniel den psychologischen Anknüpfungspunkt für die Visionen des 7. und 8. Kapitels hergegeben habe. Hat man vor kurzem die ninivitischen Funde zur Erklärung Nahums verwendet, so ist zu hoffen und zu wünschen, dass ein gleiches bald auch unserem Propheten zuteil werden möge.
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Es erscheinen im 7. Kapitel die vier Weltmonarchien unter den Bilder von Tieren. Die drei ersten sind Löwe, Bär, Pardel; das vierte ist so fürchterlich, dass es mit keinem einzelnen unter den in der Natur vorhandenen verglichen werden mag. In diesen Tieren, deren Gefräßigkeit Israel überliefert ist, ,erfüllt sich höchst merkwürdig das Wort, welches der Herr durch Hoseas Mund dem abtrünnigen Volke gesagt hatte: "Ich bin ihnen wie ein Löwe, wie ein Pardel am Weg will ich lauern; ich will ihnen begegnen wie ein Bär, dem seine Jungen geraubt sind, und ihr verstocktes Herz zerreißen und will sie daselbst wie ein Löwe fressen; das Getier des Feldes soll sie zerfleischen" (Hos 13:7.8; vgl. Jer 5:6.; Jer 4:7; Jer 2:15). Wohl manchmal ist dieses Gotteswort dem Daniel beim Anblick jener babylonischen Bildwerke, welche gleichsam die Wappenschilder der Weltmacht waren, durch die Seele gegangen; er sah jetzt seine Erfüllung. Und so hätten wir hier neben dem natürlichen auch einen geistlichen  Anknüpfungspunkt für unsere Vision. Das Gottesreich dagegen erscheint, nachdem über die Weltmächte Gericht gehalten ist, in der Gestalt eines Menschensohnes, der von oben her auf den Wolken des Himmels kommt, während jene Tiere aus der Tiefe des Meeres aufsteigen (Joh 8:23).
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Was nun die einzelnen Monarchien betrifft, so sind in beiden Gesichten die zwei mittleren am kürzesten behandelt, weil von ihnen im zweiten Teil des Buches noch ausführlicher die Rede sein wird. Auch von der ersten Monarchie braucht nicht viel gesagt zu werden; denn sie existierte ja eben gegenwärtig, und nur auf dieses ihr Vorhandensein bedurfte es eines Hinweises, welche der Prophet Dan 2:37.38 gibt. So fällt das Hauptgewicht von selbst auf die vierte Monarchie. Dies hab aber auch noch einen anderen tieferen Grund, welche in der Natur der Weissagung liegt. Es ist nämlich ein allgemeiner Charakterzug der biblischen Prophetie, dass sie diejenigen Momente besonders ins Auge fasst, wo der Kern der Dinge sich offenbart, wo ihr inneres Wesen zu seiner vollen Entfaltung und Darstellung kommt. Darum hebt sie an den Potenzen und Faktoren, mit denen sie es zu tun hat, meist sogleich das Ende hervor, in welchem sich eine lange, vorhergehende Entwicklung zusammenschließt und so ihrem wahren Wesen nach erst recht ab- und aufschließt. Dies ist denn namentlich maßgebend für unser 7. Kapitel, weil es sich hier um die Enthüllung des inneren Wesens der Weltmacht handelt. Hier tritt daher das vierte Reich ganz besonders stark hervor (Dan 7:7-8.11.19-26). Denn erst in der fürchterlichen Gestalt des letzten Tieres wird die Weltmacht ihre ganze, gottwidrige Natur herauskehren, hat ja doch schon die Aufeinanderfolge der Metalle im 2. Kapitel die sukzessive Verschlechterung derselben klar genug angedeutet. Wie nun aber das ganze Interesse an den vier Monarchien über die drei ersten hin der letzten zueilt, so eilt es aus dem gleichen Grunde bei dieser selbst wieder ihrer letzten Gestalt zu.
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Im 2. Kapitel war dem ganzen Charakter dieser Offenbarung gemäß vorzugsweise von der nationalen und politischen Entwicklung die Rede gewesen, welche innerhalb der vierten Monarchie stattfinden werde, indem deutlich zwei Perioden in derselben unterschieden sind, die eiserne und die eisern-tönerne. Die letzte Gestalt dieses Reiches war hier noch nicht Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit geworden, sondern nur vorläufig durch die zehn Zehen angedeutet. Im 7. Kapitel dagegen, wo es sich nicht um das politische, sondern um das religiöse Element handelt, ist das Moment welche im 2. durch die Unterscheidung von Eisen und Ton bezeichnet ist, nicht mehr besonders hervorgehoben, sondern die Darstellung eilt den zehn Hörnern, in denen wir auf den ersten Blick die zehn Zehen des 2. Kapitels wieder erkennen, zu, aber auch diesen nur, um zu zeigen, wie mitten zwischen ihnen ein elftes Horn aufgestiegen sei, ein König, welchem nun der ganze vermessene Trotz und  Hass der Welt wider Gott, Gottesvolk und Gottesdienst hervorbricht. Wie das 7. Kapitel jene Unterscheidung von Eisen und Ton nicht mehr ausdrückt, so weiß umgekehrt das 2. Kapitel von diesem letzten, gottfeindlichen Weltherrscher noch nichts; und so stellt sich hier in der Beschreibung der letzten Monarchie durch die eigentümlichen Züge, welche jedes der beiden Gesichte für sich daran hervorhebt, ihr unterscheidender Charakter wieder recht deutlich heraus.
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In dem letzten Weltherrscher konzentriert sich also auf ähnliche Weise das Wesen des vierten Reichs, wie sich in diesem das Wesen der Weltreiche überhaupt konzentriert. Mithin enthüllt sich jetzt am Ende der eigentliche Charakter der Weltmacht, das Geheimnis der Bosheit, und wir haben in dem elften Horn keinen anderen zu erblicken als denjenigen, welchen Paulus (2Thes 2.) den Menschen der Sünde und den Sohn des Verderbens nennt. Der Begriff des Antichrists tritt hier zum ersten Mal in der ganzen Offenbarungsentwicklung deutlich hervor, weil hier zum ersten Mal die Gesamtentfaltung der un- und widergöttlichen Welt bis ans Ende klar überschaut ist. Die Schilderung bei Daniel ist auch so, dass wir sehen, es stellt sich in diesem Menschen die volle Evolution des im Sündenfall gesetzten bösen Prinzips dar. Als seine Hauptkennzeichen sind wiederholt (Dan 7:8.20) Augen wie Menschenaugen - Symbol für Klugheit - und ein freches Lästermaul, welche der Empörung gegen Gott den frevelhaftesten Ausdruck gibt, hervorgehoben. Das erinnert an 1Mo 3:5; wo die Schlange den Menschen, wenn sie wider Gottes Gebot sich empören, verheißt, ihre Augen werden aufgetan und sie werden sein wie Gott. Was dort begonnen hat, ist hier vollendet. intellektuelle Kultur, aber Herz und Wesen in frechster Opposition gegen den lebendigen Gott, Selbstvergötterung.
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An die Stelle der Weltreiche tritt nun also das Gottesreich, welches in der Person des Menschensohnes erscheint. Es ist die Frage, wer dieser Menschensohn eigentlich sei, das Volk Israel oder der Messias? Für die erstere Meinung können sich H o f m a n n und H i t z i g auf die im Text selbst (Dan 7:18.22.27) gegebene Erklärung berufen, wo der Engel allerdings nur die Heiligen des Höchsten oder das Volk der Heiligen es Höchsten hervorhebt. Allein die den Gesichten beigefügten Erklärungen haben überhaupt nicht den Zweck einer vollständigen Deutung derselben, sondern sie sollen nur diejenigen Punkte ins Licht stellen, welche für das nächst Bedürfnis und Verständnis notwendig sind; sie sollen das Forschen über die Weissagung (1Petr 1:11) nicht ersparen, sondern auf die richtige Spur leiten. So verhält es sich, wie allgemein zugestanden wird, z. B. mit der Dan 2:41-43 über Eisen und Ton gegebenen Erklärung, welche auch nicht alle im Bild liegenden Momente namhaft macht oder machen will. An unserer Stelle nun war das nächste Bedürfnis die Beruhigung Daniels über das Schicksal seines Volkes, welches ihn so sehr bekümmerte, und darum hebt der Engel gerade dieses hervor. Wollte man, durch das Engelswort sich gebunden haltend, das Volk zur Hauptsache machen, so wäre doch immerhin dasselbe, wie H o f m a n n  (S. 291) bemerkt, nicht ohne seinen messianischen König zu denken: König und Reich sind hier ebenso eins, wie bei den Weltmonarchien, wo Daniel dem Nebukadnezar sagen muss: Du bist das goldene Haupt (Dan 2:38). Allein gerade diese Parallelstelle führt weit mehr der anderen Auffassung zu.
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Der König ist der Repräsentant des Reiches, an dem das Volk hängt, und nicht umgekehrt. '''Nach biblischer Anschauung geht immer das Haupt dem Leib voran und begreift ihn in sich, nicht umgekehrt.''' Doppelt gilt dies beim Messias, der daher auch den Ausdruck Menschensohn ohne weiteres auf seine Person anwendet. Aber auch im Text selbst gibt es zwei Umstände, welche gegen die beiden genannten Ausleger entscheiden. Fürs erste kommt der Menschensohn vom Himmel herab; denn niemand wird mit H o f m a n n das Kommen mit den Wolken des Himmels von einem Getragenwerden von der Erde zum Himmel verstehen (vgl. Mt 26:64), niemand wird aber auch mit H i t z i g das Volk Israel aus dem Himmel kommen lassen. Sodann finden wir die Heiligen selbst V. 21 im Gesicht; erscheinen sie nun anderweitig in Person, so können sie nicht auch noch durch den Menschensohn dargestellt sein wollen. Man hat daher unter diesem den Messias und erst in zweiter Linie, als in ihm zusammengefasst, sein Volk zu verstehen (vgl. Gal 3:16.28; 1Kor 12:12). Auch hierin gleicht der Begriff des Menschensohnes dem des Knechte Jehovas, von welchem sogleich weiter die Rede sein wird.
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Es ist dem universellen Horizont der danielischen Weissagung entsprechend, dass der Messias nicht mehr als Davids Sohn erscheint, sondern ganz allgemein als Menschensohn, nicht mehr nur als israelitischer König, sondern als Weltherrscher. Der prophetische Gesichtskreis hat jetzt wieder dieselbe Weite erreicht, die er im Protevangelium hatte. Hier steht noch, bei Daniel steht wieder die ganze Menschheit im Blickfeld der Weissagung*).<br/>
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:''*) auf eine charakteristisch veräußerlichte Weise tritt diese Universalität des apokalyptischen Horizonts in einigen apokryphischen Apokalypsen hervor, indem hier die Offenbarung den vorisraelitischen, der ganzen Menschheit angehörigen Urväter selbst untergeschoben wird: so dem Adam (in dem kürzlich von D i l l m a n n übersetzten Adamsbuch), dem Henoch, der Sibylle, welche eine Tochter oder Schwiegertochter Noahs sein soll und dgl. Über die jüdische Sibyllistik stellt L ü c k e (S. 81-89) in dieser Beziehung eine sinnreiche Vermutung auf. Er macht darauf aufmerksam, dass bei den Griechen die Sibyllen "das allgemeine, natürliche Prophetentum repräsentieren in seiner Verschiedenheit von dem positiven, priesterlichen Orakeltum. Als nun die ägyptischen Juden in apologetischem und missionarischem  Interesse ihre väterliche Religion mit dem Hellenentum zu verschmelzen begannen, so bot sich ihnen die Sibylle als das Prophetentum der allgemeine adamitischen oder auch noachitischen Religion mitten im Polytheismus dar." Der hellenistische Universalismus bemächtigte sich des apokalyptischen und trug ihn auch äußerlich in die univerrsalistische Urzeit zurück, wo Israel und die Heiden sich noch nicht geschieden hatten und wo man daher ebenso vom Heidentum seine Sibylle als von der Bibel ihre Patriarchen entlehnen zu können glaubte. Dies ist zugleich ein Moment zur Erklärung der Vorliebe jener synkretistischen Zeit für Apokalyptik. Aber so hoch die kanonischen Evangelien über den apokryphischen stehen, ebenso hoch stehen Daniel und Johannes über diesen Produkten ihrer Nachahmer.''<br/><br/>
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====<big>Die Tiere und der Menschensohn</big>====
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Wie wir vorhin im Bild des Antichrists die letzte, abschließende Entfaltung des 1Mo 3 gezeichneten Sündenprinzips fanden, so entspricht der Menschensohn hier dem Weibessamen dort; und wenn von dem letzteren verheißen ist, er soll dem in der Schlange sich offenbarenden bösen Prinzip den Kopf zertreten, so tritt auf ähnliche Weise hier der Menschensohn als Sieger über die widergöttliche, kosmische, ebenfalls den Tieren verkörperte Macht hervor. Schlangensame und Weibessame, die Tiere und der Menschensohn stehen einander gleichmäßig gegenüber. Die Apokalypse macht dann den Zusammenhang dieser beiden Stellen auch ausdrücklich erkennbar, indem sie das Tier, welche in ihr, die vier danielischen zusammenfassend, die gesamte Weltmacht repräsentiert geflissentlich als ein Abbild des großen Drachen, der alten Schlange, des Teufels und Satans, der die ganze Welt verführt, darstellt, ganz gemäß der johanneischen Grundanschauung vom Teufel als dem Fürsten der Welt (Offb 13:1.2; Offb 12:3.9; Joh 12:31: Joh 14:30; vgl. Lk 4:5.6). Hinter dem Tierwesen, das von untern her aus  dem Meer stammt und sich im Antichrist vollendet, steht also der Teufel, wie hinter dem Menschensohn, dem Christ, der vom Himmel kommt, Gott steht. In der Schlange hatte der Teufel Tiergestalt angenommen, im Menschensohn erscheint Gott in Menschengestalt. Seit die Menschheit der Schlange gefolgt ist, hat sie das tierische Wesen in sich hereingelassen, ist tierisch geworden. Nun muss Gott Mensch werden, dass der Mensch aufhöre, Tier zu sein. Wer aber dennoch dem Tierwesen nachhängt, der wird vom Menschensohn gerichtet, eben weil er des Menschen Sohn ist*) (Joh 5:27).<br/>
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:''*) Vergl. J.  R i c h e r s, die Schöpfungs-, Paradieses- und Sündeflutgeschichte, Leibzig 1854, S. 321 f. 333.''<br/>
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Doch wir haben das danielische Messiasbild auch  in seinem Verhältnis zu demjenigen der unmittelbar vorangehenden Weissagung zu betrachten. Die babylonische Gefangenschaft bildet, wie aus dem oben gegebenen Überblick der Geschichte Israels hervorgeht, in der Entwicklung der alttestamentlichen Theokratie das gerade Gegenteil der davidischen Periode. Diese ist die Zeit der glorreichsten Erhöhung, jene die der tiefsten Erniedrigung des Bundesvolkes. Daher hat, während bis dahin das davidische Königtum für die Prophetie den Typus der messianischen Weissagung hergegeben hatte, das Exil neue Typten dafür hervorgebracht. *1). Und zwar der Natur der Sache nach zwei. Einerseits spiegeln sich die Leiden des Volkes in dem Bild des leidenden Messias wieder, und das ist die Grundlage zur Gestalt des Knechtes Jehovas, welche Jes 40-66 vorausgeschaut hat.*2)<br/>
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:''*1) Vgl. S t i e r, Jesaja, nicht Pseudojesaja, S. XXXIV. XXXVII.''<br/>
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:''*2) Vgl. W. H o f m a n n, die göttliche Stufenordnung im A. T. (deutsche Zeitschr. für christl. Wissensch. v. Febr. 1854, S. 62): "Schon vor dem Exil geht der Ton des Leides der Gläubigen, der Knechte Gottes, der Propheten durch das Prophetenwort. Das Gesetz ist gebrochen, der Fluch deshalb verhängt, das Gesetz tut jetzt seine letzte und bleibende Wirkung, zur Erkenntnis der Sünde. Auch die höchste Blüte der Theokratie, der Knecht Jehovas, der  Gesalbte kann nicht anders als leidend zur Herrlichkeit gehen. Er trägt die Sünde seines Volkes, den alten Fluch des gebrochenen Gesetzes, aber er hebt ihn auch in stellvertretendem Gehorsam hinweg. Der Messias ist das Lamm Gottes, eine in Israel bis dahin den meisten unerhörte Verkündigung."
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Eben dahin gehört in unserem Buch das 9. Kapitel. Andererseits tritt in der tiefsten Leidenszeit so hell wie noch nie die Wahrheit hervor, dass im Reich Gottes alles Kreuz doch nur der Weg zur Herrlichkeit ist, und dass daher, "wenn vollendet ist die Zerbrechung der natürlichen Kraft des heiligen Volkes" (Dan 12:7), das Himmelreich mit einer nie zuvor gesehenen Macht und Ausdehnung die ganze Menschheit beherrschen wird. Das ist die Erscheinung des Menschensohnes Dan 7. Von diesen Ausdrücken ist der eine so bezeichnend wie der andere. Knecht Jehovas deutet auf den dienenden und duldenden Gehorsam gegen Gott; Menschensohn deutet an, dass aufgrund hiervon der Mensch zu seiner ursprünglichen Bestimmung und Herrscherwürde gelangen soll, wie sie 1Mo 1:26-28 vorgezeichnet ist. Beide Benennungen des Messias sind also vom davidischen Typus abgelöst. Der Messias ist jetzt nicht mehr der theokratische König gegenüber dem Bundesvolk, sondern er erscheint als die einheitliche Zusammenfassung des Bundesvolks gegenüber der Völkerwelt. Es findet hier ein ähnlicher Fortschritt in der Prophetie statt, wie in der apostolischen Zeit der vom Judenchristentum zum Paulinismus. Wie sehr dieser Fortschritt gerade der historischen Situation des Exils entspricht, leuchtet ein. Auch in dem davidischen Messiasbild haben sich schon die beiden Seiten des Duldens und des Herrschens hervorzuheben begonnen, zerfallen doch bereits die messianischen Psalmen in Leidens- und Königspsalmen. Aber was dort nur erst keimende Knospe war, sehen wir nun zu voller Blüte entfaltet. Auf der einen Seite namentlich die sühnende Kraft des messianischen Leidens (Jes 53 und Dan 9), auf der andern die universalhistorische Stellung der messianischen Herrschaft gegenüber den einzelnen Weltreichen (Dan 2 und Dan 7) erschlossen. Der prophetische Blick hat sich ebenso vertieft wie erweitert. <br/><br/>
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====<big>Bileam, als Vorläufer Daniels</big>====
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So viel von dem Messiasbild unseres Gesichtes. IN der Weissagung über die Weltmächte hat Daniel einen merkwürdigen Vorgänger an dem Propheten B i l e a m. Wie Joseph ein Vorbild von ihm ist hinsichtlich seiner politischen und religiösen Stellung, so Bileam hinsichtlich seiner prophetischen. Diesen Segenspropheten wider Willen, dessen ganze Erscheinung auch für die Erkenntnis des psychologischen Wesens der Prophetie ungemein lehrreich ist, sehen wir in vielem Betracht ähnlich an den Anfang der selbstständigen Geschichte Israels gestellt, wie Daniel an den vorläufigen Schluss. Israel, durch die Errettung aus Ägypten und die Gesetzgebung eben erst zum Volke und zum Gottesvolke geworden, kommt, als es sein Land einnehmen will, zum ersten Mal in Kollision mit heidnischen Völkern, mit den Edomiter, Amoritern, Moabitern usw. Da wird von dem moabitischen König Balak dieser wunderbare Bileam berufen, um das Volk des Höchsten zu verfluchen. Er ist ein Aramäer, am Euphrat wohnend, also von Haus aus in das Land der asiatischen Weltbewegungen hineingestellt, dabei aber mit der Erkenntnis des wahren Gottes gleich Melchisedeck und dazu noch mit einer außerordentlichen Prophetengabe ausgestattet, das sind lauter Züge, wie wir sie bei Daniel wiederfinden, und so führt die Ähnlichkeit der geschichtlichen und persönlichen Situation ähnliche prophetische Resultate herbei, nur dass wir natürlich bei Bileam erst die Keimansätze zu dem finden, was sich bei Daniel in großartigen Bildern vor unserem Blick ausbreitet.
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Die Kollision Israels mit der heidnischen Welt ist auch der Brennpunkt der Weissagung Bileams. Indem er vom Gipfel des Berges Peor heraub an Balaks Seite das israelitische Lager überblickt (4Mo 23:28; 4Mo 24:2). schaut er im Geiste, der über ihn kommt, aus diesem von Gott gesegneten Volke, welches einem Löwen glich vor ihm ausgestreckt liegt, ein Königtum sich erheben, das die Völker frisst (4Mo 24:7-9), das Moab zerschmettert, Edom erobert, Amalek den Untergang bringt, die Keniter vernichtet (4Mo 24:17-22). Also über alle umliegenden Heiden wird Israel triumphieren. Aber Bileam hat die Bedeutung des Gottesvolks für die Heidenwelt überhaupt erkannt (4Mo 23:8-10; 4Mo 24:8.9), und sein Geistesblick reicht noch in weitere Fernen. Er schaut auch die größeren künftigen Weltmächte, sowohl des Morgenlandes (Assur 4Mo 24:22.23), als des Abendlandes (Chittim 4Mo 24:24). Vor ihnen kann nichts bestehen; auch Eber und mithin Israel wird von ihnen gedemütigt. "Also selbst bis in die Tiefe, dass das Volk Jehovas der Weltmacht unterliegen und übergeben werden soll, ist Bileam der Blick geöffnet." Aber auch noch weiter: er schaut auch das Ende dieser großen Weltmächte, Schiffe aus Chittim müssen Assur, der Okzident muss den Orient demütigen; doch auch die okzidentalische Macht selbst muss untergehen. Mit diesem Blick auf die Trümmer der heidnischen Macht schließt tragisch die Weissagung des heidnischen Propheten. Er darf nicht einmal mehr ausdrücklich verkündigen, dass Israel alle die Weltbewegungen überdauern werde; doch ist das freilich in dem, was er zuvor, namentlich 4Mo 23:8.9 hat aussprechen müssen, unzweideutig enthalten. Aber haben wir nun hier nicht den Grundriss zu Daniels Weissagungen vor uns? Was Bileam noch mit den uralten Namen Assur und Chittim (1Mo 10:11.22.4.) bezeichnet, das schaut Daniel, der Zeitgenosse von Nebukadnezar und Kyrus, näher in den beiden morgenländischen  und in den beiden abendländischen Reichen, Babel und Medopersien, Griechenland und Rom; und vor und nach ihnen allen dieses Israel, das "besonders wohnende, dem Gott nicht flucht!" Wenn Bileams geöffnete Augen schon so weit reichten, um wie vielmehr der Seherblick eines Daniel!*)<br/>
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:''*) Vgl. B a u m g a r t e n, theol. Komm. zum Pentateuch II, S 375-78. H o f m a n n, Weiss und Erf I, S 153 f., H ä v e r n i c k Einl. ins A. T. I, 2, S 507-10. Bei dem angegebenen Sachverhalt hat natürlich die Kritik, die den Geist der Weissagung nicht anerkennt, mit jenen wenigen Schlussworten Bileams ihre liebe Not. Die Erwähnung Assurs ging noch an; man kann ja ganz leicht den Abschnitt in die assyrische Zeit heruntersetzen. Aber "rätselhaft  sind die chittäischen Schiffe, die 1Makk 1:1 auf Alexander M. gedeutet werden." D e W e t t e gestand wenigstens früher, das V. 24 als wirkliche Weissagung genommen werden zu müssen scheine. H i t  z i g und E w a l d, von der assyrischen Abfassungszeit ausgehend, beziehen ihn auf völlig unbedeutende Ereignisse, jener auf einen Einfall der Griechen in Sizilien zu den Zeiten Sanheribs, dieser auf ein ähnliches Ereignis in denen Salamassars, Ereignisse, welche bei Eusebius und Josephus zufällig erwähnt werden. Einfacher halten B e r t h o l d , v. L e n g e r k e,, B l e e k  den ganzen Vers für interpoliert. Sollte er nicht ins makkabäische Zeitalter zu setzen sein? Die Ähnlichkeit mit unserem Propheten, welche sich Dan 11.30 bis aufs Wort erstreckt, würde sich dann leichter erklären.''<br/>
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Es stellt sich uns also bei unserem Propheten nicht bloß eine Weiterentwicklung der messianischen Weissagung aus den unmittelbar vorhergehenden Jahrhunderten dar, sondern wir sehen uns auch noch weiter zurückgewiesen. In seinen Enthüllungen über die Weltmächte und ihr Verhältnis zu Israel vollendet sich, was schon am Anfang der heiligen Volksgeschichte Bileam geschaut; und in seinen Offenbarungen über den Antichrist und den Christ vollendet sich, was schon am Anfang der Menschengeschichte Gott selbst über den Schlangensamen und Weibessamen ausgesprochen hatte. Bald nach den Zeiten Daniels aber finden wir seine Weissagungen über die Weltmächte nach Inhalt und Form so deutlich bei S a c h a r j a vorausgesetzt, dass hieraus ein ebenso starker äußerer Beweis für die Echtheit des Buches erwächst, wie aus jenem Verhältnis zu den Vorgängern ein innerer. Denn dass Sacharjas Gesichte von den vier Hörnern und Schmieden, sowie von den vier Wagen (Sach 1:18-21; Sach 6:1-8) auf die vier danielischen Weltmonarchien zurückgehen, das  hat H o f m a n n auf überzeugende Weise nachgewiesen, und B a u m g a r t e n hat es weiter ausgeführt.*) Auch die Weissagung über Jawan oder Griechenland (Sach 9:13 ff.) kann ihr Licht nur aus diesem Zusammenhang erhalten.<br/>
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:''*) Weiss. und Erf. I, S. 353. Die Nachtgesichte Sach. I, S. 193 ff., wo sich auch Näheres über den biblischen Gegensatz von Tier und Mensch findet, das mit den oben gegebenen Bestimmungen dem Wesen nach ungesucht zusammentrifft.''<br/>
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Ehe wir weitergehen, sei endlich nur noch eine vorläufige Bemerkung hinsichtlich der Weltreiche hinzugefügt. deren weitere Ausführung wir einer späteren Stelle vorbehalten müssen. "Diese Reiche sind von Gott (Dan 2:37; Röm 13:1) und deswegen rechtmäßig und verehrungswürdig." (R o o s, S. 65). Aber wie? ist es denn nicht ein Widerspruch, wenn die Hl. Schrift einerseits gerade die Hauptreiche, die vorzüglichsten Träger der obrigkeitlichen GEwalt dem Reiche Gottes so bestimmt gegenüberstellt und als die wesentlichen Erscheinungsformen des widergöttlichen Prinzips charakterisiert? Das Wort Gottes, wie es überhaupt frei von Irrtum ist, so hält es sich auch frei von jeder Illusion, von jeder falschen  und eitlen Hoffnung. Es weiß und sagt klar voraus, dass alle Gaben Gottes, auch die edelsten, in den Händen der unreinen Menschen verunreinigt und verdorben werden. Die Welt selbst ist ja einerseits Gottes Werk und besteht fort und fort in ihm, und doch liegt sie andererseits im Argen, d. h. im Teufel /Kol 1:17; Apg 17:28; 1Jo 5:18.19). Geht es doch sogar mit der Kirche des alten und selbst des neuen Bundes nicht anders: sie ist das Weib Jehovas und Christi, und doch wird sie zur Hure! So verhält es sich nun auch mit Staat  und Reich auf Erden. Ihrem Ursprung und Wesen nach göttlich geordnet, treten sie mit ihrer geschichtlichen Erscheinung und ihrem endlichen Entwicklungsresultat in den Dienst der Sünde, des Verderbens, der Empörung wider Gott. Das ist die unbegreifliche Langmut und Geduld des Weltregenten, dass er seine Gaben Jahrtausende lang in den Händen der Menschen Lässt und zusieht, wie sie von denselben befleckt, in den Staub und Kot herab gezogen, in ihr Gegenteil verzerrt werden. Er tut das um der Auserwählten willen. Er lässt Staat und Kirche stehen unter seiner Geduld, bis teils unter dem Schirm dieser seiner Haushaltungsordungen, teil unter dem Druck ihrer schlechten Verwalter aus allen Nationen die Gemeinde seiner wahren Kinder gesammelt ist für jene Zeiten der Erquickung, wo der Herr selbst das Weltregiment führen wird und seine Heiligen mit ihm.
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Wie es nun kommt, dass die Reiche der Welt einen so gottwidrigen Charakter annehmen, das erfuhr Daniel selbst in seinem eigenen Leben; und auch zur Veranschaulichung hiervon können und sollen die bedeutsamen Erlebnisse dienen, deren Erzählung er seinem prophetischen Buch eingeflochten hat, und zu deren Betrachtung wir nunmehr übergehen. Die Weltmacht, die über alles Sichtbare gebietet und dieses als das Reelle nimmt, vergöttert sich selbst und erhebt sich frech wider den lebendigen Gott und seine Heiligen. Sie strömt über an Mut und übertritt und wird schuldig; ihre Kraft macht sie zu ihrem Gott (Hab 1:11.16.)<br/><br/>
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====<big>Bedeutsame Erlebnisse Daniels - Dan 3-6</big>====
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Zwischen den Gesichten Nebukadnezars und Daniels enthält der erste Teil unseres Buches vier Erzählungen aus dem Leben des Propheten. Das 3. Kapitel berichtet die wunderbare Errettung seiner drei Freunde, welche das goldene Bild Nebukadnezars nicht anbeten wollten, aus dem Feuerofen. Das 4. ist ein Edikt Nebukadnezars und enthält einen zweiten Traum des Königs, der sich auf ihn selbst bezieht und an ihm selbst erfüllt. Er verfällt zur Strafe fr seinen Hochmut in Wahnsinn, so dass er bis zum Tier heruntersinkt; kommt aber, nachdem er die Strafe getragen, wieder zu menschlicher Vernunft und zu noch größerer Macht als vorher, indem er dem wahren Gott die Ehre gibt. Dieses Kapitel mit seinem Gegensatz von tierischem und menschlichem Dasein enthält bedeutsame, vorbereitende Winke zu Erklärung der Symbolik des 7. Kapitels von den Tieren und dem Menschensohn und dient unserer Auffassung derselben zu wesentlicher Bestätigung; insbesondere erklärt sich aus demselben, was Dan 7:4 über das erste Tier gesagt ist. Das 5. Kapitel erzählt von dem Übermut des babylonischen Königs Belsazar bei seinem Gastmahl, von der an der Wand erscheinenden Inschrift und ihrer Deutung durch Daniel, sowie von der raschen Erfüllung seiner Prophetenworte durch das noch in derselben Nacht über Belsazar hereinbrechende Gericht. Endlich beschließt das 6. Kapitel die Reihe dieser Erlebnisse des Propheten durch den Bericht über seine wunderbare Errettung aus der Löwengrube, in welche er geworfen worden war, weil er trotz eines königlichen Verbotes nicht aufgehört hatte,  zu seinem Gott zu beten.
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Wir sehen leicht, dass wie Kapitel 2 und 7, so Kapitel 3 und 6, 4 und 5 zusammengehören. Und zwar haben diese neben ihrem historischen Wert auch noch eine symbolische Bedeutung. Das eine Paar zeigt an dem Beispiel Daniel und seiner drei Freunde, wie Gott seinen Heiligen wunderbar nahe ist, hauptsächlich da, wo sie im treuen Ausharren bei ihrem Herrn der Weltmacht zu erliegen scheinen. Das andere Paar stellt die beiden Könige der ersten Monarchie als ein Exempel hin, wie Gott die Weltmacht mitten in ihrem größten Übermut und Hohn gegen ihn plötzlich zu beugen weiß, und sich mithin die Gläubigen nicht vor ihrer Gewalt zu fürchten haben. Dabei findet in beiden Beziehungen von dem ersten zum zweiten Fall der Fortschritt statt, dass es von den bloßen Selbstüberhebung der Weltmacht  zur ausdrücklichen Opposition gegen den lebendigen Gott kommt. Nebukadnezar verlang im 3. Kapitel Huldigung vor seinem Bild, im 4. rühmt er sich seiner großen Macht und Herrlichkeit; aber weder das eine noch das andere Mal unternimmt er etwas direkt gegen Gott. Belsazar dagegen (Dan 5) höhnt den Herrn, indem er die heiligen Tempelgeräte aus Jerusalem entweiht, und Darius der Meder verbietet (Dan 6) zu ihm zu beten. Auch in dem Verhalten der Gläubigen spiegelt sich dieser Fortschritt auf eine sehr lehrreiche Weise ab. An dem Beispiel Sadrach, Mesach und Abdenego zeigt sich, dass man der Weltmacht nicht positiv huldigen darf durch Anbetung des Weltbildes; an dem Beispiel Daniels, dass man ihr auch nicht einmal negativ huldigen darf durch Nichtanbetung Gottes.
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Indem sich nun in allen diesen Fällen die herrliche Macht des Allerhöchsten gegen die Welt und für die Heiligen erweist, sehen wir hier in dem engen Rahmen historischer Genrebilder dargestellt, was die Gesichte des 2. und 7. Kapitels in großen, universalgeschichtlichen Tableaux  uns vor Augen führen. Beides dient gleich sehr zu Glaubensstärkung und Belehrung des Gottesvolkes für die Zeiten der Herrschaft der Weltmächte. Und der wunderbare Reiz, den jene Erzählungen schon für das Gemüt des Kindes haben, ist ganz geeignet, den mächtigen Anschauungen der beiden Gesichte zur Unterlage zu dienen und ihren Nachdruck zu befestigen. Von Kindesbeinen an soll der rechte Israelit und der Gläubige überhaupt in der ganzen Periode weltlicher Gewalt Grundeindrücke empfangen von der Nichtigkeit des Weltwesens und der Herrlichkeit Gottes und seiner Heiligen (vgl. 1Mo 18:19). Wenn die symbolischen Bilder der Geschichte unseres Buches dem oberflächlichen Blick wenig moralische und religiöse Belebungskraft zu enthalten scheinen: so ist dies in um so höherem Maße der Fall bei den strahlenden Gestalten eines Daniel und seiner Freunde, wie bei den drastischen lehrreichen Charakteren eines Nebukadnezars und Belsazars.
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Über die in diesen Erzählungen vorkommenden Wunder bemerkt K e i l (Einleitung ins A. T. S. 459 f.): "Wie alle heiligen Schriftsteller nicht das Alltägliche berichten, sondern von den Offenbarungen der göttlichen Gnade und Allmacht Zeugnis geben wollen: so sind auch im Buch Daniel nur diejenigen Tatsachen aufgezeichnet, durch welche der Gott Israels der stolzen Macht der heidnischen Weltherrscher, denen er sein Eigentumsvolk zur Strafe für seine Sünden hatte preisgeben müssen, seine Allmacht kundgetan, damit sie ihm als dem Gott des Himmels und der Erde die Ehre gäben und erkennen würden, dass Er (nicht ihre Götzen) die Welt regieren, seine Diener zu erhalten die Macht habe und den Übermut der Hohen und Gewaltigen dieser Erde strafen und demütigen könne.  Dass aber alle Wunder für Daniel und seine Gefährten geschehen oder doch zur Verherrlichung Daniels gereichen, das hat seinen Grund in der Stellung, in welcher Daniel zu einer Zeit ,wo Gott sich nicht an dem ganzen Volk verherrlichen konnte, vor den Augen der sich für allmächtig haltenden Herrscher Babels berufen war, in seiner Person das Volk Gottes und die äußerlich der Macht der Chaldäer  preisgegebenen Theokratie vor den Heiden und an der höchsten Stätte der heidnischen Weltmacht zu vertreten und durch seine Vertretung die Erhaltung und Wiederherstellung derselben oder die Rückkehr de Volkes Gottes in sein Land anzubahnen. Um Eindruck auf die gewaltigen Träger des Heidentums zu machen, mussten die Wunder einen gewaltigen, imponierenden Charakter annehmen; und dass sie diesen Zweck wirklich erreichten, beweist der Ausgang des Exils, namentlich das Edikt des Kyrus (Esr 1:1-4), das sich nicht darauf beschränkte, den Juden die Rückkehr ins Vaterland zu gestatten, sondern ausdrücklich dem Gott Israels als dem Gott des Himmels die Ehre gibt und seinen Tempel zu bauen befiehlt.<br/><br/>
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===<big>'''III. Der zweite Teil'''</big>===
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====<big>Gottesreich und Weltreich in näherer Zukunft</big>====
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Aktuelle Version vom 20. Mai 2020, 18:39 Uhr

siehe: Charakteristik des Buches Daniels